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Emanuel Eckardt<br />

HALTE SCHRITT<br />

KURT GANSKE<br />

UND SEINE ZEIT<br />

| Hoffmann und Campe |<br />

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1. Aufl age 2005 Copyright © 2005 by<br />

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg<br />

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INHALT<br />

Annäherung an einen Unsichtbaren 7<br />

Kindheit und Jugend 17<br />

Die zwanziger Jahre 33<br />

Die dreißiger Jahre 53<br />

Im Krieg 81<br />

Neustart 99<br />

Die fünfziger Jahre 125<br />

Blätter im Aufwind 155<br />

Dichter und Verleger 181<br />

Einsame Wege 205<br />

Zeittafel 225<br />

Register 233<br />

Bildnachweis 243<br />

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ANNÄHERUNG AN<br />

EINEN UNSICHTBAREN<br />

Wer war Kurt <strong>Ganske</strong>? – Bilder eines Unbekannten –<br />

Der Kommandierende General – Das beunruhigende<br />

Schweigen – Erinnerungen an den Vater<br />

Ein Mann im Hintergrund. »Deutschlands unbekanntester Verleger«<br />

– so stand es in einem Nachruf. Keine Schlagzeilen, keine<br />

Skandale, kein Bild, das sich mit dem Namen verbindet, kein Interview,<br />

das er gegeben hätte, kein Text von seiner Hand, keine<br />

Rede. Er trat in keiner Talkshow auf, hinterließ kein Bonmot, an<br />

das sich jemand erinnern könnte, keine These, an der sich die<br />

Nachwelt reiben könnte. Er hinterließ ein Vermögen. Er hinterließ<br />

einen Konzern, ein Lebenswerk von bedeutender Größe und<br />

Vielfalt. Er schrieb deutsche Pressegeschichte, Verlagsgeschichte,<br />

aber nie trat er als Person in Erscheinung.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> war Erfi nder, Konstrukteur und Regent eines<br />

Unternehmens, das so verschiedene Facetten umfasste wie das<br />

Traditionsblatt Rheinischer Merkur und den Lesezirkel Daheim, die<br />

Zeitschriften Merian oder Film und Frau. Sein Jahreszeiten Verlag<br />

erlebte mit Titeln wie Für Sie und Petra, Vital und Selbermachen, Der<br />

Feinschmecker, Zuhause und Architektur &Wohnen eine erfolgreiche<br />

Gründung nach der anderen, während der Hoffmann und<br />

Campe Verlag und seine Autoren, allen voran Siegfried Lenz, die<br />

Bestsellerlisten eroberten – Erfolge eines Großunternehmens, das<br />

in allen Zweigen über tausend Mitarbeiter zählte, Erfolge eines<br />

Unternehmers, der es verstand, Talente zu fi nden, zu fördern und<br />

an sein Haus zu binden.<br />

Wer war Kurt <strong>Ganske</strong>? Merkwürdige Geschichten waren im<br />

Umlauf. Gab es ihn überhaupt? Wie sah er aus? Hatte er einen<br />

Tunnel gegraben, um in sein Büro zu kommen? Warum haben<br />

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7


Menschen, die jahrelang für ihn gearbeitet haben, manche im<br />

gleichen Haus, andere im Haus nebenan, ihn nie zu Gesicht<br />

bekommen? Sie sahen Licht hinter den Fenstern, aber nie den<br />

Mann, der dort arbeitete. Sein Arbeitszimmer lag im ersten Stock<br />

einer schlossartigen Villa in Hamburg an der Alster, mit spitzem<br />

Turm und hohen Fenstern, Harvestehuder Weg Nummer 41, bevorzugte<br />

Wohnlage, ein Haus wie geschaffen als Kulisse eines hanseatischen<br />

Familienromans. Das Balkonzimmer blickt aufs Wasser.<br />

Seine Erwerbshöhle. Man wusste, wann der Verleger im Haus war,<br />

es sprach sich herum. Natürlich gab es Ausnahmen, Menschen,<br />

die zu ihm durften. Es gab Zeichen seines Daseins. Wenn jemand<br />

mit einer Mappe durchs Haus eilte, auf der »K.G.« stand, hätte es<br />

niemand gewagt, ihn für ein Schwätzchen anzuhalten. Die Mappe<br />

hatte es eilig, strebte nach oben, die ewig knarzende Treppe der<br />

Villa hinauf, ins Vorzimmer von Kurt <strong>Ganske</strong>. Dort saß Fräulein<br />

Neveling, wie sie genannt wurde und wohl auch genannt werden<br />

wollte: Das Fräulein war eine ältere Dame, eine Respektsperson.<br />

Niemand kam an ihr vorbei. Sie wachte vor seiner Tür. Dahinter<br />

saß K.G.<br />

Alle nannten ihn K.G., seine Mitarbeiter, die persönlichen Assistenten,<br />

die leitenden Angestellten und auch Fräulein Neveling.<br />

K.G. stand als Signatur unter seinen knappen Anweisungen, mit<br />

grünem Stift und in großer Schrift an den Rand einer Akte oder<br />

eines Briefes geschrieben. K.G. war ein personifi ziertes Machtwort.<br />

Er war K.G. für seinen Fahrer, für die Chefredakteure und<br />

die Autoren seiner Verlage, für seine Geschäftspartner, für seine<br />

Freunde, seine Kinder und auch für seine Frau. Ein Autor übersetzte<br />

K.G. mit »Kommandierender General«, treffend wohl für<br />

seine unbestreitbare Autorität, auch für sein strategisches Denken,<br />

aber zum Befehlshaber fehlte ihm das Schneidige im Auftritt.<br />

Der Auftritt fand nicht statt, Bühnen waren ihm verhasst, Appelle<br />

auch und Schlachtenlärm erst recht. Befehle waren nicht sein Stil.<br />

K.G. war ein Herr. Er pfl egte das distanzierende und respektvolle<br />

8<br />

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Familienfoto um 1910: Anna und Richard <strong>Ganske</strong><br />

mit den Kindern Kurt und Käthe<br />

»Sie«, auch gegenüber seinen Freunden. Die Anrede war »Herr<br />

<strong>Ganske</strong>«. Nur Menschen, die ihm wirklich nahe standen, durften<br />

K.G. zu ihm sagen.<br />

Mutmaßungen über K.G. Es gab Versuche, sein Zurückgezogensein<br />

zu erklären; es gehörte zu seiner Aura, sagen die einen, zu seinem<br />

Selbstverständnis als Unternehmer, der im Hintergrund wirkt,<br />

Distanz habe auch etwas mit Macht zu tun. »Er sprach grundsätzlich<br />

nur mit den entscheidenden Leuten, und das war ein sehr<br />

kleiner Kreis«, erklärte Jochen Karsten, langjähriger Chefredakteur<br />

im Hause und in frühen Jahren sein Assistent. K.G. delegierte<br />

Verantwortung, mischte sich nicht ein, pfl egte das Prinzip der<br />

langen Leine. War sie so lang, dass der Mann, der sie in Händen<br />

hielt, nicht mehr zu sehen war? Nicht zu sehen sein wollte?<br />

Die Zeitzeugen, die Kurt <strong>Ganske</strong> gekannt haben, kommen in<br />

die Jahre, viele sind gestorben. Er lebte zweimal, wie viele seiner<br />

Generation – zweimal baute er sein Unternehmen auf, und<br />

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9


zwei Persönlichkeiten schälen sich aus Dokumenten und Erinnerungsstücken:<br />

der Lebemann, Genießer und Connaisseur in<br />

den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, der Mannschaftssportler,<br />

der das Zusammenspiel mit seinem Team offenbar genoss, ein<br />

dynamischer Entwickler, ein Aufsteiger, der nie den Bodenkontakt<br />

verliert, rastlos, dynamisch, ein Reisender zu den Baustellen<br />

seines Erfolges. Die Erfahrungen des Krieges prägen ihn tief.<br />

Ein Einschnitt, der sein Leben verändert. Die Biografi e des Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> steht exemplarisch für die Zähigkeit seiner Generation,<br />

für den zweiten Anlauf in der Mitte des Lebens, für den Neustart<br />

aus dem Nichts, für den Kraftakt von Wiederaufbau und Konsolidierung.<br />

Die Vernichtung seiner Firmen setzt neue, andere<br />

Kräfte frei. Nachdenklichkeit, Konzentration auf das Wesentliche.<br />

Der andere Kurt <strong>Ganske</strong> wird sichtbar, der Konstrukteur seines<br />

Unternehmens, der sich gesellschaftlichen Verpfl ichtungen bis<br />

10<br />

Gerda <strong>Ganske</strong><br />

um 1949<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong><br />

um 1949<br />

auf wenige Ausnahmen entzieht, der Unnahbare, der nur einen<br />

engen Kreis von Vertrauten an sich heranlässt, der zurückgezogen<br />

sein Imperium regiert, ein Regisseur ohne Auftritt, ein Konzernherr<br />

in Klausur.<br />

Siegfried Lenz, langjähriger Autor des Hoffmann und Campe<br />

Verlages, sah Kurt <strong>Ganske</strong>, mit dem ihn über Jahrzehnte ein offenbar<br />

respektvoll distanziertes Vertrauensverhältnis verband, als<br />

»Liebhaber der Form, als erklärten Freund mittlerer Distanz – dies<br />

wenigstens nach außen«. Zahlreich seien die Zeichen von Sympathie<br />

und ermutigender Begleitung gewesen, die er ihm, seinem<br />

Autor, über viele Jahre auf indirekte Weise gegeben habe, sagte<br />

der Schriftsteller in seiner Trauerrede. »Aus Scheu, vermute ich.<br />

Ja, heute glaube ich es zu wissen: Diesen Mann, der so viel entwarf<br />

und wagte, der so oft zu großem Entschluss und damit zum Risiko<br />

bereit war, K.G. zeichnete in der Tat eine eigentümliche Scheu<br />

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aus. Er war eher bereit, eine gewisse Einsamkeit in Kauf zu nehmen,<br />

als sich auf Kumpaneien einzulassen.«<br />

Die Scheu. Es gibt kaum Fotos, lediglich heimlich geschossene<br />

Bilder, die ihn von hinten zeigen, abgewandt; Bilder von jemandem,<br />

der es mied, fotografi ert zu werden, und das auch seiner<br />

Umwelt unmissverständlich klar machen konnte. Ein Kinderbild<br />

von 1910 zeigt ihn mit seiner Schwester Käthe und den Eltern.<br />

Heiter blickt das Mädchen unter seiner Lockenpracht in die Kamera,<br />

selbstbewusst der Papa mit kaiserlichem Schnauzbart, in<br />

Gehrock, mit Fliege und moderatem Vatermörder. Mutter Anna<br />

sieht ernst zum Gatten hin, vielleicht fühlt sie sich unbehaglich<br />

im Schussfeld der Kamera. Und der kleine Kurt? Er ist der Mittelpunkt<br />

des Bildes, zieht auf eigenartige Weise den Blick auf<br />

sich, ein Energiebündel von fünf Jahren, neugierig – plietsch,<br />

wie man im Norden sagt. Der Matrosenanzug passt nach Kiel<br />

und in die Zeit.<br />

Die wenigen Fotos aus seiner Jugendzeit sind hier zusammengetragen.<br />

Ein Hochzeitsfoto hätte es geben können, wäre der stolze<br />

Bräutigam nicht auf die Idee gekommen, das Ereignis fi lmen<br />

zu lassen. Ein paar unscharfe Schnipsel des Sechzehn-Millimeter-<br />

Films sind erhalten, dazu einige unspektakuläre Bilder im Familienbesitz,<br />

verstohlen gehütete Erinnerungen, denen er gestattet,<br />

in den Fotoalben seiner Frau unter Seidenpapier zu überdauern,<br />

falls er überhaupt davon gewusst hat.<br />

Doch es gibt Bilder, denen er sich nicht entziehen konnte. Der<br />

Reisepass, ausgestellt am 6.Mai 1959, zeigt das Bild eines dunkelhaarigen<br />

Mannes mit ernstem, seitlich an der Kamera vorbei<br />

gerichtetem Blick. Er sieht zuverlässig aus und wohl genährt, energisch<br />

– jemand, der weiß, was er will. Die Ablichtung einer Person<br />

für amtliche Zwecke verbietet natürlich jedes Lächeln. Das Foto<br />

ist offensichtlich in einem Atelier aufgenommen worden, das Gesicht<br />

des 50-Jährigen gut ausgeleuchtet, ohne störende Schatten;<br />

dezentes Hinterlicht macht die Kopfform sichtbar. Der Pass nennt<br />

12<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong> (Zweiter von rechts) im Kreis<br />

seiner Radballmannschaft<br />

als Beruf »Selbst. Kaufmann«, als Geburtsort Kiel und als Geburtsdatum<br />

den <strong>14</strong>. Januar 1905. Die Gesichtsform ist mit »oval«, die<br />

Farbe der Augen mit »braun«, die Größe mit 165 Zentimetern<br />

angegeben. Besondere Kennzeichen: keine.<br />

Die Biografi e dieses scheuen Menschen hat erstaunlich viele<br />

Facetten: mittlere Reife; kaufmännische Lehre; mit neunzehn<br />

tritt er in den väterlichen Betrieb ein, einen in Kiel und Hannover<br />

operierenden Lesezirkel, den er zu einem fl orierenden Großunternehmen<br />

ausbaut, dem weltweit größten seiner Art. Er dreht ein<br />

großes Rad – vorausschauend, planmäßig, einfallsreich, verliebt<br />

ins Gelingen. Er war Kaufmannsgehilfe und Buchhalter in Hamburg,<br />

Buchhändler in Berlin, Rittergutsbesitzer und Forstwirt in<br />

Hessen, Kriegsteilnehmer an zwei Fronten, Landwirt und passionierter<br />

Jäger, Sammler von Kupferstichen des 17. Jahrhunderts,<br />

Verleger in Hamburg und im Rheinland, Zeitschriftengründer,<br />

Konzernchef eines privaten Imperiums, das mit dem Jahreszeiten<br />

Verlag einen der fünf großen deutschen Zeitschriftenverlage<br />

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umfasste und mit dem Hoffmann und Campe Verlag einen der<br />

traditionsreichsten deutschen Buchverlage. Nur hat er anders als<br />

seine Kollegen Gruner und Jahr, Bauer, Springer oder Burda nie<br />

den eigenen Namen ins Spiel gebracht.<br />

Die Geschichte des Unternehmens ist dokumentiert, die Geschichte<br />

des Mannes dahinter ist es wert, erzählt zu werden. Es<br />

lohnt, Zeitzeugen zu befragen, die ihn noch gekannt haben: seine<br />

Frau und die Söhne, Menschen, die für K.G. gearbeitet haben, die<br />

mit ihm stritten oder mit ihm feierten, die ihm nahe standen; und<br />

die anderen, die ihm nur kurz begegneten: persönliche Assistenten<br />

und Autoren, ehemalige Verlagsleiter, Redakteure und Jagdgefährten.<br />

Es sind Begegnungen mit vollendeten Lebenswerken<br />

und Biografi en, mit einer zurücktretenden Generation und einer<br />

anderen Epoche, mit Zeugen eines Jahrhunderts, das Kulturen,<br />

Biografi en und Existenzen zerstörte. Die wenigen Freunde leben<br />

nicht mehr. Abgesehen von seiner Frau und Michael, dem ältesten<br />

Sohn, sind alle Zeugen dieser Befragung Kurt <strong>Ganske</strong> erst in<br />

seinem zweiten Leben, nach 1945 begegnet.<br />

Gerda <strong>Ganske</strong> ist 91 Jahre alt, eine kluge, freundliche Dame,<br />

gastfreundlich, liebenswert, offen und hellwach, die Erinnerung<br />

durch keinen Schatten des Vergessens getrübt. »Nun ja, er war<br />

gern für sich. Er zog einen Kreis um sich und ließ nicht jeden hinein.«<br />

Wen ließ er hinein außer seiner Frau und seinen Kindern?<br />

Was für einen Mann sehen die Söhne vor sich, wenn sie an ihn<br />

denken? Was für ein Vater war K.G.? Personenbeschreibungen,<br />

widersprüchlich in Nähe und Distanz, berührt von der Erinnerung<br />

an diesen Mann, mit dem es schwer war, befreundet zu sein.<br />

Welches Bild haben sie vor sich, wenn sie an ihn denken? Den stillen<br />

Genießer? Den nachdenklichen Stammtischmenschen? Den<br />

Jäger? Den Gastgeber, der schon ziemlich angeheitert »Champagner!«<br />

ruft? Den alten Herrn, der sich mit erstaunlicher Eleganz<br />

um seinen Billardtisch bewegt? Den Mann, der Musik hört und<br />

liest bis in die Nacht?<br />

<strong>14</strong><br />

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Michael <strong>Ganske</strong>, sein 1939 geborener ältester Sohn, der heute<br />

in Kanada lebt, sieht ihn und die Welt, in der er lebte, mit gelassenem<br />

Abstand. »Ich sehe meinen Vater, wie er sich bückt und die<br />

Erde in die Hand nimmt, dran riecht, sie durch die Finger rieseln<br />

lässt, er hatte diese Passion für das Land.« Michael <strong>Ganske</strong> hat<br />

diese Passion geerbt. Seinen Vater erlebte er als Autorität. »Wer<br />

ihm begegnete, war beeindruckt, spürte die Persönlichkeit. Man<br />

musste nicht mit ihm reden, um zu fühlen: Da war eine Aura.<br />

Menschen empfi nden die Wucht, haben ein Gespür für die Power,<br />

die jemand hat.«<br />

Sein Schweigen. »Ich schätzte seine Stille, seine Verschwiegenheit,<br />

die zögerliche Rede«, sagt Siegfried Lenz. Kurt <strong>Ganske</strong> konnte<br />

das Schweigen genießen, das wortlose Einverständnis, wenn<br />

zwei durch den Wald gehen oder mit der Angel am Wasser sitzen.<br />

Aber das Schweigen war auch eine seiner beunruhigenden, irritierenden<br />

Eigenschaften. »Er saß da wie eine Eule«, erinnert sich<br />

Ferdinand Ranft, lange Jahre Chefredakteur von Merian. Der Verleger<br />

saß und schwieg, auch wenn die Wogen hochgingen und die<br />

Debatte ausuferte, er saß und schwieg. »Er konnte gut zuhören«,<br />

deutete Jochen Karsten, sein Assistent, dieses Schweigen. Aber<br />

dieses Zuhören war eine Ausübung von Macht. Er tat es mit unbewegtem<br />

Gesicht. War es die Ruhe vor dem Sturm? Amüsierte er<br />

sich? Langweilte ihn die Debatte? Prüfte er die Argumente oder<br />

vielleicht auch die Fähigkeiten und Eloquenz seiner Mitarbeiter?<br />

Für welche Seite würde er sich entscheiden, wenn überhaupt?<br />

Sein Schweigen war selten zu ergründen und schwer zu ertragen,<br />

es dauerte oft unendlich lange. Und dann, wenn sich in der<br />

Diskussion eine Welle des Widerstands gegen ein Projekt aufgebaut<br />

hatte, wenn eine Barrikade aus Einwänden und Vorbehalten<br />

und ein Haufen Gründe, etwas abzulehnen, auf dem Tisch lagen,<br />

dann sagte er knapp: »Mir gefällt’s!« Die Manager standen wie<br />

vom Donner gerührt. Schluss der Debatte. So entstand der Feinschmecker,<br />

so entschied er über ein neues Logo der Zeitschrift<br />

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Für Sie. Aber nicht immer gab es diese höchstrichterliche Entscheidung.<br />

