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Immobilia 2010/09 - SVIT

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Fokus<br />

Interview<br />

Gehry Building, Novartis Campus, Basel: «Ein Lehrstück<br />

dafür, was passiert, wenn man sich von der Idee<br />

bis zur Umsetzung nicht über alle Konsequenzen bewusst<br />

ist. Es ist ein Bürohaus in einem privaten Umfeld<br />

und nicht etwas eine Konzerthalle oder ein anderes<br />

öffentliches Gebäude. In der Nachbarschaft stehen<br />

andere Bürohäuser – teilweise sehr gelungene. Nur ist<br />

hier der expressive Wille zum Ausdruck so gross, dass<br />

er mit dem Inhalt in keiner Art und Weise in einem Zusammenhang<br />

steht. Selbst der Ausdruck wird zum<br />

Fallstrick. Mit dieser Form wurden viele Konsequenzen<br />

eingehandelt, die dem Entwerfer wohl nicht bewusst<br />

waren. Das Schiefstellen der Fassaden bedingt<br />

massive Tragkonstruktionen; gewaltige Lasten müssen<br />

getragen werden. Optisch wirkt darum alles massiv<br />

und plump. Der Transparenzgrad wird kleiner und<br />

durch die grauen Gläser zusätzlich eingeschränkt. Das<br />

Gebäude erfüllt den erhobenen Anspruch an die Nachhaltigkeit<br />

nicht. Hier kann man lernen, wie man es<br />

nicht machen sollte.» Bild: Novartis.<br />

–Mit der Kritik am Stützen-Platten-Bau<br />

schlägt man den Sack und meint eigentlich<br />

den Esel. Der Stützen-Platten-Bau ist weder<br />

moralisch schlecht noch gut. Die Frage<br />

ist, wie der Architekt damit umgeht. Diese<br />

Konstruktionsweise ist weltweit zu einem<br />

Universalprinzip geworden, weil man die<br />

vertikalen Bauteile – also die Mauern – auf<br />

ein Minimum, auf Stützen, reduzieren kann<br />

und maximalen Spielraum erhält. Pro Geschoss<br />

sind unterschiedlichste Nutzungen<br />

möglich. In Südeuropa wiederum treffen<br />

wir viele nicht fertig gebaute Stützen-Platten-Bauten,<br />

weil sie ein hohes Mass an Eigenleistungen<br />

des Bauherrn über einen<br />

langen Zeitraum zulassen.<br />

Standardisierung kann durchaus<br />

positiv sein. Nehmen wir die Türe als Beispiel.<br />

Als Prinzip funktioniert sie auf der<br />

ganzen Welt ungefähr gleich. Wenn sie<br />

nicht ganz besonderen Anforderungen genügen<br />

muss, soll man sie nicht immer wieder<br />

neu erfinden.<br />

–Zurück zur Monte-Rosa-Hütte: Welches<br />

sind die Erkenntnisse für uns im<br />

Mittelland – intellektuell und hinsichtlich<br />

der Konstruktion?<br />

–Dass nachhaltige Architektur ein gesamtheitliches<br />

Verständnis für das Zusammengehen<br />

von Raumdisposition, Konstruktion,<br />

Gebäudetechnik, Bauphysik, Materialisierung<br />

und Kosten usw. voraussetzt – eine<br />

komplexe Gleichung, die in der architektonischen<br />

Gestaltung aufgehen muss. In<br />

der Konstruktion haben wir angewendet,<br />

was heute bezüglich nicht standardisierter<br />

Vorfabrikation im Holzbau möglich ist. So<br />

würde man heute auch im Mittelland bauen,<br />

nur ohne Helikopter. Von wegweisender<br />

Bedeutung für das Projekt sind auch<br />

Energieeffizienz und vor allem Emissionsfreiheit.<br />

In der Forschung ist man hier wesentlich<br />

weiter als in der Praxis. Immer<br />

strengere Grenzwerte führen dazu, dass<br />

die Dämmpolster eines Gebäudes stetig<br />

dicker und mächtiger werden. Alles, was<br />

ich auf die Tragkonstruktion schichte, muss<br />

irgendwie gehalten werden. Das ergibt regelrechte<br />

Monsterkonstruktionen. Die eigentliche<br />

Fassade ist heute nicht mehr als<br />

eine dünne Schutzhülle oder «Haut», die<br />

möglichst leicht sein muss. Aussen wird also<br />

alles mit einer Hülle eingepackt – was eine<br />

eigentliche «Verpackungsarchitektur»<br />

provoziert. Äusserlich wirkt alles ziemlich<br />

flach, und wir variieren unsere Phantasie<br />

nur noch auf zwei Millimetern Oberfläche.<br />

Dies führt geradewegs in ein «Exterior Design»,<br />

das dann folgerichtig auch sehr anfällig<br />

wird für Werbebotschaften, die ja eigentlich<br />

gemeint sind, wenn wir in diesem<br />

Fall von Kommunikation sprechen.<br />

Im Monte-Rosa-Projekt ist die<br />

Wintersituation bedeutender als der Sommerfall.<br />

In der Stadt ist es umgekehrt, weil<br />

wir in den Gebäuden sehr viel Wärme produzieren<br />

und durch die verglasten Fassaden<br />

viel Sonnenenergie eingetragen wird,<br />

die wir im Sommer eigentlich nicht aufnehmen<br />

wollen. So auf jeden Fall reagiert die<br />

heute gängige Haustechnik in dieser Situation.<br />

Wegkühlen heisst aber immer auch,<br />

mit Energie (Strom) Energie (Wärme) zu<br />

«vernichten». Wir vertreten umgekehrt die<br />

Auffassung, dass diese «Abwärme» nicht<br />

verpuffen, sondern für den Winter eingelagert<br />

werden könnte. Hier auf dem Hönggerberg<br />

werden zur Zeit Erdsonden gebaut,<br />

mit denen alle anfallenden Abwärmen ins<br />

Erdreich eingespeist und im Winter wieder<br />

zurückgeholt werden können. Weil dies<br />

Wärme ist, die durch die Sonneneinstrahlung<br />

und den Betrieb in den Gebäuden sowieso<br />

anfallen würde, kann man sie auch<br />

mit gutem Gewissen verbrauchen.<br />

Wenn diese Art der Energiespeicherung<br />

gelingt, müssen wir uns nicht<br />

mehr einseitig nur auf das Sparen oder Reduzieren<br />

konzentrieren. Es müssten nicht<br />

alle Gebäude auf den gleichen tiefen Standard<br />

getrimmt und mit Dämmung eingepackt<br />

werden. Man könnte ein bestehendes<br />

Gebäude sanieren, indem man es nicht isoliert,<br />

sondern an einen Erdspeicherverbund<br />

anschliesst. Dadurch entstünde die<br />

Möglichkeit, unsere Städte in fünfzig Jahren<br />

emissionsfrei zu machen.<br />

*Ivo Cathomen<br />

Dr. oec. HSG, ist leitender Redaktor<br />

der Zeitschrift <strong>Immobilia</strong>.<br />

12 | immobilia September <strong>2010</strong>

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