Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Familie Emanuel Nathan<br />
(Eltern von Ernst Nathan)<br />
Emanuel Nathan<br />
* 16.07.1829 Reichelsheim † 06.06.1898 Worms<br />
Kaufmann in Gernsheim, Lorsch und Spezereihändler (1877) in Worms<br />
verh. (1. Ehe) um 1860 (Kind 1 aus dieser Ehe)<br />
A) Mina Weil * † 1863//1871 Gernsheim<br />
verh. (2. Ehe) um 1863//1871 (Kinder 4 und 5 aus dieser Ehe)<br />
B) Auguste Ehrmann * 03.11.1839 Pfungstadt † nach 1911 Offenburg (?)<br />
Umzug im Juni 1899 von Worms nach Offenburg, lebte dort 1903, 1911<br />
5 Kinder:<br />
1. Jonas Nathan * 12.10.1863 Gernsheim † 17.04.1911 Worms<br />
1897, 1911 Handelsmann in Worms, verstorben im Krankenhaus Worms, unverheiratet<br />
2. Dr. med. Josef Nathan * 08.06.1866 Gernsheim † 18.07.1926 Offenburg<br />
um 1900 Arzt in Wallertheim bei Worms, später in Offenburg<br />
verh. um 1897 Wallertheim (?)<br />
Ella (Eleonora Gutella) Mann * 26.02.1878 Wallertheim † nach 1940 USA<br />
wohnhaft in Offenburg, 05.1938 in die USA, lebte 1940 beim Sohn in Holyoke City/Mass./USA<br />
1 Kind:<br />
a) Dr. med. Paul Nathan * 22.05.1898 Wallertheim † 07.03.1971 Holyoke/USA<br />
Arzt in Offenburg, 05.10.1935 nach Northhampshire/USA, lebte in Holyoke/USA, kinderlos<br />
vh. um 1955/60 Elisabeth Ziegler * 14.11.1904 † 29.08.2006 Granby/Mass./USA<br />
(1. Ehe mit Frederick H. Cramer (1906-1954), seit 1938 in USA, Prof. in Holyoke, 5 Kinder)<br />
3. Karoline Nathan * 24.11.1867 Lorsch † 06.12.1936 Frankfurt/M.<br />
15.11.1898 von Worms nach Frankfurt/M., wohnte 1936 in Frankfurt/M., unverheiratet<br />
4. Ernst (Nathan) Nathan * 03.04.1871 Lorsch † 12.08.1942 Auschwitz<br />
1903 Kaufmann in Bischweiler/F, seit 1919 Zigarrenfabrikant in Bruchsal, 22.04.1940 Gurs<br />
verh. 04.06.1903 Bruchsal<br />
Betty Bär<br />
* 06.01.1882 Heidelsheim † 12.08.1942 Auschwitz<br />
(Tochter von Bernhard Bär (1853-1924) und Thekla geb. Bär (1856-1936), siehe Seite 32-33)<br />
5. Moritz „Morris“ Nathan * 31.03.1877 Worms † 30.09.1953 Franklin/NJ/USA<br />
1911-1936 Kaufmann/Zigarrenfabrikant in Bruchsal, 1936 in USA, 1940 New Brunswick/NJ<br />
verh. 04.08.1911 Bruchsal<br />
Paula Josefine Bär<br />
*18.05.1889 Heidelsheim † 08.02.1968 Newark/NJ/USA<br />
(Tochter von Bernhard Bär (1853-1924) und Thekla geb. Bär (1856-1936), siehe Seite 32-33)<br />
Erinnerungen an die Familie Nathan<br />
von Hubert Bläsi<br />
Im Haus Nr. 17 der damaligen Schillerstraße wohnten in meiner Kindheit und frühen Jugend<br />
drei jüdische Familien: Bär, Kaufmann und Nathan. Zu den Familien Bär und Nathan hatten<br />
wir Kinder aus dem Nachbarhaus Nr. 15 Kontakt. Wir besuchten die Familien in ihren Wohnungen.<br />
Ich erinnere mich besonders an die Besuche bei Familie Nathan. Herr Ernst Nathan<br />
war ein mittelgroßer, eher hagerer Mann; er trug eine Brille mit Goldrand, sein Haar war<br />
rötlich-blond, stark angegraut. Frau Betty Nathan war vollschlank, untersetzt; sie hatte dunkelblondes,<br />
