Positiv_06_19_web
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ENDO ANACONDA<br />
WAHNSINN IST AUCH EINE KUNST<br />
Deine Lieder sind melancholisch, wie<br />
Blues.<br />
Blues ist schwer zu definieren, das ist<br />
mehr eine Frage der Haltung.<br />
Warum spielst du kein Instrument?<br />
Vor 35 Jahren ist eine Mineralwasserflasche<br />
in meiner Hand explodiert und hat<br />
zu viele Nerven durchtrennt. Aber ich war<br />
sowieso zu faul, um ein Instrument zu<br />
lernen.<br />
Warum eigentlich Österreich?<br />
Nach dem Unfalltod meines Vaters zog<br />
meine Mutter nach Kärnten und in Wien<br />
machte ich meine Lehre. Ach, das mornicht<br />
gemeint sein. «Doch, doch, genau<br />
die meine ich. Ein heiliges Tier für die Indianer<br />
und ein Satan für die Christen.<br />
Ach, die hat ein schönes Leben. Die frisst<br />
alle paar Monate einen Tapir und das<br />
reicht ihr. Sonst muss sie nichts tun. So<br />
hätte ich es auch gerne.»<br />
Und der Endo? Woher kommt der? Ein<br />
echt ungewöhnlicher Künstlername. «So?<br />
In Japan ist er sicherlich geläufig. Er<br />
kommt aus meiner Zeit in Österreich. Eigentlich<br />
sollte es Ändu heissen. Aber meine<br />
Freunde in Wien konnten nicht Ä oder<br />
U sagen, das hat sprachhistorische Ursachen.<br />
Dass sie Ä und U nicht sagen können,<br />
sieht man ja auch daran, dass sie die<br />
EU nicht mögen und europakritisch sind.<br />
So ist Endo entstanden. Zudem hiess der<br />
Vorgänger und Nachfolger meiner damaligen<br />
Freundin ebenfalls Ändu. Also ging<br />
dieser Name sowieso nicht.»<br />
ZWEI MONATE ARBEITEN, EIN JAHR<br />
LEBEN.<br />
Hat er gezielt seine Künstlerlaufbahn aufgebaut?<br />
«Nein, nein, das hat sich so ergeben.<br />
Ich konnte mir nie vorstellen, von<br />
der Kunst zu leben. Ich arbeitete, blieb<br />
aber immer nur so lange es mir Spass<br />
machte. Deshalb wechselte ich oft die<br />
Stelle.» Mit der Kunst habe er eigentlich<br />
in der Reitschule angefangen. Reitschule?<br />
Wir fragen nach.<br />
«Ja, ja, in der Reitschule. Idioten sagen,<br />
es sei ein Schandfleck und die Bürgerlichen<br />
hassen sie.» Aber er möge die<br />
Reitschule und bevor man ihn in eine<br />
Schublade stecken kann, ist er schon wie-<br />
«Die Anaconda hat ein<br />
schönes Leben. Sie frisst<br />
ab und zu einen Tapir,<br />
das reicht ihr. Sonst<br />
muss sie nichts tun. So<br />
hätte ich es auch gerne.»<br />
der entschlüpft: Er verteidigt auch die<br />
Polizei, die ja auch ab und an in der Reitschule<br />
zugange ist. «Bullen sind doch keine<br />
Schweine. Das sagt uns schon die Zoologie.<br />
Bullen sind Bullen. Jemand muss<br />
den Job machen. Es tummeln sich in der<br />
Reitschule ja nicht nur Chaoten und Dealer.<br />
Es sind auch viele Leute dort, die eine<br />
wertvolle Kultur- und Sozialarbeit leisten.<br />
Viele Jugendliche können es sich auch<br />
nicht leisten, einen Abend lang in der Beiz<br />
zu hocken.»<br />
Gelernt habe er das Handwerk des<br />
Buch- und Siebdruckes. «Die Buchdruckerei<br />
ist inzwischen fast ausgestorben.<br />
Ich wollte sowieso nicht 40 Jahre durchgehend<br />
fünf Tage in der Woche an der<br />
Druckmaschine stehen und wechselte<br />
wie erwähnt öfters die Stelle. Ich merkte<br />
bald, dass es auch mit weniger geht. Ich<br />
ging zwei Monate auf den Bau und konnte<br />
dann ein ganzes Jahr leben. Ich verdiente<br />
damals mehr als ich heute mit der<br />
gleichen Arbeit verdienen würde. Die<br />
Löhne waren Mitte <strong>19</strong>80er Jahre höher<br />
als heute. Aber es war schampar hart.»<br />
Spielte er schon früh ein Instrument?<br />
«Nein, ich habe in Kärnten im Kirchenchor<br />
gesungen.» Er sei inzwischen aus der<br />
Kirche ausgetreten. Er sei ja schon bald<br />
AHV-positiv. «Wenn einmal der Tod<br />
kommt, will ich Ruhe haben. Kein Paradies<br />
und kein Fegefeuer. Sonst muss ich<br />
dort noch helfen, die armen Büblein vor<br />
den Priestern zu retten.»<br />
«Aber in der Familie hatten wir die Musik<br />
in der DNA. Mein Grossvater Fritz aus<br />
Trachselwald war ein Handörgeler, komponierte<br />
auch Stücke und spielte in einer<br />
Kapelle. Ich bin manchmal zu den Klängen<br />
eines Ländlers und den Geschichten<br />
der Grossmutter eingeschlafen. Und ein<br />
Schottisch ist doch wunderschön.» Aha,<br />
also Ländler noch im Ohr, aber singen im<br />
Kirchenchor. «…und Rock’n’Roll natürlich.<br />
Also damals progressive Popmusik.<br />
Beat. Bis ich erstmals richtig den Blues<br />
hörte.»<br />
Flückiger ist zum ersten mal in<br />
seinem Heimatort Auswil. Hier beim<br />
Künstler-Ehepaar Regula Farner<br />
und Menel Rachti beim Luftschloss.