MALTESER Care - Broschüre "Vermisst - wenn Menschen mit Demenz verloren gehen"
Demenz ist mehr als Vergesslichkeit und mangelnde Merkfähigkeit. Das zeigt sich besonders bei unvorhergesehenen Ereignissen – etwa, wenn jemand „verloren geht“.
Demenz ist mehr als Vergesslichkeit und mangelnde Merkfähigkeit. Das zeigt sich besonders bei unvorhergesehenen Ereignissen – etwa, wenn jemand „verloren geht“.
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Vermisst – wenn
Menschen mit Demenz
verloren gehen
Rat und Hilfe für Angehörige, Pflegende,
Freunde und Nachbarn
1
Inhalt
Einstieg
Vermisst – wenn Menschen mit Demenz verloren gehen S. 3
Wahrnehmen
Wie entsteht „Bewegungsdrang“? S. 4
Welche möglichen Anzeichen oder Hinweise gibt es? S. 6
Handeln
Gibt es vorbeugende Maßnahmen? S. 7
Was tun, wenn jemand „weg“ ist? S. 8
Was ist sonst noch zu beachten? S. 10
Gibt es etwas, was jeder von uns tun kann? S. 11
Personenbogen S. 12
Auszüge aus Zeitungsmeldungen S. 14
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Inhalt
Vermisst – wenn Menschen mit Demenz verloren gehen
Demenz ist mehr als Vergesslichkeit und
mangelnde Merkfähigkeit. Das zeigt
sich besonders bei unvorhergesehenen
Ereignissen – etwa, wenn jemand „verloren
geht“.
Mit einer Demenzerkrankung gehen
in aller Regel auch Probleme mit der
Orientierung einher. Menschen mit
Demenz erkennen oft gewohnte Wege
und auch Orte – mitunter sogar die eigene
Wohnung – nicht mehr und können
sich neue Wege nicht merken. Sie erleben
sich selbst wie in einer unbekannten
Umgebung und reagieren darauf mit
Stress und Unruhe.
Gerade zu Beginn ihrer Erkrankung sind
Menschen mit Demenz oft noch mobil
und körperlich fit. Sie leben relativ selbständig
und nutzen ihren gewohnten
Bewegungsradius: mit Spazierengehen,
Fahrrad- oder Autofahren, Einkaufen,
Besuchen in der Nachbarschaft oder auf
dem Friedhof.
Das wird dann zum Problem, wenn die
Erinnerung an die gewohnte Strecke
unterwegs verloren geht: wegen einer
Umleitung, einem neuen Straßennamen,
Häusern, deren Aussehen sich verändert
hat, einer zufälligen Rempelei oder
einer schrillen Autohupe. Häufig finden
Menschen mit Demenz erst nach langen
Irrwegen oder gar nicht mehr in ihre vertraute
Umgebung zurück.
Das ist belastend für alle Beteiligten:
Angehörige, Pflege- und Betreuungskräfte
und die Einsatzkräfte der Polizei. Sie
machen sich Sorgen, sind oft stundenlang
und bisweilen vergeblich auf der Suche.
Und manchmal kommt es vor, dass ein
Mensch mit Demenz erst vollkommen
erschöpft, mit schweren Verletzungen oder
gar tot aufgefunden wird.
Umso mehr stellt sich die Frage, wie solche
Situationen verhindert werden können.
Und vor allem: Was ist zu tun, wenn
sie dennoch eintreten?
„Dass er von seinem gewohnten
Weg abkommt, ist für
den Vermissten eine extreme
Stress-Situation. Es dürfte ihn
stark verunsichern und ihn
in einen Zustand bringen, in
dem er sich selbst und die
Welt um sich herum nicht
mehr versteht.“
Demenz-Experte G.W.
Einstieg
3
Wie entsteht „Bewegungsdrang“?
Wenn Menschen mit Demenz aufstehen
und losgehen, verfolgen sie zumeist ein
Ziel. Und dann finden sie nicht mehr
zurück.
Situationen und Gründe fürs „Aufstehenund-losgehen“
können sein:
• Wunsch nach Bewegung und/oder
frischer Luft
• Hunger/Durst
• Harn- oder Stuhldrang
• Terminverwechslung
• leidenschaftliche(r) Sportler/in
• Neugier oder Langeweile
• konkretes Vorhaben aus vergangenen
Zeiten, wie Kinder von der Schule abholen,
zur Arbeit gehen usw.
