Das komplette Buch als Download - Denknetz
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Recht nicht nur materielles Entgelt, sondern auch soziale Integration<br />
und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten in einigermassen stabilen<br />
Arbeitsverhältnissen. Die wirtschaftliche Wachstumsdynamik der<br />
1950er- bis 1970er-Jahre konnte solche Arrangements aufrechterhalten,<br />
zumindest für die Kernbelegschaften der wachstumsstarken Wirtschaftssektoren<br />
mit ihren überwiegend inländischen, männlichen Beschäftigten.<br />
Die Arrangements werden heute von sehr vielen Unternehmen einseitig<br />
aufgekündigt. Weshalb? Schuld daran ist nicht nur der Trend zur<br />
›Flexibilisierung‹ der Personalressourcen, und auch der Kostendruck<br />
reicht <strong>als</strong> Begründung nicht aus. Dahinter steht eine grundsätzliche Veränderung<br />
des betrieblichen Machtverhältnisses durch die direkte Marktanbindung<br />
der Arbeitskraft. Marktanbindung bedeutet: War bis anhin<br />
die Arbeitskraft im Unternehmen durch Arbeitsvertrag, Kollektivvertrag<br />
und (teilweise) das Arbeitsgesetz vor marktbedingten Schwankungen<br />
und daraus resultierenden Gesundheits- und Existenzrisiken kurzfristig<br />
einigermassen geschützt, so verlagern seit Jahren viele Unternehmen<br />
den ›Markt‹ ganz gezielt ins Unternehmen hinein: Sie heizen mit<br />
Prämien oder Bestrafungen den Wettbewerb zwischen Arbeitsteams an,<br />
führen umsatz- oder produktivitätsabhängige Lohnkomponenten ein,<br />
planen Arbeitseinsätze in Abhängigkeit von Nachfrage und Kapazitätsauslastung<br />
usw. 4 Wird das Arbeitsverhältnis in dieser Weise enger an die<br />
Marktdynamik und ausdrücklich an den ›Weltmarkt‹ angebunden, so<br />
kann manche Inkonvenienz, die früher klar dem Betrieb zuzurechnen<br />
war, heute den Marktmechanismen, den Kundenwünschen oder der<br />
Konkurrenz in der Branche zugeschrieben werden. So ist das Unternehmen<br />
ein Stück weit aus der Verantwortung entlassen. Viele Unternehmensleitungen<br />
versprechen sich höhere wirtschaftliche Vorteile,<br />
wenn sie ihr Personal den Zwangsmechanismen des Marktes aussetzen,<br />
<strong>als</strong> wenn sie das Arbeitsumfeld stabil halten würden.<br />
<strong>Das</strong> hat Konsequenzen für die Firmenkultur und stellt den ›psychologischen<br />
Arbeitsvertrag‹ in Frage. Dieser, ein langjährig bewährtes<br />
Konstrukt der Arbeitspsychologie, erklärte die Dauerhaftigkeit von Arbeitsverhältnissen<br />
damit, dass das Institut des Arbeitsvertrags durch ein<br />
Geflecht von persönlichen Bindungen und Loyalitäten im Arbeitsumfeld,<br />
durch individuelle Lebensentwürfe und Motive ergänzt und stabilisiert<br />
wird. Im Zuge der wirtschaftlichen Deregulierung und Vermarktlichung<br />
des Arbeitsverhältnisses ist nun der psychologische Vertrag<br />
vielerorts aus dem Gleichgewicht geraten, weil Unternehmen dem Ideal<br />
einer stabilen Mitarbeitereinbindung einseitig abgeschworen haben.<br />
Aktuelle Ansätze der Arbeitspsychologie, die Basis des psychologischen<br />
87 <strong>Denknetz</strong> • Jahrbuch 2005<br />
Politische Ökonomie