Die Kunst des Zweifelns und Glaubens
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erstes buch<br />
seinen Lieblingssohn <strong>und</strong> künftigen Erben manchmal strenger<br />
<strong>und</strong> härter erzieht als die anderen, damit er geläutert daraus hervorgehe<br />
<strong>und</strong> die Erbschaft frei von jeder Schande erlange. Oder<br />
wenn ein tüchtiger Landmann einen Weinstock, der ihm so teuer<br />
ist wie kein anderer seiner Stöcke, beschneidet <strong>und</strong> strenger<br />
behandelt als irgendeinen von den anderen Weinstöcken, damit<br />
er bessere <strong>und</strong> reichlichere Frucht trage.<br />
Ja, wenn Gott die Frommen sofort belohnte <strong>und</strong> die Gottlosen<br />
sofort bestrafte, hätten die Frommen keine Gelegenheit, neben<br />
den anderen Tugenden vor allem deren schönste, die Geduld, zu<br />
erlernen <strong>und</strong> zu üben, die ohne Erleiden von Ungerechtigkeit<br />
<strong>und</strong> Missgeschick ebenso wenig erlernt werden kann wie die<br />
Schwimmkunst außerhalb <strong>des</strong> Wassers. Auch bliebe uns bei<br />
den Bösewichten deren innere Bosheit verborgen, da sie aus<br />
Furcht vor der drohenden Strafe von ihren Verbrechen ablassen<br />
würden, dabei aber den Sinn voll solcher Taten hätten <strong>und</strong><br />
in Wirklichkeit nicht besser wären, als wenn sie diese Taten<br />
wirklich begangen hätten. Genauso würde ein Wolf, der im<br />
Schafstall eingeschlossen ist, aus Furcht vor den Schlägen der<br />
anwesenden Hirten vom Würgen der Schafe ablassen, wäre <strong>des</strong>halb<br />
aber nicht weniger wölfisch gesinnt, als wenn er frei wäre.<br />
Was aber, so wird man fragen, wird mit denen geschehen, die<br />
in diesem Leben den Lohn für ihre Taten, die guten wie die<br />
schlechten, nicht bekommen? Antwort: Das ist in der Tat jene<br />
Frage, die viele schon lange umgetrieben hat <strong>und</strong> die man nur<br />
beantworten kann, indem man sagt, dass der gerechte Lohn auf<br />
ein anderes Leben verschoben wird. Wenn man nämlich behauptet,<br />
er werde schon in diesem Leben zuteil, würde man,<br />
wie an obigen Beispielen gezeigt wurde, die Frage nicht hinreichend<br />
beantworten, weil das eben nicht immer geschieht<br />
<strong>und</strong>, wenn es denn geschieht, der Lohn nicht ganz den Taten<br />
entspricht. Denn viele Fromme leben bis an ihr Ende im Elend<br />
<strong>und</strong> werden oft mit schlimmster Peinigung <strong>und</strong> Schande ums<br />
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