• Suche nach Zuhause und vertrauten
Menschen
• Überforderungssituationen wie
Reizüberflutung, fremde Menschen,
ungewohnte Stimmen, Geräusche,
Abläufe oder Radio/TV in Dauerschleife
• das Gefühl des Verlorenseins
4
Wahrnehmen
• das Gefühl, schlecht behandelt oder
nicht beachtet zu werden
• die Begegnung mit Menschen, die
ungute Erinnerungen wecken
• Schmerzen, die nicht entsprechend
geäußert werden (können)
• Nebenwirkung von (neuen)
Medikamenten
• Wunsch nach Suchtmitteln (Tabak,
Alkohol, Drogen, Medikamente)
• fehlende Einsicht in die Notwendigkeit
eines Krankenhausaufenthalts
Oft verlassen Menschen mit Demenz das
Haus auch in unpassender Kleidung, zum
Beispiel in der kalten Jahreszeit in einem
leichten Schlafanzug und ohne Socken,
was zu gefährlichen Erfrierungen führen
kann. Das passiert insbesondere dann,
wenn der Tag-Nacht-Rhythmus gestört ist.
Dies ist eine häufige Begleiterscheinung
der Demenz.
Wahrnehmen
5
Welche möglichen Anzeichen oder Hinweise gibt es?
Es gibt Verhaltensweisen, die darauf hindeuten
können, dass sich jemand demnächst
auf den Weg macht:
• plötzliche Verhaltensänderung
• Unruhe, Angst oder Verwirrtheit
• verbale oder körperliche Aggressivität
• wiederholte Äußerungen wie „Das tut
weh“, „Mir ist langweilig“, „Ich muss
pünktlich sein“
• An-, Aus- oder Umziehen von Kleidung
Werden solche Anzeichen rechtzeitig
erkannt, kann es gelingen, sie/ihn aufzuhalten.
Argumentieren und Ausreden-
Wollen ist in der Regel zwecklos. Falls
eine neue Idee nicht zündet und eine
Ablenkung durch eine andere Aktivität
nicht gelingt, empfiehlt es sich – nach
Möglichkeit – sie/ihn zu begleiten. So
kann man unterwegs einen weiteren
Ablenkungsversuch starten. Beispiel:
„Schau, der Kuchen sieht köstlich aus.
Wir kaufen uns ein Stück und machen es
uns zuhause bei einer guten Tasse Kaffee
gemütlich.“
6
Wahrnehmen
Gibt es vorbeugende Maßnahmen?
Durch eine gezielte Anpassung der
Lebensumstände kann man Menschen
mit Demenz darin unterstützen, dass sie
sich wohlfühlen und ein unvermittelter
Bewegungsdrang gar nicht erst entsteht.
Dazu gehören:
• eine gute und klare Tagesstruktur mit
ausreichend Bewegungsmöglichkeiten
• alles, was die Selbständigkeit und die
alltagspraktischen Fähigkeiten fördert
und erhält, also Einbeziehung beim
Kochen, Waschen, Bügeln, Werken,
Reparaturen im Haushalt, Gartenarbeit
• Teilhabe an Aktivitäten außer Haus wie
Zoo-, Theater-, Oper-, Kinobesuch oder
Einkaufsbummel
• Einbinden in gemeinsame Aktivitäten
wie Gesellschaftsspiele, Musizieren,
Filme oder Fotoalben ansehen,
Zeitung lesen
Außerdem bietet sich einiges an, was das
Zurechtfinden im Wohnumfeld erleichtert
und heiklen Situationen vorbeugt. Dazu
gehören:
• übersichtliche, die Orientierung fördernde
Einrichtung der Wohnung/des
Zimmers mit vertrauten Möbeln
• gute Ausleuchtung, keine dunklen Ecken
• Hervorheben wichtiger Gegenstände
durch farbliche Kontraste (Lichtschalter,
Toilettendeckel etc.)
