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Emanuel Eckardt<br />
HALTE SCHRITT<br />
KURT GANSKE<br />
UND SEINE ZEIT<br />
| Hoffmann und Campe |<br />
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1. Aufl age 2005 Copyright © 2005 by<br />
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg<br />
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INHALT<br />
Annäherung an einen Unsichtbaren 7<br />
Kindheit und Jugend 17<br />
Die zwanziger Jahre 33<br />
Die dreißiger Jahre 53<br />
Im Krieg 81<br />
Neustart 99<br />
Die fünfziger Jahre 125<br />
Blätter im Aufwind 155<br />
Dichter und Verleger 181<br />
Einsame Wege 205<br />
Zeittafel 225<br />
Register 233<br />
Bildnachweis 243<br />
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ANNÄHERUNG AN<br />
EINEN UNSICHTBAREN<br />
Wer war Kurt <strong>Ganske</strong>? – Bilder eines Unbekannten –<br />
Der Kommandierende General – Das beunruhigende<br />
Schweigen – Erinnerungen an den Vater<br />
Ein Mann im Hintergrund. »Deutschlands unbekanntester Verleger«<br />
– so stand es in einem Nachruf. Keine Schlagzeilen, keine<br />
Skandale, kein Bild, das sich mit dem Namen verbindet, kein Interview,<br />
das er gegeben hätte, kein Text von seiner Hand, keine<br />
Rede. Er trat in keiner Talkshow auf, hinterließ kein Bonmot, an<br />
das sich jemand erinnern könnte, keine These, an der sich die<br />
Nachwelt reiben könnte. Er hinterließ ein Vermögen. Er hinterließ<br />
einen Konzern, ein Lebenswerk von bedeutender Größe und<br />
Vielfalt. Er schrieb deutsche Pressegeschichte, Verlagsgeschichte,<br />
aber nie trat er als Person in Erscheinung.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> war Erfi nder, Konstrukteur und Regent eines<br />
Unternehmens, das so verschiedene Facetten umfasste wie das<br />
Traditionsblatt Rheinischer Merkur und den Lesezirkel Daheim, die<br />
Zeitschriften Merian oder Film und Frau. Sein Jahreszeiten Verlag<br />
erlebte mit Titeln wie Für Sie und Petra, Vital und Selbermachen, Der<br />
Feinschmecker, Zuhause und Architektur &Wohnen eine erfolgreiche<br />
Gründung nach der anderen, während der Hoffmann und<br />
Campe Verlag und seine Autoren, allen voran Siegfried Lenz, die<br />
Bestsellerlisten eroberten – Erfolge eines Großunternehmens, das<br />
in allen Zweigen über tausend Mitarbeiter zählte, Erfolge eines<br />
Unternehmers, der es verstand, Talente zu fi nden, zu fördern und<br />
an sein Haus zu binden.<br />
Wer war Kurt <strong>Ganske</strong>? Merkwürdige Geschichten waren im<br />
Umlauf. Gab es ihn überhaupt? Wie sah er aus? Hatte er einen<br />
Tunnel gegraben, um in sein Büro zu kommen? Warum haben<br />
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7
Menschen, die jahrelang für ihn gearbeitet haben, manche im<br />
gleichen Haus, andere im Haus nebenan, ihn nie zu Gesicht<br />
bekommen? Sie sahen Licht hinter den Fenstern, aber nie den<br />
Mann, der dort arbeitete. Sein Arbeitszimmer lag im ersten Stock<br />
einer schlossartigen Villa in Hamburg an der Alster, mit spitzem<br />
Turm und hohen Fenstern, Harvestehuder Weg Nummer 41, bevorzugte<br />
Wohnlage, ein Haus wie geschaffen als Kulisse eines hanseatischen<br />
Familienromans. Das Balkonzimmer blickt aufs Wasser.<br />
Seine Erwerbshöhle. Man wusste, wann der Verleger im Haus war,<br />
es sprach sich herum. Natürlich gab es Ausnahmen, Menschen,<br />
die zu ihm durften. Es gab Zeichen seines Daseins. Wenn jemand<br />
mit einer Mappe durchs Haus eilte, auf der »K.G.« stand, hätte es<br />
niemand gewagt, ihn für ein Schwätzchen anzuhalten. Die Mappe<br />
hatte es eilig, strebte nach oben, die ewig knarzende Treppe der<br />
Villa hinauf, ins Vorzimmer von Kurt <strong>Ganske</strong>. Dort saß Fräulein<br />
Neveling, wie sie genannt wurde und wohl auch genannt werden<br />
wollte: Das Fräulein war eine ältere Dame, eine Respektsperson.<br />
Niemand kam an ihr vorbei. Sie wachte vor seiner Tür. Dahinter<br />
saß K.G.<br />
Alle nannten ihn K.G., seine Mitarbeiter, die persönlichen Assistenten,<br />
die leitenden Angestellten und auch Fräulein Neveling.<br />
K.G. stand als Signatur unter seinen knappen Anweisungen, mit<br />
grünem Stift und in großer Schrift an den Rand einer Akte oder<br />
eines Briefes geschrieben. K.G. war ein personifi ziertes Machtwort.<br />
Er war K.G. für seinen Fahrer, für die Chefredakteure und<br />
die Autoren seiner Verlage, für seine Geschäftspartner, für seine<br />
Freunde, seine Kinder und auch für seine Frau. Ein Autor übersetzte<br />
K.G. mit »Kommandierender General«, treffend wohl für<br />
seine unbestreitbare Autorität, auch für sein strategisches Denken,<br />
aber zum Befehlshaber fehlte ihm das Schneidige im Auftritt.<br />
Der Auftritt fand nicht statt, Bühnen waren ihm verhasst, Appelle<br />
auch und Schlachtenlärm erst recht. Befehle waren nicht sein Stil.<br />
K.G. war ein Herr. Er pfl egte das distanzierende und respektvolle<br />
8<br />
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Familienfoto um 1910: Anna und Richard <strong>Ganske</strong><br />
mit den Kindern Kurt und Käthe<br />
»Sie«, auch gegenüber seinen Freunden. Die Anrede war »Herr<br />
<strong>Ganske</strong>«. Nur Menschen, die ihm wirklich nahe standen, durften<br />
K.G. zu ihm sagen.<br />
Mutmaßungen über K.G. Es gab Versuche, sein Zurückgezogensein<br />
zu erklären; es gehörte zu seiner Aura, sagen die einen, zu seinem<br />
Selbstverständnis als Unternehmer, der im Hintergrund wirkt,<br />
Distanz habe auch etwas mit Macht zu tun. »Er sprach grundsätzlich<br />
nur mit den entscheidenden Leuten, und das war ein sehr<br />
kleiner Kreis«, erklärte Jochen Karsten, langjähriger Chefredakteur<br />
im Hause und in frühen Jahren sein Assistent. K.G. delegierte<br />
Verantwortung, mischte sich nicht ein, pfl egte das Prinzip der<br />
langen Leine. War sie so lang, dass der Mann, der sie in Händen<br />
hielt, nicht mehr zu sehen war? Nicht zu sehen sein wollte?<br />
Die Zeitzeugen, die Kurt <strong>Ganske</strong> gekannt haben, kommen in<br />
die Jahre, viele sind gestorben. Er lebte zweimal, wie viele seiner<br />
Generation – zweimal baute er sein Unternehmen auf, und<br />
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9
zwei Persönlichkeiten schälen sich aus Dokumenten und Erinnerungsstücken:<br />
der Lebemann, Genießer und Connaisseur in<br />
den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, der Mannschaftssportler,<br />
der das Zusammenspiel mit seinem Team offenbar genoss, ein<br />
dynamischer Entwickler, ein Aufsteiger, der nie den Bodenkontakt<br />
verliert, rastlos, dynamisch, ein Reisender zu den Baustellen<br />
seines Erfolges. Die Erfahrungen des Krieges prägen ihn tief.<br />
Ein Einschnitt, der sein Leben verändert. Die Biografi e des Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> steht exemplarisch für die Zähigkeit seiner Generation,<br />
für den zweiten Anlauf in der Mitte des Lebens, für den Neustart<br />
aus dem Nichts, für den Kraftakt von Wiederaufbau und Konsolidierung.<br />
Die Vernichtung seiner Firmen setzt neue, andere<br />
Kräfte frei. Nachdenklichkeit, Konzentration auf das Wesentliche.<br />
Der andere Kurt <strong>Ganske</strong> wird sichtbar, der Konstrukteur seines<br />
Unternehmens, der sich gesellschaftlichen Verpfl ichtungen bis<br />
10<br />
Gerda <strong>Ganske</strong><br />
um 1949<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong><br />
um 1949<br />
auf wenige Ausnahmen entzieht, der Unnahbare, der nur einen<br />
engen Kreis von Vertrauten an sich heranlässt, der zurückgezogen<br />
sein Imperium regiert, ein Regisseur ohne Auftritt, ein Konzernherr<br />
in Klausur.<br />
Siegfried Lenz, langjähriger Autor des Hoffmann und Campe<br />
Verlages, sah Kurt <strong>Ganske</strong>, mit dem ihn über Jahrzehnte ein offenbar<br />
respektvoll distanziertes Vertrauensverhältnis verband, als<br />
»Liebhaber der Form, als erklärten Freund mittlerer Distanz – dies<br />
wenigstens nach außen«. Zahlreich seien die Zeichen von Sympathie<br />
und ermutigender Begleitung gewesen, die er ihm, seinem<br />
Autor, über viele Jahre auf indirekte Weise gegeben habe, sagte<br />
der Schriftsteller in seiner Trauerrede. »Aus Scheu, vermute ich.<br />
Ja, heute glaube ich es zu wissen: Diesen Mann, der so viel entwarf<br />
und wagte, der so oft zu großem Entschluss und damit zum Risiko<br />
bereit war, K.G. zeichnete in der Tat eine eigentümliche Scheu<br />
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11
aus. Er war eher bereit, eine gewisse Einsamkeit in Kauf zu nehmen,<br />
als sich auf Kumpaneien einzulassen.«<br />
Die Scheu. Es gibt kaum Fotos, lediglich heimlich geschossene<br />
Bilder, die ihn von hinten zeigen, abgewandt; Bilder von jemandem,<br />
der es mied, fotografi ert zu werden, und das auch seiner<br />
Umwelt unmissverständlich klar machen konnte. Ein Kinderbild<br />
von 1910 zeigt ihn mit seiner Schwester Käthe und den Eltern.<br />
Heiter blickt das Mädchen unter seiner Lockenpracht in die Kamera,<br />
selbstbewusst der Papa mit kaiserlichem Schnauzbart, in<br />
Gehrock, mit Fliege und moderatem Vatermörder. Mutter Anna<br />
sieht ernst zum Gatten hin, vielleicht fühlt sie sich unbehaglich<br />
im Schussfeld der Kamera. Und der kleine Kurt? Er ist der Mittelpunkt<br />
des Bildes, zieht auf eigenartige Weise den Blick auf<br />
sich, ein Energiebündel von fünf Jahren, neugierig – plietsch,<br />
wie man im Norden sagt. Der Matrosenanzug passt nach Kiel<br />
und in die Zeit.<br />
Die wenigen Fotos aus seiner Jugendzeit sind hier zusammengetragen.<br />
Ein Hochzeitsfoto hätte es geben können, wäre der stolze<br />
Bräutigam nicht auf die Idee gekommen, das Ereignis fi lmen<br />
zu lassen. Ein paar unscharfe Schnipsel des Sechzehn-Millimeter-<br />
Films sind erhalten, dazu einige unspektakuläre Bilder im Familienbesitz,<br />
verstohlen gehütete Erinnerungen, denen er gestattet,<br />
in den Fotoalben seiner Frau unter Seidenpapier zu überdauern,<br />
falls er überhaupt davon gewusst hat.<br />
Doch es gibt Bilder, denen er sich nicht entziehen konnte. Der<br />
Reisepass, ausgestellt am 6.Mai 1959, zeigt das Bild eines dunkelhaarigen<br />
Mannes mit ernstem, seitlich an der Kamera vorbei<br />
gerichtetem Blick. Er sieht zuverlässig aus und wohl genährt, energisch<br />
– jemand, der weiß, was er will. Die Ablichtung einer Person<br />
für amtliche Zwecke verbietet natürlich jedes Lächeln. Das Foto<br />
ist offensichtlich in einem Atelier aufgenommen worden, das Gesicht<br />
des 50-Jährigen gut ausgeleuchtet, ohne störende Schatten;<br />
dezentes Hinterlicht macht die Kopfform sichtbar. Der Pass nennt<br />
12<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong> (Zweiter von rechts) im Kreis<br />
seiner Radballmannschaft<br />
als Beruf »Selbst. Kaufmann«, als Geburtsort Kiel und als Geburtsdatum<br />
den <strong>14</strong>. Januar 1905. Die Gesichtsform ist mit »oval«, die<br />
Farbe der Augen mit »braun«, die Größe mit 165 Zentimetern<br />
angegeben. Besondere Kennzeichen: keine.<br />
Die Biografi e dieses scheuen Menschen hat erstaunlich viele<br />
Facetten: mittlere Reife; kaufmännische Lehre; mit neunzehn<br />
tritt er in den väterlichen Betrieb ein, einen in Kiel und Hannover<br />
operierenden Lesezirkel, den er zu einem fl orierenden Großunternehmen<br />
ausbaut, dem weltweit größten seiner Art. Er dreht ein<br />
großes Rad – vorausschauend, planmäßig, einfallsreich, verliebt<br />
ins Gelingen. Er war Kaufmannsgehilfe und Buchhalter in Hamburg,<br />
Buchhändler in Berlin, Rittergutsbesitzer und Forstwirt in<br />
Hessen, Kriegsteilnehmer an zwei Fronten, Landwirt und passionierter<br />
Jäger, Sammler von Kupferstichen des 17. Jahrhunderts,<br />
Verleger in Hamburg und im Rheinland, Zeitschriftengründer,<br />
Konzernchef eines privaten Imperiums, das mit dem Jahreszeiten<br />
Verlag einen der fünf großen deutschen Zeitschriftenverlage<br />
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umfasste und mit dem Hoffmann und Campe Verlag einen der<br />
traditionsreichsten deutschen Buchverlage. Nur hat er anders als<br />
seine Kollegen Gruner und Jahr, Bauer, Springer oder Burda nie<br />
den eigenen Namen ins Spiel gebracht.<br />
Die Geschichte des Unternehmens ist dokumentiert, die Geschichte<br />
des Mannes dahinter ist es wert, erzählt zu werden. Es<br />
lohnt, Zeitzeugen zu befragen, die ihn noch gekannt haben: seine<br />
Frau und die Söhne, Menschen, die für K.G. gearbeitet haben, die<br />
mit ihm stritten oder mit ihm feierten, die ihm nahe standen; und<br />
die anderen, die ihm nur kurz begegneten: persönliche Assistenten<br />
und Autoren, ehemalige Verlagsleiter, Redakteure und Jagdgefährten.<br />
Es sind Begegnungen mit vollendeten Lebenswerken<br />
und Biografi en, mit einer zurücktretenden Generation und einer<br />
anderen Epoche, mit Zeugen eines Jahrhunderts, das Kulturen,<br />
Biografi en und Existenzen zerstörte. Die wenigen Freunde leben<br />
nicht mehr. Abgesehen von seiner Frau und Michael, dem ältesten<br />
Sohn, sind alle Zeugen dieser Befragung Kurt <strong>Ganske</strong> erst in<br />
seinem zweiten Leben, nach 1945 begegnet.<br />
Gerda <strong>Ganske</strong> ist 91 Jahre alt, eine kluge, freundliche Dame,<br />
gastfreundlich, liebenswert, offen und hellwach, die Erinnerung<br />
durch keinen Schatten des Vergessens getrübt. »Nun ja, er war<br />
gern für sich. Er zog einen Kreis um sich und ließ nicht jeden hinein.«<br />
Wen ließ er hinein außer seiner Frau und seinen Kindern?<br />
Was für einen Mann sehen die Söhne vor sich, wenn sie an ihn<br />
denken? Was für ein Vater war K.G.? Personenbeschreibungen,<br />
widersprüchlich in Nähe und Distanz, berührt von der Erinnerung<br />
an diesen Mann, mit dem es schwer war, befreundet zu sein.<br />
Welches Bild haben sie vor sich, wenn sie an ihn denken? Den stillen<br />
Genießer? Den nachdenklichen Stammtischmenschen? Den<br />
Jäger? Den Gastgeber, der schon ziemlich angeheitert »Champagner!«<br />
ruft? Den alten Herrn, der sich mit erstaunlicher Eleganz<br />
um seinen Billardtisch bewegt? Den Mann, der Musik hört und<br />
liest bis in die Nacht?<br />
<strong>14</strong><br />
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Michael <strong>Ganske</strong>, sein 1939 geborener ältester Sohn, der heute<br />
in Kanada lebt, sieht ihn und die Welt, in der er lebte, mit gelassenem<br />
Abstand. »Ich sehe meinen Vater, wie er sich bückt und die<br />
Erde in die Hand nimmt, dran riecht, sie durch die Finger rieseln<br />
lässt, er hatte diese Passion für das Land.« Michael <strong>Ganske</strong> hat<br />
diese Passion geerbt. Seinen Vater erlebte er als Autorität. »Wer<br />
ihm begegnete, war beeindruckt, spürte die Persönlichkeit. Man<br />
musste nicht mit ihm reden, um zu fühlen: Da war eine Aura.<br />
Menschen empfi nden die Wucht, haben ein Gespür für die Power,<br />
die jemand hat.«<br />
Sein Schweigen. »Ich schätzte seine Stille, seine Verschwiegenheit,<br />
die zögerliche Rede«, sagt Siegfried Lenz. Kurt <strong>Ganske</strong> konnte<br />
das Schweigen genießen, das wortlose Einverständnis, wenn<br />
zwei durch den Wald gehen oder mit der Angel am Wasser sitzen.<br />
Aber das Schweigen war auch eine seiner beunruhigenden, irritierenden<br />
Eigenschaften. »Er saß da wie eine Eule«, erinnert sich<br />
Ferdinand Ranft, lange Jahre Chefredakteur von Merian. Der Verleger<br />
saß und schwieg, auch wenn die Wogen hochgingen und die<br />
Debatte ausuferte, er saß und schwieg. »Er konnte gut zuhören«,<br />
deutete Jochen Karsten, sein Assistent, dieses Schweigen. Aber<br />
dieses Zuhören war eine Ausübung von Macht. Er tat es mit unbewegtem<br />
Gesicht. War es die Ruhe vor dem Sturm? Amüsierte er<br />
sich? Langweilte ihn die Debatte? Prüfte er die Argumente oder<br />
vielleicht auch die Fähigkeiten und Eloquenz seiner Mitarbeiter?<br />
Für welche Seite würde er sich entscheiden, wenn überhaupt?<br />
Sein Schweigen war selten zu ergründen und schwer zu ertragen,<br />
es dauerte oft unendlich lange. Und dann, wenn sich in der<br />
Diskussion eine Welle des Widerstands gegen ein Projekt aufgebaut<br />
hatte, wenn eine Barrikade aus Einwänden und Vorbehalten<br />
und ein Haufen Gründe, etwas abzulehnen, auf dem Tisch lagen,<br />
dann sagte er knapp: »Mir gefällt’s!« Die Manager standen wie<br />
vom Donner gerührt. Schluss der Debatte. So entstand der Feinschmecker,<br />
so entschied er über ein neues Logo der Zeitschrift<br />
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15
Für Sie. Aber nicht immer gab es diese höchstrichterliche Entscheidung.<br />
Er konnte umständlich sein, anstrengend, stellte Fragen<br />
mit tiefer, etwas heiserer Stimme. Er machte sich und anderen<br />
die Entscheidung schwer.<br />
»In der Diskussion war er nie beleidigend, aber oft treffend. Er<br />
konnte beißend sein«, sagt Erich Marx, Unternehmer und Kunstsammler<br />
in Berlin, in jungen Jahren Assistent von Kurt <strong>Ganske</strong>.<br />
Unklare, komplizierte und langwierige Entscheidungsprozesse<br />
brachten ihn auf. »Er konnte brüllen«, erinnerte sich Jochen Karsten.<br />
»Ich höre ihn noch explodieren: ›Ich wate hier durch einen<br />
Sumpf!‹ Bedenkenträger machten ihn rasend, wenn einer gegen<br />
alles Einwände vorbrachte, reagierte er schroff.«<br />
»Unter seinen Verlegerkollegen war er etwas abgesondert«, erinnert<br />
sich Erich Marx. »Er hielt sich zurück, wie Heinz Bauer übrigens<br />
auch. Er war kein Mensch des großen Auftritts. Für Franz<br />
Burda gab es nichts Schöneres, als die Kapelle beim Oktoberfest<br />
zu dirigieren. Kurt <strong>Ganske</strong> hätte das nie getan.«<br />
»Ich sehe meinen Vater vor allem arbeiten, arbeiten, arbeiten«,<br />
sagt Thomas <strong>Ganske</strong>, aber auch, dass er liebevoll gewesen sei und<br />
zärtlich, zugewandt und einfühlsam, ein sorgender Vater. Im letzten<br />
Jahr seines Lebens, als er das Unternehmen in die Hand seines<br />
jüngsten Sohnes gegeben hatte und die Last und die Verantwortung<br />
von ihm gewichen war, genoss er den Ruhestand. Er ließ<br />
sich berichten, verfolgte aufmerksam, was in seinem Unternehmen<br />
geschah, mischte sich aber nicht ein. Viktoria, seine Schwiegertochter,<br />
sieht ihn vor sich, wie er auf der Terrasse sitzt, reglos,<br />
mit unbewegtem Gesicht, in sich ruhend in seinem Schweigen;<br />
stundenlang, so kam es ihr vor, blickte er in den Kinderwagen, in<br />
dem sein kleiner Enkel Sebastian schlief.<br />
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KINDHEIT UND JUGEND<br />
Der Vater – Kaisers Kiel – Lesestoff für Kollegen –<br />
Der Lesezirkel Daheim – Die Welt der Journale –<br />
Der Erste Weltkrieg – Mit dem Lieferfahrrad<br />
unterwegs – Die Matrosen von Kiel –<br />
Der Gouverneur – Rückkehr aus Verdun<br />
Das 19. Jahrhundert hat die deutsche Romantik hervorgebracht,<br />
Schuberts »Winterreise« und Heines »Deutschland. Ein Wintermärchen«;<br />
der Kommunismus und die Dampfl okomotive wurden<br />
erfunden, Preußens Könige wurden Kaiser, der Kölner Dom<br />
wurde endlich fertig und auch der Kaiser-Wilhelm-Kanal, der<br />
die Elbmündung mit der Ostsee verbindet. 1887 begonnen und<br />
sieben Jahre später von Seiner Majestät, dem stolzen Patron der<br />
Buddelei, mit kaiserlichem Pomp eingeweiht, sollte der Wasserweg<br />
von Holtenau nach Brunsbüttelkoog vor allem militärischen<br />
Zwecken dienen – als strategisch wertvolle Verbindung zwischen<br />
Nord- und Ostsee, befahrbar auch für schwere Kreuzer und<br />
Schlachtschiffe der kaiserlichen Kriegsmarine.<br />
Das neue Deutsche Reich hatte den strengen Blick seewärts<br />
gerichtet. Schon 1865 war die preußische Flottenstation nach<br />
Kiel verlegt worden. Die Kleinstadt an der Ostsee, bis dahin eher<br />
unauffällig im maritimen Flair grüner Heringe und blauer Jungs,<br />
wurde 1871, im Jahr der Reichsgründung, zum Reichskriegshafen<br />
ernannt. Ein beispielloser Boom erfasste das windige Kaff. Auf<br />
dem Ostufer der Förde wurden Werften gegründet: Germania,<br />
die Kaiserliche Werft und die Howaldt-Werft. Bald gab das Konzert<br />
der Niethämmer den Takt der neuen Zeit, Panzerkreuzer und<br />
Linienschiffe wuchsen heran. Das kleine Kiel uferte mächtig aus.<br />
Auf dem Ostufer wurden Häuser für die Arbeiter errichtet; Kleinbürger,<br />
Beamte und die besseren Kreise der Marine zogen das<br />
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Westufer vor. Und so entstand fast aus dem Nichts eine Großstadt,<br />
deren Einwohnerzahl im Jahr 1905 auf 160 000 angewachsen war<br />
und die mit jedem Stapellauf gepanzerter imperialer Seemachtträume<br />
weiter wuchs.<br />
Die Hoffnung, Kiel würde sich nun auch zum Handelshafen<br />
entwickeln, erfüllte sich allerdings nicht. Der Güterumschlag ging<br />
sogar zurück; die Schiffe, die Ladung hätten löschen können,<br />
dampften weiter nach Lübeck. Der Fernhandel bevorzugte die<br />
Hansestadt an der Trave wegen der besseren Verbindungen zur<br />
Hauptstadt Berlin und ins Deutsche Reich. Kiel blieb im Griff der<br />
Marine – und der Segler. Und die machten ziemlich viel Wind.<br />
Seit 1892 gibt es die »Kieler Woche«. Kaiser Wilhelm II., ein begeisterter<br />
Segler, nahm mit seiner Yacht regelmäßig an den Regatten<br />
teil, ein gesellschaftliches Ereignis, das die seetüchtige Elite<br />
des Reiches an die Förde lockte. Kaisers »Meteor«, Krupps »Germania«<br />
und die »Iduna« der Kaiserin segelten um die Wette. Man<br />
wohnte im Krupp’schen Logierhaus, hielt Hof in heller Garderobe<br />
und weißen Hosen und hoffte auf günstige Winde und »Kaiserwetter«.<br />
Das Deutsche Reich sonnte sich in gutbürgerlichem<br />
Wohlbehagen. Es zählte sechzig Millionen Einwohner, darunter<br />
an die dreißigtausend Goldmark-Millionäre; nie war Reichtum<br />
so breit gestreut. Die Zahl der Menschen, die in Not und Armut<br />
lebten, war zwar erschreckend groß, aber zwischen diesen beiden<br />
Extremen der Gesellschaft siedelte ein Kleinbürgertum, das zu<br />
bescheidenem Wohlstand gekommen war und den Blick nach<br />
vorn und nach oben richtete.<br />
Die »Kieler Woche« war ein Großereignis der Elite. Wer nicht<br />
dazugehörte, sah dem Spektakel zu, stand Spalier und schrie Hurra.<br />
Eher am Rande der machtvoll dahinströmenden Zeitläufte<br />
und fern von zeitraubender patriotischer Begeisterung lebte die<br />
Familie <strong>Ganske</strong>. Kleine Leute pfl egen keinen Stammbaum. Das<br />
Familiengedächtnis umfasst drei oder vier Generationen, Standesämter<br />
und Kirchenbücher registrierten Geburt, Hochzeit und Tod.<br />
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Viel ist es nicht, was wir über die Familie erfahren. Ihr Ursprung<br />
liegt in Sachsen, die Ahnenreihe weist Schmiede und Förster auf.<br />
Am 16. Dezember 1876 wird Richard Ludwig <strong>Ganske</strong>, Sohn des<br />
Schmiedes Karl Hermann Eduard <strong>Ganske</strong> und seiner Frau Luise<br />
Johanna, geborene Finke und Tochter eines Gärtners und Lohnwebers,<br />
als sechstes von zehn Kindern in Nienburg an der Saale<br />
geboren. Am 3. Januar 1903 heiratet der 26-Jährige in einem Ort<br />
namens Lückendorf in Sachsen die von dort gebürtige, vier Jahre<br />
jüngere Anna Selma, geborene Wünsche, die später in der Familie<br />
»Annchen« genannt wird.<br />
Das Ehepaar zieht westwärts, nach Schleswig-Holstein, und<br />
lässt sich in Dieckmissen nieder, das zur Gemeinde Pries nahe<br />
der Stadt Kiel gehört, nahe genug jedenfalls, um später eingemeindet<br />
zu werden und in der Raum greifenden Großstadt zu<br />
verschwinden. Eine Tochter, Käthe, kommt zur Welt und im Jahr<br />
darauf, am <strong>14</strong>. Januar 1905, der Sohn Kurt. Eine weitere Schwester,<br />
Hilde, wird 1912 geboren. Der junge Richard <strong>Ganske</strong> hat sein<br />
Auskommen als Werftarbeiter und bessert seinen Lohn durch<br />
kleine Nebenverdienste auf. Er ist fl eißig, zuverlässig und – für<br />
einen Werftarbeiter ungewöhnlich – recht belesen. Sein Faible ist<br />
Algebra, das klare Bild und die Logik der Zahlen faszinieren ihn.<br />
Er kombiniert, rechnet, sucht und fi ndet Lösungen, entdeckt das<br />
Geheimnis und den praktischen Wert mathematischer Formeln<br />
und gibt sein Wissen weiter. Eine besondere Eigenschaft Richard<br />
<strong>Ganske</strong>s ist, was man heute »soziale Kompetenz« nennen würde.<br />
Er hilft gern und oft, vor allem den Kollegen auf der Werft, denen<br />
er das Rechnen beibringt und Mathematik-Lehrbücher und Fachliteratur<br />
besorgt.<br />
Weil Bücher für die meisten seiner Kollegen zu teuer sind, leiht<br />
er sie aus, gegen eine kleine Gebühr. Das spricht sich herum. Als<br />
immer mehr Kollegen Bücher haben wollen, nicht nur Lehrbücher,<br />
sondern auch anderen Lesestoff, Journale für die Frauen,<br />
Bücher für die Kinder und schöne Zeitschriften wie Die Garten-<br />
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laube, kauft er bei den Verlagen gleich ganze Partien. Er staunt<br />
über die Rabatte, die ihm dort eingeräumt werden, notiert alles<br />
in akkurater Kanzleischrift und sauberen Zahlen. Die Bilanz weist<br />
gute Erträge aus, obwohl er seinen vielen hundert Kollegen nur<br />
Kleingeld abverlangt. Richard <strong>Ganske</strong> ist nämlich, wenn man seinem<br />
Enkel Thomas glauben will, »im Herzen ein echter Sozialdemokrat«<br />
gewesen. Was den Werftarbeiter nicht daran hindert,<br />
eines Tages alle seine Ersparnisse in die Hand zu nehmen und<br />
sich selbständig zu machen.<br />
Richard <strong>Ganske</strong> eröffnet eine eigene Buchhandlung und setzt,<br />
was damals durchaus üblich ist, als Buchhändler nicht nur auf<br />
den Verkauf, sondern vor allem auf den Verleih von Büchern und<br />
Zeitschriften. Am 1. April 1907 gründet er in Kiel den Lesezirkel<br />
Daheim Richard <strong>Ganske</strong>, die Keimzelle eines großen Unternehmens.<br />
Die Gründung eines Lesezirkels ist in Deutschland keine<br />
Pioniertat. Lesezirkel entstammen einer langen deutschen Tradition,<br />
sind gleichsam Spätfolgen der Lesegesellschaften, die sich<br />
schon im 17. und 18. Jahrhundert zusammenschlossen, um gemeinsam<br />
Bücher und belletristische Zeitschriften zu kaufen, die<br />
für den Einzelnen unerschwinglich waren. Bücher waren teuer,<br />
nicht zuletzt, weil sie aufwändig hergestellt und in kleinen Auflagen<br />
gedruckt wurden. Die Lesegesellschaften machten den<br />
Büchern Beine. Sie trugen den Geist der Aufklärung und der<br />
Romantik in das »Volk der Dichter und Denker«, verschafften<br />
manchem Buch, das nur als Privatdruck verlegt worden war, erstaunliche<br />
Resonanz. »Ein Exemplar befriedigte eine ganze<br />
Stadt«, erinnert sich der Schlesier Heinrich Laube, einer der<br />
Wortführer des Jungen Deutschland und der Revolution von<br />
1848, »dafür hatte man die Lesezirkel erfunden, aus denen die<br />
einzelne Nummer wochenlang von Haus zu Haus wanderte.«<br />
Nun wandern also die Mappen des Richard <strong>Ganske</strong>, und es<br />
zeigt sich bald die glückliche Hand des jungen Unternehmers, das<br />
Augenmaß für schrittweise Expansion, für Logik und Logistik. Er<br />
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Stammsitz des »Lesezirkel Daheim« in Kiel<br />
baut ein Lager auf, plant die Wege der Mappen zu bald über<br />
tausend Kunden, teilt die Stadt in gangbare Bezirke, legt Wegstrecken<br />
fest für die Boten, für Handwagen und die neuen pedalgetriebenen<br />
Bäckerfahrräder, die in ihren Blechkisten vor dem<br />
Lenker ebenso gut Journale wie Brot transportieren können und<br />
auf denen Söhnchen Kurt mit größtem Vergnügen herumturnt.<br />
Besonderen Wert legt Richard <strong>Ganske</strong> auf die Auswahl des Lesestoffs.<br />
Vom Berater seiner Kollegen wird er zum Berater seiner<br />
Kunden. Er hat den Überblick, weiß, was zu lesen lohnt und was<br />
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nicht. Er entscheidet über das Feierabendprogramm lesender Familien,<br />
übernimmt in einer Zeit, in der es weder Fernsehen noch<br />
ein nennenswertes Rundfunkprogramm gibt, die Aufgaben des<br />
Conférenciers und Moderators, ist Intendant und Programmdirektor<br />
zugleich. Er wählt den Stoff aus, der unterhaltend sein soll,<br />
aber auch anspruchsvoll und weiterbildend.<br />
Die Mappen des Lesezirkel Daheim sind eine klug kombinierte<br />
Wochenration an Lernstoff, Lebenshilfe und Literatur. Richard<br />
<strong>Ganske</strong> stellt Ansprüche, setzt auf Niveau und Qualität, ohne die<br />
leichte Kost aus dem Blick zu verlieren. Er will den Geheimrat<br />
ebenso gewinnen wie den Marineoffi zier oder Hilfsarbeiter. Dabei<br />
folgt er einem Grundsatz, von dem er, anders als viele seiner<br />
späteren Konkurrenten, niemals abweicht: eine für alle. Wenn er<br />
eine Zeitschrift in seinen Lesezirkel aufnimmt, bekommt sie jeder<br />
Bezieher, und dieses unverrückbare Prinzip ist das eigentliche Geheimnis<br />
des späteren Erfolgs, denn es garantiert Klarheit in der<br />
Organisation und hohe Aufl agen für das ausgewählte Objekt. Der<br />
Begriff »Reichweite« war damals noch allein der Artillerie vorbehalten.<br />
Das Geschäft blüht. Jede Zeitschrift, die ihm ein Verlag<br />
zum halben Preis überlässt, holt diesen Preis bis zu vierzehnmal<br />
wieder herein, denn so oft wird sie verliehen, im robusten Mantel<br />
aus Hartpappe, mit festem Bindfaden fi xiert.<br />
Richard <strong>Ganske</strong> durchforstet eine wahre Fülle von Zeitschriften<br />
und Journalen. 1905 gibt es allein 163 Frauen-, Haus- und<br />
Modeblätter. Sie heißen Monika, Ratgeber fürs Hauswesen oder Dies<br />
Blatt gehört der Hausfrau! (übrigens die Urgroßmutter der heute<br />
bei Gruner + Jahr in Hamburg erscheinenden Brigitte), ein Blatt,<br />
das anfangs mit dem Untertitel Des Hauses Steuerruder ist ein gutes<br />
Weib auf den Markt kommt und als besondere Leistung Knorr-<br />
Suppen »nach allen Orten des Deutschen Reiches« versendet.<br />
Die erste große Epoche des Nutzwert-Journalismus steuert ihrem<br />
Höhepunkt entgegen. Die Redaktionen geben praktische Tipps,<br />
und im Anzeigenteil sucht eine Vielzahl neuer Produkte ihren<br />
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Markt: der Badestuhl mit eingebautem Kohleofen, Waschmaschinen<br />
mit praktischer Handkurbel oder die neuartigen Büstenhalter;<br />
denn das Korsett ist, so lesen wir in einer Kleinanzeige, »nach<br />
dem Urtheil sämmtlicher Ärzte die Ursache der meisten Frauenleiden<br />
und die Quelle ewigen Siechthums«. Diese Blätter richten<br />
sich vor allem an Frauen der aufstrebenden Mittelschicht, die<br />
keine Arbeit ans Personal delegieren können, und diese Frauen<br />
entscheiden mit, ob ein Lesezirkel abonniert werden soll oder<br />
nicht.<br />
Die Hausfrauen der Gründerjahre sind überaus produktive<br />
Organisationstalente. Sie kaufen wenig, denn sie machen alles<br />
selbst – Marmelade und Mayonnaise, Säfte und Seife, sie nähen<br />
Kleidchen und Matrosenanzüge für die Kinder, Gardinen und<br />
Bettwäsche für den Haushalt, die Aussteuer für die Töchter. Sie<br />
sticken, häkeln und stricken, kennen eine Fülle von Hausmitteln<br />
und Hausrezepten und sind begierig, in den Journalen neue zu<br />
erfahren. »Gegen Gesichtsrose dient mit sicherem Erfolg eine<br />
getrocknete Fuchszunge, welche immerwährend auf der nackten<br />
Brust an einer Schnur getragen werden muß.« Wer hätte das gedacht?<br />
Die ersten Autos tuckern durch die Straßen, die ersten Fachblätter<br />
widmen sich dem Thema, aber populärer sind die Wagenräder<br />
auf dem Kopf, die ausladenden Damenhüte mit wippenden<br />
Pleureusen. Am 24. März 1907, rechtzeitig zum Start des Lesezirkel<br />
Daheim, zeigt Dies Blatt gehört der Hausfrau! auf der Titelseite die<br />
Federzeichnung eines einfachen Kleides aus fraisefarbenem<br />
Kaschmir, passend zum aktuellen Bericht über die Pariser Mode,<br />
eleganter Auftakt für das Schnittmuster im Heft. Die Herren gehen<br />
zum Schneider, die Damen an die Maschine. Ihre Mode ist<br />
machbar, in Heimarbeit nach den Schnittmustern der hilfreichen<br />
Journale. Die Frauen der Gründerjahre nähen, was das Zeug hält.<br />
Allein in diesem Jahr 1907 stellt das Hausfrauenblatt rund zweitausend<br />
Modelle zum Selbermachen vor.<br />
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Unter den Zeitschriften ist Die Gartenlaube eine besonders begehrte<br />
Lektüre. Das illustrierte Familienblatt erscheint schon im<br />
<strong>54</strong>. Jahrgang, kann mit und ohne Frauenblatt wöchentlich oder in<br />
vierzehntäglichen Doppelnummern bezogen werden und zeigt<br />
eine schöne, geruhsame Welt, druckt Novellen, vaterländische<br />
Erzählungen und Ratschläge in Benimmfragen. Wie jedes Jahr ist<br />
auch 1907 der Sommer ein klassisches Titelthema. Der Sommer<br />
war ein Gedicht:<br />
Alles ruht nun aufgehellt<br />
Da zu deinen Füßen,<br />
Welt, du holde Menschenwelt,<br />
Laß dich still begrüßen.<br />
Im Briefkopf des Lesezirkel Daheim zeigt sich der Stolz des aufblühenden<br />
Unternehmens: Im Rahmen rankender Herzblätter<br />
prangt anheimelnd und Vertrauen erweckend »Daheim«, verbunden<br />
mit dem Versprechen der Lieferung sämtlicher in- und<br />
ausländischer Zeitschriften, Kunstblätter, Fachzeitschriften und<br />
Modejournale.<br />
Ein anderer Zweig unter dem Dach des Unternehmens ist der<br />
Verlag für Journal-Umschläge. Eine Aufl age von zehntausend Exemplaren<br />
ist garantiert. Wirksamste Reklame! Die Pappde ckel der<br />
Lesemappen sind Werbefl ächen, werden Stück für Stück beklebt<br />
und bieten der regionalen Werbung gleichsam die Titelseite – ein<br />
begehrter Platz, wie sich bald zeigen wird, der gutes Geld bringt.<br />
Das Unternehmen strebt in die Höhe und in die Breite. So zeigte<br />
denn auch der (gemietete) Firmensitz an der Gutenbergstraße<br />
42 in Kiel eine stolze Fassade; ein fünfstöckiger Jugendstilbau mit<br />
eleganten Balkonen, hohen und hellen Räumen. Wahrlich, der<br />
Werftarbeiter Richard <strong>Ganske</strong> hat es weit gebracht.<br />
Bald rauscht frischer Wind durch den Blätterwald. Ein neuer<br />
Zeitschriftentyp macht Furore: illustrierte Blätter. In Berlin ist<br />
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es den Tüftlern um Rudolf Ullstein gelungen, Bleiklischees in<br />
eine gerundete Form zu gießen, wodurch Bilder in einer Rotationsmaschine<br />
gedruckt werden können, massenhaft und immer<br />
schneller. Gleichzeitig erhöht sich das Tempo der Fotografi e, das<br />
Undenkbare, das Unfassbare ist technisch machbar geworden,<br />
das Anhalten der Zeit, das Festhalten einer Situation im Bruchteil<br />
einer Sekunde, die Momentaufnahme! Der technische Fortschritt<br />
kommt auf Touren, macht die Berliner Illustrirte Zeitung zur erfolgreichsten<br />
Illustrierten im Deutschen Reich. Die Mappen des<br />
Lesezirkel Daheim tragen auf bescheidene Weise dazu bei. Noch ist<br />
Richard <strong>Ganske</strong> ein vergleichsweise kleiner Großabnehmer. Aber<br />
immerhin gewinnt er in nur fünf Jahren zweitausend Abonnenten<br />
in Kiel. 1913 gründet das Unternehmen in Hannover eine Filiale,<br />
die bald sechshundert Kunden zählt. Doch die Gründerjahre<br />
gehen zu Ende.<br />
Im August 19<strong>14</strong> bekommt Kaiser Wilhelm II. an Bord seiner<br />
Segelyacht von einem Kurier, der mit einem Motorboot längsseits<br />
gegangen ist, eine silberne Zigarettendose gereicht. Die Dose enthält<br />
einen Zettel mit einer kurzen, aber weltbewegenden Mitteilung:<br />
In Sarajewo ist der österreichische Thronfolger erschossen<br />
worden. Der Bündnisfall. Nibelungentreue ist gefragt. Wenige<br />
Tage später bricht bei herrlichem Sommerwetter der Erste Weltkrieg<br />
aus. Richard <strong>Ganske</strong> wird, im Alter von 37 Jahren, Soldat.<br />
Annchen und ihre Kinder müssen nun allein zurechtkommen.<br />
Die Buchhandlung bleibt geöffnet, der Lesezirkel Daheim liefert<br />
weiter die Mappen aus. Wo Männer fehlen, übernehmen Frauen<br />
die Verantwortung, die Organisation und die Arbeit, die getan<br />
werden muss. Die Frauen von Kiel rücken in die Werften ein, die<br />
alte Ordnung löst sich auf. Jede Hand wird gebraucht. Die Kinder<br />
tragen nach der Schule Mappen aus, bringen sie zu den Kunden,<br />
holen die alten ab, rechnen ab, auf den Pfennig genau, freuen<br />
sich über das Trinkgeld. Rund dreitausend Abonnenten werden<br />
während der Kriegsjahre in Kiel und Hannover regelmäßig<br />
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eliefert, bekommen jede Woche ihre Mappen mit erbaulicher<br />
und aufbauender Lektüre.<br />
Der Krieg hat kaum begonnen, da wechselt die Mode. Nun<br />
druckt Ullsteins Hausfrauenblatt den praktischen Schnitt für ein<br />
Krankenpfl egerinnenkleid mit kleinem Umhang und eine Operationsschürze<br />
mit kurzen Ärmeln sowie gehäkelte Ohrklappen<br />
für Soldaten. An der Heimatfront wird genäht. 1915 liefert die<br />
deutsche Presse sechs Millionen Schnittmuster an ihre Leserinnen.<br />
Die Hälfte davon erscheinen bei Ullstein. Ab Oktober müssen<br />
zwar alle Blätter der Zensur vorgelegt werden. Sie ist beim<br />
Kriegspresseamt angesiedelt, das der Obersten Heeresleitung direkt<br />
unterstellt ist. Aber Schnittmuster bleiben unverdächtig.<br />
August 1917. Der Krieg geht ins dritte Jahr. Die Begeisterung<br />
des ersten Sommers ist der Ernüchterung gewichen. In Russland<br />
haben schon im Februar Revolutionäre den Zaren abgesetzt, zwei<br />
Monate später meutern in Frankreich tausende Soldaten. In Kiel<br />
gehen zwanzigtausend Menschen auf die Straße, um für mehr<br />
Lebensmittel zu demonstrieren, für »Frieden und Brot«. Eine allgemeine<br />
Kriegsmüdigkeit greift um sich. Hunger und der Mangel<br />
am Notwendigsten, was die Familien zum Leben brauchen, prägt<br />
den Alltag. Kurt und seine Schwestern werden es verfl ucht haben<br />
– das Kohlenschleppen, das elende Schlangestehen um Brennstoff,<br />
ein bisschen Brot, Kunsthonig oder Magermilch. In den Warteschlangen<br />
fallen deutliche Worte. Die Heimatfront bröckelt. Im<br />
Januar 1918 legt eine Streikwelle die Kriegswirtschaft lahm. Die<br />
Versorgungslage ist katastrophal. Im September 1918 kann sich<br />
die Oberste Heeresleitung unter General Ludendorff der militärischen<br />
Katastrophe nicht länger verschließen und fordert von der<br />
Reichsregierung Waffenstillstandsverhandlungen.<br />
Doch die Admiralität will auf keinen Fall kapitulieren. Lieber<br />
ruhmreich untergehen, als die Schande eines Friedens akzeptieren!<br />
So plant der Chef des Stabes den Untergang als letzten, ehrenvollen<br />
Kampf der Hochseefl otte. Am 30. Oktober sollen die<br />
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Novemberrevolution 1918: Versammlung<br />
auf dem Kieler Wilhelmplatz<br />
Schiffe von Wilhelmshaven aus zur »Endschlacht« auslaufen. Doch<br />
die geheimen Selbstmordpläne der Kommandeure sickern durch.<br />
Matrosen verweigern den Befehl, Heizer reißen das Feuer aus den<br />
Kesseln. Der Druck ist raus. Die Admiralität greift hart durch. Tausend<br />
Mann werden verhaftet, die Flotte wird auseinander gezogen.<br />
Das Dritte Geschwader dampft nach Kiel, seinem Heimathafen.<br />
In der Nacht zum 1. November treffen die Schiffe ein. Die Verhafteten<br />
werden ins Marine-Arrestgefängnis an der Karlstraße (der<br />
heutigen Feldstraße) gebracht. Doch das Problem lässt sich nicht<br />
mehr wegsperren. Die Marinesoldaten von Kiel und die Besatzungen<br />
der Schiffe sind in Aufruhr. Matrosen versammeln sich<br />
im Gewerkschaftshaus. Die Wogen gehen hoch. Eine Abordnung<br />
marschiert zu den Offi zieren, um die Freilassung der gefangenen<br />
Kameraden zu fordern. Sie wird gar nicht erst vorgelassen.<br />
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Wie erlebt ein Dreizehnjähriger aus gutem Hause den Ausbruch<br />
einer Revolution? Darf er überhaupt auf die Straße? Sind<br />
Türen und Fenster der Buchhandlung verrammelt? Gibt es<br />
schulfrei, wenn Revolution ist? Werden Schularbeiten erlassen?<br />
Fällt der Konfi rmandenunterricht aus? Oder ist der Junge wieder<br />
unterwegs mit dem Lieferfahrrad? Der 1. November ist ein<br />
Freitag. Das Wochenende steht vor der Tür. Am Abend müssen<br />
die Mappen bei den Kunden sein. Kurt ist zuverlässig, bummelt<br />
eigentlich nie. Aber heute ist alles anders. Es dunkelt früh. Nebel<br />
hängt über der Stadt, triefend, feucht. Kalt ist es auch. Kiel im<br />
November. Was erfährt der Junge bei den Familien, denen er die<br />
Mappen bringt? Sind sie in Angst, wütend, aufgebracht? Haben<br />
sie überhaupt Interesse an der neuen Gartenlaube?<br />
Die Deutschen haben wenig Erfahrungen mit Umstürzen. Der<br />
letzte hatte 1848, vor siebzig Jahren also, stattgefunden und war<br />
schnell in der Zwangsjacke der Restauration erstickt worden. Dass<br />
ausgerechnet Kiel, Yachthafen Seiner Majestät, Hochburg der<br />
kaiserlichen Marine, nun Keimzelle zivilen und, schlimmer noch,<br />
militärischen Ungehorsams sein sollte, ist kaum zu glauben.<br />
Der nächste Morgen ist grau und nasskalt wie der Morgen zuvor.<br />
Die Marineleitung ist zum harten Durchgreifen entschlossen,<br />
sie gibt Order, alle Versammlungen zu unterbinden. Nur fi ndet<br />
sie kaum noch loyale Truppen, um den Befehl in die Tat umzusetzen.<br />
Inzwischen haben sich aufgebrachte Matrosen, Soldaten und<br />
Arbeiter zusammengetan. Am Sonntag, dem 3. November, wollen<br />
sie sich zu einer Kundgebung auf dem Exerzierplatz am Stadtrand<br />
treffen. Sonntag, das ist gut. Schulfrei, keine Mappen, die<br />
zugestellt werden müssen. Das kann spannend werden. Durch die<br />
nebelverhangenen Straßen marschieren Soldaten, Matrosen, Arbeiter<br />
und Arbeiterinnen. Da draußen braut sich was zusammen.<br />
Dicke Luft in Kiel. Besser, die Kinder bleiben im Haus. Annchen<br />
sorgt dafür, dass Kurt nicht zum Exerzierplatz rennt.<br />
Die Gefahr ist mit Händen zu greifen. Tausende haben sich<br />
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versammelt. Ein Gewerkschaftsmann spricht, rät zur Ruhe, zum<br />
Abwarten, morgen können sie doch wieder verhandeln. Doch die<br />
Versammlung drängt zur Aktion. Die Menge ist nicht zu halten,<br />
die Männer ziehen zum Arrestgefängnis, um ihre Kameraden zu<br />
befreien. Eine Straßensperre. Junge Gesichter, Rekruten, Offi ziersanwärter<br />
mit geladenen Gewehren. Sie legen an. Ein Leutnant der<br />
Reserve lässt das Feuer auf die Demonstranten eröffnen. Sieben<br />
liegen tot auf der Straße, achtundzwanzig sind zum Teil schwer<br />
verletzt, auch Frauen und Kinder. Doch die Demonstranten rennen<br />
nicht auseinander, sondern stürmen das Maschinengewehrnest,<br />
töten den Leutnant der Reserve und entwaffnen seine total<br />
eingeschüchterte Truppe. Ein grauer Sonntag im November. Eine<br />
Demonstration wurde aufgelöst, eine Revolution hat begonnen.<br />
Am Morgen des 4. November müssen alle Matrosen und Soldaten<br />
zum Appell antreten. Vergebens versuchen die Offi ziere, die<br />
Disziplin wieder herzustellen. Waffenkammern werden geplündert,<br />
die Kameraden aus dem Arrest befreit, die Kompanien wählen<br />
Soldatenräte. Auf den Kriegsschiffen des Kaisers setzen Meuterer<br />
die rote Fahne. Am Abend des 4. November ist Kiel in der<br />
Hand der Aufständischen, die Matrosen schließen sich mit den<br />
Arbeitern der Stadt zusammen. Nun hat die Stadt einen Arbeiter-<br />
und Soldatenrat. Der stellt Forderungen an den Gouverneur,<br />
Vizeadmiral Souchon, droht damit, die Kanonen der Schiffe auf<br />
Kiel-Düsternbrook zu richten und das Villenviertel der Offi ziere<br />
zusammenzuschießen. Der Gouverneur fordert Truppen an, die<br />
anmarschiert kommen, aber die Waffen niederlegen. Doch noch<br />
gibt das Kaiserreich seinen Kriegshafen nicht verloren.<br />
Am Abend trifft endlich der Mann ein, der die Revolution in<br />
friedliche Bahnen lenken soll – ein Zivilist. Prinz Max von Baden,<br />
Chef der Regierung in Berlin, hat ihn geschickt: Gustav Noske,<br />
wehrpolitischer Experte der SPD-Reichstagsfraktion. Eine große<br />
Menschenmenge erwartet ihn am Bahnhof von Kiel. Der Sozialdemokrat<br />
kommt als Volkstribun mit Rückfahrkarte. Die Menge<br />
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lässt ihn kalt. Er setzt sich an die Spitze der Bewegung, versteht<br />
es geschickt, sie zu instrumentalisieren, ein Polit-Profi . Sein Gastspiel<br />
als Revolutionär ist eine merkwürdige Posse: Der Arbeiter-<br />
und Soldatenrat von Kiel wählt den Gesandten der kaiserlichen<br />
Regierung zum Vorsitzenden und macht ihn zum Gouverneur der<br />
Stadt. Genosse Noske hält eine Rede von Bord eines Kriegsschiffes<br />
und wird zum Hoffnungsträger einer Revolte, deren Ursache, die<br />
Meuterei der Soldaten, er »persönlich aufs Schärfste verurteilt«.<br />
Aber das behält er einstweilen für sich. Der Gouverneur von<br />
Kiel gründet, ohne den Arbeiter- und Soldatenrat zu konsultieren,<br />
aus Unter- und Deckoffi zieren eine »Eiserne Brigade«, das<br />
erste der so genannten Freikorps, eine eiserne Reserve, auf die<br />
er schon bald zurückgreifen soll. Kaltblütig und professionell<br />
stellt Noske die alte Ordnung wieder her. Die kaiserliche Verwaltung<br />
funktioniert. In Kiel fallen keine Schüsse mehr. Die Stadt<br />
erlebt den Exodus ihrer Marinesoldaten. Weil die Bahn nicht<br />
funktioniert, marschieren sie nach Neumünster, wo noch Züge<br />
verkehren, um von dort in ihre Heimatstädte zurückzukehren.<br />
Ein schwerer Wagen rollt an ihnen vorbei, eine rote Fahne ans<br />
Schutzblech montiert. Im Dunkel des Fond ein blasses Gesicht,<br />
Seine Exzellenz, Prinz Eitel Friedrich von Hohenzollern, der Bruder<br />
des Kaisers, Kommandierender der Ostseefl otte.<br />
Nun geht alles unglaublich schnell. Am Montag hatte Kiel seinen<br />
Arbeiter- und Soldatenrat gegründet, am Mittwoch haben die Räte<br />
Nordwestdeutschland unter Kontrolle, am Donnerstag proklamiert<br />
Kurt Eisner in Bayern die Republik, am Freitag erfasst die Revolution<br />
Sachsen, Hessen, Franken und Württemberg. Pünktlich zum<br />
Wochenende, am Sonnabend, dem 9. November, dankt der Kaiser<br />
ab und geht ins niederländische Exil. Der Sozialdemokrat Philipp<br />
Scheidemann ruft in Berlin die Republik aus, Friedrich Ebert, der<br />
spätere sozialdemokratische Reichspräsident, übernimmt die Regierungsgeschäfte,<br />
und Gustav Noske, der Gouverneur von Kiel, ist<br />
nun als »Volksbeauftragter« fürs Militärische zuständig.<br />
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Der Krieg ist aus. Kurt <strong>Ganske</strong> ist dreizehn. Der Junge wird<br />
die Heeresberichte gelesen haben, staunend wohl auch, wie sein<br />
zwei Jahre jüngerer Zeitgenosse Sebastian Haffner in Berlin: »Die<br />
Heeresberichte hatten immer nur von feindlichen Niederlagen gesprochen.<br />
Dass es so etwas auch für uns geben konnte – und zwar<br />
nicht als Zwischenfall, sondern als das Endergebnis von lauter<br />
Siegen und Siegen –, mein Kopf fasste es nicht«, schreibt er später<br />
in seinen »Erinnerungen eines Deutschen«.<br />
Richard <strong>Ganske</strong> kehrt heim. Noch mal davongekommen, als<br />
Teilnehmer am bisher schrecklichsten, unmenschlichsten aller<br />
Kriege, Überlebender der ersten Materialschlacht der Menschheitsgeschichte,<br />
der ersten Orgie moderner Massenvernichtung.<br />
Hat der Vater seiner Familie von Verdun erzählt? Sein Sohn stellt<br />
Fragen. Richard <strong>Ganske</strong> ist sparsam in seinen Auskünften. Die<br />
Schrecken des Stellungskrieges, die unheimlichen Gasschwaden,<br />
die Grabenkämpfe in der Knochenmühle, das Inferno der Granateinschläge,<br />
der Soldatenalltag am Rande des Wahnsinns, die<br />
idiotischen Befehle unfähiger, menschenverachtender Kommandeure<br />
– all das sind Erfahrungen, die von den Betroffenen eher<br />
verdrängt als diskutiert wurden, wie man heute weiß.<br />
Die Lage in Kiel hat sich beruhigt, vorübergehend jedenfalls.<br />
Zweimal gibt es noch Schießereien. Die Arbeiter- und Soldatenräte<br />
verschwinden. Nun erlebt Deutschland seine erste Demokratie.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> macht die mittlere Reife, hilft weiter im väterlichen<br />
Betrieb, beklebt Umschläge mit der örtlichen Werbung. Er hat<br />
schon als Junge die Mappen des Lesezirkels ausgetragen, mit dem<br />
Handwagen oder mit dem Fahrrad. Die erste Liebe? Ein Mädchen<br />
hatte es ihm wohl angetan. Sie haben Blicke gewechselt und ein<br />
paar Worte, Begegnungen ohne Verabredung, er weiß nicht einmal,<br />
wo sie wohnt. Eines Tages steht er vor einer Tür, mit den<br />
Mappen unter dem Arm. Das Mädchen öffnet, beide sind überrascht.<br />
Sie blickt auf die Mappen: »Ach, so einer bist du.« Das hat<br />
ihm einen Stich gegeben. Die erste Liebe wurde es nicht. Er fand<br />
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sie hübsch, aber doch ein bisschen arrogant. So hat er es später<br />
erzählt.<br />
Was immer sein Vater vom Krieg erzählt haben mag, es hat den<br />
Sohn lange beschäftigt. Jahre danach, in den zwanziger Jahren,<br />
ist Kurt <strong>Ganske</strong> nach Verdun gefahren. Er hat sich die Schlachtfelder<br />
angesehen, wo sein Vater gekämpft hat, die verwüstete<br />
Landschaft, die zerschossenen Bäume. Er fi ndet noch Helme im<br />
Gras, Knochen, Spuren von vernichtetem Menschenleben. Er ist<br />
aufgewühlt von dem, was er vor sich sieht, aber es erfüllt ihn auch,<br />
wie er später seinen Söhnen erzählt, mit einer Hoffnung, die für<br />
ihn fast eine Gewissheit ist: Dieser Schrecken ist ein für alle Mal<br />
vorbei. Einen solchen Wahnsinn werden die Menschen nicht wiederholen.<br />
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DIE ZWANZIGER JAHRE<br />
Zeit des Aufbruchs – Kaufmannsgehilfe in<br />
Hamburg – Millionengehälter für alle –<br />
Radsport mit Torchancen – Umzug nach<br />
Hannover – Vater und Sohn – Berliner Blätter<br />
Der Zeitgeist weist in die große Freiheit, bahnt sich neue Wege in<br />
einen Spielraum ohne Grenzen. Der Expressionismus greift ins<br />
Stadtbild ein, der Futurismus erklärt Maschinen zum poetischen<br />
Faszinosum, der Kubismus zerbricht den Kopf und zertanzt die<br />
Realität, die Zwölftonmusik löst sich aus dem goldenen Käfi g der<br />
Harmonie und wagt das Unerhörte. Die zwanziger Jahre sind ein<br />
kreatives und intensives Zwischenspiel ohne epochale Lebenslügen<br />
und ohne Illusionen. Egon Erwin Kischs kritische Sozialreportagen<br />
erscheinen, und Erich Maria Re marques »Im Westen<br />
nichts Neues«. Neue Sachlichkeit wird zum Publikums erfolg: Carl<br />
Zuckmayers »Der fröhliche Weinberg« und »Der Hauptmann von<br />
Köpenick«, Gerhart Hauptmanns Drama »Dorothea Angermann«,<br />
Bertolt Brechts und Kurt Weills »Dreigroschenoper« machen Furore.<br />
Neue Medien gewinnen an Resonanz. Mit Beginn der zwanziger<br />
Jahre kommt der Rundfunk in Mode, innerhalb von zehn<br />
Jahren erhöht sich die Zahl der in Deutschland angemeldeten<br />
Radiogeräte von knapp zehntausend auf 5,4 Millionen.<br />
Dies alles wächst auf fruchtbarem Boden. Das Zwischenspiel<br />
erweist sich als schöpferischer Höhepunkt des 20. Jahrhunderts,<br />
in Literatur und Musik, Malerei und Architektur, Wissenschaft<br />
und Forschung. Dabei kommt das Land in seiner politischen Befi<br />
ndlichkeit nie wirklich aus dem Schlamassel heraus. Die erste<br />
Demokratie der Deutschen hat kaum eine Chance, trägt schwer<br />
am verlorenen Krieg und an den Lasten des Friedens. Unruhen<br />
überschatten den Beginn der zwanziger Jahre. Der Kapp-Putsch<br />
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verjagt die Regierung aus Berlin – für fünf Tage –, dann fällt der<br />
Aufstand eines windigen Politikers und eines verstockten Generals<br />
in sich zusammen. Im Juni 1922 wird Walther Rathenau, Außenminister<br />
des Deutschen Reiches und Symbolfi gur einer vorsichtigen<br />
Annäherung an die Völkerfamilie, in Berlin von zwei<br />
rechten Knallchargen auf offener Straße erschossen. Die Weimarer<br />
Republik ist eine Baustelle mit schwachen Gerüsten und<br />
schwankendem Fundament. Die Verfassung hat viele Feinde. Sie<br />
sammeln sich, braune Pfützen im aufgewühlten Grund.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> hat die Schule hinter sich. Der Junge soll etwas<br />
Ordentliches lernen. Der Vater schickt seinen Sohn zur kaufmännischen<br />
Lehre nach Hamburg, Import und Export, »Im und<br />
Ex«, der Klassiker. Die Freie und Hansestadt an der Elbe scheint<br />
ihm eine bessere Wahl zum Erlernen des Kaufmännischen als die<br />
