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The Red Bulletin Mai 2019

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Welchen Charakter<br />

müsste dein<br />

Haustier haben?<br />

Es müsste der<br />

deutschen Sprache<br />

mächtig sein. Nur<br />

zum Streicheln, ohne<br />

mich intellek tuell<br />

zu unterhalten,<br />

hat es keinen Platz<br />

in meiner Wohnung.<br />

auf, weil sie Strafinstanzen brauchen,<br />

um nicht ein völlig diktatorisches Über-<br />

Ich zu entwickeln.<br />

Inwiefern haben dir deine Eltern<br />

seinerzeit Grenzen gesetzt?<br />

Sicher im Zuspruch. Wofür ich meinen<br />

Eltern sehr dankbar bin: dass sie nicht<br />

meine ersten widerwärtigen Krakeleien<br />

aus dem Kindergarten an den Kühlschrank<br />

gehängt haben. Sie haben gesagt:<br />

„Wir hängen deine Zeichnungen auf,<br />

wenn sie künstlerisch wertvoll sind.“<br />

Im ersten Moment war ich vielleicht in<br />

meiner Eitelkeit gekränkt, aber es hat<br />

mich angespornt, etwas Wertvolles zu<br />

produzieren. Es wurde nicht jeder Stuhlgang<br />

beklatscht, sondern nur wenn es<br />

ein eindrucksvoller Stuhlgang war.<br />

Bleiben Lob und Anerkennung also<br />

nur etwas Besonderes, wenn man sparsam<br />

damit umgeht?<br />

Ja, weil es niemandem schadet, ein bisschen<br />

buhlen zu müssen und sich etwas<br />

zu erarbeiten. Denn sonst erziehen wir<br />

megalomane Größenwahnsinnige, die<br />

sich dann in einer Welt wiederfinden, die<br />

keine Standing Ovations für irgendetwas<br />

Minderwertiges spendet. Das kann nämlich<br />

sehr ungemütlich werden.<br />

Gab es in deinem Leben schon einmal<br />

die vollständige Anerkennung?<br />

Von mir nicht. Und von anderen bedeutet<br />

sie ohnehin nichts. Wenn ich mir nicht<br />

die Absolution erteile, können andere lobhudeln,<br />

so viel sie wollen.<br />

Was hat dir deine Großmutter vermittelt,<br />

bei der du fünf Jahre deiner<br />

Kindheit verbracht hast?<br />

Sie war es, die diese Liebe zur Sprache<br />

gesät hat. Sie hat es ex negativo gemacht,<br />

indem sie sich als großer Feind von Grammatik<br />

und sprachlicher Korrektheit zeigte.<br />

Ich hab nach diesen fünf Jahren einen<br />

horrenden Dialekt gesprochen, was eine<br />

unfassbare Motivation zur Überkompensation<br />

bewirkt hat, weil ich quasi nicht<br />

mit Menschen kommunizieren konnte.<br />

Wie wurde deine Schwäche zur Stärke?<br />

In der Schule haben sie mir gesagt, wir<br />

erkennen Worte, aber das kann man<br />

doch nicht als Sprache bezeichnen. Da<br />

musste ich schnell aufholen und habe aus<br />

dieser Kränkung dann übers Ziel hinausgeschossen<br />

und mich sehr eindringlich<br />

mit Sprache beschäftigt. Ich wollte auch<br />

eine Zeitlang alle Sprachen lernen, habe<br />

mich dann mit fünf oder sechs beschäftigt<br />

und gemerkt, es ist das Meine, mich in<br />

einer Sprache zu perfektionieren. Nicht<br />

in so einem Sinne, dass ich mit Menschen<br />

in Dialog treten kann, sondern dass ich<br />

ihnen einen Monolog liefern kann, der sie<br />

nicht langweilt.<br />

Das tust du auf der Bühne und scheinst<br />

mit deinen charmanten Frechheiten<br />

und Taktlosigkeiten gut zu fahren.<br />

Wie geht das?<br />

Es braucht eine gewisse Raffinesse und<br />

Anmut. Wenn man die nicht hat, sollte<br />

man davon Abstand nehmen. Sonst hat es<br />