angegrautes Haar. Die Töchter Marie und Gretel ähnelten äußerlich ihren Eltern,<br />
Marie mehr der Mutter, Gretel glich im Körperbau ihrem Vater. Die beiden Töchter waren<br />
aus unserer kindlichen Sicht schon „älter“, also zwischen 20 und 30 Jahren. Bei unseren Besuchen<br />
bekamen wir Matzen zu essen, etwas, was für uns damals ganz unbekannt war. Wenn<br />
die Erwachsenen sich über etwas unterhielten, was wir Kinder nicht hören sollten, sagten die<br />
Eltern oder eine der Töchter: „Regardez les enfants!“ Anschließend unterhielten sich Nathans<br />
auf Französisch. Als wir das unseren Eltern erzählten, wurde uns gesagt, was das bedeutet.<br />
Zur Erklärung: Die Familie Nathan kam irgendwann in den 1920er (?) Jahren aus Bischwiller<br />
im Elsass nach Bruchsal. Eines Tages erfuhren wir, dass Nathans Tochter Gretel nach Wiesloch<br />
in die Psychiatrie gebracht worden war. Die Eltern Nathan führten die Gemütserkrankung<br />
der Tochter auf den ständigen psychischen Druck der antijüdischen NS-Propaganda<br />
zurück, die damals schon sehr stark zu spüren war. Unsere Eltern wussten schon von Fällen,<br />
in denen Psychiatriepatienten plötzlich „verstorben“ waren und befürchteten, dass Gretel<br />
Nathan das gleiche Schicksal drohen könnte. So kam es dann auch. Todesursache: „Lungenentzündung“.<br />
Die Euthanasie-Aktion der Nazis war in vollem Gange. Ich erinnere mich<br />
auch daran, dass Herr Nathan und mein Vater sich gelegentlich über den Gartenzaun unterhielten.<br />
Selbst das war angesichts der Tatsache, dass in Haus Nr. 19 ein Politischer Leiter der<br />
NSDAP wohnte, für Herrn Nathan und meinen Vater nicht ungefährlich. Themen der Gartenzaungespräche<br />
waren die Gartenarbeit, Börsenkurse und sicher auch die Politik. Apropos<br />
Börsenkurse: Herr Nathan als Kaufmann beobachtete die Entwicklung an den internationalen<br />
Börsen. Die Börsennachrichten erschienen damals in gebundenen Broschüren auf<br />
gelbem Papier. Diese schenkte Herr Nathan nach Gebrauch uns Kindern, und wir benutzten<br />
sie, wenn wir „Büro“ spielten. Dann kam jener verhängnisvolle Tag im Oktober 1940. Als ich<br />
von der Schule nach Hause kam, sagte meine Mutter tief betroffen: „Heute morgen haben sie<br />
die Nathans unter Polizeibewachung abgeführt“. Wir alle ahnten, dass für die Familie Nathan<br />
Schreckliches bevorstand, obwohl wir damals von Gurs und Auschwitz nichts wussten. Wohl<br />
aber war unseren Eltern bekannt, dass das KZ Dachau existierte. Ein Bekannter meines Vaters<br />
war zu der Zeit Häftling in Dachau. Es ist schwierig, die Empfindungen eines Elfjährigen,<br />
der die Zusammenhänge nicht voll erfasste, nach fast 80 Jahren zu rekonstruieren. Sicher ist<br />
aber, dass die gedrückte Stimmung der Eltern wegen der völligen Wehrlosigkeit gegenüber<br />
dem schreienden Unrecht sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt hat.<br />
34 35