Hafenstadt Kiel. Der Lehrjunge wird keine großen Forderungen<br />
gestellt haben, trotzdem wird Kurt <strong>Ganske</strong> in wenigen Monaten<br />
– unfreiwillig – zum Millionär.<br />
1923. Ein Schicksalsjahr für Deutschland. Niedergekämpft,<br />
verbittert und erschöpft versucht es sich irgendwie aufzurappeln,<br />
aber das Jahr 1923 macht Deutschland »fertig«, wie Sebastian<br />
Haffner in seinen Erinnerungen schreibt. Wie eine Sturmfl ut<br />
bricht die Infl ation herein und spült nahezu alles weg, was an Werten<br />
die Katastrophe des Krieges überstanden hatte. Existenzen,<br />
Ersparnisse, Erfahrungen, das ganze System von Soll und Haben.<br />
Ursache des Dammbruchs ist der »Ruhrkrieg«. Die angespannte<br />
Haushaltslage, Zinsen, Schulden und Reparationszahlungen sind<br />
der Regierung längst über den Kopf gewachsen, als Frankreich,<br />
um seinen Zahlungsforderungen Nachdruck zu verleihen, das<br />
Ruhrgebiet besetzt.<br />
Die ebenso robuste wie unausgegorene Aktion verfehlt ihr Ziel,<br />
zeigt aber enorme Wirkung. Die deutsche Regierung ruft das Volk<br />
zum passiven Widerstand auf – und das Volk zieht begeistert mit.<br />
An der Ruhr kommt es zu einer Art bezahltem Streik, bei dem der<br />
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Kapp-Putsch: Demonstration Unter den Linden, 1920<br />
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Staat nicht nur die ausgesperrten Arbeitnehmer bezahlt, sondern<br />
auch deren Arbeitgeber, und das nicht zu knapp. Weil nicht mehr<br />
genug Geld da ist, beginnt die Regierung, neues zu drucken. Immer<br />
mehr kommt in Umlauf, immer mehr wird immer weniger<br />
wert. Im Juni 1923 gerät die ohnehin schon galoppierende Infl ation<br />
in einen beispiellosen Höhenrausch. Gemeinden und Großbetriebe<br />
geben Notgeld heraus, dreihundert Papierfabriken und<br />
zweihundert Druckereien stellen Banknoten her, und während<br />
die Kaufkraft der Reichsmark ins Bodenlose fällt, schießt der Dollarkurs<br />
himmelwärts.<br />
Eine Massenfl ucht in Sachwerte setzt ein. Wer kann, kauft<br />
Grundstücke, Gold oder Dollars. Die Preise steigen schneller als<br />
die Löhne. Weil mit Geld nichts mehr zu kaufen ist, beginnt ein<br />
reger Tauschhandel: Briketts gegen Zigaretten, Brot gegen Brennholz.<br />
Der Einzelhandel beginnt, Waren zu horten. Hungerdemonstrationen<br />
und Plünderungen sind die Folge. Zeitzeu gen berichten,<br />
dass sie ihre Wände mit Banknoten tapeziert haben. Weil die<br />
Millionengehälter am Monatsende nichts mehr wert sind, werden<br />
die Angestellten wöchentlich, dann alle drei Tage und schließlich<br />
täglich bezahlt. Die Geschäftsleitung kann sie nicht daran hindern,<br />
sofort mit dem Geld in die nahen Geschäfte zu laufen, um Dinge<br />
des täglichen Bedarfs und Lebensmittel zu kaufen, die schon am<br />
gleichen Abend nicht mehr erschwinglich sind.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> lernt viel in diesen Jahren. Vielleicht hat ihn sein<br />
Chef ein paar Mal am Tag zur Bank geschickt, um Milliardenbeträge<br />
gegen eine Hand voll Dollar zu tauschen. Spannend ist es<br />
immer um drei <strong>Uhr</strong> nachmittags. Dann wird der neue Dollarkurs<br />
verkündet. Während der Junior lernt, mit Millionenbeträgen<br />
zu jonglieren, lenkt der Buchhändler Richard <strong>Ganske</strong> seinen<br />
Lesezirkel mit ruhiger Hand durch das Chaos. Die Zeitungen<br />
veröffentlichen jeden Tag eine »Buchhändlerschlüsselzahl«, mit<br />
welcher der Preis eines Buches oder einer Zeitschrift zu multiplizieren<br />
ist. Und der steigt im Steilfl ug: Das Blatt der Hausfrau,<br />
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Wechselstube als Nachrichtenbörse: Der Dollarkurs steigt stündlich<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong> im Alter von 18 Jahren<br />
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das 1919 noch 30 Pfennig kostete – ungefähr so viel wie eine<br />
Zigarette –, steht im Juli 1923 bei 1100, Ende August bei 20 000<br />
und Ende September bei 100 000 Mark pro Heft, der Schnittmusterbogen<br />
kostet noch mal 35 000 extra.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> hat ein Vermögen für seine Zigaretten ausgegeben.<br />
Der junge Mann raucht und wird es sich erst nach vielen<br />
Jahren abgewöhnen. Inzwischen hat er es vom Kaufmannsgehilfen<br />
in der Hamburger Firma zum Buchhalter gebracht. Er lernt<br />
Bilanzen lesen und die Geheimnisse kaufmännischer Rechnungsstellung,<br />
ein Kapital, wie sich bald herausstellen soll. »Bilanzen<br />
lesen heißt die Proportionen sehen, erkennen, wo ich Wege fi nde<br />
für eine Kalkulation«, erklärt sein Sohn Thomas. »Wenn ich die<br />
Wege sehe, fi nde ich auch zum Ziel.« Rechnen können sie alle,<br />
Richard, Kurt und Thomas <strong>Ganske</strong>. Ein Familienerbe.<br />
Im November ist der Spuk vorbei. Die Rentenmark löst die<br />
wertlos gewordene Währung ab. Der Kurs: eins zu einer Billion<br />
(in Zahlen: 1:1000 000 000 000). Die Verlierer sind die Gläubiger,<br />
die gutes Geld verliehen hatten, das nichts mehr wert ist; Verlierer<br />
sind die Sparer, die Kleinen ebenso wie die Großen, die plötzlich<br />
nichts mehr auf der hohen Kante haben. Nur wer Schulden hatte,<br />
ist fein raus. Einige werden unermesslich reich, wie Hugo Stinnes,<br />
Großunternehmer und Reichstagsabgeordneter der konservativen<br />
Deutschen Volkspartei (DVP). Ihm war es in den Jahren nach<br />
dem Krieg gelungen, mit waghalsigen Krediten Anteile an mehr<br />
als 1600 Betrieben zusammenzukaufen, Kredite, die er nun mit<br />
einem Lächeln aus der Portokasse zurückzahlen konnte.<br />
Die Karten werden neu gemischt. Der zweite Neubeginn nach<br />
dem großen Krieg. Der Lesezirkel Daheim und die Buchhandlung<br />
des Richard <strong>Ganske</strong> kommen wieder auf Touren. Ein Geschäft<br />
der vielen kleinen Schritte, von Haus zu Haus, bei jedem Wetter.<br />
Die Infl ation hat Leser und Leserinnen schwer gebeutelt, der Mittelstand<br />
ist ins Elend geraten, und die Blätter in den Mappen sind<br />
ziemlich dünn und unansehnlich geworden und haben an Farbe<br />
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verloren, aber kosten nicht die Welt. Und sie sind auf dem Weg in<br />
bessere Zeiten. Alles ist in Bewegung.<br />
Ein frischer Wind weht durchs Land und erfasst auch den jungen<br />
Buchhalter in Hamburg. Eine merkwürdige Bewegung hat<br />
die Deutschen erfasst, körperliche Ertüchtigung nur so zum Spaß,<br />
ohne die Kasernenhofdisziplinen Granatenweitwurf, Nahkampf<br />
und Abstechen des Gegners. Sport wird modern, wird zum Fimmel,<br />
die erste große Fitnesswelle erfasst die Freizeitgesellschaft<br />
in Gründung. Deutschland wird schon wieder Großmacht – des<br />
Sports. In den drei Jahren nach der Infl ation verzehnfachen sich<br />
die Mitgliederzahlen der Sportclubs und die Zuschauerzahlen der<br />
Sportfeste.<br />
Der junge Kurt <strong>Ganske</strong> sitzt fest im Sattel. Sein Steckenpferd<br />
ist Radball, ein Mannschaftssport mit sehr kleinen Teams. In der<br />
Halle spielen zwei gegen zwei, auf dem Rasen sechs gegen sechs.<br />
Die Spiele sind kurz, zweimal sieben Minuten. Geschicklichkeit<br />
und Kraft sind gefragt, Tricksen, Täuschen, Treffen. Vorwärts<br />
fahren, rückwärts fahren – die starre Übersetzung auf das Hinterrad<br />
macht es möglich –, der Lenker ist nach oben gebogen.<br />
Das Sportgerät hat mit einem Bäckerfahrrad wenig gemein, sieht<br />
man von den relativ dicken Reifen ab. Kniffl ig: Kein Spieler darf<br />
mit den Füßen den Boden berühren. Handspiel ist nur im Tor<br />
erlaubt. Der Stürmer ist ein Virtuose bodenloser Balance, schießt<br />
mit dem Vorderrad den Ball ins Tor. Ein Sport für Spezialisten,<br />
nichts für fi ebernde Zuschauermassen. Es gibt Eckbälle, Ausbälle,<br />
Freistöße und den Vier-Meter-Strafstoß. Das Spielfeld ist kaum<br />
größer als ein halber Tennisplatz und durch Banden begrenzt, an<br />
denen der Ball abprallen kann. Dann ist er wieder im Spiel.<br />
Das Spiel über die Bande lässt ihn nicht los. Er wird es bald zur<br />
Perfektion treiben, als Cárambolage. 1931 lässt sich der 26-jährige<br />
Jungunternehmer einen Billardtisch bauen. Er spielt allein<br />
und ganz für sich, bis in seine späten Jahre. »Ich glaube, außer<br />
dem Autor Rudolf Hagelstange wusste überhaupt niemand, dass<br />
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Das Pantheon war Vorbild: die Stadthalle Hannover<br />
mein Vater Billard spielte«, sagt Thomas <strong>Ganske</strong>. Dass sein Vater,<br />
zumindest im Stadium des Versuchs, auch Kampfsport betreibt,<br />
kommt nur zufällig heraus. Einmal überrascht ihn seine Frau, wie<br />
er sich mit dem Autor Gerhard Nebel, berühmt als langjähriger<br />
Brieffreund des Schriftstellers Ernst Jünger, einen Zweikampf im<br />
Judo liefert – eine Wette. Einer der Herren liegt am Boden, aufs<br />
Kreuz gelegt. Ob es der Verleger war oder der Autor, verschweigt<br />
die Familiengeschichte.<br />
Noch liegen ganz andere Herausforderungen vor ihm. Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> ist 19 Jahre alt, als er vom hanseatischen »Im und Ex«<br />
ins väterliche Unternehmen wechselt. Staunend beugt sich der<br />
junge Mann über die Bilanzen, die sauberen Zahlen des Vaters.<br />
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Zu seinen später oft bewunderten und gefürchteten Fähigkeiten<br />
gehört, dass er Zahlen sehr schnell erfasst. Die Bilanzen seines<br />
Vaters braucht er nur zu überfl iegen, um zu wissen, woran er ist:<br />
Die Zahlen des kleinen Familienunternehmens sind schwarz und<br />
kerngesund. »Weißt du eigentlich, was du mit dem Lesezirkel für<br />
eine Rendite machst?«, fragt er den Vater. Der blickt seinen Sohn<br />
erstaunt an. »Warum fragst du?«, will er wissen. »Du solltest das<br />
Unternehmen auf Deutschland ausdehnen«, sagt Kurt <strong>Ganske</strong>.<br />
Wie hat der Vater reagiert? Mit einem Lachen? Entsetzt? Skeptisch?<br />
Begeistert? Der Sohn lässt nicht locker, legt seinem Vater<br />
Berechnungen vor, sie beugen sich über eine Deutschlandkarte.<br />
Kiel liegt am Rand, verliert zunehmend an Bedeutung. Der Glanz<br />
der Marine ist verblasst, der Versailler Vertrag verbietet den Bau<br />
neuer Kriegsschiffe; die Werften stellen ihre Produktion auf<br />
Fischdampfer und Eisenbahnwagen um. Viele Werftarbeiter werden<br />
arbeitslos, die Zahl der Marineangehörigen geht zurück, Kiel<br />
schrumpft. Die Zukunft liegt woanders.<br />
1926 zieht die Zentrale des Lesezirkel Daheim nach Hanno -<br />
ver – vom Rand in die Mitte, wie eine Spinne ins Netz, ideal zum<br />
Spinnen der Fäden. Hannover ist eine Stadt der guten Verbindungen,<br />
das Kreuz zwischen Hamburg und München, Köln und<br />
Königsberg; die Bahnlinien, die Rhein und Ruhr mit der Hauptstadt<br />
verbinden, führen durch Hannover. Es ist eine selbstbewusste<br />
und aufstrebende Stadt, die sich der Juniorchef des Lesezirkel<br />
Daheim als strategische Mitte seines Imperiums ausgewählt hat.<br />
Alle Wege führen an die Leine. Die Stadthalle am Corvinusplatz<br />
gleicht nicht ohne Absicht dem Pantheon in Rom; überall in der<br />
Stadt werden helle Arbeiterwohnungen in raumgreifenden Backstein-Kolonien<br />
gebaut, und als Signal für die aufstrebende Pressestadt<br />
wird Fritz Höger, der Expressionist unter den Architekten,<br />
bald sein Anzeiger-Hochhaus errichten, als Stahlbeton-Skelettbau<br />
im dunklen Maßanzug doppelt gebrannter Ziegel. Die kupferne<br />
Kuppel des Planetariums auf dem Dach greift nach den Sternen.<br />
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Titelblatt der »Berliner Illustrirten Zeitung«<br />
vom 13. November 1927<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong> auch. Er bestellt sechsunddreißig Schreibmaschinen.<br />
Sein Vater reagiert entsetzt: »Jetzt bist du größenwahnsinnig<br />
geworden!« Es bleibt nicht bei den Schreibmaschinen. Der junge<br />
Mann, seit einem Jahr Besitzer eines Führerscheins, erklärt: »Ich<br />
brauche mindestens zweihundert bis dreihundert Autos.« Der Vater<br />
mag den Kopf geschüttelt haben über die Pläne seines Sohnes.<br />
Vielleicht haben ihn die Zahlen überzeugt, vielleicht auch die<br />
neuen, besseren Rabatte, die der Sohn bei Ullstein und Mosse in<br />
Berlin herausgehandelt hat. Er lässt ihn machen. Ohne seinen<br />
ewig drängenden, planenden Sohn hätte der inzwischen 50-Jährige<br />
sich auch eine mäßigere Gangart vorstellen können. Der Mann,<br />
der es vom Werftarbeiter zum Buchhändler gebracht hatte, wäre<br />
vielleicht in Kiel geblieben, mit Hannover als Filiale, zufrieden<br />
mit dem Erreichten, bescheiden und stolz zugleich. Der Sohn ist<br />
anders, für ihn liegt die Zukunft hinter dem Horizont, seine Welt<br />
will noch erobert werden.<br />
Er zieht seine Sache durch, planmäßig, Schritt für Schritt; fährt<br />
durchs Reich, ein Gründer, der den Radius seines Zirkels ständig<br />
erweitert, neue Kreise zieht, von Kiel und dann von Hannover<br />
aus. Er sinniert über Landkarten und Stadtplänen, rechnet Verbindungen<br />
aus, Vertriebswege, Lieferbedingungen. Er analysiert<br />
potenzielle Leserschaften: wo sie leben, wie sie leben, was sie lesen.<br />
Er wandert durch die Städte, erkundet ihre Topographie, nimmt<br />
Messtischblätter zur Hilfe und zieht historische Kupferstiche des<br />
Matthäus Merian aus dem 17. Jahrhundert zu Rate, die er zu sammeln<br />
beginnt. Danach sucht er Lager in Bahnhofsnähe, Geschäftsräume,<br />
heuert Leute an. Bevor er eine Stadt besucht, kündigt er<br />
sein Kommen an – per Kleinanzeige im Lokalblatt; wo er zu treffen<br />
ist und wann er Sprechstunde hat. Meist wählt er dafür ein Zimmer<br />
in einem Gasthof oder Hotel. Meist stehen Schlangen vor der<br />
Tür. Er schaut sich die Leute an, fragt sie aus, prüft sie, stellt sie ein<br />
oder nicht und erwirbt sich in diesen Gesprächen eine Menschenkenntnis,<br />
die ihm später manche Enttäuschung erspart.<br />
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Haben Vater und Sohn über das Tempo der Expansion gestritten?<br />
War die Abwesenheit des ewig im Reich herumreisenden<br />
Sohnes ein Thema oder die Summen, die er für seine Touren<br />
und seine Gründungen brauchte? Gibt es einen Streit um Kompetenzen,<br />
einen Machtkampf zwischen Vater und Sohn? Offenbar<br />
nicht. Sie teilen die Arbeit unter sich auf. Es gibt genug zu tun.<br />
Der Antagonismus zwischen Gründen und Bewahren, Expansion<br />
und Routine, zwischen den neuen und den eingefahrenen Wegen<br />
funktioniert perfekt, ein Gelenk zwischen den Generationen.<br />
Richard <strong>Ganske</strong> überlässt seinem Sohn die Initiative, die Verantwortung.<br />
Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist bis ins hohe<br />
Alter von gegenseitigem Respekt geprägt.<br />
Kaum im Betrieb, baut Kurt <strong>Ganske</strong> den Laden aus. Der 19-<br />
Jährige gründet Filialen in Dresden und Chemnitz, bringt die<br />
Zahl der Abonnenten von 3500 auf 10 000. Im Jahr darauf öffnet<br />
der Lesezirkel Filialen in Stettin, Frankfurt, Nürnberg und Düsseldorf.<br />
Und so geht es weiter, scheinbar nach dem Zufallsprinzip,<br />
aber auf den Landkarten ist es zu sehen: Es ist das Prinzip des<br />
Spinnennetzes, ein Fädenziehen, ein planmäßiger Ausbau der<br />
Wege zum Leser – nach Gelsenkirchen, Kassel, Mannheim und<br />
Osnabrück, nach Augsburg, Breslau, Danzig und Karlsruhe, nach<br />
Magdeburg und Stuttgart. 1929 gewinnt der Lesezirkel nur eine<br />
einzige Filiale dazu, aber die hat es in sich: Berlin.<br />
Berlin. Welchem der fünf Ullstein-Brüder hat er gegenübergesessen?<br />
Die Gespräche dürften nicht einfach gewesen sein; der<br />
selbstbewusste junge Mann kämpft hart und vor allem ausdauernd<br />
um Rabatte. Er vertritt nicht mehr eine Leihbücherei in<br />
Kiel, sondern kommt als einfl ussreicher Großkunde, der einer<br />
Zeitschrift zum Durchbruch verhelfen kann, aber ihre Aufl age<br />
ebenso schnell in den Keller schickt, wenn er sie ausmustert. Er<br />
ist in einer starken Position, verhandelt auch mit den anderen<br />
Giganten in Berlin, mit Mosse, mit Scherl. Die Herren, denen er<br />
bei Ullstein gegenübersitzt, sind allesamt älter als sein Vater: Hans<br />
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Ullstein, der Schweigsame, Zurückgezogene, der Primus inter Pares,<br />
71 Jahre alt. Oder Hermann, 53, der Jüngste, Experte für<br />
Propaganda und Leserwerbung. Möglicherweise hat Louis, mit 66<br />
Jahren eigentlich schon im Rentenalter, die Verhandlungen geleitet.<br />
Der gesellige Genussmensch führt die Geschäfte, kümmert<br />
sich um Anzeigen. Geht er mit dem größten Lesezirkelunternehmer<br />
des Reiches zum Essen? Wer zahlt den Champagner?<br />
Das Haus Ullstein beeindruckt seine Besucher, ein Imperium,<br />
ein Konglomerat von Verlagen. Die Brüder regieren ein Reich, in<br />
dem rund zehntausend Angestellte ihrer Arbeit nachgehen, der<br />
Häuserblock zwischen Koch-, Charlotten- und Besselstraße scheint<br />
ständig aus den Nähten zu platzen. Dem Schriftsteller Franz Hessel<br />
kommen Berlins Verlage vor wie »großmächtige Häuser, die sagenhaften<br />
Königen gehören«. Hat Kurt <strong>Ganske</strong> davon geträumt,<br />
auch einmal so ein König zu sein? Wohl nicht, denn er ist kein<br />
Träumer. Er nimmt es sich vor, es wird ein Plan.<br />
Wie oft ist er durch dieses Labyrinth gegangen? Ist er Bert<br />
Brecht oder Max Brod begegnet, Stefan Zweig oder Carl Zuckmayer?<br />
Alfred Kerr? Herbert Ihering? Siegfried Jacobsohn? Er<br />
bekommt Kontakt zu bedeutenden Schriftstellern, einige, wie<br />
Erich Kästner, suchen seinen Rat. Hat er Dinah Nelken an sich<br />
vorbeihuschen sehen, oder hat er mit ihr geredet, der jungen<br />
Autorin, deren Werke er später einmal selbst verlegen wird? Er<br />
kennt die Leser, für die eine Frau wie Dinah Nelken schreibt, das<br />
Universalgenie unter den Autorinnen. Am 16. Mai 1900 wurde<br />
sie als Bernhardine Schneider, Tochter eines Fahrradhändlers<br />
und Gelegenheitsschauspielers, geboren. Von ihrem Onkel, dem<br />
Kriminalschriftsteller Hans Hyan, beim Ullstein Verlag eingeführt,<br />
schreibt sie für die B.Z. am Mittag, für Tempo, Uhu oder das Modeblatt<br />
Die Dame. Sie verfasst Kurzgeschichten, Feuilletons oder<br />
Mode-Reportagen, berichtet über Teepfl ücker auf Ceylon oder<br />
einen Ausritt im Pariser Bois de Boulogne, schreibt Reklametexte,<br />
Chansons und Gedichte über die Liebe.<br />
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Der Markt der neuen Blätter: Kiosk in der Kaiserallee, Berlin<br />
Vielleicht hat Kurt <strong>Ganske</strong> in der Empfangshalle eine merkwürdige<br />
Frau gesehen mit den großen braunen Augen im nachtbleichen<br />
Gesicht. Sie dürfte ihm aufgefallen sein, sie sitzt dort stundenlang,<br />
weil der Leiter der Zeitschriftenabteilung den Termin<br />
mit ihr vergessen hat, blättert in den Zeitschriften: »Sie lagen auf<br />
dem Tisch«, notiert sie später, »die unglaublich beliebte Berliner<br />
Illustrirte, die kultivierte Modezeitschrift Die Dame; die unübertroffene<br />
Familienzeitschrift Das Blatt der Hausfrau und der Uhu, eine<br />
Monatsschrift im Buchformat, die damals ganz neuartig war –<br />
fesselnd gemischt aus Belletristik, Berichten, Unterhaltungsstoff,<br />
witzigen Betrachtungen, ernsten Essays und vielen Fotos. Da<br />
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lagen auch der hoch intellektuelle Querschnitt, die Kinderzeitschrift<br />
Der heitere Fridolin und Die Koralle, die einen großen naturwissenschaftlichen<br />
Leserkreis hatte.«<br />
Endlich wird sie vorgelassen. Was treibt sie zu Ullstein? Die<br />
Existenznot ihres Mannes? Hedwig Baum, Hausfrau und Mutter.<br />
Eigentlich hatte sie Harfenistin werden wollen, dann heiratet sie<br />
einen Dirigenten, der Generalmusikdirektor in Mannheim wird,<br />
und bekommt zwei Söhne. Sie zeichnet, schreibt nebenher Geschichten.<br />
Als der Mann seinen Job zu verlieren droht, schreibt<br />
die über Vierzigjährige eine Bewerbung an den Ullstein Verlag in<br />
Berlin, bietet sich an als Lehrling oder Modezeichnerin. Sie hat<br />
eine Mappe mit ihren Entwürfen dabei: Reizwäsche, Abendkleider,<br />
Stickvorlagen. Sie staunt wohl, als eine ganze Kommission<br />
auf sie wartet. Warum unbedingt Modezeichnerin?, wollen die<br />
Herren wissen. Sie habe doch schon acht Bücher geschrieben<br />
und die vielen Kurzgeschichten! Die Herren sind begeistert. Einer<br />
von ihnen ist Hermann Ullstein persönlich. Sie bekommt als<br />
Lektorin ein Anfangsgehalt von achthundert Mark und zusätzlich<br />
eine Mark pro Zeile, falls sie etwas schreibt. Ein Spitzenhonorar.<br />
Als Vicki Baum wird sie berühmt. Sie fi ndet eine wunderbar lakonische<br />
Erklärung für ihren Erfolg: »Ich bin eine gute schlechte<br />
Autorin.«<br />
Vicki Baum ist fasziniert von der Ullstein-Welt: »Das Leben<br />
strömte in Tausenden von Fotos, Tausenden von Menschen und<br />
in den Stimmen des ganzen Erdballs vorbei. Die Gänge hallten<br />
vom Witz und Lachen der schärfsten Geister der großen Stadt<br />
wider.« 1929 erscheint »Menschen im Hotel« als Fortsetzungsroman<br />
in Ullsteins Berliner Illustrirten Zeitung. Die Aufl age steigt,<br />
das Buch wird in Deutschland, Großbritannien und in den USA<br />
ein Bestseller. Die Erfolgsstory kommt als Bühnenstück am Theater<br />
am Nollendorfplatz heraus und am Broadway in New York.<br />
Es wird mit Greta Garbo verfi lmt und ein zweites Mal mit Sonja<br />
Ziemann und Heinz Rühmann. Die Abonnenten des Lesezirkel<br />
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Daheim kennen natürlich die Geschichte. Sie gehören zu den Ersten,<br />
die den Stoff auf dem Tisch hatten.<br />
Die Pressehäuser zeigen, bei aller Vielfalt, Profi l. Ullstein und<br />
Mosse stehen für Fortschritt, Vielfalt und liberalen Geist, der<br />
Scherl Verlag für Nationalismus, bürgerliche Tradition und konservative<br />
Reaktion. 1916 von Alfred Hugenberg aufgekauft, wächst<br />
er neben Ullstein und Mosse zur dritten großen Medienmacht<br />
heran, die sich mit rückwärts gewandten und antisemitischen<br />
Kampagnen des deutsch-nationalen Reichstagsabgeordneten Hugenberg<br />
als Wegbereiter der kommenden Katastrophe profi lieren<br />
sollte. Aber noch ist die große Party nicht zu Ende.<br />
Man lebt, man genießt. Sicher hat Kurt <strong>Ganske</strong> irgendwann<br />
Franz Wolfgang Koebner gegenübergesessen, dem Mann, der<br />
angeblich ein unehelicher Sohn Kaiser Wilhelms II. war. Natürlich<br />
ist das nur ein Gerücht. Geboren in Berlin als Sohn einer<br />
Tänzerin und – offi ziell – des Chefredakteurs der damals noch<br />
Bismarck-treuen National-Zeitung, gehört er 1912 zu den Mitbegründern<br />
der Eleganten Welt, einer erfolgreichen Frauen- und<br />
Modezeitschrift. Im Frühsommer 1924 trifft er in einem Berliner<br />
Café auf den 24-jährigen Robert Siodmak, einen gelernten Bankkaufmann,<br />
der sich auch schon als Schauspieler versucht hat. Sie<br />
gründen einen Verlag – und eine neue Zeitschrift: Das Magazin.<br />
Siodmak wird Herausgeber, Koebner Chefredakteur. Siodmak<br />
wechselt schon bald zum Film, bekommt nach seinem Überraschungserfolg<br />
»Menschen am Sonntag« 1929 einen Ufa-Vertrag.<br />
Später emigriert er, wie sein jüngerer Bruder Curt, der vor allem<br />
Drehbücher schreibt, über Paris nach Hollywood und wird als<br />
Regisseur berühmt für seine schwarzen Gangsterfi lme.<br />
Koebner, nun in doppelter Funktion Chefredakteur der Eleganten<br />
Welt und des Magazins, treibt die Aufl agen nach oben, setzt auf<br />
Geschichten über Publikumslieblinge und Prominente aus der<br />
Welt des Films und der Revuen – glänzender Stoff für ein Massenblatt<br />
neuen Typs. Das Magazin wird kopiert. Scherl’s Magazin<br />
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kommt auf den Markt, Das kleine Magazin, das Magazin für Alle.<br />
Ullstein kontert mit dem Uhu. Die Presse und die Welt des Glamours<br />
sind untrennbar verbunden. Koebner jongliert mit Whiskyglas<br />
und Monokel und zeigt sich schönen Frauen gegenüber<br />
sehr zugetan. Seine Affäre mit Camilla Horn, dem Gretchen in<br />
Murnaus legendärem Stummfi lm-Klassiker »Faust«, bleibt nicht<br />
verborgen, soll auch gar nicht verborgen bleiben. Romanzen machen<br />
Aufl age.<br />
1927 erscheint ein neues Gesicht im Magazin, wiederholte<br />
Male; und es bleibt nicht beim Gesicht. Innerhalb zweier Jahre<br />
druckt das Blatt siebenmal Porträts und Fotoreportagen mit<br />
Marlene Dietrich – in Revuepose, in Seidenstrümpfen, auf dem<br />
Diwan und am Strand mit ihrem Töchterchen, ein sehr privater<br />
Schnappschuss. Der Fotograf: Franz Wolfgang Koebner. Im Mai<br />
1929 schafft sie es endlich auf die Titelseite, im Jahr darauf ist das<br />
Covergirl nach dem Erfolg in »Der blaue Engel« weltberühmt.<br />
Koebner muss bald darauf emigrieren, weil sein Ahnenpass nicht<br />
den deutschen Kaiser, sondern einen Deutschen aus jüdischer<br />
Familie aufweist. 1949 versucht er in Stuttgart einen neuen Start.<br />
Das Magazin schafft es diesmal nicht, aber Die elegante Welt fi ndet<br />
ihr Publikum, wird nach Düsseldorf verlegt und fusioniert 1970<br />
mit Madame. Koebner und Kurt <strong>Ganske</strong> werden dadurch Konkurrenten.<br />
Aber das liegt noch in weiter Ferne.<br />
In den zwanziger Jahren erlebt die Massenpresse ihr goldenes<br />
Zeitalter. Noch gibt es kein Fernsehen; zwar verschafft sich<br />
der Rundfunk langsam Gehör, aber wer informiert sein will,<br />
liest – liest Bücher, Journale, Lesemappen. Kurt <strong>Ganske</strong> befi ndet<br />
sich in der Mitte seiner Welt. Allein in Berlin erscheinen 26<br />
Prozent der gesamten deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenproduktion,<br />
die unglaubliche Zahl von 2633 Zeitschriften und 1<strong>14</strong><br />
Tageszeitungen, manche davon dreimal am Tag! Um elf öffnet<br />
die Börse, um elf <strong>Uhr</strong> zwanzig stehen die ersten Kurse fest, zehn<br />
Minuten später erscheint die B.Z. am Mittag mit den aktuellen<br />
50<br />
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Werten, ein genialer Coup Rudolf Ullsteins, der eine Telefonleitung<br />
zwischen Börse und Setzerei installieren ließ.<br />
1929 also gründet Kurt <strong>Ganske</strong> die Filiale in Berlin und sucht<br />
dort eine Wohnung. Sein Freund Alfred Hartz wird Prokurist<br />
des Unternehmens. Nun hat der Lesezirkel Daheim vierundzwanzig<br />
Filialen und eine Viertelmillion Abonnenten. Sie zahlen für<br />
Zeitschriften, die er nicht produzieren muss. Von den Verlagen<br />
erhält er nur einen mäßigen Rabatt, gibt die Blätter billig weiter,<br />
kassiert dafür aber bis zu vierzehnmal für dasselbe Produkt, fürs<br />
Holen und Bringen und für die Werbung auf dem Pappdeckel<br />
obendrein. Kurt <strong>Ganske</strong> hat die Chance ergriffen und zum richtigen<br />
Zeitpunkt das Richtige getan. Das macht einen erfolgreichen<br />
Unternehmer aus.<br />
Das Jahrzehnt, das nur ein Zwischenspiel war im deutschen<br />
Drama, erlebt noch einen Höhepunkt: Thomas Mann erhält den<br />
Nobelpreis für Literatur; allerdings nicht für sein literarisches Gesamtwerk,<br />
sondern für sein (schon 1901 erschienenes) Werk »Die<br />
Buddenbrooks«. Und das Jahrzehnt erlebt seine letzte große Katastrophe.<br />
Im Oktober 1929 bricht die Weltwirtschaftskrise aus und<br />
greift auf Deutschland über. Sieben Millionen Arbeitslose sind auf<br />
der Straße und – zum ersten Mal – braune Uniformen.<br />
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Kurt, Richard und Käthe <strong>Ganske</strong><br />
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DIE DREISSIGER JAHRE<br />
Berlin, Sachsenplatz 12 – Die Machtergreifung –<br />
Ein Kaufmann wird Gutsherr – Jagdszenen aus<br />
Niedersachsen – Die Hochzeit – Der Leierkastenmann<br />
Berlin im dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. 5,4 Millionen<br />
Einwohner, Reichshauptstadt, drittgrößte Metropole der Welt,<br />
rastlose Großveranstaltung für Kultur und Nachtleben, Startbahn<br />
für Talente, Spielplatz für Genies, Hinterhof für Spießbürger. Was<br />
für eine Stadt! Unkonventionell, unsentimental, unverwüstlich,<br />
eine urbane Übergröße, schäbig und prachtvoll, piefi g und grandios,<br />
provinziell und weltoffen, bieder und frivol, selbstironisch<br />
und selbstverliebt, die geistige Mitte zwischen saurer Gurke und<br />
Größenwahn, eine Weltstadt, die sich jede Nacht neu erfi ndet.<br />
Vorhang auf!<br />
Der zwölfjährige Yehudi Menuhin spielt in der Philharmonie,<br />
Wilhelm Furtwängler und Bruno Walter dirigieren, Duke<br />
Ellington kommt mit den »Chocolate Kiddies«, Josephine Baker<br />
mit ihrer »Charleston-Jazzband«. Die Metropole – eine Großstadt<br />
als Tanzpalast mit langen Nächten. Die Stars heißen Barnabas<br />
von Géczy, einst Konzertmeister der Budapester Oper, nun leitet<br />
er das Tanzorchester des Hotels Esplanade, oder Teddy Stauffer,<br />
Schweizer Geiger und Saxophonist, der 1929 seine erste Band<br />
gründet, die »Original Teddies«, beste Swingband des europäischen<br />
Kontinents. Die »Comedian Harmonists« singen »Wochenend<br />
und Sonnenschein«, Marlene Dietrich ist »von Kopf bis Fuß<br />
auf Liebe eingestellt«, und Richard Tauber singt »Adieu, mein<br />
kleiner Gardeoffi zier«. Top-Hits von 1930.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> liebt den Swing und genießt das Leben. Berlin<br />
wird seine Stadt. Er kauft die »Buchhandlung Unter den Linden«<br />
an der Kurfürstenstraße, ein Geschäft mit gutem Ruf und großem<br />
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53
literarischem Sortiment, eine der ersten Adressen der Stadt. Der<br />
Buchhändler zeigt einen Hang zum Mondänen, er trägt Maßanzüge<br />
und fährt Cadillac mit Fahrer. Der hört auf den seltenen<br />
Namen Kienöl und kann – praktisch für einen Junggesellenhaushalt<br />
– auch fabelhaft kochen; seine Cumberland-Sauce lässt keine<br />
Wünsche offen. Kurt <strong>Ganske</strong> genießt plein pouvoir im Bristol-Hotel,<br />
speist im feinen Restaurant Horcher, wird Stammkunde bei Emil<br />
Lettré, dem Gold- und Silberschmied im eleganten Palais Unter<br />
den Linden, ein nobles Geschäft, das stets nur ein einziges Objekt<br />
im Fenster zeigt, angestrahlt vor silbergrauem Samt. Lettré<br />
liefert das Tafelsilber des Kronprinzen und stattet die deutsche<br />
Botschaft in London aus und nun auch die Junggesellenbude von<br />
Kurt <strong>Ganske</strong>.<br />
Die fi ndet sich am Sachsenplatz im neuen Westend, Charlottenburgs<br />
feinster Provinz, einer zwei Hektar großen, ungewöhnlich<br />
hügeligen Grünanlage, die vom Charlottenburger Stadtgartendirektor<br />
Erwin Barth entworfen wurde. Über einer ehemaligen<br />
Kiesgrube hatte er einen »Volkspark« geschaffen, als Naturdenkmal<br />
der Mark Brandenburg mit Nachbildungen der Kalkfelsen bei<br />
Rüdersdorf, Teich und Wasserfall, brandenburgischen Wildpfl anzen<br />
und -tieren, ein Biotop für Enten, Eichhörnchen und auch für<br />
einen Dackel namens Frau Lehmann.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> bewohnt eine Etagenwohnung im Haus Nummer<br />
12, einem Neubau für gehobene Ansprüche. Sein Cadillac<br />
ist nicht der einzige am Sachsenplatz, ein paar Häuser weiter<br />
steht ein blau glänzendes Exemplar, von einem livrierten Fahrer<br />
stets liebevoll gewienert. Kienöl wird bald seine Bekanntschaft<br />
gemacht haben. Die Wagenlenker werden sich über den Blumenstrauß<br />
unterhalten haben, der jeden Tag auf der Kühlerhaube<br />
des blauen Cadillacs liegt. Sie kennen natürlich den Mann, der<br />
ihn dort hinlegt. Jedes Kind kennt ihn, den Wohnungsnachbarn<br />
von Kurt <strong>Ganske</strong>, den Riesen mit den breiten Schultern und dem<br />
gutmütigen Gesicht: Max Schmeling, Boxweltmeister im Schwer-<br />
<strong>54</strong><br />
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gewicht und verliebt bis über beide Ohren. Schuld daran ist Olga<br />
Tschechowa, seine Freundin.<br />
Er trinkt mit ihr bei Schilling am Kudamm einen Kaffee. »Lass<br />
uns ins Kino gehen«, schlägt sie vor, »im Gloria Palast läuft ›Die<br />
vom Rummelplatz‹.« Er zögert, sie drängt. »Deine Nachbarin, die<br />
Ondra, hat darin eine Bombenrolle!« Die Ondra wohnt am Sachsenplatz,<br />
Anny Ondra, ein bekanntes und sehr schönes Gesicht,<br />
ein Stummfi lmstar, blond, mit großen blauen Augen und eigener<br />
Filmproduktion in Berlin. Eigentlich heißt sie Anna Ondráková,<br />
geboren am 15. Mai 1903 im polnischen Tarnów als Tochter eines<br />
österreichischen Offi ziers. Bisher war ihm nur ihr blauer Cadillac<br />
aufgefallen. Jetzt sieht er sie riesengroß auf der Leinwand<br />
schmachten, kriegt glänzende Augen. »Sie bezauberte mich auf<br />
den ersten Blick«, schreibt er später in seinen Erinnerungen. Er<br />
ist diesem Gesicht verfallen, verliebt in das Mädchen vom Rummelplatz.<br />
»Ich möchte sie kennen lernen«, sagt er zur Tschechowa,<br />
»kannst du das arrangieren?« Was für ein Ansinnen! Die Diva ist<br />
pikiert: »Das musst du schon selber tun. Zum Kuppeln eigne ich<br />
mich nicht.« Er versucht es selbst, stellt es ziemlich ungeschickt<br />
und umständlich an; der Cham pion kommt nicht aus der Deckung,<br />
schickt Freunde vor, legt wochenlang jeden Morgen einen<br />
Blumenstrauß auf ihren Cadillac. Die Schöne erhört ihn; kommt<br />
zum Tee ins Nachbarhaus, ein Gegenbesuch bleibt nicht aus. Ob<br />
die Entscheidung in der achten, neunten oder zehnten Runde<br />
fällt, ist nicht von Belang. Sie heiraten, ein Traumpaar der Berliner<br />
Gesellschaft.<br />
Die Szene am Sachsenplatz bleibt gelassen. Man grüßt sich,<br />
kennt sich fl üchtig, geht aneinander vorbei. Der Buchhändler<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> lebt unter Künstlern, ohne dass er es darauf angelegt<br />
hätte. Der Nachbar aus dem vierten Stock wird ihm schnell<br />
vertraut, ein origineller Kopf mit markanter Nase und blassen,<br />
klugen Augen. Er muss schon über fünfzig sein, sieht ziemlich<br />
elend aus, geht gern mit Frau Lehmann, seinem Dackel, spazieren<br />
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55
Der Zeitgeist und seine Prominenz: die Comedian Harmonists<br />
zu den Enten am Teich und dann weiter in die Westendklause, wo<br />
er einen Stammtisch hat, an dem er oft versackt.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> hat die Bücher seines Nachbarn an der Kasse liegen.<br />
Es sind die Werke eines Poeten mit einer abenteuerlichen<br />
Biografi e. Der bürgerliche Name des Dichters ist Hans Bötticher.<br />
1883 in Wurzen als Sohn eines Schriftstellers und Musterzeichners<br />
geboren, heuert er als Schiffsjunge auf einem Segelschiff<br />
namens Elli an, reist als Leichtmatrose auf den Frachtern Florida,<br />
Emma, Ramses und Columbia, absolviert eine kaufmännische<br />
Lehre in Hamburg, dient als Freiwilliger bei der Kaiserlichen<br />
Marine in Kiel – eine Blitzkarriere in kurzen Schritten: Kommiss<br />
in Leipzig und Frankfurt, Besitzer eines Tabakladens, Buchhalter,<br />
Korrespondent in einem Münchner Reisebüro, Privatbibliothekar<br />
bei Heinrich Graf York von Wartenburg auf Schloss Klein-Oels<br />
und bei Baron Münchhausen auf Apelern und Windischleuba-Eisenach,<br />
Fremdenführer auf Burg Lauenstein in Oberfranken. Im<br />
Ersten Weltkrieg bringt er es zum Kommandanten eines Minensuchbootes.<br />
Aber Vizefeuerwerker war er auch. Nach dem Krieg<br />
versucht er sich als Gartenbauschüler in Freyburg an der Unstrut.<br />
56<br />
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Anny Ondra, Max Schmeling<br />
Barnabas von Géczy<br />
Das Künstlerische bricht nun durch, er malt Ölbilder, geschrieben<br />
hat er immer schon – Novellen, Gedichte. Er tritt in Künstlerkneipen<br />
auf. Aus Hans Bötticher wird Joachim Ringelnatz.<br />
Der Globetrotter wird sesshaft, zieht nach München und heiratet<br />
die Fremdsprachenlehrerin Leonharda Pieper, die er zärtlich<br />
»Muschelkalk« nennt. Sie fl iehen aus München vor den »braunen<br />
Horden«, die dort zunehmend ihr Unwesen treiben. Er kehrt zurück<br />
in sein geliebtes Berlin. Nach dem Krieg hatte er schon einmal<br />
bei Scherl im Archiv gearbeitet, die Stadt ist ihm aus langen<br />
Nächten und vielen Auftritten vertraut. Er liebt die Weltstadt, die<br />
niemals in die Hand dieser Leute fallen wird, das ist seine Hoffnung.<br />
Und weil er zum ersten Mal ganz gut an seinen Büchern<br />
verdient und auch einige Bilder verkauft hat, kann er sich die<br />
Wohnung am Sachsenplatz leisten – vier Treppen hoch, 86 Mark<br />
im Monat. Freunde besuchen sie, die Schauspielerin Asta Nielsen,<br />
die Bildhauerin Renée Sintenis. Er schreibt weiter an seinen<br />
Gedichten, verfasst Werbetexte, wenn auch mit zweifelhaftem<br />
Gebrauchswert:<br />
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57
Es wechseln die Moden.<br />
Aber der Hosenboden<br />
Bleibt sinngemäß<br />
Immer unterm Gesäß.<br />
Die Nachwelt ist gut über das Leben am Sachsenplatz informiert,<br />
denn einer der Mieter hat alles aufgeschrieben: Fred Hildenbrandt,<br />
Feuilletonchef des Berliner Tageblatt, elegant und selbstbewusst<br />
und ein guter Beobachter. Er wird zum Chronisten der<br />
grünen Prominenteninsel, erzählt vom Ufa-Star Willi Forst, dem<br />
Frauenschwarm, dem auch Marlene Dietrich erlag, und vom<br />
rundlichen Komponisten Paul Hindemith, Sachsenplatz 1, Parterre,<br />
seit Frühjahr 1927 Professor an der renommierten Berliner<br />
Musikhochschule in Charlottenburg. Gemeinsam mit Kurt<br />
Weill komponiert er die Musik zu Bertolt Brechts »Lindberghfl<br />
ug«. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird der<br />
Komponist aus dem Musikleben verdrängt. 1936 riskiert Wilhelm<br />
Furtwängler mit der Aufführung der Hindemith-Oper »Mathis<br />
der Maler« einen Skandal, tritt, wenn auch nur vorübergehend,<br />
von allen seinen Ämtern zurück. Hindemiths Musik gilt als »Kulturbolschewismus«.<br />
1938 wird er mit seiner Frau Gertrud in die<br />
Türkei emigrieren.<br />
Die neue Zeit schickt ihre Kuriere. Am Sachsenplatz, im selben<br />
Haus, direkt neben Hindemith, wohnt Veit Harlan mit seiner<br />
zweiten Frau, der Schauspielerin Hilde Körber, und seinen<br />
drei Kindern. Der Schauspieler am Berliner Staatstheater bekennt<br />
sich 1933 zu den Nationalsozialisten und kommt später<br />
als Regisseur des perfi den, antisemitischen Propagandafi lms »Jud<br />
Süß« zu fragwürdigem Ruhm. Immerhin: Trotz seiner Nähe zum<br />
Propagandaministerium verschafft er 1935 seiner in Ungnade<br />
gefallenen Kollegin Henny Porten noch eine Rolle in seinem<br />
ersten Film »Krach im Hinterhaus«. Die bis dahin sehr populäre<br />
Filmschönheit gerät zunehmend ins Abseits, weil sie sich – trotz<br />
58<br />
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Produktive Zweierbeziehung: Joachim Ringelnatz und<br />
Leonharda Pieper, genannt »Muschelkalk«<br />
Hitlers Drängen – standhaft weigert, sich von ihrem jüdischen<br />
Mann scheiden zu lassen. Die Nürnberger Rassengesetze zwingen<br />
sie schließlich, ihre schöne Villa in Dahlem aufzugeben und<br />
in eine Fünf-Zimmer-Etagenwohnung an den Sachsenplatz zu<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 59 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:04 <strong>Uhr</strong><br />
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ziehen. Weil in jüdischen Haushalten nur ältere Hausangestellte<br />
arbeiten dürfen, muss sie ihr Personal entlassen. Das Ehepaar<br />
darf nur noch eine alte Köchin behalten, die es nicht schafft, den<br />
großen Haushalt in Dahlem allein zu versorgen.<br />
Berlin hat sich verändert. Die sprichwörtliche Berliner Luft<br />
verliert ihr leichtsinniges Flair, wird stickig, aus der Gosse weht<br />
ein fauliger Geruch, der nichts Gutes verheißt. Rollkommandos<br />
sprengen Parteiversammlungen, organisierte Jugendbanden<br />
marschieren im Gleichschritt, grölen Lieder und Parolen. Kommunisten<br />
und Nationalsozialisten liefern sich Straßenschlachten,<br />
Braunhemden jagen verängstigte Bürger wie Freiwild durch die<br />
Straßen, schmieren, pöbeln, schießen. Saalschlachten sind an der<br />
Tagesordnung. Der Schock der Weltwirtschaftskrise sitzt tief. Er<br />
hat nicht nur viele Existenzen zerstört, sondern auch das Vertrauen<br />
der Menschen in die ständig wechselnden Regierungen. Sieben<br />
Millionen Arbeitslose stehen Schlange vor den Arbeitsämtern<br />
und vor den Suppenküchen, Bettler lungern in den Parks.<br />
Heinrich Brüning, im Frühjahr 1930 zum Reichskanzler gewählt,<br />
kürzt den Staatshaushalt mit eiserner Hand, zwingt alle,<br />
Bürger und Bauern, die Wirtschaft und die Industrie, den Gürtel<br />
enger zu schnallen, was ihn nicht unbedingt beliebter macht. Unnachsichtig<br />
und unbeirrbar steuert er seinen Sparkurs und greift<br />
zu dem riskantesten, wenn auch wirkungsvollsten Instrument, das<br />
ihm die Verfassung der Weimarer Republik in die Hand gegeben<br />
hat. Er regiert per Notverordnung und greift damit tief ins private<br />
Wirtschaftsgefüge ein. Er setzt Zinsen und Preise herunter, aber<br />
auch Löhne, Gehälter und Pensionen. Er kürzt soziale Leistungen,<br />
zieht die Schraube in neuen Verordnungen weiter an. Der harte<br />
Griff lähmt die Konjunktur, schwächt die Wirtschaft und stärkt<br />
seine Widersacher. Bei den Reichstagswahlen am <strong>14</strong>. September<br />
1930 werden die Nationalsozialisten, bisher eine Splittergruppe<br />
am äußersten rechten Rand, auf Anhieb zur zweitstärksten Partei<br />
und kommen von zwölf auf 107 Mandate.<br />
60<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong> geht seinen Geschäften nach. Er verlässt seine<br />
Wohnung früh am Morgen und kehrt spätabends zurück. Er ist<br />
viel auf Reisen, pendelt zwischen seinem Wohnsitz in Hannover<br />
und dem in Berlin, gründet neue Filialen in Görlitz und Waldenburg.<br />
In Hamburg gliedert er Die Grüne Mappe in sein Imperium<br />
ein, Bremen und Lübeck kommen dazu, später Dessau, Halberstadt<br />
und Halle, Leipzig, Plauen und Zwickau. Trotzdem hat er<br />
das Elend seines Nachbarn Ringelnatz mitbekommen, der durch<br />
die Maßnahmen der Nazis in Not geriet. Kurt <strong>Ganske</strong> wird, wie<br />
alle Buchhändler im Reich, durch behördliche Verfügung gezwungen,<br />
den Verkauf der Werke von Kurt Tucholsky, Heinrich<br />
und Thomas Mann, Heinrich Heine und Egon Friedell einzustellen.<br />
1933, nach Hitlers Machtergreifung, kommen auch die Werke<br />
des skurrilen Poeten Joachim Ringelnatz auf den Index. Seine Bücher<br />
und auch seine Bilder dürfen nicht mehr verkauft werden,<br />
Auftritte im Ausland werden behindert. Das Geld geht ihm aus,<br />
Nachbarn und Freunde sammeln für das Ehepaar. Am 4. August<br />
feiert er im Hotel Kaiserhof in Berlin seinen fünfzigs ten Geburtstag.<br />
Danach wird es still um ihn. Joachim Ringelnatz wird krank,<br />
verliert seinen Lebensmut. Am 17. November 1934 stirbt er an<br />
Tuberkulose. Sein heimlicher Wunsch, ein Seemannsgrab zu<br />
bekommen, geht nicht in Erfüllung. Am Sausuhlensee auf dem<br />
Waldfriedhof an der Heerstraße wird er begraben. Asta Nielsen<br />
steht an seinem Grab, der Schauspieler Paul Wegener und Ernst<br />
Rowohlt, sein Verleger.<br />
Das Haus Sachsenplatz 12 gibt es nicht mehr. Der Platz wurde<br />
1947 in Brixplatz umbenannt, das Haus im Krieg zerstört. Heute<br />
steht an seiner Stelle ein Neubau mit der Nummer 11. Aber es<br />
gibt noch den Stammtisch in der Westendklause am Steubenplatz.<br />
Nicht weit vom U-Bahnhof Neu-Westend, an der Endstation der<br />
Linie 104, fi ndet sich eine gusseiserne Tafel mit den Zeilen:<br />
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Es sang eine Nacht …<br />
Eine Nachti …<br />
Ja, Nachtigall am Sachsenplatz<br />
Heute Morgen. – Hast du in Berlin<br />
Das je gehört? Sie sang, so schien<br />
Es mir, für mich, für Ringelnatz.<br />
Die Vögel verstummen. Die Nazis betreiben die Gleichschaltung<br />
der Presse mit fahrplanmäßiger Präzision. Schon am 1. April 1933<br />
war ein Trupp durch alle Stockwerke des Ullstein-Baus gezogen,<br />
hatte die Türen aufgerissen und »Juden raus!« gegrölt. Der Terror<br />
dauerte drei Stunden, nicht zuletzt, weil sich begeis terte Kollegen<br />
den Randalierern anschlossen und mitgrölten. 1934 müssen<br />
die jüdischen Verleger ihre jüdischen Mitarbeiter entlassen, im<br />
März wirft Kurt Safranski, der Leiter der Zeitschriftenabteilung,<br />
das Handtuch. Schließlich verkaufen die Ullsteins ihr Imperium<br />
für ein Zehntel des Wertes an eine anonyme NS-Treuhandgesellschaft.<br />
Die Brüder Ullstein und ihre Familien emigrieren. Bei der<br />
Ausreise müssen sie fast ihr gesamtes Vermögen abgeben.<br />
Verlage werden gleichgeschaltet oder in den Ruin getrieben,<br />
Redaktionen ausgewechselt und auf Kurs gebracht. In täglichen<br />
Pressekonferenzen und speziellen Zeitschriftenkonferenzen<br />
werden Journalisten »gebrieft«. Kontrollierte Nachrichtendienste<br />
diktieren den Redaktionen die unmissverständlichen Sprachregelungen.<br />
Ein streng vertraulicher »Zeitschriften-Dienst«, den<br />
nur der Hauptschriftleiter (Chefredakteur) eines Blattes oder ein<br />
von ihm ausgewählter Schreiber lesen darf, schreibt vor, was in<br />
den Blättern zu stehen hat.<br />
Der Lesezirkel Daheim ist den Nazis nicht im Wege; im Gegenteil,<br />
er nützt ihnen als Transportweg ihrer Ideologie in die Haushalte.<br />
Die Mappen enthalten die alten Titel, die Blätter heißen immer<br />
noch Berliner Illustrirte Zeitung, Die Koralle und Die Dame, Der Bazar<br />
oder Das Blatt der Hausfrau, aber die sind nun gleichgeschaltet.<br />
62<br />
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Neu ist Die Sirene, weil Luftschutz langsam aktuell wird, und die<br />
1932 gegründete NS-Frauenwarte, die mit Abstand aufl agenstärkste<br />
Frauenzeitschrift im Reich. Bei Kriegsbeginn hat sie bereits<br />
eine Aufl age von 1,5 Millionen erreicht. Manches Blatt geht ein<br />
oder wird in den Ruin getrieben. Immerhin gibt es 1939 noch<br />
207 Frauen-, Haus- und Modeblätter im Deutschen Reich.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> ist nie einer Partei beigetreten. Das Weltbild des<br />
Buchhändlers, Kaufmanns und Unternehmers wird die Erfahrungen<br />
von Krieg, Unruhe und Revolution gespeichert haben, die<br />
Umbrüche eines chaotischen Jahrzehnts, den Einsturz solider<br />
und unsolider Existenzen. Weil zum Naturell des Kurt <strong>Ganske</strong><br />
auch der Zweifel gehört und eine gesunde Skepsis, spricht einiges<br />
für seine Immunität gegen völkischen Enthusiasmus und gegen<br />
vorgestanzte Überzeugungen. Thomas, der Sohn, ist sich sicher:<br />
»Mein Vater war nie ein Nazi. Es gibt keinen einzigen Brief, den er<br />
mit ›Heil Hitler‹ unterschrieben hätte. Das wäre für ihn undenkbar<br />
gewesen. Degoutant. Mein Vater hat Schopenhauer gelesen.<br />
›Die Welt als Wille und Vorstellung‹, das hat ihn beschäftigt. Er<br />
hat Kant bewundert. Vor allem die Erkenntnis: Wir wollen, was wir<br />
können, aber wir können nicht, was wir wollen.« Viel später wird<br />
ihm sein krebskranker Vater, der Mühe hat mit dem Sprechen,<br />
einen Satz aufschreiben, der ihm zur Maxime wird. Zwei Worte<br />
nur, die ihn sein Leben lang nicht loslassen werden. Richard<br />
<strong>Ganske</strong> schreibt: »Halte Schritt!«<br />
Zu den Nazis bleibt Kurt <strong>Ganske</strong> auf Distanz, mit einer Ausnahme<br />
– dem Tag, an dem er die Bodenhaftung verliert, an dem er<br />
versucht, abzuheben. Er will noch schneller sein, unabhängig von<br />
Straßenzuständen, ohne die unendlich vielen auf Landstraßen<br />
vergeudeten Stunden die Filialen des Lesezirkel Daheim erreichen,<br />
Folgende Doppelseite:<br />
Aquarell von Fritz Schatzmann zur Erinnerung an den<br />
ersten gemeinsam bestiegenen Berggipfel, den Piz Buin<br />
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im Fluge! Deshalb beschließt er gemeinsam mit Kienöl, dem Fahrer,<br />
den Pilotenschein zu machen. Den bekommt man aber nur<br />
als Mitglied des Luftsportverbandes, der inzwischen im NS-Fliegerbund<br />
NSFK aufgegangen ist. Er tritt dem Verband bei, startet<br />
als Flugschüler vom Flughafen Hannover, fl iegt und landet. Es<br />
geht ihm ziemlich schlecht, und es soll ihm noch schlechter ergehen.<br />
Die Vorschrift verlangt, dass er sich, angeschnallt in einer Art<br />
Menschenschleuder, einem Test unterzieht. Ihm wird schwindlig.<br />
Aus der Traum. Er fällt durch, ein Versagen, das er sich nie verzeiht.<br />
Der Drang zur Höhe bleibt. Er ist, als 20-Jähriger schon, in den<br />
Alpenverein Deutsch-Österreich eingetreten, zeigt sich früh als<br />
passionierter Bergwanderer. Das Unwegsame lockt, schroffe Steinsamkeit<br />
über den Wolken, eisiger Firn, ragende Gipfel, da muss er<br />
rauf. Wenn es seine Zeit zulässt, klettert er in die Berge, wandert<br />
in Österreich, in der Schweiz, in den Dolomiten, erklimmt an der<br />
Seite von Fritz Schatzmann, einem erfahrenen Bergführer, die<br />
Dreitausender. Für ein paar Tage steht er über den Dingen, über<br />
den Strudeln des Zeitgeists, über dem Alltag mit seinen Geschäften<br />
und seinen Terminen. Er klettert ins ewige Eis, für den Norddeutschen<br />
eine Herausforderung auf höchstem Niveau. 1931 erklimmt<br />
er den Piz Buin und drei weitere Dreitausender in sechs<br />
Tagen. Im Jahr darauf sind es von Festkogl bis Kesselwandspitze<br />
zwölf Dreitausender in zehn Tagen, 1934 noch einmal sechs Gipfel<br />
in sechs Tagen, diesmal sind drei Viertausender dabei.<br />
Die Natur wird sein zweites Zuhause. Freie Wochenenden verbringt<br />
er am liebsten im Wald. Wie sein Vater ist er ein begeisterter<br />
Jäger. Der erste Jagdschein, in kalligraphisch vollendeter<br />
Kanzleischrift vom Freistaat Braunschweig ausgestellt, ist für das<br />
gesamte Reichsgebiet gültig und nennt die Hauptregeln für das<br />
Verhalten von Schützen bei Treibjagden: Gewehre sind außerhalb<br />
des Treibens stets mit der Mündung nach oben zu tragen.<br />
Das Schießen mit der Kugel in das Treiben hinein ist nur mit<br />
66<br />
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Bergführer<br />
Fritz Schatzmann<br />
ausdrücklicher Genehmigung des Jagdleiters erlaubt, und bei<br />
Kesseltreiben darf auf das Signal »Treiber rein« nicht mehr in<br />
den Kessel geschossen werden. Die Schonzeiten sind eingetragen.<br />
Elf Monate für Elchwild und Trapphähne, zehneinhalb Monate<br />
für Auer-, Birk- und Rackelhähne, zehn Monate für Edel- und<br />
Steinmarder. Der Jagdschein schützt Muffelwild und Murmeltiere,<br />
Rehwild, Damwild, Gamswild, Dachse und Hasen, Reb-, Hasel-,<br />
Schnee- und Steinhühner, Bekassinen und Brachvögel, Wildenten,<br />
Mäuse- und Raufußbussarde, Säger und Möwen, Waldschnepfen,<br />
Wildgänse, Ringeltauben und natürlich auch Robben. Alles<br />
hat seine Ordnung. Auch als die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges<br />
über Europa hereinbricht, werden im Deutschen Reich<br />
Jahresjagdscheine vergeben mit Lichtbild und sauber eingetragenen<br />
Schonzeiten für Murmeltiere und Muffelwild. Jagdscheine<br />
müssen jährlich erneuert werden. Kurt <strong>Ganske</strong> organisiert das<br />
irgendwie, auch noch als Soldat, auch noch im letzten Jahr des<br />
Krieges. Es ist ihm wichtig.<br />
Noch lebt Deutschland im Frieden. Das Jahr 1936 bricht an.<br />
Die Nürnberger Rassengesetze sind in Kraft getreten. Eine halbe<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 67 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:13 <strong>Uhr</strong><br />
67
Million Menschen, alle Deutschen jüdischer Herkunft und jüdischen<br />
Glaubens, verlieren ihre Bürgerrechte. Seit der Machtergreifung<br />
werden jüdische Kaufl eute, Ärzte und Rechtsanwälte<br />
boykottiert, werden jüdische Betriebe »arisiert«, werden Banken,<br />
Konzerne und Großbetriebe enteignet, die Vermögen konfi sziert.<br />
»Nichtarische« Beamte werden zwangsweise in den Ruhestand<br />
versetzt, ihre Pensionen auf ein Minimum gekürzt. Über jüdische<br />
Künstler wird das Berufsverbot verhängt. Ihre Bücher werden verbrannt,<br />
ihre Bilder als »entartete Kunst« verfemt und beschlagnahmt.<br />
Der »Ariernachweis« wird auf immer neue Berufsgruppen<br />
ausgedehnt: Wissenschaftler, Notare, Apotheker, Hebammen. Das<br />
»Blutschutzgesetz« verbietet die Ehe und auch den Geschlechtsverkehr<br />
zwischen Juden und Nichtjuden.<br />
Auch Max Schmeling gerät unter Druck – die Ehe mit der<br />
