28.01.2020 Aufrufe

prima! Magazin – Ausgabe Februar 2020

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Foto © Walter Reiss

Hätte es 1995 schon soziale

Medien gegeben, wäre vermutlich

ein Shitstorm mit

aggressiven Hasspostings

über Sie hereingebrochen. Es

gab damals Morddrohungen

gegen Sie und Ihre Familie.

Gertraud Knoll: Schon in

der Nacht nach dem Attentat

hörte ich auf meinem Anrufbeantworter

„Und du Judensau

wirst auch bald brennen!“

Noch schlimmer wurde es

dann nach der Predigt beim

Trauergottesdienst. Ab dann

war ich nicht nur als erste

Frau im bischöflichen Amt

medial interessant, sondern

ich war politisch exponiert

wie nie zuvor. Und ich bleibe

dabei: Wer sich Christ nennt,

darf nicht schweigen, wenn

Menschen anderer Hautfarbe

oder fremder Herkunft als

Wesen zweiter Klasse behandelt

werden. Menschenwürde

und Menschenrechte sind

unteilbar.

Hat man im politischen Alltag

seit diesem furchtbaren

politisch motivierten Mord

aus der Geschichte gelernt?

Sie waren ja selbst auch

Nationalratsabgeordnete und

Bundesrätin der SPÖ.

Gertraud Knoll: Politik

wird heute von der Frage

beherrscht: Wie kann man

Wählerinnen und Wähler am

besten manipulieren? Verpackung

und Marketing sind

wichtiger als Inhalte. Doch

manipulierte Menschen, die

ja nicht dumm sind, kommen

drauf, dass sie für blöd verkauft

werden. Es entstehen

Orientierungslosigkeit, Wut

und Angst. Und schon sind

wir wieder bei der Frage: Wer

ist schuld daran? Die Antwort

kommt wie ein Reflex: Es

sind die Ausländer, es sind die

Fremden. Diese so verdammt

einfach klingende Zuschreibung

ist das Tiefste und

Verhängnisvollste, das wir aus

der Geschichte kennen. Wir

sollten längst gelernt haben,

dass das Treten nach unten,

nach den noch Schwächeren,

den nicht glücklich macht,

der tritt.

Und auch im Umgang mit

dem Nationalsozialismus und

seinen Folgen gilt es noch

weiterhin, zu lernen. In einer

Rede auf dem Fest der Freude

Gertraud Knoll-Lacina

Bekannt wurde die gebürtige Oberösterreicherin schon 1985 als

erste Pfarrerin der Evangelischen Diözese AB im Burgenland.

Große mediale Aufmerksamkeit galt ihr dann 1994, als sie als erste

Superintendentin Österreichs ihr Amt im Burgenland antrat, das

sie bis 2002 ausübte.

Für ihr engagiertes Auftreten gegen Diskriminierung und für

Menschenrechte wurde sie mit der Friedrich-Torberg-Medaille der

Israelitischen Kultusgemeinde und von den Lutherstädten mit dem

Preis „Das unerschrockene Wort“ ausgezeichnet.

Von 1995 bis 1997 beherbergte sie sechs afghanische Kinder, zunächst

im Kirchenasyl und danach als Pflegeeltern gemeinsam

mit ihrem damaligen Ehemann, weil die Flüchtlingskinder aus der

Bundesbetreuung herausgefallen waren.

1989 trat sie als überparteiliche Kandidatin zur Bundespräsidentschaftswahl

an. Amtsinhaber Thomas Klestil wurde zum zweiten

Mal gewählt, Gertraud Knoll erreichte den zweiten Platz vor den

Mitbewerbern Heide Schmidt und Richard Lugner.

Wie schon bei ihrer Predigt beim Trauergottesdienst für die vier

ermordeten Roma in Oberwart 1995 sorgte auch eine 2000 bei

einer Großkundgebung gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ

unter Wolfgang Schüssel gehaltene Rede gegen Rassismus und

Sozialabbau für Anfeindungen vor allem aus dem rechten Lager.

2003 bis 2007 leitete sie die Zukunfts- und Kulturwerkstätte der

SPÖ, dann war sie Mitglied des Bundesrates und Nationalratsabgeordnete.

2008 trat sie aus der Evangelischen Kirche aus, aus Protest

gegen einen ‚Hirtenbrief‘ des Kärntner Superintendenten Manfred

Sauer, in dem betont wurde, Jörg Haider habe „wie kein anderer

das politische Geschehen der Zweiten Republik mitgeprägt und

gestaltet“...und sei „ein äußerst zuvorkommender, herzlicher und

einfühlsamer Mensch“ gewesen.

Nach der Scheidung vom Theologen Otmar Knoll, dem Vater ihrer

drei Kinder, lebte sie mit ihnen in Wien – seit 2006 gemeinsam

mit ihrem zweiten Ehemann, dem ehemaligen Finanzminister

Ferdinand Lacina.

im Gedenken an das Ende des

Zweiten Weltkriegs habe ich

1995 gesagt: „Gottseidank ist

dieser Krieg verloren gegangen!“

Ich werde nie vergessen,

als daraufhin der Leiter des

Jewish Welcome Service, Leon

Zelman tief bewegt war. Er

hätte sich nie träumen lassen,

so einen Satz in Österreich

von einer Österreicherin zu

hören.

bitte umblättern >>

FEBRUAR 2020

5

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!