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Einsame Insel bedeutet: Du musst an Land schwimmen, kein Boot kann direkt ankern.<br />
Das Salzwasser brennt in den Augen, die Kleidung ist vollgesogen, der Energieakku nach 28 Stunden<br />
Indonesien-Anreise leer. Helfer befördern das Equipment schwimmend ans Ufer, bevor sie abhauen.<br />
as Meer rauscht nicht,<br />
es brüllt mich an. Der Wind<br />
pfeift durch die Dunkelheit,<br />
Regen peitscht mir ins<br />
Gesicht. Ich zittere am<br />
ganzen Körper, meine Haut ist kalt<br />
und nass, und was von meinen<br />
Haaren übrig blieb, ist zu einem<br />
heillos verfilzten Biberschwanz<br />
auf meinem Hinterkopf verkommen.<br />
Als Schutz gegen das<br />
Unwetter liege ich eingewickelt<br />
in eine schwarze Plastikplane.<br />
Aus der Vogelperspektive muss<br />
ich wie eine schlecht verpackte<br />
Leiche aussehen, an den Strand<br />
gespült. Aber ich bin nicht tot.<br />
Dafür bin ich gerade viel zu wütend aufs Leben.<br />
Und auf mich selbst. Warum zum Teufel wollte<br />
ich unbedingt auf diese einsame Insel mitten im<br />
Indischen Ozean – ohne Zelt und vor allem ohne die<br />
geringste Ahnung, wie man einen 120-km/h-Tropensturm<br />
überlebt? Da können noch so viele Selbsthilfebücher<br />
behaupten, einmal im Leben müsse man<br />
wimmernd in Embryonalstellung am Boden liegen,<br />
weil das angeblich so heilsam sei. Ich weiß nur:<br />
Wenn ich hier weiter in Embryonalstellung verharre,<br />
stehen die Chancen gut, dass mich noch eine Palme<br />
erschlägt.<br />
Rückblende. Es waren vier Flieger, ein Speedboot<br />
und zwei Tabletten gegen Seekrankheit erforderlich,<br />
um auf dieses Archipel vor Indonesien zu kommen.<br />
Genauere Koordinaten darf ich nicht nennen. Sowohl<br />
der Name der einsamen Insel als auch die Region<br />
sind geheim. Alvaro Cerezo, ein 38-jähriger Spanier<br />
und Kopf der Zwei-Mann-Abenteuer-Reiseagentur<br />
Docastaway.com, hat mich und unseren Fotografen<br />
Philipp sogar eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben<br />
lassen. Mit Docastaway (frei übersetzt:<br />
„Schiffbruch zum Nachmachen“) bietet der studierte<br />
Betriebswirt tropische Inselaufenthalte mit Einsamkeitsgarantie<br />
an. In einer Zeit, in der man immer<br />
erreichbar sein muss und jeder Quadratmillimeter<br />
Land verbaut scheint, ist er besessen davon, den<br />
höchsten Grad an Isolation zu finden und diesen<br />
auch zu bewahren.<br />
Für Alvaro sind einsame Inseln wie eine Zeitreise,<br />
mit einer Flora und Fauna wie vor hunderten von<br />
Jahren. Tut sich ein passendes Eiland auf, beginnt die<br />
Überzeugungsarbeit. Denn jedes Stück Land dieser<br />
Welt gehört irgendjemandem: Privatbesitzern, Regierungen,<br />
dem Militär. Bei erfolgreich verhandelter<br />
Betretungserlaubnis lotst Docastaway dann Möchtegern-Robinson-Crusoes<br />
wie mich ab zirka 1000 Euro<br />
pro Woche auf die jeweilige Insel und stellt nur das<br />
Nötigste zum Überleben zur Verfügung: Macheten,<br />
eine Harpune, ein Feuerzeug, zwei Kochtöpfe, Angelleine<br />
und Angelhaken und einen 12-Liter-Kanister<br />
Trinkwasser. Das nennt sich das „Abenteuer-Paket“.<br />
Der Deal lautet: sechs Tage und fünf Nächte Survival,<br />
68 THE RED BULLETIN