Er konnte umständlich sein, anstrengend, stellte Fragen<br />

mit tiefer, etwas heiserer Stimme. Er machte sich und anderen<br />

die Entscheidung schwer.<br />

»In der Diskussion war er nie beleidigend, aber oft treffend. Er<br />

konnte beißend sein«, sagt Erich Marx, Unternehmer und Kunstsammler<br />

in Berlin, in jungen Jahren Assistent von Kurt <strong>Ganske</strong>.<br />

Unklare, komplizierte und langwierige Entscheidungsprozesse<br />

brachten ihn auf. »Er konnte brüllen«, erinnerte sich Jochen Karsten.<br />

»Ich höre ihn noch explodieren: ›Ich wate hier durch einen<br />

Sumpf!‹ Bedenkenträger machten ihn rasend, wenn einer gegen<br />

alles Einwände vorbrachte, reagierte er schroff.«<br />

»Unter seinen Verlegerkollegen war er etwas abgesondert«, erinnert<br />

sich Erich Marx. »Er hielt sich zurück, wie Heinz Bauer übrigens<br />

auch. Er war kein Mensch des großen Auftritts. Für Franz<br />

Burda gab es nichts Schöneres, als die Kapelle beim Oktoberfest<br />

zu dirigieren. Kurt <strong>Ganske</strong> hätte das nie getan.«<br />

»Ich sehe meinen Vater vor allem arbeiten, arbeiten, arbeiten«,<br />

sagt Thomas <strong>Ganske</strong>, aber auch, dass er liebevoll gewesen sei und<br />

zärtlich, zugewandt und einfühlsam, ein sorgender Vater. Im letzten<br />

Jahr seines Lebens, als er das Unternehmen in die Hand seines<br />

jüngsten Sohnes gegeben hatte und die Last und die Verantwortung<br />

von ihm gewichen war, genoss er den Ruhestand. Er ließ<br />

sich berichten, verfolgte aufmerksam, was in seinem Unternehmen<br />

geschah, mischte sich aber nicht ein. Viktoria, seine Schwiegertochter,<br />

sieht ihn vor sich, wie er auf der Terrasse sitzt, reglos,<br />

mit unbewegtem Gesicht, in sich ruhend in seinem Schweigen;<br />

stundenlang, so kam es ihr vor, blickte er in den Kinderwagen, in<br />

dem sein kleiner Enkel Sebastian schlief.<br />

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KINDHEIT UND JUGEND<br />

Der Vater – Kaisers Kiel – Lesestoff für Kollegen –<br />

Der Lesezirkel Daheim – Die Welt der Journale –<br />

Der Erste Weltkrieg – Mit dem Lieferfahrrad<br />

unterwegs – Die Matrosen von Kiel –<br />

Der Gouverneur – Rückkehr aus Verdun<br />

Das 19. Jahrhundert hat die deutsche Romantik hervorgebracht,<br />

Schuberts »Winterreise« und Heines »Deutschland. Ein Wintermärchen«;<br />

der Kommunismus und die Dampfl okomotive wurden<br />

erfunden, Preußens Könige wurden Kaiser, der Kölner Dom<br />

wurde endlich fertig und auch der Kaiser-Wilhelm-Kanal, der<br />

die Elbmündung mit der Ostsee verbindet. 1887 begonnen und<br />

sieben Jahre später von Seiner Majestät, dem stolzen Patron der<br />

Buddelei, mit kaiserlichem Pomp eingeweiht, sollte der Wasserweg<br />

von Holtenau nach Brunsbüttelkoog vor allem militärischen<br />

Zwecken dienen – als strategisch wertvolle Verbindung zwischen<br />

Nord- und Ostsee, befahrbar auch für schwere Kreuzer und<br />

Schlachtschiffe der kaiserlichen Kriegsmarine.<br />

Das neue Deutsche Reich hatte den strengen Blick seewärts<br />

gerichtet. Schon 1865 war die preußische Flottenstation nach<br />

Kiel verlegt worden. Die Kleinstadt an der Ostsee, bis dahin eher<br />

unauffällig im maritimen Flair grüner Heringe und blauer Jungs,<br />

wurde 1871, im Jahr der Reichsgründung, zum Reichskriegshafen<br />

ernannt. Ein beispielloser Boom erfasste das windige Kaff. Auf<br />

dem Ostufer der Förde wurden Werften gegründet: Germania,<br />

die Kaiserliche Werft und die Howaldt-Werft. Bald gab das Konzert<br />

der Niethämmer den Takt der neuen Zeit, Panzerkreuzer und<br />

Linienschiffe wuchsen heran. Das kleine Kiel uferte mächtig aus.<br />

Auf dem Ostufer wurden Häuser für die Arbeiter errichtet; Kleinbürger,<br />

Beamte und die besseren Kreise der Marine zogen das<br />

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Westufer vor. Und so entstand fast aus dem Nichts eine Großstadt,<br />

deren Einwohnerzahl im Jahr 1905 auf 160 000 angewachsen war<br />

und die mit jedem Stapellauf gepanzerter imperialer Seemachtträume<br />

weiter wuchs.<br />

Die Hoffnung, Kiel würde sich nun auch zum Handelshafen<br />

entwickeln, erfüllte sich allerdings nicht. Der Güterumschlag ging<br />

sogar zurück; die Schiffe, die Ladung hätten löschen können,<br />

dampften weiter nach Lübeck. Der Fernhandel bevorzugte die<br />

Hansestadt an der Trave wegen der besseren Verbindungen zur<br />

Hauptstadt Berlin und ins Deutsche Reich. Kiel blieb im Griff der<br />

Marine – und der Segler. Und die machten ziemlich viel Wind.<br />

Seit 1892 gibt es die »Kieler Woche«. Kaiser Wilhelm II., ein begeisterter<br />

Segler, nahm mit seiner Yacht regelmäßig an den Regatten<br />

teil, ein gesellschaftliches Ereignis, das die seetüchtige Elite<br />

des Reiches an die Förde lockte. Kaisers »Meteor«, Krupps »Germania«<br />

und die »Iduna« der Kaiserin segelten um die Wette. Man<br />

wohnte im Krupp’schen Logierhaus, hielt Hof in heller Garderobe<br />

und weißen Hosen und hoffte auf günstige Winde und »Kaiserwetter«.<br />

Das Deutsche Reich sonnte sich in gutbürgerlichem<br />

Wohlbehagen. Es zählte sechzig Millionen Einwohner, darunter<br />

an die dreißigtausend Goldmark-Millionäre; nie war Reichtum<br />

so breit gestreut. Die Zahl der Menschen, die in Not und Armut<br />

lebten, war zwar erschreckend groß, aber zwischen diesen beiden<br />

Extremen der Gesellschaft siedelte ein Kleinbürgertum, das zu<br />

bescheidenem Wohlstand gekommen war und den Blick nach<br />

vorn und nach oben richtete.<br />

Die »Kieler Woche« war ein Großereignis der Elite. Wer nicht<br />

dazugehörte, sah dem Spektakel zu, stand Spalier und schrie Hurra.<br />

Eher am Rande der machtvoll dahinströmenden Zeitläufte<br />

und fern von zeitraubender patriotischer Begeisterung lebte die<br />

Familie <strong>Ganske</strong>. Kleine Leute pfl egen keinen Stammbaum. Das<br />

Familiengedächtnis umfasst drei oder vier Generationen, Standesämter<br />

und Kirchenbücher registrierten Geburt, Hochzeit und Tod.<br />

18<br />

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Viel ist es nicht, was wir über die Familie erfahren. Ihr Ursprung<br />

liegt in Sachsen, die Ahnenreihe weist Schmiede und Förster auf.<br />

Am 16. Dezember 1876 wird Richard Ludwig <strong>Ganske</strong>, Sohn des<br />

Schmiedes Karl Hermann Eduard <strong>Ganske</strong> und seiner Frau Luise<br />

Johanna, geborene Finke und Tochter eines Gärtners und Lohnwebers,<br />

als sechstes von zehn Kindern in Nienburg an der Saale<br />

geboren. Am 3. Januar 1903 heiratet der 26-Jährige in einem Ort<br />

namens Lückendorf in Sachsen die von dort gebürtige, vier Jahre<br />

jüngere Anna Selma, geborene Wünsche, die später in der Familie<br />

»Annchen« genannt wird.<br />

Das Ehepaar zieht westwärts, nach Schleswig-Holstein, und<br />

lässt sich in Dieckmissen nieder, das zur Gemeinde Pries nahe<br />

der Stadt Kiel gehört, nahe genug jedenfalls, um später eingemeindet<br />

zu werden und in der Raum greifenden Großstadt zu<br />

verschwinden. Eine Tochter, Käthe, kommt zur Welt und im Jahr<br />

darauf, am <strong>14</strong>. Januar 1905, der Sohn Kurt. Eine weitere Schwester,<br />

Hilde, wird 1912 geboren. Der junge Richard <strong>Ganske</strong> hat sein<br />

Auskommen als Werftarbeiter und bessert seinen Lohn durch<br />

kleine Nebenverdienste auf. Er ist fl eißig, zuverlässig und – für<br />

einen Werftarbeiter ungewöhnlich – recht belesen. Sein Faible ist<br />

Algebra, das klare Bild und die Logik der Zahlen faszinieren ihn.<br />

Er kombiniert, rechnet, sucht und fi ndet Lösungen, entdeckt das<br />

Geheimnis und den praktischen Wert mathematischer Formeln<br />

und gibt sein Wissen weiter. Eine besondere Eigenschaft Richard<br />

<strong>Ganske</strong>s ist, was man heute »soziale Kompetenz« nennen würde.<br />

Er hilft gern und oft, vor allem den Kollegen auf der Werft, denen<br />

er das Rechnen beibringt und Mathematik-Lehrbücher und Fachliteratur<br />

besorgt.<br />

Weil Bücher für die meisten seiner Kollegen zu teuer sind, leiht<br />

er sie aus, gegen eine kleine Gebühr. Das spricht sich herum. Als<br />

immer mehr Kollegen Bücher haben wollen, nicht nur Lehrbücher,<br />

sondern auch anderen Lesestoff, Journale für die Frauen,<br />

Bücher für die Kinder und schöne Zeitschriften wie Die Garten-<br />

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laube, kauft er bei den Verlagen gleich ganze Partien. Er staunt<br />

über die Rabatte, die ihm dort eingeräumt werden, notiert alles<br />

in akkurater Kanzleischrift und sauberen Zahlen. Die Bilanz weist<br />

gute Erträge aus, obwohl er seinen vielen hundert Kollegen nur<br />

Kleingeld abverlangt. Richard <strong>Ganske</strong> ist nämlich, wenn man seinem<br />

Enkel Thomas glauben will, »im Herzen ein echter Sozialdemokrat«<br />

gewesen. Was den Werftarbeiter nicht daran hindert,<br />

eines Tages alle seine Ersparnisse in die Hand zu nehmen und<br />

sich selbständig zu machen.<br />

Richard <strong>Ganske</strong> eröffnet eine eigene Buchhandlung und setzt,<br />

was damals durchaus üblich ist, als Buchhändler nicht nur auf<br />

den Verkauf, sondern vor allem auf den Verleih von Büchern und<br />

Zeitschriften. Am 1. April 1907 gründet er in Kiel den Lesezirkel<br />

Daheim Richard <strong>Ganske</strong>, die Keimzelle eines großen Unternehmens.<br />

Die Gründung eines Lesezirkels ist in Deutschland keine<br />

Pioniertat. Lesezirkel entstammen einer langen deutschen Tradition,<br />

sind gleichsam Spätfolgen der Lesegesellschaften, die sich<br />

schon im 17. und 18. Jahrhundert zusammenschlossen, um gemeinsam<br />

Bücher und belletristische Zeitschriften zu kaufen, die<br />

für den Einzelnen unerschwinglich waren. Bücher waren teuer,<br />

nicht zuletzt, weil sie aufwändig hergestellt und in kleinen Auflagen<br />

gedruckt wurden. Die Lesegesellschaften machten den<br />

Büchern Beine. Sie trugen den Geist der Aufklärung und der<br />

Romantik in das »Volk der Dichter und Denker«, verschafften<br />

manchem Buch, das nur als Privatdruck verlegt worden war, erstaunliche<br />

Resonanz. »Ein Exemplar befriedigte eine ganze<br />

Stadt«, erinnert sich der Schlesier Heinrich Laube, einer der<br />

Wortführer des Jungen Deutschland und der Revolution von<br />

1848, »dafür hatte man die Lesezirkel erfunden, aus denen die<br />

einzelne Nummer wochenlang von Haus zu Haus wanderte.«<br />

Nun wandern also die Mappen des Richard <strong>Ganske</strong>, und es<br />

zeigt sich bald die glückliche Hand des jungen Unternehmers, das<br />

Augenmaß für schrittweise Expansion, für Logik und Logistik. Er<br />

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Stammsitz des »Lesezirkel Daheim« in Kiel<br />

baut ein Lager auf, plant die Wege der Mappen zu bald über<br />

tausend Kunden, teilt die Stadt in gangbare Bezirke, legt Wegstrecken<br />

fest für die Boten, für Handwagen und die neuen pedalgetriebenen<br />

Bäckerfahrräder, die in ihren Blechkisten vor dem<br />

Lenker ebenso gut Journale wie Brot transportieren können und<br />

auf denen Söhnchen Kurt mit größtem Vergnügen herumturnt.<br />

Besonderen Wert legt Richard <strong>Ganske</strong> auf die Auswahl des Lesestoffs.<br />

Vom Berater seiner Kollegen wird er zum Berater seiner<br />

Kunden. Er hat den Überblick, weiß, was zu lesen lohnt und was<br />

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nicht. Er entscheidet über das Feierabendprogramm lesender Familien,<br />

übernimmt in einer Zeit, in der es weder Fernsehen noch<br />

ein nennenswertes Rundfunkprogramm gibt, die Aufgaben des<br />

Conférenciers und Moderators, ist Intendant und Programmdirektor<br />

zugleich. Er wählt den Stoff aus, der unterhaltend sein soll,<br />

aber auch anspruchsvoll und weiterbildend.<br />

Die Mappen des Lesezirkel Daheim sind eine klug kombinierte<br />

Wochenration an Lernstoff, Lebenshilfe und Literatur. Richard<br />

<strong>Ganske</strong> stellt Ansprüche, setzt auf Niveau und Qualität, ohne die<br />

leichte Kost aus dem Blick zu verlieren. Er will den Geheimrat<br />

ebenso gewinnen wie den Marineoffi zier oder Hilfsarbeiter. Dabei<br />

folgt er einem Grundsatz, von dem er, anders als viele seiner<br />

späteren Konkurrenten, niemals abweicht: eine für alle. Wenn er<br />

eine Zeitschrift in seinen Lesezirkel aufnimmt, bekommt sie jeder<br />

Bezieher, und dieses unverrückbare Prinzip ist das eigentliche Geheimnis<br />

des späteren Erfolgs, denn es garantiert Klarheit in der<br />

Organisation und hohe Aufl agen für das ausgewählte Objekt. Der<br />

Begriff »Reichweite« war damals noch allein der Artillerie vorbehalten.<br />

Das Geschäft blüht. Jede Zeitschrift, die ihm ein Verlag<br />

zum halben Preis überlässt, holt diesen Preis bis zu vierzehnmal<br />

wieder herein, denn so oft wird sie verliehen, im robusten Mantel<br />

aus Hartpappe, mit festem Bindfaden fi xiert.<br />

Richard <strong>Ganske</strong> durchforstet eine wahre Fülle von Zeitschriften<br />

und Journalen. 1905 gibt es allein 163 Frauen-, Haus- und<br />

Modeblätter. Sie heißen Monika, Ratgeber fürs Hauswesen oder Dies<br />

Blatt gehört der Hausfrau! (übrigens die Urgroßmutter der heute<br />

bei Gruner + Jahr in Hamburg erscheinenden Brigitte), ein Blatt,<br />

das anfangs mit dem Untertitel Des Hauses Steuerruder ist ein gutes<br />

Weib auf den Markt kommt und als besondere Leistung Knorr-<br />

Suppen »nach allen Orten des Deutschen Reiches« versendet.<br />

Die erste große Epoche des Nutzwert-Journalismus steuert ihrem<br />

Höhepunkt entgegen. Die Redaktionen geben praktische Tipps,<br />

und im Anzeigenteil sucht eine Vielzahl neuer Produkte ihren<br />

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Markt: der Badestuhl mit eingebautem Kohleofen, Waschmaschinen<br />

mit praktischer Handkurbel oder die neuartigen Büstenhalter;<br />

denn das Korsett ist, so lesen wir in einer Kleinanzeige, »nach<br />

dem Urtheil sämmtlicher Ärzte die Ursache der meisten Frauenleiden<br />

und die Quelle ewigen Siechthums«. Diese Blätter richten<br />

sich vor allem an Frauen der aufstrebenden Mittelschicht, die<br />

keine Arbeit ans Personal delegieren können, und diese Frauen<br />

entscheiden mit, ob ein Lesezirkel abonniert werden soll oder<br />

nicht.<br />

Die Hausfrauen der Gründerjahre sind überaus produktive<br />

Organisationstalente. Sie kaufen wenig, denn sie machen alles<br />

selbst – Marmelade und Mayonnaise, Säfte und Seife, sie nähen<br />

Kleidchen und Matrosenanzüge für die Kinder, Gardinen und<br />

Bettwäsche für den Haushalt, die Aussteuer für die Töchter. Sie<br />

sticken, häkeln und stricken, kennen eine Fülle von Hausmitteln<br />

und Hausrezepten und sind begierig, in den Journalen neue zu<br />

erfahren. »Gegen Gesichtsrose dient mit sicherem Erfolg eine<br />

getrocknete Fuchszunge, welche immerwährend auf der nackten<br />

Brust an einer Schnur getragen werden muß.« Wer hätte das gedacht?<br />

Die ersten Autos tuckern durch die Straßen, die ersten Fachblätter<br />

widmen sich dem Thema, aber populärer sind die Wagenräder<br />

auf dem Kopf, die ausladenden Damenhüte mit wippenden<br />

Pleureusen. Am 24. März 1907, rechtzeitig zum Start des Lesezirkel<br />

Daheim, zeigt Dies Blatt gehört der Hausfrau! auf der Titelseite die<br />

Federzeichnung eines einfachen Kleides aus fraisefarbenem<br />

Kaschmir, passend zum aktuellen Bericht über die Pariser Mode,<br />

eleganter Auftakt für das Schnittmuster im Heft. Die Herren gehen<br />

zum Schneider, die Damen an die Maschine. Ihre Mode ist<br />

machbar, in Heimarbeit nach den Schnittmustern der hilfreichen<br />

Journale. Die Frauen der Gründerjahre nähen, was das Zeug hält.<br />

Allein in diesem Jahr 1907 stellt das Hausfrauenblatt rund zweitausend<br />

Modelle zum Selbermachen vor.<br />

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Unter den Zeitschriften ist Die Gartenlaube eine besonders begehrte<br />

Lektüre. Das illustrierte Familienblatt erscheint schon im<br />

<strong>54</strong>. Jahrgang, kann mit und ohne Frauenblatt wöchentlich oder in<br />

vierzehntäglichen Doppelnummern bezogen werden und zeigt<br />

eine schöne, geruhsame Welt, druckt Novellen, vaterländische<br />

Erzählungen und Ratschläge in Benimmfragen. Wie jedes Jahr ist<br />

auch 1907 der Sommer ein klassisches Titelthema. Der Sommer<br />

war ein Gedicht:<br />

Alles ruht nun aufgehellt<br />

Da zu deinen Füßen,<br />

Welt, du holde Menschenwelt,<br />

Laß dich still begrüßen.<br />

Im Briefkopf des Lesezirkel Daheim zeigt sich der Stolz des aufblühenden<br />

Unternehmens: Im Rahmen rankender Herzblätter<br />

prangt anheimelnd und Vertrauen erweckend »Daheim«, verbunden<br />

mit dem Versprechen der Lieferung sämtlicher in- und<br />

ausländischer Zeitschriften, Kunstblätter, Fachzeitschriften und<br />

Modejournale.<br />

Ein anderer Zweig unter dem Dach des Unternehmens ist der<br />

Verlag für Journal-Umschläge. Eine Aufl age von zehntausend Exemplaren<br />

ist garantiert. Wirksamste Reklame! Die Pappde ckel der<br />

Lesemappen sind Werbefl ächen, werden Stück für Stück beklebt<br />

und bieten der regionalen Werbung gleichsam die Titelseite – ein<br />

begehrter Platz, wie sich bald zeigen wird, der gutes Geld bringt.<br />

Das Unternehmen strebt in die Höhe und in die Breite. So zeigte<br />

denn auch der (gemietete) Firmensitz an der Gutenbergstraße<br />

42 in Kiel eine stolze Fassade; ein fünfstöckiger Jugendstilbau mit<br />

eleganten Balkonen, hohen und hellen Räumen. Wahrlich, der<br />

Werftarbeiter Richard <strong>Ganske</strong> hat es weit gebracht.<br />

Bald rauscht frischer Wind durch den Blätterwald. Ein neuer<br />

Zeitschriftentyp macht Furore: illustrierte Blätter. In Berlin ist<br />

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es den Tüftlern um Rudolf Ullstein gelungen, Bleiklischees in<br />

eine gerundete Form zu gießen, wodurch Bilder in einer Rotationsmaschine<br />

gedruckt werden können, massenhaft und immer<br />

schneller. Gleichzeitig erhöht sich das Tempo der Fotografi e, das<br />

Undenkbare, das Unfassbare ist technisch machbar geworden,<br />

das Anhalten der Zeit, das Festhalten einer Situation im Bruchteil<br />

einer Sekunde, die Momentaufnahme! Der technische Fortschritt<br />

kommt auf Touren, macht die Berliner Illustrirte Zeitung zur erfolgreichsten<br />

