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GESUNDHEIT<br />
Vielleicht ist der Gedanke,<br />
dass intensiver Sport bei mir<br />
Migräne auslöst, zur Selffulfilling<br />
Prophecy geworden<br />
Der Experte denkt mit<br />
Wie kann das sein? Dazu spreche ich über Skype<br />
mit Alec Mian, dem amerikanischen Genetiker,<br />
der zusammen mit dem österreichischen Neurologen<br />
Christian Wöber die Curelator-App entwickelt<br />
hat. Er muss kurz lachen, als wir die Faktoren<br />
besprechen, die ich zuvor als „verdächtig“<br />
eingestuft hatte: „Das sind ja eine ganze Menge.“<br />
Aber er kann das durchaus nachvollziehen.<br />
„Mi gränepatienten sind vor allen Eventualitäten<br />
auf der Hut. Und zwar meist zu Unrecht.“ Das<br />
ist seiner Meinung nach auch der größte Nutzen<br />
der App: Sie stellt nicht so sehr fest, welche<br />
Trigger jemand hat, sondern vor allem, welche<br />
Faktoren überhaupt nicht mit seiner Migräne<br />
Persönlichen Mustern auf der Spur<br />
Die App Curelator Headache ist eine<br />
von zahlreichen Migräne- und Kopfweh-Apps.<br />
Die meisten sind in englischer<br />
Sprache. Alle beruhen auf der<br />
Tatsache, dass man sein Leiden mittels<br />
Data-Mining (dem Sammeln und Analysieren<br />
großer Datenmengen, die mit<br />
Migräne zusammenhängen können)<br />
besser in den Griff bekommt. Mit M-<br />
sense ist jetzt auch eine deutschsprachige<br />
App als zertifiziertes Medizinprodukt<br />
auf dem Markt, entwickelt von einem<br />
Team um Migräneforscher und Physiker<br />
Dr. Markus Dahlem. M-sense folgt ebenfalls<br />
dem Tagebuchprinzip, setzt somit<br />
auf die Analyse und Kontrolle persönlicher<br />
Trigger, und leitet zudem in präventiven<br />
Therapien an, etwa Progressiver<br />
Muskelentspannung nach Jacobson oder<br />
autogenem Training.<br />
zusammenhängen. „Wir wollen Migränepatienten<br />
von der Tyrannei der Trigger befreien.“<br />
Klingt gut. Trotzdem kann ich noch immer nicht<br />
glauben, dass „Anstrengung“ und „warmes Wetter“<br />
auf meiner Trigger-Liste fehlen. Aber Mian<br />
dreht den Spieß um: In meinem Fall könne es<br />
durchaus sein, sagt er, dass der Gedanke, intensiver<br />
Sport verursache bei mir Migräne, zur Selffulfilling<br />
Prophecy geworden ist. „Vielleicht stresst Sie der<br />
Gedanke, Tennis bei warmem Wetter könne einen<br />
Anfall auslösen, so sehr, dass der Stress selbst zum<br />
Auslöser wird.“ Ich muss zugeben, dass Stress mir<br />
nicht fremd ist. Meine Mutter sagt nicht umsonst<br />
oft: „Reg dich nicht so auf, gleich kriegst du wieder<br />
Migräne.“ Mian empfiehlt Atemübungen. „Die<br />
kann man immer und überall machen.“ Ich solle<br />
auf jeden Fall versuchen, die Angst vor der Migräne<br />
loszuwerden, so sein Rat. Denn die sei bei mir<br />
ein recht starker Verursacher.<br />
Könnte es sein, dass …?<br />
Während des Gesprächs wird mir zudem klar,<br />
dass ich die Ergebnisse nicht allzu wörtlich nehmen<br />
sollte. Dass höhere Temperaturen als risikovermindernd<br />
genannt werden, könnte zum Beispiel daher<br />
rühren, dass ich während meines Marokko-<br />
Urlaubs zwei Wochen ohne Kopfschmerzen war.<br />
Ja, dort war es warm. Aber ich habe dabei auch<br />
meinen Beschützern „Glück“ und „Entspannung“<br />
sehr tief in die Augen geschaut.<br />
Mian sagt, er sehe öfter, dass sich hinter einem<br />
vermeintlichen Verursacher oder auch gerade<br />
Beschützer (warmes Wetter in diesem Fall) ein anderer<br />
(Entspannung, Glück) verberge. Er habe<br />
einmal mit einer Frau gesprochen, deren Beschützer<br />
„Lärm“ und „starke Gerüche“ waren; es<br />
stellte sich heraus, dass es sie sehr entspannte, auf<br />
Hardrock-Konzerte zu gehen.<br />
PSYCHOLOGIE BRINGT DICH WEITER MAI/JUNI <strong>2018</strong> 91