Hänicher Bote | November-Ausgabe 2016
Hänicher Bote | November-Ausgabe 2016 mit dem gewerblichen Sonderthema "Gesundheit & Freizeit"
Hänicher Bote | November-Ausgabe 2016
mit dem gewerblichen Sonderthema "Gesundheit & Freizeit"
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<strong>Hänicher</strong> <strong>Bote</strong><br />
16. <strong>November</strong> <strong>2016</strong><br />
HEIMATGESCHICHTE<br />
21<br />
Historische Bauschlosserei und Schmiedewerkstatt A. Reinhard e.V.<br />
Auf der Walz<br />
(Gräfenhainichen/HäBo). Die<br />
historische Bauschlosserei und<br />
Schmiedewerkstatt A. Reinhard<br />
e.V. gewährt dem Besucher Einblick<br />
in Wanderbücher und Regelwerke<br />
des 19. Jahrhunderts.<br />
Die Regulativen der Walz – oder<br />
auch Gesellenwanderung genannt<br />
– gehen bis weit in das Mittelalter<br />
zurück.<br />
Im Wanderbuch Nr. 61 des Gesellen<br />
Carl Friedrich Loose,<br />
ehemals wohnhaft<br />
in Podelwitz bei<br />
Colditz, ist zu<br />
lesen, wie ein jeder<br />
Umherziehender<br />
sich zu<br />
verhalten hatte.<br />
„In Gemäßheit<br />
der Königlichen<br />
Sächsischen Mandate<br />
vom 7. Dezember<br />
1810 soll jeder in<br />
den Königlichen Landen die<br />
Vorschriften der Schächte (Vereinigung<br />
d. Wandersleute) beachten.“<br />
Das Wanderbuch des Gesellen<br />
Gotthelf Kirsten aus Ragwitz<br />
erinnert in elf Artikel an die Einhaltung<br />
der Gesetze im Königreich<br />
Sachsen.<br />
So musste sich der Wanderbursche<br />
des Bettelns enthalten. Er trug<br />
eine Handwerkerkluft und hatte<br />
einen Stenz (Wanderstock) dabei.<br />
Der Geselle hatte sich mit dem<br />
Zehrpfennig zu begnügen. Tat er<br />
dies nicht, sollte er als Vagabund<br />
angesehen werden. Das Wanderbuch<br />
war durch die Schächte legitimiert,<br />
so war eine Abgrenzung<br />
zum Bettler und Landstreicher gegeben.<br />
So ist in der Bekanntmachung Betreff<br />
des Wanderns der Gewerbs-<br />
Gehilfen als allerhöchste Kabinetts-Order<br />
vom 24. April 1835<br />
in 13 Artikel (Minister d. Innern<br />
und der Polizei) eine interessante<br />
Erkenntnis aus vergangenen<br />
Wanderschaften zu lesen. „Eine<br />
Großzahl von zwecklos im Lande<br />
herumschweifenden Handwerksgesellen<br />
belästigen das Publikum,<br />
gefährden die Sicherheit, besitzen<br />
keine Legitimation, kein Arbeitsbuch<br />
und kein Wanderbuch.“<br />
So wurde vom Minister darin<br />
umfassend geregelt, dass ein 30.<br />
Lebensjahr Vorraussetzung der<br />
Wanderschaft ist, die Gültigkeit<br />
des Arbeitsbuches mit fünf Jahren<br />
ausgewiesen sein musste, die<br />
gesundheitliche Eignung geregelt<br />
war und die Polizeibehörde<br />
ein Zeugnis zu erstellen hatte. Im<br />
Wanderbuch war die Wanderroute<br />
vorgegeben. Ein Abweichen hatte<br />
jeder Geselle der Polizeibehörde<br />
zur Kenntnis zu geben.<br />
Über die Wanderschaften<br />
im Ausland<br />
sowie für<br />
ausländische<br />
Handwerksgesellen<br />
galten<br />
gesonderte<br />
Regeln. So<br />
galten grundsätzlich<br />
die Artikel<br />
der inländischen<br />
Schächte<br />
