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Potenz<br />
die, weiblich:<br />
von Eva Hillinger<br />
Als das OHO im Herbst 2005 seinen Programmschwerpunkt<br />
„Potenz; die, weiblich:“ ausrief,<br />
löste es damit nicht nur Neugier und Interesse,<br />
sondern auch Irritation und Verärgerung aus.<br />
Es gab sogar erboste Anrufe im Büro des OHO<br />
in denen an der Vereinnahmung dieses aus dem<br />
Lateinischen kommenden Wortes für eine nur<br />
von Frauen getragene Veranstaltungsreihe<br />
Anstoß genommen wurde.<br />
Mich wundert das nicht, auch beinahe 14 Jahre später nicht.<br />
Ich ernte ja auch immer noch genervte Blicke, wenn ich<br />
geschlechtsneutrale Formulierungen einfordere oder geschlechtsspezifische<br />
Einkommensunterschiede anspreche.<br />
Wenn es dann um Potenz geht, sind Männer viel mehr als<br />
genervt.<br />
Ich habe in mehr als 6 Lebensjahrzehnten viele Arten von<br />
Männern kennengelernt, übergriffige und respektvolle,<br />
treulose und verantwortungsbewusste, gönnerhafte und<br />
unsichere. Je mehr Erfahrungen ich sammelte, je gelassener<br />
ich im Umgang mit ihnen wurde, desto mehr interessierte<br />
mich, wie sie ticken, wovon sie angetrieben werden,<br />
warum sie agieren und reagieren wie sie agieren und reagieren.<br />
Und in mir ist der Verdacht aufgekommen, dass<br />
es etwas mit Potenz zu tun haben könnte. Oder eher mit<br />
einem sehr eingeschränkten Verständnis des Begriffs.<br />
Macht, Kraft, Vermögen, Fähigkeit, Wirksamkeit, Herrschaft<br />
<strong>–</strong> das sind nur einige der Bedeutungen, die in diversen Lexika<br />
von Stowasser <strong>bis</strong> Langenscheidt vorgeschlagen werden.<br />
Wer sich auf die Zeugungsfähigkeit des Mannes versteift<br />
(ich entschuldige mich auch gleich für diesen Kalauer, aber<br />
ich konnte nicht widerstehen) packt ihn offenbar bei seinem<br />
Selbstverständnis.<br />
Ich habe in mehr als 6 Lebensjahrzehnten viele Arten von<br />
Frauen kennengelernt, karrierebewusste und eingeschüchterte,<br />
gefallsüchtige und unbekümmerte, fähige und ohnmächtige.<br />
Und weil ich selbst eine bin, und weil ich gern<br />
von mir auf andere schließe, weiß ich, wie sie ticken, was sie<br />
antreibt und warum sie agieren und reagieren wie sie agieren<br />
und reagieren. Deshalb wage ich zu behaupten, dass<br />
die auf die Fähigkeit, einen hochzukriegen eingeschränkte<br />
Bedeutung des Begriffs uns weit weniger kümmert als<br />
Männer befürchten.<br />
Entspannt Euch, Männer! Nehmt Euch nicht so wichtig!<br />
Unterstützt Frauen! Geht in Karenz! Kümmert<br />
Euch um den Haushalt! Wählt Frauen!<br />
Potenziert Euch, Frauen! Nehmt Euch wichtig! Unterstützt<br />
einander! Verabschiedet Euch von Perfektionsansprüchen!<br />
Arbeitet Vollzeit! Lasst Euch wählen!<br />
Dann hat Potenz zwar immer noch einen weiblichen Artikel,<br />
aber sie beinhaltet für Frau und Mann mehr von dem, was<br />
sie alles bedeuten kann.<br />
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