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Berliner Zeitung 10.12.2018

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 288 · M ontag, 10. Dezember 2018 3 *<br />

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Seite 3<br />

Waldsterben auf Russisch<br />

STEFAN SCHOLL<br />

Unter den Gummistiefeln knirschen<br />

Neuschnee und Eispfützen.<br />

DieSchneise ist mal 150 Meter,<br />

mal einen halben Kilometer<br />

breit. Vereinzelt ragen noch kahle Birkenstämme<br />

oder zerrupfte Fichten in den<br />

grauen Himmel. Die Stümpfe der gefällten<br />

Bäume enden oft in Brusthöhe, dazwischen<br />

liegen zermalmtes Buschwerk, Stangenholz,<br />

ein Wurzelteller. „Bombjoschka“, Bombenangriff,<br />

heißen solche Kahlschläge jetzt auf<br />

Russisch. Bombenangriff nordwestlich des<br />

Dorfs Bornjaki, im Gagariner Rajon der westrussischen<br />

Region Smolensk.<br />

Russland ist hölzerne Unendlichkeit.<br />

Seine Wälder bedecken 800 Millionen<br />

Hektar, 45Prozent der Landesfläche. Esbesitzt<br />

ein Fünftel der Weltholzreserven.<br />

Und Russland liebt seinen Wald. „Er bedeutet<br />

mir mehr als die eigenen vierWände“,<br />

sagt eine Dorfbewohnerin in Sibirien. Mancher<br />

Forstpatriot will sogar vomRest derWelt<br />

Steuernfür die knapp 1,3 Milliarden Tonnen<br />

Sauerstoff, die Russlands grüne Lunge jährlich<br />

produziert. Und für die 600 Millionen<br />

Tonnen Kohlenstoff, die sie dabei schluckt.<br />

Nach offiziellen Angaben wächst Russlands<br />

Wald um eine Million Hektar im Jahr.<br />

Aber seine unberührten Urwälder sind laut<br />

Umweltschutzorganisation WWF inzwischen<br />

auf 255 Millionen Hektar geschrumpft,<br />

werden durch junge Bestände<br />

mit schlechterem Holz verdrängt, die auch<br />

als Ökosystem primitiver sind. Viele Pflanzen-<br />

und Tierarten können darin nicht überleben.<br />

Russlands Wald droht zu degenerieren,<br />

weil korrupte Beamte und Unternehmer<br />

ihn als reine Rohstoffreserve betrachten.<br />

Gefahren für Moskauer Trinkwasser<br />

Die riesigen Waldflächen Russlands wachsen trotz Abholzung.<br />

Aber sie drohen als Ökosystem zu degenerieren,<br />

weil korrupte Beamte und Unternehmer sie als reine<br />

Rohstoffreserve betrachten<br />

Der Schlamm der Fahrspur ist gefroren, daneben<br />

liegt ein Holzstapel, sieben Meter<br />

lange Stämme,meist Fichten oder Birken, ihr<br />

Mark ist oft faulig. Ein fernes Rumpeln<br />

kommt näher, ein graugrüner Holzrückezug<br />

mit kantigem Sowjetdesign. Der Fahrer<br />

steckt den Kopf aus der Kabine. Erhabe ja<br />

nichts dagegen, dass wir hier unterwegs<br />

sind. „Aber bloß nicht fotografieren.“ Zwei<br />

Goldzähne leuchten aus seinem Mund.<br />

„Ich mache nur meine Arbeit, ernähredie Familie.“<br />

Aber braucht es dafür solcher Riesenkahlschläge?<br />

„Fahren Sienach Sibirien“, sagt<br />

er,„da holzen die Chinesen viel riesigereFlächen<br />

ab.“ Er gibt Gasund rumpelt weiter.<br />

Wie imdeutschen leben auch im russischen<br />

Märchenwald Hexen, in Häusern auf<br />

Hühnerbeinen. Unddie Russen haben noch<br />

wirklich Grund, sich im Wald zu fürchten. Er<br />

bedeutet echte Wildnis,verirrte oder vonBären<br />

getötete Pilzsucher gehören zur Unfallstatistik<br />

jedes Herbsts. „Wasein Mann wert<br />

ist, zeigt der Krieg oder die Taiga“, sagt der<br />

Volksmund. Taiga, das sind die Nadelwälder<br />

des nördlichen Eurasiens, der Sommer verwandelt<br />

sie oft in undurchdringliche<br />

