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Stolpersteine_2018_komplett

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Biografien von Marie Nathan (1904-1942)<br />

und Margarete Nathan (1904-1940)<br />

von Marius Haag, Klasse 8s<br />

Marie und Margerete, genannt „Gretel“ Nathan waren Zwillingsschwestern, welche am<br />

4.2.1904 in Bischweiler im Elsass geboren waren. Beide besuchten zusammen die Höhere<br />

Mädchenschule in Bischweiler. Da Familie Nathan das Elsass als Deutsche nach dem<br />

1. Weltkrieg verlassen musste, traten beide Schwestern am 19.1.1920 in die vorletzte Klasse<br />

der Höheren Mädchenschule Bruchsal ein – übrigens in die Klasse, die auch von Erna<br />

Wälder, der Nichte der Baertigs (vgl. S. 24), besucht wurde. Wohl fiel ihnen der Wechsel<br />

nach Bruchsal schwer – Margarete wurde am Ende des Jahres nicht versetzt und musste<br />

die Klasse wiederholen, Maries Versetzung war zunächst ebenfalls gefährdet, sie konnte<br />

dann aber doch versetzt werden – besonders Englisch bereitete den beiden Schwestern<br />

wohl Schwierigkeiten. Margarete trat schließlich am 1.2.1921 aus der Schule aus, in<br />

der Klassenliste ist rätselhafter Weise vermerkt „wegen Unglücksfalls“. Marie schloss die<br />

Schule im März 1921 erfolgreich ab und verließ sie mit dem Abschlusszeugnis.<br />

Völlig im Dunkeln liegt, was die beiden in den 1920er Jahren und bis Mitte der 1930er<br />

Jahre taten. In den Adressbüchern Bruchsals wird kein Beruf angegeben – wohl haben<br />

sie keinen erlernt. Warum fand keine Eheschließung statt? Sicher haben sie in Wohlstand<br />

in der großzügigen Wohnung in der Schillerstraße 17 gelebt, da Vater Ernst ein<br />

Deckblatt der Krankenakte von Margarete Nathan aus der Heil- u. Pflegeanstalt<br />

Wiesloch. Quelle: GLA Karlsruhe, 463 Zugang 1983/20 Nr. 36366.<br />

erfolgreicher Zigarrenfabrikant<br />

war. In demselben Haus<br />

lebten auch die Großeltern<br />

Bernhard († 1924) und Thekla<br />

Bär († 1936). Maries weiterer<br />

Werdegang bis zur Deportation<br />

am 22.10.1940 nach Gurs<br />

bleibt völlig unklar. Ob sie die<br />

ganze Zeit in Bruchsal lebte?<br />

Während sie in den Bruchsaler<br />

Adressbüchern von 1931/32<br />

und 1938 erwähnt wird, fehlt<br />

sie 1933/36. Ein Versehen?<br />

Oder wohnte sie außerhalb?<br />

Jedenfalls kam sie, zusammen<br />

mit ihren Eltern, am 12.8.1942<br />

über das Sammellager Drancy<br />

nach Auschwitz, wo sich ihre<br />

Spur verliert.<br />

Über Margarete ist mehr bekannt,<br />

jedenfalls seit Mitte der 1930er Jahre: Margarete Nathan war am 1.12.1935 nach<br />

Worms gezogen, und zwar von Bruchsal kommend. Sie war Hausangestellte, zunächst<br />

bei Bernkopf (vgl. 2. Gedenkschrift 2016, S. 41), Mozartstraße 20, ab dem 19.4.1936 bei<br />

Dr. Kulp, Horst-Wessel-(Rathenau)-Straße 27, ab dem 3.11.1936 bei Oskar Frank (Elias<br />

Hausmann), Kaiser-Wilhelm-Straße 6 (heute Wilhelm-Leuschner-Straße). Familie<br />

Frank verließ Worms im März 1939, vermutlich zog Gretel dann nach Bruchsal zurück.<br />

Bei der Volkszählung im Mai 1939 war auch Margarete in Bruchsal gemeldet, allerdings<br />

kam sie aus ungenannten Gründen bereits am 12.6.1939 in die Heil- und Pflegeanstalt<br />

Wiesloch. Kurzzeitig, vom 27. bis zum 29.8.1939 und vom 15. bis zum 23.5.1940, wurde<br />

sie nach Hause entlassen. Vermerkt ist in den Anstaltsakten, dass sie während ihrem letzten<br />

Aufenthalt, zwischen dem 23.5.1940 und dem 11.7.1940, vier Mal besucht wurde: Am<br />

27. Mai waren es „2 Bekannte“, am 6. und 22. Juni sowie am 9. Juli ihre Eltern Betty und<br />

Ernst Nathan. Sehr aufschlussreich ist der Brief des Vaters nach seinem letzten Besuch.<br />

Zu diesem Zeitpunkt war Margarete bereits tot. Sie wurde am 11.7., zwei Tage nach dem<br />

Besuch der Eltern, im Rahmen der „Aktion T4“ mit einem der grauen Busse in die Tötungsanstalt<br />

Grafeneck verbracht, wo sie noch an demselben Tag ermordet wurde. Sicher<br />

war Margarete Nathans Erregung zwei Tage vor ihrem Tod darauf zurückzuführen, dass<br />

sie die in jener Zeit täglich abgehenden Deportationen richtig zu deuten wusste. Die Anstaltsleitung<br />

Wiesloch übrigens beantwortete den Brief am 25.7.1940 und teilte mit, dass<br />

Margarete Mitte des Monats auf Weisung des Innenministeriums mit anderen Kranken<br />

in eine außerbadische Anstalt verlegt worden sei, und dann wörtlich:<br />

„Die Benachrichtigung der<br />

Angehörigen sollte durch die<br />

Brief von Ernst Nathan an die Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch am<br />

18.7.1940. Quelle: GLA Karlsruhe, 463 Zugang 1983/20 Nr. 36366.<br />

30 31<br />

Übernahmeanstalt erfolgen.<br />

Wir nehmen an, dass dies inzwischen<br />

geschehen ist. Im<br />

Übrigen war der Zustand Ihrer<br />

Tochter unverändert ungünstig<br />

gewesen.“ Später wurden<br />

die Eltern vom Tod Margaretes<br />

informiert, und man<br />

sandte ihnen auch eine Urne<br />

zu. Wie Margaretes Cousine<br />

Erna Finkel 1964 niederschrieb,<br />

ist Margaretes Asche<br />

auf dem Bruchsaler Friedhof<br />

im Grabe ihrer Großeltern<br />

Bernhard und Thekla Baer<br />

beigesetzt worden. Einen<br />

Eintrag auf dem Grabstein<br />

gibt es allerdings nicht.

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