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ENDO ANACONDA<br />

WAHNSINN IST AUCH EINE KUNST<br />

Deine Lieder sind melancholisch, wie<br />

Blues.<br />

Blues ist schwer zu definieren, das ist<br />

mehr eine Frage der Haltung.<br />

Warum spielst du kein Instrument?<br />

Vor 35 Jahren ist eine Mineralwasserflasche<br />

in meiner Hand explodiert und hat<br />

zu viele Nerven durchtrennt. Aber ich war<br />

sowieso zu faul, um ein Instrument zu<br />

lernen.<br />

Warum eigentlich Österreich?<br />

Nach dem Unfalltod meines Vaters zog<br />

meine Mutter nach Kärnten und in Wien<br />

machte ich meine Lehre. Ach, das mornicht<br />

gemeint sein. «Doch, doch, genau<br />

die meine ich. Ein heiliges Tier für die Indianer<br />

und ein Satan für die Christen.<br />

Ach, die hat ein schönes Leben. Die frisst<br />

alle paar Monate einen Tapir und das<br />

reicht ihr. Sonst muss sie nichts tun. So<br />

hätte ich es auch gerne.»<br />

Und der Endo? Woher kommt der? Ein<br />

echt ungewöhnlicher Künstlername. «So?<br />

In Japan ist er sicherlich geläufig. Er<br />

kommt aus meiner Zeit in Österreich. Eigentlich<br />

sollte es Ändu heissen. Aber meine<br />

Freunde in Wien konnten nicht Ä oder<br />

U sagen, das hat sprachhistorische Ursachen.<br />

Dass sie Ä und U nicht sagen können,<br />

sieht man ja auch daran, dass sie die<br />

EU nicht mögen und europakritisch sind.<br />

So ist Endo entstanden. Zudem hiess der<br />

Vorgänger und Nachfolger meiner damaligen<br />

Freundin ebenfalls Ändu. Also ging<br />

dieser Name sowieso nicht.»<br />

ZWEI MONATE ARBEITEN, EIN JAHR<br />

LEBEN.<br />

Hat er gezielt seine Künstlerlaufbahn aufgebaut?<br />

«Nein, nein, das hat sich so ergeben.<br />

Ich konnte mir nie vorstellen, von<br />

der Kunst zu leben. Ich arbeitete, blieb<br />

aber immer nur so lange es mir Spass<br />

machte. Deshalb wechselte ich oft die<br />

Stelle.» Mit der Kunst habe er eigentlich<br />

in der Reitschule angefangen. Reitschule?<br />

Wir fragen nach.<br />

«Ja, ja, in der Reitschule. Idioten sagen,<br />

es sei ein Schandfleck und die Bürgerlichen<br />

hassen sie.» Aber er möge die<br />

Reitschule und bevor man ihn in eine<br />

Schublade stecken kann, ist er schon wie-<br />

«Die Anaconda hat ein<br />

schönes Leben. Sie frisst<br />

ab und zu einen Tapir,<br />

das reicht ihr. Sonst<br />

muss sie nichts tun. So<br />

hätte ich es auch gerne.»<br />

der entschlüpft: Er verteidigt auch die<br />

Polizei, die ja auch ab und an in der Reitschule<br />

zugange ist. «Bullen sind doch keine<br />

Schweine. Das sagt uns schon die Zoologie.<br />

Bullen sind Bullen. Jemand muss<br />

den Job machen. Es tummeln sich in der<br />

Reitschule ja nicht nur Chaoten und Dealer.<br />

Es sind auch viele Leute dort, die eine<br />

wertvolle Kultur- und Sozialarbeit leisten.<br />

Viele Jugendliche können es sich auch<br />

nicht leisten, einen Abend lang in der Beiz<br />

zu hocken.»<br />

Gelernt habe er das Handwerk des<br />

Buch- und Siebdruckes. «Die Buchdruckerei<br />

ist inzwischen fast ausgestorben.<br />

Ich wollte sowieso nicht 40 Jahre durchgehend<br />

fünf Tage in der Woche an der<br />

Druckmaschine stehen und wechselte<br />

wie erwähnt öfters die Stelle. Ich merkte<br />

bald, dass es auch mit weniger geht. Ich<br />

ging zwei Monate auf den Bau und konnte<br />

dann ein ganzes Jahr leben. Ich verdiente<br />

damals mehr als ich heute mit der<br />

gleichen Arbeit verdienen würde. Die<br />

Löhne waren Mitte <strong>19</strong>80er Jahre höher<br />

als heute. Aber es war schampar hart.»<br />

Spielte er schon früh ein Instrument?<br />

«Nein, ich habe in Kärnten im Kirchenchor<br />

gesungen.» Er sei inzwischen aus der<br />

Kirche ausgetreten. Er sei ja schon bald<br />

AHV-positiv. «Wenn einmal der Tod<br />

kommt, will ich Ruhe haben. Kein Paradies<br />

und kein Fegefeuer. Sonst muss ich<br />

dort noch helfen, die armen Büblein vor<br />

den Priestern zu retten.»<br />

«Aber in der Familie hatten wir die Musik<br />

in der DNA. Mein Grossvater Fritz aus<br />

Trachselwald war ein Handörgeler, komponierte<br />

auch Stücke und spielte in einer<br />

Kapelle. Ich bin manchmal zu den Klängen<br />

eines Ländlers und den Geschichten<br />

der Grossmutter eingeschlafen. Und ein<br />

Schottisch ist doch wunderschön.» Aha,<br />

also Ländler noch im Ohr, aber singen im<br />

Kirchenchor. «…und Rock’n’Roll natürlich.<br />

Also damals progressive Popmusik.<br />

Beat. Bis ich erstmals richtig den Blues<br />

hörte.»<br />

Flückiger ist zum ersten mal in<br />

seinem Heimatort Auswil. Hier beim<br />

Künstler-Ehepaar Regula Farner<br />

und Menel Rachti beim Luftschloss.

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