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The Jaguar NR 05/2019 - DE

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HERMANN TILKE<br />

ENTWICKLER VON<br />

FORMEL-1-STRECKEN<br />

Als Hermann Tilke 18 Jahre alt<br />

war, hat er sich das Auto<br />

seiner Mutter ausgeliehen.<br />

Aber er wollte damit nicht<br />

zu einem Freund oder ins Kino. „Ich habe<br />

einen Überrollkäfig reingepflanzt und bin<br />

damit Querfeldeinrennen gefahren“, sagt<br />

er. „Als das herauskam, fand sie’s nicht<br />

so lustig!“<br />

Ein bescheidener Anfang für einen<br />

Mann, der heute eine der einflussreichsten<br />

Persönlichkeiten im Motorsport ist.<br />

Zwar hat Tilke es als Fahrer nicht bis<br />

ganz an die Spitze geschafft – „ich war<br />

ein guter Amateur, für den Profibereich<br />

hat es aber nicht gereicht“ –, doch ist er<br />

der unbestrittene König in der Entwicklung<br />

von Rennstrecken. Über 75 Pisten<br />

stammen von ihm, fast alle Strecken der<br />

derzeitigen Formel 1 wurden von dem<br />

Deutschen und seinem Team von Tilke<br />

Engineers & Architects konzipiert oder<br />

modifiziert. „Ab und zu hat Bernie<br />

Ecclestone noch eine Idee beigesteuert“,<br />

fügt er lächelnd hinzu. Dass Tilke seine<br />

Leidenschaft für den Motorsport mit<br />

seinem Interesse für Design und Bauwesen<br />

kombinieren konnte, sei reiner Zufall<br />

gewesen. Nach dem Studium arbeitete er<br />

zunächst als Bauingenieur: „Ein guter Job,<br />

aber ich hatte zu wenig Zeit, um Rennen<br />

zu fahren.“ Also kündigte Tilke und<br />

gründete seine eigene Beratungsfirma.<br />

„Ich hatte Kontakte zum Nürburgring,<br />

dort habe ich meinen ersten Vertrag<br />

unterzeichnet – eine 20 Meter lange<br />

Anliegerstraße. Wer hätte gedacht, dass<br />

ich es so weit bringen würde?“, sagt er<br />

und lässt den Blick durch sein Büro<br />

schweifen, über die 3D-Modelle neuer<br />

Rennstrecken und die Fotos von Pisten<br />

in Texas oder Malaysia.<br />

Jedes neue Projekt beginnt mit<br />

einer Besichtigung des Standorts, um<br />

bestimmte Faktoren wie Topografie,<br />

Klima oder Bodenqualität zu bewerten.<br />

Wenn Tilke mit seinem Team von Desig-<br />

nern, Ingenieuren und Architekten dann<br />

die ersten Skizzen entwirft, geschieht<br />

das nicht auf einem weißen Blatt;<br />

geografische Beschränkungen und<br />

Sicherheitsbestimmungen geben ihm<br />

einen festen Rahmen.<br />

„Ich mag Steigungen. Wenn eine<br />

Kurve einen Hügel hinaufführt, ist das<br />

Fahrverhalten völlig anders als auf einer<br />

flachen Strecke. Gerade bei hohen<br />

Geschwindigkeiten ist sie dann sehr<br />

schwer zu fahren. Aber wir müssen<br />

immer mit dem arbeiten, was da ist.“<br />

In seinem Entwurf, der oft schon ein<br />

Konzept für die gesamte Infrastruktur von<br />

der Haupttribüne bis zu den Restaurants<br />

beinhaltet, zeichnet Tilke eine große<br />

Sportarena. Von den ersten Skizzen<br />

bis zum ersten Rennen dauert es für<br />

gewöhnlich etwa drei Jahre.<br />

„Die Strecke sollte für die Fahrer eine<br />

größtmögliche Herausforderung sein<br />

und für die Zuschauer ein echter Nervenkitzel“,<br />

sagt er. Kurve 8 im Istanbul Park<br />

Circuit, den Tilke entworfen hat, gilt als<br />

eine der aufregendsten Kurven über haupt.<br />

Sie besteht aus drei Geraden ohne<br />

Übergangsbögen, die mit 230 km/h in<br />

acht Sekunden durchfahren werden. In<br />

Kurve 1 seines Circuit of the Americas<br />

gab es seit der Einweihung 2012 spektakuläre<br />

Überholmanöver zu sehen.<br />

Aber Tilke hat auch Kritiker. Einige<br />

Formel-1-Experten und auch Fans haben<br />

seine Strecken als langweilig abqualifiziert,<br />

da Fehler oft durch großzügige<br />

Auslaufzonen wieder ausgebügelt<br />

werden können. „Wir sind nicht mehr<br />

in den 1960er Jahren“, erwidert er auf<br />

diese Kritik. „Die Sicherheitsbestimmungen<br />

sind heute viel strenger. Man kann<br />

keine Barrieren neben der Straße<br />

auf stellen. Und die Pisten sind nicht nur<br />

für die Formel 1 gedacht – was ist mit<br />

den Motorradfahrern? Was für einen<br />

Wagen sicher ist, ist es nicht unbedingt<br />

für ein Motorrad.“<br />

Für ihn sei besonders wichtig, dass sich<br />

die Branche weiterentwickle. „Sehen Sie<br />

sich die Formel E an – gut, die Wagen<br />

klingen anders. Na und? Ein Autorennen<br />

ist ein Autorennen. Das Einzige, was<br />

zählt, ist, maximales Tempo zu erreichen.“<br />

Tilke selbst fuhr bis vor zehn<br />

Jahren noch Wettbewerbe, darunter ein<br />

24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring.<br />

Inzwischen ist er 63 und jagt nicht<br />

mehr ganz so verbissen den hohen<br />

Geschwindigkeiten nach, dafür hat sein<br />

Sohn Carsten, der auch Partner in<br />

seinem Unternehmen ist, den Staffelstab<br />

übernommen. „Einmal haben wir beide<br />

an einem Vier-Stunden-Rennen in<br />

Moskau teilgenommen; er war schneller<br />

als ich. Ihm zuzusehen ist für mich der<br />

allergrößte Nervenkitzel.“<br />

THE JAGUAR 59

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