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GAB September 2019

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FILM<br />

FOTOS: 24 BILDER/ ASCOT ELITE<br />

Momente, Erfahrungen und Beziehungen in<br />

meinem Leben, die eben doch in irgendeiner<br />

Weise mit denen von Bryon korrespondierten.<br />

Das war unglaublich hilfreich.<br />

Genauso natürlich wie meine persönliche<br />

Begegnung mit ihm selbst.<br />

Sie haben ihn getroffen?<br />

Ja, er lebt im Zeugenschutzprogramm,<br />

aber für mich wurde ein Treffen arrangiert<br />

und ich durfte ihn besuchen. Vier Tage<br />

lang saß ich bei ihm in der Garage und er<br />

rauchte in der Zeit ungefähr 3.000 Zigaretten.<br />

Ich habe das kaum ausgehalten: Kaum<br />

war eine Packung alle, wurde die nächste<br />

aufgemacht. Am liebsten wollte ich immer<br />

die Garagentür aufreißen und frische Luft<br />

hereinlassen, aber dafür war er viel zu nervös,<br />

weil er ständig fürchtet, erschossen zu<br />

werden. Vor der Vergeltung seiner ehemaligen<br />

Kameraden hat er wirklich Angst, was<br />

mich dann auch nicht sonderlich sicher<br />

fühlen ließ.<br />

Wie hat er auf Sie gewirkt?<br />

Zunächst einmal war ich erstaunt, wie wenig<br />

man noch von den Tattoos im Gesicht<br />

sieht. Er hat sie sich ja entfernen lassen,<br />

und mehr als ein paar Hautverfärbungen<br />

sind wirklich nicht zu sehen. Ansonsten war<br />

er ausgesprochen eloquent und kultiviert,<br />

ein guter Gastgeber und interessierter Gesprächspartner.<br />

Seine Frau hat er mir auch<br />

vorgestellt. Er bereut seine Vergangenheit<br />

zutiefst und weiß genau, dass er die Schuld,<br />

die er auf sich geladen hat, sein Leben lang<br />

nicht loswerden wird. Ich dachte die ganze<br />

Zeit darüber nach, wie anders sein Leben<br />

eigentlich hätte verlaufen können, denn er<br />

hätte das Zeug gehabt zu einem positiven,<br />

glücklichen Leben. Und im<br />

gleichen Atemzug habe ich mir<br />

dann die Frage gestellt, wie schnell<br />

wohl auch mein Leben ein ganz<br />

anderes hätte werden können,<br />

wäre ich nicht als Junge für diesen<br />

wunderbaren Tanzfilm namens<br />

„Billy Elliott“ besetzt worden. Eine<br />

falsche Abzweigung genügt ja<br />

meistens schon ...<br />

Können Sie die Negativität einer<br />

solchen Rolle von der eigenen<br />

Psyche fernhalten oder färbt die<br />

während der Dreharbeiten ab?<br />

Natürlich muss man versuchen, all die<br />

Emotionen der Figur möglichst nicht zu<br />

nah an sich heranzulassen. Und sich vor<br />

Augen zu führen, dass mein Leben ein<br />

ganz anderes ist und ich einen kleinen<br />

Sohn habe, für den ich ein toller Papa sein<br />

will, hilft dabei schon mal. Aber gleichzeitig<br />

kann man sich natürlich nicht vollkommen<br />

frei davon machen, schließlich<br />

muss ich die Rolle ja mit Haut und Haar<br />

verkörpern. Das Körperliche ist in diesem<br />

Fall sehr wichtig gewesen, auch jenseits<br />

der Tattoos. Ich war viel im Gym, um<br />

mich so aufzupumpen, wie es Skinheads<br />

oft tun. Außerdem wollte ich unbedingt<br />

zunehmen, deswegen habe ich ziemlich<br />

viel ungesundes Zeug gegessen, Erdnussbutter,<br />

Eis, all solche Sachen. All der<br />

Zucker hat mich echt depressiv gemacht.<br />

Und allzu erfolgreich war die Sache auch<br />

nicht, denn kaum fingen wir dann mit dem<br />

eigentlichen Dreh an, purzelten automatisch<br />

wieder die Kilos. Ich habe wirklich<br />

keine Ahnung, wie mein Kollege Christian<br />

Bale das mit seinem ständigen Ab- und<br />

Zunehmen für seine Rollen immer macht.<br />

Ich fand das echt unglaublich anstrengend<br />

und mühsam.<br />

Hatten Sie eigentlich gar keine<br />

Bedenken, einen solchen Neonazi zu<br />

spielen?<br />

Oh doch, und wie. Insgesamt habe ich<br />

dem Regisseur Guy Nattiv sicherlich<br />

viermal abgesagt. Nicht zuletzt, als im<br />

Sommer 2017 diese unfassbare rechtsextreme<br />

Demonstration durch Charlottesville<br />

zog. Ich hatte das Gefühl, es<br />

könnte unangebracht sein, eine solche<br />

Geschichte zu erzählen. Warum sollten<br />

wir diese Menschen noch mehr ins<br />

Rampenlicht rücken? Wir wissen, dass es<br />

diese Szene gibt, wir sehen es auf den<br />

Titelblättern der Zeitungen. Eine Frau ist<br />

in Charlottesville getötet worden, jemand<br />

hatte seine Tochter verloren. Muss man<br />

das noch mit einem Kinofilm befeuern?<br />

Aber dann verebbten die Schlagzeilen<br />

und ich begann wieder zu überlegen, ob<br />

es nicht doch Sinn machen könnte, davon<br />

zu erzählen, dass sich Menschen ändern<br />

können. Und dass es gerade in Zeiten wie<br />

diesen hilfreich sein könnte, Geschichten<br />

zu sehen, die auch davon handeln, welche<br />

Wirkung die Güte und Großzügigkeit von<br />

Fremden haben kann. Denn wir sehen ja<br />

auch Menschen wie den Antifaschisten<br />

Daryle Lamont Jenkins, die Bryon dabei<br />

geholfen haben, sein Leben zu verändern.<br />

Sie haben „Billy Elliott“ bereits<br />

erwähnt. Der Film ist 19 Jahre her,<br />

damals waren Sie 14 Jahre alt und<br />

spielten Ihre erste Rolle. Hatten Sie<br />

einen Plan, wie Ihnen der Übergang<br />

vom Kinderstar zum erwachsenen<br />

Schauspieler gelingen würde?<br />

Absolut nicht. Aber ich war immer von guten<br />

Leuten umgeben, die mich in die richtige<br />

Richtung gelenkt haben. Ihnen und<br />

mir ging es immer eher um eine langfristige<br />

Karriere als um schnellen Erfolg oder<br />

so. Deswegen habe ich stets versucht, mit<br />

spannenden Filmemachern zu<br />

arbeiten und interessante, auch<br />

kleine Rollen zu spielen, und<br />

mich nicht als Hauptdarsteller in<br />

irgendwelchem Mist verheizen<br />

zu lassen.<br />

*Interview: Jonathan Fink<br />

„Skin“, Kinostart: 3.10.

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