Tschechin Anny Ondra stößt bei den Nazis auf Missbilligung. Sie<br />
verlangen, dass er sich von seinem jüdischen Manager trennen<br />
soll. Er weigert sich, bleibt standhaft. Die Parteiführung lenkt –<br />
vorübergehend – ein. Der starke Max wird noch gebraucht. Er<br />
steigt in diplomatischer Mission in den Ring und soll helfen, ein<br />
Prestige-Projekt der Nationalsozialisten, die Olympischen Spiele<br />
in Berlin, zu retten. Vor allem in den USA mehren sich die Stimmen,<br />
die wegen der Diskriminierung der deutschen Juden zum<br />
Boykott aufrufen. Die NS-Funktionäre entsenden Max Schmeling,<br />
den international bekanntesten und allseits beliebten deutschen<br />
Sportler, als Botschafter für Olympia. Er tritt vor das Olympische<br />
Komitee, wirbt in starken Worten für die Teilnahme amerikanischer<br />
Sportler an den Spielen in Berlin – ein Plädoyer, das er später<br />
mit seiner »grenzenlosen Naivität« erklärt. Sein Einsatz bringt<br />
einen knappen Punktsieg. Die Befürworter der Teilnahme an den<br />
Nazi-Spielen setzen sich mit 58:56 Stimmen durch.<br />
Vergebens warnt der Schriftsteller Heinrich Mann in Paris auf<br />
der Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee: »Ein Regime,<br />
das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung;<br />
68<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 68 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:15 <strong>Uhr</strong>
Kurt <strong>Ganske</strong> beim Skisport<br />
ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene<br />
Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den friedlichen<br />
Sport und freiheitlichen Sportler respektieren? Glauben Sie mir,<br />
diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen,<br />
werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und<br />
Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt<br />
fühlt.« Sie kommen trotzdem. Die Jugend der Welt marschiert ins<br />
Berliner Olympiastadion, vierhundert Franzosen haben die Hand<br />
zum Hitlergruß erhoben.<br />
Ein schöner Sommer. Max Schmeling siegt am 19. Juni über<br />
den bis dahin ungeschlagenen Joe Louis durch K.o. in der zwölften<br />
Runde. Die Olympischen Spiele werden ein großer Erfolg,<br />
aber das friedliche Zusammenspiel der Nazis mit der Jugend der<br />
Welt ist nur eine Täuschung. Noch während der Spiele macht sich<br />
die Legion Condor auf den Weg, um Franco und seine Faschisten<br />
im Spanischen Bürgerkrieg zu unterstützen. Während die<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 69 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:16 <strong>Uhr</strong><br />
69
jüdischen Mitbürger zunehmend ins Abseits geraten und täglich<br />
Antifaschisten in Konzentrationslagern verschwinden, singt Willy<br />
Fritsch: »Ich wollt’, ich wär ein Huhn.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> ist weit weg – im Wald, in Herleshausen, einem<br />
kleinen Ort an der hessisch-thüringischen Grenze. Eisenach ist<br />
drei Wegstunden entfernt, über den bewaldeten Kuppen ist die<br />
Wartburg zu sehen. Ein Traum. Kurt <strong>Ganske</strong> hat schon länger nach<br />
so einem Stück Natur gesucht, einem intakten Landschaftsraum<br />
mit viel Wald, altem Baumbestand, solider Forstwirtschaft und eigener<br />
Jagd. Er hat inzwischen die nötigen Ersparnisse und kauft<br />
von dem Baron Rudolf von Schutzbar, genannt Milchling, das<br />
Rittergut Hohenhaus bei Herleshausen mit tausend Hektar Land<br />
und herrschaftlichem Gutshaus. Ein gründerzeitliches Architektur-Juwel,<br />
1905 von dem Architekten und Burgenforscher Bodo<br />
Ebhardt (1865 –1945) erbaut. Mit dem Besitz erwirbt er auch das<br />
Kirchenpatronat über eine ebenfalls von Ebhardt erbaute Kapelle<br />
und eine Gemeinde von hundertfünfzig Seelen.<br />
Der adlige Herr mit dem merkwürdigen, aber sehr alten Namen<br />
ist offenbar in Schwierigkeiten geraten und sieht sich zum<br />
Verkauf gezwungen. Er war Kämmerer des letzten deutschen Kaisers,<br />
der nun im Exil lebt und nichts mehr zu kämmern hat. Die<br />
Zuwendungen bleiben aus. Der Rittergutsbesitzer lässt anschreiben.<br />
In der Weinstube in Eisenach, an die er im Gegengeschäft<br />
für manches Gelage aus seiner Landwirtschaft frische Eier liefert,<br />
hat sich ein Soll von zehntausend Eiern für Rotwein angehäuft.<br />
Der Verkauf des Rittergutes hat das Problem solcher Außenstände<br />
sicher verringern geholfen.<br />
Dass der Baron bei den Mägdelein auf seinen Ländereien<br />
noch das Recht der ersten Nacht ausgeübt habe, ist natürlich ein<br />
Gerücht. Tatsache ist, dass Rudolf von Schutzbar sich mit sehr<br />
schönen Frauen umgab und zweimal verheiratet war. Die erste<br />
Baronin kann den Verlust des Rittergutes nicht verwinden. Sie<br />
kommt noch jahrelang vorbei, setzt sich in die Halle des Gutshau-<br />
70<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 70 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:17 <strong>Uhr</strong>
In den dreißiger Jahren waren Reifenpannen an der Tagesordnung<br />
ses, raucht eine Zigarre und geht. Die zweite Baronin, vormals<br />
Kinderfräulein und Fremdsprachenerzieherin im Hause, wählt<br />
das nahe Schloss von Wommen als Alterssitz.<br />
1938. Das letzte Jahr im Frieden. Der Presseball in der Stadthalle<br />
von Hannover ist ein Ereignis, das sich die Gesellschaft der<br />
Stadt nicht entgehen lässt. Man tanzt Walzer unter der Kuppel<br />
des Amphitheaters, tafelt an reich gedeckten Tischen, tauscht<br />
sich aus, erneuert und vertieft die eine oder andere Verbindung,<br />
frischt Kontakte auf, macht Bekanntschaften und Geschäfte, ein<br />
Ball für Augen und Ohren, mehr Klatsch als Presse, dabei sein<br />
ist alles. Es gibt ein Konzert, danach wird Sekt ausgeschenkt, das<br />
Glas für eine Mark, die wohltätigen Zwecken zufl ießen soll. Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> hat an der Bar einen Platz gefunden, bestellt einen Sekt<br />
nach dem anderen und erzählt einer jungen Frau mit dunklen<br />
Augen und dunklen Haaren von der Schleppjagd, die er am nächsten<br />
Tag vor sich hat. Die Frau blitzt ihn spöttisch an: »Wenn Sie<br />
weiter so viel trinken, haben Sie morgen weiche Knie.«<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 71 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:18 <strong>Uhr</strong><br />
71
Am nächsten Tag sehen sie sich wieder, denn die junge Frau ist<br />
ebenfalls zur Schleppjagd eingeladen. Gestern noch im Smoking,<br />
erscheint Kurt <strong>Ganske</strong> nun im roten Rock, weißer Reithose und<br />
schwarzen Stiefeln. Die Damen tragen Schwarz, Blau oder Grün,<br />
aber niemals Rot. Eine Schleppjagd folgt strengen Ritualen und<br />
duldet in Stilfragen keine Kompromisse. Wenn die Hunde kommen,<br />
ruft man: »Die Hunde!«, und die Herren (nur die Herren!)<br />
ziehen die Kappe. Seit 1934 verlaufen Schleppjagden in Deutschland<br />
unblutig, Reitjagden auf lebendes Wild sind verboten. Die<br />
Strecke ist festgelegt und mit Hindernissen präpariert, sie führt<br />
von Hannover nach Isernhagen, ungefähr fünfzehn Kilometer zu<br />
Pferd durch fl aches, aber nicht immer trockenes Gelände. Schon<br />
jagt die Meute im charakteristischen Geläut (vulgo: Gebell) der<br />
Schleppe nach, die Reiter hinterher. Einige Ricks sind zu überwinden,<br />
querliegende Baumstämme, die normalerweise leicht<br />
genommen werden. Aber das Pferd der jungen Frau scheut, sie<br />
will es nicht zwingen, reitet langsam durch die Wietze, ein Flüsschen,<br />
in dem kein Pferd versinkt. Da naht der Herr von der Bar<br />
im Galopp, setzt sein recht schweres Pferd mit Bravour über das<br />
Rick und lacht: »Na, wohl ein bisschen weich in den Knien!«<br />
Die Jagd ist zu Ende, die Reiter galoppieren ins Ziel, ziehen<br />
den rechten Handschuh aus, halten ihn hoch und rufen noch<br />
im Galopp: »Halali!« Dann wird das Halali geblasen, es folgt das<br />
»Genossenmachen« der Hunde, sie bekommen ihre Belohnung.<br />
Die Reiter sitzen dazu ab und ziehen den Hut, als Dank für Pferde<br />
und Hunde. Dann verteilt der Jagdherr an jeden Reiter den<br />
»Bruch«, einen frischen Eichenzweig, und sagt: »Waidmannsheil.«<br />
Der Beschenkte antwortet mit »Waidmannsdank«. Ein Gast richtet<br />
Dankesworte an den Jagdherrn und seine Helfer, schließt<br />
mit dreifachem »Horrido!«, die Reiter antworten dreimal mit<br />
»Hoho!«, so ist es Brauch. Hunde und Pferde werden verladen,<br />
die Jagdgesellschaft begibt sich zum geselligen Teil.<br />
So treffen Kurt <strong>Ganske</strong> und die junge Frau einander wieder.<br />
72<br />
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Jagdgesellschaft 1938: Kurt <strong>Ganske</strong> und Gerda Tolle bei Isernhagen<br />
Sie sitzen zusammen bei Eisbein und Sauerkraut in einer Kneipe<br />
in Isernhagen. »Ja, und da hat es gefunkt, wie man so sagt.« Gerda<br />
<strong>Ganske</strong> lächelt sanft. So hat sie ihren künftigen Mann kennen gelernt.<br />
Damals hieß sie noch Gerda Tolle, ihre weiteren Vornamen<br />
Helene, Sophie und Marie stehen nur in den Papieren. Gerda<br />
Tolle ist lebensfroh, optimistisch, liebenswert, eine junge Dame<br />
aus gutem und sehr ordentlichem Hause. Sie hat eine angesehene<br />
Privatschule für höhere Töchter absolviert und am renommierten<br />
Konservatorium in Hannover, an dem auch der berühmte Pianist<br />
Walter Gieseking wirkte, das Klavierspiel erlernt. Der Vater<br />
der jungen Frau ist Personaldirektor bei Continental, Hannovers<br />
größtem Arbeitgeber, die Familie stammt aus Clausthal-Zellerfeld.<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 73 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:21 <strong>Uhr</strong><br />
73
Das einzige erhaltene Hochzeitsbild:<br />
Gerda Tolle und Kurt <strong>Ganske</strong> am 27. August 1938<br />
Der Nachruhm eines Vorfahren ist auf einer Platte aus Eisenguss<br />
aus dem 16. Jahrhundert verewigt in Clausthals hölzerner Pfarrkirche<br />
zum Heiligen Geist.<br />
Das gemeinsame Jagderlebnis hat Folgen. Noch im selben<br />
Jahr, am 27. August 1938, heiraten Kurt und Gerda <strong>Ganske</strong> in<br />
der kleinen Taufkirche, für die der Gutsherr das Patronat übernommen<br />
hat. Das Motto der Predigt stammt aus dem ersten Brief<br />
an die Korinther, Nummer 13, Vers 13: »Nun aber bleibt Glaube,<br />
Hoffnung, Liebe; diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter<br />
ihnen.« Zur standesamtlichen Trauung muss das Ehepaar zwei<br />
Ahnenpässe vorlegen – die zynische Erfi ndung des Dritten Reiches,<br />
die sicherstellen soll, dass sich bei Eheschließungen nur rein<br />
arisches Blut vermischt und nicht etwa »das Blut der auch im europäischen<br />
Siedlungsraume lebenden Juden und Zigeuner, das<br />
der asiatischen und afrikanischen Rassen und der Ureinwohner<br />
Australiens und Amerikas (Indianer)«.<br />
74<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 74 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:23 <strong>Uhr</strong>
Zum Hochzeitsessen auf Gut Hohenhaus gibt es eine doppelte<br />
Kraftbrühe mit Eierstich und danach eine Rede. Forelle blau wird<br />
serviert, Hähnchen mit frischem Gemüse und Rehrücken, garniert<br />
nach Waidmanns Art mit Cumberlandtunke und Preiselbeeren,<br />
danach eine Sahne-Eisbombe, Käse und Mokka. Ein Gedicht, vom<br />
Brautvater persönlich verfasst, ziert die Speisekarte:<br />
Drum ist bescheiden der Genuss,<br />
Den Rehbock bracht’ ein guter Schuss,<br />
Das Fischchen stammt aus uns’rem See,<br />
Das Hähnchen rief im Hof herrjeh …<br />
Das Paar zieht nach Hannover, Kirchdorfer Straße 23, in ein Einfamilienhaus<br />
am Wald; groß genug für eine Familie mit Kindern.<br />
Sie richten sich häuslich ein. Ein schwerer Tisch bekommt einen<br />
Ehrenplatz. Die Platte besteht aus 36 Kacheln mit den Wappen<br />
deutscher Städte. Ein Hochzeitsgeschenk der 36 Filialen des Lesezirkel<br />
Daheim.<br />
»Daheim« ist überall. Das Unternehmen beschäftigt inzwischen<br />
über 1300 Mitarbeiter und beliefert 180 000 Abonnenten. Eine<br />
Flotte von vielen hundert Volkswagen ist bestellt und bezahlt. Die<br />
fabelhaften KdF-Wagen (»Kraft durch Freude«) werden zwar nicht<br />
ausgeliefert, aber Kurt <strong>Ganske</strong> hat dafür nach dem Krieg bei Volkswagen<br />
noch jahrelang einen guten Preisnachlass bekommen. In<br />
seinem Arbeitszimmer in der Zentrale an der Seelhorststraße in<br />
Hannover hat er das Deutsche Reich vor Augen, dort leuchten 36<br />
Städte auf einer gläsernen Landkarte. »Er stand oft davor. Und er<br />
wusste immer, wann und wo eine Straße beliefert wurde«, erzählt<br />
Gerda <strong>Ganske</strong>. War die Tür zu dem Zimmer verschlossen? Oder<br />
ging es zu wie im Taubenschlag? Der junge Unternehmer ist mittendrin,<br />
zeigt noch nicht die Distanz des späteren Konzernherren.<br />
Es gibt in seiner Firma eine verschworene Gemeinschaft: der<br />
Jahrgang 1905. Ein guter Jahrgang, fi ndet Kurt <strong>Ganske</strong>. Er hat so<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 75 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:24 <strong>Uhr</strong><br />
75
Die Firmenzentrale an der Seelhorststraße 1 in Hannover<br />
viele Mitarbeiter dieses – seines eigenen – Jahrgangs eingestellt,<br />
dass sie zusammen eine Fußballmannschaft bilden. Und die spielt,<br />
jeder Einzelne mit dem Spielwitz, aber auch mit dem Gewicht von<br />
inzwischen 33 Lebensjahren, in regelmäßigen Abständen gegen<br />
eine Firmenauswahl.<br />
Eine Winterreise – noch ist Frieden. Gerda <strong>Ganske</strong> erzählt von<br />
einer klaren, kalten Nacht. Sie sind allein unter Sternen, fahren<br />
heim vom Skifahren in Schierke im Harz. Sie steuert den Wagen,<br />
er sitzt neben ihr. Kein Licht in den Häusern, alles schläft, kein<br />
anderes Auto weit und breit. Sie fährt eine lange, gerade Straße<br />
entlang, sieht weit vorn im Scheinwerferlicht einen Mann, der<br />
einen Handkarren zieht. »Halt an«, bittet ihr Mann. Sie steigen<br />
aus, kommen mit dem einsamen Wanderer ins Gespräch, einem<br />
Spielmann. Der Handkarren ist seine Drehorgel, ein schönes Exemplar,<br />
Modell »Alt-Berlin«, mit einem Lederbezug gegen Wind<br />
und Wetter geschützt. Sie bitten ihn, ein Lied zu spielen. Der<br />
Spielmann wirft die Kurbel an, und es erklingt nachts, auf einer<br />
verschneiten Landstraße irgendwo zwischen Schierke und Hannover,<br />
»Wie ein Wunder kam die Liebe über Nacht«.<br />
76<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 76 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:25 <strong>Uhr</strong>
Gerda <strong>Ganske</strong> erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. »Er<br />
hatte eine besondere Empfi ndung für Musik. Ich habe halbe<br />
Nächte für ihn gespielt. Er hat am Kamin gesessen oder gelesen<br />
oder nur zugehört. Eines Tages drückt er mir ein Akkordeon in<br />
die Hand. ›Wenn du Klavier spielen kannst, müsstet du damit<br />
auch etwas anfangen können.‹ Nun ja, er hatte Recht. Ich hab’s<br />
ziemlich schnell gerlernt. Wenn wir über Land fuhren, saß er am<br />
Steuer, und ich habe neben ihm Akkordeon gespielt. Stundenlang.<br />
Er hat es gemocht. Später haben wir auch eine Drehorgel<br />
gekauft, in Hamburg auf St. Pauli. Wir sind nicht selber losgezogen,<br />
das hätte sofort den Preis erhöht, sondern haben unseren<br />
Fahrer geschickt.«<br />
Wenn es ein Prinzip gibt, das sich im Hause <strong>Ganske</strong> über Generationen<br />
zum eisernen Gesetz gefestigt hat, dann ist es dieses: niemals<br />
Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Ob Rittergut oder Drehorgel,<br />
der Preis muss stimmen. Der St.-Pauli-Bummel des Fahrers<br />
muss in den sechziger Jahren stattgefunden haben. Gerda <strong>Ganske</strong><br />
beschreibt Herrn Rothe als »eher lakonischen Typ. Ein ehemaliger<br />
Kapitän, der konnte auf dem Kiez richtig verhandeln.« Der<br />
Mann, dem er die Orgel abkaufte, gab ihm noch mit auf den<br />
Weg, dass er damit vierhundert Mark die Woche verdienen könne,<br />
wenn er nur auf den richtigen Plätzen stünde. Manchmal, auf<br />
Familienfesten oder beim Feiern mit guten Freunden, hat Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> die Orgel in den Raum geschoben und gedreht. Dann<br />
spielte sie: »Man müsste noch mal zwanzig sein und so verliebt<br />
wie damals.«<br />
Damals, als noch Frieden war. Am 9.Mai 1939 bekommt Gerda<br />
<strong>Ganske</strong> in Hannover das erste von vier Kindern, der Sohn wird auf<br />
den Namen Michael getauft. Wenn die Arbeit es zulässt, verbringt<br />
das Paar glückliche Tage in Hohenhaus. Sie schließen Freundschaft<br />
mit Hubert Behr, dem Sohn der Baronin von Schutzbar<br />
aus erster Ehe. Er schreibt Bücher über die Jagd (»Tage frohen<br />
Waidwerks«), ist ein begeisterter Jäger und ein ausgezeichneter<br />
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77
Kurt und Gerda <strong>Ganske</strong>, Bodensee 1938<br />
Schütze. Eines Tages schießt er mit der Armbrust einen Hirsch,<br />
der für Hermann Göring reserviert war. Ein Kapitalverbrechen!<br />
Er fl ieht nach Argentinien, hält es aber für seine Pfl icht, bei Ausbruch<br />
des Krieges nach Deutschland zurückzukehren, um als Soldat<br />
seinen Mann zu stehen.<br />
Er gerät in russische Gefangenschaft, es gibt kene Nachricht<br />
von ihm. Seine Mutter, inzwischen Witwe, bleibt allein auf ihrem<br />
78<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 78 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:27 <strong>Uhr</strong>
Gut in Wommen. Nach Jahren gibt sie die Hoffnung auf, dass der<br />
Vermisste zurückkehren würde. Die alte Dame stiftet ihr Gut protestantischen<br />
Schwestern, die dort ein Altenheim – das Margotvon-Schutzbar-Stift<br />
– einrichten. Die Baronin bleibt dort wohnen<br />
und pfl egt alte Freundschaften, unter anderem zu Wilhelmine<br />
Lübke, der Frau des späteren Bundespräsidenten.<br />
Ihren verlorenen Sohn kann sie noch in die Arme schließen.<br />
Hubert Behr kommt 1956 als einer der letzten Heimkehrer aus<br />
Russland zurück. Er steht vor dem Nichts. Das Schloss, das er für<br />
sein Erbe hält, wird ihm nie gehören und hängt voller Kruzifi xe<br />
und Madonnen. Er sucht ein neues Revier, eröffnet ein Jagdgeschäft<br />
in der Maxburg in München. Als er ein paar Jahre später<br />
stirbt, wird er in Hohenhaus begraben. Er hatte für seine Frau<br />
Elisabeth einen schönen Grabstein meißeln lassen: »Hier ruht<br />
der vergängliche Körper. Aber unsere Seelen fi nden sich wieder<br />
in den ewigen Jagdgründen.« Nun haben sie sich gefunden; der<br />
Stein allerdings erregte Anstoß. Man hat ihn an den Rand des<br />
Friedhofs gesetzt, wo er die christlichen Seelen nicht so stört.<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 79 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:28 <strong>Uhr</strong>
Sein Lebenswerk erschien bei Hoffmann und Campe:<br />
Heinrich Heine, 1831, gemalt von Moritz Oppenheim<br />
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IM KRIEG<br />
Heinrich Heines Verlag – Harriet Wegener –<br />
Grenadier <strong>Ganske</strong> – Bomben auf Hannover –<br />
Briefe von der Front – Auf der Flucht –<br />
General Patton sucht ein Quartier – Die Rückkehr<br />
Familienzuwachs. 19<strong>40</strong> kommt Martin zur Welt, 1942 Mareile.<br />
Gerda <strong>Ganske</strong> erlebt ihren ersten Fliegeralarm in der Frauenklinik.<br />
»Wir Mütter mussten alle in den Bunker runter, die Kinder<br />
wurden von uns getrennt. Ich habe das kaum ausgehalten.« Als<br />
sie nach Hause kommt, ist das Nachbarhaus zerstört. Sie packt nur<br />
das Nötigste zusammen und zieht mit den Kindern von Hannover<br />
nach Hohenhaus. Kurt <strong>Ganske</strong> ist im Reich unterwegs. 1941, im<br />
zweiten Kriegsjahr, investiert er ein kleines Vermögen, um fünfzig<br />
Prozent des Hoffmann und Campe Verlages in Hamburg zu<br />
erwerben. Er hat lange überlegt und schließlich gehandelt. Der<br />
Kaufmann, Buchhändler und Lesezirkel-Unternehmer wagt mit<br />
36 Jahren den ersten Schritt zum Verleger. Ein beherzter und ein<br />
guter Griff.<br />
Der Hoffmann und Campe Verlag ist ein Traditionsunternehmen.<br />
Am 3. Juli 1781 erscheint zum ersten Mal eine Anzeige des<br />
von Benjamin Gottlob Hoffmann (1748–1818) gegründeten Verlages<br />
in der Kaiserlich Privilegierten Hamburgischen Neuen Zeitung.<br />
Ein Jahr später erwirbt er die Verlagsbuchhandlung F. L. Gleditsch<br />
sel. Erben. Ihre Geschichte lässt sich bis ins Jahr 1634 zurückverfolgen,<br />
zu einem Buchhändler und Verleger namens Zacharias<br />
Hertel, der schon im Dreißigjährigen Krieg seinen Geschäften<br />
nachging. Der Verlag des Benjamin Gottlob Hoffmann macht zunächst<br />
mit Werken des Hamburger Arztes August Müller auf sich<br />
aufmerksam (»Werden die Neigungen und Leidenschaften einer<br />
Säugenden durch die Milch dem Kinde mitgetheilt?«), publiziert<br />
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81
aber auch Friedrich Gottlieb Klopstocks Cherusker-Drama »Hermann<br />
und die Fürsten« und seine »Fragmente über Sprache und<br />
Dichtkunst«. 1812 fusionieren der Buchhändler Hoffmann und<br />
sein Schwiegersohn Fritz August Gottlob Campe (1773–1836)<br />
zum Hoffmann und Campe Verlag. 1823 kommt dessen Halbbruder<br />
Julius Campe (1792–1867) ins Geschäft, ein Freiheitskämpfer,<br />
der als Lützower Jäger geholfen hat, Deutschland von<br />
der Herrschaft Napoleons zu befreien.<br />
Das Verlagsprogramm ist weit gefächert. Es enthält die Schriften<br />
des romantischen Dichters Karl Immermann (1796–18<strong>40</strong>),<br />
aber auch Lehr- und Sachbücher, wissenschaftliche Abhandlungen,<br />
Broschüren, Hamburgensien und Titel wie »Stick-Muster im<br />
französischen Geschmack«. Dann taucht ein junger Autor im Programm<br />
auf, dessen Name bald untrennbar mit dem Hoffmann<br />
und Campe Verlag verbunden sein wird: Heinrich Heine. 1826<br />
erscheint der erste Teil seiner »Reisebilder«, im Jahr darauf »Das<br />
Buch der Lieder«.<br />
Unter Julius Campe wird der Verlag zum Forum des »Jungen<br />
Deutschland«. Zu den Autoren gehören Ludwig Börne, Anastasius<br />
Grün und Franz Dingelstedt, Hoffmann von Fallersleben,<br />
Ludolf Wienbarg, Karl Gutzkow und Friedrich Hebbel. Und der<br />
Verleger bleibt Freiheitskämpfer – standfest und trickreich spielt<br />
er Katz und Maus mit den Zensurbehörden, die nicht mit sich<br />
spaßen lassen. Die deutschen Staaten sind im Zeitalter der Restauration<br />
eifrig darauf bedacht, den Freiheitsgedanken und seine<br />
Urheber hinter Schloss und Riegel zu bringen, einige mehr,<br />
einige weniger. 1841 wird das gesamte Programm des Hoffmann<br />
und Campe Verlages in Preußen verboten, nachdem einer seine<br />
Autoren, der überzeugte Republikaner Eduard Vehse, eine angriffslustige<br />
»Geschichte der deutschen Höfe« verfasst hat. Der<br />
Verleger geht höchstpersönlich für seinen Autor ins Gefängnis.<br />
Sein Sohn und Nachfolger Julius Campe jr. bringt den Verlag<br />
ins gemächlichere Fahrwasser der Gründerzeit, druckt Klassiker<br />
82<br />
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in immer neuen Gesamtausgaben. Als er 1909 im Alter von 64<br />
Jahren stirbt, hinterlässt er ein beträchtliches Vermögen. Einen<br />
Teil davon vermacht er der heute noch aktiven »Campe’schen<br />
Historischen Kunststiftung« in Hamburg. Der Verlag wechselt<br />
mehrfach den Besitzer. Max Lande, Druckereibesitzer in Berlin<br />
und Herausgeber mehrerer Periodika, verlegt den Sitz in die<br />
Hauptstadt. Nach dem Ersten Weltkrieg publiziert der Verlag<br />
einen »Deutschen Revolutions-Almanach« und Paul Zechs Anti-<br />
Kriegsgedichte »Das Grab der Welt« in einer neuen Buchreihe,<br />
die in Anlehnung an das Junge Deutschland »Die junge Welt«<br />
genannt wird.<br />
Albert Brinitzer, der nächste Eigentümer, bringt Bimini heraus,<br />
eine literarische Zeitschrift, die vierzehntäglich erscheint. Zu<br />
den Autoren gehören Alfred Kerr, Oskar Loerke, Klabund und<br />
Oskar Maria Graf. 1930 übernimmt Arnold Fuß den Verlag. Er<br />
verlegt den Firmensitz wieder nach Hamburg, muss als Jude aber<br />
drei Jahre später emigrieren. Er verkauft den Verlag an Martinus<br />
Christensen, einen deutsch-dänischen Schleifmittel-Fabrikanten,<br />
dem schon der Hamburger Gutenberg Verlag gehört.<br />
Zielorientiert steuert Christensen das Unternehmen gegen<br />
den völkisch verbiesterten Trend in höhere Sphären. Eines der<br />
ersten großen Projekte ist Leopold von Rankes »Preußische Geschichte«.<br />
Im März 1937 gründet der Hoffmann und Campe Verlag<br />
die »Europa-Bibliothek«, zwei Jahre später folgt die Taschenbuchreihe<br />
»Geistiges Europa«, in der unter anderem der spätere<br />
Bundespräsident Theodor Heuss als Autor vertreten ist (»Justus<br />
von Liebig – Vom Genius der Forschung«). Beide Schriftenreihen<br />
werden von dem renommierten Kunsthistoriker Albert Erich<br />
Brinckmann herausgegeben, der – obwohl Parteimitglied – seinen<br />
Lehrstuhl in Berlin räumen muss. Offenbar bestehen Zweifel an<br />
seiner Linientreue. Noch 1942, mitten im Krieg, äußert er in einer<br />
Verlagsanzeige: »Deutsche Kultur ist wesentlicher Bestandteil<br />
abendländischer Kultur und von größter geistiger Wirksamkeit –<br />
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Europäische Kulturen entwickeln sich in ständigem Austausch, im<br />
›Nehmen und Geben‹ – Nationen müssen sich verstehen lernen,<br />
ehe sie sich verständigen können.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> hat als Verleger einen schweren Start; es ist ein<br />
Hindernislauf mit immer neuen Hürden. Er stellt Harriet Wegener<br />
als Chefl ektorin ein. Fräulein Doktor Wegener, wie er<br />
sie nennt, studierte Nationalökonomin, hatte in Kiel das erste<br />
Frauenhaus gegründet, in Berlin den Kapp-Putsch miterlebt und<br />
schon vor dem Krieg für Hoffmann und Campe gearbeitet. 1939<br />
übertrug sie Paul Hazards Standardwerk »La crise de la conscience<br />
européenne« (»Die Krise des europäischen Geistes«) aus<br />
dem Französischen, das in der »Europa-Bibliothek« erschien.<br />
1942 nimmt sie ihre Tätigkeit auf und steuert, immer in telefonischer<br />
oder telegraphischer Verbindung mit Kurt <strong>Ganske</strong>, an<br />
der Seite von Martinus Christensen das Unternehmen durch den<br />
Krieg. Sie schafft ihr eigenes Reich; kauft einen Kanonenofen.<br />
Sein wärmender Radius wird zum Sammelpunkt kluger Gespräche,<br />
das Zentrum des Verlages.<br />
Für Hitler kennt sie nur Verachtung. »Schwein bleibt Schwein,<br />
und wenn es Perlen frisst«, sagt sie über ihn. Wie Julius Campe<br />
hundert Jahre zuvor, spielen nun der Däne und die Lektorin Katz<br />
und Maus mit der Zensur. Jede Neuerscheinung muss beantragt<br />
werden, auch scheinbar unverfängliche Neuausgaben klassischer<br />
Literatur. Im Propagandaministerium stapeln sich die Anträge;<br />
sie werden verschleppt, auf Linientreue geprüft, nach Monaten<br />
abgelehnt. Der Verlag formuliert den Antrag neu, ändert das Inhaltsverzeichnis,<br />
erfi ndet einen neuen Titel, reicht das Projekt<br />
wieder ein. Manchmal glückt es, manchmal nicht. Plötzlich ist<br />
alles anders, sehen sich die Verlage mit einer überraschenden<br />
Kurswende konfrontiert. Das Propagandaministerium verzichtet<br />
auf die anstrengende Schikane des Genehmigungsverfahrens und<br />
gibt den Verlagen freie Hand – auf eigenes Risiko. Die Methode<br />
ist perfi de, denn die Zensur bleibt. Aber jetzt schlägt das Fallbeil<br />
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ins fertige, bereits gedruckte, gebundene, vielleicht schon ausgelieferte<br />
Werk, was die Kosten und Risiken für den betroffenen<br />
Verlag lebensbedrohlich erhöht. Nun geht es ums Ganze.<br />
Als bei Hoffmann und Campe bei einem Großangriff alle Scheiben<br />
herausgefl ogen sind, vernagelt Harriet Wegener die Fenster<br />
mit Brettern. Sie kämpft um ihren Verlag. Als letzter Band der Reihe<br />
»Geistiges Europa« erscheint von Brinckmann »Michelangelo.<br />
Vom Ruhme seines Genius in fünf Jahrhunderten«. Dann kommt<br />
das Aus. Am 26. August 1944 erhält Hoffmann und Campe die<br />
Schließungsverfügung vom Präsidenten der Reichsschrifttumskammer.<br />
Doch Christensen und Harriet Wegener kämpfen weiter.<br />
Durch hartnäckiges Verhandeln gelingt es ihnen, die Abwicklungsfrist<br />
mehrfach zu verlängern. So retten sie die Räume des Verlages,<br />
Telefone, Schreibmaschinen und das Archiv in den Frieden.<br />
Im September 1943 wird Kurt <strong>Ganske</strong> eingezogen und in der<br />
Prinz-Albrecht-Kaserne in Hannover-Bothfeld kaserniert. Er hatte<br />
gehofft, vom Wehrdienst freigestellt zu werden. Firmeninhaber,<br />
namentlich die von Großbetrieben, gelten normalerweise als<br />
unentbehrlich. Warum sein Antrag auf Freistellung abgelehnt<br />
wird, kann man nur vermuten. Wen sieht der Sachbearbeiter<br />
vor sich? Was weiß er über diesen Antragsteller? Was hat der Sicherheitsdienst<br />
für Informationen über den Cadillac fahrenden<br />
Rittergutsbesitzer gesammelt, der keinen Brief mit »Heil Hitler«<br />
unterschreibt, der, obwohl es streng verboten ist, zur Jagd geht<br />
und auf Sechzehnender schießt, statt auf den Feind? Dem Förster<br />
von Herleshausen kann es nicht entgangen sein. Er ist Ortsgruppenleiter<br />
der NSDAP. Unabkömmlich? Wer unabkömmlich ist,<br />
entscheidet die Partei.<br />
Nun also Soldat, kriegsverwendungsfähig. Kurt <strong>Ganske</strong> rückt<br />
ein, erhält den untersten Dienstrang Grenadier und bekommt<br />
ein Soldbuch, in dem Blutgruppe und Gasmaskengröße eingetragen<br />
sind sowie die Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke, die<br />
für den Dienst am Vaterland unentbehrlich sind: Feldmütze,<br />
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Gamaschen und Filzstiefel, Stahlhelm und Hosenträger. Zweimal<br />
wird der Empfang von einem Stück Kernseife eingetragen. Mit<br />
dem Soldbuch wird ihm auch das evangelische Feldgesangbuch<br />
ausgehändigt, als geistige Nahrung. Es passt in jede Tasche, hat<br />
kaum die Größe einer Zigarettenschachtel, und es enthält wichtige<br />
Informationen über das deutsche Soldatentum (»Die Ehre<br />
des Soldaten liegt im bedingungslosen Einsatz seiner Person für<br />
Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens«) und Gebete<br />
für Führer, Volk und Wehrmacht (»Lass uns ein heldenhaftes<br />
Geschlecht sein und unserer Ahnen würdig werden«). Der Choral<br />
Nummer 62, »Ein Haupt hast du dem Volk gesandt«, ist zu Führers<br />
Geburtstag zu singen.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> wird an der Heimatfront eingesetzt, gräbt in Schutt<br />
und Trümmern nach Bombenopfern und sucht nach Überlebenden.<br />
Hannover wird elfmal bombardiert und, wie alle großen<br />
deutschen Städte, schwer getroffen. Brandbomben entfachen<br />
Feuerstürme und verwandeln die Straßen in eine Flammenhölle,<br />
in der alle Löschversuche scheitern. Am Ende des Krieges sind in<br />
Hannover fünfzig Prozent aller Wohnhäuser zerstört, nur sechs<br />
Prozent haben keine oder nur leichte Bombenschäden. Trotzdem<br />
leben in den Trümmern noch 200 000 Menschen.<br />
Die militärische Laufbahn des Gefreiten Kurt <strong>Ganske</strong> verläuft<br />
unspektakulär. Nach der Beförderung zum Obergefreiten wird der<br />
Sold geringfügig erhöht, zum Unteroffi zier hat er es nie gebracht.<br />
Keine Auszeichnung, keine Verwundung. Er wird ausgerüstet, in<br />
Marsch gesetzt, in Stellung gebracht und ins Feuer geschickt, wie<br />
alle anderen auch – eine von zwei Millionen taktischen Spielfi -<br />
guren in Feldgrau. Er folgt den Befehlen eines Oberleutnants,<br />
der bei heftigem Feuer brüllt: »Auf, auf, ihr Hunde! Oder ich<br />
schieß euch alle über den Haufen!« Er wird von der Reserve ins<br />
Feldheer entsandt, schiebt Wache in Calais, dem Bollwerk weißer<br />
Kreidefelsen – Luftaufklärung in vorderster Linie. Die Aufgabe:<br />
Feindfl ugzeuge zählen und melden.<br />
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Zum Kriegsdienst eingezogen: Kurt <strong>Ganske</strong> (Zweiter von links)<br />
Seit 1942 bauen die Deutschen am Atlantikwall, dem größten<br />
Festungsbau der Geschichte: eine Kette von Betonbunkern, die<br />
am Nordkap in Norwegen beginnt, über Dänemark, die deutsche,<br />
niederländische und belgische Nordseeküste reicht und weiter<br />
zu den Küsten der Normandie und der Bretagne bis hinunter zur<br />
Biskaya – ein gigantisches Vorhaben; mit Unterständen, Bunkersystemen<br />
und großkalibrigen Geschützen, die dreitausend Kilometer<br />
europäisches Festland gegen eine Invasion sichern sollen.<br />
1944 sind schon knapp zehntausend dieser Bunker gebaut. Calais<br />
ist der exponierteste Teil des Atlantikwalls, ausgestattet mit<br />
Marineküstenbatterien, deren Kanonen »Friedrich August« oder<br />
»Großer Kurfürst« heißen und die nun fast täglich von Bombenfl<br />
ugzeugen angegriffen werden. Die Deutschen sollen glauben,<br />
dass die Alliierten hier die Invasion planen. Calais ist die Hölle.<br />
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Die Briefe an seine Frau lesen sich wie letzte Verfügungen.<br />
Sie zeigen die Sorgen des Familienvaters, die Unruhe des Unternehmers,<br />
der informiert sein will, den Ärger, wenn ein Brief<br />
wochenlang unterwegs ist oder verloren geht. Sie enthalten Alltägliches,<br />
Spekulationen über Laufzeiten, die Frage nach Fotos<br />
oder Zigarren. Mancher Brief spricht von Herzklopfen, enthält<br />
sehr persönliche und liebe Worte. Gerda <strong>Ganske</strong> hat alle seine<br />
Briefe gesammelt. Seine Feldpostnummer weiß sie auch heute,<br />
nach fast einem Menschenalter, noch auswendig: F, IV a 36 116 C.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> entkommt dem Inferno von Calais, seine Einheit<br />
wird verlegt. »Wir wollen Gott sehr danken, daß ich doch aus Calais<br />
in letzter Minute herausgeführt worden bin«, schreibt er nach<br />
Hause. »Sehr gern würde ich mit Dir darüber sprechen, damit wir<br />
beide ganz begreifen, für welche glückliche Fügung wir zu danken<br />
haben.« Eine Andeutung der Katastrophe, der er entronnen<br />
ist und über die er kein Wort in Feldpostbriefen verlieren darf,<br />
die von eifrigen Zensoren auf Anzeichen von »Wehrkraftzersetzung«<br />
untersucht werden. »Hoffen wir, daß uns weiter geholfen<br />
wird, es ist von mir ein ernstes Wort, wenn ich sage, daß ich fest<br />
auf Eure guten Gebete für mich vertraue. Könnt ich nur erst wieder<br />
mit Dir ganz ruhig durch den Wald gehen und über den Sinn<br />
unseres Daseins sprechen und die Aufgaben bereden, die wir uns<br />
vornehmen wollen.«<br />
Er wird verladen, transportiert, stationiert und wieder verlegt.<br />
Er marschiert durch das Reich, nächtigt in verlausten Quartieren<br />
oder unter freiem Himmel, schreibt Briefe zwischen den Einsätzen.<br />
Mal drängen sich die Worte auf engstem Raum karierter Zettel,<br />
die er aus einem Oktavheft gerissen haben mag, mal fl iegen<br />
die Buchstaben fl ach und schnell über ein Blatt Papier, manchmal<br />
ist die Schrift raumgreifend, temperamentvoll wie mit dem<br />
Zimmermannsbleistift geschrieben.<br />
Bei einem der Märsche gewinnt er einen jungen Kameraden<br />
zum Freund: Helmut Klötzke. Kein Draufgänger und kein<br />
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Feldpostbrief von Kurt <strong>Ganske</strong> an Gerda <strong>Ganske</strong><br />
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Kommisskopp, sondern eher ein pfi ffi ger Schreibstubenhengst.<br />
Er sitzt auf der Pritsche eines Transporters, als er den Grenadier<br />
mit schwerem Gepäck durch den Schlamm stapfen sieht. »Was<br />
rennst du durch den Matsch, Kamerad? Willst du nicht mitfahren?«<br />
Er reicht ihm die Hand. Kurt <strong>Ganske</strong> greift zu und ist fortan<br />
der Schützling des gutmütigen Nichtrauchers Klötzke, der ihm<br />
seine Zigarettenration schenkt und »mein alter Vater« zu ihm<br />
sagt. Die beiden werden unzertrennlich. Klötzke hat immer die<br />
kleinen Dinge, die man braucht: Schnürsenkel, Seife; er ist ein<br />
fi ndiger Kopf, einer, der weiß, wie man ein Kaninchen fängt und<br />
im Kochgeschirr zubereitet; einer, der aus groben Scheiten Holzschuhe<br />
schnitzen kann für Kinder. Michael <strong>Ganske</strong> bekommt ein<br />
Paar geschenkt.<br />
Hohenhaus liegt in tiefem Frieden. Bevor er eingezogen wurde,<br />
hat Kurt <strong>Ganske</strong> das Gut an den Bauern verpachtet, der schon<br />
beim Baron Schutzbar Pächter war. »Du musst für meine Familie<br />
sorgen, wenn ich weg bin oder mir was passiert.« Ein Händedruck,<br />
ein Versprechen unter Männern. Aber was ist ein Versprechen<br />
wert, wenn man für ein Pfund Butter fünfhundert Mark kriegen<br />
kann? Der Landwirt nutzt den strategischen Vorteil des Reichsnährstandes.<br />
An der Heimatfront wird kassiert. »Meine Mutter<br />
hatte eine Stinkwut auf ihn«, erzählt Gerda <strong>Ganske</strong>. »Sie gab ihm<br />
ihren Bueno-Pelzmantel, einen Breitschwanz, für eine Speckseite,<br />
Würste, Dosen, zwei Koffer voller Lebensmittel. Am Sonntag gingen<br />
wir im Lodenmantel zur Kirche. Und die Frau des Pächters<br />
saß da ganz stolz im neuen Pelz.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> ist 589 Tage Soldat. Als Bombengeschädigter<br />
erhält er mehrfach Sonderurlaub, insgesamt 98 Tage in drei<br />
Kriegsjahren, meist wegen »Totalschaden C« in einer seiner Filialen,<br />
aber auch zum Arbeitseinsatz. In den letzten Kriegsmonaten<br />
wird er an die Ostfront verlegt. Die Russen stehen in der<br />
Slowakei. Die Rote Armee siegt auf breiter Front. Bei Brünn wird<br />
der Infanterist in eine Panzerschlacht geschickt. Der Befehl lautet,<br />
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zwischen den Panzern im Sturmlauf gegen den Feind vorzugehen.<br />
Er hat seinen Kindern nicht viel von dieser Schlacht erzählt, die<br />
er unverletzt überlebt. Aber er wird noch lange von Albträumen<br />
heimgesucht, schreckt nachts aus dem Schlaf, das »Hurrah« der<br />
russischen Soldaten im Ohr.<br />
Die Wehrmacht ist auf dem Rückzug, die Rote Armee nicht<br />
aufzuhalten. Kurt <strong>Ganske</strong> wird, zu seiner Überraschung, in die<br />
Heimat zurückbeordert. Eingefädelt hatte das Gerda. Seit die<br />
Luftwaffe in Hohenhaus eine Versorgungseinheit für Bombenopfer<br />
stationiert hat, sind Soldaten in ihrem Haus einquartiert. So<br />
erfährt sie, dass für einen Lazarettzug ein zuverlässiger Fahrer<br />
gesucht wird. Die Lastwagen stehen unter den Linden vor dem<br />
Haus in Bereitschaft, voll beladen mit Hilfsgütern. Nach jedem<br />
Großangriff auf die Städte rücken sie aus. Gerda <strong>Ganske</strong> nutzt die<br />
Verbindungen zur Einheit vor der Tür. »Wir erfuhren dadurch<br />
immer sofort, wo wieder eine Stadt getroffen war, oft war ja eine<br />
Filiale vom Lesezirkel Daheim betroffen. Dann schickte ich an K.G.<br />
ein Telegramm an seine Feldpostnummer: Bombenschaden C in<br />
Magdeburg. Er bekam dann drei Tage Urlaub, seine Dinge zu<br />
regeln.«<br />
Am 24. März 1945 ist der Krieg jedoch in einer Phase, in der<br />
die Meldung eines Bombenschadens nicht mehr ausreicht, um<br />
einen Frontsoldaten auf Heimaturlaub zu schicken. Seit dem Produktionsverbot<br />
für Zeitschriften 1944 liefert der Lesezirkel ohnehin<br />
keine Mappen mehr aus. Aber eine Versetzung? Sie kenne<br />
einen sehr guten Fahrer, sagt sie dem Kommandeur des Hilfszuges:<br />
ihren Mann. Die junge Mutter rührt offenbar das Herz des<br />
Offi ziers. In einem Schnellbrief bittet Oberstleutnant Henkel, die<br />
Inmarschsetzung des »O’Gren. <strong>Ganske</strong>« befehlen zu wollen, der<br />
laut beigefügter, vom Oberkommando des Heeres beglaubigter<br />
Versetzungsverfügung »zur weiteren Durchführung der Hilfsmaßnahmen<br />
des deutschen Volkes durch die Großraumhilfszüge der<br />
Außenstelle« besonders dringend benötigt werde. Das Papier zeigt<br />
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Wirkung. Das letzte im Dritten Reich ausgestellte Dokument, das<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> bei sich trägt, ist ein Sonderausweis, gültig nur für<br />
Dienstreisen, der ihn berechtigt, zu seiner neuen Dienststelle zu<br />
reisen. Er bekommt Brot und Marschverpfl egung für zwei Tage.<br />
Er kommt nicht weit. Russische Soldaten nehmen ihn fest. Er<br />
ist nun Kriegsgefangener, rumpelt auf der Pritsche eines Lastwagens<br />
zusammengepfercht mit anderen Kameraden einer ungewissen<br />
Zukunft entgegen. Die Kolonne hält, ein Posten ist abgelenkt<br />
– eine Chance. Er springt von der Ladefl äche, rennt davon und<br />
versteckt sich in einem Wald. Er wartet die Nacht ab und marschiert<br />
nach Westen. Am Tag versteckt er sich. Die Straßen sind<br />
voller Flüchtlingstrecks, dazwischen Soldaten, Truppentransporte,<br />
Verwundetentransporte. Sie werden von Tieffl iegern angegriffen;<br />
Feldwege geben keine Deckung, Partisanen machen Jagd auf<br />
Deutsche, Deutsche machen Jagd auf Partisanen und auf Deserteure.<br />
Deserteure werden erschossen, von der SS oder von Hitlerjungen.<br />
Wer die weiße Fahne zeigt, wird erschossen, Bürgermeister,<br />
die ihre Stadt kampfl os übergeben wollen, werden erschossen<br />
oder aufgehängt. Bonzen gehen stiften. All das geschieht um ihn<br />
her, in den Dörfern, in den Städten. Er wandert im Schutze der<br />
Dunkelheit, ein Feldkompass hilft ihm bei der Orientierung.<br />
Er weiß nicht, dass der Marschbefehl in seinem Schuh längst<br />
wertlos ist. Die Hilfszüge im fernen Hohenhaus sind samt Oberstleutnant<br />
Henkel abgezogen. Die Amerikaner waren schon bis an<br />
die Werra vorgerückt. Kurt <strong>Ganske</strong> ahnt nichts davon. Er gewöhnt<br />
sich an die Nachtmärsche, schläft am Tage, erschöpft und tief.<br />
Nördlich von Regensburg schwimmt er über den eiskalten Regen.<br />
Irgendwo im Bayerischen Wald nimmt ihn eine Bauernfamilie<br />
auf. Die Leute sind rührend um ihn bemüht, lassen ihn eine Woche<br />
lang bei sich wohnen. Sie schenken ihm ein weißes Hemd,<br />
Jacke und Hose, ein paar Schuhe und wünschen ihm Glück auf<br />
seinem Weg. Er geht nun auch tagsüber, fühlt sich sicher in der<br />
Zivilkleidung und achtet peinlich auf ihren gepfl egten Zustand.<br />
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Aus dem Soldbuch des Grenadiers Kurt <strong>Ganske</strong>:<br />
Sonderurlaub wegen Bombenschaden<br />
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Das Hemd wäscht er im Bach, die Schuhe reinigt und putzt er mit<br />
Moos, bis sie glänzen. Nichts darf an einen Flüchtling erinnern,<br />
er will aussehen wie jemand, der eben nur ein paar Straßen weiter<br />
geht, und nicht wie einer, der aus der Hölle kommt und schon<br />
viele hundert Kilometer wandert. Und so erreicht Kurt <strong>Ganske</strong><br />
Hohenhaus. Dort hat sich einiges verändert.<br />
Gerda <strong>Ganske</strong> hatte dem Amerikaner selbst die Tür geöffnet.<br />
Vor ihr stand ein Vier-Sterne-General, neben ihm als Übersetzer<br />
ein deutscher Arzt mit amerikanischem Stahlhelm. Der General<br />
kam gleich zur Sache: »Wissen Sie, warum wir hier sind?« Sie<br />
ahnte es. Der Mann wollte ihr Haus. »Wir brauchen ein Headquarter«,<br />
sagte der General. »Aber keine Sorge, wir helfen Ihnen.<br />
Mein Bataillon steht Ihnen zur Verfügung, Sie werden keine Arbeit<br />
haben.« »Es dauerte einen Nachmittag«, erinnert sich Gerda<br />
<strong>Ganske</strong>, »sie haben unser halbes Haus leer geräumt. Im Krieg<br />
macht man so einiges durch. Das konnte mich nicht erschüttern.<br />
Wir behielten ja die andere Hälfte des Hauses für uns. Mittendrin<br />
hing eine Leine mit dem Schild ›Off limits‹. Die Amerikaner haben<br />
es immer respektiert.«<br />
Das Gutshaus wird mit fünfzig Eisenbetten möbliert und<br />
zum Hauptquartier von George S. Patton, dem General, der<br />
zu den schillerndsten Figuren unter den Haudegen des Zweiten<br />
Weltkriegs gehört. Geboren 1885 im kalifornischen San<br />
Gabriel, schafft er es bei den Olympischen Spielen 1912 in<br />
Stockholm auf den fünften Platz im modernen Fünfkampf. Er<br />
trägt gern großkalibrige Pistolen mit Griffen aus Elfenbein und<br />
erschießt als junger Offi zier bei einem Einsatz an der mexikanischen<br />
Grenze nach Wildwest-Manier den Chef der Leibgarde<br />
des Aufständischen Pancho Villa, »General« Julio Cardenas,<br />
mit seinem Colt. Im Ersten Weltkrieg kämpft er unter General<br />
Pershing und bildet die ersten fünfhundert amerikanischen<br />
Panzerfahrer aus. Im Zweiten Weltkrieg wird der resolute Panzergeneral,<br />
dessen schnelle Verbände den Widerstand der Deut-<br />
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General<br />
George S. Patton<br />
schen niederwalzen, zur Legende. In den USA wird er als Kriegsheld<br />
verehrt. Hollywood wird sein Leben, mit George C. Scott in<br />
der Hauptrolle ideal besetzt, verfi lmen. »Führe mich, folge mir,<br />
oder geh mir aus dem Weg«, ist seine Devise. Markige Sprüche<br />
begleiten seinen Weg. »Kann sein, dass Gott unseren Feinden<br />
gnädig ist. Ich bin es nicht.« Er lässt aber auch, was im Generalstab<br />
Irritationen auslöst, Sympathie für den Gegner erkennen.<br />
Die Waffen-SS nennt er »eine verdammt gut aussehende Bande<br />
von sehr disziplinierten Hurensöhnen«.<br />
In Hohenhaus bleibt er keine drei Wochen. Ungeduldig wartet<br />
er auf den Befehl zum Vormarsch. Am 1. April überqueren die<br />
ersten Einheiten die Werra. Pattons Panzer rollen auf der Reichsstraße<br />
Kassel–Eisenach ostwärts. Dwight D. Eisenhower, Oberbe-<br />
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fehlshaber der amerikanischen Streitkräfte, trifft in Thüringen<br />
ein, besichtigt im Kalibergwerk von Merkers in der Rhön von den<br />
Nazis eingelagerte Kunstschätze und Goldvorräte sowie das befreite<br />
Außenlager Ohrdruf des Konzentrationslagers Buchenwald.<br />
Am 12. April besetzt die US-Armee Erfurt und Weimar. Patton<br />
bezieht ein neues Hauptquartier, die Villa des gefl ohenen thüringischen<br />
Gauleiters in Weimar. Am 15. April inspiziert er das<br />
befreite Konzentrationslager Buchenwald. Der Anblick der gequälten<br />
und fast verhungerten Insassen geht ihm so nahe, dass er<br />
der Militärpolizei befi ehlt, die Bürger von Weimar einzusammeln<br />
und durch das Lager zu führen.<br />
Patton bleibt in Deutschland. Auch nach der Kapitulation ist<br />
für ihn der Krieg noch nicht zu Ende. Als er im September 1945<br />
die NSDAP als »ganz normale Partei« bezeichnet und sich öffentlich<br />
dafür einsetzt, gemeinsam mit den Deutschen gegen die<br />
Sowjet-Armee zu kämpfen, entzieht ihm Dwight D. Eisenhower,<br />
inzwischen Präsident der Vereinigten Staaten, das Kommando<br />
über die dritte US-Armee. Patton bleibt als Kommandeur der<br />
15. Armee im besetzten Deutschland. Im Winter 1946 wird er bei<br />
einem Autounfall schwer verletzt. Er stirbt am 21. Dezember in<br />
Heidelberg. In Luxemburg, wo er als Befreier verehrt wird, fi ndet<br />
er seine letzte Ruhe.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> ist auf seinem langen Heimweg vom Bayerischen<br />
Wald durch die Oberpfalz gewandert, hat das Fichtelgebirge, den<br />
Frankenwald und den Thüringer Wald durchquert. Als er Hohenhaus<br />
erreicht, verbirgt er sich hinter Bäumen und Büschen. Eine<br />
Schiffsglocke ist zu hören, für die amerikanischen Soldaten das<br />
Signal zum Essenfassen an der Gulaschkanone. Er schleicht sich<br />
durch die Büsche und sieht sich plötzlich der Frau seines Fahrers<br />
gegenüber. Ein großer Schreck auf beiden Seiten. »Kein Wort!<br />
Sonst erschieße ich Sie!«, droht der Heimkehrer. Kurt <strong>Ganske</strong> ist<br />
immer noch im Krieg. Er hat einen Revolver, und er ist in Panik.<br />
Frau Kienöl ist nämlich alles andere als verschwiegen. »Was soll<br />
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ich denn nun tun?«, fragt sie. »Machen Sie erst mal Bratkartoffeln,<br />
und holen Sie mir eine Flasche Rotwein. Ich bin im Gewächshaus.«<br />
Frau Kienöl geht zu Gerda <strong>Ganske</strong>, schließt die Tür hinter sich,<br />
macht ein feierliches Gesicht und sagt: »Ihr Mann ist da!« Sie<br />
warten, bis es Nacht ist und die Kinder schlafen. Dann schleusen<br />
sie ihn im Dunkeln in die zivile Hälfte des amerikanischen<br />
Hauptquartiers. Gerda <strong>Ganske</strong> versteckt ihren Mann in ihrem<br />
Zimmer. Am nächsten Tag sieht er, verborgen hinter einer Gardine,<br />
die Kinder im Garten spielen. Nach ein paar Tagen kommt<br />
das Geheimnis ans Licht. Anna <strong>Ganske</strong> bemerkt den erhöhten<br />
Verbrauch an Lebensmitteln, blickt ihre Schwiegertochter an und<br />
sagt ihr auf den Kopf zu: »Kurt ist da!«<br />
Ein befreundeter Tierarzt wird in diplomatischer Mission<br />
vorgeschickt. Er hat einen guten Kontakt zum amerikanischen<br />
Kommandeur. Was wäre, fragt er den Offi zier, wenn der Besitzer<br />
von Hohenhaus eine Tages zurückkäme? Er müsse sofort gemeldet<br />
und zum Hauptquartier nach Hersfeld überführt werden,<br />
antwortet der Amerikaner, damit seine Papiere dort untersucht<br />
werden könnten. So geschieht es. Nach zwei Tagen meldet der<br />
Tierarzt das Eintreffen Kurt <strong>Ganske</strong>s. Sofort fährt ein amerikanisches<br />
Kommando vor. Kurt <strong>Ganske</strong> steigt in den Wagen, sitzt in<br />
der Mitte zwischen zwei Bewachern. Der Wagen fährt davon. Für<br />
Gerda <strong>Ganske</strong> ein schrecklicher Moment. »Für mich brach eine<br />
Welt zusammen. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Doch nach<br />
zwei Stunden ging zu meiner Freude die Tür auf, und K.G. war<br />
wieder da.« Seine Papiere sind geprüft, die Leibesvisitation ergab<br />
keine SS-Tätowierungen unter den Armen. Der Mann ist sauber.<br />
Für Kurt <strong>Ganske</strong> ist der Krieg zu Ende.<br />
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»Merian«, Heft 1 vom 1. Juli 1948<br />
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NEUSTART<br />
Amerikaner in Hohenhaus – Tod eines Kindes – Flüchtlinge<br />
willkommen – Entnazifi zierung – Die erste Lizenz – Daheim<br />
in vier Zonen – Die Währungsreform – Merian – Gründerjahre<br />
in Hannover – Film und Frau – Der Jahreszeiten Verlag<br />
Im Juli 1945 kommt es zum letzten großen Vormarsch der Roten<br />
Armee. Die Amerikaner ziehen sich aus Thüringen zurück, das<br />
nach einer Vereinbarung der Alliierten fortan zur sowjetisch besetzten<br />
Zone gehören soll. Der Rückzug verläuft mit generalstabsmäßiger<br />
Präzision. Zwischen den abrückenden amerikanischen<br />
und den vorrückenden Sowjettruppen ist eine bis zu fünf Kilometer<br />
breite Pufferzone vereinbart. Die Armeen bekommen sich<br />
nicht zu Gesicht. Die Kunstschätze und das Gold aus den Kaligruben<br />
von Merkers haben die Amerikaner schon vorher in Sicherheit<br />
gebracht, außerdem ließen sie ein paar Experten der Zeiss-Werke<br />
und der Universität Jena mitgehen. Direkt bei Hohenhaus verläuft<br />
die Sektorengrenze. Die nahe Wartburg ist nun sehr weit weg, in<br />
einer anderen Welt.<br />
Nachdem Patton Hohenhaus verlassen hatte, übernahm ein<br />
Captain das Kommando. »Da war kein Zug mehr in den Leuten«,<br />
erzählt Gerda <strong>Ganske</strong>. »Ständig hörten wir das Klack-Klack vom<br />
Hufeisen-Werfen. Die waren wie eine Bande. Wir fühlten uns<br />
nicht mehr sicher. Schließlich sind wir mit Sack und Pack umgezogen.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong>s inzwischen schon recht stattliche Kupferstich-Sammlung<br />
von Matthäus Merian wird bei günstigem Wetter<br />
auf Schubkarren ins nahe gelegene Forsthaus am Dorfteich geschafft.<br />
Für Michael <strong>Ganske</strong>, damals ein Junge von sieben, acht Jahren,<br />
war die amerikanische Besatzung nie ein Problem. »Ich habe als<br />
Kind noch die Bombergeschwader erlebt, die über uns hinge-<br />
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fl ogen sind. Nun waren die Amerikaner unsere Nachbarn. Ich<br />
fand das sehr unterhaltsam. Ich war ein Kind, und sie waren selbst<br />
große Kinder. Einmal schenkten sie mir eine Banane. Meine Mutter<br />
staunte. Und ich wusste nicht, was das ist.«<br />
Doch die großen Kinder fürchten sich im dunklen Wald. Die<br />
Amerikaner sind unruhig, fühlen sich in Feindesland, jede Verbrüderung<br />
mit dem besiegten Feind ist ihnen untersagt. Sie haben<br />
Angst vor »Werwölfen«, fanatisierten und bewaffneten Pimpfen<br />