• spiegelfreie Oberflächen,
keine dunklen/irritierenden
Muster
• deutliche Kennzeichnung
aller Räume, insbesondere
Bad/WC (Schrift plus Bild)
• kaschieren von Türen, die
nicht benutzt werden sollen
(Ausgangstür in der gleichen
Farbe wie die Wand)
• gut lesbare Kalender und
Uhren
• jahreszeitliche Symbole
bzw. Dekorationen
Handeln
7
„Es kommt vor, dass
jemand in einer dunklen
Besenkammer ist und nicht
weiß, wie er wieder herauskommt.
An so einen Zufall
glaubt doch kaum einer.“
Polizei in D.
Was tun, wenn jemand „weg“ ist?
Oberstes Gebot: Rasch handeln. Menschen
mit Demenz sind in der Regel in einem
höheren Alter und leiden oft an typischen
Alterskrankheiten wie Diabetes
oder Bluthockdruck. Sie sind daher
auf die regelmäßige Einnahme von
Medikamenten angewiesen.
Zielloses In-der-Gegend-Umherfahren und
Suchen führt meist zu nichts. Besser ist ein
planmäßiges Vorgehen:
• Gründlich in allen Räumen, im
Keller, im Garten und in der näheren
Umgebung nachsehen.
• Bei Erfolglosigkeit: sofort die Polizei
verständigen, Bogen mit persönlichen
Angaben (siehe Seite 12) und
Foto aushändigen und über die
Demenzerkrankung informieren. Das
beschleunigt die Suche.
• Die eigene Suche auf die Orte ausdehnen,
die gern aufgesucht werden wie
ehemaliger Wohnort, Haltestelle, frühere
Arbeitsstätte, Friedhof.
• Bekannte Anlaufstellen wie Lieblingscafé
oder Stammapotheke prüfen.
• Freunde und Nachbarn abtelefonieren
und um Mithilfe bitten.
8
Handeln
Was tut die Polizei?
Zunächst schickt der Wach- und Wechseldienst einen Streifenwagen
zum Wohnort des Vermissten. Dort wird noch einmal alles systematisch
durchsucht. Bei erfolgloser Suche auch in der näheren
Umgebung wird der Suchradius erweitert. Parallel erfolgt die
Ausschreibung der vermissten Person zur Fahndung, weitere
Streifenwagen werden informiert und in die Suche einbezogen.
Wenn auch das zu nichts führt, kann die Bevölkerung mithilfe
von Lautsprecherdurchsagen oder Suchmeldungen in lokalen
Radiosendern zur Mithilfe aufgerufen werden. Weitere Mittel sind
die Anforderung von Hubschraubern und Suchhunden sowie die
Öffentlichkeitsfahndung, bei der ein Bild der vermissten Person
über die Medien veröffentlicht wird.
Handeln
9
Kennzeichnung
von Kleidungsstücken
Hinweiszettel
10 Handeln
Was ist sonst noch zu beachten?
• Ungeeignet ist das Abschließen von
Türen und Fenstern. Das gilt zwar
rechtlich im häuslichen Bereich nicht
als sogenannte „freiheitsentziehende
Maßnahme“, kann aber Panik und
Aggression auslösen!
• Eine einfache Lösung: Klingelmatte oder
Windspiel an der Haus-/Wohnungstür
anbringen, damit ein „Verschwinden“
direkt bemerkt wird.
• Wenig empfehlenswert sind
Medikamente, die vermeintlich ruhig
stellen (Sedativa). Sie erhöhen die
Sturzgefahr und führen häufig zur
Verminderung der Alltagskompetenzen.
• Bei beginnender Demenz ggf. Zettel mit
einfachen Anweisungen mitgeben/in die
Jackentasche stecken, z.B. „Wenn ich nach
Hause will und den Weg nicht finde:
Telefon xxx.“
• Alle Kleidungsstücke mit Name, Adresse
und Kontakt-Telefonnummer kennzeichnen,
damit die Person direkt identifiziert
werden kann.
• Wenn jemand gern läuft, aber nur schwer
nach Hause findet: Nachbarn und nahegelegene
Geschäfte informieren und um
entsprechende Unterstützung bitten.
• An Handyortung denken, falls ein
GPS-Armband Klingelmatte Windspiel
an der Haustür
Mobiltelefon genutzt und in der Regel
mitgenommen wird.
