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INTERVIEW<br />
Diese starke Liebe meiner<br />
Mutter für mich, die habe ich auch<br />
in meinen Beziehungen gesucht<br />
welche, die bis heute sehr gute Freunde<br />
von mir sind. Zwei von ihnen sind<br />
später sogar die Paten meines Sohnes<br />
geworden.<br />
Ich habe eine fremde Kultur entdeckt<br />
und viele neue Erfahrungen gesammelt,<br />
darunter die, in einem kommunistischen<br />
Land zu leben und im<br />
Ausland als Psychiater zu arbeiten –<br />
denn seit 2004 lebte ich vor allem in<br />
Vietnam und Thailand, mit regelmäßigen<br />
Besuchen in Frankreich. Asien<br />
hat mich auch zum Schreiben inspiriert,<br />
besonders zu meinem Buch Die<br />
kleine Souvenirverkäuferin.<br />
Später habe ich meine zukünftige Frau<br />
getroffen, und das hat mein Leben<br />
definitiv zum Besseren verändert. Es<br />
war also wirklich eine exzellente<br />
Entscheidung – auch wenn ich mir<br />
dessen bei meinem ersten Stopp in<br />
Hongkong längst noch nicht sicher<br />
war: Nahezu jeder Passant auf der<br />
Straße trug eine OPMaske, um Ansteckungen<br />
zu vermeiden. Aber da ich<br />
nicht sofort einen Rückflug gebucht<br />
habe, war ich an dem Tag wohl ziemlich<br />
optimistisch gestimmt!<br />
5Welche Eigenschaft schätzen<br />
Sie an Ihrer Partnerin am<br />
meisten?<br />
__ Sie hat viele tolle Eigenschaften,<br />
aber am meisten schätze ich ihre Großzügigkeit<br />
und ihren Sinn für Humor.<br />
Sie ist jünger als ich, und es hat eine<br />
Weile gedauert, bis ich realisiert habe,<br />
dass sie die gleiche Persönlichkeit hat<br />
wie meine Mutter. Sie haben viele Gemeinsamkeiten:<br />
Sie sind smart, hartnäckig,<br />
warmherzig, und sie mögen mich<br />
sehr. Ich weiß aber nicht, ob ich daraus<br />
einen Ratschlag für eine glückliche<br />
Ehe ableiten kann …<br />
6Welche Person hat Ihr Leben<br />
am meisten geprägt?<br />
__ Ich denke, meine Mutter hat mich<br />
am meisten geprägt, aber der Einfluss<br />
meines Vaters ist mir mehr bewusst.<br />
Er war mein Vorbild. Er war ein hart<br />
arbeitender Wissenschaftler, ein Pionier<br />
in der Kinderpsychiatrie, der sein<br />
Leben der Forschung gewidmet hat.<br />
Er war einer der Ersten, die Hinweise<br />
darauf gefunden haben, dass AutismusSpektrumStörungen<br />
biologische<br />
Gründe haben. Dank ihm (oder wegen<br />
ihm, wenn man ein Fürsprecher der<br />
Gegenkultur ist) fühle ich mich jedes<br />
Mal schuldig, wenn ich erst spät aufwache<br />
oder nicht vor neun Uhr am<br />
Schreibtisch sitze (der meistens ein<br />
Tisch in einem Café ist).<br />
Ich habe durch ihn auch diesen Respekt<br />
vor der wahren Wissenschaft,<br />
bei der Menschen ihre Hypothesen<br />
durch Kollegen oder Rivalen prüfen<br />
lassen. Als ich noch Student war,<br />
machte mich diese Haltung gegenüber<br />
Theorien und Therapien misstrauisch,<br />
die zumeist ausschließlich auf Behauptungen<br />
von Autoritäten basierten,<br />
wie etwa Bruno Bettelheim oder<br />
Jacques Lacan, die damals verehrt<br />
wurden. Als ich dieses Jahr, nach dem<br />
Tod meines Vaters, bei einer AutismusKonferenz<br />
war, hat es mich sehr<br />
bewegt zu sehen, wie sehr er von<br />
Kollegen und Eltern autistischer Kinder<br />
verehrt wird.<br />
Meine Mutter hingegen und ihre<br />
leidenschaftliche Liebe für mich, ihr<br />
einziges Kind, hat mich emotional<br />
sehr geformt. So habe ich von den<br />
Frauen, die ich geliebt habe, ebenfalls<br />
immer diese volle, wahre Liebe erwartet<br />
– und bin dank dieser Einstellung<br />
auch nicht lange in unerfüllten<br />
Beziehungen geblieben. Auf der anderen<br />
Seite hat sie jedoch vielleicht mit<br />
dazu geführt, dass ich ein wenig spät<br />
geheiratet habe.<br />
7Was bereuen Sie besonders?<br />
__ Ich versuche, nichts zu bereuen,<br />
es bringt nichts. Es sei denn, es hilft<br />
einem dabei, etwas wiedergutzumachen<br />
oder es das nächste Mal besser hinzukriegen.<br />
Wie sagt einer meiner Roman<br />
Charaktere: Betrachte nicht zu lange<br />
traurige Dinge, die du nicht ändern<br />
kannst.<br />
Ein nutzloses Bedauern ist zum Beispiel,<br />
dass ich abgesehen von Englisch<br />
keine andere Fremdsprache in der<br />
Schule gelernt habe. Oder dass ich<br />
eher spät in meinem Leben entdeckt<br />
habe, dass es mich glücklich macht,<br />
ja, nahezu ekstatisch, im Ausland auf<br />
etwas nomadische Art und Weise zu<br />
leben. Aber hätte ich das in jüngeren<br />
Jahren gemacht, wäre ich vielleicht<br />
in viele Fallen gestolpert, und hätte so<br />
PSYCHOLOGIE BRINGT DICH WEITER MaI/JuNI <strong>2018</strong> 31