der Hitlerjugend, die sich im Wald versteckt haben könnten.<br />
Die GIs schwärmen aus, suchen nach geheimen Waffenlagern,<br />
lassen sogar den Teich hinter dem Gutshaus ab, weil sie Waffen<br />
darin vermuten. Tausende von Karpfen vergammeln in der Sonne.<br />
Kein Fisch darf von den Deutschen angerührt werden. Es stinkt<br />
zum Himmel.<br />
Der Hochzeitsfi lm von Kurt und Gerda <strong>Ganske</strong> wird als verdächtiges<br />
Propaganda-Material beschlagnahmt und sorgfältig in<br />
kleine Teile zerschnitten. Alle Waffen müssen abgegeben werden.<br />
Die Amerikaner sammeln die Gewehre ein, werfen sie auf<br />
einen Haufen und fahren mit dem Panzer drüber. »Meine Mutter<br />
hat die Jagdwaffen nicht hergeben wollen. Es waren besonders<br />
schöne Gewehre; mein Vater hat sie sich anfertigen lassen.<br />
Er hing vor allem an einer Doppelbüchse mit zwei Kugelläufen<br />
und einem Schrotlauf«, erzählt Thomas <strong>Ganske</strong>. Sie versteckte<br />
das Gewehr hinter einem Schrank. Die Waffe wird nicht gefunden<br />
und wandert später als Familienerbstück durch die Generationen.<br />
Die Baronin Schutzbar hat weniger Glück. Auch sie hat<br />
ein Jagdgewehr versteckt, die Waffe ihres vermissten Sohnes. Das<br />
Gewehr wird entdeckt. Die alte Dame muss in den Turm. Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> bemüht sich um ihre Freilassung. Nach ein paar Tagen<br />
hat er Erfolg.<br />
Im Wald lauern Gefahren. Michael <strong>Ganske</strong> erzählt: »Einmal<br />
nahm mein Vater mich mit in den Wald, bei Vollmond und<br />
Schnee. Plötzlich ruft hinter uns eine Stimme: ›Hände hoch!‹<br />
100<br />
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Mein Vater packt mich, wir rutschen den Hang runter. Vor uns lagen<br />
abgeerntete Kartoffelfelder, nirgendwo eine Deckung. Mein<br />
Vater schob sich schützend vor mich. Da trat der Förster aus dem<br />
Wald: ›Ach, Sie sind’s, Herr <strong>Ganske</strong>.‹«<br />
Kinderspiele. Richard und Stefan Vogt, die Söhne von Kurt<br />
<strong>Ganske</strong>s Schwester Käthe, machen sich verdächtig, weil sie mit<br />
einem Glasröhrendetektor gespielt haben, was streng verboten<br />
ist – man konnte damit funken. Die Amerikaner nehmen ihnen<br />
das Gerät weg. Aber mit der Zeit schwindet das Misstrauen. Die<br />
Amerikaner entdecken die Freuden der Jagd. Bald hallt der Wald<br />
wider von den Schüssen ihrer Karabiner. »Da fi elen neunundneunzig<br />
Schuss, und es lag nichts«, erzählt Michael <strong>Ganske</strong>. »Sie<br />
hatten kurze Waffen und trafen nicht. Die Sauen hatten das bald<br />
raus und sprangen vor ihren Augen vom Wald in die Felder.«<br />
Sauen sind intelligent und leider auch sehr gefräßig. Besonders<br />
lieben sie gedrillten Mais auf frisch geeggtem Boden. Systematisch<br />
arbeiten sie sich durch die Furchen, legen die Spitze<br />
ihrer Unterlippe in die Spur und fressen im gemütlichen Geradeauslauf<br />
Korn um Korn die eben ausgebrachte Saat ganz ungestört,<br />
denn es gibt keine Jäger, die ihnen gefährlich werden könnten.<br />
Selbst wo ihnen der Mais über den Kopf wächst und hoch in der<br />
Milchreife steht, wissen sie sich zu helfen. »Sie brauchen sich nur<br />
im Maisfeld zu drehen und hinzulegen, dann knickt der Mais um,<br />
und sie sind an den Kolben.«<br />
Auch das Rotwild wird zur Plage, frisst Weizen, Hafer, Erbsen.<br />
Die Landbevölkerung leidet unter den Wildschäden. Endlich<br />
entscheidet die Kommandantur: Richard <strong>Ganske</strong>, der 70-Jährige,<br />
bekommt als erfahrener und allseits geachteter Jäger eine Sondererlaubnis.<br />
Er darf ein Gewehr zur Jagd verwenden, allerdings<br />
ist es ein ziemlich alter Schießprügel ohne Zielfernrohr, ein Gewehr,<br />
das nicht trifft.<br />
Inzwischen ist Hohenhaus ein Sammelbecken für Flüchtlinge<br />
geworden, die vor der Roten Armee aus der sowjetisch besetzten<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 101 <strong>01.11.2005</strong> 15:00:56 <strong>Uhr</strong><br />
101
Mareile und Kurt <strong>Ganske</strong><br />
Zone gefl ohen sind. Einer von ihnen, der alte Sacher, erweist sich<br />
als Meister des Waffenbaus. Er gibt dem Jagdgewehr eine neue<br />
Visierung, baut ein Zielfernrohr auf. »Eine Meisterkunst, die nur<br />
ganz wenige beherrschen«, sagt Michael <strong>Ganske</strong>. Von nun an<br />
hat sein Großvater viel zu tun. »Was die Jagd betrifft, war er eine<br />
Autorität«, erzählt Michael <strong>Ganske</strong>. »An ihm mussten alle vorbei,<br />
auch die Amerikaner. Er wies ihnen ihr Revier zu und sagte, was<br />
sie schießen durften. Einmal hatte ein Offi zier einen zu jungen<br />
Bock geschossen und aufgehängt. Da hat mein Großvater ihn laut<br />
getadelt.« Der Offi zier hat dies nie vergessen. Als er Jahre später<br />
102<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 102 <strong>01.11.2005</strong> 15:00:57 <strong>Uhr</strong>
einmal nach Hohenhaus kam, sagte er zu Kurt <strong>Ganske</strong>: »Ihr Vater<br />
hat mich gebrannt.«<br />
Beim Großvater haben die Kinder das Jagen gelernt. »Die Patronen<br />
wurden gezählt, und hinterher mussten wir abrechnen«,<br />
berichtet Michael. »Wenn eine fehlte, war das Gewehr für vier<br />
Wochen weg. Mein Großvater achtete sehr auf jagdlichen Stil. Nie<br />
hätte er ein Stück Wild mit dem Auto geholt, immer mit Pferd<br />
und Wagen. Der letzte Bissen gehörte dazu, ein Bruch – ein Eichen-,<br />
Buchen- oder Fichtenzweig durchs Geäse (zwischen die<br />
Zähne) und auf die Schusswunde gelegt. Dann hielt man beim<br />
Tier eine halbe Stunde Totenwacht.«<br />
Am Ende des Krieges ist Michael sieben Jahre alt. Er wächst in<br />
Hohenhaus auf, eine Kindheit auf dem Lande. »Ich wurde mit<br />
dem Dorf groß. Die Struktur hatte Substanz. Vor jedem Haus gab<br />
es einen Misthaufen. Im Winter traf man sich in den Spinnstuben,<br />
im Sommer gab es die Kirmes. Es gab den Bürgermeister, den<br />
Schmied, den Förster, den Lehrer und den Rohrstock, das waren<br />
Autoritäten. Das Dorf war eine Gemeinschaft. Noch heute duzen<br />
mich alle, wenn ich durch den Ort gehe.«<br />
Die Familie <strong>Ganske</strong> hat sich in der neuen Umgebung eingerichtet.<br />
Es mangelt an vielem. Der kleine Martin macht ihnen<br />
Sorgen. Vor ein paar Tagen spielte er noch munter mit Manfred,<br />
einem kleinen Freund. Der Junge zog das Bein nach. Jetzt erfahren<br />
sie, warum: Kinderlähmung! In Zeiten des Mangels und fehlender<br />
Impfstoffe ist Poliomyelitis eine Krankheit, die sich schnell<br />
ausbreiten kann. Die Eltern sind zunächst erleichtert, dass Martin<br />
keine Symptome zeigt, aber ein paar Tage später klagt er, dass er<br />
nicht mehr stehen könne. Er hat Durchfall und Fieber. Die Eltern<br />
sind in Panik. Kurt <strong>Ganske</strong> fährt zu Ärzten, Apothekern, Bauern<br />
und versucht, irgendwo Penicillin aufzutreiben, aber ohne Erfolg.<br />
Der Kleine fühlt sich elend, möchte für sein Leben gern Schokolade<br />
essen. Der Vater will nach Hannover, er hofft auf seine<br />
guten Verbindungen. Allerdings ist die Fahrt von Herleshausen<br />
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103
nach Hannover eine Auslandsreise, denn Hannover liegt in der<br />
britischen Zone, und wer die Grenze passieren will, muss gute<br />
Gründe haben und die richtigen Papiere. Ist ein krankes Kind<br />
Grund genug für eine Grenzüberschreitung? Offenbar gelingt<br />
es Kurt <strong>Ganske</strong>, nach Hannover zu fahren und Schokolade aufzutreiben,<br />
aber kein Penicillin. Er kehrt zurück. Der Zustand des<br />
Kindes ist ernst, eine Meningitis ist dazugekommen. Martin ist<br />
nicht zu retten. Er stirbt sechs Tage nach Ausbruch der Krankheit<br />
im Alter von fünf Jahren. Die Epidemie ebbt ab, und Manfred,<br />
der kleine Freund, erholt sich wieder. Martin bleibt der einzige<br />
Todesfall in Hessen. Ein halbes Jahr später wird die Impfung mit<br />
Salk eingeführt.<br />
In Herleshausen haben sich viele Flüchtlinge versammelt. Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> hat Arbeit für sie: Er stellt Bautrupps zusammen und fi ndet<br />
Maurer, die helfen, die zerstörten Filialen wieder aufzubauen –<br />
neunzig Prozent der Filialen des Lesezirkels sind zerstört. »Mein<br />
Vater hat vier Geschäftsführer, die keine Bleibe mehr hatten, mit<br />
ihren Familien bei uns aufgenommen«, erzählt Michael <strong>Ganske</strong>.<br />
»Er hat unter den Flüchtlingen Tischler und Gärtner ausgewählt<br />
und ihnen Arbeit gegeben. Es waren gute Handwerker dabei. Einer<br />
von ihnen, Herr Sacher, hat sogar eine Kaffeemühle selbst<br />
gebaut. Und meine Mutter konnte wunderbar improvisieren, sie<br />
sorgte für alle, hat immer was gezaubert. Wir saßen oft am großen<br />
Tisch. ›Mamutsch, du hast wieder aus Katzendreck Pastete<br />
gemacht‹, war ein gefl ügeltes Wort. Die Katze war meist ein Wildschwein.<br />
Meine Eltern haben fünfundsiebzig Leute aufgenommen.<br />
Alle bekamen ein Stück Gartenland, Ställe, zwei Hühner<br />
und eine Ente. Sie hatten Arbeit, sie brauchten nicht zu betteln.<br />
Hohenhaus war das Zentrum einer Wiederaufbauatmosphäre.«<br />
Dazu gehörten auch der Lärm der Kreissäge und die Lastwagen<br />
mit Baumstämmen aus dem Wald. Sie brachten die nächste Lieferung<br />
für die ewig nach Holz suchenden Papierfabriken.<br />
Im Frühjahr 1946 beginnt der Prozess der »Entnazifi zierung«.<br />
104<br />
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Mareile, Michael und Kurt <strong>Ganske</strong><br />
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Die Deutschen müssen einen Fragebogen ausfüllen, Auskunft geben<br />
über ihre Mitwirkung im nationalsozialistischen Machtgefüge.<br />
Der Fragebogen ist ein bürokratisch aufbereitetes Formular, zur<br />
Klärung der individuellen Verstrickung in das verbrecherische<br />
System durchaus geeignet. Kurt <strong>Ganske</strong> schreibt in den Meldebogen<br />
ein sechzehnfaches Nein. Keine Mitgliedschaft in einer<br />
der aufgelisteten Organisationen der NSDAP, keine Ämter, kein<br />
Rang, keine Parteiauszeichnungen, keine Parteiorden, kein Ehrensold<br />
oder sonstige Parteivergünstigungen, keine Unabkömmlichkeitsstellung<br />
im Krieg. In einer Anlage zum Fragebogen zählt<br />
er die Mitgliedschaften in NS-Organisationen auf, denen er sich<br />
als Unternehmer offenbar nicht entziehen konnte. Er gehörte zur<br />
D.A.F., der Deutschen Arbeitsfront, und zur Reichspressekammer,<br />
»zwangsweise korporativ durch den Fachverband der Lesezirkelbesitzer«.<br />
Durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels<br />
war er der Reichsschrifttumskammer angeschlossen, als Gutsbesitzer<br />
gehörte er zum Reichsnährstand. Er war Mitglied der Deutschen<br />
Jägerschaft und der NS-Volkswohlfahrt. Hinter allen Mitgliedschaften<br />
der Vermerk: »Kein Rang, kein Amt«. Die einzige<br />
Mitgliedschaft, zu der er sich ausführlich äußert, ist der Beitritt<br />
zum Luftsportverband »im Zusammenhang mit einem eventuellen<br />
Ankauf eines Flugzeuges für Geschäftszwecke« im Jahre 1932.<br />
Der hessische Minister für politische Befreiung bescheinigt als öffentlicher<br />
Kläger, dass der Kaufmann und Forstwirt Kurt <strong>Ganske</strong><br />
vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus<br />
nicht betroffen und daher entlastet sei.<br />
Inzwischen hat Harriet Wegener in Hamburg mit immer neuen<br />
Eingaben an die Militärregierung um eine Lizenz zum Wiederaufbau<br />
des Verlages gekämpft. Unmittelbar nach der Kapitulation<br />
hatten die Siegermächte in allen Sektoren das Lizenzrecht<br />
eingeführt. Die Presse war keineswegs frei, sondern hatte nach<br />
den Vorgaben der Alliierten klare Aufgaben: Umerziehung und<br />
Entnazifi zierung. Wer eine Zeitschriften- oder Verlagslizenz be-<br />
106<br />
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Die Geschäftsführung vom »Lesezirkel Daheim« in der Mars-La-<br />
Tour-Straße in Hannover mit Kurt (zweite Reihe, Zweiter von rechts)<br />
und Richard <strong>Ganske</strong> (erste Reihe, Dritter von rechts) 1936<br />
antragte, musste bei der zuständigen Militärregierung Konzepte<br />
einreichen, präzise Angaben über die politische Vergangenheit<br />
der künftigen Mitarbeiter machen können und sich einer peinlichen<br />
Befragung stellen. Bis zur Gründung der Bundesrepublik<br />
am 23. Mai 1949 durfte keine Zeitschrift ohne Genehmigung<br />
erscheinen. Nach der offi ziellen Entlastung des Verlagsinhabers<br />
bekommt die Hoffmann und Campe Verlag GmbH die begehrte<br />
Lizenz. Sie trägt die Nummer C8.5B. Schon 1946 erscheint bei<br />
Hoffmann und Campe ein Herbstprogramm mit immerhin dreizehn<br />
Titeln, gedruckt auf Papier, für das einige Bäume des Forstes<br />
von Gut Hohenhaus fallen mussten.<br />
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107
Gerda <strong>Ganske</strong> ist schwanger und bringt am 30. Juni 1947<br />
Thomas zur Welt. Michael, inzwischen acht Jahre alt, geht auf<br />
die Dorfschule – ein Schulraum, zwei Bänke –, und Mareile, das<br />
Mädchen, das Kurt <strong>Ganske</strong> besonders in sein Herz geschlossen<br />
hat, ist fünf Jahre alt. Der Vater hat viele Pläne und ist ständig<br />
unterwegs. Inzwischen besitzt er eine Interzonen-Reisegenehmigung,<br />
viersprachig ausgestellt von der Alliierten Kontrollbehörde<br />
Berlin, die es ihm erlaubt, die Grenzen aller vier Besatzungszonen<br />
zu passieren.<br />
Der Lesezirkel Daheim kommt wieder auf Touren. Weil es nicht<br />
genügend Zeitschriften gibt, gehen Büchermappen an die Kunden.<br />
Auch in dieser Zeit existentieller Not und täglicher Entbehrungen,<br />
selbst im Hungerwinter, in Trümmern, zugigen<br />
Behelfsunterkünften und Nissenhütten gab es das Bedürfnis zu<br />
lesen. Was die Firmengründer dieser Zeit vor Augen hatten, erforderte<br />
Phantasie und Improvisationstalent, vor allem aber einen<br />
Grundvorrat an Zuversicht und Stehvermögen, der heute kaum<br />
mehr vorstellbar ist. Es fehlt an Material und an geeigneten Räumen.<br />
Es gibt keine Öfen, kein Brennholz und keine Kohle, keine<br />
Tische und keine Schreibmaschinen, keinen Klebstoff, keine<br />
Bindfäden. Vor allem gibt es kein Papier. Papier ist ein gesuchter<br />
Rohstoff in den Tagen des Wiederaufbaus. Es wurde praktisch für<br />
alles verwandt: zum Feuermachen, zum Einwickeln, zum Abdichten<br />
von Ritzen und Fenstern. Neues, unbedrucktes Papier frisch von<br />
der Rolle ist Mangelware. Verleger und Chefredakteure belagern<br />
die Papierfabriken und fahren schließlich selbst in die Wälder,<br />
um irgendwie Holz zu beschaffen. Natürlich haben Verleger, die<br />
einen Wald besitzen, in diesen Tagen einen unbestreitbaren Wettbewerbsvorteil.<br />
Und an Optimismus fehlt es Kurt <strong>Ganske</strong> nicht.<br />
1947 sieht er in Mitteldeutschland gute Chancen für einen Neustart.<br />
Er gründet Filialen in Berlin, Leipzig, Chemnitz und Dresden,<br />
in Görlitz, Magdeburg und Zwickau. In Süddeutschland<br />
kommt Regensburg hinzu.<br />
108<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong><br />
um 19<strong>40</strong><br />
1948 ist ein Jahr des Neuanfangs und der großen Hoffnungen,<br />
aber auch ein Jahr dramatischer Spannungen. Im Juni wird<br />
im Zuge der Währungsreform in den alliierten Besatzungszonen<br />
Deutschlands und in den Westsektoren Berlins die D-Mark eingeführt.<br />
Daraufhin sperren sowjetische Truppen in der Nacht zum<br />
24. Juni alle Zufahrtswege nach West-Berlin. Die Blockade der<br />
Stadt soll die Westmächte zwingen, auf die geplante Gründung<br />
eines deutschen Weststaates zu verzichten. Doch die Alliierten<br />
lassen sich nicht beeindrucken, sondern versorgen die eingeschlossene<br />
Stadt über eine Luftbrücke. Mit annähernd 280 000<br />
Flügen bringen ihre »Rosinenbomber« rund 2,3 Millionen Tonnen<br />
lebenswichtiger Güter nach Berlin. Verantwortlich für diese<br />
aufwendigste Hilfsaktion in der Geschichte der Menschheit ist der<br />
Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone Lucius D.<br />
Clay. Die Blockade scheitert und wird im Mai 1949 aufgehoben.<br />
Es bleibt die Teilung Deutschlands und Berlins, der Osten schottet<br />
sich ab. Die Konturen der künftigen Bundesrepublik zeichnen<br />
sich ab. Im August treffen sich die Väter des Grundgesetzes auf<br />
der Insel Herrenchiemsee, um die Grundzüge einer Verfassung<br />
zu beraten. In Paris verabschiedet die Vollversammlung der Vereinten<br />
Nationen die Erklärung der Menschenrechte, in Palästina<br />
wird der Staat Israel gegründet.<br />
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Das Klima des Neuanfangs erfasst die Literatur. Die neuartigen<br />
Taschenbücher machen Lesen erschwinglich. Manche Neuerscheinung<br />
des Jahres 1948 wird zum Klassiker: Hans Falladas<br />
»Jeder stirbt für sich allein« oder Norman Mailers »Die Nackten<br />
und die Toten«. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno publizieren<br />
ihre »Dialektik der Aufklärung«. Im Kino entführt der<br />
Heimatfi lm das Publikum in eine idyllische, unzerstörte Welt.<br />
Der Wildbach rauscht, grün ist die Heide, und Gert Fröbe steht<br />
als Otto Normalverbraucher in schlabberigen Klamotten ausgemergelt,<br />
aber pfi ffi g seinen Mann. 1948 kommen auch de Sicas<br />
»Fahrraddiebe« und der klassische Western »Red River« mit John<br />
Wayne und Montgomery Clift ins Kino. Charmant: Christian Dior<br />
erfi ndet den »New Look« mit zeitgemäßer Wespentaille und<br />
schwingenden Säumen. Die Fesseln sind frei, aber noch ist es<br />
kein Höhenfl ug.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> entscheidet sich für Expansion und gründet für<br />
seinen Lesezirkel Filialen in Hamburg, München und Würzburg.<br />
Vergeblich versucht er das zarte Pfl änzchen seiner ostdeutschen<br />
Unternehmungen zu retten. Immerhin haben in der sowjetisch<br />
besetzten Zone schon über dreißigtausend Leser die Mappen<br />
abonniert. Die Umwandlung der ostdeutschen Filialen in eine<br />
selbständige Kommanditgesellschaft rettet sie nicht. Das Unternehmen<br />
wird Volkseigentum und unter die Verwaltung der Post<br />
gestellt.<br />
Mehr Glück hat er mit der Währungsreform. Vor allem aber<br />
kennt er als Kaufmann den Wert des Kleingeldes, er hat gewissermaßen<br />
ein absolutes Gehör für klingende Münze. Für viele<br />
ist die Währungsreform ein Schock. Der Schwarzmarkt bricht<br />
zusammen. Jede ersparte Reichsmark wird von einem zum anderen<br />
Tag abgewertet. Kapitalvermögen schnurren zusammen, aber<br />
Schulden auch. Für beide gilt der Kurs zehn zu eins, Löhne und<br />
Mieten werden eins zu eins berechnet. Wer aber Reichsmark in<br />
bar umtauschen will, bekommt für 100 RM nur 6,50 DM. Jeder<br />
110<br />
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Bürger bekommt in zwei Schritten erst <strong>40</strong> und dann noch einmal<br />
20 Deutsche Mark in bar ausbezahlt. Und weil Ludwig Erhard,<br />
Direktor der Bizonen-Verwaltung und Konstrukteur des Reformwerks,<br />
auch das Ende der Bewirtschaftung (Rationierung) fast<br />
aller Güter verfügt, liegt plötzlich in den Schaufenstern die Ware,<br />
die man bis dahin nur mit einigem Geschick und großem Spürsinn<br />
auf dem Schwarzmarkt fi nden konnte. Jetzt gibt es auch den<br />
VW-Käfer. Er kostet 4500 Mark, auf dem Schwarzmarkt waren dafür<br />
drei Paar Nylons zu haben. Die Kaufl eute hatten in Erwartung<br />
des Tages X ihre Ware zurückgehalten.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> behält einen kühlen Kopf. Überzeugt, dass die<br />
alten Münzen nach dem Stichtag noch eine Zeit lang gültig bleiben<br />
werden, weist er seine Mitarbeiter an, in den Wochen vor der<br />
Währungsreform beim Barinkasso nur Münzen zu akzeptieren.<br />
Barinkasso ist Tradition in seinem Gewerbe. Die Zulieferer des<br />
Lesezirkels pfl egen zu ihren Kunden einen fast familiären Kontakt.<br />
Michael <strong>Ganske</strong>, der als junger Mann in den fünfziger Jahren<br />
wie sein Vater im Außendienst hilft, erzählt: »Viele von uns hatten<br />
ein Schlüsselbund und Zugang zu den Wohnungen ihrer Kunden,<br />
weil viele von ihnen tagsüber zur Arbeit gingen. Sie wechselten<br />
die Mappen ihrer Kunden aus, nahmen das Trinkgeld vom Teller.<br />
Wenn zu viel Geld auf dem Teller lag, nahmen sie ihren Teil und<br />
gaben den Rest heraus. Es war eine Vertrauensstellung. Die guten<br />
Touren gingen in die Arbeiterviertel, auch wegen des Trinkgelds.<br />
Die Reichen gaben am wenigsten.« Kurt <strong>Ganske</strong>s Strategie geht<br />
auf. Das Kleingeld geht nicht verloren, im Gegenteil. Der unansehnliche<br />
graue Reichspfennig bekommt nach der Währungsreform<br />
eine komfortable Gnadenfrist und wird schließlich mit dem<br />
neuen Pfennig eins zu eins getauscht.<br />
Das Kleingeld fl ießt, der Lesezirkel läuft, der Verlag ist auf<br />
einem guten Weg, aber Kurt <strong>Ganske</strong> ist von kreativer Unruhe<br />
erfasst und sucht neue Herausforderungen. Er beschließt, eine<br />
Zeitschrift zu gründen, Merian, eine monothematische Monats-<br />
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zeitschrift, die sich mit jeder Ausgabe einer anderen Stadt oder<br />
Kulturlandschaft widmet, als Inventur der vom Krieg versehrten<br />
europäischen Städte und Landschaften in Text und Bild. Das<br />
Projekt und sein Name erinnern bewusst an die »Topographien«<br />
des Matthäus Merian (1593–1650). Mitten im Dreißigjährigen<br />
Krieg, in einer Zeit verheerender Verwüstung, ist das Lebenswerk<br />
des Kupferstechers und Verlegers entstanden. Geboren in Basel<br />
(damals noch eine deutsche Stadt), lässt er sich als junger Mann<br />
in Frankfurt nieder. Mehrfach bannt er das Bild der Stadt detailgenau<br />
und mit fi ligranem Stich auf Platten. Die bahnbrechende<br />
Sehweise der Renaissance bekommt bei ihm eine neue Dimension,<br />
den Blick von oben: Seine »Vogelschaubilder«, imaginierte<br />
Luftbilder aus Vogelperspektive, sind das Resultat präziser Beobachtungen<br />
vor Ort und seines souveränen Umgangs mit der<br />
Perspektive.<br />
Der Kupferstecher heiratet die Tochter des Frankfurter Verlegers<br />
Theodor de Bry und übernimmt nach dessen Tod den Verlag.<br />
In seinem »Theatrum Europaeum« dokumentiert er den Dreißigjährigen<br />
Krieg, auch den Einzug Gustav Adolfs in Frankfurt. Sein<br />
Hauptwerk aber sind die Topographien, wirklichkeitsgetreue<br />
Wiedergaben deutscher und europäischer Städte und Landschaften,<br />
eine Darstellung der bekannten Welt in nie dagewesener<br />
Detailtreue und Vielfalt. Nach dem Tod seiner Frau heiratet der<br />
Vater von acht Kindern zum zweiten Mal. Am 2. April 1647 wird<br />
seine Tochter Maria Sibylla geboren, die später als Insektenforscherin<br />
in Nürnberg, Amsterdam und Surinam eine faszinierende<br />
Welt erschließt und als Künstlerin, die ihre Beobachtungen<br />
minutiös aufzeichnet, berühmt werden wird. Sie ist drei Jahre<br />
alt, als ihr Vater stirbt. Seine Söhne Matthäus (1621–1687) und<br />
Caspar (1627–1686) werden erfolgreiche Künstler. Matthäus der<br />
Jüngere, Maler und Radierer, als junger Mann auch Gehilfe bei<br />
Anthonis van Dyck, übernimmt das Erbe und setzt das »Theatrum<br />
Europaeum« fort.<br />
112<br />
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Dreihundert Jahre nach dem Westfälischen Frieden liegt die<br />
Welt wieder in Trümmern. »K.G. war ständig auf der Suche nach alten<br />
Fotos«, erinnerte sich Jochen Karsten, der in seiner annähernd<br />
fünfzigjährigen Laufbahn im Verlag auch als Redakteur bei Merian<br />
arbeitete. »Er wollte den Leuten zeigen, was alles kaputtgegangen<br />
war, legte Bilder vom heilen und zerstörten Königsberg nebeneinander.<br />
Besonders schlimm hatte es Würzburg getroffen. Die<br />
Stadt war total zerbombt. Aber das Haus Zum Storchen war schon<br />
wieder neu erbaut. Das alles wollte er dokumentieren.«<br />
Würzburg wird das Thema des ersten Merian, der von nun<br />
an im Hoffmann und Campe Verlag in Hamburg erscheint. Es<br />
folgen Titel über Lübeck, Köln und Augsburg, dann Mannheim<br />
und Stuttgart. (Heute sind die schmalen Hefte, die damals nur in<br />
kleiner Aufl age erschienen, gesuchte Antiquitäten.) Die Chefredaktion<br />
übernimmt Dr. Heinrich Leippe. Als monothematische<br />
Kultur- und Reisezeitschrift erscheint Merian allein auf weiter Flur,<br />
was dem Blatt über Jahrzehnte ein gediegenes Wachstum sichert.<br />
Mag sein, dass die Pläne Kurt <strong>Ganske</strong>s und ihre zügige Realisierung<br />
den Generationswechsel an der Spitze des Hauses Hoffmann<br />
und Campe befördert haben. Teilhaber Martinus Christensen<br />
steigt aus. Der alte Herr hat eine unruhige Zeit hinter sich. Er<br />
hat sie mit Bravour überstanden. Zeitschriftenverleger möchte er<br />
nicht mehr werden. Kurt <strong>Ganske</strong> kauft Christensen weitere vierzig<br />
Prozent seiner Anteile ab; 1950 erwirbt er die letzten zehn Prozent<br />
und ist Alleininhaber des Hoffmann und Campe Verlages.<br />
Er gibt dem Haus eine Führungsstruktur, die sich bis heute bewährt<br />
hat: Es wird von zwei Verlagsleitern geführt, von denen der<br />
eine für das Programm und der andere fürs Geschäft zuständig<br />
ist. Das erste Team, Johannes Rohrsen und Rudolf Soelter, setzt<br />
den Schwerpunkt auf übersetzte Belletristik – aus dem Englischen,<br />
dem Französischen und dem Finnischen. Harriet Wegener, die<br />
den Verlag sicher um alle Klippen gesteuert hat, bleibt dem Haus<br />
und der Familie noch viele Jahre verbunden.<br />
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113
»Ich habe sie geliebt«, gesteht Thomas <strong>Ganske</strong>, der sich an die<br />
gemeinsamen Weihnachtsfeiern mit ihr erinnert, die zuletzt im<br />
Altersheim stattfanden. Immer gab es Toast und Gänseleber. »Sie<br />
hatte am 8. November Geburtstag, aber ich weiß nicht, in welchem<br />
Jahr: Für mich war sie immer fünfundsiebzig.« Eins fi el ihm<br />
schon als Kind auf: »Sie paffte eine Zigarette nach der anderen<br />
und hatte immer Asche auf der Brust.« Sie trug gern kleine Hüte,<br />
einen Silberring um den Arm und ein Seidentuch um den Hals.<br />
Und sie war stets gepudert, »eine perfekte Dame bis zuletzt und<br />
vollkommen emanzipiert«.<br />
Merkwürdigerweise ist die Kinderstube dreier großer Hamburger<br />
Zeitschriften Hannover, die total zerbombte Stadt, die Trümmerwüste,<br />
aus der standhaft und unwirklich wie ein Zeigefi nger<br />
Fritz Högers Anzeiger-Hochhaus emporragt, der Stahlbeton-Skelettbau<br />
im dunklen Maßanzug doppelt gebrannter Ziegel mit der<br />
kupfernen Kuppel des Planetariums auf dem Dach. Immer noch<br />
ein Griff nach den Sternen. Am 1. August 1948 erscheint die in<br />
diesem Haus produzierte erste Ausgabe einer Wochenzeitschrift<br />
mit dem Titel Stern und dem Foto einer blonden 21-jährigen,<br />
sinnlich wirkenden Frau, die mit geschlossenen Augen im Stroh<br />
liegt und den Kuss ihres Liebhabers zu erwarten scheint: Hildegard<br />
Knef. Das Blättchen erschien bei der Hannoverschen Verlagsgesellschaft,<br />
die nach acht Wochen Konkurs anmeldete. Der<br />
Journalist Henri Nannen (1913–1996), der als Gründer der Zeitschrift<br />
fünfzig Prozent Anteile besaß, fand neue Mitgesellschafter:<br />
einen Elektrogroßhändler in Duisburg und die Essener Nationalbank,<br />
weshalb der Stern vorübergehend in Duisburg erschien, bevor<br />
Nannen 1949 mit dem Hamburger Zeit-Verlag einen neuen<br />
Partner fand.<br />
Auch Der Spiegel startet in Hannover – als Erfi ndung dreier unternehmungslustiger<br />
britischer Offi ziere, die für die Pressekontrolle<br />
zuständig sind. Sie gründen ein deutschsprachiges News<br />
Magazine nach britischem Vorbild und gewinnen den 22-jähri-<br />
1<strong>14</strong><br />
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gen, eben aus dem Krieg zurückgekehrten Journalisten Rudolf<br />
Augstein als Mitarbeiter. Am 16. November 1946 erscheint die<br />
erste Ausgabe unter dem Titel Diese Woche mit einer Startaufl age<br />
von 15 000 Exemplaren. Das Blatt verärgert schnell sämtliche vier<br />
Besatzungsmächte, die Offi ziere gehen in De ckung und ziehen<br />
sich aus der presserechtlichen Verantwortung zurück. Augstein<br />
darf das Projekt fortsetzen, aber nur unter einer Bedingung: »Ein<br />
neuer Titel bis morgen früh!«, berichtet er später. »Mir fi el nichts<br />
ein. Ich fragte meinen Vater, was besser klinge, ›Der Spiegel‹ oder<br />
›Das Echo‹. – Er sagte ›Der Spiegel‹.« Damit war es entschieden.<br />
Der erste Spiegel erscheint am 4. Januar 1947 in Hannover; erst<br />
1952 werden Redaktion und Verlagssitz nach Hamburg verlegt.<br />
Dort ist auch der Heinrich Bauer Verlag zu Hause, ein 1875<br />
gegründetes Familienunternehmen, das mit der Funk-Wacht eine<br />
Programmzeitschrift für die Abende am Volksempfänger herausgab<br />
und auch in den ersten Kriegsjahren noch ganz gut zurechtkam,<br />
bis das Druck- und Verlagshaus von Bomben schwer getroffen<br />
wurde. 1946 startet der Verlag mit fünfzehn Mitarbeitern<br />
und dem aus Schlesien stammenden Bilanzbuchhalter Siegfried<br />
Moenig als Geschäftsführer. Der Mann wird noch von sich reden<br />
machen. Vorerst publiziert Bauer Bestseller wie Lohnsteuertabellen<br />
oder das Steuer- und Zollblatt. Der Riese schläft noch.<br />
Anders der Hamburger Verleger Hinrich Springer. Er hat schon<br />
1928 seinen damals 16-jährigen Sohn Axel ins Geschäft geholt.<br />
Nun gehen Vater und Sohn gleich mit zwei Zeitschriftentiteln<br />
an den Start: der Programmzeitschrift Hörzu und den Norddeutschen<br />
Heften, zunächst herausgegeben von Axel Eggebrecht und<br />
Peter von Zahn im Auftrag des Nordwestdeutschen Rundfunks.<br />
Ab Januar 1948 laufen die Hefte bei Springer unter dem Namen<br />
Kristall. Beide Gründungen sind vom Start weg erfolgreich.<br />
Jetzt oder nie! Kurt <strong>Ganske</strong> betritt Neuland. Er übernimmt<br />
den 1948 in Hannover gegründeten Zeitschriften-Verlag Stimme<br />
der Frau, der 1949 nach Hamburg übersiedelt und von nun an<br />
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Jahreszeiten Verlag heißt. Hier erscheint eine neue Zeitschrift, von<br />
der er sich viel verspricht: Film und Frau. Aus heutiger Perspektive<br />
ein kühner Schritt. Die Titelseite ziert ab 1950 ein Wappen aus<br />
Gold, das an das Etikett von Dom Perignon erinnert; nur handelt<br />
es sich nicht um Champagner, sondern um das Logo der Grande<br />
Dame unter den Frauenzeitschriften: Film und Frau ist eine Diva,<br />
elegant und kühl, schwarz-weiß im kontrastreichen Kupfertiefdruck<br />
erst bei Broschek in der Hamburger Innenstadt, später bei<br />
Richard Gruner in Itzehoe. Es lässt sich nur erahnen, mit welchen<br />
Finessen die Techniker in Itzehoe das Gold der Titelseite<br />
zum Glänzen bringen. Die Leimschicht unter dem Glanz ist ein<br />
Thema, das der Drucker Richard Gruner und Kurt <strong>Ganske</strong> wie<br />
Connaisseure der schwarzen Kunst diskutieren.<br />
Film und Frau wird das einzige Magazin der Nachkriegszeit, das<br />
puren Glamour ausstrahlt. »Wir zeigen den Frauen, wie Nachthemden<br />
aussehen, die sie sich noch nicht leisten können«, sagt<br />
Chefredakteur Curt Waldenburger, genannt Thomas, der gemeinsam<br />
mit seiner Frau Helga, genannt Puttchen, das Blatt als<br />
Traumwelt inszeniert. Curt Waldenburger ist nicht nur ein Poet,<br />
sondern auch Schöngeist und Kunstsammler mit einer Vorliebe<br />
für Heckel, Hofer und Nolde. Immer wieder schmuggelt er ein<br />
besonders schönes Gemälde in den Hintergrund der Modefotos.<br />
Puttchen taucht zunächst als Helga Pankoke im Impressum auf.<br />
Sie ist zuständig für die Mode, das Layout, entscheidet über das<br />
Erscheinungsbild der Zeitschrift. Den Titel der Erstausgabe ziert<br />
Ufa-Star Irene von Meyendorff. Das Heft kostet 60 Pfennig und<br />
ist 24 Seiten dick. Es erscheint alle vierzehn Tage.<br />
Thomas und Puttchen residieren an der Warburgstraße Nummer<br />
22 in Hamburg-Rotherbaum. Wer zu ihnen will, muss im<br />
Flur über die wartenden Patienten einer Kassenarztpraxis steigen.<br />
Eine Treppe mit Plüschgeländer führt hinauf in den ersten<br />
Stock, wo hinter den Räumen eines halbstaatlichen Jagdverbandes<br />
eine unscheinbare Tür ins Allerheiligste führt. Neben der<br />
116<br />
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Neubeginn im Chaos: das zerbombte Hannover<br />
Tür ist ein roh gezimmerter Briefkasten befestigt, an dem ein<br />
Zettel hängt: »Film und Frau, Sprechzeiten für die Redaktion nur<br />
dienstags und freitags 13 bis 15 <strong>Uhr</strong>.« Niemand richtet sich danach.<br />
Fotografen und Vertreter der Bildagenturen, Schnürsenkelverkäufer,<br />
Eierhändler, Messerschleifer und Autoren fi nden<br />
Einlass. Ein qualmender Kanonenofen, daneben einige Klafter<br />
Holz, zwei Schreibtische und eine große Glastür zum Bal -<br />
kon – das ist die Redaktion von Film und Frau. Das Fotoatelier<br />
soll etwas größer gewesen sein. Aber Glamour ist keine Frage von<br />
Quadratmetern. Das Blatt geht auf Distanz zu anderen Frauen-<br />
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117
zeitschriften, zur realen Welt der Ruinen und Trümmerfrauen.<br />
Es zeigt Damen von Welt im Ausfallschritt, die junge Dame wird<br />
noch von der Mutter und nach der Mutter eingekleidet; noch<br />
sind die Teenager nicht an der Macht. Filmstars posieren als Fotomodelle,<br />
in Szene gesetzt als begehrenswerte Skulpturen in teuren<br />
Pelzen und Kleidern, die eher die elegante Linie als weibliche<br />
Formen betonen. Die Stars kommen gern zum Fototermin – und<br />
gehen mit dem Film-und-Frau-Modellkleid als Honorar.<br />
Ein Zeitzeuge erzählt – Franz Christian Gundlach, bekannter<br />
als F. C. Gundlach, Jahrgang 1926, ist Sammler, Stifter, Professor<br />
an der Hochschule der Künste in Berlin und Gründungsdirektor<br />
einer 2003 geschaffenen Hamburger Institution: Er leitet das<br />
»Internationale Haus der Photographie« in den Deichtorhallen.<br />
Vorsichtig blättert er in den gediegenen Sammelbänden von Film<br />
und Frau, die er in seinem Archiv in der Parkallee in Hamburg<br />
Rotherbaum verwahrt, Inkunabeln der Zeitschriftengeschichte<br />
von Format (Groß-Quart 26,4 ✕ 36,3 Zentimeter!). Was als Massenware<br />
aus der Traumfabrik für 60 Pfennig zu haben war, ist zum<br />
Wertgegenstand geworden, Alltagskultur in Sepiaton und unverwüstlichem<br />
Goldglanz für Schatzsucher. Das Film-und-Frau-Prinzip<br />
ist denkbar einfach: Die Titelseite ist immer für eine schöne Frau<br />
reserviert, der Rücktitel immer für einen schönen Mann. Fotos<br />
der Filmgesellschaften kosten nichts. Der Etat für ein ganzes<br />
Heft belief sich auf 5000 Mark, es wurde also mit sehr sparsamen<br />
Mitteln gearbeitet. »Das setzte enorme Kreativität frei. In der Beschränkung<br />
kann sich Qualität entfalten«, weiß F. C. Gundlach<br />
aus Erfahrung.<br />
Aus Krieg und französischer Gefangenschaft stolpert er 1947 in<br />
seinen Beruf, wird Fotograf und dann Modefotograf und prägt<br />
wie kein anderer die frühen Jahre von Film und Frau. Er ist oft<br />
in Paris, bringt die begehrten Homestorys mit, fotografi ert Jean<br />
Marais, Jean Cocteau und Max Ophüls, Simone Signoret und Yves<br />
Montand. Der Reporter arbeitet sich in neues Terrain vor: Mode-<br />
118<br />
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fotografi e. Ruth Leuwerik (»Ein Herz spielt falsch«) steht drei<br />
Tage für Modeaufnahmen zur Verfügung. »Sie hatte keine<br />
Ahnung von Modeaufnahmen, ich auch nicht. Ich wusste nicht,<br />
welches Licht sie brauchte. Erst haben wir im Treppenhaus improvisiert,<br />
dann schritt sie im Ozelot durch den verschneiten Hirschpark<br />
in Blankenese.« Und Curt Waldenburger schreibt dazu:<br />
Mit müder Abschiedsgeste legte der<br />
letzte Schnee Dämmerung über Himmel<br />
und Park. Das Lied der Amsel,<br />
am Morgen schon wach, verstummte wieder.<br />
Nie im Jahr ist es so still;<br />
man hört seinen eigenen Hauch.<br />
Ach, auch der Winter war schön,<br />
denkt das Mädchen – ferne Feste verhallen,<br />
Abende am Kamin, die Oper, eine Schlittenpartie …<br />
Doch die Allee entlang weht schon<br />
ein Duft von Frühling und Wünschen und Weite …<br />
Posen und Poesie für 60 Pfennig. Sprachgewandt tänzelt Waldenburger<br />
ins Ungefähre: Heft 4 im fünften Jahrgang zeigt als Titelmädchen<br />
eine 18-jährige Pariserin. »Wer das Mädchen auf dem Titel<br />
ist? Wir wissen es nicht, doch kommen Sie nach Paris, vielleicht<br />
schauen Sie sich nach ihr um?« Vielleicht weiß er es nicht besser,<br />
kann in der Eile der Produktion den Namen nicht recherchieren.<br />
Das Mädchen lächelt süß, der Name tut nichts zur Sache. Wer<br />
kennt 1953 Brigitte Bardot?<br />
Das Blatt macht Aufl age. Zweimal im Jahr kommt ein Mode-Sonderheft<br />
heraus. »Da hatte ich manchmal vierzig Seiten als Strecke«,<br />
berichtet Gundlach. Er fotografi erte nachts in Schaufenstern, in<br />
Theatern, auf Kreuzfahrtschiffen, die kurz anlegten, und vor allem<br />
in Berlin. »Bis die Mauer kam, war es die Stadt der Mode und<br />
des Films. Immer suchte ich Hintergründe. Auf der Avus oder im<br />
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Flughafen, Trümmer waren verboten. Meine Ateliers waren das<br />
Schiller-Theater, leere Bühnen, Foyers. Ich fotografi erte die Nächte<br />
durch, denn tagsüber kam ich nicht an die Klamotten. Eine<br />
einzige Lampe macht die Modulation.« An Mannequins fehlt es<br />
nie, manchmal sind es auch Vorkriegsmodelle. Ufa-Stars posieren<br />
neben Hollywood-Schönheiten: Henny Porten und Barbara Rütting,<br />
Johanna von Koczian und Marianne Koch, Horst Buchholz<br />
und Romy Schneider – das Traumpaar aus Helmut Käutners Film<br />
»Monpti« – oder Marion Michael – »Liane – das Mädchen aus dem<br />
Urwald«. Kaum ein Gesicht, das Gundlach nicht im Sucher hatte.<br />
1952 erscheint die erste Nackte: Hedy Lamarr im Swimming-Pool.<br />
Böse Briefe im folgenden Heft.<br />
Das Blatt setzt neue Trends, Couture kommt auf, Modeschöpfer<br />
wie Heinz Oestergaard bestimmen die Linie, die ersten Models<br />
fl iegen ein. Gundlach ist glücklich. »Models sind einfach besser.<br />
Schauspielerinnen spielen immer eine Rolle. Romy Schneider war<br />
am extremsten oder Caterina Valente, die Tänzerin. Sie war ständig<br />
in Bewegung, und ich musste sie immer nur bremsen. Eine<br />
Ausnahme war Lil Dagover, eine Grande Dame, ihre Posen waren<br />
perfekt. Models spielen nicht, die Pose ist ihre eigene Körpersprache.<br />
Sie spüren: Entscheidend ist das Still.«<br />
Models kommen nicht mit der S-Bahn, sie fl iegen ein wie das<br />
schottische Fotomodell Fiona Campbell-Walter, eine vollkommene<br />
Schönheit. »Ich fotografi erte sie in einem traumhaften Pelz<br />
von Berger. Sie gestand mir, dass sie zu einem kleinen Abendessen<br />
eingeladen sei und nichts anzuziehen habe. Ich ließ sie etwas<br />
Passendes aussuchen, den Pelz durfte sie auch – leihweise natürlich<br />
– mitnehmen. Später erfuhr ich dann, dass das Abendessen<br />
bei den Bismarcks stattgefunden hat. Dort hat sie auch ihren späteren<br />
Mann kennen gelernt, Heinrich Baron von Thyssen-Bornemisza<br />
Kaszon.«<br />
Film und Frau wird die Instanz für Luxus, Eleganz und Wohnkultur<br />
in einer Zeit, die davon nur träumen kann. Und diese<br />
120<br />
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Unbekannte Schöne: Brigitte Bardot, 1953<br />
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Träume sind es, die ihren Erfolg erklären. Film und Frau macht<br />
Aufl age, wird für Kurt <strong>Ganske</strong> zum Laufsteg ins Wirtschaftswunder.<br />
Einen ersten Coup hatte er seinerzeit bei einem Abendessen<br />
gelandet. Das Treffen auf dem Rittergut Polle an der Weser hatte<br />
fast familiären Charakter. Man tafelte bei der verschwägerten<br />
Familie Haselhorst, eingeladen hatte Gerda <strong>Ganske</strong>s Schwester.<br />
Hinrich Wilhelm Kopf war gekommen, der sozialdemokratische<br />
Ministerpräsident von Niedersachsen, ein populärer Landesvater<br />
der Nachkriegsjahre, wegen seiner guten Beziehungen zum Adel<br />
auch »der rote Welfe« genannt. Er hatte seine Staatssekretärin<br />
Theanolte Bähnisch mitgebracht, eine ebenso engagierte wie intelligente<br />
Politikerin, der (zeitweise) Niedersachsens Polizei unterstellt<br />
war. Das hinderte sie aber nicht, mit einigen engagierten<br />
Mitstreiterinnen unter kläglichen Bedingungen in einer Baracke<br />
eine emanzipatorische Zeitschrift herauszubringen: Die Stimme<br />
der Frau. Das engagierte, schmale Monatsblatt kann durchaus als<br />
Urmutter oder zumindest Ahnfrau von Emma gelten, wuchs der<br />
Staatssekretärin aber über den Kopf. Sie klagte Kurt <strong>Ganske</strong> ihr<br />
Leid, und der half ihr gern aus der Patsche: »Warum wollen Sie<br />
sich noch länger damit herumärgern? Geben Sie das Blatt doch<br />
an einen richtigen Verlag. Ich nehme es gern.« Zum Dessert war<br />
der Deal perfekt.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> hatte Die Stimme der Frau gekauft und war nun also<br />
Besitzer von zwei Frauenzeitschriften, die ab 1949 gemeinsam im<br />
Hamburger Jahreszeiten Verlag erscheinen. »Der Name ›Jahreszeiten‹<br />
war eine Idee von Annchen«, erzählt Thomas <strong>Ganske</strong>. Seine<br />
Großmutter fand, das passe doch ganz gut. So kam der Verlag zu<br />
seinem Namen, der später haus- und branchenintern das Kürzel<br />
»Jalag« erhielt. Aus Hoffmann und Campe wurde »HoCa«, beides<br />
Telexabkürzungen, die sich eingebürgert haben.<br />
Namen bleiben, Namen schwinden, Namen verwandeln sich<br />
mit der Zeit, durch Schönheitsoperationen, Konzeptänderungen,<br />
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Launen des Marktes. Kurt <strong>Ganske</strong>s Frauenzeitschriften gehen mit<br />
der Zeit. Aus Film und Frau wird 1966 die Moderne Frau, nun mit<br />
farbigen Titelblättern. Das goldene Wappen verschwindet. Später<br />
wird daraus Petra. Aus Die Stimme der Frau wird ziemlich bald<br />
Für Sie.<br />
Das Rennen beginnt, die Weichen für den Wettbewerb sind<br />
gestellt, die Lizenzen erteilt. Von Kriegsende bis September 1949<br />
wurden in Deutschland zwanzig Frauenzeitschriften genehmigt.<br />
Die meisten von ihnen erscheinen nur alle vierzehn Tage – nicht<br />
aus verlegerischer Strategie, sondern aus Papierknappheit. Es war<br />
einfach nicht genug da, um wöchentlich zu drucken. 1950 sind<br />
es bereits achtunddreißig Titel, die um weibliche Leser buhlen.<br />
Marktführerin unter den vierzehntäglichen Frauenzeitschriften<br />
wird bis weit in die sechziger Jahre hinein Constanze, die ebenfalls<br />
1948 an den Start geht. Sie erscheint im Hamburger Constanze<br />
Verlag. Lizenzträger: Axel Springer, der sich mit dem Hamburger<br />
Verleger John Jahr die Geschäftsführung teilt. Beide sind zu fünfzig<br />
Prozent am Constanze Verlag beteiligt. Das Geschäft läuft hervorragend.<br />
Die Druckaufl agen im April 1950: Constanze 416 947,<br />
Film und Frau 157 620, Die Stimme der Frau 100 3<strong>54</strong> Exemplare.<br />
»Sozialpolitische Themen kamen nicht an«, bekennt Hans<br />
Huffzky, der damalige Chefredakteur der Constanze, 1969 rückblickend<br />
in einem Interview für die Zeitschrift Konkret: »Das heißt:<br />
Nach 1948 war die Möglichkeit noch da, die unterbelichtete Spezies<br />
Frau aus ihrer Isolierung und narzisstischen Begrenztheit<br />
herauszuholen. Aber die wurde dann gleich wieder zugeschüttet<br />
mit Lidschatten und dänischen Gänsen.«<br />
»Alle vor 1948 gegründeten Frauenzeitschriften in Deutschland<br />
begannen mit einem hohen moralischen und politischen<br />
Anspruch«, schreibt die Kommunikationswissenschaftlerin Sylvia<br />
Lott-Almstadt in ihrer Untersuchung »Brigitte 1886–1986 – Die<br />
ersten hundert Jahre«. »Die ersten Frauenblätter nach dem Krieg<br />
bezeichneten die Gleichberechtigung und vor allem die Mitverant-<br />
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wortung der Frauen am politischen Geschehen als ihr wichtigstes<br />
Ziel. Kern vieler Beiträge war die vereinfachte Erkenntnis: Seht,<br />
was dabei herauskommt, wenn Männer allein Politik machen.«<br />
Die emanzipatorischen Tendenzen legen sich schnell, den kritischen<br />
Tönen fehlt die Resonanz. Die Stimme der Frau äußert sich<br />
zu Fragen der Kindererziehung und der Gesundheitspfl ege. Die<br />
Zeit ist reif für Schnittmuster, Strickanleitungen und Kochrezepte.<br />
Es geht aufwärts. Nun kann es kommen, das Wirtschaftswunder.<br />
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DIE FÜNFZIGER JAHRE<br />
Hamburg Harvestehude – Siegfried Lenz – Schöne<br />
Aussicht – Kindheitserinnerungen – Halte Schritt –<br />
Der Rheinische Merkur – Johann Joseph von Görres –<br />
Eine Reise nach Spanien – Marx und der Heilige Geist<br />
Die Alster ist ein schmales Flüsschen von bescheidener Länge,<br />
doch unmittelbar vor der Hamburger Innenstadt staut sie sich<br />
zu einem See, der mit Wiesen und Parks am Rande zu einer Erholungslandschaft<br />
ausufert, deren verschwenderisch ausschwingende<br />
Grünfl ächen in teurer Großstadtlage zu den elegantesten<br />
Auswüchsen hanseatischer Spendierlaune zählen. Die Alster teilt<br />
die Stadt in zwei Hälften, wobei die bessere Hälfte im Westen, die<br />
weniger reputierliche im Osten zu fi nden ist. Wer dort wohnt,<br />
lebt aus westlicher Sicht in »Übersee«, was die Bewohner des<br />
Stadtteils Uhlenhorst als ungerecht empfi nden, denn sie haben<br />
ebenso wie der Herrschaften am Westufer sehr schöne Villen mit<br />
Seeblick.<br />
Vor dem Ersten Weltkrieg wohnte jeder zweite der über siebenhundert<br />
Hamburger Millionäre in den Stadtteilen Harvestehude<br />
und Rotherbaum, also von der Quelle aus gesehen rechts der<br />
Alster. Am Harvestehuder Weg, der unter alten Bäumen am Alsterufer<br />
entlangführt, reihen sich herrliche Gründerzeitvillen in<br />
gebührender Distanz zur Straße. Mit dem sicheren Gespür für<br />
Eroberungen in repräsentativer Lage setzten sich die Nationalsozialisten<br />
in dem noblen Viertel fest. Merkwürdigerweise blieb das<br />
Revier auch in den schrecklichsten Bombennächten weitgehend<br />
verschont. Nach der Kapitulation nahmen Engländer von den<br />
Villen Besitz. Zum Ende der Besatzungszeit wurden sie geräumt;<br />
einige wurden an ihre ehemaligen Besitzer oder deren Erben zurückgegeben,<br />
andere verkauft.<br />
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Harvestehuder Weg 41<br />
Weil das Verlagsgebäude an der Alster ausgebombt war, wurde<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> von der Stadt eine Villa zugewiesen. Sie liegt auf<br />
einem Parkgelände am Harvestehuder Weg, und er hätte auf der<br />
Suche nach einem geeigneten Sitz für seinen Verlag kaum ein<br />
schöneres Grundstück fi nden können. Die Villa am Harvestehuder<br />
Weg trägt die Nummer 41; nach und nach kauft er die Villen<br />
mit den Nummern <strong>40</strong>, 43 und 45 sowie ein Haus im hinteren<br />
Teil des Geländes, das an den Alsterkamp stößt. Das weiße Haus<br />
Nr. <strong>40</strong> nennt er wegen der venezianisch anmutenden Spielart der<br />
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Harvestehuder Weg 43<br />
Architektur »meinen Dogenpalast«. Ein nobler Arbeitsplatz für<br />
die Redaktion von Film und Frau, die bis dahin in der Warburgstraße<br />
ansässig war; später zieht die Merian-Redaktion dort ein.<br />
Das Haus Nummer 41, vorübergehend Sitz des Reichs- und Propagandaamtes,<br />
wird Verlagshaus und Privatwohnsitz zugleich –<br />
ein Schmuckstück hanseatischer Villenarchitektur, entworfen<br />
von Martin Haller, dem wohl bedeutendsten Privatarchitekten<br />
des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Hamburg. Haus Nummer<br />
43 gibt sich dagegen geradezu dezent, Klassizismus in Weiß;<br />
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127
Nummer 45 ist ein Rotklinkerbau mit klaren Linien, lupenreines<br />
Bauhaus, erbaut von dem Industrie-Architekten Emil Fahrenkamp<br />
(1885–1966), lange Jahre Sitz des Hoffmann und Campe<br />
Verlages.<br />
In Haus Nr. 41 richtet sich der Verleger das Balkonzimmer im<br />
ersten Stock als Arbeitsplatz ein. Vor dem Haus schimmert bald<br />
in würdiger Patina die einzige authentische Hamburger Erinnerung<br />
an Heinrich Heine, die das Wüten des Dritten Reiches<br />
überdauert hat: eine Plakette mit dem Kopf des Dichters – eine<br />
Rückkehr. Das von Caesar Heinemann geschaffene Profi l des<br />
Dichters wurde 1898 am damaligen Verlagshaus Hoffmann und<br />
Campe enthüllt. 1939 war das Denkmal abmontiert und versteckt<br />
worden. Nach dem Krieg erhielt es vorübergehend Asyl im Eingang<br />
des Embden’schen Hauses an der Esplanade, einst Wohnsitz<br />
von Heines Schwester. Jetzt sorgt Kurt <strong>Ganske</strong> dafür, dass die<br />
Medaille einen Ehrenplatz am Sitz des Verlages bekommt, in<br />
dem nun wieder die Bücher Heinrich Heines erscheinen dürfen.<br />
Rudolf Soelter, erster Verlagsleiter fürs Programm, gewinnt<br />
einen Autor, dessen Anregungen und Empfehlungen zur Schwangerschaftsgymnastik<br />
bald hunderttausende von Müttern befolgen:<br />
Grantly Dick-Read mit seinem Buch »Mutterwerden ohne<br />
Schmerz«. Dinah Nelken schreibt »Ich an Dich« und Percy Ernst<br />
Schramm »Hamburg, Deutschland und die Welt«. Paul Herrmann<br />
veröffentlicht eins der ersten erfolgreichen Sachbücher<br />
nach dem Krieg: »Sieben vorbei und acht verweht. Das Abenteuer<br />
der frühen Entdeckungen«.<br />
Im Frühjahr 1951 erscheint bei Hoffmann und Campe der<br />
Roman eines jungen Autors, der später in der Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung von seinen ersten Schritten erzählt: »Wie ich begann«,<br />
nennt Siegfried Lenz seine leicht ironisch getönte Refl exion. »Mit<br />
dreiundzwanzig hielt ich es für nötig, mein erstes Buch zu beginnen,<br />
und zwar im Vertrauen darauf, daß die Erfahrungen, die<br />
ich im Krieg und Nachkrieg gemacht hatte, exemplarisch und<br />
128<br />
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deshalb mitteilenswert waren.« Er gewährt einen vorsichtigen<br />
Blick ins Künstlerdasein 1949: »Meine Frau und ich arbeiten im<br />
Feuilleton einer englischen Besatzungszeitung; wir hatten ein<br />
warmes Zimmer mit Kochgelegenheit; wir besaßen aus dem Nachlaß<br />
der Kriegsmarine eine Schreibmaschine, die alle tippenden<br />
Stabsobergefreiten erduldet hatte und somit dem härtesten Anschlag<br />
gewachsen war.« Die Arbeit in der Redak tion beginnt am<br />
Nachmittag, also ist der Vormittag frei.<br />
Das Buch, das er schreibt, heißt »Es waren Habichte in der<br />
Luft«. Die Figur Stenkas, des Volksschullehrers auf der Flucht vor<br />
seinen Verfolgern, muss Kurt <strong>Ganske</strong> berührt haben, denn dieses<br />
Erstlingswerk eines jungen Kriegsteilnehmers erzählt eine Geschichte,<br />
die seine eigene hätte sein können. »Sosehr der Fliehende<br />
auch danach verlangte«, schreibt Siegfried Lenz rückblickend,<br />
»die Welt bot weder Schutz noch Verstecke. Alles, was die Erfahrung<br />
der Flucht lehrt und hervorruft: Angst, List, Tarnung und<br />
durch Not geschärfte Instinkte, das Deuten der Zeichen ebenso<br />
wie siebenfache Vorsicht – alles, was Flucht mit sich bringt, hatte<br />
ich, mitunter widerwillig, an mir selbst erlebt, und davon wollte<br />
ich erzählen.« Er beschränkt sich nicht darauf, seine Erlebnisse<br />
wiederzugeben. »Ich merkte früh, daß Erfahrungen nicht ausreichen,<br />
wenn sie nicht durch Erfi ndungen beglaubigt werden.« Zu<br />
den Erfi ndungen setzt er, ein erstaunlich frühreifer Komponist,<br />
bedeutungsschwere Signale und düstere Leitmotive. »Bach, See,<br />
Schilf, Kiefernwald: Was der Verfolgte auch streift und passiert,<br />
alles hält ein symbolisches Echo auf seine Angst bereit.« Der Roman<br />
erscheint in Fortsetzungen in der Welt, und das Echo bleibt<br />
nicht aus. »Der einheimische Verlag Hoffmann und Campe meldete<br />
sich zuerst, bot mir einen Vertrag an, den ich sehr schnell<br />
unterschrieb.« Die Startaufl age beträgt dreitausend Exemplare,<br />
der Preis 9,80 Mark. Zum Erscheinen des Buches kommt der Vertriebschef<br />
persönlich in die Künstlerklause. »Natürlich nahm ich<br />
das erste Exemplar stehend in Empfang, mich störten weder das<br />
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miese Papier noch der amateurhafte Schutzumschlag.« Selbstverständlich<br />
störte es ihn, sonst würde er nicht noch nach Jahrzehnten<br />
darüber reden. Interessanter aber ist, was der Schriftsteller,<br />