• Für den Fall der Suche: ausgefüllten
Personenbogen (siehe Seite 12) und
aktuelles (!) Foto bereithalten.
• GPS-Systeme nutzen (Armband, Chip
im Schuh oder ähnliches). Die Systeme
werden immer besser und genauer,
werden aber oft nicht akzeptiert, verlegt
oder vergessen.
• Beim lokalen Radiosender anrufen und
um Senden der Suchmeldung bitten.
Gibt es etwas, was jeder von uns tun kann?
• Hinschauen und aufmerksam sein.
• Bei Personen mit einem ungewöhnlichen
Erscheinungsbild wie z.B. Pantoffeln im
Winter oder mit einem offenbar desorientierten
Verhalten: behutsam ansprechen
und Hilfe anbieten.
• Immer von vorn ansprechen, langsam
und deutlich, klare Sprache, einfache
Sätze, nicht mit Fragen bombardieren,
Zeit zum Antworten lassen.
• Wenn Sie das Gefühl haben, nicht weiterzukommen
und Ihnen die Situation
brenzlig erscheint: die Polizei
verständigen.
„Bekleidet ist er mit einer Brille,
einem blauen Schlafanzugoberteil
sowie einer blauen Jeans.
Vermutlich trägt er barfüßig
Riemchensandalen.“
Vermisstenanzeige vom 15. Januar
„Wir sind gerade bei vermissten
Personen besonders auf die Hilfe
von außen angewiesen.“
Polizeisprecherin D.R.
Handeln
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Personenbogen
Vor- und Nachname
Geburtsname
Frühere Adressen
Straße, Nr.
PLZ Ort
Foto
Geburtsdatum
Straße, Nr.
Tag
Monat
Jahr
PLZ
Ort
Geschlecht
weibl.
Adresse
Straße, Nr.
PLZ
Ort
männl.
Größe (cm) Gewicht (kg)
Einschränkungen
Sehen Hören Sprechen
Krankheiten/Benötigte Medikamente
Telefonnummer
Handynummer
12 Handeln
Besondere Merkmale oder Auffälligkeiten
Kontaktperson(en)
Handynummer
Aktuelle Kleidung
Straße, Nr.
PLZ
Ort
Beliebte Orte/Gewohnte Wege
Vorlieben
Sonstiges
Abneigungen
Handeln
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Auszüge aus Zeitungsmeldungen
…Heinz Peter J. aus B. bleibt auch
am Mittwoch weiter vermisst. Der
76-Jährige soll mit seinem Dreirad
unterwegs sein. Damit dreht er
normalerweise eine Runde zum
Gemeindezentrum, zum Friedhof und
zu einer Tankstelle. Am Montag habe
sich auf der Strecke aber eine Baustelle
befunden, wie es von der Polizei
heißt. Darum sei Heinz Peter J., der an
Demenz erkrankt ist, von seiner üblichen
Route abgewichen…
… Eine 78-Jährige aus G. wird seit
Donnerstagmorgen vermisst. Sie lebt in
einem Seniorenheim im Stadtteil E. Die
Polizei sucht jetzt mit einem Foto nach
der Frau. Sie ist zwar stark desorientiert,
aber gut zu Fuß, schreibt die Polizei
in der Vermisstenmeldung. Seit den
Morgenstunden wird die 78-Jährige vermisst.
Die Polizei hält es allerdings für möglich,
dass die Frau sich nicht nur im Umkreis
des Seniorenheimes bewegt, sondern auch
zu ehemaligen Wohnungen unterwegs sein
könnte. Besonders die B.straße in G. und die
D.straße im Stadtteil W. sowie die Parks und
Wälder dort seien mögliche Adressen …
14 Handeln
Vermisst – der Film
Was passieren kann, wenn Menschen
mit Demenz „verloren gehen“.
Zum Anschauen auf
www.malteser-demenzkompetenz.de,
auf Youtube oder via QR-Code:
15
Kontakt
MALTESER Care GmbH
Margaretenstraße 22/3
1040 Wien
office@malteser.care
www.malteser.care
© Malteser Deutschland
Layout, Satz & Illustrationen: Alexander von Lengerke, Köln
Druck: MWK Köln