Illustrierten im Deutschen Reich. Die Mappen des<br />

Lesezirkel Daheim tragen auf bescheidene Weise dazu bei. Noch ist<br />

Richard <strong>Ganske</strong> ein vergleichsweise kleiner Großabnehmer. Aber<br />

immerhin gewinnt er in nur fünf Jahren zweitausend Abonnenten<br />

in Kiel. 1913 gründet das Unternehmen in Hannover eine Filiale,<br />

die bald sechshundert Kunden zählt. Doch die Gründerjahre<br />

gehen zu Ende.<br />

Im August 19<strong>14</strong> bekommt Kaiser Wilhelm II. an Bord seiner<br />

Segelyacht von einem Kurier, der mit einem Motorboot längsseits<br />

gegangen ist, eine silberne Zigarettendose gereicht. Die Dose enthält<br />

einen Zettel mit einer kurzen, aber weltbewegenden Mitteilung:<br />

In Sarajewo ist der österreichische Thronfolger erschossen<br />

worden. Der Bündnisfall. Nibelungentreue ist gefragt. Wenige<br />

Tage später bricht bei herrlichem Sommerwetter der Erste Weltkrieg<br />

aus. Richard <strong>Ganske</strong> wird, im Alter von 37 Jahren, Soldat.<br />

Annchen und ihre Kinder müssen nun allein zurechtkommen.<br />

Die Buchhandlung bleibt geöffnet, der Lesezirkel Daheim liefert<br />

weiter die Mappen aus. Wo Männer fehlen, übernehmen Frauen<br />

die Verantwortung, die Organisation und die Arbeit, die getan<br />

werden muss. Die Frauen von Kiel rücken in die Werften ein, die<br />

alte Ordnung löst sich auf. Jede Hand wird gebraucht. Die Kinder<br />

tragen nach der Schule Mappen aus, bringen sie zu den Kunden,<br />

holen die alten ab, rechnen ab, auf den Pfennig genau, freuen<br />

sich über das Trinkgeld. Rund dreitausend Abonnenten werden<br />

während der Kriegsjahre in Kiel und Hannover regelmäßig<br />

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eliefert, bekommen jede Woche ihre Mappen mit erbaulicher<br />

und aufbauender Lektüre.<br />

Der Krieg hat kaum begonnen, da wechselt die Mode. Nun<br />

druckt Ullsteins Hausfrauenblatt den praktischen Schnitt für ein<br />

Krankenpfl egerinnenkleid mit kleinem Umhang und eine Operationsschürze<br />

mit kurzen Ärmeln sowie gehäkelte Ohrklappen<br />

für Soldaten. An der Heimatfront wird genäht. 1915 liefert die<br />

deutsche Presse sechs Millionen Schnittmuster an ihre Leserinnen.<br />

Die Hälfte davon erscheinen bei Ullstein. Ab Oktober müssen<br />

zwar alle Blätter der Zensur vorgelegt werden. Sie ist beim<br />

Kriegspresseamt angesiedelt, das der Obersten Heeresleitung direkt<br />

unterstellt ist. Aber Schnittmuster bleiben unverdächtig.<br />

August 1917. Der Krieg geht ins dritte Jahr. Die Begeisterung<br />

des ersten Sommers ist der Ernüchterung gewichen. In Russland<br />

haben schon im Februar Revolutionäre den Zaren abgesetzt, zwei<br />

Monate später meutern in Frankreich tausende Soldaten. In Kiel<br />

gehen zwanzigtausend Menschen auf die Straße, um für mehr<br />

Lebensmittel zu demonstrieren, für »Frieden und Brot«. Eine allgemeine<br />

Kriegsmüdigkeit greift um sich. Hunger und der Mangel<br />

am Notwendigsten, was die Familien zum Leben brauchen, prägt<br />

den Alltag. Kurt und seine Schwestern werden es verfl ucht haben<br />

– das Kohlenschleppen, das elende Schlangestehen um Brennstoff,<br />

ein bisschen Brot, Kunsthonig oder Magermilch. In den Warteschlangen<br />

fallen deutliche Worte. Die Heimatfront bröckelt. Im<br />

Januar 1918 legt eine Streikwelle die Kriegswirtschaft lahm. Die<br />

Versorgungslage ist katastrophal. Im September 1918 kann sich<br />

die Oberste Heeresleitung unter General Ludendorff der militärischen<br />

Katastrophe nicht länger verschließen und fordert von der<br />

Reichsregierung Waffenstillstandsverhandlungen.<br />

Doch die Admiralität will auf keinen Fall kapitulieren. Lieber<br />

ruhmreich untergehen, als die Schande eines Friedens akzeptieren!<br />

So plant der Chef des Stabes den Untergang als letzten, ehrenvollen<br />

Kampf der Hochseefl otte. Am 30. Oktober sollen die<br />

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Novemberrevolution 1918: Versammlung<br />

auf dem Kieler Wilhelmplatz<br />

Schiffe von Wilhelmshaven aus zur »Endschlacht« auslaufen. Doch<br />

die geheimen Selbstmordpläne der Kommandeure sickern durch.<br />

Matrosen verweigern den Befehl, Heizer reißen das Feuer aus den<br />

Kesseln. Der Druck ist raus. Die Admiralität greift hart durch. Tausend<br />

Mann werden verhaftet, die Flotte wird auseinander gezogen.<br />

Das Dritte Geschwader dampft nach Kiel, seinem Heimathafen.<br />

In der Nacht zum 1. November treffen die Schiffe ein. Die Verhafteten<br />

werden ins Marine-Arrestgefängnis an der Karlstraße (der<br />

heutigen Feldstraße) gebracht. Doch das Problem lässt sich nicht<br />

mehr wegsperren. Die Marinesoldaten von Kiel und die Besatzungen<br />

der Schiffe sind in Aufruhr. Matrosen versammeln sich<br />

im Gewerkschaftshaus. Die Wogen gehen hoch. Eine Abordnung<br />

marschiert zu den Offi zieren, um die Freilassung der gefangenen<br />

Kameraden zu fordern. Sie wird gar nicht erst vorgelassen.<br />

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Wie erlebt ein Dreizehnjähriger aus gutem Hause den Ausbruch<br />

einer Revolution? Darf er überhaupt auf die Straße? Sind<br />

Türen und Fenster der Buchhandlung verrammelt? Gibt es<br />

schulfrei, wenn Revolution ist? Werden Schularbeiten erlassen?<br />

Fällt der Konfi rmandenunterricht aus? Oder ist der Junge wieder<br />

unterwegs mit dem Lieferfahrrad? Der 1. November ist ein<br />

Freitag. Das Wochenende steht vor der Tür. Am Abend müssen<br />

die Mappen bei den Kunden sein. Kurt ist zuverlässig, bummelt<br />

eigentlich nie. Aber heute ist alles anders. Es dunkelt früh. Nebel<br />

hängt über der Stadt, triefend, feucht. Kalt ist es auch. Kiel im<br />

November. Was erfährt der Junge bei den Familien, denen er die<br />

Mappen bringt? Sind sie in Angst, wütend, aufgebracht? Haben<br />

sie überhaupt Interesse an der neuen Gartenlaube?<br />

Die Deutschen haben wenig Erfahrungen mit Umstürzen. Der<br />

letzte hatte 1848, vor siebzig Jahren also, stattgefunden und war<br />

schnell in der Zwangsjacke der Restauration erstickt worden. Dass<br />

ausgerechnet Kiel, Yachthafen Seiner Majestät, Hochburg der<br />

kaiserlichen Marine, nun Keimzelle zivilen und, schlimmer noch,<br />

militärischen Ungehorsams sein sollte, ist kaum zu glauben.<br />

Der nächste Morgen ist grau und nasskalt wie der Morgen zuvor.<br />

Die Marineleitung ist zum harten Durchgreifen entschlossen,<br />

sie gibt Order, alle Versammlungen zu unterbinden. Nur fi ndet<br />

sie kaum noch loyale Truppen, um den Befehl in die Tat umzusetzen.<br />

Inzwischen haben sich aufgebrachte Matrosen, Soldaten und<br />

Arbeiter zusammengetan. Am Sonntag, dem 3. November, wollen<br />

sie sich zu einer Kundgebung auf dem Exerzierplatz am Stadtrand<br />

treffen. Sonntag, das ist gut. Schulfrei, keine Mappen, die<br />

zugestellt werden müssen. Das kann spannend werden. Durch die<br />

nebelverhangenen Straßen marschieren Soldaten, Matrosen, Arbeiter<br />

und Arbeiterinnen. Da draußen braut sich was zusammen.<br />

Dicke Luft in Kiel. Besser, die Kinder bleiben im Haus. Annchen<br />

sorgt dafür, dass Kurt nicht zum Exerzierplatz rennt.<br />

Die Gefahr ist mit Händen zu greifen. Tausende haben sich<br />

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versammelt. Ein Gewerkschaftsmann spricht, rät zur Ruhe, zum<br />

Abwarten, morgen können sie doch wieder verhandeln. Doch die<br />

Versammlung drängt zur Aktion. Die Menge ist nicht zu halten,<br />

die Männer ziehen zum Arrestgefängnis, um ihre Kameraden zu<br />

befreien. Eine Straßensperre. Junge Gesichter, Rekruten, Offi ziersanwärter<br />

mit geladenen Gewehren. Sie legen an. Ein Leutnant der<br />

Reserve lässt das Feuer auf die Demonstranten eröffnen. Sieben<br />

liegen tot auf der Straße, achtundzwanzig sind zum Teil schwer<br />

verletzt, auch Frauen und Kinder. Doch die Demonstranten rennen<br />

nicht auseinander, sondern stürmen das Maschinengewehrnest,<br />

töten den Leutnant der Reserve und entwaffnen seine total<br />

eingeschüchterte Truppe. Ein grauer Sonntag im November. Eine<br />

Demonstration wurde aufgelöst, eine Revolution hat begonnen.<br />

Am Morgen des 4. November müssen alle Matrosen und Soldaten<br />

zum Appell antreten. Vergebens versuchen die Offi ziere, die<br />

Disziplin wieder herzustellen. Waffenkammern werden geplündert,<br />

die Kameraden aus dem Arrest befreit, die Kompanien wählen<br />

Soldatenräte. Auf den Kriegsschiffen des Kaisers setzen Meuterer<br />

die rote Fahne. Am Abend des 4. November ist Kiel in der<br />

Hand der Aufständischen, die Matrosen schließen sich mit den<br />

Arbeitern der Stadt zusammen. Nun hat die Stadt einen Arbeiter-<br />

und Soldatenrat. Der stellt Forderungen an den Gouverneur,<br />

Vizeadmiral Souchon, droht damit, die Kanonen der Schiffe auf<br />

Kiel-Düsternbrook zu richten und das Villenviertel der Offi ziere<br />

zusammenzuschießen. Der Gouverneur fordert Truppen an, die<br />

anmarschiert kommen, aber die Waffen niederlegen. Doch noch<br />

gibt das Kaiserreich seinen Kriegshafen nicht verloren.<br />

Am Abend trifft endlich der Mann ein, der die Revolution in<br />

friedliche Bahnen lenken soll – ein Zivilist. Prinz Max von Baden,<br />

Chef der Regierung in Berlin, hat ihn geschickt: Gustav Noske,<br />

wehrpolitischer Experte der SPD-Reichstagsfraktion. Eine große<br />

Menschenmenge erwartet ihn am Bahnhof von Kiel. Der Sozialdemokrat<br />

kommt als Volkstribun mit Rückfahrkarte. Die Menge<br />

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lässt ihn kalt. Er setzt sich an die Spitze der Bewegung, versteht<br />

es geschickt, sie zu instrumentalisieren, ein Polit-Profi . Sein Gastspiel<br />

als Revolutionär ist eine merkwürdige Posse: Der Arbeiter-<br />

und Soldatenrat von Kiel wählt den Gesandten der kaiserlichen<br />

Regierung zum Vorsitzenden und macht ihn zum Gouverneur der<br />

Stadt. Genosse Noske hält eine Rede von Bord eines Kriegsschiffes<br />

und wird zum Hoffnungsträger einer Revolte, deren Ursache, die<br />

Meuterei der Soldaten, er »persönlich aufs Schärfste verurteilt«.<br />

Aber das behält er einstweilen für sich. Der Gouverneur von<br />

Kiel gründet, ohne den Arbeiter- und Soldatenrat zu konsultieren,<br />

aus Unter- und Deckoffi zieren eine »Eiserne Brigade«, das<br />

erste der so genannten Freikorps, eine eiserne Reserve, auf die<br />

er schon bald zurückgreifen soll. Kaltblütig und professionell<br />

stellt Noske die alte Ordnung wieder her. Die kaiserliche Verwaltung<br />

funktioniert. In Kiel fallen keine Schüsse mehr. Die Stadt<br />

erlebt den Exodus ihrer Marinesoldaten. Weil die Bahn nicht<br />

funktioniert, marschieren sie nach Neumünster, wo noch Züge<br />

verkehren, um von dort in ihre Heimatstädte zurückzukehren.<br />

Ein schwerer Wagen rollt an ihnen vorbei, eine rote Fahne ans<br />

Schutzblech montiert. Im Dunkel des Fond ein blasses Gesicht,<br />

Seine Exzellenz, Prinz Eitel Friedrich von Hohenzollern, der Bruder<br />

des Kaisers, Kommandierender der Ostseefl otte.<br />

Nun geht alles unglaublich schnell. Am Montag hatte Kiel seinen<br />

Arbeiter- und Soldatenrat gegründet, am Mittwoch haben die Räte<br />

Nordwestdeutschland unter Kontrolle, am Donnerstag proklamiert<br />

Kurt Eisner in Bayern die Republik, am Freitag erfasst die Revolution<br />

Sachsen, Hessen, Franken und Württemberg. Pünktlich zum<br />

Wochenende, am Sonnabend, dem 9. November, dankt der Kaiser<br />

ab und geht ins niederländische Exil. Der Sozialdemokrat Philipp<br />

Scheidemann ruft in Berlin die Republik aus, Friedrich Ebert, der<br />

spätere sozialdemokratische Reichspräsident, übernimmt die Regierungsgeschäfte,<br />

und Gustav Noske, der Gouverneur von Kiel, ist<br />

nun als »Volksbeauftragter« fürs Militärische zuständig.<br />

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Der Krieg ist aus. Kurt <strong>Ganske</strong> ist dreizehn. Der Junge wird<br />

die Heeresberichte gelesen haben, staunend wohl auch, wie sein<br />

zwei Jahre jüngerer Zeitgenosse Sebastian Haffner in Berlin: »Die<br />

Heeresberichte hatten immer nur von feindlichen Niederlagen gesprochen.<br />

Dass es so etwas auch für uns geben konnte – und zwar<br />

nicht als Zwischenfall, sondern als das Endergebnis von lauter<br />

Siegen und Siegen –, mein Kopf fasste es nicht«, schreibt er später<br />

in seinen »Erinnerungen eines Deutschen«.<br />

Richard <strong>Ganske</strong> kehrt heim. Noch mal davongekommen, als<br />

Teilnehmer am bisher schrecklichsten, unmenschlichsten aller<br />

Kriege, Überlebender der ersten Materialschlacht der Menschheitsgeschichte,<br />

der ersten Orgie moderner Massenvernichtung.<br />

Hat der Vater seiner Familie von Verdun erzählt? Sein Sohn stellt<br />

Fragen. Richard <strong>Ganske</strong> ist sparsam in seinen Auskünften. Die<br />

Schrecken des Stellungskrieges, die unheimlichen Gasschwaden,<br />

die Grabenkämpfe in der Knochenmühle, das Inferno der Granateinschläge,<br />

der Soldatenalltag am Rande des Wahnsinns, die<br />

idiotischen Befehle unfähiger, menschenverachtender Kommandeure<br />

– all das sind Erfahrungen, die von den Betroffenen eher<br />

verdrängt als diskutiert wurden, wie man heute weiß.<br />

Die Lage in Kiel hat sich beruhigt, vorübergehend jedenfalls.<br />

Zweimal gibt es noch Schießereien. Die Arbeiter- und Soldatenräte<br />

verschwinden. Nun erlebt Deutschland seine erste Demokratie.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> macht die mittlere Reife, hilft weiter im väterlichen<br />

Betrieb, beklebt Umschläge mit der örtlichen Werbung. Er hat<br />

schon als Junge die Mappen des Lesezirkels ausgetragen, mit dem<br />

Handwagen oder mit dem Fahrrad. Die erste Liebe? Ein Mädchen<br />

hatte es ihm wohl angetan. Sie haben Blicke gewechselt und ein<br />

paar Worte, Begegnungen ohne Verabredung, er weiß nicht einmal,<br />

wo sie wohnt. Eines Tages steht er vor einer Tür, mit den<br />

Mappen unter dem Arm. Das Mädchen öffnet, beide sind überrascht.<br />

Sie blickt auf die Mappen: »Ach, so einer bist du.« Das hat<br />

ihm einen Stich gegeben. Die erste Liebe wurde es nicht. Er fand<br />

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sie hübsch, aber doch ein bisschen arrogant. So hat er es später<br />

erzählt.<br />

Was immer sein Vater vom Krieg erzählt haben mag, es hat den<br />

Sohn lange beschäftigt. Jahre danach, in den zwanziger Jahren,<br />

ist Kurt <strong>Ganske</strong> nach Verdun gefahren. Er hat sich die Schlachtfelder<br />

angesehen, wo sein Vater gekämpft hat, die verwüstete<br />

Landschaft, die zerschossenen Bäume. Er fi ndet noch Helme im<br />

Gras, Knochen, Spuren von vernichtetem Menschenleben. Er ist<br />

aufgewühlt von dem, was er vor sich sieht, aber es erfüllt ihn auch,<br />

wie er später seinen Söhnen erzählt, mit einer Hoffnung, die für<br />

ihn fast eine Gewissheit ist: Dieser Schrecken ist ein für alle Mal<br />

vorbei. Einen solchen Wahnsinn werden die Menschen nicht wiederholen.<br />

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DIE ZWANZIGER JAHRE<br />

Zeit des Aufbruchs – Kaufmannsgehilfe in<br />

Hamburg – Millionengehälter für alle –<br />

Radsport mit Torchancen – Umzug nach<br />

Hannover – Vater und Sohn – Berliner Blätter<br />

Der Zeitgeist weist in die große Freiheit, bahnt sich neue Wege in<br />

einen Spielraum ohne Grenzen. Der Expressionismus greift ins<br />

Stadtbild ein, der Futurismus erklärt Maschinen zum poetischen<br />

Faszinosum, der Kubismus zerbricht den Kopf und zertanzt die<br />

Realität, die Zwölftonmusik löst sich aus dem goldenen Käfi g der<br />

Harmonie und wagt das Unerhörte. Die zwanziger Jahre sind ein<br />

kreatives und intensives Zwischenspiel ohne epochale Lebenslügen<br />

und ohne Illusionen. Egon Erwin Kischs kritische Sozialreportagen<br />

erscheinen, und Erich Maria Re marques »Im Westen<br />

nichts Neues«. Neue Sachlichkeit wird zum Publikums erfolg: Carl<br />

Zuckmayers »Der fröhliche Weinberg« und »Der Hauptmann von<br />

Köpenick«, Gerhart Hauptmanns Drama »Dorothea Angermann«,<br />

Bertolt Brechts und Kurt Weills »Dreigroschenoper« machen Furore.<br />

Neue Medien gewinnen an Resonanz. Mit Beginn der zwanziger<br />

Jahre kommt der Rundfunk in Mode, innerhalb von zehn<br />

Jahren erhöht sich die Zahl der in Deutschland angemeldeten<br />

Radiogeräte von knapp zehntausend auf 5,4 Millionen.<br />

Dies alles wächst auf fruchtbarem Boden. Das Zwischenspiel<br />

erweist sich als schöpferischer Höhepunkt des 20. Jahrhunderts,<br />

in Literatur und Musik, Malerei und Architektur, Wissenschaft<br />

und Forschung. Dabei kommt das Land in seiner politischen Befi<br />

ndlichkeit nie wirklich aus dem Schlamassel heraus. Die erste<br />

Demokratie der Deutschen hat kaum eine Chance, trägt schwer<br />

am verlorenen Krieg und an den Lasten des Friedens. Unruhen<br />

überschatten den Beginn der zwanziger Jahre. Der Kapp-Putsch<br />

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verjagt die Regierung aus Berlin – für fünf Tage –, dann fällt der<br />

Aufstand eines windigen Politikers und eines verstockten Generals<br />

in sich zusammen. Im Juni 1922 wird Walther Rathenau, Außenminister<br />

des Deutschen Reiches und Symbolfi gur einer vorsichtigen<br />

Annäherung an die Völkerfamilie, in Berlin von zwei<br />

rechten Knallchargen auf offener Straße erschossen. Die Weimarer<br />

Republik ist eine Baustelle mit schwachen Gerüsten und<br />

schwankendem Fundament. Die Verfassung hat viele Feinde. Sie<br />

sammeln sich, braune Pfützen im aufgewühlten Grund.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> hat die Schule hinter sich. Der Junge soll etwas<br />

Ordentliches lernen. Der Vater schickt seinen Sohn zur kaufmännischen<br />

Lehre nach Hamburg, Import und Export, »Im und<br />

Ex«, der Klassiker. Die Freie und Hansestadt an der Elbe scheint<br />

ihm eine bessere Wahl zum Erlernen des Kaufmännischen als die<br />

Hafenstadt Kiel. Der Lehrjunge wird keine großen Forderungen<br />

gestellt haben, trotzdem wird Kurt <strong>Ganske</strong> in wenigen Monaten<br />

– unfreiwillig – zum Millionär.<br />

1923. Ein Schicksalsjahr für Deutschland. Niedergekämpft,<br />

verbittert und erschöpft versucht es sich irgendwie aufzurappeln,<br />

aber das Jahr 1923 macht Deutschland »fertig«, wie Sebastian<br />

Haffner in seinen Erinnerungen schreibt. Wie eine Sturmfl ut<br />

bricht die Infl ation herein und spült nahezu alles weg, was an Werten<br />

die Katastrophe des Krieges überstanden hatte. Existenzen,<br />

Ersparnisse, Erfahrungen, das ganze System von Soll und Haben.<br />

Ursache des Dammbruchs ist der »Ruhrkrieg«. Die angespannte<br />

Haushaltslage, Zinsen, Schulden und Reparationszahlungen sind<br />

der Regierung längst über den Kopf gewachsen, als Frankreich,<br />

um seinen Zahlungsforderungen Nachdruck zu verleihen, das<br />

Ruhrgebiet besetzt.<br />

Die ebenso robuste wie unausgegorene Aktion verfehlt ihr Ziel,<br />

zeigt aber enorme Wirkung. Die deutsche Regierung ruft das Volk<br />

zum passiven Widerstand auf – und das Volk zieht begeistert mit.<br />

An der Ruhr kommt es zu einer Art bezahltem Streik, bei dem der<br />

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Kapp-Putsch: Demonstration Unter den Linden, 1920<br />

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Staat nicht nur die ausgesperrten Arbeitnehmer bezahlt, sondern<br />

auch deren Arbeitgeber, und das nicht zu knapp. Weil nicht mehr<br />

genug Geld da ist, beginnt die Regierung, neues zu drucken. Immer<br />

mehr kommt in Umlauf, immer mehr wird immer weniger<br />

wert. Im Juni 1923 gerät die ohnehin schon galoppierende Infl ation<br />

in einen beispiellosen Höhenrausch. Gemeinden und Großbetriebe<br />

geben Notgeld heraus, dreihundert Papierfabriken und<br />

zweihundert Druckereien stellen Banknoten her, und während<br />

die Kaufkraft der Reichsmark ins Bodenlose fällt, schießt der Dollarkurs<br />

himmelwärts.<br />

Eine Massenfl ucht in Sachwerte setzt ein. Wer kann, kauft<br />

Grundstücke, Gold oder Dollars. Die Preise steigen schneller als<br />

die Löhne. Weil mit Geld nichts mehr zu kaufen ist, beginnt ein<br />

reger Tauschhandel: Briketts gegen Zigaretten, Brot gegen Brennholz.<br />

Der Einzelhandel beginnt, Waren zu horten. Hungerdemonstrationen<br />

und Plünderungen sind die Folge. Zeitzeu gen berichten,<br />

dass sie ihre Wände mit Banknoten tapeziert haben. Weil die<br />

Millionengehälter am Monatsende nichts mehr wert sind, werden<br />

die Angestellten wöchentlich, dann alle drei Tage und schließlich<br />

täglich bezahlt. Die Geschäftsleitung kann sie nicht daran hindern,<br />

sofort mit dem Geld in die nahen Geschäfte zu laufen, um Dinge<br />

des täglichen Bedarfs und Lebensmittel zu kaufen, die schon am<br />

gleichen Abend nicht mehr erschwinglich sind.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> lernt viel in diesen Jahren. Vielleicht hat ihn sein<br />

