prima! Magazin – Ausgabe Februar 2020
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Foto © Walter Reiss
Hätte es 1995 schon soziale
Medien gegeben, wäre vermutlich
ein Shitstorm mit
aggressiven Hasspostings
über Sie hereingebrochen. Es
gab damals Morddrohungen
gegen Sie und Ihre Familie.
Gertraud Knoll: Schon in
der Nacht nach dem Attentat
hörte ich auf meinem Anrufbeantworter
„Und du Judensau
wirst auch bald brennen!“
Noch schlimmer wurde es
dann nach der Predigt beim
Trauergottesdienst. Ab dann
war ich nicht nur als erste
Frau im bischöflichen Amt
medial interessant, sondern
ich war politisch exponiert
wie nie zuvor. Und ich bleibe
dabei: Wer sich Christ nennt,
darf nicht schweigen, wenn
Menschen anderer Hautfarbe
oder fremder Herkunft als
Wesen zweiter Klasse behandelt
werden. Menschenwürde
und Menschenrechte sind
unteilbar.
Hat man im politischen Alltag
seit diesem furchtbaren
politisch motivierten Mord
aus der Geschichte gelernt?
Sie waren ja selbst auch
Nationalratsabgeordnete und
Bundesrätin der SPÖ.
Gertraud Knoll: Politik
wird heute von der Frage
beherrscht: Wie kann man
Wählerinnen und Wähler am
besten manipulieren? Verpackung
und Marketing sind
wichtiger als Inhalte. Doch
manipulierte Menschen, die
ja nicht dumm sind, kommen
drauf, dass sie für blöd verkauft
werden. Es entstehen
Orientierungslosigkeit, Wut
und Angst. Und schon sind
wir wieder bei der Frage: Wer
ist schuld daran? Die Antwort
kommt wie ein Reflex: Es
sind die Ausländer, es sind die
Fremden. Diese so verdammt
einfach klingende Zuschreibung
ist das Tiefste und
Verhängnisvollste, das wir aus
der Geschichte kennen. Wir
sollten längst gelernt haben,
dass das Treten nach unten,
nach den noch Schwächeren,
den nicht glücklich macht,
der tritt.
Und auch im Umgang mit
dem Nationalsozialismus und
seinen Folgen gilt es noch
weiterhin, zu lernen. In einer
Rede auf dem Fest der Freude
Gertraud Knoll-Lacina
Bekannt wurde die gebürtige Oberösterreicherin schon 1985 als
erste Pfarrerin der Evangelischen Diözese AB im Burgenland.
Große mediale Aufmerksamkeit galt ihr dann 1994, als sie als erste
Superintendentin Österreichs ihr Amt im Burgenland antrat, das
sie bis 2002 ausübte.
Für ihr engagiertes Auftreten gegen Diskriminierung und für
Menschenrechte wurde sie mit der Friedrich-Torberg-Medaille der
Israelitischen Kultusgemeinde und von den Lutherstädten mit dem
Preis „Das unerschrockene Wort“ ausgezeichnet.
Von 1995 bis 1997 beherbergte sie sechs afghanische Kinder, zunächst
im Kirchenasyl und danach als Pflegeeltern gemeinsam
mit ihrem damaligen Ehemann, weil die Flüchtlingskinder aus der
Bundesbetreuung herausgefallen waren.
1989 trat sie als überparteiliche Kandidatin zur Bundespräsidentschaftswahl
an. Amtsinhaber Thomas Klestil wurde zum zweiten
Mal gewählt, Gertraud Knoll erreichte den zweiten Platz vor den
Mitbewerbern Heide Schmidt und Richard Lugner.
Wie schon bei ihrer Predigt beim Trauergottesdienst für die vier
ermordeten Roma in Oberwart 1995 sorgte auch eine 2000 bei
einer Großkundgebung gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ
unter Wolfgang Schüssel gehaltene Rede gegen Rassismus und
Sozialabbau für Anfeindungen vor allem aus dem rechten Lager.
2003 bis 2007 leitete sie die Zukunfts- und Kulturwerkstätte der
SPÖ, dann war sie Mitglied des Bundesrates und Nationalratsabgeordnete.
2008 trat sie aus der Evangelischen Kirche aus, aus Protest
gegen einen ‚Hirtenbrief‘ des Kärntner Superintendenten Manfred
Sauer, in dem betont wurde, Jörg Haider habe „wie kein anderer
das politische Geschehen der Zweiten Republik mitgeprägt und
gestaltet“...und sei „ein äußerst zuvorkommender, herzlicher und
einfühlsamer Mensch“ gewesen.
Nach der Scheidung vom Theologen Otmar Knoll, dem Vater ihrer
drei Kinder, lebte sie mit ihnen in Wien – seit 2006 gemeinsam
mit ihrem zweiten Ehemann, dem ehemaligen Finanzminister
Ferdinand Lacina.
im Gedenken an das Ende des
Zweiten Weltkriegs habe ich
1995 gesagt: „Gottseidank ist
dieser Krieg verloren gegangen!“
Ich werde nie vergessen,
als daraufhin der Leiter des
Jewish Welcome Service, Leon
Zelman tief bewegt war. Er
hätte sich nie träumen lassen,
so einen Satz in Österreich
von einer Österreicherin zu
hören.
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FEBRUAR 2020
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