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FILM<br />
FOTOS: 24 BILDER/ ASCOT ELITE<br />
Momente, Erfahrungen und Beziehungen in<br />
meinem Leben, die eben doch in irgendeiner<br />
Weise mit denen von Bryon korrespondierten.<br />
Das war unglaublich hilfreich.<br />
Genauso natürlich wie meine persönliche<br />
Begegnung mit ihm selbst.<br />
Sie haben ihn getroffen?<br />
Ja, er lebt im Zeugenschutzprogramm,<br />
aber für mich wurde ein Treffen arrangiert<br />
und ich durfte ihn besuchen. Vier Tage<br />
lang saß ich bei ihm in der Garage und er<br />
rauchte in der Zeit ungefähr 3.000 Zigaretten.<br />
Ich habe das kaum ausgehalten: Kaum<br />
war eine Packung alle, wurde die nächste<br />
aufgemacht. Am liebsten wollte ich immer<br />
die Garagentür aufreißen und frische Luft<br />
hereinlassen, aber dafür war er viel zu nervös,<br />
weil er ständig fürchtet, erschossen zu<br />
werden. Vor der Vergeltung seiner ehemaligen<br />
Kameraden hat er wirklich Angst, was<br />
mich dann auch nicht sonderlich sicher<br />
fühlen ließ.<br />
Wie hat er auf Sie gewirkt?<br />
Zunächst einmal war ich erstaunt, wie wenig<br />
man noch von den Tattoos im Gesicht<br />
sieht. Er hat sie sich ja entfernen lassen,<br />
und mehr als ein paar Hautverfärbungen<br />
sind wirklich nicht zu sehen. Ansonsten war<br />
er ausgesprochen eloquent und kultiviert,<br />
ein guter Gastgeber und interessierter Gesprächspartner.<br />
Seine Frau hat er mir auch<br />
vorgestellt. Er bereut seine Vergangenheit<br />
zutiefst und weiß genau, dass er die Schuld,<br />
die er auf sich geladen hat, sein Leben lang<br />
nicht loswerden wird. Ich dachte die ganze<br />
Zeit darüber nach, wie anders sein Leben<br />
eigentlich hätte verlaufen können, denn er<br />
hätte das Zeug gehabt zu einem positiven,<br />
glücklichen Leben. Und im<br />
gleichen Atemzug habe ich mir<br />
dann die Frage gestellt, wie schnell<br />
wohl auch mein Leben ein ganz<br />
anderes hätte werden können,<br />
wäre ich nicht als Junge für diesen<br />
wunderbaren Tanzfilm namens<br />
„Billy Elliott“ besetzt worden. Eine<br />
falsche Abzweigung genügt ja<br />
meistens schon ...<br />
Können Sie die Negativität einer<br />
solchen Rolle von der eigenen<br />
Psyche fernhalten oder färbt die<br />
während der Dreharbeiten ab?<br />
Natürlich muss man versuchen, all die<br />
Emotionen der Figur möglichst nicht zu<br />
nah an sich heranzulassen. Und sich vor<br />
Augen zu führen, dass mein Leben ein<br />
ganz anderes ist und ich einen kleinen<br />
Sohn habe, für den ich ein toller Papa sein<br />
will, hilft dabei schon mal. Aber gleichzeitig<br />
kann man sich natürlich nicht vollkommen<br />
frei davon machen, schließlich<br />
muss ich die Rolle ja mit Haut und Haar<br />
verkörpern. Das Körperliche ist in diesem<br />
Fall sehr wichtig gewesen, auch jenseits<br />
der Tattoos. Ich war viel im Gym, um<br />
mich so aufzupumpen, wie es Skinheads<br />
oft tun. Außerdem wollte ich unbedingt<br />
zunehmen, deswegen habe ich ziemlich<br />
viel ungesundes Zeug gegessen, Erdnussbutter,<br />
Eis, all solche Sachen. All der<br />
Zucker hat mich echt depressiv gemacht.<br />
Und allzu erfolgreich war die Sache auch<br />
nicht, denn kaum fingen wir dann mit dem<br />
eigentlichen Dreh an, purzelten automatisch<br />
wieder die Kilos. Ich habe wirklich<br />
keine Ahnung, wie mein Kollege Christian<br />
Bale das mit seinem ständigen Ab- und<br />
Zunehmen für seine Rollen immer macht.<br />
Ich fand das echt unglaublich anstrengend<br />
und mühsam.<br />
Hatten Sie eigentlich gar keine<br />
Bedenken, einen solchen Neonazi zu<br />
spielen?<br />
Oh doch, und wie. Insgesamt habe ich<br />
dem Regisseur Guy Nattiv sicherlich<br />
viermal abgesagt. Nicht zuletzt, als im<br />
Sommer 2017 diese unfassbare rechtsextreme<br />
Demonstration durch Charlottesville<br />
zog. Ich hatte das Gefühl, es<br />
könnte unangebracht sein, eine solche<br />
Geschichte zu erzählen. Warum sollten<br />
wir diese Menschen noch mehr ins<br />
Rampenlicht rücken? Wir wissen, dass es<br />
diese Szene gibt, wir sehen es auf den<br />
Titelblättern der Zeitungen. Eine Frau ist<br />
in Charlottesville getötet worden, jemand<br />
hatte seine Tochter verloren. Muss man<br />
das noch mit einem Kinofilm befeuern?<br />
Aber dann verebbten die Schlagzeilen<br />
und ich begann wieder zu überlegen, ob<br />
es nicht doch Sinn machen könnte, davon<br />
zu erzählen, dass sich Menschen ändern<br />
können. Und dass es gerade in Zeiten wie<br />
diesen hilfreich sein könnte, Geschichten<br />
zu sehen, die auch davon handeln, welche<br />
Wirkung die Güte und Großzügigkeit von<br />
Fremden haben kann. Denn wir sehen ja<br />
auch Menschen wie den Antifaschisten<br />
Daryle Lamont Jenkins, die Bryon dabei<br />
geholfen haben, sein Leben zu verändern.<br />
Sie haben „Billy Elliott“ bereits<br />
erwähnt. Der Film ist 19 Jahre her,<br />
damals waren Sie 14 Jahre alt und<br />
spielten Ihre erste Rolle. Hatten Sie<br />
einen Plan, wie Ihnen der Übergang<br />
vom Kinderstar zum erwachsenen<br />
Schauspieler gelingen würde?<br />
Absolut nicht. Aber ich war immer von guten<br />
Leuten umgeben, die mich in die richtige<br />
Richtung gelenkt haben. Ihnen und<br />
mir ging es immer eher um eine langfristige<br />
Karriere als um schnellen Erfolg oder<br />
so. Deswegen habe ich stets versucht, mit<br />
spannenden Filmemachern zu<br />
arbeiten und interessante, auch<br />
kleine Rollen zu spielen, und<br />
mich nicht als Hauptdarsteller in<br />
irgendwelchem Mist verheizen<br />
zu lassen.<br />
*Interview: Jonathan Fink<br />
„Skin“, Kinostart: 3.10.