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Kulturfenster Nr. 06|2018 - Dezember 2018

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Das Thema<br />

Zwei Komponisten, die in den letzten 120<br />

Jahren eine deutliche Unterschrift des Orchesterklanges<br />

im großen Repertoire gesetzt<br />

haben, sind Serge Lancen und Armando<br />

Blanquer Ponsoda. Ist es nicht bezeichnend,<br />

dass Blanquer in seinem Stück „Entornos“<br />

kein einziges Fortissimo geschrieben<br />

hat? In dieser Komposition entfaltet sich<br />

das Orchester in seiner vollen Pracht, basierend<br />

auf spanischen Melodien mit seinen<br />

typischen Intervallen, Rhythmen, Tanzformen<br />

und schönen Stimmungen. Jeder<br />

Komponist sollte einen Blick auf die von<br />

Blanquer verwendete Orchestrierung werfen.<br />

Die Art, wie er das Klarinettenregister<br />

in Kombination mit den anderen Holzbläsern<br />

einsetzt, ist für jeden Komponisten ein<br />

Muss. Das Klarinettenregister ist nie in einer<br />

festen Kombination fixiert. Jede Note, die<br />

verändert wird, entwertet die Komposition.<br />

Blanquer Ponsoda selbst sagte: „Ich hatte<br />

nie die Absicht, ein Blasorchester mit einem<br />

anderen Orchester zu vergleichen, nur mit<br />

sich selbst. Die Kombinationen von Farben,<br />

Klängen und Möglichkeiten sind unzählig.“<br />

Das Gleiche gilt für den Komponisten<br />

Serge Lancen. Betrachtet man die Symphonie<br />

„Ibérique“ oder die „Manhattan Symphony“,<br />

entfaltet sich eine außergewöhnliche<br />

Welt voller Farben und Klänge. Neuere<br />

Kompositionen wie die „Yiddish Dances“ von<br />

Adam Gorb sind bei Orchestern sehr beliebt.<br />

Warum ist das so? Perfekt gewähltes<br />

thematisches Material, charakteristische<br />

Intervalle und Rhythmen sowie eine brillante<br />

Orchestrierung. Jeder Amateur-Musiker<br />

wird diese Musik als wahre Musik erleben,<br />

die viel Freude bereitet.<br />

Zurück zum Dirigenten. Fehlendes, kritisches<br />

Hinterfragen der Literatur wirkt sich<br />

akut auf die Qualität der Programme aus.<br />

Oft hört man Programme, die wenig Kunst<br />

und Klang von der ersten bis zur letzten<br />

Note widerspiegeln oder mit ständig gleichen<br />

Klangmischungen aufwarten. Konstante<br />

Probleme in der Balance sind eine<br />

akute Wirkung von schlechten Orchestrierungen.<br />

Sogenannte „copy and paste“-Techniken<br />

erzeugen eine Abneigung gegen die<br />

Blasmusik im Allgemeinen.<br />

Programme mit zu vielen Stilen erzeugen<br />

ein weiteres Problem. Abgesehen davon,<br />

dass es unmöglich ist, verantwortungsvoll<br />

innerhalb einer durchschnittlichen Probezeit<br />

solche Programme zu realisieren, werden<br />

die stiltypischen Eigenheiten einzelner<br />

Stücke nicht authentisch präsentiert. Auf<br />

diese Weise entwickelt sich das Orchester<br />

in eine falsche Richtung. Was würden unsere<br />

sinfonischen Dirigenten sagen, wenn<br />

wir uns Ravel so nähern wie an Wagner oder<br />

Bach? Warum sind Aufführungs-Praktiken<br />

für diese Orchester so wichtig? Ein Beispiel:<br />

Ein Sinfonie-Orchester führt folgendes Programm<br />

auf: Die „1. Orchester-Suite“ von<br />

J.S. Bach, dann die „Linzer Symphonie“<br />

von W.A. Mozart und nach der Pause die<br />

„7. Symphonie“ von A. Bruckner. Jeder<br />

Musiker im Orchester muss sich ständig<br />

in die verschiedenen Klangwelten dieser<br />

Meister verwandeln. Die Bogenführung der<br />

Streicher beispielsweise ist bei Bach oder<br />

Bruckner komplett verschieden. Für die<br />

Bläser gibt es ähnliche Überlegungen, Anpassungen<br />

und praktische Anwendungen.<br />

In der Blasmusik bleiben diese Aspekte jedoch<br />

meist unbeachtet, weil die Kompositionen<br />

für die Aufführenden nicht ausreichend<br />

anspruchsvoll sind. Der akute Effekt<br />

ist: eintönige Programme.<br />

Seit Ende der achtziger Jahre verlieren<br />

viele europäische Blasmusikkomponisten<br />

die Motivation, eine Klangwelt zu komponieren,<br />

die ihrer Identität gerecht wird. Die<br />

französische Art der Orchestrierung, geprägt<br />

durch die Aufteilung der hohen Holzbläser<br />

und der Saxhörner, wird kaum noch<br />

genutzt. Zeitgenössische französische Kompositionen<br />

standardisieren sich und auch<br />

sie verlieren immer mehr ihre „DNA“.<br />

Der Zwiebeleffekt<br />

Bei einer Instrumentierung, die optisch<br />

mit der Form einer Zwiebel zu vergleichen<br />

ist, kämpfen zu viele Register um eine gute<br />

Position in der Mitte des Orchesters. Diese<br />

Schreibweise war in der Mitte des 20. Jahrhunderts<br />

den Freiluftkonzerten geschuldet.<br />

Zur Person<br />

Prof. Alex Schillings begann seine Musikerlaufbahn<br />

mit acht Jahren im örtlichen<br />

Blasorchester, besuchte die Musikschule<br />

in Maastricht und studierte<br />

bereits mit fünfzehn Jahren am Konservatorium<br />

in Maastricht Trompete, Allgemeine<br />

Musiklehre sowie Fanfare- und Blasorchesterdirektion.<br />

1983 erhielt er sein Diplom<br />

für Fanfare- und Blasorchesterdirektion bei<br />

Rien Rats und studierte danach bei Lucas<br />

Vis und Anton Kerstjens. Mit diversen Orchestern<br />

erspielte er sich bei Wettbewerben<br />

zahlreiche bedeutende Preise.<br />

1985 gewann Schillings den „Silbernen<br />

Dirigierstab“ beim Internationalen Dirigentenwettbewerb<br />

beim WMC in<br />

Kerkrade. Von 1995 bis 2001 war er<br />

Chefdirigent der „Johan Willem Friso<br />

Militärkapelle“, außerdem leitete er<br />

die „Königliche Militärkapelle“ in Den<br />

Haag. Als regelmäßiges Jurymitglied ist<br />

er bei internationalen Wettbewerben sowie<br />

als Dozent in Workshops tätig. Er ist<br />

„Prinzipal Teacher“ am ISEB (Instituto<br />

Superioro Europeo Bandistico) in Italien,<br />

lehrt Blasorchesterdirektion an der<br />

ArtEZ-Musikhochschule in Zwolle und<br />

an der Könglichen Musikhochschule in<br />

Den Haag. An der BDB-Musikakademie<br />

in Staufen leitet er seit 2014 den<br />

Studiengang „Metafoor“, dessen gleichnamiges<br />

Fachbuch 2015 in deutscher<br />

Version veröffentlicht wurde.<br />

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