Chef ein paar Mal am Tag zur Bank geschickt, um Milliardenbeträge<br />

gegen eine Hand voll Dollar zu tauschen. Spannend ist es<br />

immer um drei <strong>Uhr</strong> nachmittags. Dann wird der neue Dollarkurs<br />

verkündet. Während der Junior lernt, mit Millionenbeträgen<br />

zu jonglieren, lenkt der Buchhändler Richard <strong>Ganske</strong> seinen<br />

Lesezirkel mit ruhiger Hand durch das Chaos. Die Zeitungen<br />

veröffentlichen jeden Tag eine »Buchhändlerschlüsselzahl«, mit<br />

welcher der Preis eines Buches oder einer Zeitschrift zu multiplizieren<br />

ist. Und der steigt im Steilfl ug: Das Blatt der Hausfrau,<br />

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Wechselstube als Nachrichtenbörse: Der Dollarkurs steigt stündlich<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong> im Alter von 18 Jahren<br />

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das 1919 noch 30 Pfennig kostete – ungefähr so viel wie eine<br />

Zigarette –, steht im Juli 1923 bei 1100, Ende August bei 20 000<br />

und Ende September bei 100 000 Mark pro Heft, der Schnittmusterbogen<br />

kostet noch mal 35 000 extra.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> hat ein Vermögen für seine Zigaretten ausgegeben.<br />

Der junge Mann raucht und wird es sich erst nach vielen<br />

Jahren abgewöhnen. Inzwischen hat er es vom Kaufmannsgehilfen<br />

in der Hamburger Firma zum Buchhalter gebracht. Er lernt<br />

Bilanzen lesen und die Geheimnisse kaufmännischer Rechnungsstellung,<br />

ein Kapital, wie sich bald herausstellen soll. »Bilanzen<br />

lesen heißt die Proportionen sehen, erkennen, wo ich Wege fi nde<br />

für eine Kalkulation«, erklärt sein Sohn Thomas. »Wenn ich die<br />

Wege sehe, fi nde ich auch zum Ziel.« Rechnen können sie alle,<br />

Richard, Kurt und Thomas <strong>Ganske</strong>. Ein Familienerbe.<br />

Im November ist der Spuk vorbei. Die Rentenmark löst die<br />

wertlos gewordene Währung ab. Der Kurs: eins zu einer Billion<br />

(in Zahlen: 1:1000 000 000 000). Die Verlierer sind die Gläubiger,<br />

die gutes Geld verliehen hatten, das nichts mehr wert ist; Verlierer<br />

sind die Sparer, die Kleinen ebenso wie die Großen, die plötzlich<br />

nichts mehr auf der hohen Kante haben. Nur wer Schulden hatte,<br />

ist fein raus. Einige werden unermesslich reich, wie Hugo Stinnes,<br />

Großunternehmer und Reichstagsabgeordneter der konservativen<br />

Deutschen Volkspartei (DVP). Ihm war es in den Jahren nach<br />

dem Krieg gelungen, mit waghalsigen Krediten Anteile an mehr<br />

als 1600 Betrieben zusammenzukaufen, Kredite, die er nun mit<br />

einem Lächeln aus der Portokasse zurückzahlen konnte.<br />

Die Karten werden neu gemischt. Der zweite Neubeginn nach<br />

dem großen Krieg. Der Lesezirkel Daheim und die Buchhandlung<br />

des Richard <strong>Ganske</strong> kommen wieder auf Touren. Ein Geschäft<br />

der vielen kleinen Schritte, von Haus zu Haus, bei jedem Wetter.<br />

Die Infl ation hat Leser und Leserinnen schwer gebeutelt, der Mittelstand<br />

ist ins Elend geraten, und die Blätter in den Mappen sind<br />

ziemlich dünn und unansehnlich geworden und haben an Farbe<br />

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verloren, aber kosten nicht die Welt. Und sie sind auf dem Weg in<br />

bessere Zeiten. Alles ist in Bewegung.<br />

Ein frischer Wind weht durchs Land und erfasst auch den jungen<br />

Buchhalter in Hamburg. Eine merkwürdige Bewegung hat<br />

die Deutschen erfasst, körperliche Ertüchtigung nur so zum Spaß,<br />

ohne die Kasernenhofdisziplinen Granatenweitwurf, Nahkampf<br />

und Abstechen des Gegners. Sport wird modern, wird zum Fimmel,<br />

die erste große Fitnesswelle erfasst die Freizeitgesellschaft<br />

in Gründung. Deutschland wird schon wieder Großmacht – des<br />

Sports. In den drei Jahren nach der Infl ation verzehnfachen sich<br />

die Mitgliederzahlen der Sportclubs und die Zuschauerzahlen der<br />

Sportfeste.<br />

Der junge Kurt <strong>Ganske</strong> sitzt fest im Sattel. Sein Steckenpferd<br />

ist Radball, ein Mannschaftssport mit sehr kleinen Teams. In der<br />

Halle spielen zwei gegen zwei, auf dem Rasen sechs gegen sechs.<br />

Die Spiele sind kurz, zweimal sieben Minuten. Geschicklichkeit<br />

und Kraft sind gefragt, Tricksen, Täuschen, Treffen. Vorwärts<br />

fahren, rückwärts fahren – die starre Übersetzung auf das Hinterrad<br />

macht es möglich –, der Lenker ist nach oben gebogen.<br />

Das Sportgerät hat mit einem Bäckerfahrrad wenig gemein, sieht<br />

man von den relativ dicken Reifen ab. Kniffl ig: Kein Spieler darf<br />

mit den Füßen den Boden berühren. Handspiel ist nur im Tor<br />

erlaubt. Der Stürmer ist ein Virtuose bodenloser Balance, schießt<br />

mit dem Vorderrad den Ball ins Tor. Ein Sport für Spezialisten,<br />

nichts für fi ebernde Zuschauermassen. Es gibt Eckbälle, Ausbälle,<br />

Freistöße und den Vier-Meter-Strafstoß. Das Spielfeld ist kaum<br />

größer als ein halber Tennisplatz und durch Banden begrenzt, an<br />

denen der Ball abprallen kann. Dann ist er wieder im Spiel.<br />

Das Spiel über die Bande lässt ihn nicht los. Er wird es bald zur<br />

Perfektion treiben, als Cárambolage. 1931 lässt sich der 26-jährige<br />

Jungunternehmer einen Billardtisch bauen. Er spielt allein<br />

und ganz für sich, bis in seine späten Jahre. »Ich glaube, außer<br />

dem Autor Rudolf Hagelstange wusste überhaupt niemand, dass<br />

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Das Pantheon war Vorbild: die Stadthalle Hannover<br />

mein Vater Billard spielte«, sagt Thomas <strong>Ganske</strong>. Dass sein Vater,<br />

zumindest im Stadium des Versuchs, auch Kampfsport betreibt,<br />

kommt nur zufällig heraus. Einmal überrascht ihn seine Frau, wie<br />

er sich mit dem Autor Gerhard Nebel, berühmt als langjähriger<br />

Brieffreund des Schriftstellers Ernst Jünger, einen Zweikampf im<br />

Judo liefert – eine Wette. Einer der Herren liegt am Boden, aufs<br />

Kreuz gelegt. Ob es der Verleger war oder der Autor, verschweigt<br />

die Familiengeschichte.<br />

Noch liegen ganz andere Herausforderungen vor ihm. Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> ist 19 Jahre alt, als er vom hanseatischen »Im und Ex«<br />

ins väterliche Unternehmen wechselt. Staunend beugt sich der<br />

junge Mann über die Bilanzen, die sauberen Zahlen des Vaters.<br />

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Zu seinen später oft bewunderten und gefürchteten Fähigkeiten<br />

gehört, dass er Zahlen sehr schnell erfasst. Die Bilanzen seines<br />

Vaters braucht er nur zu überfl iegen, um zu wissen, woran er ist:<br />

Die Zahlen des kleinen Familienunternehmens sind schwarz und<br />

kerngesund. »Weißt du eigentlich, was du mit dem Lesezirkel für<br />

eine Rendite machst?«, fragt er den Vater. Der blickt seinen Sohn<br />

erstaunt an. »Warum fragst du?«, will er wissen. »Du solltest das<br />

Unternehmen auf Deutschland ausdehnen«, sagt Kurt <strong>Ganske</strong>.<br />

Wie hat der Vater reagiert? Mit einem Lachen? Entsetzt? Skeptisch?<br />

Begeistert? Der Sohn lässt nicht locker, legt seinem Vater<br />

Berechnungen vor, sie beugen sich über eine Deutschlandkarte.<br />

Kiel liegt am Rand, verliert zunehmend an Bedeutung. Der Glanz<br />

der Marine ist verblasst, der Versailler Vertrag verbietet den Bau<br />

neuer Kriegsschiffe; die Werften stellen ihre Produktion auf<br />

Fischdampfer und Eisenbahnwagen um. Viele Werftarbeiter werden<br />

arbeitslos, die Zahl der Marineangehörigen geht zurück, Kiel<br />

schrumpft. Die Zukunft liegt woanders.<br />

1926 zieht die Zentrale des Lesezirkel Daheim nach Hanno -<br />

ver – vom Rand in die Mitte, wie eine Spinne ins Netz, ideal zum<br />

Spinnen der Fäden. Hannover ist eine Stadt der guten Verbindungen,<br />

das Kreuz zwischen Hamburg und München, Köln und<br />

Königsberg; die Bahnlinien, die Rhein und Ruhr mit der Hauptstadt<br />

verbinden, führen durch Hannover. Es ist eine selbstbewusste<br />

und aufstrebende Stadt, die sich der Juniorchef des Lesezirkel<br />

Daheim als strategische Mitte seines Imperiums ausgewählt hat.<br />

Alle Wege führen an die Leine. Die Stadthalle am Corvinusplatz<br />

gleicht nicht ohne Absicht dem Pantheon in Rom; überall in der<br />

Stadt werden helle Arbeiterwohnungen in raumgreifenden Backstein-Kolonien<br />

gebaut, und als Signal für die aufstrebende Pressestadt<br />

wird Fritz Höger, der Expressionist unter den Architekten,<br />

bald sein Anzeiger-Hochhaus errichten, als Stahlbeton-Skelettbau<br />

im dunklen Maßanzug doppelt gebrannter Ziegel. Die kupferne<br />

Kuppel des Planetariums auf dem Dach greift nach den Sternen.<br />

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Titelblatt der »Berliner Illustrirten Zeitung«<br />

vom 13. November 1927<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong> auch. Er bestellt sechsunddreißig Schreibmaschinen.<br />

Sein Vater reagiert entsetzt: »Jetzt bist du größenwahnsinnig<br />

geworden!« Es bleibt nicht bei den Schreibmaschinen. Der junge<br />

Mann, seit einem Jahr Besitzer eines Führerscheins, erklärt: »Ich<br />

brauche mindestens zweihundert bis dreihundert Autos.« Der Vater<br />

mag den Kopf geschüttelt haben über die Pläne seines Sohnes.<br />

Vielleicht haben ihn die Zahlen überzeugt, vielleicht auch die<br />

neuen, besseren Rabatte, die der Sohn bei Ullstein und Mosse in<br />

Berlin herausgehandelt hat. Er lässt ihn machen. Ohne seinen<br />

ewig drängenden, planenden Sohn hätte der inzwischen 50-Jährige<br />

sich auch eine mäßigere Gangart vorstellen können. Der Mann,<br />

der es vom Werftarbeiter zum Buchhändler gebracht hatte, wäre<br />

vielleicht in Kiel geblieben, mit Hannover als Filiale, zufrieden<br />

mit dem Erreichten, bescheiden und stolz zugleich. Der Sohn ist<br />

anders, für ihn liegt die Zukunft hinter dem Horizont, seine Welt<br />

will noch erobert werden.<br />

Er zieht seine Sache durch, planmäßig, Schritt für Schritt; fährt<br />

durchs Reich, ein Gründer, der den Radius seines Zirkels ständig<br />

erweitert, neue Kreise zieht, von Kiel und dann von Hannover<br />

aus. Er sinniert über Landkarten und Stadtplänen, rechnet Verbindungen<br />

aus, Vertriebswege, Lieferbedingungen. Er analysiert<br />

potenzielle Leserschaften: wo sie leben, wie sie leben, was sie lesen.<br />

Er wandert durch die Städte, erkundet ihre Topographie, nimmt<br />

Messtischblätter zur Hilfe und zieht historische Kupferstiche des<br />

Matthäus Merian aus dem 17. Jahrhundert zu Rate, die er zu sammeln<br />

beginnt. Danach sucht er Lager in Bahnhofsnähe, Geschäftsräume,<br />

heuert Leute an. Bevor er eine Stadt besucht, kündigt er<br />

sein Kommen an – per Kleinanzeige im Lokalblatt; wo er zu treffen<br />

ist und wann er Sprechstunde hat. Meist wählt er dafür ein Zimmer<br />

in einem Gasthof oder Hotel. Meist stehen Schlangen vor der<br />

Tür. Er schaut sich die Leute an, fragt sie aus, prüft sie, stellt sie ein<br />

oder nicht und erwirbt sich in diesen Gesprächen eine Menschenkenntnis,<br />

die ihm später manche Enttäuschung erspart.<br />

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Haben Vater und Sohn über das Tempo der Expansion gestritten?<br />

War die Abwesenheit des ewig im Reich herumreisenden<br />

Sohnes ein Thema oder die Summen, die er für seine Touren<br />

und seine Gründungen brauchte? Gibt es einen Streit um Kompetenzen,<br />

einen Machtkampf zwischen Vater und Sohn? Offenbar<br />

nicht. Sie teilen die Arbeit unter sich auf. Es gibt genug zu tun.<br />

Der Antagonismus zwischen Gründen und Bewahren, Expansion<br />

und Routine, zwischen den neuen und den eingefahrenen Wegen<br />

funktioniert perfekt, ein Gelenk zwischen den Generationen.<br />

Richard <strong>Ganske</strong> überlässt seinem Sohn die Initiative, die Verantwortung.<br />

Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist bis ins hohe<br />

Alter von gegenseitigem Respekt geprägt.<br />

Kaum im Betrieb, baut Kurt <strong>Ganske</strong> den Laden aus. Der 19-<br />

Jährige gründet Filialen in Dresden und Chemnitz, bringt die<br />

Zahl der Abonnenten von 3500 auf 10 000. Im Jahr darauf öffnet<br />

der Lesezirkel Filialen in Stettin, Frankfurt, Nürnberg und Düsseldorf.<br />

Und so geht es weiter, scheinbar nach dem Zufallsprinzip,<br />

aber auf den Landkarten ist es zu sehen: Es ist das Prinzip des<br />

Spinnennetzes, ein Fädenziehen, ein planmäßiger Ausbau der<br />

Wege zum Leser – nach Gelsenkirchen, Kassel, Mannheim und<br />

Osnabrück, nach Augsburg, Breslau, Danzig und Karlsruhe, nach<br />

Magdeburg und Stuttgart. 1929 gewinnt der Lesezirkel nur eine<br />

einzige Filiale dazu, aber die hat es in sich: Berlin.<br />

Berlin. Welchem der fünf Ullstein-Brüder hat er gegenübergesessen?<br />

Die Gespräche dürften nicht einfach gewesen sein; der<br />

selbstbewusste junge Mann kämpft hart und vor allem ausdauernd<br />

um Rabatte. Er vertritt nicht mehr eine Leihbücherei in<br />

Kiel, sondern kommt als einfl ussreicher Großkunde, der einer<br />

Zeitschrift zum Durchbruch verhelfen kann, aber ihre Aufl age<br />

ebenso schnell in den Keller schickt, wenn er sie ausmustert. Er<br />

ist in einer starken Position, verhandelt auch mit den anderen<br />

Giganten in Berlin, mit Mosse, mit Scherl. Die Herren, denen er<br />

bei Ullstein gegenübersitzt, sind allesamt älter als sein Vater: Hans<br />

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Ullstein, der Schweigsame, Zurückgezogene, der Primus inter Pares,<br />

71 Jahre alt. Oder Hermann, 53, der Jüngste, Experte für<br />

Propaganda und Leserwerbung. Möglicherweise hat Louis, mit 66<br />

Jahren eigentlich schon im Rentenalter, die Verhandlungen geleitet.<br />

Der gesellige Genussmensch führt die Geschäfte, kümmert<br />

sich um Anzeigen. Geht er mit dem größten Lesezirkelunternehmer<br />

des Reiches zum Essen? Wer zahlt den Champagner?<br />

Das Haus Ullstein beeindruckt seine Besucher, ein Imperium,<br />

ein Konglomerat von Verlagen. Die Brüder regieren ein Reich, in<br />

dem rund zehntausend Angestellte ihrer Arbeit nachgehen, der<br />

Häuserblock zwischen Koch-, Charlotten- und Besselstraße scheint<br />

ständig aus den Nähten zu platzen. Dem Schriftsteller Franz Hessel<br />

kommen Berlins Verlage vor wie »großmächtige Häuser, die sagenhaften<br />

Königen gehören«. Hat Kurt <strong>Ganske</strong> davon geträumt,<br />

auch einmal so ein König zu sein? Wohl nicht, denn er ist kein<br />

Träumer. Er nimmt es sich vor, es wird ein Plan.<br />

Wie oft ist er durch dieses Labyrinth gegangen? Ist er Bert<br />

Brecht oder Max Brod begegnet, Stefan Zweig oder Carl Zuckmayer?<br />

Alfred Kerr? Herbert Ihering? Siegfried Jacobsohn? Er<br />

bekommt Kontakt zu bedeutenden Schriftstellern, einige, wie<br />

Erich Kästner, suchen seinen Rat. Hat er Dinah Nelken an sich<br />

vorbeihuschen sehen, oder hat er mit ihr geredet, der jungen<br />

Autorin, deren Werke er später einmal selbst verlegen wird? Er<br />

kennt die Leser, für die eine Frau wie Dinah Nelken schreibt, das<br />

Universalgenie unter den Autorinnen. Am 16. Mai 1900 wurde<br />

sie als Bernhardine Schneider, Tochter eines Fahrradhändlers<br />

und Gelegenheitsschauspielers, geboren. Von ihrem Onkel, dem<br />

Kriminalschriftsteller Hans Hyan, beim Ullstein Verlag eingeführt,<br />

schreibt sie für die B.Z. am Mittag, für Tempo, Uhu oder das Modeblatt<br />

Die Dame. Sie verfasst Kurzgeschichten, Feuilletons oder<br />

Mode-Reportagen, berichtet über Teepfl ücker auf Ceylon oder<br />

einen Ausritt im Pariser Bois de Boulogne, schreibt Reklametexte,<br />

Chansons und Gedichte über die Liebe.<br />

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Der Markt der neuen Blätter: Kiosk in der Kaiserallee, Berlin<br />

Vielleicht hat Kurt <strong>Ganske</strong> in der Empfangshalle eine merkwürdige<br />

Frau gesehen mit den großen braunen Augen im nachtbleichen<br />

Gesicht. Sie dürfte ihm aufgefallen sein, sie sitzt dort stundenlang,<br />

weil der Leiter der Zeitschriftenabteilung den Termin<br />

mit ihr vergessen hat, blättert in den Zeitschriften: »Sie lagen auf<br />

dem Tisch«, notiert sie später, »die unglaublich beliebte Berliner<br />

Illustrirte, die kultivierte Modezeitschrift Die Dame; die unübertroffene<br />

Familienzeitschrift Das Blatt der Hausfrau und der Uhu, eine<br />

Monatsschrift im Buchformat, die damals ganz neuartig war –<br />

fesselnd gemischt aus Belletristik, Berichten, Unterhaltungsstoff,<br />

witzigen Betrachtungen, ernsten Essays und vielen Fotos. Da<br />

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lagen auch der hoch intellektuelle Querschnitt, die Kinderzeitschrift<br />

Der heitere Fridolin und Die Koralle, die einen großen naturwissenschaftlichen<br />

