Das komplette Buch als Download - Denknetz
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Politische Ökonomie<br />
Vertrags neu zu begründen – etwa die unzeitgemäss gewordene Arbeitsplatzsicherheit<br />
durch Arbeitsmarktfähigkeit zu ersetzen 5 – , bleiben jedoch<br />
defizitär, da traditionelle Aspekte der Gegenseitigkeit und Dauerhaftigkeit,<br />
die jeden Vertrag kennzeichnen müssen, weitgehend fehlen.<br />
Vage Arbeitgeberversprechen, Mitarbeitenden bei der Erhaltung ihrer<br />
Arbeitsmarktfähigkeit behilflich zu sein, können die mangelnde Stabilität<br />
des Arbeitsverhältnisses kaum wettmachen. Appelle des Managements,<br />
›eigenverantwortlich‹ zu sein und sich im eigenen Interesse beruflich<br />
weiterzuentwickeln, dürften ihre Wirkung verfehlen, da Unternehmensleitungen<br />
ihre Personalressourcen ganz offensichtlich selektiv<br />
bewirtschaften 6 und berufliche Entwicklungschancen willkürlich zuteilen.<br />
7 Die Botschaft selber erweist sich <strong>als</strong> zwiespältig: Zum einen ruft<br />
das Management die Beschäftigten ständig zu unternehmerischem Verhalten<br />
auf und rät ihnen davon ab, sich am Arbeitsplatz in Sicherheit zu<br />
wiegen, zum anderen verlangt es von ihnen, im Falle von Restrukturierungen<br />
geduldig der Dinge zu harren und sich dann den vollendeten<br />
Tatsachen anzupassen.<br />
Die Konsequenzen dieser ambivalenten Personalpolitik sind in einer<br />
Studie des Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrums der Universität Basel<br />
mit seltener Deutlichkeit dokumentiert worden. 8 400 Mitarbeitende der<br />
chemisch-pharmazeutischen Industrie wurden befragt, welche Veränderungen<br />
sie in ihrem Arbeitsumfeld erlebt haben und welche Gefühle<br />
sie damit assoziierten. Resultat: Die Befragten hatten zum Zeitpunkt der<br />
Befragung (im Jahre 2000) innert eines Halbjahres durchschnittlich<br />
mehr <strong>als</strong> sechs wesentliche Veränderungen erlebt: Reorganisationen,<br />
Personalabbau, neue ChefInnen, neues Lohnsystem usw. Zwischen 30%<br />
und 40% der Befragten empfanden nach eigenen Angaben Enttäuschung,<br />
Misstrauen oder Aggression <strong>als</strong> prägendes Gefühl im Arbeitsalltag.<br />
Die negativen Gefühle richteten sich auf das Unternehmen, den<br />
abrupten Wandel und ganz konkret auf das obere Management, weit<br />
weniger häufig dagegen auf das eigene Arbeitsumfeld und die direkten<br />
Vorgesetzten. Viele ManagerInnen scheinen mit ihren Durchhalteparolen<br />
(»Wir sind Worldplayer«, »1. Liga« usw.) und ihrem Verhalten in<br />
Krisensituationen bei vielen Mitarbeitenden jegliche Glaubwürdigkeit<br />
verspielt zu haben.<br />
Eine solche Firmenkultur können sich Konzerne leisten, die in der<br />
Lage sind, mit leicht überdurchschnittlichen Löhnen eine Art Inkonvenienzentschädigung<br />
zu entrichten, und die im übrigen damit rechnen<br />
können, dass zerstörte Motivationen bei der herrschenden Rate der Personalerneuerung<br />
bald einmal durch frische Arbeitskräfte ersetzt werden,<br />
welche die jüngste Reorganisation nicht miterlebt haben. Viele kleinere<br />
88 <strong>Denknetz</strong> • Jahrbuch 2005