Die Kunst des Zweifelns und Glaubens
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erstes buch<br />
KAPITEL 5<br />
Weil nun viele als Lehrer dieser <strong>Kunst</strong> aufgetreten sind <strong>und</strong> es<br />
immer noch tun <strong>und</strong> man darüber streitet, wer denn die besten<br />
oder gar die einzigen Autoren sind, denen man vorzugsweise zu<br />
folgen habe, müssen wir jetzt herausfinden, auf welche Weise<br />
man dies beurteilen kann, <strong>und</strong> – nachdem wir erkannt haben,<br />
welche die besten sind – abwägen, worin man ihnen folgen<br />
soll. Hier wird vielleicht der eine oder andere Christ r<strong>und</strong>heraus<br />
sagen, es brauche keine solche Erwägung: <strong>Die</strong> christliche<br />
Lehre sei unstrittig die bei weitem vortrefflichste. Und in der<br />
Tat mag er wohl Recht haben, was die Vortrefflichkeit betrifft,<br />
aber vielleicht nicht in gleicher Weise in Bezug auf das<br />
Abwägen. Denn wir dürfen den Lehren, denen wir folgen,<br />
nicht blindlings folgen, sondern umsichtig <strong>und</strong> mit Bedacht,<br />
was die meisten nicht tun.<br />
Der größte Teil der Christen glaubt nämlich nicht anders<br />
an Christus als die Türken an Mohammed oder als selbst jene<br />
Völker, die heute Christus bekennen <strong>und</strong> einst an Jupiter oder<br />
Neptun oder die anderen heidnischen Götter geglaubt haben.<br />
Denn sie glauben an Christus, weil sie von klein auf in seiner<br />
Lehre erzogen wurden <strong>und</strong> sie von ihren Eltern empfangen<br />
haben. Wären sie aber in gleicher Weise in Mohammeds<br />
Lehren erzogen worden, würden sie ebenso an Mohammed<br />
glauben. Von dieser Art ist der Glaube der Kinder <strong>und</strong> der<br />
Unwissenden, die ich bestenfalls glücklich, aber nicht weise<br />
nennen möchte. Wie jemand, der seine Ges<strong>und</strong>heit dem<br />
Arzt seiner Stadt anvertraut, weil er eben der Arzt seiner Stadt<br />
ist, <strong>und</strong> nicht, weil er ihn als einen guten Arzt erkannt hat;<br />
hat er Erfolg – gut so; doch sollte er dafür seinem Glück <strong>und</strong><br />
nicht seiner Weisheit danken. Hätte jener Arzt sich nämlich<br />
als schlechter Arzt erwiesen, so wäre der Kranke an derselben<br />
Gutgläubigkeit zugr<strong>und</strong>e gegangen, die ihn geheilt hat.<br />
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