etwas Görenhaftes. Die reine Provokation<br />

wird immer anecken, und das zu Recht.<br />

Weil sie einfach plump ist.<br />

Du strahlst auf der Bühne eine gewisse<br />

Großspurigkeit aus. Kommt Hochmut<br />

vor dem Fall, oder bekommt Hochmut<br />

reichlich Beifall?<br />

Ich bin immer wieder erstaunt, dass<br />

Menschen das als Hochmut begreifen.<br />

Wir sind heute alle sehr auf das Selbst<br />

zentriert. Mir geht es darum, eine Persönlichkeit<br />

zu entwickeln, während andere<br />

einen Narzissmus pflegen, der alle äußeren<br />

Faktoren abschabt, bis man zu einem<br />

Wesenskern kommt, der völlig leer und<br />

nichtig ist. Das machen Menschen, wenn<br />

sie versuchen, sie selbst zu sein. Diesem<br />

„Sei du selbst“ setze ich gerne „Werde,<br />

der du bist“ von Friedrich Nietzsche entgegen.<br />

Das ist Arbeit, die der Erfahrungen<br />

von außen bedarf und nicht einfach nur<br />

eines apathischen „Ich bin jetzt ich“.<br />

Mein Hochmut arbeitet und konstruiert<br />

etwas, anstatt ein irrelevantes Selbst<br />

an den Tag zu legen.<br />

Woher hast du anfänglich den Glauben<br />

an dich genommen?<br />

Bei meinen ersten Auftritten war ich fest<br />

davon überzeugt, das wird nie ein großes<br />

Publikum finden, aber ich dachte, ich fühl<br />

mich wohl auf der Bühne. Mit Zuspruch<br />

hab ich nicht gerechnet. Wenn mehrere<br />

Kabarettisten an einem Abend aufgetreten<br />

sind, habe ich mich mit meinem Programm<br />

als Störelement empfunden.<br />

Von der Sollbruchstelle zum heillosen<br />

Größenwahn. Stößt eine gewisse Überheblichkeit<br />

auf der Bühne auf Gegenliebe?<br />

Oder dient sie als Schutz?<br />

Ich würde diese Figur nicht als überheblich<br />

erachten. Man wird bei mir sehr<br />

selten einen Satz hören, der mit „Ich“ beginnt.<br />

Ich rede über die Welt, und wahnsinnig<br />

selten rekurriere ich auf meine<br />

Gefühle. Es geht immer um die Strukturen<br />

und wie das System beschaffen ist. Vermutlich<br />

liegt darin die Überheblichkeit, dass<br />

ich mir anmaße, über Dinge zu sprechen<br />

und nicht über mich selbst. Weil viele<br />

Menschen nur über sich selbst sprechen<br />

können. Vielleicht empfinden sie es als<br />

arrogant, dass ich den Eindruck habe,<br />

ich habe ein Wissen, das mich selbst übersteigt.<br />

Ich behandle nicht mich auf der<br />

Bühne, das wäre mir zutiefst zuwider.<br />

Wenn du auf der Bühne über Sport-<br />

Freaks oder Smoothie-Trinker lästerst,<br />

könnte man das als überheblich betrachten<br />

…<br />

Wenn ich Menschengruppen kritisiere,<br />

sind es meist Personen, die im Publikum<br />

sind. Ich empfinde es als weitaus überheblicher,<br />

über Menschen zu reden, die<br />

nicht im Raum sind. Wenn ich etwas nicht<br />

ertrage, ist es Unhöflichkeit. Mokiere ich<br />

mich über Menschen, sind es solche, von<br />

denen ich glaube, dass sie sich zu wehren<br />

wissen.<br />

Und die dürfen sich dann gleichzeitig<br />

ärgern und darüber lachen.<br />

Es ist mir bei meiner Kritik wichtig, dass<br />

wir uns da alle im selben Dunstkreis<br />

bewegen, man nicht auf außenstehende<br />

Gruppen schimpft und sich dabei gegenseitig<br />

auf die Schulter klopft. Vieles davon<br />

betrifft ja auch mich selbst.<br />

68 THE RED BULLETIN

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