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STADTBLATT_2019_10

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kino<br />

Lauf, wenn du kannst<br />

Thriller mit sozialem Gewicht: In drei Filmen aus der jüngeren Zeit greifen die Klassen zu den<br />

Waffen. Einer davon, „The Hunt“, wurde vorläufig gestoppt. „Ready or Not – Auf die Plätze,<br />

fertig, tot“ und „Parasite“ kommen ins Kino und erzählen absurde Geschichten über die da oben.<br />

die Kurzgeschichte „The Most<br />

Dangerous Game“ ist in den<br />

USA Schullektüre. Richard<br />

Connell veröffentlichte sie 1924 im<br />

Magazin „Collier’s“, mit ungeahntem<br />

Erfolg. Der Stoff wurde vielfach als Hörspiel,<br />

Kinofilm und fürs Fernsehen<br />

adaptiert. Connell erzählte vom<br />

Schicksal eines Großwildjägers, der<br />

während einer Seereise über Bord geht<br />

und auf einer Insel landet, die nur von<br />

General Zaroff und seinem Adlatus bewohnt<br />

wird. Auch Zaroff frönte einst<br />

der Großwildjagd. Die reizt ihn nicht<br />

mehr, er hat ein neues Hobby gefunden:<br />

Er setzt Schiffbrüchige auf seiner<br />

Insel aus, dann bringt er sie zur Strecke.<br />

Bislang ist ihm noch niemand entkommen.<br />

Der zeitlose allegorische Charakter<br />

der Geschichte erlaubt es, sie immer<br />

wieder aufs Neue zu aktualisieren. Eigentlich<br />

hätte im vergangenen Monat<br />

eine Neuverfilmung in deutsche Kinos<br />

kommen sollen. „The Hunt“ hieß der<br />

Film, in dem eine begüterte Elite zur<br />

Pirsch auf Angehörige der Arbeiterklasse<br />

einlädt. Das Drehbuch stammt<br />

von Nick Cuse und Damon Lindelof,<br />

die durch hochwertige TV-Serien bekannt<br />

wurden.<br />

Kurz vor dem US-Start sagte die Produktionsfirma<br />

Universal die Premiere<br />

ab und nahm dabei Bezug auf Amok -<br />

läufe in Dayton und El Paso. Aber auch<br />

US-Präsident Donald Trump hatte sich<br />

indirekt abfällig über den Film<br />

geäußert, als er in einem Tweet das<br />

„liberale Hollywood“ als „rassistisch“<br />

brandmarkte und gleich mal einem<br />

kompletten Industriezweig Gewaltverherrlichung<br />

vorwarf. Wobei zweifelhaft<br />

Einschleichen bei den Wohlhabenden: „Parasite“<br />

Makabres Hochzeitsspiel der<br />

oberen Zehntausend: „Ready or<br />

Not – Auf die Plätze fertig, tot“<br />

ist, dass er den Film je gesehen hat.<br />

Nun kommt weitaus unauffälliger<br />

der Film „Ready or Not“ daher, was daran<br />

liegen mag, dass die Autoren den<br />

Thrill mit einer gehörigen Portion<br />

schwarzen Humors mischen. Aber<br />

auch dieser Film dürfte dem Mann mit<br />

der Glatzentarnfrisur nicht behagen.<br />

Dabei beginnt es so romantisch: Grace<br />

(Samara Weaving) ist mit Alex Le<br />

Domas (Mark O’Brien) verlobt, dem<br />

Spross einer wohlhabenden Familie,<br />

die mit Brett- und Kartenspielen reich<br />

geworden ist.<br />

Der Spieltrieb sitzt bei den Le Domas’<br />

in den Genen. Und so ist es alter<br />

Brauch, dass Familienzugänge ein<br />

Spiel absolvieren müssen. Grace, noch<br />

immer im Hochzeitskleid, zieht ein Los<br />

und erwischt das klassische Versteckspiel.<br />

Ein harmloser Spleen, wie es<br />

scheint. Sie zieht los, versteckt sich<br />

im Lastenaufzug, die anderen beginnen<br />

mit der Suche. Was Grace nicht<br />

weiß: alle sind bewaffnet. Und plötzlich<br />

fällt ein Schuss ...<br />

Auch hier also gefühllose Vertreter<br />

der oberen Zehntausend, die nach Gutdünken<br />

und mit tödlichen Konsequenzen<br />

über andere verfügen. Es kann<br />

nicht schaden, wenn man darüber ins<br />

Nachdenken gerät.<br />

Schauen wir noch in ein weiteres<br />

Luxusanwesen. Die Villa der Parks ist<br />

das ganze Gegenteil der muffigen Kellerwohnung<br />

der Familie Kim, die sich<br />

ihren dürftigen Lebensunterhalt mit<br />

dem Falten von Pizzakartons verdient.<br />

Dann erhält der Sohn Ki-woo Gelegenheit,<br />

Nachhilfelehrer der Park-Tochter<br />

Da-hye zu werden.<br />

Sein Universitätsdiplom ist gefälscht,<br />

aber mit Geschick und viel<br />

Charme nimmt er Mutter und Tochter<br />

im Nu für sich ein. Zufällig hat auch<br />

der Sohn des Hauses Nachhilfe nötig,<br />

und das Schlitzohr Ki-woo kann jemanden<br />

empfehlen: seine Schwester<br />

Ki-jung.<br />

Nach und nach rückt die gesamte<br />

Familie Kim bei den Parks an. Der Vater<br />

wird Chauffeur, die Mutter Haushaltshilfe.<br />

Die verwandtschaftlichen<br />

Verhältnisse behalten sie für sich. Eine<br />

charmante Gaunerkomödie mit sozialkritischem<br />

Einschlag, könnte man<br />

denken und liegt nicht falsch.<br />

Aber der koreanische Regisseur<br />

Joon-ho Bong wird in „Parasite“ noch<br />

bissiger. Um das Elend hinter sich zu<br />

lassen, müssen die Kims in einen<br />

Kleinkrieg eintreten, andere Angestellte<br />

verdrängen, ihre Arbeitgeber irreführen.<br />

Qualifikationen, die auch in<br />

den oberen Milieus durchaus vertreten<br />

sind, dort aber ganz anders gewürdigt<br />

werden. Mit jährlichen Bonuszahlungen<br />

zum Beispiel.<br />

Am Ende geht es auch in diesem<br />

Film handfest zur Sache. Das Wort<br />

Klassenkampf ist außer Mode geraten.<br />

Hier kommt es zu seinem Recht. Mit<br />

seinem ausgeklügelten, politisch bewussten<br />

Genremix gewann Joon-ho<br />

Bong <strong>2019</strong> die Goldene Palme von<br />

Cannes.<br />

HARALD KELLER<br />

Ready Or Not – Auf die Plätze, fertig, tot<br />

USA <strong>2019</strong>. R: Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett.<br />

D: Samara Weaving, Adam Brody, Andie MacDowell<br />

u. a.<br />

P ab 26.9., Cinema Arthouse<br />

Parasite<br />

Südkorea <strong>2019</strong>. R: Joon-ho Bong. D: Kang-ho Song,<br />

Sun-kyun Lee, Yeo-jeong Jo u. a.<br />

P ab 17.<strong>10</strong>., Cinema Arthouse<br />

36 <strong>STADTBLATT</strong> <strong>10</strong>.<strong>2019</strong>

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