Nr. 30 - November / Dezember 2010

Unterwegs in Frankreich Angers
Links: Wo früher Autos entlang rollten, fahren
bald nur noch Straßenbahnen. Oben: Place
Sainte-Croix mit zahlreichen Bistros. Unten: Die
Rue Saint-Aubin, eine der Haupteinkaufsstraßen.
Rechte Seite oben: Der mittelalterliche
Wandteppichzyklus. Unten: Gärten
im Innenhof der Burg.
S. 42/43: Blick vom Quais de Ligny auf
die Kathedrale Saint-Maurice.
Alle, die diesem Spektakel zufällig beiwohnten, bekamen
einen Eindruck davon, wie sich die Stadt zukünftig
verändern wird. Die Straßenbahn kann dabei mit großem
Wohlwollen bei den Einheimischen, die die Tram wegen
der Farben der Wagen liebevoll « Regenbogen » nennen,
rechnen. Der Ärger einiger über die vielen Staus während
der Bauarbeiten für die erste Tramstrecke der Stadt, die
insgesamt zwölf Kilometer misst, ist bereits vor der endgültigen
Inbetriebnahme weitestgehend verflogen. Die
Einführung dieses neuen Fortbewegungsmittels kann also
schon heute als Erfolg auf ganzer Linie bezeichnet werden,
insbesondere wenn man bedenkt, wie stark ähnliche Projekte
in Paris und Bordeaux von den dortigen Bewohnern
bekämpft wurden.
In gewisser Weise sagt dies einiges über den Charakter
der Kleinstadt im Westen Frankreichs aus. Angers entwickelt
sich ohne viel Wirbel in einem für die Stadt eigenen
Rhythmus und ist dabei stets besorgt, die Lebensqualität
für die eigenen Bewohner zu erhöhen. Mit der Tram steigt
die Kommune in den privilegierten Kreis von Städten auf,
die durch die Einführung einer Straßenbahn zu einer Dynamisierung
ihrer Innenstädte beitrugen.
In den letzten zehn Jahren gab es in Frankreich ein unvergleichliches
Revival der Tram. Fast jede größere Kommune
entwickelte ihre eigenen Projekte. Da Angers eher
etwas spät dran ist, konnte die Stadt aus den Fehlern, die
andernorts begangen wurden, lernen. So werden in Angers
beispielsweise die Schienen auf acht der insgesamt zwölf
Kilometer in einem Rasenbett verlegt, eine Methode, die
sich in anderen Städten zuvor als sehr vorteilhaft erwies.
Hinzu kommen 1.600 neue Bäume entlang der Strecke,
was gleichzeitig zu einer Aufwertung der betroffenen Boulevards
führt. So wird die neue Tram ab kommendem Jahr
ein weiteres Mosaiksteinchen für das positive Image der
Stadt bilden.
Wenn man die Einheimischen danach fragt, was ihre
Stadt so lebenswert macht, antworten sie gerne: la douceur
de vivre (dt. sinngemäß das idyllische/harmonische Leben).
Hochtrabende Worte, die sehr subjektiv sind und sich kaum
klar definieren lassen. Welche Stadt träumt nicht davon,
44 · Frankreich erleben · November / Dezember 2010