der das erste Honorar für eine Afrikareise auf einem Bananendampfer<br />
verwendet hatte, über die erste Begegnung mit seinem<br />
Verleger berichtet.<br />
»Nach meiner Rückkehr lud mich mein Verleger, sozusagen<br />
alte Schule, in den Verlag ein, und umständlich, in weit schwingenden<br />
Gesprächskreisen, steuerte er bei dünnem Tee auf das<br />
Geständnis zu, das er direkt nicht zu äußern wagte: Es sei, wenn<br />
man alles bedenke, wenn man vergleiche, auch die Schwierigkeiten<br />
in Betracht ziehe, wenn man das Wagnis nicht zu gering<br />
veranschlage, die Namenlosigkeit berücksichtige, also das Anfängertum,<br />
und wenn man den Buchmarkt, die soziologische<br />
Umschichtung, nicht zu vergessen Gutenberg persönlich, wobei<br />
Hamburg als Stadt des Kaufmanns gewiss eine Rolle spiele, wenn<br />
er also alles unter dem Strich zusammenziehe, dann müsse er<br />
mir gestehen, dass er zufrieden sei. Dreizehnhundert Exemplare<br />
waren verkauft. Vorsichtig legte er einen Umschlag auf den Tisch:<br />
die Kritiken. ›Nur damit Sie erfahren, wie man Sie zur Kenntnis<br />
genommen hat.‹«<br />
Das Verhältnis zwischen Autor und Verleger vertieft sich mit<br />
den Jahren. Doch wie hat Siegfried Lenz seinen Verleger erlebt?<br />
Ein Hausbesuch im Sommersitz Tetenhusen gibt darüber Auskunft.<br />
Ein norddeutsches Abseits, fern aller Ferienbrandung.<br />
Kurvenfahrt durch sommerblasse Felder, leichte Schwingung bewaldeter<br />
Kuppen unter dominierendem Blau, Schäfchenwolken,<br />
vom Seewind getrieben. Ein unscheinbares Haus im Schatten hoher<br />
Bäume. Ein weißer Plastikstuhl, herausgestellt als Signal für<br />
den fremden Gast: Hier ist es. Eine Frau öffnet die Tür, zierlich,<br />
zerbrechlich, der Händedruck damenhaft zart, aber warm. Ein<br />
aufmerksamer, kluger Blick. Sie führt mich zu ihrem Mann.<br />
Seit siebenundfünfzig Jahren sind sie verheiratet – Siegfried<br />
130<br />
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Redakteur und Jungautor:<br />
Siegfried Lenz in<br />
den fünfziger Jahren<br />
Lenz, 79 Jahre alt, der Schriftsteller aus den Masuren, und die<br />
Hamburgerin Lieselotte, genannt Lilo. Sie ist acht Jahre älter,<br />
Jahrgang 1918. Kennen gelernt haben sie sich bei der Welt, der<br />
Tageszeitung, für die beide in frühen Jahren geschrieben haben.<br />
Sie lebten lange auf der dänischen Insel Alsen und bezogen dann<br />
Anfang der sechziger Jahre ein Haus im Hamburger Stadtteil<br />
Othmarschen. Aber hier draußen, in ihrem Refugium in Schleswig-Holstein,<br />
sind sie am liebsten. Ein Garten, ein Wäldchen mit<br />
einem Teich, in dem Spiegelkarpfen leben, die auf ihren Zuruf<br />
kommen, sich füttern und berühren lassen, ein Vertrauensverhältnis.<br />
»Ich bin das älteste Möbelstück im Verlag Hoffmann und<br />
Campe«, sagt der Autor mit einem Lächeln. Über Kurt <strong>Ganske</strong><br />
äußert er sich gern.<br />
»Ich fand ihn großartig. Er hatte eine bedachtsame, tiefe Stimme.<br />
Er strahlte Gelassenheit und Ruhe aus. Ich schätzte seine<br />
Stille, seine Verschwiegenheit, die zögerliche Rede. Er war mir<br />
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gegenüber ganz offen, hat von seinen Plänen erzählt, von seinen<br />
Hoffnungen. Wie er das tat, hat mich sehr berührt. Ich empfand<br />
das Verhältnis als fast väterlich. Welche Motive dahinter standen,<br />
welche erfahrenen Gründe, vermag ich nicht zu sagen. Es war<br />
eine Art von Zuneigung. So habe ich es immer wieder gespürt.<br />
Und dass der alte Herr es sich nicht nehmen ließ, nach Düsseldorf<br />
zu reisen, als ich dort den Kunstpreis von Nordrhein-Westfalen verliehen<br />
bekam, hat mich mehr als gefreut. Er gab mir ein Gefühl<br />
der Zugehörigkeit.«<br />
Der Verleger bleibt, bei aller Sympathie, auf Distanz. »Er las<br />
alle Bücher, da bin ich sicher. Ich erinnere mich, wie der Verlagsleiter<br />
Dr. Stark mich einmal mit den Worten verabschiedete: ›Ich<br />
möchte nicht versäumen, einen schönen Gruß vom ersten Stock<br />
auszurichten‹, und dann einige sehr freundliche Worte K.G.s<br />
über das ›Feuerschiff‹ wiedergab.« »Der erste Stock« war eine der<br />
Umschreibungen für den Verleger. Heute, da der Sohn im selben<br />
Büro regiert, wird von »der Villa« gesprochen.<br />
Offenbar hat die scheue Zurückhaltung des Verlegers den<br />
Autoren nie gestört. Im Gegenteil. »Er drängelte nie. Er hat nie<br />
gefragt, welches Thema ein Buch haben würde. Nie kam diese<br />
Frage: ›Und wann können wir damit rechnen? – Wenn ein Buch<br />
fertig war, sprachen wir darüber. Er hatte Fragen; ob er etwas so<br />
oder so auslegen könne. Ich sagte ihm, das Votum des Schreibers<br />
sei nicht als das letzte Wort anzusehen, sondern das entstünde<br />
immer wieder neu und vielleicht auch anders gewichtet beim<br />
Leser.«<br />
Einmal, in dem 1991 für Merian verfassten Essay »Kabinett der<br />
Konterbande«, beschreibt er einen Verleger als Mann mit »üppigen<br />
Rotsponwangen, fl eischiger Austernnase und legendärem geschäftlichen<br />
Talent. Er hatte einen skeptischen Mund und einen<br />
prallen, schwarzen Anzug, sah sonderbar halslos aus und hatte<br />
schwarze schlaue Augen.« Es war ein Porträt des Verlegers Julius<br />
Campe. Kann es sein, dass darin auch etwas von Kurt <strong>Ganske</strong> mit-<br />
132<br />
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schwingt? Ein klares Nein. »Das habe ich vom Bild abgenommen.«<br />
Es gibt ein, zugegeben, etwas austernnasiges Bild von Heinrich<br />
Heines Verleger, aber eindrucksvoll ist es schon, wie der Schriftsteller<br />
Siegfried Lenz ihm Leben einhaucht.<br />
Und der ewige Streit um Geld, wie Julius Campe und Heinrich<br />
Heine ihn ausfochten, gab es den nie? Ein Blick von ehrlichem<br />
Erstaunen. Dann holt er aus: »Wir sind nie reich gewesen. Ich<br />
denke in Dankbarkeit an ihn. Wie er am Anfang sagte: ›Für den<br />
Fall, dass es mal schwierig werden sollte, ein Wort genügt …‹ Er<br />
hätte geholfen, da bin ich ganz sicher. Nun hat es sich ja gefügt,<br />
dass sich das eine oder andere Buch ganz gut verkauft hat. Wir haben<br />
die Hilfe nie gebraucht.« – Eine Pause, die er nutzt, um sich<br />
mit seiner Pfeife zu beschäftigen. »Ich habe Sparsamkeit nicht<br />
gespürt. Er war von erwiesener und bewiesener Großherzigkeit.<br />
Einmal hat er mir ein Nolde-Bild aus England mitgebracht, das<br />
er ersteigert hatte.<br />
Wir haben zusammen viel Rotwein getrunken. Er hat dafür gesorgt,<br />
dass es immer sehr guter Rotwein war. Er wollte mich zur<br />
Jagd mitnehmen. Ich habe es immer abgelehnt. Auch auf den<br />
Ansitz wollte ich nicht.« Aber damit will er nichts gegen Jäger sagen,<br />
nichts gegen die Jagd. »Wir haben zusammen in Hohenhaus<br />
gefi scht, ich habe einen Karpfen von zehn Pfund gefangen und<br />
einen Hecht.« – »Ein Hechtlein«, korrigiert Lilo.<br />
Fast jeder Angler ist ein Geschichtenerzähler. Unter deutschen<br />
Schriftstellern sind leider nur wenige Angler zu fi nden. Für den<br />
Hoffmann und Campe Verlag ist Siegfried Lenz ein dicker Fisch,<br />
ein Glücksfall. »So zärtlich war Suleyken«, heißt die humorvolle<br />
Sammlung masurischer Geschichten, die er 1955 veröffentlicht,<br />
ein Riesenerfolg und ein Longseller, der später als Taschenbuch<br />
bei Fischer über eine Million Mal verkauft werden wird. »Warum<br />
es so ein Erfolg wurde, ist nie analysiert worden«, sinniert ein alter<br />
Freund des Dichters. »Ich glaube, es lag auch an dem Titel: Die<br />
Käufer haben Suleyken für ein Mädchen gehalten.«<br />
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Ehe Siegfried Lenz zur Lokomotive wird, die den ganzen Verlag<br />
zieht, landet das Haus eine ganze Reihe von Erfolgen. Hatten<br />
die ersten Verlagsleiter vor allem auf Traditionspfl ege und Klassiker-Editionen<br />
gesetzt, beweist Albrecht Bürkle, Programmchef<br />
seit 1955, einen guten Blick für vielversprechende zeitgenössische<br />
Autoren. Er betreut nicht nur Siegfried Lenz, sondern auch den<br />
Maler und gelegentlichen Saxophonspieler Hans Scholz (1911 –<br />
1988) mit seinem Erstlingswerk »Am grünen Strand der Spree«,<br />
einer heiteren Sammlung Berliner Geschichten, die genau den<br />
Ton treffen, der die erschöpften Nachkriegsdeutschen berührt.<br />
Max Tau (1897 –1976), erster Friedenspreisträger des Deutschen<br />
Buchhandels, ruft zur Versöhnung der entzweiten Völker<br />
Europas auf, und Rudolf Hagelstange (1912 – 1984), der schon<br />
im Krieg Sonette schrieb, lässt nun den Prinzen Paris über seine<br />
Begegnungen mit Aphrodite und der schönen Helena plaudern.<br />
Sein »Spielball der Götter« gewinnt 1956 den vom Hoffmann<br />
und Campe Verlag ausgeschriebenen Julius-Campe-Preis, und<br />
der Verlag gewinnt einen Autor und Betreuer für das »Cabinet<br />
der Lyrik«, das viele Jahre den Namen des Hauses mit erlesenen<br />
Publikationen schmücken wird. Eine besondere Stellung nimmt<br />
Alice Ekert-Rotholz (1900 – 1995) ein, die schon in Carl von<br />
Ossietzkys Weltbühne Gedichte schrieb und ihre Leserinnen und<br />
Leser mit »Reis aus Silberschalen« oder »Wo Tränen verboten<br />
sind« an fernöstliche Schauplätze entführt.<br />
Im Hamburger Stadtteil Lemsahl, wo das Alstertal naturbelassen<br />
und von stiller Schönheit ein romantisches Schauspiel inszeniert,<br />
residiert Christa von Hantelmann in einem selbst entworfenen<br />
Haus in bevorzugter Hanglage über einer Gartenlandschaft<br />
von betörender Pracht. Die Grande Dame unter den ehemaligen<br />
Blattmachern des Hauses erzählt von den frühen Jahren.<br />
Zu Kurt <strong>Ganske</strong> hatte sie ein besonderes Verhältnis, denn sie<br />
war die Frau Albrecht Bürkles, der 1947 zu Hoffmann und Campe<br />
kam und – nachdem er die Zeitschrift Merian angeschoben hatte –<br />
134<br />
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Heine-Verleger Julius Campe um 1810<br />
Verlagsleiter bei Hoffmann und Campe wurde. Es gab wohl, außer<br />
Harriet Wegener, niemanden im Verlag, zu dem Kurt <strong>Ganske</strong> ein<br />
so freundschaftliches Vertrauensverhältnis pfl egte. Die Familien<br />
trafen sich privat.<br />
»Damals wohnten die <strong>Ganske</strong>s noch im Haus Harvestehuder<br />
Weg 41, unterm Dach juchhe, und wir lebten mit unseren zwei<br />
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kleinen Kindern nicht weit davon in der Oberstraße«, erinnert<br />
sich Christa von Hantelmann. »Wenn wir mit dem Kinderwagen<br />
spazieren gingen, rief Frau <strong>Ganske</strong> uns vom Balkon zu, wir sollten<br />
doch hereinkommen auf einen Kaffee. Die <strong>Ganske</strong>s schenkten<br />
uns unseren ersten Käfer, ein Cabrio, das sie nicht mehr brauchten.<br />
Wir saßen oft im Gespräch zusammen. Bei den Männern ging<br />
es immer um den Verlag, um Autoren.«<br />
Die Autoren schätzten, mochten, liebten Albrecht Bürkle, den<br />
Schwaben aus Stuttgart, den umfassend gebildeten, promovierten<br />
Philologen, den klugen und begeisterungsfähigen Anwalt<br />
guter Texte. 1916 geboren, war er elf Jahre jünger als der Verleger.<br />
Wegen seiner Sehschwäche war er vom Militärdienst befreit<br />
worden. Die Arbeit bei Merian faszinierte ihn. 1950 heiratete er<br />
die zwölf Jahre jüngere Christa Boese. Sie bekamen zwei Kinder.<br />
Die Mutter, von Haus aus Innenarchitektin, blieb im Beruf, als<br />
Redakteurin der Architekturhefte von Film und Frau. Durch ihren<br />
Mann lernte sie das Handwerk des Layouts. Er nahm sie am<br />
Wochenende mit in die Merian-Redaktion und ging mit ihr die<br />
Seiten durch.<br />
Aber viele Wochenenden waren es nicht. Oft musste sie auf<br />
ihren Mann verzichten, denn Kurt <strong>Ganske</strong> liebte es, sein Führungspersonal<br />
an Wochenenden um sich zu versammeln. Die<br />
Konferenzen dauerten bis in die Nacht hinein und füllten auch<br />
den Sonntag aus. »Mein Mann litt unter seiner Langsamkeit, der<br />
unglaublichen Langsamkeit im Sprechen und auch in den Entscheidungen.«<br />
Sie erinnert sich an viele Gespräche mit Autoren, die Erschütterung<br />
Max Taus, als 1956 der Aufstand in Ungarn niedergeschlagen<br />
wurde, an die Begegnungen mit dem jungen Siegfried Lenz,<br />
mit Rudolf Hagelstange und Alice Ekert-Rotholz in Hamburg<br />
und in Hohenhaus. Den Verleger erlebte sie als ausgesprochen<br />
charmant. »Er hatte oft so ein Zwinkern im Blick und wollte unbedingt<br />
von mir wissen, ob es für eine Frau von Vorteil sei, wenn<br />
136<br />
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Gerhard Nebel und Albrecht Bürkle<br />
sie gut aussehe. Ich versuchte der Antwort auszuweichen, aber<br />
er gab keine Ruhe, fragte so lange, bis ich endlich sagte: Ja, ein<br />
Vorteil sei es schon.«<br />
Sie pfl egten freundschaftlichen Kontakt zu den Autoren. Auch<br />
das Ehepaar Heuß gehörte zu den Freunden. Der erste deutsche<br />
Bundespräsident war ein Liberaler mit einem geistigen Horizont.<br />
»Sie hatten nicht nur als Schwaben eine gemeinsame Heimat.«<br />
Der Dialog zwischen Verleger und Verlagsleiter ist intensiv.<br />
»Mein Vater las die Autoren seines Verlages«, erzählt sein Sohn<br />
Thomas. Trotzdem geht der Verleger auf Distanz zu seinem<br />
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Unternehmen, allerdings nur räumlich; er will dort nicht mehr<br />
wohnen. 1951 zieht er mit seiner Familie nach »Übersee«, auf die<br />
Uhlenhorst, ans linke Alsterufer, Schöne Aussicht Nummer 17.<br />
Der Architekt Gottfried Schramm, Seniorpartner des renommierten<br />
Büros Schramm und Elingius, baut für Kurt <strong>Ganske</strong> ein Privathaus,<br />
das in der Nachbarschaft selbstbewusster Prunkbauten eher<br />
vornehme Zurückhaltung beweist. Meister Schramm zeigt sich in<br />
jeder Bauphase als äußerst genau. »Er hat uns Pünktlichkeit beigebracht«,<br />
erzählt Gerda <strong>Ganske</strong>. »Einmal waren wir um acht <strong>Uhr</strong><br />
zu einer Baubesprechung an der Schönen Aussicht verabredet,<br />
kamen aber zehn Minuten zu spät. Da war er schon weg. Er war im<br />
guten Sinne pingelig und genau. Alles, was er macht, ist durabel,<br />
zeitlos, beständig – wie er selbst.«<br />
Der neue Familiensitz ist auch für Arbeitstreffen geeignet. »Es<br />
war ein Haus, wo er sich verstecken konnte, denn es lag nicht<br />
vorn am Gehweg, sondern zurückgezogen«, erklärt Verlegersohn<br />
Thomas. »Und es war typisch für ihn, dass er zehn Jahre weiter<br />
gedacht hatte: Wie kann ich es dann nutzen? Ein Haus ist ja kein<br />
Anzug, den man enger oder weiter machen kann.«<br />
Es ist eine Spezialität des Hauses (auch in der jüngeren Generation),<br />
dass Arbeitstreffen mit dem Verleger gelegentlich etwas<br />
Ausuferndes haben. Der Literat Gerhard Nebel erinnert sich, wie<br />
er zum ersten Mal mit dem Verlagsleiter Albrecht Bürkle den Verleger<br />
in der Schönen Aussicht besuchte. »Im unteren Trakt trotz<br />
des frühen Morgens mein schönster Burgunder-Rausch, das den<br />
Alltag vergessende Feuer im Verein mit einer samtenen Milde,<br />
das Geschenk einer weltüberlegenen Freiheit, die Entrückung<br />
auf einen Königsthron. Unser Gelage zog sich dann in die obere<br />
Wohnung.«<br />
Die Getränke bringt in der Regel Herr Rothe, der Fahrer, den<br />
Thomas <strong>Ganske</strong> als »knochentrockenen Typ« beschreibt, der<br />
auch keine Miene verzieht, wenn sich ein Gast einmal danebenbenimmt.<br />
Einmal war der Steuerberater Kurt <strong>Ganske</strong>s mit seiner<br />
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Frau zu Gast. Herr Rothe naht diskret und fragt: »Kann ich noch<br />
irgendetwas für Sie tun?« – »Ja! Bringen Sie mir ein Glas Wasser,<br />
eine tote Fliege und einen Zahnstocher«, rief die Frau aufgekratzt.<br />
Herr Rothe geht, ohne eine Miene zu verziehen, hinaus<br />
und kommt nach einer Weile wieder herein, mit einem Glas Wasser,<br />
einer toten Fliege und einem Zahnstocher. »Das war natürlich<br />
eine gerechte Strafe für dieses arrogante Verhalten«, fi ndet Thomas<br />
<strong>Ganske</strong>. »Aber wir fragten uns noch lange: Wo hat Rothe nur<br />
so schnell die tote Fliege hergekriegt?«<br />
Für die Kinder vom Land ist es nicht einfach, in Hamburg<br />
Fuß zu fassen. Thomas <strong>Ganske</strong> denkt ungern an die Hamburger<br />
Schulzeit zurück. Nach einem Jahr schicken die Eltern den Elfjährigen,<br />
wie schon die größeren Geschwister, auf ein Internat.<br />
Er kam nach Schloss Bieberstein in der Rhön, ein Barockschloss,<br />
in dem das ganzheitliche Menschenbild des Reformpädagogen<br />
Hermann Lietz als Alternative zum Massenbetrieb öffentlicher<br />
Schulen gepfl egt wird. Eine Schule fürs Leben, ganz im Sinne des<br />
Vaters. »Im Internat lernte ich mich durchzusetzen; am Anfang<br />
musste ich für die Älteren die Betten machen, später machten die<br />
Kleinen das Bett für mich. Man musste sich durchbeißen. Für die<br />
Kleinen galt: Das Ende vom Tisch war auch immer das Ende vom<br />
Fisch.« Offenbar entwickelt der Pennäler ziemlich früh ein Qualitätsbewusstsein<br />
für feine Weine. »Einmal tranken wir Burgunder.<br />
Ich hatte eine Flasche Moulin-à-Vent organisiert. Wir wurden<br />
verpetzt, und im Jahresbericht an die Eltern stand dann: Thomas<br />
<strong>Ganske</strong> und seine Freunde veranstalten opulente Feiern.«<br />
Sicher hat das väterliche Vorbild daran seinen Anteil. Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> war ein Genussmensch. »Wenn Vater sagte: Du darfst<br />
mit – ins Vier Jahreszeiten oder auf den Süllberg nach Blankenese<br />
–, waren das besondere Momente«, erzählt der Sohn. Das<br />
Zimmer <strong>40</strong>0/<strong>40</strong>1 im Hotel Vier Jahreszeiten ist das Quartier, das<br />
er und seine Frau seit 1938 immer wieder gern besuchen. Auch<br />
als er in Hamburg schon seinen Wohnsitz hat, geht er hier ein<br />
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und aus. Hier geht er zum Friseur, liest seine Zeitung, und wenn<br />
die Stammgäste von Zimmer <strong>40</strong>0/<strong>40</strong>1 das Restaurant des Hotels<br />
betreten, raunen die Kellner: »Jetzt kommt die Spätschicht!«; der<br />
Pianist intoniert »Violetta«, und das Serviceteam richtet sich auf<br />
eine lange Nacht ein, mit einem Gast, der am Ende einer Tour<br />
d’horizon durch die besten Lagen der Weinkarte im Morgengrauen<br />
gern eine frisch angemachte Lady Curzon bestellt.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> ist ein strenger Vater. Der kleine Thomas bekommt<br />
ein Taschengeld von 70 Pfennig die Woche und muss sehen, wie<br />
er damit zurechtkommt. Später wird es nach und nach auf 1,50<br />
Mark erhöht. Der Vater liebt es, seinen Kindern und manchmal<br />
auch seinen Gästen Geschichten über den Umgang mit Geld zu<br />
erzählen, für die es keinen besseren Zeugen geben konnte als<br />
die Figur des überaus sparsamen Hamburger Kaufmanns Notebohm,<br />
der sich für sein Kind ein schönes Weihnachtsgeschenk<br />
ausgedacht hat: »Komm, Jung, wir gehen auf die Alster, ich piss<br />
dir ’ne Glitsche.« Besonders gefi el dem Verleger die Geschichte<br />
von Notebohms bravem Oberbuchhalter, der nach zehn Jahren<br />
keine Gehaltserhöhung bekommt, sondern einen warmen Händedruck,<br />
nach fünfundzwanzig Jahren ein Foto vom Chef, und als<br />
er, nach vierzig Jahren Treue, zum Abschied eine Prämie erwartet,<br />
erhebt sich Notebohm, gibt ihm die Hand und sagt: »Ich dachte<br />
mir, jetzt ist es an der Zeit, Ihnen das ›Du‹ anzubieten.«<br />
In den Ferien sind die Kinder in Hohenhaus. Der Großvater<br />
hat immer Zeit für sie. Er sieht über manchen Streich hinweg,<br />
bezahlt »ohne ein ärgerliches Wort« die sechzehn Fensterscheiben,<br />
die ein Scharfschütze unter seinen Enkeln mit dem Katapult<br />
zerschossen hatte. Aber sein Enkel Richard Vogt, Sohn seiner<br />
Tochter Käthe und später Vikar von Beruf, erinnert sich auch an<br />
ein furchtbares Donnerwetter, als er bei einem Pächter ein paar<br />
Kirschen stibitzt hatte.<br />
»Er hat mir die Jagd beigebracht«, erzählt Thomas <strong>Ganske</strong>.<br />
Sie gehen oft in den Wald – der Großvater im Lodenmantel, die<br />
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Drei Generationen an einem Tisch:<br />
Kurt, Michael und Richard <strong>Ganske</strong> um 1955<br />
Schrotfl inte über der Schulter; der Junge aufmerksam und neugierig,<br />
es gibt viel zu lernen. Der alte Herr genießt das Landleben,<br />
baut Tabak an, trocknet die Blätter, wickelt fachgerecht und nach<br />
allen Regeln der Kunst Zigarren. Zweimal im Jahr verschenkt er<br />
eine dieser Zigarren an einen Menschen, dem er etwas ganz Besonderes<br />
geben möchte. Im achtzigsten Lebensjahr erkrankt er<br />
an Krebs. Richard <strong>Ganske</strong> stirbt am 20. Februar 1956. Der Vikar<br />
Richard Vogt hält die Trauerpredigt: »Sein Leben ist von frühester<br />
Jugend an bis zur letzten Stunde ein gerader Weg gewesen, ein<br />
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einziger geradliniger Weg, bestimmt durch ein unbestechliches<br />
Verantwortungsgefühl und sein unbeirrbares Gerechtigkeitsempfi<br />
nden, mit dem einen Ziel, für alle, die mit ihm zu tun hatten,<br />
besonders für seine Mitarbeiter, seine Kinder und später für seine<br />
Enkelkinder, ein Vorbild zu sein.«<br />
Im Gutshaus in Hohenhaus hat ein Ölgemälde des Malers Emil<br />
Scheibe einen Ehrenplatz. Es zeigt den alten Herrn im Lehnsessel,<br />
mit Anzug und Weste, <strong>Uhr</strong>kette und weißem Schnauzbart.<br />
Die Haltung ist für ein Gemälde ungewöhnlich; Richard <strong>Ganske</strong><br />
sitzt nicht behäbig zurückgelehnt, sondern vornüber geneigt, der<br />
Blick und der ganze Mann ist dem Betrachter zugewandt, das Bild<br />
eines guten Zuhörers.<br />
Die fünfziger Jahre sind gute Jahre für das Unternehmen des<br />
Verlegers Kurt <strong>Ganske</strong>. Der Lesezirkel eröffnet weitere Filialen,<br />
gewinnt neue Kunden. Hoffmann und Campe baut sein Programm<br />
aus, Merian, Film und Frau und Die Stimme der Frau, seit<br />
1957 umbenannt in Für Sie, verkaufen sich gut. Der Verleger sucht<br />
nach neuen Herausforderungen. Er fi ndet sie am Rhein.<br />
Ein Zeitzeuge dieser Jahre lebt in Bergisch Gladbach. Ein<br />
weißes Haus in grüner Hügellandschaft. Drinnen Bücherwände,<br />
teure Folianten, Gemälde des Barock. Der Hausherr bittet<br />
den Gast zum Tee auf die Terrasse. Otto B. Roegele, Jahrgang<br />
1920, ein wacher Geist in einem fragil wirkenden Körper. Der<br />
alte Herr gibt bereitwillig Auskunft, die Erinnerung zeigt keine<br />
Lücken. Otto B. Roegele ist ein Gelehrter. Dr. med., Dr. phil.,<br />
Dr. phil. etlitt. h.c., ein vielseitiger Geist: Neurologe, Internist,<br />
Historiker, Schriftkundler, von 1963 bis 1985 Professor an der<br />
Ludwig-Maximilian-Universität München und Vorstand des Instituts<br />
für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft)<br />
sowie Abteilungsleiter an der Hochschule für Fernsehen und<br />
Film in München. Er war Chefredakteur und Mitherausgeber der<br />
Wochenzeitschrift Rheinischer Merkur. Und er war Reisegefährte<br />
Kurt <strong>Ganske</strong>s, sein Fahrer, sein Cicerone, sein Vertrauter.<br />
<strong>14</strong>2<br />
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Porträt des Firmengründers: Richard <strong>Ganske</strong> (1876 -1956);<br />
Ölgemälde von Emil Scheibe<br />
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Weil ihn eine halbe Stelle als Stationsarzt nur unzureichend ernährt,<br />
jobbt er nach Kriegsende nebenher als freier Redakteur,<br />
schreibt hier und da, unter anderem auch in der Erstausgabe des<br />
Rheinischen Merkur. Er studiert Zeitungswissenschaften, vollendet<br />
seine zweite Dissertation. »1948 habe ich geheiratet, zur Währungsreform,<br />
mit einem Kopfgeld von fünfzig Mark ausgestattet.<br />
Davon habe ich mir gleich eine Reiseschreibmaschine gekauft, Typ<br />
›Olympia‹, ein treues Tier.« Von Franz-Albert Kramer, dem Gründer<br />
des Rheinischen Merkur, zum Chefredakteur ernannt, wird er Gesellschafter<br />
mit zehn Prozent Beteiligung. 1950 stirbt Kramer, und das<br />
Unternehmen steht auf schwachen Füßen. Das rheinische Konglomerat,<br />
zu dem auch der Rhenania Buchverlag mit Zeitschriften wie<br />
Rund um den Pelz und Fachzeitschriften für Küche und Restaurantmanager<br />
gehören sowie Der Rheinische Hausfreund, eine wöchentlich<br />
erscheinende Postille von bescheidenem Auftritt und Anspruch,<br />
verfügt über mehr Zuversicht als Kapital. Man sucht einen Geldgeber,<br />
hat auch einiges zu bieten: Die Druckmaschinen in Koblenz,<br />
berühmt für ihren satten, tiefschwarzen Ton, sind nicht ausgelastet.<br />
Der Rheinische Merkur, das Glanzlicht dieser Gruppe, eine konservative<br />
Wochenzeitung mit hohem Anspruch und erzkatholischer<br />
Leserschaft, ist das Lieblingsblatt von Bundeskanzler Adenauer,<br />
was aber die fi nanzielle Lage nicht verbessert. »Die Rettungsbedürftigkeit<br />
war unübersehbar«, stellt Roegele nüchtern fest.<br />
Der Retter naht – ein Verleger aus Hamburg. Kurt <strong>Ganske</strong> ist<br />
eigentlich nur an den Druckmaschinen interessiert, zieht dann<br />
aber bei näherem Hinsehen eine Beteiligung am ganzen Unternehmen<br />
vor. Die will aber auch Adenauers Staatssekretär Hans<br />
Globke, um den Rheinischen Merkur in eine regierungstreue Tageszeitung<br />
umzuwandeln. Am 10. Dezember 1955 fällt die Entscheidung:<br />
<strong>Ganske</strong> statt Globke. Nun ist der Buch- und Zeitschriftenverleger<br />
Gesellschafter einer katholischen Wochenzeitung mit<br />
gutem Namen und großer Tradition. Den Rheinischen Merkur gab<br />
es nämlich schon einmal.<br />
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Der eigentliche Gründer war Johann Joseph von Görres (1778 –<br />
1848), Hochschullehrer für Philosophie, Ästhetik und Altdeutsche<br />
Literatur, aber auch Kosmologie, Psychologie und Hygiene<br />
in Heidelberg, eine herausragende Figur im Geistesleben seiner<br />
Zeit. Er pfl egte Verbindungen zu Goethe und Schiller und war<br />
ein leidenschaftlicher Streiter gegen jede Fremdherrschaft. Napoleon<br />
sprach vom Rheinischen Merkur, als er die Presse eine fünfte<br />
Großmacht nannte. Als die französische Herrschaft von der<br />
preußischen abgelöst wurde, gründete Görres in Koblenz 18<strong>14</strong><br />
den Rheinischen Merkur, laut Roegele »das erste Beispiel der Gesinnungspresse<br />
in Deutschland«. Die Gesinnung war vom Freiheitsgedanken<br />
befl ügelt. Bis 1816 erschienen 3<strong>14</strong> Ausgaben. Zu<br />
den Mitarbeitern zählten der Freiherr vom Stein, Ernst Moritz<br />
Arndt, Karl Leberecht Immermann und Clemens von Brentano.<br />
Das Blatt wurde zum Sprachrohr der deutschen Verfassungsbewegung,<br />
bis es König Friedrich I. von Württemberg gelang, seinen<br />
fernen Adelskollegen Alexander I., den Zaren von Russland,<br />
zu bewegen, in Berlin gegen die Unverschämten des Rheinischen<br />
Merkur und den Bruch der landständischen Verfassung zu protestieren.<br />
Eine preußische Kabinettsorder verbot das freche Blättchen.<br />
Görres fl oh ins Elsass und kehrte, ergriffen vom Anblick<br />
des Straßburger Münsters, in den Schoß der katholischen Kirche<br />
zurück. 1848 starb dieser »Mann aus Männern«, wie Roegele ihn<br />
nennt, »in dem das Herz eines Revolutionärs, das historische Bewusstsein<br />
eines Konservativen, der Scharfblick des Naturforschers,<br />
die Phantasie des Dichters und die politische Leidenschaft des<br />
geborenen Publizisten zusammenwohnten«.<br />
Für Roegele ist es eine Ironie der Geschichte, dass im Frühjahr<br />
1946 ein Monsieur Jean-Michel Bing Fromont als Vertreter der<br />
französischen Besatzungsmacht an der Rotationsmaschine der<br />
Koblenzer Görres-Druckerei steht, um das Erscheinen der ersten<br />
Ausgabe des Rheinischen Merkur zu kontrollieren, des Blattes, mit<br />
dem Görres 18<strong>14</strong> zur Niederwerfung der napoleonischen Herr-<br />
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schaft in Europa so wirksam beigetragen hatte. Monsieur war übrigens<br />
ein Deutscher. Als katholischer Jude zur Emigration gezwungen,<br />
kehrte er als Franzose an den Rhein zurück und wurde<br />
später Presseattaché der französischen Botschaft in Bonn.<br />
Mag sein, dass Kurt <strong>Ganske</strong> die Geschichte des Rheinischen Merkur<br />
an den Kampf des Julius Campe und seiner Autoren gegen<br />
die allmächtige Zensur erinnerte; eine Parallele zur Historie des<br />
Hoffmann und Campe Verlages ist unübersehbar. Vielleicht reizte<br />
es ihn auch, Herausgeber einer Wochenschrift zu sein, die sich<br />
in die politische Debatte um Westintegration und Wiederbewaffnung<br />
einmischt. Der Streit um die Frage, ob Deutschland zehn<br />
Jahre nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wieder Soldaten<br />
brauche, wühlt Emotionen auf und spaltet das Land. Adenauer<br />
drängt auf die Unterzeichnung der Verträge zur Bildung<br />
der EVG, der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, zu der<br />
die Deutschen über vierhunderttausend Mann beisteuern sollten.<br />
Die letzten Kriegsgefangenen waren immer noch in Russland.<br />
Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher ruft, bereits vom<br />
Tode gezeichnet: »Wer diese Verträge unterzeichnet, verdient es<br />
nicht, ein Deutscher zu sein!« Doch Adenauer setzt die Wiederbewaffnung<br />
gegen alle Widerstände durch. Die Nato wirft ihren<br />
Schatten voraus. Wenige Tage später schließen sich die Staaten<br />
des Ostblocks zum Warschauer Pakt zusammen. Der Eiserne Vorhang<br />
teilt Deutschland und Europa in zwei Lager, unverrückbar,<br />
für vierunddreißig lange Jahre.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> interessiert sich lebhaft für Politik. Die politische<br />
Entwicklung in Europa ist das Thema vieler Gespräche in<br />
Hamburg und Hohenhaus. »Wir sind viele Stunden durch den<br />
Wald gegangen«, erzählt Roegele. »Er hatte den Blick des Jägers,<br />
ich den des Spaziergängers. Er lud mich ein, nachts mit auf<br />
den Hochsitz zu kommen. Ich wollte nicht, aber meine Kinder<br />
sind mitgegangen. Wir hatten immer die Wartburg im Blick. Er<br />
ging neben mir, mehr schweigend als redend. Er war nicht sehr<br />
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edselig. Aber er hat oft überraschende Fragen gestellt. Am<br />
Abend, im großen Zimmer, saßen wir oft zusammen am Tisch.<br />
Ohne seine Frau wäre weder der Haushalt noch das Familienleben<br />
in vernünftige Bahnen gekommen. Sie zog sich irgendwann<br />
zurück. Es wurde spät. Wir zwei sind dann übrig geblieben. Ihn<br />
trieb die Frage um: Was wird aus dieser Gegend, wenn die Russen<br />
kommen? Und was, wenn die Teilung bleibt? Er trug an der Last,<br />
sein Geld, seine Liebe, seinen Eifer in einen Ort investiert zu haben,<br />
der von ungewisser Zukunft überschattet war. Diese Gedanken<br />
haben ihn sehr geplagt. In diesen Stunden erlebte ich ihn als<br />
nachdenklichen Stammtischmenschen. Um zwölf haben wir dann<br />
nicht mehr viel Vernünftiges geredet. Um zwei sind wir ins Bett.«<br />
Zwischen Kurt <strong>Ganske</strong> und dem fünfzehn Jahre jüngeren Roegele<br />
entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis. »Ich habe ihn gemocht«,<br />
erzählt der Professor. »Freundschaft war es nicht. Aber<br />
er hat mir Vertrauen geschenkt, mich zu Rate gezogen wie ein Familienmitglied.<br />
Es gab Geheimnisse, über die nie geredet wurde.<br />
Geduzt haben wir uns nicht, ich bin auch ein schlechter Duzer.«<br />
Sie reisen gemeinsam nach Spanien. Roegele besucht einen<br />
Kongress, <strong>Ganske</strong> den Escorial, immer wieder. »Er war viel gereist,<br />
auch mit seinem Fahrer. Spanien fehlte ihm noch in seiner Sammlung«,<br />
erzählt Roegele. »Wir fuhren mit meinem Dienstwagen,<br />
einem kleinen Mercedes. Er hat sich vorher vergewissert, dass er<br />
sich meinen Fahrkünsten anvertrauen konnte.« Sie fuhren über<br />
Freiburg, Nîmes, Barcelona. In einem Wäldchen bei Calatayud<br />
rasteten sie und sahen den Frauen und Kindern zu, die Walderdbeeren<br />
sammelten. »Wir fuhren weiter, ganz erfüllt von diesem<br />
schönen Bild, als K.G. plötzlich feststellte, dass er seinen Rock<br />
vergessen hatte! Er hatte ihn in dem Wäldchen an einen Baum<br />
gehängt. In dem Rock waren seine Brieftasche, sein Pass, das Carnet<br />
de Voyage. Und das werde ich nie vergessen: Als wir uns dem<br />
Wäldchen näherten, kamen uns die Kinder entgegengerannt und<br />
hielten den Rock hoch! Es fehlte nichts.«<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong> faszinieren historische Themen. Roegele vermutet,<br />
dass Philipp II. seinen Reisegefährten mehr interessierte als<br />
Karl V. Er hatte viele Fragen, zu Medizin, Politik und Geschichte.<br />
»Er wollte nicht unterhalten, nicht belehrt werden, aber er wollte<br />
ganz viel wissen.« Der Escorial beschäftigt ihn sehr, die Kargheit<br />
der königlichen Gemächer, der Kontrast zur überbordenden<br />
Pracht der Kirche, die Visionen des Malers Hieronymus Bosch<br />
und die Bibliothek mit ihrer wertvollen Handschriftensammlung.<br />
Roegele hatte viel zu erzählen, er hörte zu. Sie reisten weiter, besuchten<br />
in der Kirche Santillana del Mar zwischen Santander und<br />
Bilbao eine lateinische Morgenmesse. »Da ist sichtlich was in ihm<br />
vorgegangen«, erinnert sich Roegele. »Wir haben über die Urliturgie<br />
gesprochen. Er hat immer gefragt: Was machen die jetzt?<br />
Warum machen die das? Wo kommt das her? Was steckt dahinter?<br />
Was bedeutet dieses Symbol? Welche Gründe hat das, welchen<br />
Ursprung? Da bin ich an meine Grenzen gekommen. Die Liturgie<br />
beschäftigte ihn sehr und die Frage, was wird noch wirklich von<br />
den Gläubigen erfasst, und was wird nur abgewickelt? Er hatte<br />
großen Respekt für die historische Leistung der Kirchen.«<br />
Erinnerungen an den Verleger und Geschäftsmann. »Er war<br />
nicht misstrauisch, aber vorsichtig. Er hat es in Verhandlungen<br />
und Gesprächen hingenommen, keine Zusagen zu bekommen.<br />
Aber Zusagen, die nicht eingehalten wurden, konnte er nicht<br />
ertragen. Kurt <strong>Ganske</strong> war ein großzügiger Verleger. Aber man<br />
musste ein Gespür haben, was er verträgt und was nicht.« Zur<br />
Redaktion des Rheinischen Merkur hält der Verleger Distanz, allerdings<br />
hat er wohl auf einer Kursänderung bestanden. »Mein<br />
Vater hat die streng katholische Ausrichtung korrigiert, mit der<br />
Ökumene als Ziel«, weiß Verlegersohn Thomas <strong>Ganske</strong>.<br />
Einmal sandte Kurt <strong>Ganske</strong> einen jungen Mann nach Koblenz,<br />
seinen Assistenten. Es war eine bemerkenswerte Reise, an die sich<br />
der Assistent gut erinnert. Heute residiert Erich Marx in Berlin-<br />
Charlottenburg, Carnerstraße 6. Der Doktor, wie sie ihn hier alle<br />
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nennen, erhebt sich von seinem Schreibtisch – schlank, federnd,<br />
weiße Haare und weiße Augenbrauen im gebräunten Gesicht mit<br />
ungewöhnlich blauen Augen. Ein vertrautes Gesicht. Das Bild,<br />
das Andy Warhol von Erich Marx gemacht hat, ist berühmt, die<br />
Kunstsammlung mit Werken von Cy Twombly, Robert Rauschenberg<br />
und Roy Lichtenstein, Anselm Kiefer und Joseph Beuys ist es<br />
auch. Marx verwandelte den Hamburger Bahnhof in Berlin zum<br />
repräsentativen Schauplatz seiner Schätze, lehnt es aber ab, auf<br />
seinen Kunstverstand angesprochen zu werden. »Verstand ist das<br />
Letzte, was einem hilft. Intuition! Das ist es, was man braucht!«<br />
Dr. Erich Marx, Jahrgang 1921, Sohn eines Lagerarbeiters und<br />
studierter Jurist, war Flieger im Krieg und sammelte als junger<br />
Justitiar bei Burda seine ersten zivilen Berufserfahrungen. Der<br />
Verleger Franz Burda (1903–1986) war in seiner Heimat Offenburg<br />
relativ spät gestartet, aber die Bunte Illustrierte – 1948 unter<br />
dem Titel Das Ufer gegründet – entwickelte sich gut. Seine Frau<br />
Aenne war mit ihrem Schnittmusterheft Burda Moden überaus<br />
erfolgreich. Als Justitiar saß Erich Marx im Zentrum, im Allerheiligsten<br />
der Burda-Welt, manchmal auch im Auge eines Hurrikans.<br />
Nach fast zwei Jahren kam es zum Bruch. Franz Burda, der<br />
Patriarch, hatte eine Schweinerei in seiner Bunten entdeckt, eine<br />
Reportage über ein Pärchen, das den Nil hinaufgepaddelt war.<br />
»Ein Foto, ich sehe es noch vor mir: Es war nicht größer als eine<br />
Briefmarke und zeigte eine Frau auf einem Boot. Sie hätte nackt<br />
sein können, man sah es aber nicht deutlich, nur ein dunkles<br />
Dreieck. Burda redete sich in Rage; so eine Schweinerei wolle er<br />
nicht mitmachen und den Chefredakteur entlassen. Ich argumentierte,<br />
versuchte, meinen Kollegen zu retten. Das machte ihn nur<br />
noch wütender: ›Sie gehen gleich mit!‹ Ich stand auf der Straße.«<br />
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet dieser Verlag einmal den<br />
Playboy herausgeben würde?<br />
Es war Konrad Becker, Verlagsleiter von Film und Frau, der dem<br />
Juristen anbot, als sein Stellvertreter oder als Assistent des Ver-<br />
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legers nach Hamburg zu kommen, wobei er darauf hinwies, dass<br />
der Verleger sicher die schwierigere unter den beiden Alternativen<br />
war. »Ich überlegte relativ kurz und entschied mich für den<br />
Verleger. Die Arbeit war interessant, und ich lernte viel. Eines Tages<br />
gab Kurt <strong>Ganske</strong> mir den Auftrag, nach Koblenz zu fahren. Er<br />
wollte eine kleine Rundfunkzeitschrift herausbringen, die gratis<br />
in die Mappen des Lesezirkels gelegt werden sollte, und ich sollte<br />
einen Druckvertrag aushandeln. Ich kämpfte hart, es ging um<br />
Zehntelpfennige; bis mein Gegenüber sagte: ›Warum legen Sie<br />
sich eigentlich so ins Zeug? Ihr Verleger ist doch hier beteiligt!‹<br />
Zu meinem Staunen schälte sich heraus: Nicht nur die Druckerei,<br />
auch der Rheinischen Merkur gehörte zu fünfundneunzig Prozent<br />
Kurt <strong>Ganske</strong>. Nur hat er mir nichts davon gesagt.«<br />
Offenbar hatte der Assistent hart genug verhandelt. Erich Marx<br />
wird <strong>Ganske</strong>s Mann am Rhein, Leiter der Druckerei in Koblenz,<br />
des Rheinischen Merkur und des Rhenania Buchverlags. »Er ließ<br />
mir völlig freie Hand. Einmal im Vierteljahr musste ich nach<br />
Hamburg und Bericht erstatten.« Die Aufl age des Rheinischen<br />
Merkur stand bei 63 000. Das war mehr, als Die Zeit in Hamburg<br />
aufweisen konnte. »Aber dann ging Bucerius mit der Zeit gegen<br />
Adenauer vor. Die Aufl age stieg; sie überholte den Rheinischen<br />
Merkur und lag weit vor ihm. <strong>Ganske</strong> wollte, dass ich die Aufl age<br />
des Rheinischen Merkur ebenfalls steigere, aber sie hatte als katholische<br />
Wochenzeitschrift für Leser mit hoher Intelligenz und<br />
Bildung ihre Käuferschicht schon erfasst. Ich hatte alles versucht,<br />
auch die Trippelkolonne losgeschickt, um neue Abonnenten zu<br />
werben. Es war nichts zu machen. Mehr war nicht zu holen.«<br />
Marx gibt nicht auf, diskutiert in Hohenhaus mit Kurt <strong>Ganske</strong><br />
und Roegele. »Ich hatte eine gute Idee: Von drei Sonntagszeitungen<br />
in Deutschland waren zwei protestantisch: das Sonntagsblatt<br />
von Bischof Hanns Lilje und Christ und Welt in Stuttgart. Beide<br />
waren notleidend. Deshalb schlug ich vor: Warum legen wir die<br />
drei nicht zusammen? Die Meinungsverschiedenheiten in ethisch-<br />
150<br />
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christlichen Fragen könnten im Blatt ausgetragen werden, das<br />
würde Spannungen aufbauen, die die Zeitung interessant machen.<br />
Wäre es nicht sinnvoll, wenn eine ökumenische Wochenschrift<br />
die Annäherung der Kirchen betreibe, als Geste der Versöhnung<br />
nach dem Erlebnis des Krieges?«<br />
Das ungleiche Trio diskutierte mehrere Abende lang am Kamin.<br />
»Der Form nach war es immer eine zivile Auseinandersetzung.<br />
Aber ich sah bald, dass es keine Einigung geben würde.<br />
Schließlich beendete Roegele die Diskussion mit einem Leitartikel<br />
zu Pfi ngsten, in dem er sinngemäß schrieb: ›Wir haben nicht<br />
die Möglichkeit, die Dinge zu ändern, das kann nur Gott.‹ – Meine<br />
pragmatische Sicht konnte ich nie gegen Roegele durchsetzen.<br />
Sein ausgeprägter Katholizismus war mir fremd. Alles, was ich erreichte,<br />
um das Blatt lebendiger zu machen, war ein kardinalsroter<br />
Balken auf der Titelseite.« Der Balken stützte ein schwankendes<br />
Gebäude. Die Zahlen waren schlecht. Der Rheinische Merkur<br />
schrieb sechsstellige Verluste im oberen Bereich. »Ich sah keine<br />
Zukunft mehr. Außerdem war mein Gehalt von der Aufl age abhängig.<br />
Ende 1959 habe ich gekündigt.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> muss erkennen: Auf dem Engagement am Rhein<br />
ruht kein Segen. Auch der legendäre tiefschwarze Druck der Koblenzer<br />
Maschinen fasziniert den Verleger nicht mehr. Seine Hamburger<br />
Blätter stellen um auf Farbe. Er zieht sich vom Rheinischen<br />
Merkur zurück. Allein der Rhenania Verlag bleibt in seinem Besitz.<br />
»Er sagte uns lange vorher, es sei nicht sein Ziel, der katholischen<br />
Kirche eine Zeitung zu fi nanzieren«, erinnert Roegele. »Ich höre<br />
ihn sagen: ›Meine Leute in Hamburg verstehen gar nicht, warum<br />
ich mir dieses Hobby so viel Geld kosten lasse.‹«<br />
Sein Stehvermögen ist aller Ehren wert, wird aber nicht belohnt.<br />
Er bekommt Konkurrenz. Die Deutsche Bischofskonferenz bildet<br />
1965 eine »Sonderkommission Katholische Wochenzeitung« und<br />
bringt nach drei Jahren ein neues, anspruchsvolles und gut gemachtes<br />
Kirchenblatt auf den Markt: Publik. Die erste Nummer<br />
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151
erscheint am 27. September 1968 zum Katholikentag in Essen,<br />
im teuren »Nordischen Format« (57 �<strong>40</strong> cm), 32 Seiten stark<br />
mit hochwertiger Tiefdruckbeilage und hochkarätiger Redaktion.<br />
Das Blatt macht Eindruck, hat allerdings einen Schönheitsfehler:<br />
die Zahlen. Der Zuschussbedarf schaukelt sich in vier Jahren von<br />
6 auf 9 Millionen Mark hoch. Publik wird eingestellt. Es sollte<br />
nicht der einzige Trauerfall dieser Art bleiben; die Liste der Publikationen,<br />
die trotz ihrer allseits gelobten journalistischen Qualität<br />
zugrunde gehen, ist lang und keineswegs geschlossen.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> hat seine Verbindung zum Rheinischen Merkur<br />
längst gelöst. Das Blatt gerät in die Hände west- und süddeutscher<br />
Bischöfe unter Federführung des Kölner Erzbischofs Joseph Kardinal<br />
Höffner. Die frommen Hirten führen die Wochenzeitung<br />
mit Gottes Segen weiter und vereinigen sie in den siebziger Jahren<br />
mit der vom Holtzbrinck Verlag herausgegebenen evangelischen<br />
Wochenzeitung Christ und Welt. Marx sollte also zumindest<br />
teilweise Recht behalten. Hanns Liljes Sonntagsblatt segnete erst<br />
im Jahre 2000 das Zeitliche und lebt als Crismon weiter, ein Monatsmagazin,<br />
das zu hundert Prozent dem Süddeutschen Verlag<br />
gehört und sechs deutschen Zeitungen beigelegt wird.<br />
Der weitere Lebensweg des Erich Marx nimmt einen erstaunlichen<br />
Verlauf. Er führt über die Hannoversche Allgemeine, ein für<br />
Außenseiter schwer zu führendes Familienunternehmen. Marx<br />
beschäftigt sich nebenher mit Immobilienprojekten. »Ich habe<br />
meine Begabung erst spät entdeckt«, lächelt er. »Ich bin Unternehmer.<br />
Kaufmann war ich nie. Ein Kaufmann rechnet. Ein<br />
Unternehmer greift die Themen auf, die auf der Straße liegen.«<br />
Er gründet eine Gesellschaft und blickt heute stolz auf ein Unternehmen<br />
mit fünftausend Mitarbeitern, das zweitausend Wohnungen<br />
in Berlin und siebenunddreißig Reha-Kliniken mit siebentausend<br />
Betten in Deutschland besitzt, die mit einer Investitionssumme<br />
von einer Milliarde Euro errichtet wurden. »Jetzt arbeite<br />
ich an einer neuen Linie. Ich baue in Polen. In Deutschland ist<br />
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Vom Assistenten des Verlegers zum Unternehmer:<br />
Erich Marx, porträtiert von Andy Warhol<br />
alles zugestopft. Die Verwaltung ist fettleibig. Polen ist hungrig,<br />
braucht Supermärkte und Einkaufszentren.« Der Mann ist dreiundachtzig.<br />
»Ich mochte ihn eigentlich sehr«, sagt er über seinen Hamburger<br />
Arbeitgeber. »Ich sehe ihn vor mir am Schreibtisch oder im<br />
›Winterhuder Fährhaus‹, wo er voller Vergnügen die Speisekarte<br />
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studierte. Er ruhte in sich selbst. Ich habe gern für ihn gearbeitet<br />
und habe viel von ihm gelernt. Er verstand es, die Menschen an<br />
der langen Leine zu führen. In der Diskussion war er nie beleidigend,<br />
aber oft treffend. Er konnte beißend sein. Es gab kaum<br />
laute Töne. Manchmal war es schwierig, manchmal zähfl üssig.<br />
Aber ich habe vor ihm großen Respekt. Ich verdanke ihm viel.<br />
Für mich war es eine gute Zeit. Es ist gut im Leben, wenn man<br />
nicht nur Menschen neben, sondern auch vor sich hat, die über<br />
Substanz verfügen.«<br />
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BLÄTTER IM AUFWIND<br />
Die Familie Merian – Untertanen – Der Boom der<br />
Frauenzeitschriften – Frieder Burda – Adolf Theobald –<br />
Kein Markt für Wissenschaft – Der Feinschmecker<br />
Das Einstellungsgespräch fand im Alsterpavillon statt. »Er nahm<br />
sich Zeit, fragte nach meiner Familie, wollte wissen, was für ein<br />
Mensch ich bin«, sagte Jochen Karsten, Herausgeber des Feinschmecker,<br />
Jahrgang 1925. »Ich fühlte mich zu K.G. hingezogen«,<br />
gestand der Journalist, der fünfzig Jahre für das Unternehmen<br />
arbeitete. Bis zuletzt verbrachte der 79-Jährige täglich einige<br />
Stunden in der Redaktion – ein Gentleman der alten Schule: dezent,<br />
gebildet, kultiviert. Am 25. Februar 2005 ist er in Hamburg<br />
gestorben. Seine journalistischen Lehrjahre verbringt er bei der<br />
Kulturzeitschrift Westermanns Monatshefte in Braunschweig. Im<br />
Winter 19<strong>54</strong> stellt Kurt <strong>Ganske</strong> ihn als Redakteur für Merian ein,<br />
offenbar auf Empfehlung von Heinz Scheibenpfl ug (1910–1988),<br />
dem Chefredakteur der Für Sie. Der Österreicher hat einen Namen<br />
als Essayist, Erzähler und Autor von Büchern wie »Berge um<br />
uns« oder »Das Hausbuch der Frau«. K.G. vertraut seinem Urteil.<br />
»Er war der Mann, der die Fäden in der Hand hielt«, erinnerte<br />
sich Karsten.<br />
Die Merian-Redaktion ist klein, die Beiträge werden von freien<br />
Autoren, Schriftstellern, Essayisten, Kunsthistorikern und<br />
Journalisten geliefert. Das Honorar ist – eine Tradition des Hau -<br />
ses – bescheiden. Die Redaktion kommt mit zwei Zimmern aus.<br />
Als Jochen Karsten bei Merian anheuert, ist er der dritte Mann<br />
nach Chefredakteur Albrecht Bürkle und seinem Stellvertreter<br />
Will Keller, die sich ein Zimmer teilen. Im zweiten Zimmer sitzen<br />
die Redakteurin Elisabeth Bär und der Neue. Das muss vorerst<br />
genügen. Doch fest angestellte Merian-Redakteure haben einen<br />
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Traumjob im deutschen Journalismus: Sie sind Blattmacher und<br />
Autoren zugleich, konzipieren ihr eigenes Heft, für das sie von<br />
der ersten bis zur letzten Seite verantwortlich sind, auch wenn der<br />
Chefredakteur natürlich das letzte Wort hat. Sie suchen Themen<br />
und Autoren, redigieren die Manuskripte, erfi nden Titelzeilen,<br />
produzieren das Heft im Alleingang. Sie sind auf sich gestellt, reisen<br />
ins Zielgebiet, erkunden die Region, die Stadt oder das Land<br />
ihres Heftes. Waren es in den vierziger und frühen fünfziger Jahren<br />
vor allem Themen wie Worpswede (Oktober 1948), Breslau<br />
(Januar 1950), Hohenlohe (Mai 1950) oder Helgoland (Januar<br />
1951), bringt das Jahr 19<strong>54</strong> die erste Grenzüberschreitung: Paris<br />
und Salzburg. Es folgen die Provence und Venedig (1955), Wien,<br />
Kopenhagen, Basel und Florenz (1956) und das Tal der Loire,<br />
Rom, London und Südtirol (1957). Erst 1963, im 16. Jahrgang,<br />
erscheint das erste außereuropäische Thema: Marokko. Inzwischen<br />
ist der Redaktionsetat für sämtliche Reisen, Text- und Fotohonorare<br />
auf 22 000 Mark angestiegen. Umgerechnet 19 Pfennig<br />
pro Heft.<br />
Wie begegnet ein Merian-Redakteur seinem Verleger? Morgens<br />
um sieben. Karsten: »Einmal sah ich K.G., als ich sehr früh<br />
mit dem Fahrrad zur Arbeit kam. ›Kommen Sie immer mit dem<br />
Fahrrad?‹, wollte er wissen. ›Jeden Tag‹, sagte ich wahrheitsgemäß.<br />
›Merian-Redakteur und Fahrrad? Das passt doch nicht!‹, brummte<br />
er. Er meinte es vollkommen ernst. Nach ein paar Wochen bekam<br />
ich ein Angebot. Ich konnte ein Auto kaufen, über ein Anzeigen-<br />
Gegengeschäft mit fünfunddreißig Prozent Nachlass. Es war ein<br />
Auto Union 1000 S. Ich habe den Kaufpreis vom Gehalt abgestottert.«<br />
Der »Wagen für bewusste Fahrer« kostet, so ist es in den<br />
Anzeigen zu lesen, mit Weißwandreifen und elektrischer Zeituhr<br />
6950 Mark. Merkwürdig ist es schon. Der für seine Sparsamkeit<br />
berühmte Verleger kann sich durchaus großzügig zeigen. In guten<br />
Jahren bekommen die Mitarbeiter, auch die Merian-Redakteure,<br />
ohne Ankündigung schon mal 5000 Mark zu Weihnachten.<br />
156<br />
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Doch redaktionelle Mitbestimmung, wie sie Ende der sechziger<br />
Jahre diskutiert und beim Stern mit einem Redaktionsstatut zumindest<br />
zeitweise umgesetzt wird, ist ihm suspekt.<br />
Die Reise ins Merian der sechziger Jahre führt nach Vorchdorf<br />
in Oberösterreich. Ein historischer Vierkanthof mit einer Riesenscheune<br />
voller Bücher, vierhundert laufende Meter über zwei<br />
Stockwerke verteilt, die Privatbibliothek des Kunsthistorikers Wieland<br />
Schmied, zuletzt Präsident der Akademie der Künste in München.<br />
Seine Frau Erika, Jahrgang 1935, hat diesen Büchertempel<br />
für ihn entworfen und bauen lassen. Nun sitzt sie vor dem Kamin<br />
im hochlehnigen Titanensitz aus Holz, ein Geschenk und Entwurf<br />
von Thomas Bernhard, der die Rolle des Hausgeistes spielt. Der<br />
Schriftsteller ging hier ein und aus, war einer ihrer engsten Freunde.<br />
Seit seinem Tod fotografi ert Erika Schmied die Schauplätze<br />
seiner Romane, aber auch die neuseeländische Welt des Friedensreich<br />
Hundertwasser. Sie produziert Bildbände ihrer Schwarzweißfotos,<br />
zeigt ihre Arbeiten in viel beachteten Ausstellungen, genießt<br />
kreativ und produktiv ihr zweites Arbeitsleben. Das erste dauerte<br />
zweiunddreißig Jahre und stand in Diensten Kurt <strong>Ganske</strong>s. Sie fotografi<br />
erte für Film und Frau und Moderne Frau, war Grafi kerin, Artdirector<br />
und Redakteurin für Kunstthemen bei Merian. Sie prägte<br />
jahrzehntelang das Erscheinungsbild der Zeitschrift.<br />
1961 kommt Erika Schmied, damals noch Erika Schmid-Kowarzcik,<br />
zu Merian. Sie hat sich für dieses Vorstellungsgespräch<br />
aufgedonnert, die blonden Haare schwarz gefärbt und trägt<br />
einen Staubmantel, Pumps und Handschuhe. Nachdem sie sich<br />
in selbstbewusster Pose hingesetzt hat, sagt sie: »Sie haben doch<br />
nichts dagegen, wenn ich rauche?« Vor ihr sitzen einige Herren,<br />
die sie später als Spitze des Unternehmens kennen lernen wird.<br />
»Man sitzt ja in solchen Gesprächen immer Männern gegenüber.<br />
Ich war sechsundzwanzig und wollte sechshundert Mark. Sie<br />
machten Komplimente, die keine waren: Ich sähe aus wie achtzehn.<br />
Das Gehalt wollten sie kürzen. Das wollen sie immer. Ich<br />
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Hamburg, Juli 1948 Chiemgau, September 1953<br />
gab nicht nach und sagte: ›Ich halte das für angemessen.‹ Sie<br />
haben mich in Gütersloh abgeworben, wo ich für die Ariola arbeitete,<br />
dann sollten sie auch zahlen, was ich wollte. Außerdem hatte<br />
ich eine prima Mappe vorzuweisen.«<br />
Der Verleger ist bei diesen Verhandlungen nicht dabei. Aber<br />
sie hat schon vorher einiges über ihn gehört. »Es hieß, der Alte sei<br />
mit Vorsicht zu genießen. Mit den Jahren lernte ich ihn kennen,<br />
vor allem in Hohenhaus, wohin die Redaktion zum jährlichen<br />
Strategiegespräch eingeladen wurde. Er konnte tatsächlich sehr<br />
unangenehm sein. Manchmal war er unausstehlich. Aber ich fand<br />
ihn sympathisch.«<br />
In den Schilderungen Erika Schmieds entsteht ein Bild des Verlages<br />
als absolute Monarchie. »Er wurde im Verlag wie der liebe<br />