Leserkreis hatte.«<br />

Endlich wird sie vorgelassen. Was treibt sie zu Ullstein? Die<br />

Existenznot ihres Mannes? Hedwig Baum, Hausfrau und Mutter.<br />

Eigentlich hatte sie Harfenistin werden wollen, dann heiratet sie<br />

einen Dirigenten, der Generalmusikdirektor in Mannheim wird,<br />

und bekommt zwei Söhne. Sie zeichnet, schreibt nebenher Geschichten.<br />

Als der Mann seinen Job zu verlieren droht, schreibt<br />

die über Vierzigjährige eine Bewerbung an den Ullstein Verlag in<br />

Berlin, bietet sich an als Lehrling oder Modezeichnerin. Sie hat<br />

eine Mappe mit ihren Entwürfen dabei: Reizwäsche, Abendkleider,<br />

Stickvorlagen. Sie staunt wohl, als eine ganze Kommission<br />

auf sie wartet. Warum unbedingt Modezeichnerin?, wollen die<br />

Herren wissen. Sie habe doch schon acht Bücher geschrieben<br />

und die vielen Kurzgeschichten! Die Herren sind begeistert. Einer<br />

von ihnen ist Hermann Ullstein persönlich. Sie bekommt als<br />

Lektorin ein Anfangsgehalt von achthundert Mark und zusätzlich<br />

eine Mark pro Zeile, falls sie etwas schreibt. Ein Spitzenhonorar.<br />

Als Vicki Baum wird sie berühmt. Sie fi ndet eine wunderbar lakonische<br />

Erklärung für ihren Erfolg: »Ich bin eine gute schlechte<br />

Autorin.«<br />

Vicki Baum ist fasziniert von der Ullstein-Welt: »Das Leben<br />

strömte in Tausenden von Fotos, Tausenden von Menschen und<br />

in den Stimmen des ganzen Erdballs vorbei. Die Gänge hallten<br />

vom Witz und Lachen der schärfsten Geister der großen Stadt<br />

wider.« 1929 erscheint »Menschen im Hotel« als Fortsetzungsroman<br />

in Ullsteins Berliner Illustrirten Zeitung. Die Aufl age steigt,<br />

das Buch wird in Deutschland, Großbritannien und in den USA<br />

ein Bestseller. Die Erfolgsstory kommt als Bühnenstück am Theater<br />

am Nollendorfplatz heraus und am Broadway in New York.<br />

Es wird mit Greta Garbo verfi lmt und ein zweites Mal mit Sonja<br />

Ziemann und Heinz Rühmann. Die Abonnenten des Lesezirkel<br />

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Daheim kennen natürlich die Geschichte. Sie gehören zu den Ersten,<br />

die den Stoff auf dem Tisch hatten.<br />

Die Pressehäuser zeigen, bei aller Vielfalt, Profi l. Ullstein und<br />

Mosse stehen für Fortschritt, Vielfalt und liberalen Geist, der<br />

Scherl Verlag für Nationalismus, bürgerliche Tradition und konservative<br />

Reaktion. 1916 von Alfred Hugenberg aufgekauft, wächst<br />

er neben Ullstein und Mosse zur dritten großen Medienmacht<br />

heran, die sich mit rückwärts gewandten und antisemitischen<br />

Kampagnen des deutsch-nationalen Reichstagsabgeordneten Hugenberg<br />

als Wegbereiter der kommenden Katastrophe profi lieren<br />

sollte. Aber noch ist die große Party nicht zu Ende.<br />

Man lebt, man genießt. Sicher hat Kurt <strong>Ganske</strong> irgendwann<br />

Franz Wolfgang Koebner gegenübergesessen, dem Mann, der<br />

angeblich ein unehelicher Sohn Kaiser Wilhelms II. war. Natürlich<br />

ist das nur ein Gerücht. Geboren in Berlin als Sohn einer<br />

Tänzerin und – offi ziell – des Chefredakteurs der damals noch<br />

Bismarck-treuen National-Zeitung, gehört er 1912 zu den Mitbegründern<br />

der Eleganten Welt, einer erfolgreichen Frauen- und<br />

Modezeitschrift. Im Frühsommer 1924 trifft er in einem Berliner<br />

Café auf den 24-jährigen Robert Siodmak, einen gelernten Bankkaufmann,<br />

der sich auch schon als Schauspieler versucht hat. Sie<br />

gründen einen Verlag – und eine neue Zeitschrift: Das Magazin.<br />

Siodmak wird Herausgeber, Koebner Chefredakteur. Siodmak<br />

wechselt schon bald zum Film, bekommt nach seinem Überraschungserfolg<br />

»Menschen am Sonntag« 1929 einen Ufa-Vertrag.<br />

Später emigriert er, wie sein jüngerer Bruder Curt, der vor allem<br />

Drehbücher schreibt, über Paris nach Hollywood und wird als<br />

Regisseur berühmt für seine schwarzen Gangsterfi lme.<br />

Koebner, nun in doppelter Funktion Chefredakteur der Eleganten<br />

Welt und des Magazins, treibt die Aufl agen nach oben, setzt auf<br />

Geschichten über Publikumslieblinge und Prominente aus der<br />

Welt des Films und der Revuen – glänzender Stoff für ein Massenblatt<br />

neuen Typs. Das Magazin wird kopiert. Scherl’s Magazin<br />

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kommt auf den Markt, Das kleine Magazin, das Magazin für Alle.<br />

Ullstein kontert mit dem Uhu. Die Presse und die Welt des Glamours<br />

sind untrennbar verbunden. Koebner jongliert mit Whiskyglas<br />

und Monokel und zeigt sich schönen Frauen gegenüber<br />

sehr zugetan. Seine Affäre mit Camilla Horn, dem Gretchen in<br />

Murnaus legendärem Stummfi lm-Klassiker »Faust«, bleibt nicht<br />

verborgen, soll auch gar nicht verborgen bleiben. Romanzen machen<br />

Aufl age.<br />

1927 erscheint ein neues Gesicht im Magazin, wiederholte<br />

Male; und es bleibt nicht beim Gesicht. Innerhalb zweier Jahre<br />

druckt das Blatt siebenmal Porträts und Fotoreportagen mit<br />

Marlene Dietrich – in Revuepose, in Seidenstrümpfen, auf dem<br />

Diwan und am Strand mit ihrem Töchterchen, ein sehr privater<br />

Schnappschuss. Der Fotograf: Franz Wolfgang Koebner. Im Mai<br />

1929 schafft sie es endlich auf die Titelseite, im Jahr darauf ist das<br />

Covergirl nach dem Erfolg in »Der blaue Engel« weltberühmt.<br />

Koebner muss bald darauf emigrieren, weil sein Ahnenpass nicht<br />

den deutschen Kaiser, sondern einen Deutschen aus jüdischer<br />

Familie aufweist. 1949 versucht er in Stuttgart einen neuen Start.<br />

Das Magazin schafft es diesmal nicht, aber Die elegante Welt fi ndet<br />

ihr Publikum, wird nach Düsseldorf verlegt und fusioniert 1970<br />

mit Madame. Koebner und Kurt <strong>Ganske</strong> werden dadurch Konkurrenten.<br />

Aber das liegt noch in weiter Ferne.<br />

In den zwanziger Jahren erlebt die Massenpresse ihr goldenes<br />

Zeitalter. Noch gibt es kein Fernsehen; zwar verschafft sich<br />

der Rundfunk langsam Gehör, aber wer informiert sein will,<br />

liest – liest Bücher, Journale, Lesemappen. Kurt <strong>Ganske</strong> befi ndet<br />

sich in der Mitte seiner Welt. Allein in Berlin erscheinen 26<br />

Prozent der gesamten deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenproduktion,<br />

die unglaubliche Zahl von 2633 Zeitschriften und 1<strong>14</strong><br />

Tageszeitungen, manche davon dreimal am Tag! Um elf öffnet<br />

die Börse, um elf <strong>Uhr</strong> zwanzig stehen die ersten Kurse fest, zehn<br />

Minuten später erscheint die B.Z. am Mittag mit den aktuellen<br />

50<br />

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Werten, ein genialer Coup Rudolf Ullsteins, der eine Telefonleitung<br />

zwischen Börse und Setzerei installieren ließ.<br />

1929 also gründet Kurt <strong>Ganske</strong> die Filiale in Berlin und sucht<br />

dort eine Wohnung. Sein Freund Alfred Hartz wird Prokurist<br />

des Unternehmens. Nun hat der Lesezirkel Daheim vierundzwanzig<br />

Filialen und eine Viertelmillion Abonnenten. Sie zahlen für<br />

Zeitschriften, die er nicht produzieren muss. Von den Verlagen<br />

erhält er nur einen mäßigen Rabatt, gibt die Blätter billig weiter,<br />

kassiert dafür aber bis zu vierzehnmal für dasselbe Produkt, fürs<br />

Holen und Bringen und für die Werbung auf dem Pappdeckel<br />

obendrein. Kurt <strong>Ganske</strong> hat die Chance ergriffen und zum richtigen<br />

Zeitpunkt das Richtige getan. Das macht einen erfolgreichen<br />

Unternehmer aus.<br />

Das Jahrzehnt, das nur ein Zwischenspiel war im deutschen<br />

Drama, erlebt noch einen Höhepunkt: Thomas Mann erhält den<br />

Nobelpreis für Literatur; allerdings nicht für sein literarisches Gesamtwerk,<br />

sondern für sein (schon 1901 erschienenes) Werk »Die<br />

Buddenbrooks«. Und das Jahrzehnt erlebt seine letzte große Katastrophe.<br />

Im Oktober 1929 bricht die Weltwirtschaftskrise aus und<br />

greift auf Deutschland über. Sieben Millionen Arbeitslose sind auf<br />

der Straße und – zum ersten Mal – braune Uniformen.<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 51 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:55:45 <strong>Uhr</strong>


Kurt, Richard und Käthe <strong>Ganske</strong><br />

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DIE DREISSIGER JAHRE<br />

Berlin, Sachsenplatz 12 – Die Machtergreifung –<br />

Ein Kaufmann wird Gutsherr – Jagdszenen aus<br />

Niedersachsen – Die Hochzeit – Der Leierkastenmann<br />

Berlin im dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. 5,4 Millionen<br />

Einwohner, Reichshauptstadt, drittgrößte Metropole der Welt,<br />

rastlose Großveranstaltung für Kultur und Nachtleben, Startbahn<br />

für Talente, Spielplatz für Genies, Hinterhof für Spießbürger. Was<br />

für eine Stadt! Unkonventionell, unsentimental, unverwüstlich,<br />

eine urbane Übergröße, schäbig und prachtvoll, piefi g und grandios,<br />

provinziell und weltoffen, bieder und frivol, selbstironisch<br />

und selbstverliebt, die geistige Mitte zwischen saurer Gurke und<br />

Größenwahn, eine Weltstadt, die sich jede Nacht neu erfi ndet.<br />

Vorhang auf!<br />

Der zwölfjährige Yehudi Menuhin spielt in der Philharmonie,<br />

Wilhelm Furtwängler und Bruno Walter dirigieren, Duke<br />

Ellington kommt mit den »Chocolate Kiddies«, Josephine Baker<br />

mit ihrer »Charleston-Jazzband«. Die Metropole – eine Großstadt<br />

als Tanzpalast mit langen Nächten. Die Stars heißen Barnabas<br />

von Géczy, einst Konzertmeister der Budapester Oper, nun leitet<br />

er das Tanzorchester des Hotels Esplanade, oder Teddy Stauffer,<br />

Schweizer Geiger und Saxophonist, der 1929 seine erste Band<br />

gründet, die »Original Teddies«, beste Swingband des europäischen<br />

Kontinents. Die »Comedian Harmonists« singen »Wochenend<br />

und Sonnenschein«, Marlene Dietrich ist »von Kopf bis Fuß<br />

auf Liebe eingestellt«, und Richard Tauber singt »Adieu, mein<br />

kleiner Gardeoffi zier«. Top-Hits von 1930.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> liebt den Swing und genießt das Leben. Berlin<br />

wird seine Stadt. Er kauft die »Buchhandlung Unter den Linden«<br />

an der Kurfürstenstraße, ein Geschäft mit gutem Ruf und großem<br />

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literarischem Sortiment, eine der ersten Adressen der Stadt. Der<br />

Buchhändler zeigt einen Hang zum Mondänen, er trägt Maßanzüge<br />

und fährt Cadillac mit Fahrer. Der hört auf den seltenen<br />

Namen Kienöl und kann – praktisch für einen Junggesellenhaushalt<br />

– auch fabelhaft kochen; seine Cumberland-Sauce lässt keine<br />

Wünsche offen. Kurt <strong>Ganske</strong> genießt plein pouvoir im Bristol-Hotel,<br />

speist im feinen Restaurant Horcher, wird Stammkunde bei Emil<br />

Lettré, dem Gold- und Silberschmied im eleganten Palais Unter<br />

den Linden, ein nobles Geschäft, das stets nur ein einziges Objekt<br />

im Fenster zeigt, angestrahlt vor silbergrauem Samt. Lettré<br />

liefert das Tafelsilber des Kronprinzen und stattet die deutsche<br />

Botschaft in London aus und nun auch die Junggesellenbude von<br />

Kurt <strong>Ganske</strong>.<br />

Die fi ndet sich am Sachsenplatz im neuen Westend, Charlottenburgs<br />

feinster Provinz, einer zwei Hektar großen, ungewöhnlich<br />

hügeligen Grünanlage, die vom Charlottenburger Stadtgartendirektor<br />

Erwin Barth entworfen wurde. Über einer ehemaligen<br />

Kiesgrube hatte er einen »Volkspark« geschaffen, als Naturdenkmal<br />

der Mark Brandenburg mit Nachbildungen der Kalkfelsen bei<br />

Rüdersdorf, Teich und Wasserfall, brandenburgischen Wildpfl anzen<br />

und -tieren, ein Biotop für Enten, Eichhörnchen und auch für<br />

einen Dackel namens Frau Lehmann.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> bewohnt eine Etagenwohnung im Haus Nummer<br />

12, einem Neubau für gehobene Ansprüche. Sein Cadillac<br />

ist nicht der einzige am Sachsenplatz, ein paar Häuser weiter<br />

steht ein blau glänzendes Exemplar, von einem livrierten Fahrer<br />

stets liebevoll gewienert. Kienöl wird bald seine Bekanntschaft<br />

gemacht haben. Die Wagenlenker werden sich über den Blumenstrauß<br />

unterhalten haben, der jeden Tag auf der Kühlerhaube<br />

des blauen Cadillacs liegt. Sie kennen natürlich den Mann, der<br />

ihn dort hinlegt. Jedes Kind kennt ihn, den Wohnungsnachbarn<br />

von Kurt <strong>Ganske</strong>, den Riesen mit den breiten Schultern und dem<br />

gutmütigen Gesicht: Max Schmeling, Boxweltmeister im Schwer-<br />

<strong>54</strong><br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> <strong>54</strong> <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:55:53 <strong>Uhr</strong>


gewicht und verliebt bis über beide Ohren. Schuld daran ist Olga<br />

Tschechowa, seine Freundin.<br />

Er trinkt mit ihr bei Schilling am Kudamm einen Kaffee. »Lass<br />

uns ins Kino gehen«, schlägt sie vor, »im Gloria Palast läuft ›Die<br />

vom Rummelplatz‹.« Er zögert, sie drängt. »Deine Nachbarin, die<br />

Ondra, hat darin eine Bombenrolle!« Die Ondra wohnt am Sachsenplatz,<br />

Anny Ondra, ein bekanntes und sehr schönes Gesicht,<br />

ein Stummfi lmstar, blond, mit großen blauen Augen und eigener<br />

Filmproduktion in Berlin. Eigentlich heißt sie Anna Ondráková,<br />

geboren am 15. Mai 1903 im polnischen Tarnów als Tochter eines<br />

österreichischen Offi ziers. Bisher war ihm nur ihr blauer Cadillac<br />

aufgefallen. Jetzt sieht er sie riesengroß auf der Leinwand<br />

schmachten, kriegt glänzende Augen. »Sie bezauberte mich auf<br />

den ersten Blick«, schreibt er später in seinen Erinnerungen. Er<br />

ist diesem Gesicht verfallen, verliebt in das Mädchen vom Rummelplatz.<br />

»Ich möchte sie kennen lernen«, sagt er zur Tschechowa,<br />

»kannst du das arrangieren?« Was für ein Ansinnen! Die Diva ist<br />

pikiert: »Das musst du schon selber tun. Zum Kuppeln eigne ich<br />

mich nicht.« Er versucht es selbst, stellt es ziemlich ungeschickt<br />

und umständlich an; der Cham pion kommt nicht aus der Deckung,<br />

schickt Freunde vor, legt wochenlang jeden Morgen einen<br />

Blumenstrauß auf ihren Cadillac. Die Schöne erhört ihn; kommt<br />

zum Tee ins Nachbarhaus, ein Gegenbesuch bleibt nicht aus. Ob<br />

die Entscheidung in der achten, neunten oder zehnten Runde<br />

fällt, ist nicht von Belang. Sie heiraten, ein Traumpaar der Berliner<br />

Gesellschaft.<br />

Die Szene am Sachsenplatz bleibt gelassen. Man grüßt sich,<br />

kennt sich fl üchtig, geht aneinander vorbei. Der Buchhändler<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> lebt unter Künstlern, ohne dass er es darauf angelegt<br />

hätte. Der Nachbar aus dem vierten Stock wird ihm schnell<br />

vertraut, ein origineller Kopf mit markanter Nase und blassen,<br />

klugen Augen. Er muss schon über fünfzig sein, sieht ziemlich<br />

elend aus, geht gern mit Frau Lehmann, seinem Dackel, spazieren<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 55 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:55:<strong>54</strong> <strong>Uhr</strong><br />

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Der Zeitgeist und seine Prominenz: die Comedian Harmonists<br />

zu den Enten am Teich und dann weiter in die Westendklause, wo<br />

er einen Stammtisch hat, an dem er oft versackt.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> hat die Bücher seines Nachbarn an der Kasse liegen.<br />

Es sind die Werke eines Poeten mit einer abenteuerlichen<br />

Biografi e. Der bürgerliche Name des Dichters ist Hans Bötticher.<br />

1883 in Wurzen als Sohn eines Schriftstellers und Musterzeichners<br />

geboren, heuert er als Schiffsjunge auf einem Segelschiff<br />

namens Elli an, reist als Leichtmatrose auf den Frachtern Florida,<br />

Emma, Ramses und Columbia, absolviert eine kaufmännische<br />

Lehre in Hamburg, dient als Freiwilliger bei der Kaiserlichen<br />

Marine in Kiel – eine Blitzkarriere in kurzen Schritten: Kommiss<br />

in Leipzig und Frankfurt, Besitzer eines Tabakladens, Buchhalter,<br />

Korrespondent in einem Münchner Reisebüro, Privatbibliothekar<br />

bei Heinrich Graf York von Wartenburg auf Schloss Klein-Oels<br />

und bei Baron Münchhausen auf Apelern und Windischleuba-Eisenach,<br />

Fremdenführer auf Burg Lauenstein in Oberfranken. Im<br />

Ersten Weltkrieg bringt er es zum Kommandanten eines Minensuchbootes.<br />

Aber Vizefeuerwerker war er auch. Nach dem Krieg<br />

versucht er sich als Gartenbauschüler in Freyburg an der Unstrut.<br />

56<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 56 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:55:<strong>54</strong> <strong>Uhr</strong>


Anny Ondra, Max Schmeling<br />

Barnabas von Géczy<br />

Das Künstlerische bricht nun durch, er malt Ölbilder, geschrieben<br />

hat er immer schon – Novellen, Gedichte. Er tritt in Künstlerkneipen<br />

auf. Aus Hans Bötticher wird Joachim Ringelnatz.<br />

Der Globetrotter wird sesshaft, zieht nach München und heiratet<br />

die Fremdsprachenlehrerin Leonharda Pieper, die er zärtlich<br />

»Muschelkalk« nennt. Sie fl iehen aus München vor den »braunen<br />

Horden«, die dort zunehmend ihr Unwesen treiben. Er kehrt zurück<br />

in sein geliebtes Berlin. Nach dem Krieg hatte er schon einmal<br />

bei Scherl im Archiv gearbeitet, die Stadt ist ihm aus langen<br />

Nächten und vielen Auftritten vertraut. Er liebt die Weltstadt, die<br />

niemals in die Hand dieser Leute fallen wird, das ist seine Hoffnung.<br />

Und weil er zum ersten Mal ganz gut an seinen Büchern<br />

verdient und auch einige Bilder verkauft hat, kann er sich die<br />

Wohnung am Sachsenplatz leisten – vier Treppen hoch, 86 Mark<br />

im Monat. Freunde besuchen sie, die Schauspielerin Asta Nielsen,<br />

die Bildhauerin Renée Sintenis. Er schreibt weiter an seinen<br />

Gedichten, verfasst Werbetexte, wenn auch mit zweifelhaftem<br />

Gebrauchswert:<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 57 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:55:57 <strong>Uhr</strong><br />

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Es wechseln die Moden.<br />

Aber der Hosenboden<br />

Bleibt sinngemäß<br />

Immer unterm Gesäß.<br />

Die Nachwelt ist gut über das Leben am Sachsenplatz informiert,<br />

denn einer der Mieter hat alles aufgeschrieben: Fred Hildenbrandt,<br />

Feuilletonchef des Berliner Tageblatt, elegant und selbstbewusst<br />

und ein guter Beobachter. Er wird zum Chronisten der<br />

grünen Prominenteninsel, erzählt vom Ufa-Star Willi Forst, dem<br />

Frauenschwarm, dem auch Marlene Dietrich erlag, und vom<br />

rundlichen Komponisten Paul Hindemith, Sachsenplatz 1, Parterre,<br />

seit Frühjahr 1927 Professor an der renommierten Berliner<br />

Musikhochschule in Charlottenburg. Gemeinsam mit Kurt<br />

Weill komponiert er die Musik zu Bertolt Brechts »Lindberghfl<br />

ug«. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird der<br />

Komponist aus dem Musikleben verdrängt. 1936 riskiert Wilhelm<br />

Furtwängler mit der Aufführung der Hindemith-Oper »Mathis<br />

der Maler« einen Skandal, tritt, wenn auch nur vorübergehend,<br />

von allen seinen Ämtern zurück. Hindemiths Musik gilt als »Kulturbolschewismus«.<br />

1938 wird er mit seiner Frau Gertrud in die<br />

Türkei emigrieren.<br />

Die neue Zeit schickt ihre Kuriere. Am Sachsenplatz, im selben<br />

Haus, direkt neben Hindemith, wohnt Veit Harlan mit seiner<br />

zweiten Frau, der Schauspielerin Hilde Körber, und seinen<br />

drei Kindern. Der Schauspieler am Berliner Staatstheater bekennt<br />

sich 1933 zu den Nationalsozialisten und kommt später<br />

als Regisseur des perfi den, antisemitischen Propagandafi lms »Jud<br />

Süß« zu fragwürdigem Ruhm. Immerhin: Trotz seiner Nähe zum<br />

Propagandaministerium verschafft er 1935 seiner in Ungnade<br />

gefallenen Kollegin Henny Porten noch eine Rolle in seinem<br />

ersten Film »Krach im Hinterhaus«. Die bis dahin sehr populäre<br />

Filmschönheit gerät zunehmend ins Abseits, weil sie sich – trotz<br />

58<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 58 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:02 <strong>Uhr</strong>