bzw. Behörden, und<br />
die Betreffenden mussten<br />
innerhalb von acht Wochen vier<br />
Wochen Arbeit nachweisen.<br />
Die Gesellenwanderung hat in<br />
den vergangenen Jahrzehnten an<br />
Bedeutung verloren. Im Bauhandwerk<br />
gibt es diese Wanderschaft<br />
zum Teil noch. Wenige Schächte<br />
pflegen heute noch die Tradition<br />
der Gesellenwanderung. Die<br />
Gesellen reisen durch die Welt,<br />
um sich mit Lebensgewohnheiten<br />
und Arbeitspraktiken anderer<br />
Völker vertraut zu machen. Die<br />
Reisezeit ist eine praktische Lebensschule,<br />
während der sich der<br />
Geselle grundsätzlich nach den<br />
Regeln seiner Zunft zu verhalten<br />
hat. Oftmals war die Reisezeit mit<br />
drei Jahren und einem Tag vorgegeben.<br />
Bei der Arbeit und auf Reisen<br />
musste stets die Kluft getragen<br />
werden. Kameradschaftlichkeit,<br />
Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und<br />
Hilfsbereitschaft sind eine Selbstverständlichkeit.<br />
Der Geselle sollte<br />
ledig, schuldenfrei und kinderlos<br />
sein. Die Burschenschaften und<br />
Schächte entwickelten auch eine<br />
eigene Walzsprache. So wurde aus<br />
dem Geld der Kies, das Bett wurde<br />
zur Klappe, mit Kluft und Buxe<br />
wurde die Bekleidung bezeichnet.<br />
Das Dorf wurde zum Kaff und der<br />
Lehrbursche war ein Stift. Und der<br />
Meister? Das war der Krauter.<br />
Die Inanspruchnahme von Transportmitteln<br />
war verpönt. Die Walz<br />
diente dem Handwerker der handwerklichen<br />
Bildung. Es gehörte<br />
zur Ehrenpflicht eines reisenden<br />
Fremden, seinen Lebensunterhalt<br />
während der Reise durch Arbeit zu<br />
verdienen. In der Neuzeit verloren<br />
Regelwerke der Schächte jedoch<br />
an Bedeutung.<br />
August Friedrich Reinhard aus<br />
Gräfenhainichen war ebenfalls<br />
auf Wanderschaft. Sein Dokument<br />
geht auf das Jahr 1881 zurück und<br />
Renovierung nach Maß<br />
PORTAS-Fachbetrieb<br />
Petra Görisch<br />
Studio in Gräfenhainichen<br />
August-Bebel-Straße 30<br />
06773 Gräfenhainichen<br />
Mo – Fr: 10 – 12 Uhr und Di: 13 – 18 Uhr<br />
Tel.: 034903/68720<br />
wurde von der Polizeiverwaltung<br />
Gräfenhainichen als Arbeitsbuch<br />
Nr. 20 ausgestellt. Es begründete<br />
sich auf das Reichsgesetzblatt<br />
vom 17. Juli 1878. Das Arbeitsbuch<br />
entsprang dem Gedanken<br />
des Wanderbuches, sollte aber in<br />
modernisierter Form die Mobilität<br />
des Arbeitnehmers erhöhen.<br />
Zwickau, Dresden, Berlin, Hamburg<br />
und München belegten in<br />
seinem Arbeitsbuch in der Zeit<br />
von 1879 bis 1887 verschiedene<br />
Tätigkeiten. Eine Besonderheit ist<br />
ein Zeugnis vom 31. August 1886<br />
welches eine Schlossertätigkeit in<br />
Gräfenhainichen bei seinem Vater<br />
nachweist. Zeugnisse und Beurteilungen<br />
bestätigen seinen Fleiß und<br />
die Zufriedenheit mit der geleisteten<br />
Arbeit in jeder Weise.<br />
Rolf Hennig<br />
Historische Bauschlosserei und<br />
Schmiedewerkstatt A. Reinhard<br />
e.V.<br />
Derartige alte Wanderbücher liegen in der historische Bauschlosserei und Schmiedewerkstatt aus. Foto: R. Hennig