Gott behandelt. Ich fand es komisch, wie die Männer in seinem<br />
Umkreis sich verhielten, wie Untertanen. Er hatte lauter Jasager<br />
um sich versammelt, alle hatten Angst vor ihm. Ich fand das unerträglich,<br />
ich verstand das nicht, hatte so etwas nie erlebt. Die<br />
158<br />
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Paris, Mai 19<strong>54</strong> Marokko, September 1963<br />
Männer waren devot, redeten ihm nach dem Mund, spreizten sich,<br />
setzten sich in Szene. Manchmal platzte ich heraus: ›Mein Gott, so<br />
ein Mist! Das ist ja nicht auszuhalten!‹ Das gefi el ihm. Ich hatte<br />
das Gefühl, ich hatte bei K.G. wegen meiner direkten Art immer<br />
einen Stein im Brett. Aber dann sagte irgendjemand, der einzige<br />
Mann im Haus sei Frau Schmied. Ich fand das überhaupt nicht<br />
witzig, denn ich hatte auch eine weibliche Seite und fand, dass die<br />
wahrgenommen werden sollte.«<br />
In den sechziger Jahren residiert die Redaktion noch im Haus<br />
Nummer 45, zugleich Sitz des Hoffmann und Campe Verlages.<br />
1963 entwickelt Erika Schmied für Merian eine neue Gestaltung,<br />
den Werkdruck auf rauem Papier für literarisch anspruchsvolle<br />
Texte in der Heftmitte, das Brevier, und eine Heftstruktur, die<br />
im Prinzip bis heute funktioniert. Die Aufl age macht einen Luftsprung<br />
– um <strong>40</strong> 000 auf 200 000 Exemplare. Gedruckt wird in Bremen,<br />
dann im Rollenoffset in Würzburg und schließlich in Nürnberg.<br />
Die Maschine, erinnert Erika Schmied, war 120 Meter lang.<br />
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159
New York, September 1970 Ceylon, August 1971<br />
Die Merian-Redaktion war eine Art Familienbetrieb. »Ich konnte<br />
meine Kinder mitbringen. 1968, als ich mit meiner ersten<br />
Tochter schwanger war, habe ich in der Klinik das Heft ›Nancy‹<br />
gelayoutet. Zu Hause habe ich weitergearbeitet, die Redakteure<br />
Hans-Markus Thomsen und Rainer Klofat kamen mit den Texten<br />
und Bildern. Ich habe Franziska gebadet, dann sind wir jugoslawisch<br />
essen gegangen. Später habe ich Franziska im Kinderwagen<br />
auf den Balkon gestellt. Für Barbara hatte ich ein Laufställchen in<br />
der Grafi k. Die Chefredakteure haben ihre Hunde mitgebracht.<br />
Zeitweise waren ein Dackel, ein Bobtail und ein Mops in der Redaktion.<br />
Manche brachten auch ihren Vogel mit. Jeden Monat<br />
arbeitete ich mit einem anderen Redakteur zusammen. Das Hausgemachte<br />
war auch der Reiz des Blattes. Aus den Reaktionen der<br />
Leser spürten wir: Es war ein geliebtes Objekt, es hat den Leuten<br />
auf verständliche Weise Kulturthemen nahe gebracht. So ein Objekt<br />
steht und fällt mit dem Selbstbewusstsein der Leute, die es<br />
machen. Ich glaube, das Betuliche, das uns anhaftete, war eigent-<br />
160<br />
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Deutschland, Januar 1972 New Orleans, Februar 1979<br />
lich eine Stärke von Merian. Alle, die bei Merian gearbeitet haben,<br />
haben es mit Herzblut gemacht. Kurt <strong>Ganske</strong> hat das gespürt.«<br />
Kein Chefredakteur stand so lange an der Spitze des Blattes wie<br />
Will Keller (1915–2001). Von 1960 bis 1979 führte der promovierte<br />
Kunsthistoriker die Zeitschrift, und er ließ es sich nicht nehmen,<br />
auch danach noch als Herausgeber jedes Jahr mindestens<br />
ein Heft zu produzieren. »K.G. war oft im Clinch mit Dr. Keller«,<br />
erzählt Erika Schmied. »Der Verleger war dagegen, dass einzelne<br />
Autoren gegenüber anderen herausgestellt wurden. Er polemisierte<br />
gegen den Personenkult. Aber er ist Keller nie in den Arm<br />
gefallen.« Dafür gab es offenbar auch keine Gründe. Das Verzeichnis<br />
der Autoren enthält Namen wie Thomas Mann, Siegfried<br />
Lenz, Henry Miller und Norman Mailer, Michel Tournier und<br />
Jean Cocteau, Gabriele Wohmann und Martin Walser, Horst Krüger,<br />
Wolfgang Koeppen und Günter Kunert, Halldor Laxness und<br />
Milovan Djilas. Stefan Andres schickte sein letztes Manuskript an<br />
Merian. Als Will Keller vom Agenten John Updikes keinen Termin<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 161 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:44 <strong>Uhr</strong><br />
161
ekommt, fährt er zum Landhaus des Schriftstellers, klingelt unangemeldet<br />
und wartet im Garten, bis Updike vom Einkaufen zurück<br />
ist. Offenbar haben sich die Herren glänzend verstanden.<br />
In den sechziger Jahren gewinnt die Fotografi e an Bedeutung.<br />
Zu den Fotografen zählen Herbert List, Thomas Höpker, Michael<br />
Friedel, Bruno Barbey und Dennis Stock. Merian ist als anspruchsvolle<br />
monothematische Kultur- und Reisezeitschrift jahrzehntelang<br />
ohne Konkurrenz. Erst in den späten Siebzigern und Anfang<br />
der achtziger Jahre bringen die Verlage Reisezeitschriften auf den<br />
Markt, erscheinen das ADAC-Reisemagazin und Geo Special als monothematische<br />
Titel, wächst die Vielfalt der Pocket-Reiseführer. Aber<br />
das hat Kurt <strong>Ganske</strong> nicht mehr erlebt.<br />
Er wusste natürlich, was er an Will Keller hatte, auch wenn er<br />
es seltsam fand, dass der eines Tages mit einem Cäsarenschnitt<br />
herumlief. Dabei war Keller weder Cicero noch Caligula, sondern<br />
ein zutiefst konservativer, hochgebildeter und sicher auch sperriger<br />
Blattmacher. »Er hatte eine besondere Technik des passiven<br />
Widerstands, er nahm Anweisungen entgegen und pfl egte<br />
sie unerledigt liegen zu lassen«, erinnert sich Erika Schmied. Als<br />
Keller 1979 die Chefredaktion an Ferdinand Ranft abgibt und in<br />
die Position des Herausgebers wechselt, hat Merian seinen Zenit<br />
erreicht – 280 000 Aufl age, davon 180 000 Abonnenten.<br />
Jochen Karsten verließ die Redaktion 1966. Zwölf Jahre arbeitete<br />
er bei Merian als Redakteur und dann als stellvertretender<br />
Chefredakteur. Weil er als zweiter Mann keine Perspektive sieht,<br />
kündigt er, aber Kurt <strong>Ganske</strong> lässt ihn nicht ziehen. »In diesem<br />
Haus können Sie alles werden. Kommen Sie erst mal zu mir.« Jochen<br />
Karsten wird Assistent des Verlegers, eine interessante Erfahrung.<br />
Schnell lernt er den Umgang mit den Eigenheiten seines<br />
Chefs. Der Arbeitsstil des über Sechzigjährigen ist aufwändig und<br />
intensiv, gründlich und ungesund. Kurt <strong>Ganske</strong> leidet unter Bewegungsmangel,<br />
neigt zur Korpulenz, raucht eine Zigarette nach<br />
der anderen; »Lord« aus der fl achen Pappschachtel, mit Filter.<br />
162<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 162 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:47 <strong>Uhr</strong>
Vielleicht hat ihn ein Gedicht des Kabarettisten Werner Finck beeinfl<br />
usst. Es stand in einer »Lord«-Anzeige, eine halbe Seite hoch,<br />
eine der absurd schönen Hochleistungen früher Werbetexte unter<br />
dem Slogan »Rauchen mit Verstand«:<br />
Menschen, die Entspannung brauchen<br />
rauchen<br />
manchmal Pfeife, manchmal Zigarren,<br />
meistens Zigaretten,<br />
und sie betten<br />
so ihr Sein in Harmonie.<br />
Und es scheint auch klar erwiesen:<br />
Diesen<br />
Rauchern geht es um den Spaß,<br />
ungeachtet, ob die Schwaden<br />
ihnen schaden<br />
qualmen sie im Übermaß.<br />
Doch es raucht der echte Kenner,<br />
wenn er<br />
klug ist, immer nur fi ltriert.<br />
Denn dann kann er<br />
seinem schönen<br />
Laster frönen<br />
ohne dass er viel riskiert.<br />
»K.G. saß hinter den Rauchschwaden an seinem Schreibtisch«, erzählte<br />
Karsten, »und arbeitete sich systematisch durch die Stapel,<br />
die er auf mehreren Tischen verteilt hatte.« Nie suchte er die<br />
Abteilungen des Verlages auf. Doch der Unsichtbare war allgegenwärtig.<br />
»Er las alles, er kontrollierte alles, und er merkte alles.<br />
Das setzte sich in unserem Bewusstsein fest. Alle wussten: Er ist<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 163 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:48 <strong>Uhr</strong><br />
163
Heft 1, 1948 September 1969<br />
genau. Er passt auf. Er hatte eine unheimliche Begabung,<br />
Schwachstellen zu entdecken. Ich habe allerdings nie erlebt, dass<br />
er sich in den Details eines Vorgangs verlor. Ihn interessierten die<br />
Ergebnisse.«<br />
Einmal kommt er beim Lesezirkel einem Betrug auf die<br />
Spur; nach einiger Zeit hat er den Verdächtigen eingekreist, es<br />
fehlt nur der letzte, eindeutige Beweis. Er bestellt den Mann<br />
zu sich und sagt ihm auf den Kopf zu: »Sie haben mich betrogen.«<br />
– »Ja, Herr <strong>Ganske</strong>.« – »Und wo ist das Geld?« – »Verjuxt,<br />
Herr <strong>Ganske</strong>.« Eine Antwort, über die Kurt <strong>Ganske</strong> erst später<br />
lachen konnte. Jedenfalls hat ihn die Geschichte so amüsiert, dass<br />
er sie noch nach Jahren seinen Kindern erzählt.<br />
Der Zeitschriftenmarkt boomt. Die sechziger Jahre sind die<br />
Jahre der Frauenzeitschriften. Was in den fünfziger Jahren noch<br />
eine eher damenhafte Schönheitskonkurrenz war, wächst sich<br />
nun zu einem Kampf der Gigantinnen aus. Verlage werden zu<br />
Großverlagen. Es geht um Marktanteile und viel Geld. Der Ham-<br />
164<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 164 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:48 <strong>Uhr</strong>
Februar 1976 März 1979<br />
burger Constanze Verlag, in dem nicht nur die Constanze, sondern<br />
auch die Constanze-Sonderhefte, Brigitte und Schöner Wohnen<br />
erscheinen, gehört seit 1960 dem ehemaligen Sportjournalisten<br />
und Hamburger Verleger John Jahr sen. (1900–1991), der seit<br />
1950 auch fünfzigprozentiger Teilhaber der Spiegel Verlag Rudolf<br />
Augstein GmbH ist. Kaum zu glauben: Im Hause Spiegel gab<br />
es in jenen Jahren noch ein zweites, eine Art nylonbestrumpftes<br />
Spielbein: die Star-Revue. 1948 unter dem Titel Film in Oberhausen<br />
gegründet, kam das Blatt 1955 zum Spiegel Verlag, wo man<br />
vergeblich versuchte, eine konkurrenzfähige Zeitschrift mit einer<br />
Themenmischung aus Filmstars und Fernsehprogrammen auf<br />
den Markt zu bringen. Als sich John Jahr 1960 aus dem Spiegel<br />
Verlag zurückzieht, nimmt er die Star-Revue mit in den Constanze<br />
Verlag. Im Mai 1961 geht sie in Brigitte auf, ohne dort wesentliche<br />
Spuren zu hinterlassen.<br />
<strong>Ganske</strong>s Film und Frau bleibt ungeschlagen, doch verliert das<br />
Blatt seit der Umstellung auf Farbe 1956 spürbar an Glanz und<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 165 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:<strong>54</strong> <strong>Uhr</strong><br />
165
auch an Aufl age. Die Diva hat ihren Höhepunkt überschritten. Ab<br />
Heft 20/66 erscheint sie unter neuem Namen. Aus Film und Frau<br />
wird die Moderne Frau, für den Klassiker ein riskanter Richtungswechsel.<br />
Modern ist vieles, vor allem das Wort »modern«. Und als<br />
die Zeitschrift in großer Aufmachung über Ingrid Thulin berichtet,<br />
die in Ingmar Bergmans Film »Das Schweigen« eine für damalige<br />
Verhältnisse noch sehr anstößige Selbstbefriedigungs-Szene<br />
gespielt hatte, geht ein schweres Gewitter über der Redaktion nieder.<br />
So modern ist K.G. nun auch wieder nicht.<br />
Unaufhaltsam unterspült der Textilfreiheitsgedanke die Bastionen<br />
bürgerlicher Moral, wackeln Hüften beim Twist, schwingen<br />
Säume im Höhenrausch. Die Badeanstalt von Mettingen<br />
im Teutoburger Wald macht 1962 Schlagzeilen durch ihr Bikini-Verbot,<br />
die ZDF-Ansagerin Edelgard Stössel verschwindet<br />
vom Schirm, weil sie sich auf einer Pyjama-Party im Shorty fotografi<br />
eren ließ, und als Barbara McBride – heute Barbara Sie -<br />
beck – hochschwanger mit geöffneter Hose auf dem Titel von<br />
Twen erscheint, setzt es eine Anzeige beim Deutschen Presserat.<br />
Dabei trug sie einen züchtigen schwarzen Pullover. Es war kein<br />
Stückchen Haut zu sehen.<br />
Deutschlands Frauenzeitschriften setzen keine Trends, sondern<br />
folgen ihnen in gebührendem Sicherheitsabstand. John<br />
Jahrs Constanze ist ganz vorn, aber sie trägt schwer an ihrem Erfolg:<br />
Sie wird zu dick. Anzeigenkunden müssen auf Wartelisten<br />
gesetzt werden, und die Hefte sind so umfangreich, dass sie in<br />
zwei Tranchen an die Lesezirkel geliefert werden. Im September<br />
1961 stellt der Verlag die Zeitschrift von vierzehntäglichem auf<br />
wöchentliches Erscheinen um. Ein kapitaler Fehler (der trotzdem<br />
in verschiedenen Verlagshäusern immer wieder gern wiederholt<br />
wird). Weder die Leserinnen noch die Inserenten fi nden sich mit<br />
dem neuen Rhythmus zurecht. Constanze kommt in die Wechseljahre.<br />
Vor allem wechseln die Chefredakteure und die Konzepte.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong>s Für Sie profi tiert von den Problemen der<br />
166<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 166 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:58 <strong>Uhr</strong>
Konkurrentin. Seit 1959 geht es mit der Frauenzeitschrift aus<br />
dem Jahreszeiten Verlag steil bergauf. Vom vierten Quartal 1961<br />
an bleibt die Für Sie acht Jahre lang Marktführerin und verkauft<br />
weit über eine Million Exemplare – ein Traumergebnis. Und ein<br />
Bombenauftrag für eine Druckerei. Ein Zeitzeuge erinnert sich<br />
gern.<br />
Baden-Baden im Herbst 2004. Eine schlossartige Villa in elegant<br />
schwingender Parklandschaft an der Oos. Der Hausherr<br />
ist von Kunst umgeben. Frieder Burda, 1936 als zweiter von drei<br />
Söhnen des Offenburger Verlegerehepaares Franz und Aenne Burda<br />
geboren, hatte eine schwere Kindheit. »Ich war der Mittlere,<br />
wurde überall herumgeschubst, hatte einen Sprachfehler, war<br />
Legastheniker, bin in der Schule sitzen geblieben. Aber ich hatte<br />
auch gute Gene: eine praktische Intelligenz.« Der Unternehmer<br />
kann es sich leisten, in seinen Selbstäußerungen bescheiden zu<br />
sein. Er hantiert mit Milliardenbeträgen, ist im Konzern zuständig<br />
für Beteiligungen. In der Branche gilt er als Finanzgenie mit<br />
bemerkenswerter Intuition in jeder Beziehung. Die Süddeutsche<br />
Zeitung bescheinigte dem Kunstsammler »ein beinahe unheimliches<br />
Gespür für Qualität«.<br />
Als er 1962 ohne Schulabschluss nach einem vom Vater verordneten<br />
Amerika-Aufenthalt zurückkehrt, soll er im Familienbetrieb<br />
eine Aufgabe übernehmen. Sein Vater traut ihm nicht viel<br />
zu, überlässt ihm die Verantwortung für eine kleine Druckerei in<br />
Darmstadt mit hundert Mitarbeitern, die vor allem Verpackungen<br />
druckt. »Eine Klitsche«, sagt Burda. »Es gab kaum einen Markt,<br />
die Preise waren schlecht, die Unternehmen druckten ihre Verpackungen<br />
lieber selbst. Ich habe dann angefangen mit Zeitschriften.<br />
Damals gab es viele Gespräche mit K.G., auch in Hohenhaus.<br />
Es ging um die Frage, ob man nicht die Freundin und die Für Sie<br />
zusammenlegen sollte.« Daraus wurde nichts. Stattdessen erhält<br />
Burda jr. den Auftrag, auf seinen Maschinen in Darmstadt die Für<br />
Sie zu drucken.<br />
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167
Heft 1, 1948 Heft 1, 1957<br />
»Wir waren schlecht gerüstet. Wir hatten nicht genug Leute.<br />
Ich bin nach Griechenland gereist, habe von dort Fremdarbeiter<br />
geholt. So ein Auftrag bedeutet mehr, als Papier zu bedrucken,<br />
falzen, kleben, binden. Eine Riesenaufgabe. Und ich war alles:<br />
Bilanzbuchhalter, Verkäufer, Headhunter; es gab nichts, was ich<br />
nicht gemacht habe. K.G. stand immer hinter mir. Er sah: Da ist<br />
ein junger Mann, der etwas tut, was eigentlich über seine Kräfte<br />
geht, der vieles lernen muss. Manchmal war es fast das Ende. Wir<br />
hatten Reklamationen, die uns in den Abgrund geführt hätten,<br />
Druckreklamationen, Anzeigenreklamationen. Damals wurde<br />
noch jede Anzeige an der Maschine abgenommen. Und wehe, es<br />
stimmten die Passer nicht oder die Farbe. Das konnte sehr teuer<br />
werden. K.G. hat immer zu mir gehalten, hat mir geholfen, hat<br />
auch mal eine Reklamation bezahlt, obwohl laut Vertrag wir hätten<br />
zahlen müssen. Ich hatte für den Auftrag neue Maschinen gekauft,<br />
hatte Kredite aufgenommen. Ohne die Für Sie wäre die Druckerei<br />
eine Klitsche geblieben.« Nach vier Jahren leitet Frieder Burda ein<br />
168<br />
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Heft 23, 1971 Heft 2, 1979<br />
Erfolgsunternehmen, mit moderns ten Maschinen und über achthundert<br />
Mitarbeitern. Trotzdem geht der lukrative Auftrag 1968<br />
verloren, als Folge eines Tauschgeschäfts. Schuld ist Petra.<br />
Der Boom der Frauenblätter ließ John Jahr nicht ruhen. Mit<br />
einer Startaufl age von 600 000 Exemplaren erscheint 1964 in seinem<br />
Constanze Verlag Petra – Die Frauenzeitschrift ohnegleichen, ein<br />
neuer Typ Monatsmagazin, der mit nie da gewesenem Aufwand<br />
an strategischen Voruntersuchungen, intensiver Marktforschung<br />
und teurer Werbung in den Markt gedrückt wird. Erfunden hatte<br />
das Blatt John Jahrs alter Freund Hans Huffzky (1913–1978),<br />
der als Argument für Petra zwei unwiderlegbare Zahlen ins Feld<br />
führte: »Acht Millionen Frauen lesen Frauenzeitschriften, vierzehn<br />
Millionen nicht.« Die wollte er haben. Huffzky war eine der<br />
profi liertesten und schillerndsten Persönlichkeiten unter den<br />
Blattmachern der Nachkriegszeit. Sein Handwerk lernte er Ende<br />
der zwanziger Jahre als Anzeigenmann bei der kommunistischen<br />
Arbeiter-Illustrierten, 1938 wurde er Chefredakteur der von John<br />
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Jahr gegründeten Jungen Dame, nach dem Krieg entwickelte er<br />
Brigitte, lenkte als Chefredakteur die von John Jahr gegründete<br />
Constanze und stieg nun auf zum »Direktor der Redaktion« bei<br />
Petra, in der auch das Constanze Mode-Sonderheft aufgegangen war.<br />
Die Titelseite zeigte kein Gesicht, kein Model und keine Klamotte,<br />
sondern moderne Typographie auf weißem Grund und eine<br />
Rosenblüte. Einen Roman gab es auch im Heft – auf rosa Papier.<br />
Doch der erwartete Erfolg bleibt aus. Die Rose welkt dahin, die<br />
erste Begeisterung schwindet ebenso wie die Anzeigen.<br />
Man verhandelt in Hamburg und Hohenhaus. Kurt <strong>Ganske</strong>,<br />
John Jahr und Richard Gruner einigen sich auf einen Deal: 1969<br />
wechselt Petra zum Jahreszeiten Verlag, dafür geht der lukrative<br />
Druckauftrag für die Für Sie an Gruner nach Itzehoe – für Frieder<br />
Burda ein herber Verlust. Für die Petra bedeutet der Wechsel zum<br />
Jahreszeiten Verlag auch ein Wechsel im Konzept. Verantwortlich<br />
dafür ist Michael <strong>Ganske</strong>.<br />
Seit 1964 hat Kurt <strong>Ganske</strong> seinem ältesten Sohn im Unternehmen<br />
Verantwortung übergeben. Er setzt den inzwischen 25-Jährigen<br />
als Verlagsleiter ein und übergibt ihm den Direktionsbereich<br />
»Redaktionen«. Michael <strong>Ganske</strong> macht sich mit Verve an die Arbeit.<br />
Sein freundliches, offenes Naturell kommt ihm zugute, der<br />
Umgang mit den Chefredakteuren ist freundschaftlich kollegial,<br />
ihm liegt die redaktionelle Arbeit, das Entwickeln und Umsetzen<br />
von Themen und Konzepten. Er ist aber, nach eigener Einschätzung,<br />
kein Zahlenmensch. Sein Vater lässt ihn machen, auch die<br />
Fehler, aus denen er lernen kann. »In meiner Laufbahn habe ich<br />
einen Riesenbockmist gemacht«, resümiert Michael <strong>Ganske</strong>, »das<br />
war die Zusammenlegung von Petra und Film und Frau. Das Flair<br />
von Film und Frau war weg. Unwiederbringlich.« Dafür bekommt<br />
Petra ein neues Profi l: anspruchsvolle Unterhaltung für jüngere<br />
Leserinnen. Das Konzept greift, Petra setzt sich im Feld der monatlich<br />
erscheinenden Frauenzeitschriften durch und ist 2004 die<br />
meistgelesene monatliche Frauenzeitschrift in Deutschland.<br />
170<br />
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Februar 1967 Januar 1979<br />
»1969 ist das Jahr der großen Marktbereinigung«, registriert die<br />
Kommunikationswissenschaftlerin Silvia Lott-Almstadt. Rund zwei<br />
Dutzend Frauenzeitschriften verkaufen laut IVW – der »Informationsgemeinschaft<br />
zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern«,<br />
die in Deutschland die Aufl agen der Printmedien registriert<br />
– 11,5 Millionen Exemplare. Noch liegt die Für Sie um<br />
80 000 Exemplare vor der Brigitte. Aber dann löst John Jahr den<br />
Constanze Verlag auf, der im Großverlag Gruner+Jahr aufgeht,<br />
und legt Constanze mit Brigitte zusammen. Nun belegt Brigitte in<br />
Deutschland den ersten Platz, den sie bis heute verteidigt.<br />
Auch der Jahreszeiten Verlag hat in den sechziger Jahren zugelegt.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> ist ein vorsichtiger Entwickler. Wo er seiner<br />
Sache nicht sicher ist, benutzt er das beste aller Marktforschungsinstrumente:<br />
den Markt selbst. »Seine Redaktionen haben Zeitschriften<br />
zusammengebastelt und mit Bordmitteln in den Markt<br />
gebracht«, berichtet Erika Schmied. Das war nicht unbedingt die<br />
billigste aller Methoden, aber immer noch besser als ein Werbe-<br />
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171
1957, Sonderheft<br />
»Film und Frau«<br />
feldzug, der am Markt vorbeizielt, oder der kräftezehrende Frust<br />
jahrelang angeschobener, stolz präsentierter und im Spießrutenlauf<br />
der Bedenkenträger zerredeter Geheimprojekte.<br />
Doch der Markt ist launisch, Erfolg eine Schimäre, und eine<br />
Marktlücke kann auch ein Abgrund sein. Der Verleger Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> ist kein Dynamiker, sondern ein umsichtiger Planer.<br />
Sinnleeres Entertainment ist seine Sache nicht. Seine Frauenzeitschriften<br />
folgen einer Leitlinie: Sie müssen sinnvoll sein,<br />
Lebenshilfe und Orientierung geben, Antworten auf alltägliche<br />
Fragen geben können. Seine Erfahrungen mit dem Lesezirkel<br />
sind Kapital, das sich verzinst, Erkenntnisse aus der Praxis, die<br />
zuverlässiger sind als akademische Marketingstudien. Er spürt<br />
nicht die Bedürfnisse seiner Leserinnen, er kennt sie. 1967 gründet<br />
er die Zeitschrift Zuhause (heute Zuhause Wohnen), im Jahr<br />
darauf startet Architektur und kultiviertes Wohnen, hervorgegangen<br />
aus Film und Frau, wo schon seit 1957 ein Sonderheft über<br />
172<br />
2. Halbjahr 1968<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 172 <strong>01.11.2005</strong> 15:03:42 <strong>Uhr</strong>
1. Halbjahr 1971 September 1978<br />
Architektur und Wohnkultur erschienen war. Nun steht es auf eigenen<br />
Füßen. Das Heft erscheint zweimal im Jahr und wird 1971<br />
in Architektur & Wohnen umbenannt. Der »Klassiker unter den<br />
hochwertigen Wohn- und Lifestyle-Zeitschriften in Deutschland«,<br />
so die Verlagswerbung, bahnt sich – eine typische <strong>Ganske</strong>-Strategie<br />
– in langsamen Schritten seinen Weg. Ab 1977 erscheint der<br />
Titel dreimal, ab 1978 viermal im Jahr. Seit 1985 erscheint das<br />
Magazin alle zwei Monate.<br />
Die Entwicklung dieser Zeitschrift liegt in Händen von Christa<br />
von Hantelmann. Kurt <strong>Ganske</strong> hatte ihr die Aufgabe mit den Worten<br />
anvertraut: »Suchen Sie sich aus, wo Sie arbeiten wollen.« Es<br />
war ein Moment tiefer Erschütterung. Alle Zeitzeugen berichten<br />
einmütig, dass Kurt <strong>Ganske</strong> wohl nichts so sehr getroffen habe wie<br />
der frühe Tod seines Freundes und Vertrauten Albrecht Bürkle,<br />
der am 15. April 1963 47-jährig seinem vierten Herzinfarkt erlag<br />
und seine junge Frau mit zwei kleinen Kindern zurückließ.<br />
»Ich erinnere Kurt <strong>Ganske</strong> als väterlichen, sozial denkenden<br />
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173
Unternehmer«, berichtet Christa von Hantelmann. Sie trägt den<br />
Namen ihres zweiten Mannes, mit dem sie zwei Kinder hat. »Alle<br />
vier Kinder haben Abitur, drei haben studiert, zwei promoviert«,<br />
sagt sie nicht ohne Stolz. Sie hat aber auch Architektur und kultiviertes<br />
Wohnen großgezogen, ein Wohnjournal von bekennender<br />
Noblesse, das es in dieser Art nicht gab. Ihr persönlicher Stil prägt<br />
auch die zweite Entwicklung, die sie 1988 in den Markt bringen<br />
wird: Country, ein exklusiver Titel, den Ralph Lauren einmal »die<br />
eleganteste Zeitschrift in Deutschland« nannte.<br />
Die Presselandschaft der sechziger Jahre bringt viele Talente<br />
hervor. Einige kann Kurt <strong>Ganske</strong> in seinem Haus versammeln.<br />
Eine Chance aber hat er nicht ergriffen.<br />
Hausbesuch in München-Schwabing. »Kurt <strong>Ganske</strong> war der<br />
einzige Großverleger, für den ich nicht gearbeitet habe«, erzählt<br />
Adolf Theobald, Branchenname Theo, »aber ich schätzte ihn sehr.<br />
Er hat sein Unternehmen mit großem Geschick geführt und sich<br />
immer sehr anständig verhalten. Ein Gentleman.« Der 74-jährige<br />
Blattmacher ist gut gelaunt; gerade hat er zum ersten Mal seinen<br />
Schachcomputer besiegt. Die Spielzüge seines Lebens sind immer<br />
unkonventionell und überraschend gewesen. Der Journalist und<br />
Zeitschriftenerfi nder vom Jahrgang 1930 wollte eigentlich Pianist<br />
werden. »Die aktive Beschäftigung mit Musik ist ein intellektuelles<br />
Training, das ich nur empfehlen kann; es schult die geistigen<br />
Fähigkeiten wie kein anderes Fach, und das Sensorium. Wenn<br />
man lernt, einen Ton auf einem Klavier in zwanzig Stärken zu<br />
spielen, bekommt man ein Verhältnis zum Sublimen, man wird<br />
offener für Nuancen. Ich bin überzeugt, dass mein Sensorium für<br />
Zeitschriften weniger entwickelt gewesen wäre, wenn ich nicht<br />
durch diese Schule gegangen wäre.«<br />
Aus dem Studium des Klaviers wird wegen einer Muskelschwäche<br />
dann doch Betriebswirtschaft. Der Student jobbt als Bote beim<br />
Rheinischen Merkur, bringt als freier Mitarbeiter Manuskripte von<br />
der Redaktion in Köln zur Druckerei nach Koblenz. »Meine<br />
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Laufbahn entspricht dem Traum einer Karriere: vom Boten zum<br />
Aufsichtsrat. Was mir allerdings fehlt, ist das Verhältnis zum Geld.<br />
Es hat mich nie richtig interessiert. Ich habe ein Gespür für den<br />
Markt.« Dieses Gespür und ein gesundes Maß an Selbstvertrauen<br />
bringen ihn für eine Stunde mit Kurt <strong>Ganske</strong> zusammen, und es<br />
ist nicht die Stunde des Verlegers. Dabei hätten sie sich eigentlich<br />
gut verstehen müssen.<br />
1961 gründet Theo die inzwischen legendäre Zeitgeistzeitschrift<br />
Twen, mit der Hilfe des Artdirectors Willy Fleckhaus und<br />
des Kölner Verlegers Alfred Neven DuMont. »Neven sagte: ›Gebt<br />
mir eure Anzeigenaufträge, egal wie viel es ist, wir übernehmen<br />
Druck und Vertrieb.‹ Das war gentlemanlike. Und wenn’s mal<br />
nicht so geklappt hat mit den Anzeigen, sagte er: ›Macht weiter.<br />
Wir drucken es.‹« Als er selbst kein Twen mehr ist, verkauft Theo<br />
das Magazin an Kindler und Schiermeier und hat dadurch genug<br />
Geld zusammen für seine nächste Entwicklung, die er wieder auf<br />
eigene Faust und mit Bordmitteln auf den Markt bringt. »1965<br />
suchte ich einen Teilhaber für meine neu gegründete Zeitschrift<br />
Capital. Ich war mir meiner Sache sicher. Ich hatte eine gute Position.<br />
Die Aufl age betrug 25 000, der Copypreis zehn Mark.« Das<br />
monatlich erscheinende Wirtschaftsmagazin macht nicht gerade<br />
Furore, aber in Fachkreisen erweckt es Aufmerksamkeit.<br />
Zehn Mark sind zu viel. Theo muss den Preis auf fünf, dann<br />
auf drei Mark zurücknehmen, die Aufl age geht allmählich hoch.<br />
»Aber mir war immer klar, dass man so etwas nicht aus der Küche<br />
raus auf den Markt bringen kann. Es geht nicht ohne Kapital. Ich<br />
hatte mich in Unkosten gestürzt und einen Wirtschaftsprüfer engagiert,<br />
der ein Gutachten erstellt hatte. Ich fühlte mich gut gerüstet.<br />
Ich konnte wählen, mit wem ich die Sache machen wollte.<br />
Ich war schon beim Handelsblatt, bei der Süddeutschen Zeitung und<br />
bei Springer gewesen. Nun traf ich also Kurt <strong>Ganske</strong>. Aber ich<br />
weiß nicht, ob er wirklich Interesse hatte. Ich glaube, die treibende<br />
Kraft war sein Geschäftsführer Rainer Ulrich, der ihm riet, sich<br />
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September 1970 August 1972<br />
das Ganze mal anzusehen. Wir verabredeten uns in Köln, in der<br />
Halle des Excelsior Hotel Ernst. Er ließ mich anderthalb Stunden<br />
warten. Dann kam er und entschuldigte sich. Ich hatte den Eindruck,<br />
es ging ihm nicht gut. Seine Hände zitterten. Wir haben<br />
dann nur über Zahlen gesprochen. Er blickte immer wieder in<br />
die Unterlagen, stellte Fragen, aber ich spürte: Er war an dem<br />
Thema nicht journalistisch interessiert.«<br />
Man geht auseinander. Theo zieht weiter. »Schließlich landete<br />
ich bei John Jahr. Ich holte meine Zahlen heraus, aber Jahr lachte<br />
nur: ›Die lassen Sie man in der Tasche. Die stimmen sowieso nicht.‹<br />
Er wollte mich und nicht die Zahlen. Das gab den Ausschlag. Bei<br />
John Jahr ging die Aufl age dann ziemlich schnell nach oben. Capital<br />
machte 30 Millionen Mark Gewinn, die Rendite betrug zwanzig<br />
Prozent, eine Cash Cow des Unternehmens Gruner+ Jahr.«<br />
Theobald leitet das Blatt zehn Jahre, geht in den Vorstand des Unternehmens,<br />
wechselt in die Schweiz, gründet mit Horst Stern die<br />
Zeitschrift Natur, wird dann, wieder bei Gruner+ Jahr, Chefredak-<br />
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März 1974 Mai 1979<br />
teur von Geo, wechselt als Geschäftsführer zum Spiegel und führt bei<br />
der Zeit die Geschäfte. Kurt <strong>Ganske</strong> hat im vertraulichen Gespräch<br />
den Fehler eingestanden, die Chance, diesen Mann zu engagieren,<br />
nicht ergriffen zu haben.<br />
Er baut sein Unternehmen aus. Lange schon plant er, ein Gesundheitsmagazin<br />
herauszubringen. Seine Erfahrung ist: Von allen<br />
Themen, die Leserinnen bewegen, sind es vor allem Fragen<br />
zur Gesundheit, die immer wieder gestellt werden. Daran hat sich<br />
seit den zwanziger Jahren nichts geändert, eine verläss liche Konstante.<br />
1970 bringt er die Monatszeitschrift Vital im Jahreszeiten<br />
Verlag heraus, die heute, im Zeitalter der Fitnesswelle und galoppierender<br />
Wellness, weit über eine Viertelmillion Hefte verkauft,<br />
zu den erfolgreichsten Monatstiteln unter den Frauenzeitschriften<br />
zählt und unter den monatlichen Gesundheitsmagazinen die<br />
Marktführerschaft hält.<br />
Trotz aller Vorsicht bleibt Kurt <strong>Ganske</strong> von Misserfolgen jedoch<br />
nicht verschont. 1971 startet er ein Wissenschaftsmagazin.<br />
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Geplant war es als monothematisches Monatsheft, das zunächst<br />
Akut heißen sollte. Nach den Vorstellungen des Wissenschaftspublizisten<br />
Hoimar von Ditfurth sollte jedes Heft jeweils ein Wissenschaftsthema<br />
anschaulich behandeln und in allen Facetten<br />
ausleuchten. Aber Rüdiger Hildebrandt, als Verlagsleiter bei<br />
Hoffmann und Campe fürs Kaufmännische zuständig, veränderte<br />
das Konzept und machte aus dem Blatt eine Art Spiegel für Wissenschaftsthemen.<br />
Der Markt äußerte ein klares Nein. Schon bald<br />
nach seinem Entstehen musste das Blatt wieder eingestellt werden.<br />
Mit einer anspruchsvollen Wissenschaftszeitschrift in Deutschland<br />
kommt Kurt <strong>Ganske</strong> offenbar drei Jahrzehnte zu früh.<br />
Er ist 70 Jahre alt, als er Jochen Karsten den Auftrag gibt, eine<br />
neue Zeitschrift zu entwickeln. Einen Titel gibt es schon: Der Feinschmecker.<br />
Er hat ihn vom Arne Verlag des Kochbuchautors Arne<br />
Krüger erworben. Jochen Karsten macht sich an die Arbeit und<br />
legt drei Wochen später das Konzept für eine Gourmet-Zeitschrift<br />
vor. Unterhaltend und kritisch soll sie sein, mit einer genießerischen<br />
Balance aus kulinarischen Reisethemen, Hotel- und Restauranttests,<br />
Porträts von Meisterköchen und ihren geheimen Rezepten.<br />
Er dachte an Reportagen über Weingüter und Weinregionen,<br />
plante Vergleichstests der besten Weine als Blindverkostungen<br />
ohne Ansehen von Herkunft und Preis. Produkte rund um das<br />
Thema sollten vorgestellt werden, Ideen für Küche und Lebensart.<br />
Michael <strong>Ganske</strong> war auf seiner Seite.<br />
Doch im Verlag bauen sich Widerstände auf. Eine ganze Riege<br />
von hochkarätigen Verlagsmanagern macht Front gegen das Projekt<br />
und erklärt, warum man dieses Risiko nicht eingehen dürfe,<br />
warum es nicht funktionieren könne und was außerdem noch<br />
dagegen spreche. Als hätten sie sich verschworen. Der Verleger<br />
sitzt dabei und schweigt. Die Manager reden sich heiß, begraben<br />
das Projekt unter Einwänden, treten es in destruktiver Emphase<br />
in die Tonne. Karsten ist deprimiert. War alles umsonst? Endlich<br />
kommt vom Verleger das erlösende: »Mir gefällt’s.« Im Hinaus-<br />
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Januar 1975 April 1978<br />
gehen raunt er: »Das Konzept ist gut. Jetzt müssen Sie nur noch<br />
einen Chefredakteur suchen.« Karsten strahlt: »Der steht vor<br />
Ihnen.« Der Verleger blickt ihn kurz an. »Dann machen Sie’s.«<br />
So entsteht Der Feinschmecker. Die Erstausgabe erscheint mit dem<br />
Untertitel »Tafelfreuden international« in einer Startaufl age von<br />
100 000 Exemplaren. Es folgen die haustypischen Trippelschritte,<br />
eine lange Testphase mit vier Ausgaben im Jahr, 1986 wird die Frequenz<br />
auf sechs erhöht, ab 1989 erscheint das Blatt monatlich.<br />
Jochen Karsten leitet das Blatt vierzehn Jahre, gewinnt Wolfram<br />
Siebeck und Horst-Dieter Ebert als Kolumnisten. Letzterer<br />
tritt 1989 seine Nachfolge als Chefredakteur an. Über die ideale<br />
Zielgruppe hatte sich Karsten nie viele Gedanken gemacht. Er<br />
hatte einen Menschen vor Augen, der gern isst und trinkt, einen<br />
erfahrenen, kritischen wie begeisterungsfähigen Genießer mit<br />
gutem Einkommen, der gern liest und der gern reist, der Erfahrungen<br />
hat mit der Haute Cuisine, aber auch bodenständige<br />
Küche mag. Ein profunder Weinkenner sollte er sein, der die edelsten<br />
Gewächse des Bordelais ebenso zu schätzen weiß wie einen<br />
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sauber gemachten Riesling zum Abholpreis, eine Persönlichkeit,<br />
die offen ist für neue Erlebnisse, die gar nicht genug erfahren<br />
kann über die Vielfalt guter Whiskys oder feiner Obstbrände,<br />
jemand, der gern mal eine gute Zigarre raucht. Jochen Karsten<br />
hatte seinen idealen Leser ständig vor Augen: Kurt <strong>Ganske</strong>. Schön<br />
wäre es allerdings gewesen, wenn diese real exis tierende Idealfi<br />
gur eines Feinschmecker-Lesers auch selbst hätte kochen können.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> wusste zwar, wie man in schweren Zeiten Kaninchen<br />
fängt und im Kochgeschirr am offenen Feuer zubereitet, aber mit<br />
diesen Fähigkeiten war er nicht mehr auf der Höhe der Zeit.<br />
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DICHTER UND VERLEGER<br />
Albrecht Knaus – Die »Deutschstunde« –<br />
Hoffmann und Campes große Zeit – Die »Love Story« –<br />
Willy Brandt und Willy Fleckhaus – Höhenfl üge<br />
im Grünen – Ringgauer Impressionen<br />
Eine Altbauwohnung in der Au, dem beschaulichen Stadtteil in<br />
München. Knarzendes Parkett, Bücher in Regalen, auf Tischen,<br />
in Stapeln – Bildbände, Erstausgaben, Taschenbücher, ein geistiger<br />
Raum. Das meiste Wissen aber scheint in der Person des<br />
alten Herrn versammelt, der mit einem phänomenalem Gedächtnis<br />
für Dialoge und Details, Personen und Situationen aus seinem<br />
reichen Leben erzählt. Albrecht Knaus, Jahrgang 1913, studierter<br />
Germanist, Historiker, Kunsthistoriker und Zeitungswissenschaftler,<br />
promovierte über ein Thema der bayerischen Sozialdemokratie<br />
bei Alexander von Müller. Wegen jüdischer Vorfahren blieb<br />
ihm im nationalsozialistischen System eine wissenschaftliche Laufbahn<br />
verwehrt. Sein Urgroßvater war Hermann Mendelssohn, Verleger<br />
in Leipzig. Und dessen Großvater Joseph Mendelssohn war,<br />
wie Albrecht Knaus später herausfand, Autor beim Hoffmann und<br />
Campe Verlag. Im Jahre 1839 erschien dort seine Textsammlung<br />
»Blüten«.<br />
Schon als Schüler war Albrecht Knaus ein begeisterter Leser.<br />
Zum Abitur bekam er von seiner Mutter hundert Reichsmark geschenkt.<br />
Er bezahlte davon eine Reise nach Weimar, wo 1932 der<br />
hundertste Todestag Goethes gefeiert wurde. Was für ein Erlebnis!<br />
Reichskanzler Brüning war gekommen und Elisabeth Förster-<br />
Nietzsche, die Schwester Friedrich Nietzsches, damals schon hoch<br />
in den Achtzigern – für Albrecht Knaus eine Begegnung, die er<br />
nie vergessen wird. In Weimar lernte er Thomas Mann kennen,<br />
den er schon als Pennäler verehrte. Der Schriftsteller nahm ihn<br />
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mit ins Zentrum der versammelten Prominenz und stellte ihn<br />
auch der alten Dame vor. Zurück in München lud ihn Thomas<br />
Mann zu einem Spaziergang an der Isar ein. »Er sprach über<br />
die drohende Katastrophe, in die Deutschland durch den Nationalsozialismus<br />
schliddern würde, schlug immer wieder erregt<br />
mit seinem Bambusstock auf den Boden. Im Grunde wiederholte<br />
er, was er schon 1917 in der Frankfurter Zeitung geschrieben hatte:<br />
Die Niederlage würde den Nationalsozialismus zu furchtbarer<br />
Macht erharten lassen – der ›Wiederherstellungskrieg‹ wäre nur<br />
eine Frage der Zeit.«<br />
Abrecht Knaus kommt als Volontär bei Paul Hugendubel, Verlag<br />
und Sortiment, in München unter und bewirbt sich 1939 bei<br />
dem Verleger Reinhard Piper, der den jungen Mann anscheinend<br />
gut gebrauchen kann. Doch das Glück währt nur kurz. Knaus<br />
muss an die Front. Im Frühjahr 1945 geht er wieder zu Piper, wird<br />
Lektor und Hersteller, dann Verlagsleiter. Nach zehn Jahren folgt<br />
er einem Angebot von Scherz und Goverts und geht später zu<br />
Ullstein/Propyläen.<br />
Das Angebot aus Hamburg kommt 1965. »K.G. suchte einen<br />
neuen Verlagsleiter. Das Treffen war für einen Samstagnachmittag,<br />
drei <strong>Uhr</strong>, vereinbart und sollte eine Stunde dauern. Es wurden<br />
vier Stunden daraus. Vier Stunden! Das wurde so schnell keinem<br />
anderen Sterblichen zuteil. Albrecht Knaus wird als Programmchef<br />
eingestellt und macht sich an die Arbeit. »K.G. saß im Haus<br />
nebenan. Ich habe ihn nie bei uns gesehen. Das Interesse, einfach<br />
mal vorbeizukommen und zu sehen, was machen die denn so?<br />
Das gab es nicht bei ihm. Nie! Er lebte in selbst gewählter Distanz,<br />
zurückgezogen in seiner Raubritterburg, wie das Haus gelegentlich<br />
genannt wurde. Sein Zimmer war sein Arkanum. Ich habe<br />
ihn nie am Schreibtisch erlebt. Wenn er mit uns sprach, dann<br />
immer in einem Besprechungszimmer. Wir hatten allerdings privat<br />
etwas Kontakt. Ich erinnere noch, wie er und seine Frau bei<br />
uns in Othmarschen zum Essen waren. Er war unruhig, stand auf<br />
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und führte ein paar Telefonate nebenan. Es war 1969, der Tag, an<br />
dem die Große Koalition geschmiedet wurde. Anscheinend hatte<br />
er mit dem Rheinischen Merkur gesprochen, um zu erfahren, wie<br />
die Zeitung, die ihm damals noch gehörte, sich dazu stellte.«<br />
In fi nanziellen Fragen herrschten klare Verhältnisse: »Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> war wohlhabend und deshalb sparsam. Nur Leute, die<br />
kein Geld haben, schmeißen es zum Fenster raus! Sein Motto<br />
war: ›Nicht aufgeben!‹ So hat er gegen alle Widerstände Merian<br />
durchgesetzt. Und so hat er im Prinzip immer gehandelt.« Für<br />
Männer wie Albrecht Knaus ist das Prinzip der langen Leine der<br />
ideale Führungsstil. »Ich hatte viele Freiheiten und konnte einiges<br />
machen, wo andere schrien: Um Gottes willen, das haben wir<br />
noch nie gemacht! K.G. musste ich nie fragen, aber Rüdiger Hildebrandt.«<br />
Mit dem selbstbewussten Verlagsleiter fürs Kaufmännische<br />
verbindet ihn eine produktive und manchmal auch streitbare<br />
Zusammenarbeit. »Wenn zwei gemeinschaftlich arbeiten, gibt<br />
es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie raufen sich zusammen,<br />
oder einer bringt den anderen um.« Das Team rauft mit Erfolg.<br />
Intuitiv greift Knaus nach Stoffen, die riskant erscheinen. Zum<br />
Beispiel Yigael Yadins »Masada«. Obwohl der Autor C. W. Ceram<br />
sich bei Heinrich Maria Ledig-Rowohlt leidenschaftlich für das<br />
Werk eingesetzt hatte, lehnte dieser es ab.<br />
»Als Ceram mir von dem Stoff erzählte, habe ich die Ohren<br />
aufgestellt. Es war eine Geschichte aus dem ersten Jahrhundert<br />
nach Christus, die Tragödie der Juden in der Burg des Herodes,<br />
die sich lieber als freie Menschen vom Felsen stürzten, als sich von<br />
den Römern unterjochen zu lassen. Warum sollte sie nicht in dem<br />
Verlag herauskommen, der auch Merian herausbrachte? Das Buch<br />
erschien wenige Monate vor dem Sechs-Tage-Krieg und bekam<br />
dadurch natürlich eine besondere Aktualität. Es lief wie die Feuerwehr.<br />
Zu meiner großen Überraschung rief mich sogar Ledig-<br />
Rowohlt an. ›Gratuliere! Respekt!‹ Das Einzige, was schmerzlich<br />
war: Im Dezember hatten wir keine Vorräte mehr. Hildebrandt<br />
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hatte nicht nachgedruckt. Wir saßen da ohne ein Exemplar und<br />
hätten im Weihnachtsgeschäft Tausende verkaufen können. Damals<br />
war Papier immer wieder einmal knapp. Man musste lange<br />
vorher bestellen, und es war eine Affäre von Wochen, bis die<br />
Nachaufl age kam. Für mich hatte ›Masada‹ noch eine besondere<br />
Bedeutung. Mit diesem Buch bezeugte ich mein Interesse am Judentum<br />
und seiner Geschichte, eine Verbindung, die sich später<br />
oft in Zusammenarbeit mit dem Verleger Sir Arthur George Weidenfeld<br />
niederschlug. Von ihm habe ich dann auch Golda Meirs<br />
Autobiografi e ›Mein Leben‹ bekommen.«<br />
»Man muss alt werden, dann erlebt man was«, sinniert Knaus.<br />
Die Reihe der Campe-Klassiker, 1956 zum hundertsten Todestag<br />
Heinrich Heines gestartet und eine Liebhaberei des Verlegers, bot<br />
bereits die Werke von Goethe, Schiller, Shakespeare, Hebbel, Lessing,<br />
Mörike und Novalis. Knaus brachte die Werke Tiecks heraus<br />
und Ibsen in neuer Übersetzung, eine schöne Reihe gewissenhaft<br />
ausgewählter Textausgaben zur Einführung in die Literatur. Dazu<br />
zählte für Knaus auch das Werk eines bis heute noch gefl issentlich<br />
unterschätzten Dichters: 1971 erschien eine einbändige Ausgabe<br />
mit den Dramen Richard Wagners. Die letzte Ausgabe seiner<br />
dramatischen Werke lag annähernd fünfzig Jahre zurück. Knaus<br />
konnte Joachim Kaiser für eine Einführung gewinnen. Es folgte<br />
die auf sechzehn Bände angelegte historisch-kritische Gesamtausgabe<br />
der Werke Heinrich Heines in Konkurrenz zur Weimarer Heine-Ausgabe<br />
– ein Jahrhundertvorhaben, herausgegeben von dem<br />
Düsseldorfer Germanisten Manfred Windfuhr und einem Kreis<br />
namhafter Wissenschaftler, fl ankiert durch eine Serie von Heine-<br />
Studien und vom Heine-Jahrbuch. So wurde der angestammte<br />
Verlag des Dichters zu einem Forum moderner Heine-Forschung,<br />
für Albrecht Knaus aber auch begleitet von einer irritierenden<br />
Erfahrung. »Es war die Zeit, als ausgerechnet in Düsseldorf darum<br />
gekämpft wurde, ob die Stadt ihrer Universität den Namen ›Heinrich-Heine-Universität‹<br />
geben sollte. Die Widerstände dagegen<br />
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waren permanent. Ich sage es nicht gern, aber wir Deutschen sind<br />
ein Spießer-Volk. Mit Juden ist es noch immer so eine Sache.«<br />
1968 erlebt der Hoffmann und Campe Verlag einen Höhepunkt<br />
seiner 158-jährigen Historie. Mit seinem Roman »Deutschstunde«<br />
gelingt Siegfried Lenz der Durchbruch. Die Geschichte<br />
vom Polizistensohn Siggi Jepsen, der in der Jugendhaftanstalt<br />
einen Aufsatz über »die Freuden der Pfl icht« schreiben soll und<br />
ein leeres Heft abgibt, führt zurück ins Jahr 1943 und zeigt in der<br />
Rückblende den Konfl ikt zweier Jugendfreunde – des Dorfpolizisten<br />
Jens Ole Jepsen, Vater des Inhaftierten, und des Malers Max<br />
Ludwig Nansen, unschwer erkennbar ein literarisches Porträt<br />
Emil Noldes, der wegen seiner »entarteten Kunst« Malverbot erhielt.<br />
Die »Deutschstunde« erzählt, wie es sich Jepsen zur Pfl icht<br />
macht, dieses Malverbot zu überwachen; eine packend und eindringlich<br />
gestaltete Auseinandersetzung mit unserer anscheinend<br />
ererbten, unerschütterlichen Autoritätshörigkeit. Die »Deutschstunde«<br />
zählt zu den Meisterwerken deutscher Nachkriegsliteratur<br />
und wird in sechsundzwanzig Sprachen übersetzt.<br />
Siegfried Lenz wird der wichtigste Autor des Verlages, in dem<br />
alle seine sechzehn Romane, über hundert Erzählungen, zahlreiche<br />
Hörspiele und Essays sowie vier Theaterstücke erschienen.<br />
Unter den Bestsellern der Ära Kurt <strong>Ganske</strong> fi nden sich von Siegfried<br />
Lenz: »So zärtlich war Suleyken« (1955), das allein als Taschenbuch<br />
einen Millionenerfolg erzielte, »Das Feuerschiff (1960),<br />
»Die Deutschstunde« (1968) und »Heimatmuseum« (1978).<br />
Zwei Bücher hebt Knaus besonders hervor; eine Erzählung hat<br />
als bibliophile Kostbarkeit inzwischen schon historischen Wert:<br />
»Einstein überquert die Elbe bei Hamburg« mit den eigens dafür<br />
geschaffenen Lithographien Oskar Kokoschkas. Eine Sonderstellung<br />
hat für Knaus auch die Sammlung literaturtheoretischer<br />
Abhandlungen »Beziehungen – Ansichten und Bekenntnisse zur<br />
Literatur« (1970). »Kein anderer deutscher Schriftsteller seiner<br />
Zeit hat sich so intensiv mit Dichtung beschäftigt.«<br />
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Siegfried Lenz wird mit vielen Auszeichnungen und Preisen<br />
geehrt, darunter der Gerhart-Hauptmann-Preis, der nach Jean<br />
Paul benannte Bayerische Staatspreis für Literatur, Lübecks Thomas-Mann-Preis,<br />
der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels<br />
und der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Zur Heinrich-<br />
Heine-Professur der Universität Düsseldorf kommen die Ehrendoktorwürde<br />
der Universität Erlangen-Nürnberg und der philosphischen<br />
Fakultät der Universität Hamburg sowie zahlreicher<br />
Hochschulen im Ausland. Lenz ist Ehrenbürger von Hamburg<br />
und Schleswig-Holstein.<br />
Neugierige Fragen zur Arbeitsweise beantwortet Siegfried Lenz<br />
mit nachsichtiger Geduld. Im Sommer 2004 hat der 78-Jährige<br />
wieder ein großes Projekt in Angriff genommen. Über den Stoff<br />
sagt er nichts, für sein beharrliches Erfi nden immer neuer Geschichten<br />
hat er eine einfache Erklärung: »Ich habe Huckfl eisch.<br />
So sagt man es in den Masuren.« Schreiben ist anstrengend, eine<br />
alltägliche Pfl icht, die er sich auferlegt, aber nichts, worunter er<br />
leidet. »Ich habe viele Dinge gern geschrieben. Und ich habe immer<br />
geschrieben, ohne mir ein Pensum vorzunehmen. Als Heinrich<br />
Böll sehr krank war, habe ich ihn in der Ackertalklinik besucht.<br />
Wir haben über das Handwerk geredet, und er war von einer rührenden<br />
Treuherzigkeit. ›Wie viel schreibst du am Tag?‹, wollte er<br />
wissen, und dann sagte er: ›Eine Seite am Tag, stell dir mal vor, du<br />
schaffst jeden Tag eine Seite, was du dann im Jahr schreiben könntest.<br />
Eine Seite am Tag. Das wär mein ideales Pensum.‹«<br />
Siegfried Lenz hat sein persönliches Pensum nie errechnet;<br />
jedenfalls spricht er nicht darüber. Schreibt es sich anders, wenn<br />
man älter wird? »Das Schreiben wird schwerer. Das Alter übt einen<br />
unerwünschten Einfl uss auf die Arbeit aus, verzögert, verschleppt.<br />
Die Phantasie lässt nicht nach, aber die Kombinatorik.« Hilft die<br />
Altersweisheit? Ein spöttischer Blick aus blauen Augen. »Ist das eine<br />
ernsthafte Frage? Ich hoffe, meine Irrtumsfähigkeit erhalten zu haben<br />
und die Bereitschaft, mich zu korrigieren.«<br />
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Er schreibt immer noch, wie vor siebenundfünfzig Jahren, alles<br />
mit der Hand. Seine Frau Lilo tippt es ab, korrigiert hier und da.<br />
Sie reden darüber. »Sie schreibt alles zu meiner schließlichen Zufriedenheit«,<br />
sagt er mit einem Lächeln. Er spricht über die Figuren,<br />
die sich nicht selbständig machen dürfen, über das Tagwerk<br />
des Ausdenkens. »Ich versetze mich in meine Figuren. Man muss,<br />
was man sagen will, erfi nden, auch den Pfeil, der das Ganze ins<br />
Ziel trägt. Das Bild entsteht ganz langsam aus gesammelten Sinneseindrücken.<br />
Der Maler vor der Staffelei, das Innere einer Jugendstrafanstalt<br />
oder eine Schiffsverwertung, das muss ich gründlich<br />
recherchieren. Ich brauche Realität, um sie zu bebildern.«<br />
Millionen hat er so in die Realität seiner Figuren entführt.<br />
Hoffmann und Campe, das Haus, in dem sein Werk erscheint,<br />
wächst zu einem der führenden Verlagshäuser in Deutschland.<br />
Albrecht Knaus baute das Programm aus. Die 1965 begonnene<br />
Reihe launiger Porträts regionaler Eigenarten »Deutschland, deine<br />
…« war mit Sachsen und Preußen ganz moderat gestartet. Mit<br />
»Deutschland, deine Schwaben« von Thaddäus Troll gelang dem<br />
Verlag ein geradezu ungestümer Verkaufsschlager, der sich als<br />
Dauerbrenner erweisen sollte. Doch die Heiterkeit der Provinz<br />
ist nur eine von vielen Facetten im Programm.<br />
»Die Verlegerei ist ein Geschäft mit eigenen Gesetzen: Nase ist<br />
wichtig, Einfälle, Initiative und nicht zuletzt Mut zum Risiko, aber<br />
auch gute Beziehungen zu Autoren und Agenten«, fasst Knaus<br />
zusammen. Erfolg lässt sich nicht planen, und die berühmte Werbung<br />
nützt gar nichts.« Knaus zitiert gern seinen unvergessenen<br />
Lehrmeister Reinhard Piper: »Werbung lohnt nur für Bücher, die<br />
von selber geh’n.«<br />
Warum nun manche Bücher gehen und andere nicht, bleibt<br />
ein Rätsel. Manchmal kommen Bestseller anscheinend aus<br />
dem Nichts. Erich Segal, Altphilologe an der Harvard University,<br />
schreibt eine romantisch-sentimentale Liebesgeschichte. Sie<br />
hat sich auf dem Campus zugetragen. Der Tod einer Studentin<br />
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ging ihm so nahe, dass er ihre Geschichte aufschreiben musste.<br />
Der Band war kaum 130 Druckseiten lang. Sein Verlag brachte<br />
ihn nur heraus, weil der Autor mit wissenschaftlichen Publikationen<br />
in der Kreide stand. Vielleicht ließ sich ja das Minus auf<br />
diese Weise etwas ausgleichen. Großes Zutrauen hatte er nicht.<br />
McGraw Hill druckte das Buch, zahlte aber keinen Vorschuss und<br />
machte keine Werbung. In den deutschsprachigen Ländern biss<br />
niemand an. Der Zürcher Literaturagent Paul Fritz hatte kein<br />
Glück mit dem Stoff bei deutschsprachigen Verlegern, denn<br />
Ende der sechziger Jahre wehte ein stürmischer Zeitgeist. »Es war<br />
eine schwierige Zeit fürs Erzählen«, erinnert sich Knaus, »nur das<br />
Diskursive zählte. Der Roman war tot. Wie Gott bei Nietzsche.«<br />
Es gab allerdings im Hoffmann und Campe Verlag eine kleine,<br />
durchaus beliebte Reihe, in die das Werk hätte hineinpassen können.<br />
Siegfried Lenz’ »Lehmanns Erzählungen« und »Das Feuerschiff«<br />
waren schon dort erschienen. »Ich war unschlüssig, wollte<br />
sichergehen und hatte die ›Love Story‹ unserer erfahrenen Alt-<br />
Lektorin Harriet Wegener übers Wochenende zu lesen gegeben.<br />
Am Montag fand ich zehn Zeilen, an ihre Sekretärin diktiert. Bei<br />
vernünftigem Honorar könne man es machen. Auch Hildebrandt<br />
war nicht dagegen, und so kam es zum Vertrag zu mäßigen Bedingungen.<br />
Inzwischen war Erstaunliches passiert. Erich Segal stand<br />
plötzlich auf Platz vier der New-York-Times-Liste, ohne Anzeige,<br />
ohne Rezension, und dann wochenlang auf Platz eins! Die ›Love<br />
Story‹ ging um die Welt. Allein im Jahr seines Erscheinens wurde<br />
das literarisch eher angezweifelte Produkt weltweit über zwanzig<br />
Millionen Mal verkauft.« Ein Ausreißer auch für Hoffmann und<br />
Campe – von einer Reihe konnte da keine Rede mehr sein. Der<br />
Erfolg der »Love Story« blieb in den deutschen Verlagshäusern<br />
nicht ohne Wirkung. »Der totgesagte Roman war wieder erstanden,<br />
und alle seine Verächter in den Verlagen warfen das Steuer<br />
rum«, sagt Zeitzeuge Knaus mit nachsichtigem Lächeln. Erst als<br />