Produktive Zweierbeziehung: Joachim Ringelnatz und<br />

Leonharda Pieper, genannt »Muschelkalk«<br />

Hitlers Drängen – standhaft weigert, sich von ihrem jüdischen<br />

Mann scheiden zu lassen. Die Nürnberger Rassengesetze zwingen<br />

sie schließlich, ihre schöne Villa in Dahlem aufzugeben und<br />

in eine Fünf-Zimmer-Etagenwohnung an den Sachsenplatz zu<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 59 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:04 <strong>Uhr</strong><br />

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ziehen. Weil in jüdischen Haushalten nur ältere Hausangestellte<br />

arbeiten dürfen, muss sie ihr Personal entlassen. Das Ehepaar<br />

darf nur noch eine alte Köchin behalten, die es nicht schafft, den<br />

großen Haushalt in Dahlem allein zu versorgen.<br />

Berlin hat sich verändert. Die sprichwörtliche Berliner Luft<br />

verliert ihr leichtsinniges Flair, wird stickig, aus der Gosse weht<br />

ein fauliger Geruch, der nichts Gutes verheißt. Rollkommandos<br />

sprengen Parteiversammlungen, organisierte Jugendbanden<br />

marschieren im Gleichschritt, grölen Lieder und Parolen. Kommunisten<br />

und Nationalsozialisten liefern sich Straßenschlachten,<br />

Braunhemden jagen verängstigte Bürger wie Freiwild durch die<br />

Straßen, schmieren, pöbeln, schießen. Saalschlachten sind an der<br />

Tagesordnung. Der Schock der Weltwirtschaftskrise sitzt tief. Er<br />

hat nicht nur viele Existenzen zerstört, sondern auch das Vertrauen<br />

der Menschen in die ständig wechselnden Regierungen. Sieben<br />

Millionen Arbeitslose stehen Schlange vor den Arbeitsämtern<br />

und vor den Suppenküchen, Bettler lungern in den Parks.<br />

Heinrich Brüning, im Frühjahr 1930 zum Reichskanzler gewählt,<br />

kürzt den Staatshaushalt mit eiserner Hand, zwingt alle,<br />

Bürger und Bauern, die Wirtschaft und die Industrie, den Gürtel<br />

enger zu schnallen, was ihn nicht unbedingt beliebter macht. Unnachsichtig<br />

und unbeirrbar steuert er seinen Sparkurs und greift<br />

zu dem riskantesten, wenn auch wirkungsvollsten Instrument, das<br />

ihm die Verfassung der Weimarer Republik in die Hand gegeben<br />

hat. Er regiert per Notverordnung und greift damit tief ins private<br />

Wirtschaftsgefüge ein. Er setzt Zinsen und Preise herunter, aber<br />

auch Löhne, Gehälter und Pensionen. Er kürzt soziale Leistungen,<br />

zieht die Schraube in neuen Verordnungen weiter an. Der harte<br />

Griff lähmt die Konjunktur, schwächt die Wirtschaft und stärkt<br />

seine Widersacher. Bei den Reichstagswahlen am <strong>14</strong>. September<br />

1930 werden die Nationalsozialisten, bisher eine Splittergruppe<br />

am äußersten rechten Rand, auf Anhieb zur zweitstärksten Partei<br />

und kommen von zwölf auf 107 Mandate.<br />

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<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 60 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:07 <strong>Uhr</strong>


Kurt <strong>Ganske</strong> geht seinen Geschäften nach. Er verlässt seine<br />

Wohnung früh am Morgen und kehrt spätabends zurück. Er ist<br />

viel auf Reisen, pendelt zwischen seinem Wohnsitz in Hannover<br />

und dem in Berlin, gründet neue Filialen in Görlitz und Waldenburg.<br />

In Hamburg gliedert er Die Grüne Mappe in sein Imperium<br />

ein, Bremen und Lübeck kommen dazu, später Dessau, Halberstadt<br />

und Halle, Leipzig, Plauen und Zwickau. Trotzdem hat er<br />

das Elend seines Nachbarn Ringelnatz mitbekommen, der durch<br />

die Maßnahmen der Nazis in Not geriet. Kurt <strong>Ganske</strong> wird, wie<br />

alle Buchhändler im Reich, durch behördliche Verfügung gezwungen,<br />

den Verkauf der Werke von Kurt Tucholsky, Heinrich<br />

und Thomas Mann, Heinrich Heine und Egon Friedell einzustellen.<br />

1933, nach Hitlers Machtergreifung, kommen auch die Werke<br />

des skurrilen Poeten Joachim Ringelnatz auf den Index. Seine Bücher<br />

und auch seine Bilder dürfen nicht mehr verkauft werden,<br />

Auftritte im Ausland werden behindert. Das Geld geht ihm aus,<br />

Nachbarn und Freunde sammeln für das Ehepaar. Am 4. August<br />

feiert er im Hotel Kaiserhof in Berlin seinen fünfzigs ten Geburtstag.<br />

Danach wird es still um ihn. Joachim Ringelnatz wird krank,<br />

verliert seinen Lebensmut. Am 17. November 1934 stirbt er an<br />

Tuberkulose. Sein heimlicher Wunsch, ein Seemannsgrab zu<br />

bekommen, geht nicht in Erfüllung. Am Sausuhlensee auf dem<br />

Waldfriedhof an der Heerstraße wird er begraben. Asta Nielsen<br />

steht an seinem Grab, der Schauspieler Paul Wegener und Ernst<br />

Rowohlt, sein Verleger.<br />

Das Haus Sachsenplatz 12 gibt es nicht mehr. Der Platz wurde<br />

1947 in Brixplatz umbenannt, das Haus im Krieg zerstört. Heute<br />

steht an seiner Stelle ein Neubau mit der Nummer 11. Aber es<br />

gibt noch den Stammtisch in der Westendklause am Steubenplatz.<br />

Nicht weit vom U-Bahnhof Neu-Westend, an der Endstation der<br />

Linie 104, fi ndet sich eine gusseiserne Tafel mit den Zeilen:<br />

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Es sang eine Nacht …<br />

Eine Nachti …<br />

Ja, Nachtigall am Sachsenplatz<br />

Heute Morgen. – Hast du in Berlin<br />

Das je gehört? Sie sang, so schien<br />

Es mir, für mich, für Ringelnatz.<br />

Die Vögel verstummen. Die Nazis betreiben die Gleichschaltung<br />

der Presse mit fahrplanmäßiger Präzision. Schon am 1. April 1933<br />

war ein Trupp durch alle Stockwerke des Ullstein-Baus gezogen,<br />

hatte die Türen aufgerissen und »Juden raus!« gegrölt. Der Terror<br />

dauerte drei Stunden, nicht zuletzt, weil sich begeis terte Kollegen<br />

den Randalierern anschlossen und mitgrölten. 1934 müssen<br />

die jüdischen Verleger ihre jüdischen Mitarbeiter entlassen, im<br />

März wirft Kurt Safranski, der Leiter der Zeitschriftenabteilung,<br />

das Handtuch. Schließlich verkaufen die Ullsteins ihr Imperium<br />

für ein Zehntel des Wertes an eine anonyme NS-Treuhandgesellschaft.<br />

Die Brüder Ullstein und ihre Familien emigrieren. Bei der<br />

Ausreise müssen sie fast ihr gesamtes Vermögen abgeben.<br />

Verlage werden gleichgeschaltet oder in den Ruin getrieben,<br />

Redaktionen ausgewechselt und auf Kurs gebracht. In täglichen<br />

Pressekonferenzen und speziellen Zeitschriftenkonferenzen<br />

werden Journalisten »gebrieft«. Kontrollierte Nachrichtendienste<br />

diktieren den Redaktionen die unmissverständlichen Sprachregelungen.<br />

Ein streng vertraulicher »Zeitschriften-Dienst«, den<br />

nur der Hauptschriftleiter (Chefredakteur) eines Blattes oder ein<br />

von ihm ausgewählter Schreiber lesen darf, schreibt vor, was in<br />

den Blättern zu stehen hat.<br />

Der Lesezirkel Daheim ist den Nazis nicht im Wege; im Gegenteil,<br />

er nützt ihnen als Transportweg ihrer Ideologie in die Haushalte.<br />

Die Mappen enthalten die alten Titel, die Blätter heißen immer<br />

noch Berliner Illustrirte Zeitung, Die Koralle und Die Dame, Der Bazar<br />

oder Das Blatt der Hausfrau, aber die sind nun gleichgeschaltet.<br />

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Neu ist Die Sirene, weil Luftschutz langsam aktuell wird, und die<br />

1932 gegründete NS-Frauenwarte, die mit Abstand aufl agenstärkste<br />

Frauenzeitschrift im Reich. Bei Kriegsbeginn hat sie bereits<br />

eine Aufl age von 1,5 Millionen erreicht. Manches Blatt geht ein<br />

oder wird in den Ruin getrieben. Immerhin gibt es 1939 noch<br />

207 Frauen-, Haus- und Modeblätter im Deutschen Reich.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> ist nie einer Partei beigetreten. Das Weltbild des<br />

Buchhändlers, Kaufmanns und Unternehmers wird die Erfahrungen<br />

von Krieg, Unruhe und Revolution gespeichert haben, die<br />

Umbrüche eines chaotischen Jahrzehnts, den Einsturz solider<br />

und unsolider Existenzen. Weil zum Naturell des Kurt <strong>Ganske</strong><br />

auch der Zweifel gehört und eine gesunde Skepsis, spricht einiges<br />

für seine Immunität gegen völkischen Enthusiasmus und gegen<br />

vorgestanzte Überzeugungen. Thomas, der Sohn, ist sich sicher:<br />

»Mein Vater war nie ein Nazi. Es gibt keinen einzigen Brief, den er<br />

mit ›Heil Hitler‹ unterschrieben hätte. Das wäre für ihn undenkbar<br />

gewesen. Degoutant. Mein Vater hat Schopenhauer gelesen.<br />

›Die Welt als Wille und Vorstellung‹, das hat ihn beschäftigt. Er<br />

hat Kant bewundert. Vor allem die Erkenntnis: Wir wollen, was wir<br />

können, aber wir können nicht, was wir wollen.« Viel später wird<br />

ihm sein krebskranker Vater, der Mühe hat mit dem Sprechen,<br />

einen Satz aufschreiben, der ihm zur Maxime wird. Zwei Worte<br />

nur, die ihn sein Leben lang nicht loslassen werden. Richard<br />

<strong>Ganske</strong> schreibt: »Halte Schritt!«<br />

Zu den Nazis bleibt Kurt <strong>Ganske</strong> auf Distanz, mit einer Ausnahme<br />

– dem Tag, an dem er die Bodenhaftung verliert, an dem er<br />

versucht, abzuheben. Er will noch schneller sein, unabhängig von<br />

Straßenzuständen, ohne die unendlich vielen auf Landstraßen<br />

vergeudeten Stunden die Filialen des Lesezirkel Daheim erreichen,<br />

Folgende Doppelseite:<br />

Aquarell von Fritz Schatzmann zur Erinnerung an den<br />

ersten gemeinsam bestiegenen Berggipfel, den Piz Buin<br />

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im Fluge! Deshalb beschließt er gemeinsam mit Kienöl, dem Fahrer,<br />

den Pilotenschein zu machen. Den bekommt man aber nur<br />

als Mitglied des Luftsportverbandes, der inzwischen im NS-Fliegerbund<br />

NSFK aufgegangen ist. Er tritt dem Verband bei, startet<br />

als Flugschüler vom Flughafen Hannover, fl iegt und landet. Es<br />

geht ihm ziemlich schlecht, und es soll ihm noch schlechter ergehen.<br />

Die Vorschrift verlangt, dass er sich, angeschnallt in einer Art<br />

Menschenschleuder, einem Test unterzieht. Ihm wird schwindlig.<br />

Aus der Traum. Er fällt durch, ein Versagen, das er sich nie verzeiht.<br />

Der Drang zur Höhe bleibt. Er ist, als 20-Jähriger schon, in den<br />

Alpenverein Deutsch-Österreich eingetreten, zeigt sich früh als<br />

passionierter Bergwanderer. Das Unwegsame lockt, schroffe Steinsamkeit<br />

über den Wolken, eisiger Firn, ragende Gipfel, da muss er<br />

rauf. Wenn es seine Zeit zulässt, klettert er in die Berge, wandert<br />

in Österreich, in der Schweiz, in den Dolomiten, erklimmt an der<br />

Seite von Fritz Schatzmann, einem erfahrenen Bergführer, die<br />

Dreitausender. Für ein paar Tage steht er über den Dingen, über<br />

den Strudeln des Zeitgeists, über dem Alltag mit seinen Geschäften<br />

und seinen Terminen. Er klettert ins ewige Eis, für den Norddeutschen<br />

eine Herausforderung auf höchstem Niveau. 1931 erklimmt<br />

er den Piz Buin und drei weitere Dreitausender in sechs<br />

Tagen. Im Jahr darauf sind es von Festkogl bis Kesselwandspitze<br />

zwölf Dreitausender in zehn Tagen, 1934 noch einmal sechs Gipfel<br />

in sechs Tagen, diesmal sind drei Viertausender dabei.<br />

Die Natur wird sein zweites Zuhause. Freie Wochenenden verbringt<br />

er am liebsten im Wald. Wie sein Vater ist er ein begeisterter<br />

Jäger. Der erste Jagdschein, in kalligraphisch vollendeter<br />

Kanzleischrift vom Freistaat Braunschweig ausgestellt, ist für das<br />

gesamte Reichsgebiet gültig und nennt die Hauptregeln für das<br />

Verhalten von Schützen bei Treibjagden: Gewehre sind außerhalb<br />

des Treibens stets mit der Mündung nach oben zu tragen.<br />

Das Schießen mit der Kugel in das Treiben hinein ist nur mit<br />

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Bergführer<br />

Fritz Schatzmann<br />

ausdrücklicher Genehmigung des Jagdleiters erlaubt, und bei<br />

Kesseltreiben darf auf das Signal »Treiber rein« nicht mehr in<br />

den Kessel geschossen werden. Die Schonzeiten sind eingetragen.<br />

Elf Monate für Elchwild und Trapphähne, zehneinhalb Monate<br />

für Auer-, Birk- und Rackelhähne, zehn Monate für Edel- und<br />

Steinmarder. Der Jagdschein schützt Muffelwild und Murmeltiere,<br />

Rehwild, Damwild, Gamswild, Dachse und Hasen, Reb-, Hasel-,<br />

Schnee- und Steinhühner, Bekassinen und Brachvögel, Wildenten,<br />

Mäuse- und Raufußbussarde, Säger und Möwen, Waldschnepfen,<br />

Wildgänse, Ringeltauben und natürlich auch Robben. Alles<br />

hat seine Ordnung. Auch als die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges<br />

über Europa hereinbricht, werden im Deutschen Reich<br />

Jahresjagdscheine vergeben mit Lichtbild und sauber eingetragenen<br />

Schonzeiten für Murmeltiere und Muffelwild. Jagdscheine<br />

müssen jährlich erneuert werden. Kurt <strong>Ganske</strong> organisiert das<br />

irgendwie, auch noch als Soldat, auch noch im letzten Jahr des<br />

Krieges. Es ist ihm wichtig.<br />

Noch lebt Deutschland im Frieden. Das Jahr 1936 bricht an.<br />

Die Nürnberger Rassengesetze sind in Kraft getreten. Eine halbe<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 67 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:13 <strong>Uhr</strong><br />

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Million Menschen, alle Deutschen jüdischer Herkunft und jüdischen<br />

Glaubens, verlieren ihre Bürgerrechte. Seit der Machtergreifung<br />

werden jüdische Kaufl eute, Ärzte und Rechtsanwälte<br />

boykottiert, werden jüdische Betriebe »arisiert«, werden Banken,<br />

Konzerne und Großbetriebe enteignet, die Vermögen konfi sziert.<br />

»Nichtarische« Beamte werden zwangsweise in den Ruhestand<br />

versetzt, ihre Pensionen auf ein Minimum gekürzt. Über jüdische<br />

Künstler wird das Berufsverbot verhängt. Ihre Bücher werden verbrannt,<br />

ihre Bilder als »entartete Kunst« verfemt und beschlagnahmt.<br />

Der »Ariernachweis« wird auf immer neue Berufsgruppen<br />

ausgedehnt: Wissenschaftler, Notare, Apotheker, Hebammen. Das<br />

»Blutschutzgesetz« verbietet die Ehe und auch den Geschlechtsverkehr<br />

zwischen Juden und Nichtjuden.<br />

Auch Max Schmeling gerät unter Druck – die Ehe mit der<br />

Tschechin Anny Ondra stößt bei den Nazis auf Missbilligung. Sie<br />

verlangen, dass er sich von seinem jüdischen Manager trennen<br />

soll. Er weigert sich, bleibt standhaft. Die Parteiführung lenkt –<br />

vorübergehend – ein. Der starke Max wird noch gebraucht. Er<br />

steigt in diplomatischer Mission in den Ring und soll helfen, ein<br />

Prestige-Projekt der Nationalsozialisten, die Olympischen Spiele<br />

in Berlin, zu retten. Vor allem in den USA mehren sich die Stimmen,<br />

die wegen der Diskriminierung der deutschen Juden zum<br />

Boykott aufrufen. Die NS-Funktionäre entsenden Max Schmeling,<br />

den international bekanntesten und allseits beliebten deutschen<br />

Sportler, als Botschafter für Olympia. Er tritt vor das Olympische<br />

Komitee, wirbt in starken Worten für die Teilnahme amerikanischer<br />

Sportler an den Spielen in Berlin – ein Plädoyer, das er später<br />

mit seiner »grenzenlosen Naivität« erklärt. Sein Einsatz bringt<br />

einen knappen Punktsieg. Die Befürworter der Teilnahme an den<br />

Nazi-Spielen setzen sich mit 58:56 Stimmen durch.<br />

Vergebens warnt der Schriftsteller Heinrich Mann in Paris auf<br />

der Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee: »Ein Regime,<br />

das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung;<br />

68<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 68 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:15 <strong>Uhr</strong>


Kurt <strong>Ganske</strong> beim Skisport<br />

ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene<br />

Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den friedlichen<br />

Sport und freiheitlichen Sportler respektieren? Glauben Sie mir,<br />

diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen,<br />

werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und<br />

Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt<br />

fühlt.« Sie kommen trotzdem. Die Jugend der Welt marschiert ins<br />

Berliner Olympiastadion, vierhundert Franzosen haben die Hand<br />

zum Hitlergruß erhoben.<br />

Ein schöner Sommer. Max Schmeling siegt am 19. Juni über<br />

den bis dahin ungeschlagenen Joe Louis durch K.o. in der zwölften<br />

Runde. Die Olympischen Spiele werden ein großer Erfolg,<br />

aber das friedliche Zusammenspiel der Nazis mit der Jugend der<br />

Welt ist nur eine Täuschung. Noch während der Spiele macht sich<br />

die Legion Condor auf den Weg, um Franco und seine Faschisten<br />

im Spanischen Bürgerkrieg zu unterstützen. Während die<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 69 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:16 <strong>Uhr</strong><br />

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jüdischen Mitbürger zunehmend ins Abseits geraten und täglich<br />

Antifaschisten in Konzentrationslagern verschwinden, singt Willy<br />

Fritsch: »Ich wollt’, ich wär ein Huhn.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> ist weit weg – im Wald, in Herleshausen, einem<br />

kleinen Ort an der hessisch-thüringischen Grenze. Eisenach ist<br />

drei Wegstunden entfernt, über den bewaldeten Kuppen ist die<br />

Wartburg zu sehen. Ein Traum. Kurt <strong>Ganske</strong> hat schon länger nach<br />

so einem Stück Natur gesucht, einem intakten Landschaftsraum<br />

mit viel Wald, altem Baumbestand, solider Forstwirtschaft und eigener<br />

Jagd. Er hat inzwischen die nötigen Ersparnisse und kauft<br />

von dem Baron Rudolf von Schutzbar, genannt Milchling, das<br />

Rittergut Hohenhaus bei Herleshausen mit tausend Hektar Land<br />

und herrschaftlichem Gutshaus. Ein gründerzeitliches Architektur-Juwel,<br />

1905 von dem Architekten und Burgenforscher Bodo<br />

Ebhardt (1865 –1945) erbaut. Mit dem Besitz erwirbt er auch das<br />

Kirchenpatronat über eine ebenfalls von Ebhardt erbaute Kapelle<br />

und eine Gemeinde von hundertfünfzig Seelen.<br />

Der adlige Herr mit dem merkwürdigen, aber sehr alten Namen<br />

ist offenbar in Schwierigkeiten geraten und sieht sich zum<br />

Verkauf gezwungen. Er war Kämmerer des letzten deutschen Kaisers,<br />

der nun im Exil lebt und nichts mehr zu kämmern hat. Die<br />

Zuwendungen bleiben aus. Der Rittergutsbesitzer lässt anschreiben.<br />

In der Weinstube in Eisenach, an die er im Gegengeschäft<br />

für manches Gelage aus seiner Landwirtschaft frische Eier liefert,<br />

hat sich ein Soll von zehntausend Eiern für Rotwein angehäuft.<br />

Der Verkauf des Rittergutes hat das Problem solcher Außenstände<br />

sicher verringern geholfen.<br />

Dass der Baron bei den Mägdelein auf seinen Ländereien<br />

noch das Recht der ersten Nacht ausgeübt habe, ist natürlich ein<br />

Gerücht. Tatsache ist, dass Rudolf von Schutzbar sich mit sehr<br />

schönen Frauen umgab und zweimal verheiratet war. Die erste<br />

Baronin kann den Verlust des Rittergutes nicht verwinden. Sie<br />

kommt noch jahrelang vorbei, setzt sich in die Halle des Gutshau-<br />

70<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 70 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:17 <strong>Uhr</strong>


