Immobilia 2010/09 - SVIT
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Fokus<br />
Interview<br />
In der Realität wird viel<br />
Dutzendware gebaut.»<br />
«Ein typischer Gewerbebau mit weltweit einheitlichem Erscheinungsbild. Einen<br />
Beitrag zum Städtebau vermag ich allerdings nicht zu erkennen – nichts Innovatives,<br />
kein Anspruch an die Nachhaltigkeit. Dabei könnte doch gerade ein Unternehmen,<br />
dass so viel Bauland verbraucht, Agglomeration und Verkehr provoziert,<br />
städtebauliche Verantwortung übernehmen.» Bild: IKEA.<br />
«Eine bestimmte ästhetische Auffassung, die sich über die Produkte<br />
hinaus auch auf dieses Gebäude erstreckt: Materialen in einer<br />
Art und für einen Zweck zu verwenden, für die sie ursprünglich<br />
nicht vorgesehen waren. Ich halte dies für einen intelligenten<br />
‹Missbrauch›, ein ‹Ready-Made› auf Zeit inmitten einer Industriebrache,<br />
das Provisorische ist Programm.» Bild: Freitag.<br />
eigentlichen Aufgabenstellung auch überhaupt<br />
nichts zu tun. Als die Visualisierung<br />
dann jedoch vorlag, das Gebäude also<br />
«sichtbar» wurde, standen solche Beschreibungen<br />
plötzlich im Raum. Die Visualisierung<br />
war in der Projektphase lediglich ein<br />
Mittel gewesen, das Objekt verständlich zu<br />
machen, trotzdem war sie nichts weiter als<br />
eine Fata Morgana. Form und Ausdruck der<br />
Berghütte waren nie Teil einer Kommunikationsstrategie.<br />
Die Benennung wurde<br />
Eine gelungene Idee<br />
kann auf ganz wenige<br />
Grundsätze reduziert sein.»<br />
vielmehr «a posteriori» in den Medien kreiert,<br />
weil dort komplexe Sachverhalte nur<br />
schwer zu kommunizieren sind. Also wurde<br />
das Schlagwort vom Bergkristall in die<br />
Welt gesetzt, das sich seither hartnäckig<br />
hält.<br />
–Heisst das, dass die wenigsten Auftraggeber<br />
ein Projekt mit einer Botschaft<br />
verbinden?<br />
–Im Gegenteil! Die Frage der Repräsentation<br />
stellt sich immer. Wofür steht das Gebäude?<br />
Was soll das Gebäude leisten? Wie<br />
lange soll es bestehen? Wie viel Flexibilität<br />
ist erforderlich? Wichtig ist, dass das nicht<br />
eindimensionale Fragestellungen sind,<br />
sondern eine gesamtheitliche Betrachtung<br />
der Aufgabenstellung vorgenommen wird.<br />
In der allerersten Auslegeordnung werden<br />
zentrale Weichen gestellt – später kann nur<br />
noch in Feinbereichen justiert werden. Es<br />
braucht deshalb vorab eine «Arbeitshypothese»,<br />
eine gute Idee. Die gute Idee ist das<br />
Gegenteil von einer simplen Idee, die nur<br />
vordergründigen Effekt im Sinn hat. Die gute<br />
Idee ist ein Hebel mit maximaler Stellwirkung<br />
auf das ganze Gebäude, ihr Ziel<br />
muss Nachhaltigkeit sein. Darum ist die gute<br />
Idee so viel wert.<br />
–Wann verdient ein Objekt eine<br />
Benennung?<br />
–Wenn ein Projekt Eigenschaften aufweist<br />
und Qualitäten entwickelt, die nicht in der<br />
Alltagsproblemstellung verharren, ist ein<br />
stärkerer Ausdruck grundsätzlich möglich.<br />
Diese müssen sich übrigens nicht nur auf<br />
das Erscheinungsbild beschränken. Eine<br />
starke Form darf allerdings nie zur leeren<br />
Hülse verkommen, das wäre in der Architektur<br />
und im Städtebau fatal. Wir müssen<br />
uns gleichzeitig auch vor Augen führen,<br />
dass fast 90% aller Planungen ein zentrales<br />
Alltagsproblem betreffen: den Wohnungsbau.<br />
Es hat keinen Sinn, aus jedem<br />
Wohnhaus einen «Granatenkracher» machen<br />
zu wollen, nur weil es darum geht, ein<br />
Kommunikationsziel zu verfolgen, oder,<br />
noch schlimmer, Aufmerksamkeit zu erregen.<br />
Ein gutes Stadtbild besteht oft aus solide<br />
gemachten Häusern, die untereinander<br />
nicht in Konkurrenz stehen müssen.<br />
Das Ziel ist erreicht, wenn man gut darin<br />
wohnen kann, wenn sich die Bewohner daheim<br />
fühlen, und das Ensemble der Wohnhäuser<br />
qualitätvolle Stadträume bildet.<br />
–Ist der Anspruch, ein «Landmark» zu<br />
setzen, also vermessen?<br />
–Der Begriff «Landmark» wäre noch zu definieren.<br />
In der Stadt, in einem grossen Verband<br />
an Gebäuden, ist zwar jedes Gebäude<br />
Wert, mit einem gewissenhaften Anspruch<br />
geplant und realisiert zu werden. Es wäre<br />
aber vermessen und brächte grauenhafte<br />
Exzesse mit sich, wenn Architekten<br />
den Anspruch erheben würden, mit jedem<br />
Bau auch eine einzigartige Wahrnehmung<br />
schaffen zu wollen. Das wäre wie ein Orchester,<br />
in dem jeder Musiker Solo spielen<br />
will. Das mag in einem Konzert vielleicht als<br />
Experiment erträglich sein. Wenn wir dieses<br />
Experiment aber tagtäglich über uns ergehen<br />
lassen müssten, würden wir augenblicklich<br />
die Flucht ergreifen. Ein Bauwerk<br />
kann herausragend sein, ohne dass ich ihm<br />
das äusserlich auf den ersten Blick ansehen<br />
muss, es kann sogar «leise» sein in seinem<br />
Ausdruck und seine Qualitäten erst auf den<br />
zweiten Blick offenbaren.<br />
10 | immobilia September <strong>2010</strong>