das Rührstück mit Ali McGraw und Ryan O’Neal in der Haupt-<br />
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olle verfi lmt wurde und auch hier in die Kinos kam, ebbte die<br />
Woge langsam ab.<br />
Die zwölf Jahre währende Ära Knaus wird zum goldenen Zeitalter<br />
des Hoffmann und Campe Verlags. Kurt <strong>Ganske</strong> ist zufrieden;<br />
er hat einen Mann wie ihn nicht nur geholt, weil er nach Meinung<br />
seines Autors Horst Krüger den Ruf eines »Verdopplers«<br />
der verkauften Aufl age genießt, sondern weil er auch für eine<br />
ausgeglichene Balance zwischen literarischem und Sachbuch-Programm<br />
steht. Der Verlagsleiter öffnet das Programm, beschränkt<br />
sich nicht auf literarische Feinkost, sondern mischt das anspruchsvolle<br />
Angebot mit zu Herzen gehender Unterhaltung und fundierter<br />
Information. Er engagiert 1967 Michel Tournier direkt<br />
am Messestand, holt die Erzählerin Utta Danella ins Boot, die<br />
bei Hoffmann und Campe bald Millionenaufl agen erzielt, und<br />
aus New York Kurt Vonnegut mit seinem »Schlachthof 5«, einer<br />
Geschichte des Infernos vom 13. Februar 1945 in Dresden, das<br />
der Erzähler als GI miterlebt hatte. Zu einer Sensation wird Lew<br />
Kopelews aus der UdSSR herausgeschmuggelter und übersetzter<br />
Bericht über sein Leben in der Sowjetunion und in der Roten Armee,<br />
»Aufbewahren für alle Zeit«, eingeleitet von Heinrich Böll.<br />
Später wird eine Trilogie daraus.<br />
Eine besondere Gabe des Verlagsmenschen Knaus war seine<br />
Überredungskunst. Eher zufällig, durch den Tipp eines Freundes,<br />
wurde Knaus auf Hoimar von Ditfurth aufmerksam. Der studierte<br />
Mediziner, Psychologe und Naturwissenschaftler vom Jahrgang<br />
1921 war außerordentlicher Professor an der Universität Heidelberg,<br />
zeitweise auch Leiter des »Psycholabors« beim Pharmakonzern<br />
C. F. Boehringer in Mannheim und Herausgeber einer Zeitschrift<br />
n+m (Naturwissenschaft und Medizin). Bücher schrieb<br />
er nicht, aber er hatte schon einen Namen als freier Publizist für<br />
Rundfunk und Fernsehen.<br />
»Auf einer Geschäftsreise sah ich ihn zufällig im Fernsehen,<br />
und gerade weil ich von Naturwissenschaft nichts verstehe, war<br />
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ich von ihm fasziniert. Solange er sprach, habe ich alles verstanden.<br />
Ich hätte es aus dem Stegreif allerdings nicht wiedergeben<br />
können. Ich beschaffte mir einige seiner Manuskripte und heftete<br />
mich an seine Fersen. Ich ließ nicht locker, versuchte in mehreren<br />
Gesprächen, ihn zum Bücherschreiben zu verführen. Ich<br />
hatte kein Glück. Unmittelbar vor einer Reise nach Italien sagte<br />
er am Telefon: ›Sie können am Sonntag gern vorbeikommen, am<br />
Montag sind wir weg. Aber machen Sie sich keinerlei Hoffnungen.‹<br />
Wir saßen auf seiner Terrasse. Ich erinnere mich des Tages,<br />
als wäre es gestern gewesen. Die Sonne schien, seine Frau tischte<br />
eine herrliche Erdbeertorte auf. Am Abend verabschiedete ich<br />
mich mit den Verträgen für drei Bücher in der Tasche.«<br />
So erscheint 1970 bei Hoffmann und Campe »Kinder des Weltalls<br />
– Der Roman unserer Existenz«, ein Titel, der – Taschenbuchausgaben<br />
mitgerechnet – Hoimar von Ditfurth bald zum Aufl agen-<br />
Millionär werden lässt. Es folgen »Im Anfang war der Wasserstoff<br />
– Über die Evolution der Materie« (1972), »Zusammenhänge<br />
– Gedanken zu einem naturwissenschaftlichen Weltbild« (1974)<br />
und »Der Geist fi el nicht vom Himmel – Die Evolution unseres<br />
Bewußtseins« (1976).<br />
Hoffmann und Campe wird zu einer angesehenen Adresse für<br />
Sachbücher deutscher und internationaler Autoren. Von Ferdinand<br />
Lundberg erscheint »Die Reichen und die Superreichen«<br />
und von Dee Brown »Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses«,<br />
die Geschichte vom Untergang der Indianer Nordamerikas;<br />
von Gordon Thomas »Familien-Konferenz«. Ein bedeutender Autor<br />
des Verlages wurde Willy Brandt. Es begann eher prosaisch mit<br />
dem »Grundlagen-Vertrag« als Paperback, vermittelt durch den<br />
Regierungssprecher Conrad Ahlers. »Dass Brandt 1971 den Friedensnobelpreis<br />
erhielt, war für den Verlag natürlich ein Glücksfall«,<br />
räumt Knaus ein. Der Verlag hatte eine Sammlung einzelner<br />
Texte in Vorbereitung: »Der Wille zum Frieden – Perspektiven der<br />
Politik« mit einer Einleitung Golo Manns. »Nun konnten wir etwas<br />
190<br />
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Buchmesse Frankfurt 1972: Thomas <strong>Ganske</strong>, Erwin Glickes und<br />
Albrecht Knaus<br />
Besonderes bieten: die beiden Reden, die Brandt in Oslo bei der<br />
Verleihung des Nobelpreises halten würde. Es war uns gelungen,<br />
die Texte schon einige Wochen vorher zum Abdruck zu bekommen.<br />
So etwas war natürlich absolut unüblich, und wir waren zu<br />
strengster Geheimhaltung verpfl ichtet.« Zwei Tage nach der Verleihung<br />
des Nobelpreises lag der Band im Buchhandel.<br />
Persönlich lernte Knaus Willy Brandt erst nach der Vorstellung<br />
des Buches kennen. Der Autor ging strahlend auf ihn zu: »Sie<br />
sind ein Zauberer.« Die Zusammenarbeit erwies sich als fruchtbar.<br />
Nach »Über den Tag hinaus« (1974) und dem ersten Band seiner<br />
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»Aufzeichnungen und Einsichten – Die Jahre 1960 –1975« folgte<br />
1982 der Blick auf seine frühen Jahre: »Links und frei – Mein Weg<br />
1930 –1950«.<br />
Die Liste der Hoffmann-und-Campe-Autoren umfasst ein weites<br />
Spektrum. Der Lyriker Walter Helmut Fritz, erster Preisträger<br />
des 1966 von Kurt <strong>Ganske</strong> gestifteten »Heine-Talers«, veröffentlicht<br />
seither alle seine Gedichtbände und die Prosa bei Hoffmann<br />
und Campe. Herman Wouks Weltkriegs-Trilogie »War and<br />
Remembrance« setzte 1972 mit »Der Feuersturm« ein. Im gleichen<br />
Jahr erschien »Der wachsame Träumer« von John Le Carré,<br />
der damit überraschenderweise die Welt der Spione verließ.<br />
Schon 1974 kehrte er mit der Smiley-Trilogie »Dame, König, As,<br />
Spion« aber wieder dorthin zurück. 1975 kam Manfred Bielers<br />
Prag-Panorama »Der Mädchenkrieg« dazu und 1978 Arno Surminskis<br />
»Jokehnen«. Ben Witter, der ironisch-kluge Hamburger<br />
Spaziergänger, wurde für viele Jahre Stammautor und Freund des<br />
Verlags. Eine glückliche Zeit. Albrecht Knaus spricht von einer<br />
Erzähler-Renaissance, die offenbar bis heute anhält.<br />
Ein besonderes Faible des Verlegers Kurt <strong>Ganske</strong> sind schöne<br />
Bildbände. Der vielleicht schönste war »Hamburg, Merkurs eigene<br />
Stadt«. Das Bildmaterial umfasste hunderte von Aufnahmen<br />
renommierter Fotografen wie Thomas Höpker und Max Scheler.<br />
»Ich hatte mit Bildbänden keine Erfahrung«, gesteht Albrecht<br />
Knaus, »aber angesichts dieser überwältigenden Fülle, schwarzweiß<br />
und farbig, war mir klar, dass ich jemanden fi nden musste,<br />
der diese Vielfalt der Farben und Akzente in eine Symphonie<br />
verwandeln konnte. Für mich stand fest: Das konnte nur Willy<br />
Fleckhaus sein!« Die Herren trafen sich standesgemäß im großen<br />
Saal des Hamburger Rathauses, der sonst eher für festliche<br />
Anlässe geöffnet und nun von einem Riesentisch eingenommen<br />
wurde. Der Meister hatte die Bilder vor sich ausgebreitet. »Es<br />
war faszinierend, ihm zuzusehen. Er brauchte nur eine Stunde,<br />
um die Motive auszuwählen, die er in dem Buch haben wollte.«<br />
192<br />
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Zufrieden war er nicht. Aus der Sicht des Artdirectors fehlten<br />
immer noch einige wichtige Stadtansichten und Details. Knaus<br />
konnte Sven Simon, den Sohn des Verlegers Axel Springer, gewinnen,<br />
die fehlenden Motive zu fotografi eren. Er war ein begnadeter<br />
Fotograf und hatte unter seinem Pseudonym eine erfolgreiche<br />
Agentur gegründet.<br />
Unglücklicherweise fi el das Projekt in die Zeit der anbrechenden<br />
Rezession. Es stand auf der Kippe, ob es überhaupt noch realisiert<br />
werden konnte, aber schließlich kam es doch zustande, nicht<br />
zuletzt durch das Engagement des Herausgebers Henning Jess,<br />
der für die Öffentlichkeitsarbeit des Hamburger Senats verantwortlich<br />
war. Der Verlag riskierte allerdings nur eine Aufl age von<br />
4 000 Exemplaren, die sofort vergriffen war. »Einem Nachdruck<br />
stand die Angst vor der Inventur entgegen«, ein chronisches Leiden<br />
in den Verlagen, das kaufmännische Verlagsleiter vor allem<br />
zum Jahresende befällt. Zum 31. 12. sollen die Lager möglichst<br />
leer sein, weshalb die Risikofreude schon im Weihnachtsgeschäft<br />
spürbar nachlässt. »Merkurs eigene Stadt« ist heute eine gesuchte<br />
Rarität. »Wer das Buch hat, trennt sich nicht davon. Und wer darin<br />
blättert, ist erstaunt, wie zeitlos die Bildauswahl heute noch ist.«<br />
Immerhin – eine Perle aus dem versunkenen Schatz leuchtete<br />
noch eine Weile: Siegfried Lenz’ »Die Leute von Hamburg« lebte<br />
eine Zeit lang als eigene Veröffentlichung weiter.<br />
Unter Knaus wird Hoffmann und Campe Gesellschafter des<br />
Deutschen Taschenbuch Verlags. Die Ära Knaus geht zu Ende, als<br />
ein dritter Verlagsleiter geholt wird. »Wenn drei Herren das Direktorium<br />
bilden, entsteht ein Problem. Es sind nicht mehr zwei,<br />
die sich zusammenraufen, sondern nun können zwei gegen einen<br />
stehen. Ich war plötzlich ›der Alte‹«, sagt Knaus. 1978 gewann ihn<br />
die Verlagsgruppe Bertelsmann für ein reizvolles Projekt. »Ich<br />
konnte unter dem Schirm des Konzerns meinen eigenen Verlag<br />
gründen und hatte in ihm völlige Freiheit.« So kam es zum<br />
Albrecht Knaus Verlag, heute – nach sechsundzwanzig Jahren –<br />
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eins von dreiundzwanzig Unternehmen unter dem Dach von<br />
Random House.<br />
Der Verlagsgründer steht auch heute noch mit seinem Verlag<br />
in freundschaftlicher Verbindung. Er lebt zwischen seinen Bücherbergen,<br />
liest immer noch viel, das Börsenblatt des Deutschen<br />
Buchhandels sowieso, Neuerscheinungen, die ihn interessieren.<br />
»Aber manche Bücher lege ich schnell wieder weg. Meist sind<br />
es solche, von denen K.G. gesagt hätte: ›Da bin ich mit dem Motorrad<br />
durchgefahren‹ oder ›Das habe ich mit gütiger Nachsicht<br />
gelesen‹.« Seine Vorliebe gilt der großen Literatur, »immer wieder<br />
Thomas Mann und Autoren meiner Lebenszeit wie Stefan<br />
Andres oder Werner Bergengruen, die heute so gut wie nichts<br />
mehr gelten, vor allem aber Geschichte und Zeitgeschichte mit<br />
Eberhard Jäckel und Joachim Fest, Sebastian Haffner, Gitta Sereny<br />
oder Saul Friedlaender. Wenn ich auf meine Arbeit in fünfzig<br />
Jahren zurückblicke, wage ich mit dem jüdischen Sprichwort zu<br />
sagen: Ich will mich nicht berühmen, aber ich muss mich auch<br />
nicht beknirschen.«<br />
Sein Nachfolger Eberhard Böckel nimmt literarische Werke<br />
aus den Ländern Osteuropas und der DDR ins Programm und<br />
fördert junge deutsche Erzähler. Mit der Übernahme des Schweizer<br />
Reich Verlages kommen 1978 die Schriftsteller des »Prager<br />
Frühlings« ins Programm der neuen literarischen Reihe »Edition<br />
Reich«: Autoren wie Pavel Kohout, Jirˇí Gruša, Ivan Klíma, Ludvík<br />
Vaculík, Alexander Kliment und Eda Kriseová. Aus den USA kommen<br />
Leslie Epstein und Tim O’Brien (Gewinner des National<br />
Book Award 1979), aus Schweden Ingmar Bergman, aus Polen<br />
Andrzej Kusniewicz und aus Neuseeland Maurice Shadbolt.<br />
Neben Böckel baut Hans-Helmut Röhring (19<strong>40</strong>–2004), den<br />
Knaus von Piper geholt hatte, nicht nur den Zweig des Sachbuchs<br />
weiter aus. Die Fachgebiete umfassen Politologie, Soziologie und<br />
Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Geschichte. Zu den<br />
Autoren gehören Karl Popper und Kurt Sontheimer, aber Röh-<br />
194<br />
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ing baute auch Autoren auf wie Peter Sloterdijk oder Christian<br />
Graf von Krockow, heute große Namen. Später kommen Autoren<br />
wie Uwe George, Werner Nachtigall und Wolfgang Wickler hinzu<br />
sowie Gerhard Konzelmanns »Islamische Herausforderung«. Mit<br />
»Flucht und Vertreibung – Deutschland zwischen 1944 und 1947«<br />
arbeiten Frank Grube und Gerhard Richter ein bis dahin tabuisiertes<br />
Thema der jüngsten Geschichte auf. Lea Fleischmanns Erfahrungsbericht<br />
»Dies ist nicht mein Land« wird 1980 Bestseller<br />
und Longseller zugleich.<br />
Ab 1976 startet Hoffmann und Campe mit dem »Großen Buch<br />
der Windjammer« von Frank Grube und Gerhard Richter ein anspruchsvolles<br />
Programm aufwändiger Bildtextbände im Großformat.<br />
Trotz anfänglicher Skepsis ist das <strong>14</strong>8 Mark teure Werk ein<br />
Verkaufsschlager, der in drei Aufl agen über 13 000-mal verkauft<br />
wird. Zehn weitere Großbände folgen. Zu den Themen gehören<br />
Segeln, Berge, Eisenbahn, Wild und Jagd, Zirkus, Serengeti, Elefanten<br />
und Ski. Ab 1979 erscheint das von Dieter Nohlen und<br />
Franz Nuscheler edierte »Handbuch der Dritten Welt«, das sich<br />
in mehreren Ausgaben bis in die achtziger Jahre hinein verkauft.<br />
Der größte Massenerfolg aber ist »Mein Garten im Hause«, später<br />
als »Mein Garten zuhause« im Handel, ein Gartenbuch in aufwändiger<br />
Ausstattung, das in Kooperation mit einem Industriepartner<br />
zum Niedrigpreis in einer Massenaufl age von insgesamt <strong>40</strong>0 000<br />
Exemplaren über das Sortiment verkauft wird. Auch Gerd Käfers<br />
noch zu Knaus’ Zeiten inszeniertes Werk »Prima Partys, frohe Feste«<br />
hatte einen Sponsor und wurde mittels einer Vernissage in<br />
der Münchner Stuckvilla präsentiert.<br />
Doch gesponserte Bücher bleiben die Ausnahme. Der Verlag<br />
setzt weiter auf Literatur. Viele Hoffmann-und-Campe-Autoren<br />
lernen ihren Verleger nie persönlich kennen, aber zu einigen von<br />
ihnen pfl egen er und seine Frau einen sehr persönlichen Kontakt:<br />
Sie sind Gastgeber. Die Autoren kommen nach Hohenhaus zum<br />
Waldspaziergang, zum Kamingespräch an langen Abenden, das<br />
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is in die Morgenstunden dauern kann. Manche bleiben tage-,<br />
manche monatelang. »Autoren wurden ins Turmzimmer gesperrt.<br />
Wenn sie einen Termin überschritten hatten, kamen sie nicht wieder<br />
raus, ehe der Text fertig war. Allerdings wurden sie komfortabel<br />
bewirtet«, berichtet der Zeitzeuge und Vertraute des Verlegers<br />
Otto B. Roegele.<br />
Alice Ekert-Rotholz (»Reis aus Silberschalen«) ist ein häufi ger<br />
Gast, Rudolf Hagelstange (»Spielball der Götter«) fühlt sich in<br />
Hohenhaus wie zu Hause, verbringt dort sehr viel mehr Zeit als<br />
der Verleger, den er, wenn er aus Hamburg anreist, mit offenen<br />
Armen empfängt: »Guten Tag, lieber Herr <strong>Ganske</strong>! Ich begrüße<br />
Sie auf Ihren Ländereien!«<br />
»Jeder Autor wurde bei uns erst mal mit einem Glas Sekt empfangen«,<br />
erinnert Gerda <strong>Ganske</strong>. Die Hausmarke: Burgeff grün,<br />
ein Riesling-Sekt in Flaschengärung. Für die Freunde des Riesling<br />
lässt der Hausherr Carl von Schuberts Grünhäuser Abtsberg,<br />
Spätlese trocken, entkorken, später vertiefen sich die Gespräche<br />
in den besseren Lagen von Burgund und Bordelais.<br />
Im zweiten Stock des »Schlosses« von Hohenhaus gibt es acht<br />
Gästezimmer, und Gäste sind immer da; anspruchsvolle Autoren<br />
wie Hans Habe, der im weit schwingenden schwarzen Paletot mit<br />
rotem Futter erscheint und sich an Kaviar und Hummer nicht<br />
satt essen kann. Der Hamburger Verleger Axel Springer kommt<br />
zum gemeinsamen Waldspaziergang oder sein eloquenter Kollege<br />
Gerd Bucerius, der seine Gastgeber mit messerscharfen Bügelfalten<br />
in der Kamelhaarhose beeindruckt. Zu Gast sind Autoren<br />
wie Siegfried Lenz, für den es nichts Schöneres gibt, als einem<br />
selbst gefangenen Karpfen in die Augen zu sehen. »Wir liefen<br />
mit der Rute in der Hand zu einem Talgrund«, berichtet Thomas<br />
<strong>Ganske</strong>, damals vielleicht 20 Jahre alt, über seine ersten gemeinsamen<br />
Erfahrungen mit Siegfried Lenz, »und versuchten uns an<br />
verschiedenen Fischgewässern. Und dann geschah es: Den alten<br />
heimlichen Karpfen, der mir nie an die Angel gehen wollte, den<br />
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hat Siegfried Lenz rausgefi scht – wie selbstverständlich. Später<br />
hat er zugegeben, dass dieses Meisterstück in diesem Gewässer,<br />
dessen Geheimnisse nur ich zu kennen glaubte, kein Wunder<br />
war: ›Ich lernte fi schen und schwimmen, bevor ich lesen lernte.‹<br />
Das war bei mir nun mal andersherum.«<br />
Zum 65. Geburtstag Kurt <strong>Ganske</strong>s am <strong>14</strong>. Januar 1970 gratulieren<br />
Autoren und Freunde des Verlages. Briefe, Texte und<br />
Bilder werden ihm in einer Kassette überreicht. Unter den Autoren:<br />
Rose Ausländer, Carl Brinitzer (»Das <strong>Ganske</strong> ist mehr als die<br />
Summe von allen Teilen«), Paul Böckmann, Joachim Burkhardt,<br />
Heinz von Cramer, Milo Dor, Alice Ekert-Rotholz (»Freund, Verleger<br />
und Berater und von’s Janze doch der Vater«), Per Olov<br />
Enquist, Walter Helmut Fritz, Rudolf Hagelstange, Marie-Luise<br />
Herrmann, Gustav Hillard-Steinbörner, Kay Hoff, Bert Honolka,<br />
Henning Jess, Eva Kausche-Kongsbak, Rudolf Krämer- Badoni,<br />
Siegfried Lenz, Erich Lüth, Gerhard Nebel, Dinah Nelken, Heinz<br />
Piontek, Curt Riess, Gaby von Schönthan, Jean-Jacques Servan-<br />
Schreiber, Friedrich Schnack, Paul-Henri Spaak, Brigitte von Tessin,<br />
Max Tau, Michel Tournier, Thaddäus Troll, Benno von Wiese,<br />
Dieter Wildt, Peter von Zahn und Stefan Zickler.<br />
Rose Ausländer dankt Kurt <strong>Ganske</strong> für den von ihm gestifteten<br />
»Goldenen Heine-Taler«; Rudolf Hagelstange öffnet in einer ländlich-sinnlichen<br />
Ausschweifung »die Akte des Falles ›Amtmann‹.<br />
Wer ihn gekannt, ein Vorbild an Pfl ichtbewußtsein, dienstlichem<br />
Ernst, Vorbild dazu seiner Art, seines Standes […] die Früchte, an<br />
denen man ihn verkannte, sind aufgegangen in Höhe und Breite,<br />
Prozente, in die Potenz. Amtmanns Natur, die verschwenderisch<br />
großgeartete, ist lebendig, ist kraft- und saftvoll Präsenz in seinen<br />
Nachfahren.« Großes wächst still. Die Laudatio erweist sich als<br />
Porträt eines realen Zuchtbullen auf den Weiden von Hohenhaus.<br />
Das Manuskript endet: »Darum rühme ich den freien, wendigen,<br />
springlebendigen Steinbock« – das Sternzeichen Kurt <strong>Ganske</strong>s<br />
(und Rudolf Hagelstanges).<br />
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Siegfried Lenz steuert zum launigen Gemeinschaftswerk ein<br />
schönes, sehr persönliches Gedicht bei:<br />
Manchem genügt die Milch der Täler.<br />
Ein anderer umgibt sich mit den milden<br />
Chören des Rotweins. Die Jagd ist gut,<br />
wenn sie mit Fabeln endet; auch ein<br />
Waldgang, der einem den Tastsinn belebt.<br />
Das hab ich erfahren.<br />
Zufrieden bietet einer den Apfelbäumen sein<br />
Du an. Dieser zieht, erlegten Rebhühnern gleich,<br />
Erfahrungen auf eine Schnur. Wir hängen auch<br />
ab von den Möglichkeiten der anderen. Was<br />
einem zustößt, das stößt allen zu.<br />
Ich hab es erfahren.<br />
Aufmerksam soll der Tag uns fi nden und<br />
im ergiebigen Zweifel. Einer fragt: muss ich es<br />
tun?, und er tut’s. Ein anderer verteilt passende<br />
Büstenhalter an seine Kühe. Was wir versuchen,<br />
ist mitunter schon das einzig Erreichte.<br />
Das hab ich erfahren.<br />
Warum nicht Sandelholz, nicht Salpeter und<br />
Pfeffer? Leichter würde der Horizont und unermesslich.<br />
Aber der eine weckt das Papier und ermöglicht<br />
geschriebene Träume. Ihm dank ich persönlich.<br />
Auch die Gelegenheit macht schließlich Worte.<br />
Ich hab es erfahren.<br />
Der Facettenreichtum der Handschriften ist groß. Der Kritiker<br />
Erich Lüth vermutet: »Besitzer des Hoffmann und Campe Verlages<br />
zu sein ist wie die Zugehörigkeit zu einem hohen geistigen Ordenskapitel,<br />
die immer wieder vor den Ahnherren und großen Autoren<br />
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des Hauses gerechtfertigt werden muß.« Autor Horst Mönnich zitiert<br />
den Hoffmann-und-Campe-Autor Heinrich Heine:<br />
Ich aß und trank, mit gutem Ap’tit,<br />
und dachte in meinem Gemüthe:<br />
»Der Campe ist wirklich ein großer Mann,<br />
ist aller Verleger Blüthe.<br />
Ein andrer Verleger hätte mich<br />
vielleicht verhungern lassen,<br />
der aber giebt mir zu trinken sogar;<br />
werde ihn niemals verlassen.« […]<br />
Auch Gerhard Nebel zeigt sich dankbar: »Ihre immer wieder bewiesene<br />
Großzügigkeit gegen mich gehört in das Gefüge meines<br />
Daseins, das ich ohne Sie nicht so hätte führen können, wie ich es<br />
gelebt habe. Sie sind insofern eine rara avis unter Ihren Kollegen,<br />
als das Buch für Sie nicht nur eine Ware ist, als Sie bei ihm ebenso<br />
auf die gedankliche und literarische Qualität wie auf die verkaufte<br />
Quantität schauen.« Doch wie ein Leitmotiv durchzieht die Lobpreisungen<br />
der gratulierenden Autoren das vage Bild einer höheren<br />
Macht. Brigitte von Tessin spekuliert: »Der stets von einer<br />
Wolke verhüllte Herr <strong>Ganske</strong> ist Allah. – Und Dr. Knaus ist sein<br />
Prophet.« Benno von Wiese fühlt sich an seinen kindlichen Umgang<br />
mit dem lieben Gott erinnert, den man zugleich lieben und<br />
fürchten sollte. »Ich würde mich freuen, wenn auch ein weiterer<br />
kindlicher Wunsch einmal erfüllt würde, nämlich Sie, verehrter<br />
Herr <strong>Ganske</strong>, nicht nur aus der Ferne zu ehren und verehren,<br />
sondern auch in der lebendigen Anschauung zu erfahren, wie<br />
das Zentrum eigentlich aussieht, um das ein so gewaltiger Verlag<br />
wie der Ihre kreist.«<br />
Auch Thaddäus Troll fühlt sich an den Allmächtigen erinnert:<br />
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»Da Sie mir bisher unbekannt geblieben sind, schreibe ich diesen<br />
Brief fast ins Anonyme, aber eigentlich doch nicht, denn Ihr<br />
Name ist mir ja als Synonym für Hoffmann und Campe ein Begriff,<br />
ja ich habe sogar geglaubt, die Wirkung Ihrer Stimme verspürt zu<br />
haben, ähnlich der des HErrn im ›Jedermann‹ vor dem Salzburger<br />
Dom (der ja auch unsichtbar bleibt), also: Wenn ich gelegentlich<br />
Besuch in Hamburg machte, war ich zuweilen Ohrenzeuge von<br />
An-Rufen, die bei den Angerufenen so etwas wie Respekt, Hochachtung,<br />
um nicht zu sagen Ehrfurcht auslösten. Ein Hauch von<br />
Majestät wehte dann durch den Raum, um im Salzburger Look<br />
zu bleiben: als ob der HErr mit dem Darsteller des HErrn spreche.<br />
Das kann nur Herr <strong>Ganske</strong> sein, dachte ich. Nun hat Herr<br />
Knaus den Mythos zerstört: Sie telefonierten selten bis nie; thronten<br />
nicht über dem Verlag als autoritärer Pantokrator, sondern<br />
durchwalteten ihn eher, kaum spürbar, im pantheistischen Sinn.<br />
Als Autor, der von der Hoffmann und Campeschen Toleranz profi<br />
tiert (ich gebrauche diesen Ausdruck nachweislich im rein ideellen<br />
Sinn), grüße und beglückwünsche ich Sie herzlich.<br />
Ihr Thaddäus Troll, … den jetzt die Frage plagt: welcher Anrufer<br />
löst in Ihrem Verlag wenn nicht Furcht und Mitleid, so doch<br />
Respekt und Wertschätzung aus? Der Steuerberater? Siegfried<br />
Lenz? Der Bankdirektor? Rudolf Hagelstange?«<br />
Der unermüdliche und vielseitige Publizist Curt Riess dankt<br />
seinem Verleger für sein Stehvermögen, »den Glauben an den<br />
Autor, der – dafür gibt es Beispiele genug – bis zur Sturheit gehen<br />
kann. Seltsam genug: Mit dieser Sturheit sind schon viele Autoren<br />
durchgesetzt worden.« Das Wichtigste sei aber auch, »daß<br />
der Verlag seinen Autoren eine Heimat geben kann. Ich kann<br />
ein Lied davon singen, wie schwer es ist, ein heimatloser Autor<br />
zu sein. Meinen deutschen Verlag verlor ich, als Hitler die Macht<br />
übernahm, und meinen französischen, meinen belgischen, meinen<br />
holländischen, als Hitler in diese Länder einmarschierte.<br />
Meinen amerikanischen, als ich beschloß, wieder nach Europa<br />
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zurückzukehren.« Bei Hoffmann und Campe war die Odyssee<br />
zu Ende.<br />
Fünf Jahre später, im Frühjahr 1980, erscheint im 33. Jahrgang<br />
ein Merian-Sonderheft über das Werraland. Eigentlich sollte es<br />
dem Verleger zum 75. Geburtstag überreicht werden, doch den<br />
hat er nicht mehr erlebt. Als Verlagsleiter widmet sich Thomas<br />
<strong>Ganske</strong> diesem Projekt mit besonderem Engagement; er hat es<br />
nicht nur konzipiert und als Blattmacher von der ersten Themenkonferenz<br />
bis zur letzten Blaupause produziert, sondern er<br />
ist auch als ortskundiger Cicerone mit dem Autor Horst Krüger<br />
durch die Region gefahren, hat dem Reiseschriftsteller deren<br />
verborgene Reize gezeigt, die Eigenart der Fachwerkhäuser, den<br />
naturreinen Charme der Provinz und die brutale Perversion<br />
der Grenzbefestigungen und ihrer verschämten Hüter. Thomas<br />
<strong>Ganske</strong>, ein begeisterter Fotograf, steuerte nicht nur das Titelbild,<br />
sondern auch atmosphärische Landschafts- und Menschenbilder<br />
bei, darunter ein Porträt des Autors Krüger am Schlagbaum.<br />
Unter dem Titel »Seltsame Annäherung – Die Ringgauer Wurstprobe«<br />
veröffentlicht Siegfried Lenz darin einen Beitrag, in dem<br />
er beschreibt, wie er in das geheime Wesen der Mittelgebirgslandschaft<br />
des Werralandes eingeweiht wurde. »Was ich bis dahin<br />
als gelegentlicher Gast meines Verlegers Kurt <strong>Ganske</strong> in und um<br />
Hohenhaus zu sehen bekam, war, landschaftlich, vor allem dies:<br />
fein bewaldete Höhenrücken – Nadel-, aber auch Buchen- und<br />
Mischwald –, schmale Täler, in denen genügsame Dörfer lagen –<br />
alte Fachwerkhäuser, aufgelassene Ziegeleien –, rote oder rotbraune<br />
Erde, die ihre Ergiebigkeit auf den ersten Blick preisgab.<br />
Aufgeräumt kam mir das Land vor, ein bißchen schläfrig und sich<br />
selbst überlassen, Burgen zeugten von gewaltsamen Ansprüchen<br />
und den Tumulten der Geschichte; versteckte Friedhöfe belegten<br />
manchen Tod in der Fremde; in windstillen Winkeln erhielt sich<br />
ländliches Idyll. Die Nähe kulturgeschichtlicher Zeugen konnte<br />
das Aufkommen einer gewissen Melancholie nicht verhindern.«<br />
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An einem Ostertag lädt der Landrat Eitel Höhne ihn und den<br />
Verleger zu einer Ringgauer Wurstprobe ein, »das geheime Wesen<br />
dieser Landschaft – so erklärte der Landrat schlicht – erschließe<br />
sich, wenn überhaupt, dann nur bei einer Wurstprobe. Die Wurst<br />
als Erkenntnisvehikel.« Der Text schildert ein Ringelgebirge, verwurstete<br />
Vielfalt auf Holzbrettern und den Verleger, dem er in<br />
diesem literarischen Kabinettstück eine überwiegend stumme<br />
Rolle zuweist, und doch entsteht in wenigen Strichen das Bild<br />
eines Menschen, der gern isst und der andere daran teilhaben<br />
lässt: »Bevor K.G. das Messer nahm, machten wir die Geschmacksnerven<br />
empfänglich, wir kippten einen Klaren, der nach Wacholder<br />
duftete, stellten Bier und Brot bereit. Listig lächelnd führt<br />
K.G. den ersten Schnitt, sorgfältig spießte er die Scheiben auf<br />
und reicht sie über den Tisch.« K.G. säbelte, die Herren tranken<br />
Glas auf Glas.<br />
Mehr Würste werden aufgetragen, »eine wohlige Schwere hielt<br />
uns auf den Stühlen, es summte in den Köpfen, und plötzlich holte<br />
der Landrat seine Brieftasche hervor und entnahm ihr einen<br />
Geldschein, frisch gedruckt. Die Währung war mir unbekannt, sie<br />
wurde weder in Frankfurt noch in Zürich notiert, nur das sympathische<br />
Gesicht auf dem Geldschein war mir vertraut: Es war<br />
das Gesicht des Landrats. Der Einfachheit halber nannte er die<br />
Währung Höhner; und ein Höhner sollte gut sein für fünf Mark.<br />
Ich begann hellhörig, hellsichtig zu werden. Bereitete sich hier<br />
eine Lossagung vor? Verlangte der Ringgau nach Autonomie?<br />
Nachdem K.G. uns einen Doppelten eingeschenkt hatte, äußerte<br />
ich meinen Verdacht, und K.G. bestätigte, daß im Werraland etwas<br />
Außerordentliches vor sich gehe, das ganz Europa in Staunen<br />
versetzen werde. Die Währungsprobleme, immerhin, habe man<br />
bereits gelöst. Höhner, das höre sich doch gut an, freundlicher<br />
jedenfalls als Drachme oder Escudo.<br />
Eine Hartwurst, die gut und gern als Polizeistock hätte Verwendung<br />
fi nden können, brachte mich in die Gegenwart zurück.<br />
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Schon stießen der Landrat und K.G. mit mir an. Ich blickte durchs<br />
Fenster; inselhaft schwammen blaue Bergrücken im Abendnebel<br />
auf, ferne Lichter leuchteten dem Osterspaziergänger und, vermutlich,<br />
dem tüchtigen Hausschlachter, der kenntnisreich sein<br />
Kalb verarbeitete. Das kleine Feuer genießend, das der Pfeffer<br />
auf der Zunge entfachte, fi elen mir auf einmal die erstaunlich<br />
zahlreichen reparaturbedürftigen Häuser dieses Landes ein, ich<br />
dachte an bröckelnden Zerfall und lautlose Aufl ösung, ich dachte<br />
an aufgelassene Ziegeleien, an totes Fabrikgemäuer: auch dies,<br />
sagte ich mir, eine Folge geschichtlicher Heimsuchung. Dies<br />
Land wurde zu oft begehrt und versehrt, es hat sich zu oft erholen<br />
müssen, und wo man es verschonte wie jetzt, da wurde es<br />
folgenreich verschont, und das heißt: verurteilt zu einer Existenz<br />
im Windschatten. Vergangen die Zeit, in der Wollgarn- und Haarspinnereien,<br />
Baumwoll- und Leinewebereien, aber auch Gerbereien<br />
und Leimsiedereien und eine nennenswerte Tabakindustrie<br />
die Hauptprodukte des Landes lieferten. Ein Land in der Mitte<br />
und dennoch – ein entlegenes Land.«<br />
Nachfrage beim Dichter ungefähr dreißig Jahre danach. Diese<br />
Verbindung von Nestwärme, geringeltem Mittelgebirge und<br />
schluckweiser Bekömmlichkeit, diese geradezu fettglänzende<br />
Rahmenhandlung für ein skizzenhaftes Porträt eines in sich ruhenden<br />
Genussmenschen, ist diese Ironie nicht auch eine Form<br />
der Distanz? Der Dichter lächelt sanft: »Ironie kann auch eine<br />
Form der Liebe sein – sagt Thomas Mann.«<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong> 1977 in Hohenhaus<br />
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EINSAME WEGE<br />
Das Refugium in den Bergen – Stille Tage<br />
in Hohenhaus – Söhne im Verlag – Generationswechsel –<br />
Eine Totenrede – Besuch bei Gerda <strong>Ganske</strong><br />
Ein Haus am Ortsrand von Reichraming, eine halbe Autostunde<br />
südlich von Steyr. In der Stube hängen Jagdtrophäen, eine Brotzeit<br />
steht auf dem Tisch. Hermann Kittinger nimmt nicht von<br />
dem geschnittenen Brot, das für den Gast bereitliegt, sondern<br />
macht sich mit scharfem Messer über einen alten Kanten her. Er<br />
liebt das, sagt seine Frau. Er habe das auch auf der Hütte so gemacht,<br />
wenn Kurt <strong>Ganske</strong> kam.<br />
Hermann Kittinger, Jahrgang 1930, Berufsjäger im Ruhestand,<br />
erinnert sich an den Jagdgefährten aus Hamburg, als wäre er erst<br />
gestern hier gewesen. »Es gibt nicht viele Menschen wie ihn«, sagt<br />
er nachdenklich. Sie waren zu zweit allein mit der Natur, wochenlang,<br />
auf der Hütte und auf der Pirsch. »Auf dem Ansitz ist man auf<br />
Tuchfühlung, da wird man sich vertraut. Für mich war er wie ein<br />
zweiter Vater. Es gibt noch heute keinen Tag, an dem ich nicht an<br />
ihn denke. Es gab wohl eine Seelenähnlichkeit. Wir waren beide<br />
gern allein. Er war fünfundzwanzig Jahre älter als ich, aber ich<br />
habe den Altersunterschied zwischen uns nie gespürt. Es war ein<br />
kameradschaftliches Verhältnis, doch geduzt haben wir uns nie. Er<br />
hat mir als Jäger vollkommen freie Hand gelassen. Ich habe das<br />
nie ausgenutzt. Was er mir zugestanden hatte, habe ich nie abgeschossen.<br />
Er war ein ganz feiner Mensch. Die Zeit mit ihm war die<br />
schönste Zeit in meinem Leben.«<br />
Hermann Kittinger hat Tischler gelernt, war Waldarbeiter,<br />
doch sein Berufswunsch war es, Jäger zu werden. Mit 18 Jahren<br />
legt er die Prüfung ab. Das Leben als Berufsjäger füllt ihn aus.<br />
Den Urlaub lässt er meist verfallen. »Der Wald ist mein Leben.«<br />
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Nach siebenundvierzig Dienstjahren geht er in Pension, da sind<br />
die Kinder längst erwachsen. Weil sein Sohn Wolfgang schwer an<br />
Asthma litt, hatte Kurt <strong>Ganske</strong> ihm einen zweimonatigen Aufenthalt<br />
auf Sylt bezahlt. »Er wurde nicht geheilt, aber es hat sehr<br />
geholfen, seither kann Wolfgang mit dem Asthma leben.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong>s Jagdrevier lag im Höhenzug der Haller Mauern,<br />
an der Grenze zwischen Oberösterreich und der Steiermark; es<br />
umfasste 3500 Hektar Wald, Bergwiesen und schroffen Stein,<br />
hoch ragt das Sengsengebirge. Die Jagd war abgelegen, steil,<br />
schwer zugänglich, das ideale Refugium für einen Menschen, der<br />
Stille braucht, um sich zu erholen. Keine Straße führte dorthin,<br />
das Revier war nur mit der einspurigen Waldbahn zu erreichen;<br />
die Strecke führte durch ein enges Tal und einen 350 Meter langen<br />
Tunnel. Wer mit dem Auto dorthin wollte, musste es auf die<br />
Bahn verladen. Es gab allerdings schmale Forststraßen im Revier,<br />
um das Holz zur Waldstation zu bringen. Früher wurde mit Wasser<br />
getriftet, die Bäche in den Klausen gestaut. Das Holz wurde<br />
dahinter gelegt, dann wurde das Wehr geöffnet, das Wasser schoss<br />
hervor und trug die Stämme ins Tal.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> pachtet die Jagd für neun Jahre, ein Berufsjäger<br />
wird vom Bund gestellt, so ist es Vorschrift. Die Kosten und die<br />
Soziallasten hat der Pächter zu tragen, außerdem muss er für die<br />
Winterfütterung sorgen – kein Pappenstiel in einem Revier dieser<br />
Größe. Im Dienstbuch des Jägers ist es nachzulesen: 35 Tonnen<br />
Heu müssen herangeschafft werden, 30 Tonnen Rüben, 12 bis 15<br />
Tonnen Hafer, Mais und Gerste. Manchmal sind Gleise und Wege<br />
so zugeschneit, dass der Bundesheer-Hubschrauber das Futter<br />
bringen muss, teuer für den Pächter. Die Natur ist kaum domestiziert,<br />
zeigt, vor allem in der dunklen Jahreszeit, ihre raue Seite.<br />
Die Winter sind hart, das Revier ist steil, Lawinengefahr droht.<br />
Es gibt viele Tiere im Revier: Hirsch, Gams und Rehwild. Der<br />
Steinadler ist hier zu Hause, Mäuse- und Wespenbussard schweben<br />
über den Hängen, Auerhahn und Birkhahn leben noch<br />
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ungestört. Die Zivilisation ist weit weg. Im ganzen Areal gibt es<br />
kein einziges Haus, nur ein paar einfache Hütten im Wald. Auf<br />
der Stöffel-Alm neben der alten Almhütte errichtete sich Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> ein hölzernes kleines Jagdhaus mit Bad und WC. »Die<br />
Mansardenzimmer waren meine Diensträume«, erzählt der Jäger.<br />
Wenn der Gast aus Hamburg kam, putzte Frau Kittinger die<br />
Hütte. Meist blieb er zwei oder drei Wochen. »Gefrühstückt haben<br />
wir im Dunkeln. Licht habe ich nicht gelten lassen«, sagt Hermann<br />
Kittinger. »Ich habe für uns gekocht oder eine Brotzeit gemacht.<br />
Er mochte Kaiserschmarrn, aß gern Leber.« Sie hatten ja<br />
das »Geräusch« der geschossenen Tiere auf der Hütte, die edlen<br />
Teile: Leber, Niere und Herz. Manchmal haben sie ein Kitz geschossen,<br />
zerwirkt und gekocht. Die Federn (Rippen) und Schlegel<br />
(Keule) aßen sie später. Kurt <strong>Ganske</strong> fand: »Wildbret muss ein<br />
Hautgout haben.« Sie sammelten Pilze, vor allem Eierschwammerl<br />
(Pfi fferlinge) oder Hirschzunge (Habichtspilz), fi schten Forellen<br />
und tranken Dürnsteiner Urgesteinsriesling. »Wir haben abends<br />
zusammengesessen. Ich habe von den Menschen hier erzählt, vom<br />
Leben der Waldarbeiter, er wollte alles wissen. Wir haben über<br />
alles Mögliche geredet. Wenn es um die Jagd ging und das Verhalten<br />
im Wald, hat er sich auch kritische Worte angehört; er hatte<br />
keine Schwierigkeiten, Kritik anzunehmen, wenn sie ihm plausibel<br />
erschien. Er konnte sehr fröhlich sein, humorvoll. Wenn wir über<br />
etwas verschiedener Ansicht waren, rief er: ›Wetten wir?‹ – Aber<br />
ich wette nur, wenn ich’s weiß. Ich glaube, er fühlte sich frei. Hier<br />
oben hat er nicht an die Pfl ichten im Verlag gedacht. Aber manchmal<br />
spürte ich doch, dass er in Gedanken beim Geschäft war.«<br />
Meist kam er zur Hirschbrunft, Mitte September bis Anfang<br />
Oktober. Danach fuhr er zur Buchmesse. »Die letzten zwei Tage<br />
vor der Abreise war er dann nicht mehr so gut gelaunt. Er kam oft<br />
mit dem Nachtzug. Ich habe ihn vom Bahnhof abgeholt; manchmal<br />
kam er auch mit dem Auto, dann fuhr sein Fahrer, und die<br />
Gattin kam mit. Manchmal hatte er auch Gäste eingeladen, oder<br />
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er brachte seine Söhne mit. Wir fuhren dann zur Waldstation.<br />
Dort wurde das Auto verladen. «<br />
Für Ehrengäste wurden besondere Tiere ausgesucht. »Einen<br />
Hirsch nannten wir Minister-Hirsch, der war für Lauritz Lauritzen,<br />
den damaligen Minister für Wohnungsbau in Deutschland, reserviert.<br />
Es gab auch einen Götz-Hirsch, von dem wir alle Abwürfe<br />
gesammelt haben, jedes Jahr. Der war für Götz, Michaels ältesten<br />
Sohn, bestimmt.«<br />
Die Pirsch in den Steilhängen der Kalkalpen ist kein Spaziergang.<br />
»Wir sind jeden Tag vier bis fünf Stunden gepirscht«, berichtet<br />
der Jäger. »Er hat hier oben immer ein paar Kilo abgenommen;<br />
ihm ging es vor allem um die Erholung für den Körper, die Gesundheit.<br />
Er war sehr hart zu sich, ging lange Wege, hat es immer<br />
aufs Äußerste ankommen lassen. Einmal, am Almstein, einem<br />
dreißig Meter hohen Fels, sagte er allerdings: ›Da kletter ich nicht<br />
rauf.‹ Er war immerhin schon über sechzig Jahre alt und ziemlich<br />
schwer. ›Sie schaffen das!‹, habe ich zu ihm gesagt. Und dann fi ng<br />
er an, da hinaufzuklettern. Ich habe ihm geholfen und ihn manchmal<br />
hochgehievt. Er war natürlich stolz, als er oben war.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> liebt die Beschwernisse des Aufstiegs. In früheren<br />
Jahren, als er die Jagd bei Reichraming noch nicht gepachtet hatte,<br />
wanderte er gern mit einem Bergführer ins Hochgebirge. Er weiß<br />
mit dem Eispickel umzugehen und besteigt alle Dreitausender, auf<br />
die schon sein Vater als junger Mann geklettert war. Nun bahnt Jäger<br />
Kittinger dem Jagdherrn die Wege. »Im Revier haben wir sechzig<br />
Kilometer Steige gehabt. Ich habe sie astfrei gehalten, bevor er<br />
kam. Ich hatte viele Steige zu putzen und die Ränder auszumähen<br />
mit der Sense. – Kurt <strong>Ganske</strong> jagte mit sehr viel Fingerspitzengefühl«,<br />
sagt Hermann Kittinger. Er benutzte einen Mannlicher-Schönauer,<br />
Kaliber 7�64, ein Klassiker unter den Jagdwaffen. Er war<br />
ein guter Schütze. Einmal schoss er einen alten Hirsch, kurz bevor<br />
das Schusslicht vorbei war, auf 300 Meter. Der Hirsch hatte eine<br />
unregelmäßige Krone, »ein Artverderber«, wie Kittinger es nennt.<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong> geht nie allein zur Jagd und nie mit dem Förster.<br />
Jäger Kittinger ist immer an seiner Seite, er kennt das Revier,<br />
in dem er jeden Tag unterwegs ist, wie kein anderer, macht<br />
seinen Gefährten auf vieles aufmerksam, lenkt seinen Blick auf<br />
Spuren, kleine Zeichen, weiht ihn ein in die Geheimnisse des<br />
Reviers und der Jagd. In Jägersprache natürlich. »Ich habe ihm<br />
gesagt, wann er ein Stück ansprechen oder schießen sollte.« Der<br />
Schuss will überlegt sein. Beim Zielen sieht man den eigenen<br />
Herzschlag im Zielfernrohr, das Fadenkreuz hüpft mit. Man muss<br />
also erst den eigenen Herzschlag kontrollieren, den Moment<br />
abpassen, wo das eigene Herz ruhig ist, eine winzige Zeitspan -<br />
ne – der Schuss selbst dauert nur eine hundertstel Sekunde.<br />
»Schon vor dem Schuss muss man im Blick haben, was nach dem<br />
Schuss kommt. Das Stück muss geliefert werden. Das bedeutet,<br />
wir müssen mit einem Tier, das 120 bis 130 Kilogramm schwer ist,<br />
zurück in die Zivilisation. Gams und Reh kann ich tragen, einen<br />
Hirsch kann ich ein Stück schleifen, aber manchmal muss man<br />
sich auch Hilfe von Waldarbeitern holen. Kurt <strong>Ganske</strong> hatte auch<br />
ein Auto, einen VW-Käfer 1302 mit einem Gitter, auf dem man<br />
einen Hirsch transportieren konnte.«<br />
»Er war ein vorsichtiger Schütze, wollte ganz sicher sein. Einmal<br />
hatte er einen Bock im Visier, im letzten Büchsenlicht. Ich merkte,<br />
wie er zögerte, und sagte: ›Schießen Sie doch!‹ Er schoss und traf.<br />
Hinterher gab er mir einen Schlag auf die Schulter. ›Sie sind ein<br />
Teufel!‹ Das war wie ein Ritterschlag für mich.«<br />
Zur Brunftzeit ist es spannend. »Man hat mehr Anblick. Das<br />
Wild ist in Bewegung, die Hirsche röhren, ziehen viele Kilometer<br />
weit und suchen ihre Bräute.« Oft pirschen sie vor dem Morgengrauen.<br />
Zwischen zwei und drei <strong>Uhr</strong> früh balzt der Auerhahn.<br />
Nur wer sich sehr vorsichtig nähert, kann ihn dabei beobachten,<br />
denn der Vogel sieht und hört sehr gut. Der Auerhahn, heißt es,<br />
hat auf jeder Feder ein Auge. Doch wenn er singt, vergisst er alles<br />
um sich her. Sein Lied hat immer drei Strophen, erst glöckelt,<br />
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dann trillert er, und nach dem Hauptschlag folgt ein nicht sehr<br />
melodisches Schleifen, dann sieht und hört er nichts. Das ist der<br />
Moment zum ›Anspringen‹; der Jäger macht zwei, drei Schritte<br />
aus der Deckung. Der liebestolle Vogel hört nicht mal den Schuss,<br />
wenn er danebengeht. Also hat der Jäger eine zweite Chance,<br />
beim nächsten Lied.<br />
Heute gibt es keinen Abschussplan mehr. Kurt <strong>Ganske</strong>s Refugium<br />
ist öffentlicher Bezirk mit eigener Marketingabteilung. Das<br />
Revier wird nicht mehr verpachtet, sondern ist Teil des »Nationalpark<br />
Kalkalpen« geworden. Zurück zur Natur? Die Idee des Nationalparks<br />
überzeugt den Jäger nicht. Er glaubt nicht an hehre Ziele.<br />
»Der Nationalpark ist ein Tummelplatz für alle. In den Köpfen<br />
ist nur Geschäftemacherei. Die guten Pächter wurden vertrieben.<br />
Mit dem Wald wird Schindluder getrieben. Die Waldbahn gibt es<br />
nicht mehr. Heute führen Straßen ins Revier, die Hütten verfallen.<br />
Wenn es dämmert, kommen Wilderer mit dem Auto, blenden<br />
die Tiere mit den Scheinwerfern und schießen mit Schalldämpfer<br />
und Nachtsichtgeräten.« Ein lukratives Geschäft. In dreißig Jahren<br />
hat sich viel verändert – Hermann Kittinger hat darauf keinen<br />
Einfl uss mehr. Aber der Staat hat ihn 2005 für seinen Einsatz<br />
mit dem Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik<br />
Österreich ausgezeichnet.<br />
Nur selten hat Kurt <strong>Ganske</strong> in anderen Revieren gejagt, zum<br />
Beispiel als Gast von Franz Burda, dem Großverleger aus Offenburg.<br />
Die Privatjagden des Senators galten als gesellschaftlicher<br />
Höhepunkt der Saison. Burda hatte ein Faible für Event-Kultur<br />
in großem Rahmen, und dazu zählte die Niederwildjagd mit viel<br />
Prominenz. »Am Ende lagen tausend Fasane und hunderte Hasen<br />
und Feldhühner«, berichtet sein Sohn Frieder, selbst kein<br />
leidenschaftlicher Jäger. Kurt <strong>Ganske</strong> wird eingeladen, trifft alte<br />
Bekannte aus seiner Berliner Zeit – Max Schmeling und Anny<br />
Ondra. Auch dabei: Karl Günther von Hase, ZDF-Intendant, Diplomat<br />
und Staatssekretär a. D.<br />
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Kurt <strong>Ganske</strong> 1977<br />
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In Hohenhaus geht es ruhiger zu. Kurt <strong>Ganske</strong> ist gern für<br />
sich, wandert zur Mooshütte, von dort ist über den Höhenzügen<br />
die Wartburg zu sehen. Er klettert gern abends auf den Hochsitz,<br />
bleibt bis zum Einbruch der Nacht. Oder er geht morgens um<br />
vier zur Jagd. Er liebt die frühen Stunden. Dann liegt der Tau auf<br />
den Gräsern, kommt das Wild aus dem Wald. Er blickt den Bussarden<br />
nach, die nach Thüringen fl iegen. Die Grenze zur DDR<br />
ist die Grenze seines Reviers – die Straße von Herleshausen nach<br />
Lauchröden ist unterbrochen, die Brücke über die Werra endet<br />
in Sperranlagen. Die Fenster der Häuser an der Lindenallee auf<br />
der anderen Seite sind zugemauert, und auf dem Wachturm der<br />
Volkspolizei kann er die Ferngläser erkennen. Todesstreifen, Minengürtel,<br />
Stacheldraht. Kurt <strong>Ganske</strong> versäumt es nie, seinen<br />
Besuchern die Grenze zu zeigen. Die klaffende Wunde im Wald.<br />
Er empfi ndet sie als chronischen Schmerz. Manchmal explodiert<br />
eine Mine; ein Reh stirbt, ein Hirsch, eine Sau. Deutsche Realität<br />
– pervers, aber perfekt.<br />
Die Wende hat Kurt <strong>Ganske</strong> nicht mehr erlebt, als die Bürger<br />
von Lauchröden den Wachturm mit Gejohle zum Einsturz brachten.<br />
Die Handwerker von Herleshausen und Lauchröden haben<br />
nur zwei Tage gebraucht, um eine Brücke über den Fluss zu bauen.<br />
Die Grenze fi el, aber die Stille blieb. Das Zonenrandgebiet wird<br />
Randzonengebiet, bleibt im Abseits, mittendrin.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> liebt seinen Wald. Nach über vierzig Jahren kennt<br />
er jeden Baum. 1936, als er Hohenhaus erwarb, hatte er keine<br />
Ahnung, was er eigentlich gekauft hatte. Der Vorbesitzer hatte alle<br />
Unterlagen und alle Dokumente verbrannt. Ein junger Forstassessor<br />
half dem ratlosen Käufer, den Bestand zu registrieren und den<br />
Wald aufzubauen. Als Oberforstrat bleibt er bis zu seiner Pensionierung;<br />
ein Glücksfall für den Wald und für Kurt <strong>Ganske</strong>. Waldes<br />
Lust ist Waldes Last. Wer einen großen Wald erwirbt, besitzt<br />
ein großes Vermögen, aber wenn er sonst kein Einkommen hat,<br />
sollte er sich auf ein bescheidenes Leben einrichten. Kurt <strong>Ganske</strong><br />
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ist nicht auf Erträge angewiesen, sieht seinen Wald als langsam<br />
wachsendes Vermögen mit niedrigen Zinsen, als stille Reserve für<br />
nachwachsende Generationen. Thomas <strong>Ganske</strong>, der das Werk im<br />
Sinne seines Vaters fortsetzt, strebt naturnahen Waldbau an. Der<br />
Bestand an Fichten wird reduziert. Fichten brauchen Kalkböden<br />
und sind hier fehl am Platze. Sie wachsen schnell und gerade, ein<br />
»Industrieprodukt«, maschinentauglich in Ernte und Verarbeitung,<br />
ideales Bauholz, fl ach wurzelnde Massenware, kein Wald<br />
für Naturliebhaber.<br />
Die Böden von Hohenhaus sind ein gutes Milieu für Bäume, die<br />
erst im Alter von <strong>14</strong>0 bis 180 Jahren ihre größte Vitalität entwikkeln<br />
– Baumriesen mit mächtigen Kronen, wie Buche, Eiche und<br />
Ahorn, Eibe oder Elsbeere, ein Tiefwurzler, der zu den rosaceae,<br />
den Rosenholzgewächsen, zählt, ein Spezialist unter den Bäumen,<br />
den Kurt <strong>Ganske</strong> gern seinen Gästen zeigt, ein Baum aus hartem<br />
Holz von großer Dichte, das nicht kohlt, wenn es heiß wird. Deshalb<br />
hat man es traditionell dort verwandt, wo Holz um Achsen rotiert,<br />
zum Beispiel bei Spinnrädern. Spinnräder sind selten geworden,<br />
aber das Holz der Elsbeere gibt auch schöne Zirbelstuben.<br />
Er fühlt sich heimisch in Hohenhaus, auch wenn ihn die Pfl ichten<br />
in Hamburg festhalten. Seine Frau schafft für ihn im hessischen<br />
Abseits ein Zuhause, das eine Zufl ucht ist. Sie hält Kontakt<br />
zu den Nachbarn, pfl egt Freundschaften, ist sozial engagiert.<br />
Aber sie stößt auch an Grenzen, die ihr freundliches Naturell<br />
nicht überwindet. Die Menschen in Hessisch Sibirien, wie der kalte<br />
Nordosten des Landes gelegentlich genannt wird, sind gern<br />
verschlossen und grantig, nicht nur dem Gutsherrn gegenüber,<br />
sondern auch untereinander. Zwischen den Dörfern schwelt tief<br />
wurzelnder Zwist. Einmal, im tiefen Winter, sieht der Betriebsleiter<br />
des Gutes Feuerschein im Nachbardorf. Er hat gerade mit einigen<br />
Leuten im Wald zu tun und reagiert spontan – spannt an, fährt<br />
mit Güllefässern voll Wasser durch den Schnee, um den Leuten<br />
zu Hilfe zu kommen. Sie hatten Hilfe auch bitter nötig, denn der<br />
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einzige Hydrant des Dorfes war wegen Bauarbeiten unter Schutt<br />
begraben. Aber die Leute wollen keine Hilfe aus Holzhausen.<br />
»Das ist mein Feuer!«, ruft der örtliche Feuerwehrhauptmann zornig<br />
und schickt den Gutsinspektor mit seinem Wasser fort. So versickert<br />
es, ohne einen Brand zu löschen, im winterlichen Wald.<br />
Der Boden ist schwer und hängig. Kurt <strong>Ganske</strong> hat vieles versucht,<br />
um aus dem Gut eine fl orierende Landwirtschaft zu machen.<br />
Er studiert und probiert neue Methoden zur Futterherstellung, ist<br />
fasziniert von neuer Technik, arbeitet intensiv an der Automatisierung<br />
seines Kuhstalls. Manchmal staunt er über die wunderlichen<br />
Mechanismen landwirtschaftlicher Subven tion. Obstbau wird unterstützt.<br />
Aber die Stilllegung von Obstbau auch. Das Gleiche beim<br />
Milchvieh. Er will eine Apfelplantage errichten, was nicht funktioniert,<br />
und auch der Versuch, auf dem Sandberg Kartoffeln zu<br />
pfl anzen, scheitert, das Gefälle ist zu stark, die Maschinen rutschen<br />
ab. Der Landwirt Kurt <strong>Ganske</strong> hat sicher mehr ausprobiert als der<br />
Verleger. Vieles bleibt beim Versuch.<br />
Für die Kinder sind die Jahre in Hohenhaus eine glückliche<br />
Zeit. Tochter Mareile verwandelt den Hühnerstall in einen Ponyhof.<br />
Der kleine Thomas stinkt nach Schaf, weil es für ihn nichts<br />
Schöneres gibt, als im Stall zu spielen. Michael, das Naturkind, ist<br />
längst erwachsen und arbeitet im Verlag. Kurt <strong>Ganske</strong> plant den<br />
Generationswechsel mit der für ihn charakteristischen Umsicht<br />
und nach dem Prinzip der langen Leine. Die Söhne sollen in die<br />
Verantwortung hineinwachsen, erst Michael, dann Thomas. Tochter<br />
Mareile studiert in Hannover Architektur und Landschaftspfl<br />
ege. Am Verlag hat sie kein Interesse. Sie macht ihr Diplom.<br />
Michael <strong>Ganske</strong> heiratet zuerst. Seine große Liebe ist sicher<br />
keine Wahl im Sinne seiner Eltern – er verliebt sich in Lies, die<br />
schöne Tochter eines Gärtnergehilfen, eine Romanze, die von<br />
einer Märchenhochzeit gekrönt wird. Kurt <strong>Ganske</strong> arrangiert sie<br />
in Rom. Man wohnt im Hassler an der Spanischen Treppe, die<br />
Freunde der Familie reisen an, unter ihnen Otto B. Roegele mit<br />
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seiner Frau, der sich noch gut an den sympathischen protestantischen<br />
Pastor erinnert, und auch Hänschen Sperber, der Lehrer<br />
der Zwergschule von Holzhausen, darf nicht fehlen. Sein Rohrstock<br />
war schon lange im Ruhestand.<br />
Mareile heiratet in Hohenhaus. Ihr Mann betrieb mit seinem Vater,<br />
der Tierarzt war, einen Reiterhof bei Gifhorn. Sie haben zwei<br />
Kinder. Sohn Mark blieb nach der Scheidung zunächst beim Vater,<br />
Tochter Anabell verbrachte viel Zeit in Hohenhaus und Hamburg<br />
bei ihrer Großmutter. Ihren Großvater nannte sie »Daddy«. »Sie hatten<br />
ein gutes, liebevolles Verhältnis«, erinnert sich Gerda <strong>Ganske</strong><br />
und erzählt, wie sie gemeinsam an der Alster auf den »Daddy« warteten,<br />
die kleine Anabell und sie. Und weil er nicht kam, sind sie mit<br />
dem Alsterdampfer gefahren, so lange, bis sie ihn am Ufer entdeckten.<br />
Anabell lebt heute als Fotografi n in Hamburg, Mark arbeitet<br />
ebenfalls in der Hansestadt als Büchsenmacher.<br />
Ein Spaziergang in Hohenhaus. Wiesenschaumkraut blüht.<br />
Wildkirschen und Kirschen leuchten weiß in sattem Grün. Michael<br />
<strong>Ganske</strong> liebt es, draußen zu sein, auch Gespräche führt er am liebsten<br />
im Freien. Zweimal im Jahr kommt er nach Hohenhaus, um<br />
die Mutter zu besuchen. Der Vater ist in seinen Erinnerungen als<br />
Autorität gegenwärtig: »Ich habe immer K.G. zu meinem Vater<br />
gesagt, nie etwas anderes. Ich habe ihn bewundert. K.G. hatte die<br />
Organisation im Blick. Er hatte die Überlegenheit, Situationen zu<br />
