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sortimenterbrief Juni 2019

Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe Juni 2019

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heraus, dass es um Mord gehen muss.<br />

Um die Darstellung von moralischer<br />

und rechtlicher Grenzüberschreitung.<br />

Ich war von klein auf krimifixiert. Las<br />

alles aus dem Genre, was mir in die<br />

Finger kam. Besonders interessierten<br />

mich stets die Implikationen abseits<br />

der Kriminalistik. Was bedeutet es<br />

für Menschen, die mit Verbrechen<br />

konfrontiert werden, was macht es mit<br />

ihnen, wie verändert sich ihre Vita …?<br />

Ganz besonders in einer Kleinstadt,<br />

wo man Täter, Opfer und deren Umfeld<br />

kennt. In Leibnitz geht es hauptsächlich<br />

über ein Ehepaar, das im Vordergrund<br />

der Geschichte steht. Sie wird aus deren<br />

beiden Perspektiven erzählt. Es gibt auch<br />

noch eine Außenposition in Form der<br />

Schwiegermutter. Man lernt im Laufe<br />

der sechs Kapitel diesen Clan kennen,<br />

der sich in einer nicht gerade positiven<br />

Entwicklung befindet.<br />

Im Hintergrund gibt es ein Alkoholproblem<br />

...<br />

Kiendl: Alkohol ist ein Generalthema,<br />

das betrifft den Ehemann – genauso<br />

wie Sucht in all ihren Ausprägungen<br />

und der damit einhergehenden Flucht,<br />

das Davonlaufen vor Problemen –<br />

aber auch vor der Realität. Und auch<br />

der Bereich der Religion spielt eine<br />

gewichtige Rolle. Man begegnet im<br />

Roman ebenso Personen, die zwar nicht<br />

süchtig sind, jedoch nicht in der Lage<br />

sind, handlungsfähig im Hier und Jetzt<br />

zu leben. Es sind Menschen, die stets<br />

ausweichen und der Meinung sind, ihr<br />

Glück anderswo zu finden. Die Figuren<br />

meines Romans sind mit Passagieren<br />

zu vergleichen – die Dinge unterlaufen<br />

ihnen. Deshalb ist auch fast alles reflexiv<br />

geschrieben. So gut wie nichts passiert<br />

im On. Die Spuren reflektieren über das<br />

Geschehene. Das Erinnern ist natürlich<br />

subjektiv eingefärbt. Deshalb ist es<br />

wichtig, beide Stränge parallel zu haben.<br />

Man erfährt zwei Wirklichkeiten und<br />

bemerkt sukzessive, wie ausweglos diese<br />

Situation ist – weil sie sich nie finden,<br />

nie verstehen. Weil jeder ganz anders<br />

das Erlebte reflektiert. Eigentlich eine<br />

weitverbreitete Beziehungssituation.<br />

Alltäglich. Mir war es wichtig, ein<br />

möglichst glaubwürdiges Außen zu<br />

skizzieren, das spürbar macht, dass es<br />

für die Menschen keinen Ausweg mehr<br />

gibt. Gewalt und Entgleisungen in der<br />

Familie kommen in jedem Kapitel vor.<br />

Auf die Leiche muss man relativ lange<br />

warten (lacht). Ich entschied mich auch<br />

sehr spät, wer ums Leben kommt.<br />

Warum fiel die Wahl gerade auf<br />

Leibnitz?<br />

Kiendl: Leibnitz ist der Nachbarbezirk<br />

von Deutschlandsberg, wo ich aufgewachsen<br />

bin. Ich kenne also Gegend<br />

und Menschen dort mittelbar recht<br />

gut. Es ist eine Weinbaugegend und die<br />

Alkoholproblematik ist in Weinbauregionen<br />

durchaus präsent. Das ist für<br />

Außenstehende vielleicht gar nicht so<br />

transparent, aber es ist so. Oft werden<br />

zugunsten der Reputation eines Ortes<br />

auch Themen wie diese totgeschwiegen.<br />

Der Wein ist ja das, wovon man lebt, er<br />

ist etwas Herrliches – folglich muss er<br />

auch gut sein (lacht)! Für die Hauptfigur<br />

ist er nicht gut – wenngleich er kein<br />

aktiver Täter ist. Auch ihm unterlaufen<br />

die Geschehnisse.<br />

Warum ist es kein Krimi, sondern ein<br />

Roman?<br />

Kiendl: Weil nicht die Kriminalistik<br />

im Vordergrund steht, sondern die<br />

Menschen. Vielleicht liegt die Wahrheit<br />

auch irgendwo dazwischen. Ich schrieb<br />

etwa zwei Jahre an dem Roman.<br />

Logistisch war es oft schwierig, das<br />

Schreiben mit meiner Schauspielerei in<br />

Einklang zu bringen, mit der Familie und<br />

meinen beiden kleinen Kindern – dazu<br />

kam, dass sich meine Lebensgefährtin<br />

im letzten Jahr schwer verletzte. Der<br />

Stress war andererseits auch zuträglich.<br />

Wie kamen Sie zum Gmeiner Verlag?<br />

Kiendl: Das war wirklich eine verrückte<br />

Geschichte. Ich war gerade am Beginn<br />

meiner Verlagssuche – war auch auf<br />

schwerpunktbelletristik<br />

einen langen Weg und schmerzvollen<br />

Prozess eingestellt, gab ein Interview<br />

in einer ORF Nachmittags-Talkshow,<br />

wo ich erwähnte, dass ich einen Roman<br />

geschrieben habe und auf Verlagssuche<br />

bin. Der Gmeiner Verlag hat einen<br />

sehr rührigen Scout in Österreich,<br />

der die Sendung sah. Als ich danach<br />

wieder nach Hause kam, fand ich im<br />

Posteingang schon eine Nachricht vor.<br />

Eine kurze Woche später arbeitete ich<br />

bereits mit der Lektorin von Gmeiner ...<br />

Sehr schmerzvoll war er also nicht, der<br />

Weg zu einem Verlag ...<br />

Kiendl: Gott sei Dank! Jetzt ist es<br />

noch eine Zeit der Vorfreude bis zum<br />

Erscheinen im September. Nach den sehr<br />

intensiven Lektoratswochen – der aber<br />

und abermaligen Auseinandersetzung<br />

mit den Geschehnissen im Roman<br />

und den Figuren – tut die Pause gut.<br />

Nein, eigentlich schreibe ich zur eigenen<br />

Heilung schon an der nächsten<br />

Geschichte, die in Knittelfeld spielt. Und<br />

im Herbst wird es viele Lesungen und<br />

Veranstaltungen im Buchhandel geben<br />

– darauf freue ich mich schon.<br />

Danke für das Gespräch!<br />

Andreas Kiendl<br />

Leibnitz<br />

Roman, 314 Seiten, Hardcover mit<br />

Schutzumschlag, ISBN 978-3-8392-2494-6<br />

€ 22,70 | Gmeiner Verlag, ET: 11. September<br />

<strong>sortimenterbrief</strong> 6/19 49

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