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sortimenterbrief Juni 2019

Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe Juni 2019

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VKI buchvorstellung<br />

der Mediziner: die finale Lebensphase<br />

– noch einmal großes Leid bringen<br />

könnte. Wer das vierte Viertel und damit<br />

ein Alter erreicht, das gemeinhin als<br />

„gesegnet“ bezeichnet wird, hat im Lauf<br />

seines Lebens üblicherweise eine Reihe<br />

von Krankheiten überstanden und<br />

konnte so Erfahrungen sammeln, wie es<br />

ist, nicht gesund zu sein. Was die finale<br />

Lebensphase bringt, das wissen wir<br />

allerdings nicht. Denn die machen wir<br />

nur einmal durch.<br />

Angst vor Schmerzen<br />

Werden Menschen gefragt, wie sie<br />

sterben wollen, so antworten die<br />

meisten: schnell und schmerzlos, am<br />

liebsten im Schlaf. Das Gegenteil, das<br />

langsame und schmerzvolle Sterben bei<br />

wachen Sinnen, wird gefürchtet.<br />

Wir können Sie beruhigen: Unter<br />

qualvollen Schmerzen wird heute nicht<br />

mehr gestorben. Jedenfalls nicht mehr<br />

bei uns, seit – ausgehend von England<br />

und Kanada, ab den 1970er-Jahren –<br />

der Gedanke der Palliativmedizin sich<br />

auch hierzulande etablierte. Im Wort<br />

Palliativmedizin steckt das lateinische<br />

Wort pallium, das Mantel bedeutet.<br />

Sich wie ein Mantel an den kranken<br />

Menschen anschmiegen, ihm Wärme<br />

und Geborgenheit geben, darauf zielt<br />

diese medizinische Disziplin ab.<br />

Als Gründungsfigur dieser medizinischen<br />

Bewegung gilt Cicely Saunders,<br />

die 1967 in London das St. Christopher’s<br />

Hospice gründete. Es gebe, betonte<br />

die Krankenschwester, noch viel zu<br />

tun, wenn nichts mehr getan werden<br />

könne; wenn nämlich die Krankheit<br />

des Patienten irreversibel sei und<br />

unweigerlich zum Tod führe. In einer<br />

solchen Situation gehe es nicht mehr<br />

um lebensverlängernde Maßnahmen,<br />

sondern darum, dem Sterbenden<br />

ein friedliches Abschiednehmen zu<br />

ermöglichen. Indem man ihm die<br />

Schmerzen nimmt, indem man ihm<br />

hilft, seine letzten Dinge zu erledigen,<br />

indem man einfach bei ihm ist.<br />

Selbstbestimmung<br />

Entscheidend für den behandelnden<br />

Arzt, und zwar für jeden, ist jeweils das<br />

Wohl des Patienten. Nach dem muss er<br />

sich richten – und nicht etwa danach,<br />

was er selbst für das Beste hält. In<br />

gemeinsamer Absprache legen beide<br />

Seiten das medizinische Vorgehen fest.<br />

Dazu ist der behandelnde Arzt per<br />

Gesetz verpflichtet. Denn jeder von ihm<br />

veranlasste Eingriff ist juristisch gesehen<br />

eine Körperverletzung und damit<br />

strafbar.<br />

Selbstbestimmung ist heute ein hohes<br />

Gut. Vielleicht ist sie überhaupt das<br />

Leitbild unserer Zeit. Selbst ist der Mann<br />

bzw. die Frau. Selbst will der Mensch<br />

auch über seine letzten Tage, über sein<br />

Sterben bestimmen. Der Gesetzgeber hat<br />

Möglichkeiten geschaffen, dass wir bereits<br />

dann, wenn wir noch in guter Verfassung<br />

sind, Vorsorge für den Fall treffen können,<br />

dass es einmal nicht mehr so ist. Eine<br />

Möglichkeit ist, eine Patientenverfügung<br />

zu erstellen. Eine andere, dass wir eine<br />

Person mit der Vollmacht ausstatten, uns<br />

im Fall des Falles zu vertreten – das heißt,<br />

dann an unserer Stelle und in unserem<br />

Sinn Entscheidungen zu treffen. Liegt<br />

weder eine Patientenverfügung noch<br />

eine Vollmachtserklärung vor, hat sich<br />

der behandelnde Arzt im Zweifelsfall am<br />

„mutmaßlichen Willen“ des Patienten zu<br />

orientieren. Eine naturgemäß vage Sache.<br />

Eine absolut sichere Sache ist freilich<br />

auch die Patientenverfügung nicht.<br />

Verfasst man sie zu unbestimmt, bleiben<br />

viele Fragen offen; formuliert man zu<br />

eng, trägt man der Vielfalt medizinischer<br />

Szenarien nicht Rechnung. Wer mit einer<br />

Vorsorgevollmacht ausgestattet wird, hat<br />

sich an den Werten und Wünschen des<br />

Vollmachtgebers zu orien tieren. In der<br />

Theorie ist die Sache klar.<br />

Aber auch in der Praxis? Inwieweit ist es<br />

dem Bevollmächtigten möglich, immer<br />

die Sichtweise des Vollmachtgebers<br />

nachzuvollziehen? Fließen da<br />

nicht, wenngleich unbeabsichtigt,<br />

unweigerlich auch eigene Ansichten und<br />

Werte mit ein?<br />

Ängste bleiben<br />

Eine optimale Lösung ist mit den vorsorglichen<br />

Regelungen noch nicht gefunden<br />

– doch womöglich gibt es die auch gar<br />

nicht. Es können einfach nicht für alle<br />

möglichen Situationen Vorkehrungen<br />

getroffen werden und es lassen sich eben<br />

nicht sämtliche Ängste aus der Welt<br />

schaffen.<br />

Frieden mit seinen Feinden schließen,<br />

sich aussöhnen, vergeben, um Verzeihung<br />

bitten – gerade das kann am Lebensende<br />

wichtig sein. Palliativmediziner<br />

berichten, dass viele Sterbende erst zur<br />

Ruhe finden und sich verabschieden<br />

können, wenn sie mit sich und ihrem<br />

Umfeld ins Reine gekommen sind.<br />

Was bedauern Menschen am<br />

Lebensende am meisten? Männer,<br />

dass sie sich zeitlebens vor allem ihrer<br />

Arbeit gewidmet und zu wenig Zeit für<br />

Familie und Freunde gehabt haben.<br />

Und Frauen, dass sie sich zu sehr um die<br />

Bedürfnisse anderer gekümmert und<br />

nicht häufig genug an ihr eigenes Glück<br />

gedacht haben. Das berichtet zumindest<br />

Bronnie Ware, die jahrelang Patienten<br />

in Sterbehospizen betreut hat, in ihrem<br />

Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten<br />

bereuen“. Demnach gibt es also schon in<br />

jüngeren Jahren genug zu tun, um der<br />

Angst im Alter vorzubeugen, womöglich<br />

gar nicht richtig gelebt zu haben.<br />

© Lea Sonderegger<br />

Mag. Wenzel Müller ist Journalist und Fotograf.<br />

Er arbeitete lange Zeit als Redakteur bei einem<br />

medizinischen Verlag und ist langjähriger<br />

KONSUMENT-Autor.<br />

www.konsument.at/angst<br />

<strong>sortimenterbrief</strong> 6/19<br />

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