In den dreißiger Jahren waren Reifenpannen an der Tagesordnung<br />

ses, raucht eine Zigarre und geht. Die zweite Baronin, vormals<br />

Kinderfräulein und Fremdsprachenerzieherin im Hause, wählt<br />

das nahe Schloss von Wommen als Alterssitz.<br />

1938. Das letzte Jahr im Frieden. Der Presseball in der Stadthalle<br />

von Hannover ist ein Ereignis, das sich die Gesellschaft der<br />

Stadt nicht entgehen lässt. Man tanzt Walzer unter der Kuppel<br />

des Amphitheaters, tafelt an reich gedeckten Tischen, tauscht<br />

sich aus, erneuert und vertieft die eine oder andere Verbindung,<br />

frischt Kontakte auf, macht Bekanntschaften und Geschäfte, ein<br />

Ball für Augen und Ohren, mehr Klatsch als Presse, dabei sein<br />

ist alles. Es gibt ein Konzert, danach wird Sekt ausgeschenkt, das<br />

Glas für eine Mark, die wohltätigen Zwecken zufl ießen soll. Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> hat an der Bar einen Platz gefunden, bestellt einen Sekt<br />

nach dem anderen und erzählt einer jungen Frau mit dunklen<br />

Augen und dunklen Haaren von der Schleppjagd, die er am nächsten<br />

Tag vor sich hat. Die Frau blitzt ihn spöttisch an: »Wenn Sie<br />

weiter so viel trinken, haben Sie morgen weiche Knie.«<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 71 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:18 <strong>Uhr</strong><br />

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Am nächsten Tag sehen sie sich wieder, denn die junge Frau ist<br />

ebenfalls zur Schleppjagd eingeladen. Gestern noch im Smoking,<br />

erscheint Kurt <strong>Ganske</strong> nun im roten Rock, weißer Reithose und<br />

schwarzen Stiefeln. Die Damen tragen Schwarz, Blau oder Grün,<br />

aber niemals Rot. Eine Schleppjagd folgt strengen Ritualen und<br />

duldet in Stilfragen keine Kompromisse. Wenn die Hunde kommen,<br />

ruft man: »Die Hunde!«, und die Herren (nur die Herren!)<br />

ziehen die Kappe. Seit 1934 verlaufen Schleppjagden in Deutschland<br />

unblutig, Reitjagden auf lebendes Wild sind verboten. Die<br />

Strecke ist festgelegt und mit Hindernissen präpariert, sie führt<br />

von Hannover nach Isernhagen, ungefähr fünfzehn Kilometer zu<br />

Pferd durch fl aches, aber nicht immer trockenes Gelände. Schon<br />

jagt die Meute im charakteristischen Geläut (vulgo: Gebell) der<br />

Schleppe nach, die Reiter hinterher. Einige Ricks sind zu überwinden,<br />

querliegende Baumstämme, die normalerweise leicht<br />

genommen werden. Aber das Pferd der jungen Frau scheut, sie<br />

will es nicht zwingen, reitet langsam durch die Wietze, ein Flüsschen,<br />

in dem kein Pferd versinkt. Da naht der Herr von der Bar<br />

im Galopp, setzt sein recht schweres Pferd mit Bravour über das<br />

Rick und lacht: »Na, wohl ein bisschen weich in den Knien!«<br />

Die Jagd ist zu Ende, die Reiter galoppieren ins Ziel, ziehen<br />

den rechten Handschuh aus, halten ihn hoch und rufen noch<br />

im Galopp: »Halali!« Dann wird das Halali geblasen, es folgt das<br />

»Genossenmachen« der Hunde, sie bekommen ihre Belohnung.<br />

Die Reiter sitzen dazu ab und ziehen den Hut, als Dank für Pferde<br />

und Hunde. Dann verteilt der Jagdherr an jeden Reiter den<br />

»Bruch«, einen frischen Eichenzweig, und sagt: »Waidmannsheil.«<br />

Der Beschenkte antwortet mit »Waidmannsdank«. Ein Gast richtet<br />

Dankesworte an den Jagdherrn und seine Helfer, schließt<br />

mit dreifachem »Horrido!«, die Reiter antworten dreimal mit<br />

»Hoho!«, so ist es Brauch. Hunde und Pferde werden verladen,<br />

die Jagdgesellschaft begibt sich zum geselligen Teil.<br />

So treffen Kurt <strong>Ganske</strong> und die junge Frau einander wieder.<br />

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Jagdgesellschaft 1938: Kurt <strong>Ganske</strong> und Gerda Tolle bei Isernhagen<br />

Sie sitzen zusammen bei Eisbein und Sauerkraut in einer Kneipe<br />

in Isernhagen. »Ja, und da hat es gefunkt, wie man so sagt.« Gerda<br />

<strong>Ganske</strong> lächelt sanft. So hat sie ihren künftigen Mann kennen gelernt.<br />

Damals hieß sie noch Gerda Tolle, ihre weiteren Vornamen<br />

Helene, Sophie und Marie stehen nur in den Papieren. Gerda<br />

Tolle ist lebensfroh, optimistisch, liebenswert, eine junge Dame<br />

aus gutem und sehr ordentlichem Hause. Sie hat eine angesehene<br />

Privatschule für höhere Töchter absolviert und am renommierten<br />

Konservatorium in Hannover, an dem auch der berühmte Pianist<br />

Walter Gieseking wirkte, das Klavierspiel erlernt. Der Vater<br />

der jungen Frau ist Personaldirektor bei Continental, Hannovers<br />

größtem Arbeitgeber, die Familie stammt aus Clausthal-Zellerfeld.<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 73 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:21 <strong>Uhr</strong><br />

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Das einzige erhaltene Hochzeitsbild:<br />

Gerda Tolle und Kurt <strong>Ganske</strong> am 27. August 1938<br />

Der Nachruhm eines Vorfahren ist auf einer Platte aus Eisenguss<br />

aus dem 16. Jahrhundert verewigt in Clausthals hölzerner Pfarrkirche<br />

zum Heiligen Geist.<br />

Das gemeinsame Jagderlebnis hat Folgen. Noch im selben<br />

Jahr, am 27. August 1938, heiraten Kurt und Gerda <strong>Ganske</strong> in<br />

der kleinen Taufkirche, für die der Gutsherr das Patronat übernommen<br />

hat. Das Motto der Predigt stammt aus dem ersten Brief<br />

an die Korinther, Nummer 13, Vers 13: »Nun aber bleibt Glaube,<br />

Hoffnung, Liebe; diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter<br />

ihnen.« Zur standesamtlichen Trauung muss das Ehepaar zwei<br />

Ahnenpässe vorlegen – die zynische Erfi ndung des Dritten Reiches,<br />

die sicherstellen soll, dass sich bei Eheschließungen nur rein<br />

arisches Blut vermischt und nicht etwa »das Blut der auch im europäischen<br />

Siedlungsraume lebenden Juden und Zigeuner, das<br />

der asiatischen und afrikanischen Rassen und der Ureinwohner<br />

Australiens und Amerikas (Indianer)«.<br />

74<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 74 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:23 <strong>Uhr</strong>


Zum Hochzeitsessen auf Gut Hohenhaus gibt es eine doppelte<br />

Kraftbrühe mit Eierstich und danach eine Rede. Forelle blau wird<br />

serviert, Hähnchen mit frischem Gemüse und Rehrücken, garniert<br />

nach Waidmanns Art mit Cumberlandtunke und Preiselbeeren,<br />

danach eine Sahne-Eisbombe, Käse und Mokka. Ein Gedicht, vom<br />

Brautvater persönlich verfasst, ziert die Speisekarte:<br />

Drum ist bescheiden der Genuss,<br />

Den Rehbock bracht’ ein guter Schuss,<br />

Das Fischchen stammt aus uns’rem See,<br />

Das Hähnchen rief im Hof herrjeh …<br />

Das Paar zieht nach Hannover, Kirchdorfer Straße 23, in ein Einfamilienhaus<br />

am Wald; groß genug für eine Familie mit Kindern.<br />

Sie richten sich häuslich ein. Ein schwerer Tisch bekommt einen<br />

Ehrenplatz. Die Platte besteht aus 36 Kacheln mit den Wappen<br />

deutscher Städte. Ein Hochzeitsgeschenk der 36 Filialen des Lesezirkel<br />

Daheim.<br />

»Daheim« ist überall. Das Unternehmen beschäftigt inzwischen<br />

über 1300 Mitarbeiter und beliefert 180 000 Abonnenten. Eine<br />

Flotte von vielen hundert Volkswagen ist bestellt und bezahlt. Die<br />

fabelhaften KdF-Wagen (»Kraft durch Freude«) werden zwar nicht<br />

ausgeliefert, aber Kurt <strong>Ganske</strong> hat dafür nach dem Krieg bei Volkswagen<br />

noch jahrelang einen guten Preisnachlass bekommen. In<br />

seinem Arbeitszimmer in der Zentrale an der Seelhorststraße in<br />

Hannover hat er das Deutsche Reich vor Augen, dort leuchten 36<br />

Städte auf einer gläsernen Landkarte. »Er stand oft davor. Und er<br />

wusste immer, wann und wo eine Straße beliefert wurde«, erzählt<br />

Gerda <strong>Ganske</strong>. War die Tür zu dem Zimmer verschlossen? Oder<br />

ging es zu wie im Taubenschlag? Der junge Unternehmer ist mittendrin,<br />

zeigt noch nicht die Distanz des späteren Konzernherren.<br />

Es gibt in seiner Firma eine verschworene Gemeinschaft: der<br />

Jahrgang 1905. Ein guter Jahrgang, fi ndet Kurt <strong>Ganske</strong>. Er hat so<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 75 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:24 <strong>Uhr</strong><br />

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Die Firmenzentrale an der Seelhorststraße 1 in Hannover<br />

viele Mitarbeiter dieses – seines eigenen – Jahrgangs eingestellt,<br />

dass sie zusammen eine Fußballmannschaft bilden. Und die spielt,<br />

jeder Einzelne mit dem Spielwitz, aber auch mit dem Gewicht von<br />

inzwischen 33 Lebensjahren, in regelmäßigen Abständen gegen<br />

eine Firmenauswahl.<br />

Eine Winterreise – noch ist Frieden. Gerda <strong>Ganske</strong> erzählt von<br />

einer klaren, kalten Nacht. Sie sind allein unter Sternen, fahren<br />

heim vom Skifahren in Schierke im Harz. Sie steuert den Wagen,<br />

er sitzt neben ihr. Kein Licht in den Häusern, alles schläft, kein<br />

anderes Auto weit und breit. Sie fährt eine lange, gerade Straße<br />

entlang, sieht weit vorn im Scheinwerferlicht einen Mann, der<br />

einen Handkarren zieht. »Halt an«, bittet ihr Mann. Sie steigen<br />

aus, kommen mit dem einsamen Wanderer ins Gespräch, einem<br />

Spielmann. Der Handkarren ist seine Drehorgel, ein schönes Exemplar,<br />

Modell »Alt-Berlin«, mit einem Lederbezug gegen Wind<br />

und Wetter geschützt. Sie bitten ihn, ein Lied zu spielen. Der<br />

Spielmann wirft die Kurbel an, und es erklingt nachts, auf einer<br />

verschneiten Landstraße irgendwo zwischen Schierke und Hannover,<br />

»Wie ein Wunder kam die Liebe über Nacht«.<br />

76<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 76 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:25 <strong>Uhr</strong>


Gerda <strong>Ganske</strong> erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. »Er<br />

hatte eine besondere Empfi ndung für Musik. Ich habe halbe<br />

Nächte für ihn gespielt. Er hat am Kamin gesessen oder gelesen<br />

oder nur zugehört. Eines Tages drückt er mir ein Akkordeon in<br />

die Hand. ›Wenn du Klavier spielen kannst, müsstet du damit<br />

auch etwas anfangen können.‹ Nun ja, er hatte Recht. Ich hab’s<br />

ziemlich schnell gerlernt. Wenn wir über Land fuhren, saß er am<br />

Steuer, und ich habe neben ihm Akkordeon gespielt. Stundenlang.<br />

Er hat es gemocht. Später haben wir auch eine Drehorgel<br />

gekauft, in Hamburg auf St. Pauli. Wir sind nicht selber losgezogen,<br />

das hätte sofort den Preis erhöht, sondern haben unseren<br />

Fahrer geschickt.«<br />

Wenn es ein Prinzip gibt, das sich im Hause <strong>Ganske</strong> über Generationen<br />

zum eisernen Gesetz gefestigt hat, dann ist es dieses: niemals<br />

Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Ob Rittergut oder Drehorgel,<br />

der Preis muss stimmen. Der St.-Pauli-Bummel des Fahrers<br />

muss in den sechziger Jahren stattgefunden haben. Gerda <strong>Ganske</strong><br />

beschreibt Herrn Rothe als »eher lakonischen Typ. Ein ehemaliger<br />

Kapitän, der konnte auf dem Kiez richtig verhandeln.« Der<br />

Mann, dem er die Orgel abkaufte, gab ihm noch mit auf den<br />

Weg, dass er damit vierhundert Mark die Woche verdienen könne,<br />

wenn er nur auf den richtigen Plätzen stünde. Manchmal, auf<br />

Familienfesten oder beim Feiern mit guten Freunden, hat Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> die Orgel in den Raum geschoben und gedreht. Dann<br />

spielte sie: »Man müsste noch mal zwanzig sein und so verliebt<br />

wie damals.«<br />

Damals, als noch Frieden war. Am 9.Mai 1939 bekommt Gerda<br />

<strong>Ganske</strong> in Hannover das erste von vier Kindern, der Sohn wird auf<br />

den Namen Michael getauft. Wenn die Arbeit es zulässt, verbringt<br />

das Paar glückliche Tage in Hohenhaus. Sie schließen Freundschaft<br />

mit Hubert Behr, dem Sohn der Baronin von Schutzbar<br />

aus erster Ehe. Er schreibt Bücher über die Jagd (»Tage frohen<br />

Waidwerks«), ist ein begeisterter Jäger und ein ausgezeichneter<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 77 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:26 <strong>Uhr</strong><br />

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Kurt und Gerda <strong>Ganske</strong>, Bodensee 1938<br />

Schütze. Eines Tages schießt er mit der Armbrust einen Hirsch,<br />

der für Hermann Göring reserviert war. Ein Kapitalverbrechen!<br />

Er fl ieht nach Argentinien, hält es aber für seine Pfl icht, bei Ausbruch<br />

des Krieges nach Deutschland zurückzukehren, um als Soldat<br />

seinen Mann zu stehen.<br />

Er gerät in russische Gefangenschaft, es gibt kene Nachricht<br />

von ihm. Seine Mutter, inzwischen Witwe, bleibt allein auf ihrem<br />

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<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 78 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:27 <strong>Uhr</strong>


Gut in Wommen. Nach Jahren gibt sie die Hoffnung auf, dass der<br />

Vermisste zurückkehren würde. Die alte Dame stiftet ihr Gut protestantischen<br />

Schwestern, die dort ein Altenheim – das Margotvon-Schutzbar-Stift<br />

– einrichten. Die Baronin bleibt dort wohnen<br />

und pfl egt alte Freundschaften, unter anderem zu Wilhelmine<br />

Lübke, der Frau des späteren Bundespräsidenten.<br />

Ihren verlorenen Sohn kann sie noch in die Arme schließen.<br />

Hubert Behr kommt 1956 als einer der letzten Heimkehrer aus<br />

Russland zurück. Er steht vor dem Nichts. Das Schloss, das er für<br />

sein Erbe hält, wird ihm nie gehören und hängt voller Kruzifi xe<br />

und Madonnen. Er sucht ein neues Revier, eröffnet ein Jagdgeschäft<br />

in der Maxburg in München. Als er ein paar Jahre später<br />

stirbt, wird er in Hohenhaus begraben. Er hatte für seine Frau<br />

Elisabeth einen schönen Grabstein meißeln lassen: »Hier ruht<br />

der vergängliche Körper. Aber unsere Seelen fi nden sich wieder<br />

in den ewigen Jagdgründen.« Nun haben sie sich gefunden; der<br />

Stein allerdings erregte Anstoß. Man hat ihn an den Rand des<br />

Friedhofs gesetzt, wo er die christlichen Seelen nicht so stört.<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 79 <strong>01.11.2005</strong> <strong>14</strong>:56:28 <strong>Uhr</strong>


Sein Lebenswerk erschien bei Hoffmann und Campe:<br />

Heinrich Heine, 1831, gemalt von Moritz Oppenheim<br />

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IM KRIEG<br />

Heinrich Heines Verlag – Harriet Wegener –<br />

Grenadier <strong>Ganske</strong> – Bomben auf Hannover –<br />

Briefe von der Front – Auf der Flucht –<br />

General Patton sucht ein Quartier – Die Rückkehr<br />

Familienzuwachs. 19<strong>40</strong> kommt Martin zur Welt, 1942 Mareile.<br />

Gerda <strong>Ganske</strong> erlebt ihren ersten Fliegeralarm in der Frauenklinik.<br />

»Wir Mütter mussten alle in den Bunker runter, die Kinder<br />

wurden von uns getrennt. Ich habe das kaum ausgehalten.« Als<br />

sie nach Hause kommt, ist das Nachbarhaus zerstört. Sie packt nur<br />

das Nötigste zusammen und zieht mit den Kindern von Hannover<br />

nach Hohenhaus. Kurt <strong>Ganske</strong> ist im Reich unterwegs. 1941, im<br />

zweiten Kriegsjahr, investiert er ein kleines Vermögen, um fünfzig<br />

Prozent des Hoffmann und Campe Verlages in Hamburg zu<br />

erwerben. Er hat lange überlegt und schließlich gehandelt. Der<br />

Kaufmann, Buchhändler und Lesezirkel-Unternehmer wagt mit<br />

36 Jahren den ersten Schritt zum Verleger. Ein beherzter und ein<br />

guter Griff.<br />

Der Hoffmann und Campe Verlag ist ein Traditionsunternehmen.<br />

Am 3. Juli 1781 erscheint zum ersten Mal eine Anzeige des<br />

von Benjamin Gottlob Hoffmann (1748–1818) gegründeten Verlages<br />

in der Kaiserlich Privilegierten Hamburgischen Neuen Zeitung.<br />

Ein Jahr später erwirbt er die Verlagsbuchhandlung F. L. Gleditsch<br />

sel. Erben. Ihre Geschichte lässt sich bis ins Jahr 1634 zurückverfolgen,<br />

zu einem Buchhändler und Verleger namens Zacharias<br />

Hertel, der schon im Dreißigjährigen Krieg seinen Geschäften<br />

nachging. Der Verlag des Benjamin Gottlob Hoffmann macht zunächst<br />

mit Werken des Hamburger Arztes August Müller auf sich<br />

aufmerksam (»Werden die Neigungen und Leidenschaften einer<br />

Säugenden durch die Milch dem Kinde mitgetheilt?«), publiziert<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 81 <strong>01.11.2005</strong> 15:00:37 <strong>Uhr</strong><br />

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aber auch Friedrich Gottlieb Klopstocks Cherusker-Drama »Hermann<br />

und die Fürsten« und seine »Fragmente über Sprache und<br />

Dichtkunst«. 1812 fusionieren der Buchhändler Hoffmann und<br />

sein Schwiegersohn Fritz August Gottlob Campe (1773–1836)<br />

zum Hoffmann und Campe Verlag. 1823 kommt dessen Halbbruder<br />

Julius Campe (1792–1867) ins Geschäft, ein Freiheitskämpfer,<br />

der als Lützower Jäger geholfen hat, Deutschland von<br />

der Herrschaft Napoleons zu befreien.<br />

Das Verlagsprogramm ist weit gefächert. Es enthält die Schriften<br />

des romantischen Dichters Karl Immermann (1796–18<strong>40</strong>),<br />

aber auch Lehr- und Sachbücher, wissenschaftliche Abhandlungen,<br />

Broschüren, Hamburgensien und Titel wie »Stick-Muster im<br />

französischen Geschmack«. Dann taucht ein junger Autor im Programm<br />

auf, dessen Name bald untrennbar mit dem Hoffmann<br />

und Campe Verlag verbunden sein wird: Heinrich Heine. 1826<br />

erscheint der erste Teil seiner »Reisebilder«, im Jahr darauf »Das<br />

Buch der Lieder«.<br />

Unter Julius Campe wird der Verlag zum Forum des »Jungen<br />

Deutschland«. Zu den Autoren gehören Ludwig Börne, Anastasius<br />

Grün und Franz Dingelstedt, Hoffmann von Fallersleben,<br />

Ludolf Wienbarg, Karl Gutzkow und Friedrich Hebbel. Und der<br />

Verleger bleibt Freiheitskämpfer – standfest und trickreich spielt<br />

er Katz und Maus mit den Zensurbehörden, die nicht mit sich<br />

spaßen lassen. Die deutschen Staaten sind im Zeitalter der Restauration<br />

eifrig darauf bedacht, den Freiheitsgedanken und seine<br />

Urheber hinter Schloss und Riegel zu bringen, einige mehr,<br />

einige weniger. 1841 wird das gesamte Programm des Hoffmann<br />

und Campe Verlages in Preußen verboten, nachdem einer seine<br />

Autoren, der überzeugte Republikaner Eduard Vehse, eine angriffslustige<br />

»Geschichte der deutschen Höfe« verfasst hat. Der<br />

Verleger geht höchstpersönlich für seinen Autor ins Gefängnis.<br />

Sein Sohn und Nachfolger Julius Campe jr. bringt den Verlag<br />

ins gemächlichere Fahrwasser der Gründerzeit, druckt Klassiker<br />

82<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 82 <strong>01.11.2005</strong> 15:00:43 <strong>Uhr</strong>


in immer neuen Gesamtausgaben. Als er 1909 im Alter von 64<br />

Jahren stirbt, hinterlässt er ein beträchtliches Vermögen. Einen<br />

Teil davon vermacht er der heute noch aktiven »Campe’schen<br />

Historischen Kunststiftung« in Hamburg. Der Verlag wechselt<br />

mehrfach den Besitzer. Max Lande, Druckereibesitzer in Berlin<br />

und Herausgeber mehrerer Periodika, verlegt den Sitz in die<br />

Hauptstadt. Nach dem Ersten Weltkrieg publiziert der Verlag<br />

einen »Deutschen Revolutions-Almanach« und Paul Zechs Anti-<br />

Kriegsgedichte »Das Grab der Welt« in einer neuen Buchreihe,<br />

die in Anlehnung an das Junge Deutschland »Die junge Welt«<br />

genannt wird.<br />

Albert Brinitzer, der nächste Eigentümer, bringt Bimini heraus,<br />

eine literarische Zeitschrift, die vierzehntäglich erscheint. Zu<br />

den Autoren gehören Alfred Kerr, Oskar Loerke, Klabund und<br />

Oskar Maria Graf. 1930 übernimmt Arnold Fuß den Verlag. Er<br />

verlegt den Firmensitz wieder nach Hamburg, muss als Jude aber<br />

drei Jahre später emigrieren. Er verkauft den Verlag an Martinus<br />

Christensen, einen deutsch-dänischen Schleifmittel-Fabrikanten,<br />

dem schon der Hamburger Gutenberg Verlag gehört.<br />

Zielorientiert steuert Christensen das Unternehmen gegen<br />

den völkisch verbiesterten Trend in höhere Sphären. Eines der<br />

ersten großen Projekte ist Leopold von Rankes »Preußische Geschichte«.<br />

Im März 1937 gründet der Hoffmann und Campe Verlag<br />

die »Europa-Bibliothek«, zwei Jahre später folgt die Taschenbuchreihe<br />

»Geistiges Europa«, in der unter anderem der spätere<br />

Bundespräsident Theodor Heuss als Autor vertreten ist (»Justus<br />

von Liebig – Vom Genius der Forschung«). Beide Schriftenreihen<br />

werden von dem renommierten Kunsthistoriker Albert Erich<br />

Brinckmann herausgegeben, der – obwohl Parteimitglied – seinen<br />

Lehrstuhl in Berlin räumen muss. Offenbar bestehen Zweifel an<br />

seiner Linientreue. Noch 1942, mitten im Krieg, äußert er in einer<br />

Verlagsanzeige: »Deutsche Kultur ist wesentlicher Bestandteil<br />

abendländischer Kultur und von größter geistiger Wirksamkeit –<br />

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Europäische Kulturen entwickeln sich in ständigem Austausch, im<br />