Sümpfe, Jagd und Holzfällen sind nur bei<br />

Frost möglich.<br />

Am Ende des Kahlschlags leuchtet rot ein<br />

Komatsu-Rückezug, Männerrufe schallen<br />

herüber. Hier sind die Holzstapel drei Meter<br />

hoch und riechen noch nach frischem Harz.<br />

Aber als wir ankommen, sind die Männer verschwunden,<br />

als hätten sie sich vor uns versteckt.<br />

Die Schneise mag vier Kilometer lang<br />

sein und im Schnitt 300 Meter breit, hat mehrere<br />

Abzweigungen, das sind mindestens 100<br />

Hektar gefällter Wald, die gleiche Fläche wie<br />

beim Streit um den Hambacher Forst.<br />

Es gibt hier noch mehr Kahlschläge. Ihre<br />

Metastasen wuchernimNorden weiter,queren<br />

mehrfach auch den Bach Jausa, der in<br />

den Jausa-Stausee fließt, eine der Trinkwasserquellen<br />

Moskaus. „Dabei gilt eine<br />

Schutzzone für direkte Zuflüsse zum Moskauer<br />

Wasserversorgungssystem“, erklärt<br />

der Greenpeace-Aktivist Wilen Lupjatschik.<br />

„Näher als 500 Meter zum Wasser ist Kahlschlag<br />

verboten.“ Lupjatschik entdeckte im<br />

September auf Satellitenfotos auch weiter<br />

östlich, im Gebiet des Flüsschens Inotsch einen<br />

Riesenholzeinschlag, 450 Hektar, laut<br />

Greenpeace der Größte in Europas.<br />

All diese „Bombjoschkas“ gehören zu einem<br />

früheren Sowchos, der sich jetzt „SPK<br />

KChWostok“ nennt und das Nutzungsrecht<br />

für seine Böden einem gewissen Alexej Katachow<br />

überlassen hat. Über 4000 Hektar<br />

Wald, laut Katasteramt Staatsforst, nach einem<br />

Urteil des Rajonsgerichts von2013 aber<br />

landwirtschaftliche Nutzfläche, die Katachow<br />

jetzt von der Firma „AK Transles“ abholzen<br />

lässt. Nach Schätzungen Smolensker<br />

Forstwirte haben sie auf 550 Hektar bisher<br />

165 000 Kubikmeter geerntet, im Wert von<br />

1,1 Millionen Euro.<br />

Laut Greenpeace gibt es in Russland mitt-<br />

VonStefan Scholl, Bornjaki<br />

Rajon Smolensk<br />

Smolensk<br />

WEISS-<br />

RUSSLAND<br />

Bornjaki<br />

Gagarin<br />

RUSSLAND<br />

Alexej Jaroschenkoist<br />

Greenpeace-Waldexperte<br />

in Russland.<br />

SCHOLL<br />

Moskau<br />

20 km<br />

BLZ/HECHER<br />

lerweile 40 Millionen HektarWald, wo unklar<br />

ist, ob sie Staatsforst oder Agrarland sind.<br />

„Weiße Flecken“ heißen sie in der Branche.<br />

„Hier fällt Holz, werund wie er es will, meist<br />

mit fragwürdigen Genehmigungen lokaler<br />

Amtsträger“, sagt Alexej Jaroschenko,Greenpeace-Waldexperte.<br />

Das Forstdepartement der Region Smolensk<br />

beantwortete die Anfrage unserer <strong>Zeitung</strong><br />

zu den Kahlschlägen nicht. Aber die Rajonspolizei<br />

teilte Greenpeace mit, es bestehe<br />

kein Straftatbestand. Und zurzeit würden<br />

diese Landstücke von Baumbewuchs und<br />

Unrat gesäubert, um sie als Agrarböden zu<br />

nutzen. Nurglaubt hier kaum jemand, Katachow<br />

wolle im Unterholz, zwischen ungerodeten<br />

Baumstümpfen undkranken Restbäumen<br />

Landwirtschaft betreiben. „Einen<br />

HektarWald kultivieren, das kostet 20 000 bis<br />

30 000 Rubel“ (knapp 700 bis 800 Euro).„Fertiges<br />

Agrarland kaufen ist billiger“, schreibt<br />

das Smolensker Nachrichtenportal readovka.ru.<br />

Mit den Bäumen sind ihre Wurzeln gestorben,<br />

die wie ein unterirdischer<br />

Schwamm wirkten und Grundwasser speicherten.<br />

Die Nachbarbestände der Riesenschneisen<br />

sind zudem anfällig gegen<br />

Waldbrände und Windbruch, ihre kranken<br />