erfassen, durchschaute die Zahlenverhältnisse. Er hatte die Vision,<br />
die Power und den Überblick, einen großen Konzern aufzubauen.<br />
Und er war der Ansicht: ›Meine Söhne müssen führen können.‹<br />
Danach handelte er, und das bekamen wir zu spüren, ich mehr<br />
als Thomas.«<br />
Michael <strong>Ganske</strong> hat ein friedfertiges Naturell, die raue Wirklichkeit<br />
des Wettbewerbs war ihm fremd. »Ich hielt nichts von<br />
dem verbohrten Konkurrenzgedanken, nichts davon, dass sich<br />
Verlage bekämpfen, nichts von dem krampfhaften Wettbewerb,<br />
wer die beste Zeitschrift macht. Ich war gern Entwickler, holte<br />
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215
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Refugium Hohenhaus<br />
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Leute, die fähige Entwickler waren, wie Willy Fleckhaus, Angelica<br />
Blechschmidt und Peter Gimm. Managertypen mit Eis in den<br />
Adern konnte ich nicht leiden. Ich konnte am besten mit Frauen.<br />
Da gab es nicht diese Machtspiele.«<br />
Der Vater lässt ihn machen, auch seine Fehler. Aber hinter<br />
verschlossenen Türen geht es hart zur Sache. »Wir haben alles<br />
falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte«, räumt Peter<br />
Gimm, damals stellvertretender Chefredakteur der Für Sie, heute<br />
ein. »Es war die Zeit des großen Umbruchs Anfang der siebziger<br />
Jahre. Wir wollten nicht nur Fummel zeigen, sondern setzten engagierte<br />
Reportagen vorn ins Heft, zeigten Frühstückstische mit<br />
angeknabbertem Butterbrot, verlegten Mode und Kosmetik in<br />
den hinteren Heftteil. Wir wollten alles anders und alles besser<br />
machen als bisher.« So tickte man in allen Redaktionen der wilden<br />
Siebziger – Journalisten als Bewegungsmelder: Frauenbewegung,<br />
Umweltbewegung, Anti-Kernkraft-Bewegung, Friedensbewegung.<br />
Die etablierte Frauenzeitschrift Für Sie erweist sich aber<br />
als denkbar schlechtes Spielfeld für kreative Unruhestifter. Kurt<br />
<strong>Ganske</strong> hat die Folgen dieser Umsturzversuche bald in Zahlen vor<br />
Augen. Öffentlich greift er nicht ein. Er hält Peter Gimm, dem<br />
Revoluzzer mit den langen Locken, in Hohenhaus sogar die Tür<br />
auf, allerdings mit der süffi santen Bemerkung: »Ladies fi rst.«<br />
Michael steht unter Erfolgsdruck. »Es war nie mein Traum, in<br />
einem Büro zu sitzen, verschanzt hinter einem Sekretariat mit Blumen,<br />
und Zahlen zu schnitzen. Aber die Arbeit in der Redaktion<br />
machte mir Spaß.« Redaktionen arbeiten bis spät in die Nacht.<br />
Der junge Verlagsdirektor auch. »Es war spätabends, zehn <strong>Uhr</strong>.<br />
Der Kopf war leer. Ich ging einen Stock tiefer, da saß der Chefredakteur.<br />
Der zog eine Schublade auf: ›Hier, das hilft.‹ Es war<br />
Whisky. Ich trank drei Glas. Die Maschine sprang an. Ich hatte<br />
Ideen, die Blockade war weg. Aber mir war nicht klar, welche Gefahren<br />
damit verbunden waren.« Michael <strong>Ganske</strong> und der Whisky<br />
werden Freunde. Aus der Freundschaft wird Abhängigkeit, Tablet-<br />
218<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 218 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:48 <strong>Uhr</strong>
ten kommen dazu. Die Krankheit seines Sohnes bleibt dem Vater<br />
nicht verborgen. Es kommt zum Konfl ikt. Michael schmeißt hin,<br />
bricht alle Brücken hinter sich ab. Er wandert mit seiner Familie<br />
nach Kanada aus.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> sieht nur eine Möglichkeit, das Problem zu lösen:<br />
Nun ist Thomas an der Reihe. Das Verhältnis des Jüngsten zu seinem<br />
Vater ist durch die altersbedingte Revolte des Sohnes zeitweise<br />
gespannt. »Es gab zwischen uns ein beunruhigendes Erlebnis,<br />
das ich nicht vergessen werde. Mein Vater und ich stritten uns.<br />
Worum, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass er sagte,<br />
er denke anders darüber. Ich war aufmüpfi g, warf ihm vor: ›Du<br />
denkst sowieso zu viel!‹ Da griff er nach dem großen Porzellanteller<br />
auf dem Steintisch, hob ihn hoch und warf ihn gegen die<br />
Wand. Es hatte sich viel angestaut und so entladen. Wir haben<br />
dann eine Viertelstunde weiterdiskutiert, ganz entspannt. Unser<br />
Verhältnis war von diesem Moment an geklärt, für alle Zeit. Vorher<br />
hatte ich ihn auf eine abstrakte Art gefürchtet. Seitdem war es<br />
zwischen uns wunderbar.«<br />
Thomas <strong>Ganske</strong> hat wie sein Bruder den größten Teil seiner<br />
Schulzeit bis zum Abitur im Internat verbracht und in München<br />
Kunstgeschichte und Publizistik studiert. 1974 heiratet er die<br />
Fabrikantentochter Veronika Westhoff, genannt Viktoria, aus<br />
Schloss Holte-Stuckenbrock bei Paderborn. Acht Jahre jünger als<br />
sein Bruder, wird der Verlegersohn von seinem Vater Schritt für<br />
Schritt in die Verantwortung geführt. Anderthalb Jahre ist er Assistent<br />
seines Vaters, dann wird er in den Verlag entlassen, lernt<br />
das Handwerk des Verlagskaufmanns als Assistent von Rüdiger<br />
Hildebrandt, übernimmt dann als Verlagsleiter von Merian seine<br />
erste Verantwortung. »Mein Vater hatte mich und Albrecht Knaus<br />
zu acht Prozent am Unternehmen beteiligt. Ich war noch in München,<br />
als das geschah. Knaus bildete mich aus, nahm mich mit. Er<br />
hat mir alles gezeigt, ich durfte dabei sein, wenn er mit Autoren<br />
verhandelte. Er war vollkommen offen und hat sich große Mühe<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 219 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:48 <strong>Uhr</strong><br />
219
gegeben, mich einzuarbeiten. Ich habe viel dabei gelernt und bin<br />
ihm sehr dankbar.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> spürt wohl, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt.<br />
Er ist schwer zuckerkrank, Kraft und Energie lassen nach, auch<br />
die Kraft, Geduld zu üben. Thomas <strong>Ganske</strong> geht durch eine harte<br />
Schule. Einmal ruft Jochen Karsten spontan: »Herr <strong>Ganske</strong>, Söhne<br />
sind auch Menschen!« – was Kurt <strong>Ganske</strong> mit einem Lachen<br />
quittiert haben soll.<br />
1978 wird Thomas <strong>Ganske</strong> Verleger des Hoffmann und Campe<br />
Verlages, eine Feuertaufe. »Ich war kaum in der Gesamtverantwortung<br />
für den Verlag, da kam die Krise: Knaus verließ das Haus,<br />
um einen eigenen Verlag zu gründen. Röhring und Hildebrandt<br />
kamen zu mir, setzten sich an den Tisch und sagten, sie hätten<br />
unabhängig voneinander festgestellt, dass sie den gleichen Beschluss<br />
gefasst hätten: Sie wollten das Haus verlassen. Hildebrandt<br />
wollte zu Saur, Röhring zu Gruner + Jahr, um Stern-Bücher zu<br />
machen. Und zwei Tage später hatte ich Vertreterkonferenz! Ich<br />
musste eine Presseerklärung herausgeben. Die Vertreter probten<br />
den Aufstand. Sie sagten, sie würden nur weitermachen, wenn<br />
sie eine Garantieprovision bekämen. Bis nachts um drei haben<br />
wir diskutiert. Eine Garantieprovision wäre das Ende des Verlages<br />
gewesen. Das Ganze war ein wahnsinniger Rückschlag. Meinen<br />
Vater habe ich in diesen Tagen nicht gesehen. Er war in seinem<br />
Haus in der Schönen Aussicht und hat sich nicht eingemischt,<br />
kein Wort, kein Anruf. Aber er kam zu meiner Frau. ›Thomas hat<br />
jetzt eine schwere Zeit‹, sagte er zu ihr, ›da muss er durch.‹ Als ich<br />
spätabends nach Hause kam, sagte meine Frau: ›K.G. steht voll<br />
hinter dir.‹ Das hat mir sehr geholfen.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> hat sein Haus bestellt, den Sohn in alle Geheimnisse<br />
der Unternehmensführung eingeweiht. Mit seinem Ältesten<br />
söhnt er sich aus. Michael <strong>Ganske</strong> hat seine Krankheit überwunden,<br />
rührt bis heute keinen Alkohol mehr an. Er hat in Kanada<br />
Wurzeln geschlagen. Seine beiden Söhne sind dort aufgewachsen,<br />
220<br />
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ei der Mutter, denn die Ehe ist gescheitert. Er lebt mit seiner<br />
zweiten Frau auf seiner kleinen Farm in British Columbia. »Mein<br />
Vater sagte mal: Wenn ich jung wäre, würde ich auswandern. Insofern<br />
fühle ich mich, als hätte ich seinen Traum erfüllt. Ich wollte<br />
immer angeln und jagen, bin lieber draußen in der Natur als in<br />
beheizten oder klimatisierten Räumen. In Kanada habe ich eine<br />
zweite Heimat gefunden und einen zweiten Wohnsitz, ein kleines<br />
Haus, vollkommen abgelegen, in der Provinz Yukon. Ich liebe<br />
die Einsamkeit wie mein Vater, die grandiose Power der Natur.<br />
In der Provinz Yukon leben rund 30 000 Menschen, sie ist größer<br />
als Deutschland. Mein Haus ist abgelegen, ich kann es nur im<br />
Sommer mit dem Boot erreichen. Whitehouse, der nächste größere<br />
Ort, ist vierhundert Kilometer entfernt. Hier muss man alles<br />
selber machen; jeden Nagel muss man mitbringen, jedes Fenster.<br />
Man lebt in und mit der Natur, ist ihr ausgeliefert. Wenn wir etwas<br />
zu essen brauchen, geht Ling, meine Frau, aus dem Haus und<br />
sagt, ich hole uns mal eben einen Hecht. Dann fängt sie ihn und<br />
kommt nach ein paar Minuten wieder, oder sie schießt Haselhühner<br />
fürs Mittagessen. Was sollen wir auch mit einem Elch? Wir<br />
haben keine Tiefkühltruhe für fünfhundert Kilo Fleisch.« Seine<br />
Passion sind die Indianer an der Westküste. »Für dich brennt bei<br />
uns immer ein Feuer«, sagten sie zu ihm. Er setzt sich für ihre<br />
Rechte ein. »Ich bin sicher, meinem Vater hätte das gefallen.«<br />
Sein Vater hat die neue Heimat seines Sohnes nie besucht.<br />
Im März 1979 erkrankt Kurt <strong>Ganske</strong> schwer, bricht zusammen.<br />
»Der Arzt sagte, er müsse sofort ins Krankenhaus«, erzählt Gerda<br />
<strong>Ganske</strong> mit belegter Stimme. »Es war eine Varizenblutung. Acht<br />
Tage hat er noch gelebt. Am 20. März ist er in meinen Armen gestorben.<br />
Ich konnte ihn nicht im Krankenhaus liegen lassen. Ich<br />
habe ihn mit nach Hause genommen, und ich bin Prof. Lubomir<br />
Djurdzevic heute noch dankbar für seine rührende Hilfe. Mein<br />
Mann lag hier noch vier Tage in seinem Arbeitszimmer aufgebahrt.<br />
Ich konnte mich nicht von ihm trennen.«<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 221 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:48 <strong>Uhr</strong><br />
221
222<br />
Die Todesanzeige der Familie zitiert aus dem 90. Psalm:<br />
Unser Leben währet siebenzig Jahre<br />
und wenn’s hochkommt, so sind’s achtzig Jahre,<br />
und wenn’s köstlich gewesen ist,<br />
so ist’s Mühe und Arbeit gewesen;<br />
denn es führet schnell dahin, als fl ögen wir davon.<br />
»Er wird fortwirken in seinen Gedanken und Plänen«, steht in<br />
der Anzeige der Hamburger Verlage und des Lesezirkels Daheim.<br />
»Pläne haben Kurt <strong>Ganske</strong> immer bewegt. Sie waren das große<br />
Vergnügen seines Daseins«, schreibt Jochen Karsten in einem<br />
Nachruf in der Welt.<br />
Siegfried Lenz hält die Totenrede in der Kapelle in Hohenhaus.<br />
»Wir stellten einander viele Fragen, er war ein großer Fragesteller,<br />
weiß Gott –, wir fanden uns oft in der gemeinsamen Freude<br />
am Widerspruch. Früh gab er zu erkennen, was ihn trug und beherrschte:<br />
es waren ein Verlangen nach Klarheit und ein Bedürfnis<br />
nach souveränem Lebensstil. Gleiches durch Gleiches, Außerordentliches<br />
durch Außerordentliches: das hätte sein geheimer<br />
Wahlspruch sein können. – Souveränität – dies war eines seiner<br />
Lieblingsworte in unseren Gesprächen, Souveränität, wie er sie<br />
verstand, legte manchen Verzicht nahe. Er war bereit dazu. Souveränität<br />
zeigte er bei seinen Gründungen, mit Souveränität quittierte<br />
er manche Enttäuschung. Der Grund dieser Souveränität war<br />
bei ihm ein ruhiges Zutrauen zu sich selbst, und dieses Zutrauen<br />
wiederum befähigte ihn zu seiner enormen Lebensleis tung. Um<br />
dieses Werk zu schaffen, bedurfte es allerdings noch anderer Gaben:<br />
Mut war nötig und Einfallsglück und Ausdauer. Und wieder<br />
Souveränität, die sich für ihn nicht darin erschöpfte, einer Lage<br />
gewachsen zu sein, sondern sie zu beherrschen, zu meistern. Was<br />
der Gründer Kurt <strong>Ganske</strong> für sich forderte und in Anspruch nahm,<br />
das traf auch auf den Privatmann zu. Souverän bestimmte er die<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 222 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:48 <strong>Uhr</strong>
Form seines Lebens, eines erfüllten Lebens voller Genugtuungen.<br />
Nicht über den Sinn des Lebens zu diskutieren, sondern ihm<br />
Ausdruck zu geben durch eine bemerkenswerte Handlung, sich<br />
nicht über Formlosigkeit aufzuhalten, sondern sie zu überwinden<br />
durch gesetzte eigene Form; nicht äußere Ansprüche zaghaft hinnehmen,<br />
sondern sie durch eigenen Anspruch parieren: Für K.G.<br />
waren dies Bedingungen souveräner Lebenshaltung. Souverän<br />
sein, das hieß für ihn: sich eine eigene Verfassung zu geben. Jede<br />
Entscheidung kann eine Herausforderung sein, er hat viele Herausforderungen<br />
angenommen und auf seine Weise beantwortet.<br />
Sein Leben ist nicht Skizze geblieben; er hat seinen Lebensentwurf<br />
erstaunlich ausgeführt. Ehren wir diesen Mann, indem wir<br />
uns bemühen, seinem Werk Dauer zu sichern.«<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> wird auf dem Friedhof von Hohenhaus begraben.<br />
Am Waldrand über Hohenhaus ziehen die Jäger auf und blasen<br />
das große Halali.<br />
Drei Jahre nach dem Tod von Kurt <strong>Ganske</strong> verwirklicht der<br />
Sohn einen Traum seines Vaters – ein Projekt, das der immer vor<br />
Augen hatte, aber nicht mehr realisieren konnte: In der früheren<br />
Remise des Rittergutes eröffnet Thomas <strong>Ganske</strong> das Landhotel<br />
Hohenhaus, ein exklusives Refugium mit Kaminplätzen in der<br />
Lobby, Gourmet-Restaurant und Hallenbad. Komfortabel eingerichtete<br />
Zimmer blicken ins Grüne, das Haus wird Mitglied der<br />
Hotelvereinigung »Relais & Chateaux«.<br />
Das Erbe des Kurt <strong>Ganske</strong> hat tiefe Wurzeln geschlagen; manche<br />
Zweige sind abgestorben, andere sind hinzugekommen. Es ist<br />
nicht alles glatt gelaufen, aber das Unternehmen ist stetig gewachsen.<br />
Ein Tiefwurzler offenbar. In drei Jahren wird der Verleger<br />
Thomas <strong>Ganske</strong> 60 Jahre alt. Sebastian, sein Sohn, lernt Verlagskaufmann<br />
beim Heinrich Bauer Verlag. Der Genera tionswechsel<br />
steht noch nicht unmittelbar bevor, aber die Gedanken kreisen<br />
das Thema ein. »Er wird es nicht in die Hand gelegt bekommen.<br />
Er muss es sich nehmen«, sagt der Vater.<br />
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223
Besuch bei Gerda <strong>Ganske</strong>. Es ist still geworden im Schloss; die<br />
Geschäftsführer des Lesezirkel Daheim treffen sich woanders, Verleger<br />
und Geschäftsfreunde kommen nicht mehr zu Waldspaziergängen.<br />
Aber zu einigen Autoren hält die Witwe des Verlegers<br />
Kontakt. »Besonders befreundet bin ich mit Irina Korschunow.<br />
Sie bekommt immer das gleiche Zimmer; ich nenne es das ›Malenka-Zimmer‹.«<br />
Gerda <strong>Ganske</strong> ist 91 Jahre alt und in Gedanken bei ihrem Mann.<br />
»Er ist hier. Ich lebe mit ihm. Er war nie weg.« Das Gehen fällt ihr<br />
nicht mehr so leicht, aber ihre Stimme ist jung und warm, sie hat<br />
einen wachen Geist und ein gutes Erinnerungsvermögen. Die Erinnerungen<br />
gehören ihm. »Wenn ich ihn vor mir sehe, sehe ich<br />
ihn als jungen Mann«, sagt sie mit einem Lächeln. »Er war ein ganz<br />
zärtlicher, umgänglicher Mensch. Er konnte sehr fein sein und<br />
weich. Wir konnten gut zusammen tanzen, am liebsten englischen<br />
Walzer. Er hatte Spaß daran, das Gesellschaftliche zu imitieren:<br />
›Ich bitte um Ihre Hand, Madame.‹ Ich hatte das Gefühl, das kam<br />
aus seiner Zeit in Berlin. Ich war immer wieder verblüfft, wenn so<br />
etwas kam, denn das Gesellschaftliche interessierte ihn überhaupt<br />
nicht.« Sie lebt in seiner Welt; sein Zimmer, sein Schreibtisch, seine<br />
Bücherschränke, die Jagdtrophäen an den Wänden, sie hat nichts<br />
verändert. Sie spricht mit ihm, fragt sich bei vielem, was sie aus der<br />
Politik erfährt oder auch bei ganz alltäglichen Situationen, was<br />
K.G. wohl dazu sagen würde. Er bleibt ihr keine Antwort schuldig.<br />
An der Wand hängt eine Fotografi e, die ihr Sohn Thomas ihr geschenkt<br />
hat. Sie zeigt eine Landschaft, den Blick zum Friedhof von<br />
Hohenhaus. Dort liegt Kurt <strong>Ganske</strong> begraben. Sie blickt jeden Tag<br />
dorthin. Er hat einen Grabstein aus Schiefer, den Stein, den er so<br />
sehr mochte. »Der Schriftzug seines Namens stammt von seinem<br />
ersten Liebesbrief. Meinen Schriftzug habe ich gleich mitmachen<br />
lassen. Er liegt oben bei mir im Schrank.« Sie hat ihn bestellt, als<br />
sie ihren Mann zu Grabe trugen.<br />
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ZEITTAFEL<br />
1905 Kurt <strong>Ganske</strong> wird am <strong>14</strong>. Januar 1905 in Kiel geboren.<br />
1907 Sein Vater Richard <strong>Ganske</strong> gründet in Kiel die Lesezirkel-Firma<br />
Lesezirkel Daheim Richard <strong>Ganske</strong>.<br />
1913 Gründung der ersten Filiale des Lesezirkel Daheim<br />
in Hannover.<br />
1924 Kurt <strong>Ganske</strong> tritt in die Firma des Vaters ein. Der Lesezirkel<br />
Daheim errichtet Filialen in Dresden und Chemnitz.<br />
1925 Der Lesezirkel Daheim errichtet Filialen in Stettin, Frankfurt,<br />
Nürnberg und Düsseldorf.<br />
1926 Die Zentrale des Lesezirkels zieht nach Hannover.<br />
Der Lesezirkel Daheim errichtet Filialen in Gelsenkirchen,<br />
Kassel, Mannheim und Osnabrück.<br />
1928 Der Lesezirkel Daheim errichtet Filialen in Augsburg,<br />
Breslau, Danzig, Karlsruhe, Magdeburg und Stuttgart.<br />
1929 Der Lesezirkel Daheim errichtet eine Filiale in Berlin.<br />
1930 Der 25-jährige Kurt <strong>Ganske</strong> dirigiert den größten deutschen<br />
(und damit den weltgrößten) Lesezirkel.<br />
1931 Im März besteigt Kurt <strong>Ganske</strong> mit dem Bergführer Fritz<br />
Schatzmann im Laufe von sechs Tagen den Piz Buin<br />
(3312 m) und die Dreiländerspitze (Gemsspitze), das<br />
Fluchthorn (3<strong>40</strong>3 m), den Piz Tasna (3183 m) und den<br />
Piz Davo Lais (3031 m) und wandert über das Larainfernerjoch<br />
nach Galtür.<br />
1932 Zehntägige Wanderung im April. Kurt <strong>Ganske</strong> wandert<br />
von Gargellen nach Obergurgel; er besteigt den Festkogel<br />
(3041 m), den Anna Kogl (3344 m) und den nördlichen<br />
Hochwalde (3420 m), den Schalfkogel (3510 m)<br />
und Similaun (3607 m), die Mittlere, Vordere und Hintere<br />
Guslarspitze (3128 m, 3119 m und 3<strong>14</strong>8 m), die<br />
Wildspitze (3774 m), Hoch Vernagtspitze (3531 m),<br />
Weißseespitze (3534 m) und Kesselwandspitze (34<strong>14</strong> m)<br />
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225
1933 Der Lesezirkel Daheim errichtet Filialen in Görlitz und<br />
Waldenburg.<br />
1934 Sechs Tage Bergwanderung im April: Britanniahütte<br />
(3030 m), Klein Allalinhorn (3077 m), Strahlhorn<br />
(4191 m), Alphubel (4207 m), Fluchthorn (3802 m),<br />
Allalinhorn (<strong>40</strong>27 m). Eingliederung der Grünen Mappe<br />
in Hamburg mit Filialen in Bremen und Lübeck in den<br />
Lesezirkel Daheim.<br />
1936 Kurt <strong>Ganske</strong> erwirbt Gut Hohenhaus in Nordhessen.<br />
1937 Der Lesezirkel Daheim baut Zweigniederlassungen in<br />
Dessau, Halberstadt, Halle, Leipzig, Plauen und<br />
Zwickau auf.<br />
1938 Der Lesezirkel Daheim hat 36 Filialen in Deutschland,<br />
1300 Mitarbeiter und über 180 000 Abonnenten.<br />
Für das Anzeigengeschäft wird der Werbemerkur<br />
gegründet.<br />
27. August: Kurt <strong>Ganske</strong> heiratet Gerda Tolle in<br />
Hohenhaus.<br />
1939 Geburt von Michael <strong>Ganske</strong>.<br />
19<strong>40</strong> Geburt von Martin <strong>Ganske</strong>.<br />
1941 Kurt <strong>Ganske</strong> erwirbt von dem dänischen Schleifmittelfabrikanten<br />
Martinus Christensen 50 Prozent des<br />
Hoffmann und Campe Verlages. Später erhöht sich die<br />
Beteiligung auf 90 Prozent. Nach dem Krieg geht der<br />
Verlag ganz in seinen Besitz über.<br />
1942 Geburt von Mareile <strong>Ganske</strong>. Harriet Wegener nimmt<br />
ihre Tätigkeit als Lektorin des Hoffmann und Campe<br />
Verlages auf. Sie hat maßgeblichen Anteil an der<br />
Führung des Verlages bis zu seinem Verbot 1944 und<br />
am Wiederaufbau des Unternehmens nach dem Ende<br />
des Zweiten Weltkriegs. Noch in den siebziger Jahren<br />
war Harriet Wegener als Lektorin für Hoffmann und<br />
Campe tätig.<br />
226<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 226 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:49 <strong>Uhr</strong>
Innerhalb der Reihe »Geistiges Europa« veröffentlicht<br />
der spätere Bundespräsident Theodor Heuss »Justus von<br />
Liebig. Vom Genius der Forschung«.<br />
1944 Als letzter Band der Reihe »Geistiges Europa« erscheint<br />
Albrecht Erich Brinckmanns »Michelangelo. Vom Ruhme<br />
seines Genius in fünf Jahrhunderten«.<br />
Am 26. August erhält Hoffmann und Campe die Schließungsverfügung<br />
vom Präsidenten der Reichsschrifttumskammer.<br />
Dank ihrer Hartnäckigkeit erwirken<br />
Martinus Christensen und Harriet Wegener mehrfach<br />
eine Verlängerung der Abwicklungsfrist, so dass dem<br />
Verlag Räume, Telefone, Schreibmaschinen und der<br />
ganze Bürobestand bis 1945 erhalten bleiben.<br />
1945 Hohenhaus wird vorübergehend amerikanisches Hauptquartier.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> fl ieht aus der Gefangenschaft und<br />
wandert nach Hohenhaus. Tod des Kindes Martin.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> und Martinus Christensen erhalten von<br />
den Besatzungsbehörden die Erlaubnis zur Publikation<br />
von Büchern und Musikalien.<br />
1946 Hoffmann und Campe geht mit 13 Titeln in den Verkauf.<br />
34 weitere werden angekündigt. Der Schwerpunkt<br />
des Programms liegt auf übersetzter Belletristik (aus<br />
dem Englischen, dem Französischen und Finnischen).<br />
In der »Drei Türme Edition« werden Noten und musikalische<br />
Fachliteratur veröffentlicht. Der Lesezirkel wird<br />
mit dem Verleih von Büchern wieder aufgebaut. Der<br />
Leserkreis Daheim eröffnet Filialen in Augsburg, Bremen,<br />
Düsseldorf, Frankfurt, Gelsenkirchen, Hamburg,<br />
Hannover, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Lübeck, Mannheim,<br />
Nürnberg, Osnabrück und Stuttgart.<br />
1947 Geburt von Thomas <strong>Ganske</strong>.<br />
Friedrich Everling veröffentlicht unter dem Pseudonym<br />
Schlehdorn den Roman »Der Flüchtling du Chêne«.<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 227 <strong>01.11.2005</strong> 15:44:20 <strong>Uhr</strong><br />
227
Der Leserkreis Daheim eröffnet Filialen in Berlin, Leipzig,<br />
Chemnitz, Dresden, Görlitz, Magdeburg, Regensburg<br />
und Zwickau.<br />
1948 Prof. Alfred Mahlau (1894–1964) entwickelt ein Signet<br />
für den Hoffmann und Campe Verlag, das noch heute<br />
im Einsatz ist.<br />
Im Juli erscheint die erste Ausgabe von Merian.<br />
Bis 19<strong>54</strong> konzentriert sich die monographische Zeitschrift<br />
ausschließlich auf deutsche Themen.<br />
Gründung von Film und Frau (später Moderne Frau,<br />
heute Petra). Gründung der Monatszeitschrift Stimme der<br />
Frau im Verlag Die Stimme der Frau GmbH in Hannover.<br />
Der Leserkreis Daheim eröffnet Filialen in München<br />
und Würzburg. Die ostdeutschen Filialen werden in<br />
eine selbständige Kommanditgesellschaft umgewandelt.<br />
Bis zur Währungsreform können in den Filialen der<br />
britischen, amerikanischen und französischen Zone<br />
9000 Erstmappen an 170 000 Abonnenten geliefert<br />
werden. Nach der Währungsreform sinkt der Kundenstamm<br />
auf 95 000, während in der sowjetisch besetzten<br />
Zone 33 000 Leser die Mappen beziehen.<br />
1949 23. Mai: Gründung der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert die Presse- und<br />
Meinungsfreiheit.<br />
Der Jahreszeiten Verlag zieht nach Hamburg und übernimmt<br />
Stimme der Frau ab Heft 4/49. Im Jahr darauf<br />
Umstellung auf vierzehntägiges Erscheinen. Aufbau von<br />
Zweigniederlassungen des Leserkreis Daheim in Braunschweig,<br />
Dortmund, Duisburg, Essen, Wiesbaden und<br />
Wuppertal.<br />
1950 Martinus Christensen scheidet aus dem Hoffmann und<br />
Campe Verlag aus, Kurt <strong>Ganske</strong> wird Alleininhaber.<br />
Rudolf Soelter wird Verlagsleiter Programm bei Hoff-<br />
228<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 228 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:50 <strong>Uhr</strong>
mann und Campe, wo Grantly Dick-Reads »Mutterwerden<br />
ohne Schmerz« herauskommt und Dinah Nelkens<br />
»Ich an Dich«.<br />
Der Leserkreis Daheim eröffnet Filialen in Gießen und<br />
Rendsburg.<br />
1951 Bei Hoffmann und Campe erscheint das erste Buch von<br />
Siegfried Lenz: »Es waren Habichte in der Luft«. In der<br />
DDR werden die Filialen in Chemnitz, Dresden, Görlitz,<br />
Leipzig, Magdeburg und Zwickau enteignet und in die<br />
Verwaltung der Post überführt.<br />
1952 Bei Hoffmann und Campe erscheinen Percy Ernst<br />
Schramms »Hamburg, Deutschland und die Welt« und<br />
Paul Herrmanns »Sieben vorbei und acht verweht. Das<br />
Abenteuer der frühen Entdeckungen«.<br />
1953 Der Leserkreis Daheim gründet Filialen in Bremerhaven,<br />
Bochum und Oberhausen.<br />
Im Hoffmann und Campe Verlag erscheint Peter von<br />
Zahns »Fremde Freunde. Bericht aus der neuen Welt« .<br />
19<strong>54</strong> Bei Hoffmann und Campe erscheinen Alice Ekert-Rotholz’<br />
»Reis aus Silberschalen« und Clemens Wilmenrods<br />
»Es liegt mir auf der Zunge«.<br />
Hamburg wird Zentrale des Leserkreis Daheim mit<br />
360 000 Kunden.<br />
1955 Dr. Albrecht Bürkle, seit 1947 als Lektor und Redakteur<br />
im Hoffmann und Campe Verlag tätig, wird Verlagsleiter.<br />
Bei Hoffmann und Campe erscheinen: Siegfried Lenz,<br />
»So zärtlich war Suleyken. Masurische Geschichten«;<br />
Max Tau, »Denn über uns ist der Himmel« und Hans<br />
Scholz, »Am grünen Strand der Spree«.<br />
1956 20. Februar: Tod des Firmengründers Richard <strong>Ganske</strong>.<br />
175 Jahre Hoffmann und Campe Verlag.<br />
Zum 100. Todestag Heinrich Heines startet bei Hoffmann<br />
und Campe die Reihe der »Campe-Klassiker«:<br />
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229
Goethe, Schiller, Shakespeare, Hebbel, Lessing, Mörike,<br />
Novalis, Tieck und Ibsen, die 1971 mit einer Edition der<br />
Musikdramen Richard Wagners endet. Von Alice Ekert-<br />
Rotholz erscheint »Wo Tränen verboten sind. Roman der<br />
Wandlungen« und von Grantly Dick-Read »Der Weg zur<br />
natürlichen Geburt«.<br />
Kurt <strong>Ganske</strong> wird Mehrheits-Gesellschafter des Rheinischen<br />
Merkur in Koblenz. Baubeginn des Redaktionshochhauses<br />
Poßmoorweg 1 und des Redaktions- und<br />
Verlagsgebäudes am Krohnskamp 20–24 in Hamburg<br />
Winterhude.<br />
1957 Bei Hoffmann und Campe erscheinen von Gerhard<br />
Nebel »An den Säulen des Herakles« und »Die Not<br />
der Götter«. Das erste Themen-Sonderheft von Film und<br />
Frau erscheint unter dem Titel Architektur.<br />
Aus Stimme der Frau wird die Für Sie.<br />
1958 Bei Hoffmann und Campe erscheinen Michel de Castillos<br />
»Elegie der Nacht«, ein dokumentarischer Roman.<br />
1959 Rudolf Hagelstange erhält für seinen Roman »Spielball<br />
der Götter« den Julius-Campe-Preis.<br />
1960 Bei Hoffmann und Campe erscheinen M. Y. Ben-Gavriêls<br />
»Der Mann im Stadttor« und Joy Adamsons »Frei<br />
geboren«.<br />
1965 Einrichtung von Verlagsbüros am Heidberg 1 neben<br />
dem Verlagsgebäude am Krohnskamp.<br />
Erweiterung der Gebäude am Poßmoorweg und am<br />
Heidkamp 1– 9.<br />
1966 Am 9. September erscheint die letzte Ausgabe von Film<br />
und Frau. Vierzehn Tage später kommt sie unter dem<br />
Titel Moderne Frau heraus.<br />
1967 Gründung der Zeitschrift Zuhause Wohnen im Jahreszeiten<br />
Verlag.<br />
230<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 230 <strong>01.11.2005</strong> 16:08:24 <strong>Uhr</strong>
1968 Gründung der Zeitschrift Architektur und kultiviertes<br />
Wohnen, hervorgegangen aus Film und Frau. Das Blatt<br />
erscheint ab 1969 in zwei Ausgaben pro Jahr, wird 1971<br />
in Architektur & Wohnen umbenannt und kommt 1977<br />
dreimal und ab 1978 viermal im Jahr heraus. Ab 1985<br />
wird die Erscheinungsweise auf zweimonatlich umgestellt.<br />
Bei Hoffmann und Campe erscheint »Deutschstunde«<br />
von Siegfried Lenz.<br />
1969 Ausbau des Verlagsgebäudes Heidberg 1– 7. Der neue<br />
Verbindungstrakt zum ersten Verlagsgebäude erhält<br />
die künftig für den ganzen Verlag geltende Postadresse<br />
Poßmoorweg 5. Der Jahreszeiten Verlag übernimmt den<br />
monatlichen Frauentitel Petra von Gruner+Jahr. Aus<br />
Petra und Moderne Frau wird später Petra – die moderne<br />
Frau. Der Hoffmann und Campe Verlag erwirbt den<br />
Heinrich Heine Verlag zusammen mit den Rechten am<br />
Gesamtwerk Hanns Henny Jahnns.<br />
1970 Der Jahreszeiten Verlag übernimmt aus dem Ehapa Verlag<br />
die Zeitschrift Vital.<br />
1973 Thomas <strong>Ganske</strong> wird Teilhaber des Jahreszeiten und<br />
Hoffmann und Campe Verlags.<br />
1974 Thomas <strong>Ganske</strong> beginnt als Assistent der Verlagsleitung<br />
bei Hoffmann und Campe.<br />
Bei Hoffmann und Campe erscheint die siebenbändige<br />
Gesamtausgabe Hanns Henny Jahns.<br />
1975 Übernahme von Der Feinschmecker aus dem Arne Verlag.<br />
Die Erstausgabe erscheint mit dem Untertitel »Tafelfreuden<br />
international« in einer Startaufl age von<br />
100000, in der Testphase dann vierteljährlich (ab 1986<br />
alle zwei Monate und seit 1989 monatlich). Zuhause<br />
mach’s selbst erscheint als Sonderheft von Zuhause.<br />
1978 Der Jahreszeiten Verlag übernimmt vom Orbis Verlag<br />
die Zeitschrift Selbermachen.<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 231 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:51 <strong>Uhr</strong><br />
231
Der Hoffmann und Campe Verlag wird Gesellschafter<br />
beim Deutschen Taschenbuch Verlag, München.<br />
Michael <strong>Ganske</strong> wandert nach Kanada aus. Thomas<br />
<strong>Ganske</strong> übernimmt die Leitung des Verlages.<br />
1979 Kurt <strong>Ganske</strong> stirbt am 20. März 1979 in Hohenhaus.<br />
Heute sind die Unternehmen der <strong>Ganske</strong> Verlagsgruppe unter<br />
einer Holding mit Sitz am Harvestehuder Weg 41 zusammengefasst.<br />
Der Vorstand besteht aus Frank-H. Häger, Peter Notz und<br />
Karl Udo Wrede, Vorstandsvorsitzender ist Thomas <strong>Ganske</strong>.<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 232 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:51 <strong>Uhr</strong>
REGISTER<br />
Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen<br />
sich auf die Abbildungen.<br />
ADAC-Reisemagazin 162<br />
Adenauer, Konrad <strong>14</strong>4, <strong>14</strong>6, 150<br />
Adorno, Theodor W. 110<br />
Ahlers, Conrad 190<br />
Akut – Das kritische Magazin für<br />
Wissenschaft und Fortschritt<br />
178<br />
Alexander I., Zar von Russland<br />
<strong>14</strong>5<br />
Andres, Stefan 161, 194<br />
Arbeiter-Illustrierte 169<br />
Architektur & Wohnen 7, 173<br />
Architektur und kultiviertes Wohnen<br />
172, 174<br />
Ariola 158<br />
Arndt, Ernst Moritz <strong>14</strong>5<br />
Arne Verlag 178<br />
Augstein, Rudolf 115, 165<br />
Ausländer, Rose 197<br />
B.Z. am Mittag 46, 50<br />
Bähnisch, Theanolte 122<br />
Baker, Josephine 53<br />
Bär, Elisabeth 155<br />
Barbey, Bruno 162<br />
Bardot, Brigitte 119, 121<br />
Barth, Erwin <strong>54</strong><br />
Bauer, Heinz 16<br />
Baum, Hedwig (»Vicki«) 48<br />
Bayerischer Staatspreis für<br />
Literatur 186<br />
Becker, Konrad <strong>14</strong>9<br />
Behr, Hubert 77, 79<br />
Bergengruen, Werner 194<br />
Bergman, Ingmar 166, 194<br />
Berliner Illustrirte Zeitung 25,<br />
47 f., 62<br />
Berliner Tageblatt 58<br />
Bernhard, Thomas 157<br />
Bertelsmann Verlagsgruppe 193<br />
Beuys, Joseph <strong>14</strong>9<br />
Bieler, Manfred 192<br />
Bimini 83<br />
Bing Fromont, Jean-Michel <strong>14</strong>5<br />
Blechschmidt, Angelica 218<br />
Böckel, Eberhard 194<br />
Böckmann, Paul 197<br />
Boese, Christa (→ Hantelmann,<br />
Christa von) 136<br />
Böll, Heinrich 186, 189<br />
Börne, Ludwig 82<br />
Börsenblatt des Deutschen Buchhandels<br />
194<br />
Bötticher, Hans (→ Ringelnatz,<br />
Joachim) 56 f.<br />
Brandt, Willy 190 f.<br />
Brecht, Bertolt 33, 46, 58<br />
Brentano, Clemens von <strong>14</strong>5<br />
Brigitte 22, 123, 165, 170 f.<br />
Brinckmann, Albert Erich von<br />
83, 85<br />
Brinitzer, Albert 83<br />
Brinitzer, D. Carl 197<br />
Brod, Max 46<br />
Brown, Dee 190<br />
Brüning, Heinrich 60, 181<br />
Bucerius, Gerd 150, 196<br />
Buchholz, Horst 120<br />
Bunte Illustrierte <strong>14</strong>9<br />
Burda, Aenne 167<br />
Burda, Franz <strong>14</strong>, 16, <strong>14</strong>9, 167,<br />
210<br />
Burda, Frieder 167 f., 170<br />
Burda Moden <strong>14</strong>9<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 233 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:25 <strong>Uhr</strong><br />
233
Burda Verlag <strong>14</strong>9<br />
Burkhardt, Joachim 197<br />
Bürkle, Albrecht 134, 137 f.,<br />
155, 173<br />
Campbell-Walter, Fiona 120<br />
Campe, Fritz August Gottlob 82<br />
Campe, Julius 82, 84, 132 ff.,<br />
<strong>14</strong>6<br />
Campe, Julius jr. 82<br />
Campe-Klassiker 184<br />
Capital 175 f.<br />
Cardenas, Julio 94<br />
Ceram, C. W. (eigentl. Kurt Wilhelm<br />
Marek) 183<br />
Christensen, Martinus 83 ff., 113<br />
Christ und Welt 150, 152<br />
Clay, Lucius D. 109<br />
Clift, Montgomery 110<br />
Cocteau, Jean 118, 161<br />
Comedian Harmonists 56<br />
Constanze 123, 165 f., 170 f.<br />
Constanze Mode-Sonderheft<br />
165, 170<br />
Constanze Verlag 123, 165,<br />
169, 171<br />
Country 174<br />
Cramer, Heinz von 197<br />
Crismon 152<br />
Dagover, Lil 120<br />
Danella, Utta 189<br />
Das Blatt der Hausfrau 36, 47, 62<br />
Das kleine Magazin 50<br />
Das Magazin 49 f.<br />
Das Ufer <strong>14</strong>9<br />
de Bry, Theodor 112<br />
de Sica, Vittorio 110<br />
Der Bazar 62<br />
Der Feinschmecker 7, 15, 178 f.<br />
234<br />
Der heitere Fridolin 48<br />
Der Rheinische Hausfreund <strong>14</strong>4<br />
Der Spiegel 1<strong>14</strong> f., 165, 177 f.<br />
Deutscher Taschenbuch Verlag<br />
193<br />
Dick-Read, Grantly 128<br />
Die Dame 46 f., 62<br />
Die elegante Welt 50<br />
Die Gartenlaube 19, 24<br />
Die Grüne Mappe 61<br />
»Die junge Welt«; Buchreihe<br />
im Hoffmann und Campe<br />
Verlag 83<br />
Die Koralle 48, 62<br />
Die Sirene 63<br />
Die Stimme der Frau 122 ff., <strong>14</strong>2<br />
Die Welt 129, 131, 222<br />
Die Zeit 150, 177<br />
Dies Blatt gehört der Hausfrau!<br />
22 f.<br />
Diese Woche 115<br />
Dietrich, Marlene 50, 53, 58<br />
Dingelstedt, Franz 82<br />
Dior, Christian 110<br />
Ditfurth, Hoimar von 178, 189 f.<br />
Djilas, Milovan 161<br />
Djurdzevic, Lubomir 221<br />
Dor, Milo 197<br />
Dyck, Anthonis van 112<br />
Ebert, Friedrich 30<br />
Ebert, Horst-Dieter 179<br />
Ebhardt, Bodo 70<br />
Eggebrecht, Axel 115<br />
Eisenhower, Dwight D. 96<br />
Eisner, Kurt 30<br />
Ekert-Rotholz, Alice 134, 136,<br />
196 f.<br />
Ellington, Duke 53<br />
Emma 122<br />
Enquist, Per Olov 197<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 234 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:27 <strong>Uhr</strong>
Epstein, Leslie 194<br />
Erhard, Ludwig 111<br />
»Europa-Bibliothek«;<br />
Buchreihe im Hoffmann und<br />
Campe Verlag 83 f.<br />
Fahrenkamp, Emil 128<br />
Fallada, Hans 110<br />
Fallersleben, Hoffmann von 82<br />
Fest, Joachim 194<br />
Festkogl 66<br />
Film und Frau 7, 116 ff., 120,<br />
122 f., 127, 136, <strong>14</strong>2, <strong>14</strong>9, 157,<br />
165 f., 170, 172<br />
Finck, Werner 163<br />
Fleckhaus, Willy 175, 192, 218<br />
Fleischmann, Lea 195<br />
Förster-Nietzsche, Elisabeth 181<br />
Forst, Willi 58<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />
128<br />
Frankfurter Zeitung 182<br />
Frauenblatt 24<br />
Freundin 167<br />
Friedel, Michael 162<br />
Friedell, Egon 61<br />
Friedenspreis des Deutschen<br />
Buchhandels 186<br />
Friedlaender, Saul 194<br />
Friedrich I., König von Württemberg<br />
<strong>14</strong>5<br />
Fritz, Walter Helmut 192, 197<br />
Fröbe, Gert 110<br />
Funk-Wacht 115<br />
Furtwängler, Wilhelm 53, 58<br />
Für Sie 7, 15, 123, <strong>14</strong>2, 155,<br />
166 ff., 170 f., 218<br />
Fuß, Arnold 83<br />
<strong>Ganske</strong>, Anabell 215<br />
<strong>Ganske</strong>, Anna Selma (»Annchen«)<br />
9, 19, 97<br />
<strong>Ganske</strong>, Gerda (→ Tolle, Gerda)<br />
10, 73 ff., 78, 97, 99, 122<br />
<strong>Ganske</strong>, Götz 208<br />
<strong>Ganske</strong>, Karl Hermann Eduard<br />
19<br />
<strong>Ganske</strong>, Käthe (→ Vogt, Käthe)<br />
9, 12, 19, 52, 101<br />
<strong>Ganske</strong>, Luise Johanna 19<br />
<strong>Ganske</strong>, Mareile 81, 102, 105,<br />
108, 2<strong>14</strong>, 215<br />
<strong>Ganske</strong>, Mark 215<br />
<strong>Ganske</strong>, Martin 81, 103 f.<br />
<strong>Ganske</strong>, Michael 77, 99 ff., 105,<br />
108, 111, <strong>14</strong>1, 170, 208, 2<strong>14</strong> f.,<br />
218 ff.<br />
<strong>Ganske</strong>, Richard 9, 36, 52, 107<br />
<strong>Ganske</strong>, Sebastian 16, 223<br />
<strong>Ganske</strong>, Thomas 16, 20, 39, 41,<br />
63, 100, 108, 1<strong>14</strong>, 122, 137,<br />
138 ff., <strong>14</strong>8, 191, 201, 220, 224<br />
<strong>Ganske</strong>, Viktoria (→ Westhoff,<br />
Veronika) 219<br />
Garbo, Greta 48<br />
Géczy, Barnabas von 53, 57<br />
Geo 177<br />
Geo Special 162<br />
George, Uwe 195<br />
Gerhart-Hauptmann-Preis 186<br />
Gimm, Peter 218<br />
F. L. Gleditsch sel. Erben, Verlagsbuchhandlung<br />
81<br />
Glickes, Erwin 191<br />
Globke, Hans <strong>14</strong>4<br />
Goethe-Preis der Stadt Frankfurt<br />
am Main 186<br />
Goethe Johann Wolfgang von<br />
<strong>14</strong>5, 181, 184<br />
Görres, Joseph von <strong>14</strong>5<br />
Görres-Druckerei <strong>14</strong>5<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 235 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:27 <strong>Uhr</strong><br />
235
Graf, Oskar Maria 83<br />
Grube, Frank 195<br />
Grün, Anastasius 82<br />
Gruner, Richard <strong>14</strong>, 116, 170<br />
Gruner + Jahr Verlag 22, 171,<br />
176, 220<br />
Gruša, Jiˇrí 194<br />
Gustav II., Adolf, König von<br />
Schweden 112<br />
Gutenberg Verlag 83<br />
Gutzkow, Karl 82<br />
Habe, Hans 196<br />
Haffner, Sebastian 31, 34, 194<br />
Hagelstange, Rudolf <strong>40</strong>, 134,<br />
136, 196 f., 200<br />
Haller, Martin 127<br />
Handelsblatt 175<br />
Hannoversche Allgemeine 152<br />
Hannoversche Verlagsgesellschaft<br />
1<strong>14</strong><br />
Hantelmann, Christa von<br />
(→ Boese, Christa) 134, 136,<br />
173 f.<br />
Harlan, Veit 58<br />
Hartz, Alfred 51<br />
Hase, Karl Günther von 210<br />
Haselhorst, Walther 122<br />
Hauptmann, Gerhart 33<br />
Hazard, Paul 84<br />
Hebbel, Friedrich 82, 184<br />
Heckel, Erich 116<br />
Heine, Heinrich 17, 61, 80, 82,<br />
128, 133, 184, 199<br />
Heine-Jahrbuch 184<br />
Heine-Taler 192<br />
Heinemann, Caesar 128<br />
»Goldener Heine-Taler« 197<br />
Heinrich-Heine-Professur der<br />
Universität Düsseldorf 186<br />
Heinrich-Heine-Universität 184<br />
236<br />
Heinrich Bauer Verlag <strong>14</strong>, 115,<br />
223<br />
Henkel, Oberstleutnant 91 f.<br />
Herodes 183<br />
Herrmann, Marie-Luise 197<br />
Herrmann, Paul 128<br />
Hertel, Zacharias 81<br />
Hessel, Franz 46<br />
Heuss, Theodor 83<br />
Hildebrandt, Rüdiger 178, 183,<br />
188, 219 f.<br />
Hildenbrandt, Fred 58<br />
Hillard-Steinbörner, Gustav 197<br />
Hindemith, Paul 58<br />
Hitler, Adolf 59, 61, 84, 200<br />
Hofer, Carl 116<br />
Hoff, Kay 197<br />
Hoffmann, Benjamin Gottlob 81<br />
Hoffmann und Campe Verlag 7,<br />
11, <strong>14</strong>, 81 ff., 107, 113, 122,<br />
128, 129, 131, 133 f., <strong>14</strong>2, <strong>14</strong>6,<br />
159, 178, 181, 185, 187 ff.,<br />
192 f., 195, 198, 200 f., 220<br />
Höffner, Joseph Kardinal 152<br />
Höger, Fritz 42, 1<strong>14</strong><br />
Hohenzollern, Friedrich von 30<br />
Höhne, Eitel 202 f.<br />
Honolka, Bert 197<br />
Höpker, Thomas 162, 192<br />
Horkheimer, Max 110<br />
Horn, Camilla 50<br />
Hörzu 115<br />
Huffzky, Hans 123<br />
Hugenberg, Alfred 49<br />
Hugendubel, Paul 182<br />
Hugendubel, Verlag und<br />
Sortiment 182<br />
Hundertwasser, Friedensreich<br />
157<br />
Hyan, Hans 46<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 236 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:28 <strong>Uhr</strong>
Ibsen, Henrik 184<br />
Ihering, Herbert 46<br />
Immermann, Karl Leberecht 82<br />
Jäckel, Eberhard 194<br />
Jacobsohn, Siegfried 46<br />
Jahr, John 123<br />
Jahreszeiten Verlag 7, 13, 115,<br />
122, 167, 170 f., 177<br />
Jess, Henning 197<br />
Jünger, Ernst 41<br />
Käfer, Gerd 195<br />
Kaiser, Joachim 184<br />
Kaiserlich Privilegierte Hambur–<br />
gische Neue Zeitung 81<br />
Karl V., Kaiser <strong>14</strong>8<br />
Karsten, Jochen 9, 15 f., 113,<br />
155 f., 162 f., 178 ff., 220, 222<br />
Kästner, Erich 46<br />
Kausche-Kongsbak, Eva 197<br />
Käutner, Helmut 120<br />
Keller, Will 161 f.<br />
Kerr, Alfred 46, 83<br />
Kesselwandspitze 66<br />
Kiefer, Anselm <strong>14</strong>9<br />
Kienöl, Erich <strong>54</strong>, 66, 96 f.<br />
Kisch, Egon Erwin 33<br />
Kittinger, Hermann 205 ff.<br />
Kittinger, Wolfgang 206<br />
Klabund 83<br />
Klíma, Ivan 194<br />
Kliment, Alexander 194<br />
Klofat, Rainer 160<br />
Klopstock, Friedrich Gottlieb 82<br />
Klötzke, Helmut 88, 90<br />
Knaus, Albrecht 181 ff., 187 ff.,<br />
199 ff., 219 f.<br />
Knaus Verlag 193<br />
Knef, Hildegard 1<strong>14</strong><br />
Koch, Marianne 120<br />
Koczian, Johanna von 120<br />
Koebner, Franz Wolfgang 49 f.<br />
Koeppen, Wolfgang 161<br />
Kohout, Pavel 194<br />
Kokoschka, Oskar 185<br />
Konkret 123<br />
Konzelmann, Gerhard 195<br />
Kopelew, Lew 189<br />
Kopf, Hinrich Wilhelm 122<br />
Körber, Hilde 58<br />
Korschunow, Irina 224<br />
Krämer-Badoni, Rudolf 197<br />
Kriseová, Eda 194<br />
Kristall 115<br />
Krockow, Christian Graf von 195<br />
Krüger, Arne 178<br />
Krüger, Horst 161, 201<br />
Kunert, Günter 161<br />
Kusniewicz, Andrzej 194<br />
Lamarr, Hedy 120<br />
Lande, Max 83<br />
Laube, Heinrich 20<br />
Lauren, Ralph 174<br />
Lauritzen, Lauritz 208<br />
Laxness, Halldor 161<br />
Ledig-Rowohlt, Heinrich Maria<br />
183<br />
Lenz, Siegfried 7, 11, 15, 128 ff.,<br />
131, 133 f., 136, 161, 185 f.,<br />
188, 193, 196 ff., 200 f., 222,<br />
229, 231<br />
Lesezirkel Daheim Richard <strong>Ganske</strong><br />
7, 13, 20 ff., 31, 36, 39, 42, 45,<br />
48, 51, 62 f., 75, 81, 91, 104,<br />
106, 108, 110 f., <strong>14</strong>2, 164, 166,<br />
172, 222, 224<br />
Lessing, Gotthold Ephraim 184<br />
Lettré, Emil <strong>54</strong><br />
Leuwerik, Ruth 119<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 237 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:28 <strong>Uhr</strong><br />
237
Le Carré, John 192<br />
Lichtenstein, Roy <strong>14</strong>9<br />
Liebig, Justus von 83<br />
Lilje, Hanns 150<br />
List, Herbert 162<br />
Loerke, Oskar 83<br />
Lott-Almstadt, Sylvia 123<br />
Lübke, Wilhelmine 79<br />
Ludendorff, Erich 26<br />
Lundberg, Ferdinand 190<br />
Lüth, Erich 197<br />
Madame 50<br />
Magazin für Alle 50<br />
Mailer, Normann 161<br />
Mann, Golo 190<br />
Mann, Heinrich 61<br />
Mann, Thomas 51, 61, 161<br />
Marais, Jean 118<br />
Marx, Erich 16, <strong>14</strong>8 ff., 152 f.<br />
McBride, Barbara (→ Barbara<br />
Siebeck) 166<br />
McGraw, Ali 188<br />
McGraw Hill 188<br />
Meir, Golda 184<br />
Mendelssohn, Hermann 181<br />
Menuhin, Yehudi 53<br />
Merian 111, 113, 127, 132, 136,<br />
<strong>14</strong>2, 155, 156 ff., 183, 201,<br />
219<br />
Merian, Matthäus 99, 112<br />
Meyendorff, Irene von 116<br />
Michael, Marion 120<br />
Miller, Henry 161<br />
Moderne Frau 123<br />
Moenig, Siegfried 115<br />
Monika 22<br />
Montand, Yves 118<br />
Mönnich, Horst 199<br />
Mörike, Eduard von 184, 229<br />
Mosse 44<br />
238<br />
Müller, Alexander von 181<br />
Müller, August 81<br />
n+m (Naturwissenschaft und<br />
Medizin) 189<br />
Nachtigall, Werner 195<br />
Nannen, Henri 1<strong>14</strong><br />
Napoleon Bonaparte 82, <strong>14</strong>5<br />
National-Zeitung 49<br />
Natur 176<br />
Nebel, Gerhard 137, 197, 199<br />
Nelken, Dinah 46, 197<br />
Neveling, Hildegard 8<br />
Neven DuMont, Alfred 175<br />
News Magazine 1<strong>14</strong><br />
New York Times 188<br />
Nielsen, Asta 57<br />
Nietzsche, Friedrich 181, 188<br />
Nohlen, Dieter 195<br />
Nolde, Emil 116, 185<br />
Norddeutsche Hefte 115<br />
Novalis 184, 229<br />
NS-Frauenwarte 63<br />
Nuscheler, Franz 195<br />
O’Brien, Tim 194<br />
Oestergaard, Heinz 120<br />
Ondra, Anny 57, 68, 210<br />
O’Neal, Ryan 188<br />
Ophüls, Max 118<br />
Ossietzky, Carl von 134<br />
Pankoke, Helga (→ Waldenburger,<br />
Helga) 116<br />
Patton Jr., George S. 94 ff., 99<br />
Pershing, John Joseph 94<br />
Petra 7, 123, 169 f.<br />
Philipp II., König von Spanien<br />
<strong>14</strong>8<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 238 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:29 <strong>Uhr</strong>
Pieper, Leonharda (»Muschelkalk«)<br />
57, 59<br />
Piontek, Heinz 197<br />
Piper, Reinhard 182, 187<br />
Piper Verlag 194<br />
Piz Buin 66<br />
Playboy <strong>14</strong>9<br />
Popper, Karl 194<br />
Porten, Henny 58, 120<br />
Publik 151<br />
Querschnitt 48<br />
Random House 194<br />
Ranft, Ferdinand 15, 162<br />
Ranke, Leopold von 83<br />
Ratgeber fürs Hauswesen 22<br />
Rathenau, Walther 34<br />
Rauschenberg, Robert <strong>14</strong>9<br />
Remarque, Erich Maria 33<br />
Rheinischer Merkur 7, <strong>14</strong>2, <strong>14</strong>8,<br />
150 ff.<br />
Rhenania Buchverlag <strong>14</strong>4,<br />
150 f.<br />
Richter, Gerhard 101, 195<br />
Riess, Curt 197, 200 f.<br />
Ringelnatz, Joachim(→ Bötticher,<br />
Hans) 57, 59, 61<br />
Rittergut Polle, Weser 122<br />
Roegele, Otto B. <strong>14</strong>2, <strong>14</strong>4 ff.,<br />
150 f., 196, 2<strong>14</strong><br />
Röhring, Hans-Helmut 194, 220<br />
Rohrsen, Johannes 113<br />
Rowohlt, Ernst 61<br />
Rühmann, Heinz 48<br />
Rund um den Pelz <strong>14</strong>4<br />
Rütting, Barbara 120<br />
Safranski, Kurt 62<br />
K. G. Saur Verlag 220<br />
Schatzmann, Fritz 63, 66, 67<br />
Scheibe, Emil <strong>14</strong>2<br />
Scheibenpfl ug, Heinz 155<br />
Scheidemann, Philipp 30<br />
Scheler, Max 192<br />
Scherl’s Magazin 49<br />
Scherl Verlag 49<br />
Scherz und Goverts Verlag 182<br />
Schiller, Friedrich 184, 229<br />
Schmeling, Max 57, 68,<br />
69, 210 ff.<br />
Schmied, Erika 157 ff.<br />
Schmied, Wieland 157<br />
Schnack, Friedrich 197<br />
Schneider, Bernhardine 46<br />
Schneider, Romy 120<br />
Scholz, Hans 134<br />
Schöner Wohnen 165<br />
Schönthan, Gaby von 197<br />
Schopenhauer, Wilhelm 63<br />
Schramm, Gottfried 138<br />
Schramm, Percy Ernst 128<br />
Schubert, Carl von 196<br />
Schubert, Franz 17<br />
Schumacher, Kurt <strong>14</strong>6<br />
Schutzbar gen. Milchling,<br />
Rudolf Baron von 70<br />
Scott, George C. 95<br />
Segal, Erich 187 f.<br />
Selbermachen 7<br />
Sereny, Gitta 194<br />
Servan-Schreiber, Jean-Jacques<br />
197<br />
Shadbolt, Maurice 194<br />
Siebeck, Barbara 166<br />
Siebeck, Wolfram 179<br />
Signoret, Simone 118<br />
Simon, Sven 193<br />
Sintenis, Renee 57<br />
Siodmak, Curt 49<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 239 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:30 <strong>Uhr</strong><br />
239
Siodmak, Robert 49<br />
Sloterdijk, Peter 195<br />
Soelter, Rudolf 113<br />
Sonntagsblatt 150, 152<br />
Sontheimer, Kurt 194<br />
Souchon, Vizeadmiral 29<br />
Spaak, Paul-Henri 197<br />
Spiegel 177 f.<br />
Springer, Axel <strong>14</strong>, 123,<br />
193, 196<br />
Springer, Hinrich 115<br />
Springer Verlag 175<br />
Star-Revue 165<br />
Stark, Walther 132<br />
Stauffer, Teddy 53<br />
Stein, Freiherr vom <strong>14</strong>5<br />
Stern 1<strong>14</strong>, 157, 220<br />
Stern, Horst 176<br />
Steuer- und Zollblatt 115<br />
Stimme der Frau 115<br />
Stinnes, Hugo 39<br />
Stock, Dennis 162<br />
Stössel, Edelgard 166<br />
Süddeutsche Zeitung 167, 175<br />
Süddeutscher Verlag 152<br />
Surminski, Arno 192<br />
Tau, Max 197<br />
Tempo 46<br />
Tessin, Brigitte von 197<br />
Theobald, Adolf 174, 176<br />
Thomas, Gordon 190<br />
Thomas-Mann-Preis der Stadt<br />
Lübeck 186<br />
Thomsen, Hans-Markus 160<br />
Thulin, Ingrid 166<br />
Thyssen-Bornemisza Kaszon,<br />
Heinrich Baron von 120<br />
Tieck, Ludwig 184<br />
Tolle, Gerda (→ <strong>Ganske</strong>, Gerda)<br />
73, 74<br />
2<strong>40</strong><br />
Tournier, Michel 161, 197<br />
Troll, Thaddäus 197<br />
Tschechowa, Olga 55<br />
Tucholsky, Kurt 61<br />
Twen 166, 175<br />
Twombly, Cy <strong>14</strong>9<br />
Uhu 46<br />
Ullstein, Hans 46<br />
Ullstein, Hermann 48, 62<br />
Ullstein, Rudolf 25, 51<br />
Ullstein/Propyläen 182<br />
Ullstein Verlag 26, 44, 46,<br />
48, 50<br />
Ulrich, Rainer 175<br />
Universität Düsseldorf 186<br />
Universität Erlangen-Nürnberg<br />
186<br />
Universität Hamburg 186<br />
Updike, John 161, 162<br />
Vaculík, Ludvík 194<br />
Valente, Caterina 120<br />
Vehse, Eduard 82<br />
Verlag Paul Hugendubel 182<br />
Verlag Rudolf Augstein GmbH<br />
165<br />
Vital 177, 231<br />
Vogt, Käthe (→ <strong>Ganske</strong>, Käthe)<br />
<strong>14</strong>0<br />
Vogt, Richard <strong>14</strong>0 f.<br />
Vogt, Stefan 101<br />
Vonnegut Jr., Kurt 189<br />
Wagner, Richard 184<br />
Waldenburger, Curt 116, 119<br />
Waldenburger, Helga (→ Pankoke,<br />
Helga) 116<br />
Walser, Martin 161<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 2<strong>40</strong> <strong>01.11.2005</strong> 16:00:30 <strong>Uhr</strong>
Walter, Bruno 53<br />
Warhol, Andy <strong>14</strong>9, 153<br />
Wegener, Harriet 113, 135<br />
Weidenfeld, Sir Arthur George<br />
184<br />
Weill, Kurt 33, 58<br />
Weltbühne 134<br />
Westermanns Monatshefte 155<br />
Westhoff, Veronika (→ <strong>Ganske</strong>,<br />
Viktoria) 219<br />
Wickler, Wolfgang 195<br />
Wienbarg, Ludolf 82<br />
Wiese, Benno von 197<br />
Wildt, Dieter 197<br />
Wilhelm II., Deutscher Kaiser 18<br />
Wohmann, Gabriele 161<br />
Wouk, Hermann 192<br />
Yadins, Yigael 183<br />
Zahn, Peter von 197<br />
Zech, Paul 83<br />
Zickler, Stefan 197<br />
Ziemann, Sonja 48<br />
Zuckmayer, Carl 33, 46<br />
Zuhause 7, 172, 231<br />
Zuhause Wohnen 172, 230<br />
Zweig, Stefan 46<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 241 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:31 <strong>Uhr</strong>
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 242 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:31 <strong>Uhr</strong>
BILDNACHWEIS<br />
Bildarchiv Deutsches Historisches Museum 57 r.<br />
Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz/Friedrich Seidenstücker 47<br />
Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz/Hamburger Kunsthalle/<br />
Foto: Elke Walford 80<br />
Stadtarchiv Kiel 27<br />
Ullstein Bild 35, 37, 41, 43, 56, 57 l., 59, 95<br />
Ullstein Bild/AKG Pressebild 117<br />
Ullstein Bild/Weychardt 153<br />
Unternehmensarchiv <strong>Ganske</strong> Verlagsgruppe 2, 9, 10, 11, 13, 21, 38,<br />
52, 64, 65, 67, 69, 71, 73, 74, 76, 78, 87, 89, 93, 98, 102, 105, 107,<br />
109, 117, 121, 126, 127, 131, 135, <strong>14</strong>1, <strong>14</strong>3, 158, 159, 160, 161, 164,<br />
165, 168, 169, 171, 172, 173, 176, 177, 179, 191, 204, 211, 216/217<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 243 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:31 <strong>Uhr</strong>
1. Aufl age 2005<br />
Copyright © 2005 by<br />
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg<br />
www.hoca.de<br />
Dokumentation: Barbara Holst<br />
Bildrecherche: Kristina Vogt<br />
Satz im Hoffmann und Campe Verlag<br />
Frontispitz: Kurt <strong>Ganske</strong>,<br />
Ölgemälde von Emil Scheibe<br />
Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck<br />
Printed in Germany<br />
ISBN (10) 3-455-09509-7<br />
ISBN (13) 978-3-455-09509-8<br />
<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 244 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:31 <strong>Uhr</strong>