Ränder könnten Borkenkäfer anlocken.<br />

UndKahlschläge,die an Flächenbombardements<br />

erinnern, gibt es in ganz Russland.<br />

Alexej Gribkow, Ökologe im westsibirischen<br />

Altai-Gebiet, verweist auf die Gesetze, die<br />

auch Staatswälder fast unkontrolliert denen<br />

überlassen, die sie zum Abholzen gepachtet<br />

haben. „Das ist ein Hohn. Kommerzielle Firmen<br />

werden den Wald nicht pflegen, die gesunden<br />

Bäume mit dem besten Holz nicht<br />

stehen lassen, keine kranken, dürren Bäume<br />

fällen.“ Auch andere Waldschützer klagen,<br />

die Gesetze und Tarife des Staates motivierten<br />

die Holzunternehmer, in unberührte<br />

Waldstücke vorzudringen, statt bereits flachgelegten<br />

Bestände neu zu bepflanzen.<br />

Man veranstaltet Kahlschläge wie Bombenangriffe,legal,<br />

halblegal oder illegal. Jaroschenko<br />

schätzt, außer den 215 Millionen<br />

Kubikmeter Nutzholz, die die russische<br />

Forstwirtschaft jährlich fällt, würden 60 bis<br />

70 Millionen Kubikmeter schlicht gestohlen.<br />

Berüchtigt sind auch sogenannte Prioritäts-<br />

Investprojekte: Der Staat überlässt Privatfirmen<br />

zu symbolischen Preisen Wald zum Abholzen,<br />

diese verpflichten sich dafür,Möbeloder<br />

Papierfabriken zu bauen. Derstaatliche<br />

TV-Sender Rossija24filmte,wie ein Beamter<br />

Bewerber, die nur abholzen, aber nichts<br />

bauen wollten, um 60 000 Euro Einstiegsschmiergeld<br />

bat. Unddie Region Krasnojarsk<br />

beglückte den Investor „Angar Paper“ mit<br />

Waldflächen so groß wie die Slowakei. Sieben<br />

Jahreließ er dortMillionen Kubikmeter Holz<br />

fällen, ging dann in Konkurs, statt den versprochenen<br />

Zellulose-Cluster zu errichten.<br />

EinüblichesSchema –laut Rossija24enden<br />

die „Prioritätsprojekte“ zu 90 Prozent in Korruptionsskandalen.<br />

Petition für ein Moratorium<br />

2017 verdiente der Staat mit Pacht, Steuern<br />

und Zöllen gerade mal 420 Millionen Euro an<br />

Russlands Waldreichtum, verlor aber durch<br />

Holzraub,säumige Pächter und Waldbrände<br />

fast 800 Millionen. Die Forstwirtschaft sei<br />

von Kriminalität und Korruption zerfressen,<br />

schimpft die Föderationsratsvorsitzende Valentina<br />

Matwijenko. Schon haben 645 000<br />

Russen eine Petition auf change.org unterschrieben,<br />

die ein Moratorium für das Abholzen<br />

russischer Wälderfordern.<br />

Auf einer Schneise Richtung Jausa fuhrwerkt<br />

ein Rücketraktor. Der Fahrer sieht aus<br />

wie Lukas Podolski in Wattejacke, ist auch<br />

eine Plaudertasche. „Wer hier nicht säuft, arbeitet<br />

als Wachmann in Moskau –oder im<br />

Wald.“ EinHolzfäller kann in der Region umgerechnet<br />

800 bis 1300 Euro im Monat verdienen,<br />

der Fahrer eines Rückezugs bis zu<br />

2600 Euro. Zum Vergleich, der Smolensker<br />

Durchschnittsmonatslohn liegt bei 380 Euro.<br />

Ein Monat Holzfällen, legal oder illegal, ernährtganze<br />

Familien ein halbes Jahr.<br />

Der Lukas Podolski im Traktor aber<br />

schimpft über die 450 Hektar Wald, die Katachow<br />

am Inotsch plattgemacht habe.<br />

„Greenpeace war hier, ist mit der Kamera<br />

drübergeflogen. Können SiesichimInternet<br />

ansehen. Aber die Wirkung ist null.“ Der<br />

Mann ist auch nicht froh darüber,was er hier<br />

mit dem Wald anstellt.<br />

Stefan Scholl, seit 20 Jahren<br />

in Russland, hat als Försterssohn 18<br />

Jahre im deutschen Wald gelebt.

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