›Nehmen und Geben‹ – Nationen müssen sich verstehen lernen,<br />

ehe sie sich verständigen können.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> hat als Verleger einen schweren Start; es ist ein<br />

Hindernislauf mit immer neuen Hürden. Er stellt Harriet Wegener<br />

als Chefl ektorin ein. Fräulein Doktor Wegener, wie er<br />

sie nennt, studierte Nationalökonomin, hatte in Kiel das erste<br />

Frauenhaus gegründet, in Berlin den Kapp-Putsch miterlebt und<br />

schon vor dem Krieg für Hoffmann und Campe gearbeitet. 1939<br />

übertrug sie Paul Hazards Standardwerk »La crise de la conscience<br />

européenne« (»Die Krise des europäischen Geistes«) aus<br />

dem Französischen, das in der »Europa-Bibliothek« erschien.<br />

1942 nimmt sie ihre Tätigkeit auf und steuert, immer in telefonischer<br />

oder telegraphischer Verbindung mit Kurt <strong>Ganske</strong>, an<br />

der Seite von Martinus Christensen das Unternehmen durch den<br />

Krieg. Sie schafft ihr eigenes Reich; kauft einen Kanonenofen.<br />

Sein wärmender Radius wird zum Sammelpunkt kluger Gespräche,<br />

das Zentrum des Verlages.<br />

Für Hitler kennt sie nur Verachtung. »Schwein bleibt Schwein,<br />

und wenn es Perlen frisst«, sagt sie über ihn. Wie Julius Campe<br />

hundert Jahre zuvor, spielen nun der Däne und die Lektorin Katz<br />

und Maus mit der Zensur. Jede Neuerscheinung muss beantragt<br />

werden, auch scheinbar unverfängliche Neuausgaben klassischer<br />

Literatur. Im Propagandaministerium stapeln sich die Anträge;<br />

sie werden verschleppt, auf Linientreue geprüft, nach Monaten<br />

abgelehnt. Der Verlag formuliert den Antrag neu, ändert das Inhaltsverzeichnis,<br />

erfi ndet einen neuen Titel, reicht das Projekt<br />

wieder ein. Manchmal glückt es, manchmal nicht. Plötzlich ist<br />

alles anders, sehen sich die Verlage mit einer überraschenden<br />

Kurswende konfrontiert. Das Propagandaministerium verzichtet<br />

auf die anstrengende Schikane des Genehmigungsverfahrens und<br />

gibt den Verlagen freie Hand – auf eigenes Risiko. Die Methode<br />

ist perfi de, denn die Zensur bleibt. Aber jetzt schlägt das Fallbeil<br />

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ins fertige, bereits gedruckte, gebundene, vielleicht schon ausgelieferte<br />

Werk, was die Kosten und Risiken für den betroffenen<br />

Verlag lebensbedrohlich erhöht. Nun geht es ums Ganze.<br />

Als bei Hoffmann und Campe bei einem Großangriff alle Scheiben<br />

herausgefl ogen sind, vernagelt Harriet Wegener die Fenster<br />

mit Brettern. Sie kämpft um ihren Verlag. Als letzter Band der Reihe<br />

»Geistiges Europa« erscheint von Brinckmann »Michelangelo.<br />

Vom Ruhme seines Genius in fünf Jahrhunderten«. Dann kommt<br />

das Aus. Am 26. August 1944 erhält Hoffmann und Campe die<br />

Schließungsverfügung vom Präsidenten der Reichsschrifttumskammer.<br />

Doch Christensen und Harriet Wegener kämpfen weiter.<br />

Durch hartnäckiges Verhandeln gelingt es ihnen, die Abwicklungsfrist<br />

mehrfach zu verlängern. So retten sie die Räume des Verlages,<br />

Telefone, Schreibmaschinen und das Archiv in den Frieden.<br />

Im September 1943 wird Kurt <strong>Ganske</strong> eingezogen und in der<br />

Prinz-Albrecht-Kaserne in Hannover-Bothfeld kaserniert. Er hatte<br />

gehofft, vom Wehrdienst freigestellt zu werden. Firmeninhaber,<br />

namentlich die von Großbetrieben, gelten normalerweise als<br />

unentbehrlich. Warum sein Antrag auf Freistellung abgelehnt<br />

wird, kann man nur vermuten. Wen sieht der Sachbearbeiter<br />

vor sich? Was weiß er über diesen Antragsteller? Was hat der Sicherheitsdienst<br />

für Informationen über den Cadillac fahrenden<br />

Rittergutsbesitzer gesammelt, der keinen Brief mit »Heil Hitler«<br />

unterschreibt, der, obwohl es streng verboten ist, zur Jagd geht<br />

und auf Sechzehnender schießt, statt auf den Feind? Dem Förster<br />

von Herleshausen kann es nicht entgangen sein. Er ist Ortsgruppenleiter<br />

der NSDAP. Unabkömmlich? Wer unabkömmlich ist,<br />

entscheidet die Partei.<br />

Nun also Soldat, kriegsverwendungsfähig. Kurt <strong>Ganske</strong> rückt<br />

ein, erhält den untersten Dienstrang Grenadier und bekommt<br />

ein Soldbuch, in dem Blutgruppe und Gasmaskengröße eingetragen<br />

sind sowie die Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke, die<br />

für den Dienst am Vaterland unentbehrlich sind: Feldmütze,<br />

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Gamaschen und Filzstiefel, Stahlhelm und Hosenträger. Zweimal<br />

wird der Empfang von einem Stück Kernseife eingetragen. Mit<br />

dem Soldbuch wird ihm auch das evangelische Feldgesangbuch<br />

ausgehändigt, als geistige Nahrung. Es passt in jede Tasche, hat<br />

kaum die Größe einer Zigarettenschachtel, und es enthält wichtige<br />

Informationen über das deutsche Soldatentum (»Die Ehre<br />

des Soldaten liegt im bedingungslosen Einsatz seiner Person für<br />

Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens«) und Gebete<br />

für Führer, Volk und Wehrmacht (»Lass uns ein heldenhaftes<br />

Geschlecht sein und unserer Ahnen würdig werden«). Der Choral<br />

Nummer 62, »Ein Haupt hast du dem Volk gesandt«, ist zu Führers<br />

Geburtstag zu singen.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> wird an der Heimatfront eingesetzt, gräbt in Schutt<br />

und Trümmern nach Bombenopfern und sucht nach Überlebenden.<br />

Hannover wird elfmal bombardiert und, wie alle großen<br />

deutschen Städte, schwer getroffen. Brandbomben entfachen<br />

Feuerstürme und verwandeln die Straßen in eine Flammenhölle,<br />

in der alle Löschversuche scheitern. Am Ende des Krieges sind in<br />

Hannover fünfzig Prozent aller Wohnhäuser zerstört, nur sechs<br />

Prozent haben keine oder nur leichte Bombenschäden. Trotzdem<br />

leben in den Trümmern noch 200 000 Menschen.<br />

Die militärische Laufbahn des Gefreiten Kurt <strong>Ganske</strong> verläuft<br />

unspektakulär. Nach der Beförderung zum Obergefreiten wird der<br />

Sold geringfügig erhöht, zum Unteroffi zier hat er es nie gebracht.<br />

Keine Auszeichnung, keine Verwundung. Er wird ausgerüstet, in<br />

Marsch gesetzt, in Stellung gebracht und ins Feuer geschickt, wie<br />

alle anderen auch – eine von zwei Millionen taktischen Spielfi -<br />

guren in Feldgrau. Er folgt den Befehlen eines Oberleutnants,<br />

der bei heftigem Feuer brüllt: »Auf, auf, ihr Hunde! Oder ich<br />

schieß euch alle über den Haufen!« Er wird von der Reserve ins<br />

Feldheer entsandt, schiebt Wache in Calais, dem Bollwerk weißer<br />

Kreidefelsen – Luftaufklärung in vorderster Linie. Die Aufgabe:<br />

Feindfl ugzeuge zählen und melden.<br />

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Zum Kriegsdienst eingezogen: Kurt <strong>Ganske</strong> (Zweiter von links)<br />

Seit 1942 bauen die Deutschen am Atlantikwall, dem größten<br />

Festungsbau der Geschichte: eine Kette von Betonbunkern, die<br />

am Nordkap in Norwegen beginnt, über Dänemark, die deutsche,<br />

niederländische und belgische Nordseeküste reicht und weiter<br />

zu den Küsten der Normandie und der Bretagne bis hinunter zur<br />

Biskaya – ein gigantisches Vorhaben; mit Unterständen, Bunkersystemen<br />

und großkalibrigen Geschützen, die dreitausend Kilometer<br />

europäisches Festland gegen eine Invasion sichern sollen.<br />

1944 sind schon knapp zehntausend dieser Bunker gebaut. Calais<br />

ist der exponierteste Teil des Atlantikwalls, ausgestattet mit<br />

Marineküstenbatterien, deren Kanonen »Friedrich August« oder<br />

»Großer Kurfürst« heißen und die nun fast täglich von Bombenfl<br />

ugzeugen angegriffen werden. Die Deutschen sollen glauben,<br />

dass die Alliierten hier die Invasion planen. Calais ist die Hölle.<br />

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Die Briefe an seine Frau lesen sich wie letzte Verfügungen.<br />

Sie zeigen die Sorgen des Familienvaters, die Unruhe des Unternehmers,<br />

der informiert sein will, den Ärger, wenn ein Brief<br />

wochenlang unterwegs ist oder verloren geht. Sie enthalten Alltägliches,<br />

Spekulationen über Laufzeiten, die Frage nach Fotos<br />

oder Zigarren. Mancher Brief spricht von Herzklopfen, enthält<br />

sehr persönliche und liebe Worte. Gerda <strong>Ganske</strong> hat alle seine<br />

Briefe gesammelt. Seine Feldpostnummer weiß sie auch heute,<br />

nach fast einem Menschenalter, noch auswendig: F, IV a 36 116 C.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> entkommt dem Inferno von Calais, seine Einheit<br />

wird verlegt. »Wir wollen Gott sehr danken, daß ich doch aus Calais<br />

in letzter Minute herausgeführt worden bin«, schreibt er nach<br />

Hause. »Sehr gern würde ich mit Dir darüber sprechen, damit wir<br />

beide ganz begreifen, für welche glückliche Fügung wir zu danken<br />

haben.« Eine Andeutung der Katastrophe, der er entronnen<br />

ist und über die er kein Wort in Feldpostbriefen verlieren darf,<br />

die von eifrigen Zensoren auf Anzeichen von »Wehrkraftzersetzung«<br />

untersucht werden. »Hoffen wir, daß uns weiter geholfen<br />

wird, es ist von mir ein ernstes Wort, wenn ich sage, daß ich fest<br />

auf Eure guten Gebete für mich vertraue. Könnt ich nur erst wieder<br />

mit Dir ganz ruhig durch den Wald gehen und über den Sinn<br />

unseres Daseins sprechen und die Aufgaben bereden, die wir uns<br />

vornehmen wollen.«<br />

Er wird verladen, transportiert, stationiert und wieder verlegt.<br />

Er marschiert durch das Reich, nächtigt in verlausten Quartieren<br />

oder unter freiem Himmel, schreibt Briefe zwischen den Einsätzen.<br />

Mal drängen sich die Worte auf engstem Raum karierter Zettel,<br />

die er aus einem Oktavheft gerissen haben mag, mal fl iegen<br />

die Buchstaben fl ach und schnell über ein Blatt Papier, manchmal<br />

ist die Schrift raumgreifend, temperamentvoll wie mit dem<br />

Zimmermannsbleistift geschrieben.<br />

Bei einem der Märsche gewinnt er einen jungen Kameraden<br />

zum Freund: Helmut Klötzke. Kein Draufgänger und kein<br />

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Feldpostbrief von Kurt <strong>Ganske</strong> an Gerda <strong>Ganske</strong><br />

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Kommisskopp, sondern eher ein pfi ffi ger Schreibstubenhengst.<br />

Er sitzt auf der Pritsche eines Transporters, als er den Grenadier<br />

mit schwerem Gepäck durch den Schlamm stapfen sieht. »Was<br />

rennst du durch den Matsch, Kamerad? Willst du nicht mitfahren?«<br />

Er reicht ihm die Hand. Kurt <strong>Ganske</strong> greift zu und ist fortan<br />

der Schützling des gutmütigen Nichtrauchers Klötzke, der ihm<br />

seine Zigarettenration schenkt und »mein alter Vater« zu ihm<br />

sagt. Die beiden werden unzertrennlich. Klötzke hat immer die<br />

kleinen Dinge, die man braucht: Schnürsenkel, Seife; er ist ein<br />

fi ndiger Kopf, einer, der weiß, wie man ein Kaninchen fängt und<br />

im Kochgeschirr zubereitet; einer, der aus groben Scheiten Holzschuhe<br />

schnitzen kann für Kinder. Michael <strong>Ganske</strong> bekommt ein<br />

Paar geschenkt.<br />

Hohenhaus liegt in tiefem Frieden. Bevor er eingezogen wurde,<br />

hat Kurt <strong>Ganske</strong> das Gut an den Bauern verpachtet, der schon<br />

beim Baron Schutzbar Pächter war. »Du musst für meine Familie<br />

sorgen, wenn ich weg bin oder mir was passiert.« Ein Händedruck,<br />

ein Versprechen unter Männern. Aber was ist ein Versprechen<br />

wert, wenn man für ein Pfund Butter fünfhundert Mark kriegen<br />

kann? Der Landwirt nutzt den strategischen Vorteil des Reichsnährstandes.<br />

An der Heimatfront wird kassiert. »Meine Mutter<br />

hatte eine Stinkwut auf ihn«, erzählt Gerda <strong>Ganske</strong>. »Sie gab ihm<br />

ihren Bueno-Pelzmantel, einen Breitschwanz, für eine Speckseite,<br />

Würste, Dosen, zwei Koffer voller Lebensmittel. Am Sonntag gingen<br />

wir im Lodenmantel zur Kirche. Und die Frau des Pächters<br />

saß da ganz stolz im neuen Pelz.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> ist 589 Tage Soldat. Als Bombengeschädigter<br />

erhält er mehrfach Sonderurlaub, insgesamt 98 Tage in drei<br />

Kriegsjahren, meist wegen »Totalschaden C« in einer seiner Filialen,<br />

aber auch zum Arbeitseinsatz. In den letzten Kriegsmonaten<br />

wird er an die Ostfront verlegt. Die Russen stehen in der<br />

Slowakei. Die Rote Armee siegt auf breiter Front. Bei Brünn wird<br />

der Infanterist in eine Panzerschlacht geschickt. Der Befehl lautet,<br />

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zwischen den Panzern im Sturmlauf gegen den Feind vorzugehen.<br />

Er hat seinen Kindern nicht viel von dieser Schlacht erzählt, die<br />

er unverletzt überlebt. Aber er wird noch lange von Albträumen<br />

heimgesucht, schreckt nachts aus dem Schlaf, das »Hurrah« der<br />

russischen Soldaten im Ohr.<br />

Die Wehrmacht ist auf dem Rückzug, die Rote Armee nicht<br />

aufzuhalten. Kurt <strong>Ganske</strong> wird, zu seiner Überraschung, in die<br />

Heimat zurückbeordert. Eingefädelt hatte das Gerda. Seit die<br />

Luftwaffe in Hohenhaus eine Versorgungseinheit für Bombenopfer<br />

stationiert hat, sind Soldaten in ihrem Haus einquartiert. So<br />

erfährt sie, dass für einen Lazarettzug ein zuverlässiger Fahrer<br />

gesucht wird. Die Lastwagen stehen unter den Linden vor dem<br />

Haus in Bereitschaft, voll beladen mit Hilfsgütern. Nach jedem<br />

Großangriff auf die Städte rücken sie aus. Gerda <strong>Ganske</strong> nutzt die<br />

Verbindungen zur Einheit vor der Tür. »Wir erfuhren dadurch<br />

immer sofort, wo wieder eine Stadt getroffen war, oft war ja eine<br />

Filiale vom Lesezirkel Daheim betroffen. Dann schickte ich an K.G.<br />

ein Telegramm an seine Feldpostnummer: Bombenschaden C in<br />

Magdeburg. Er bekam dann drei Tage Urlaub, seine Dinge zu<br />

regeln.«<br />

Am 24. März 1945 ist der Krieg jedoch in einer Phase, in der<br />

die Meldung eines Bombenschadens nicht mehr ausreicht, um<br />

einen Frontsoldaten auf Heimaturlaub zu schicken. Seit dem Produktionsverbot<br />

für Zeitschriften 1944 liefert der Lesezirkel ohnehin<br />

keine Mappen mehr aus. Aber eine Versetzung? Sie kenne<br />

einen sehr guten Fahrer, sagt sie dem Kommandeur des Hilfszuges:<br />

ihren Mann. Die junge Mutter rührt offenbar das Herz des<br />

Offi ziers. In einem Schnellbrief bittet Oberstleutnant Henkel, die<br />

Inmarschsetzung des »O’Gren. <strong>Ganske</strong>« befehlen zu wollen, der<br />

laut beigefügter, vom Oberkommando des Heeres beglaubigter<br />

Versetzungsverfügung »zur weiteren Durchführung der Hilfsmaßnahmen<br />

des deutschen Volkes durch die Großraumhilfszüge der<br />

Außenstelle« besonders dringend benötigt werde. Das Papier zeigt<br />

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Wirkung. Das letzte im Dritten Reich ausgestellte Dokument, das<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> bei sich trägt, ist ein Sonderausweis, gültig nur für<br />

Dienstreisen, der ihn berechtigt, zu seiner neuen Dienststelle zu<br />

reisen. Er bekommt Brot und Marschverpfl egung für zwei Tage.<br />

Er kommt nicht weit. Russische Soldaten nehmen ihn fest. Er<br />

ist nun Kriegsgefangener, rumpelt auf der Pritsche eines Lastwagens<br />

zusammengepfercht mit anderen Kameraden einer ungewissen<br />

Zukunft entgegen. Die Kolonne hält, ein Posten ist abgelenkt<br />

– eine Chance. Er springt von der Ladefl äche, rennt davon und<br />

versteckt sich in einem Wald. Er wartet die Nacht ab und marschiert<br />

nach Westen. Am Tag versteckt er sich. Die Straßen sind<br />

voller Flüchtlingstrecks, dazwischen Soldaten, Truppentransporte,<br />

Verwundetentransporte. Sie werden von Tieffl iegern angegriffen;<br />

Feldwege geben keine Deckung, Partisanen machen Jagd auf<br />

Deutsche, Deutsche machen Jagd auf Partisanen und auf Deserteure.<br />

Deserteure werden erschossen, von der SS oder von Hitlerjungen.<br />

Wer die weiße Fahne zeigt, wird erschossen, Bürgermeister,<br />

die ihre Stadt kampfl os übergeben wollen, werden erschossen<br />

oder aufgehängt. Bonzen gehen stiften. All das geschieht um ihn<br />

her, in den Dörfern, in den Städten. Er wandert im Schutze der<br />

Dunkelheit, ein Feldkompass hilft ihm bei der Orientierung.<br />

Er weiß nicht, dass der Marschbefehl in seinem Schuh längst<br />

wertlos ist. Die Hilfszüge im fernen Hohenhaus sind samt Oberstleutnant<br />

Henkel abgezogen. Die Amerikaner waren schon bis an<br />

die Werra vorgerückt. Kurt <strong>Ganske</strong> ahnt nichts davon. Er gewöhnt<br />

sich an die Nachtmärsche, schläft am Tage, erschöpft und tief.<br />

Nördlich von Regensburg schwimmt er über den eiskalten Regen.<br />

Irgendwo im Bayerischen Wald nimmt ihn eine Bauernfamilie<br />

auf. Die Leute sind rührend um ihn bemüht, lassen ihn eine Woche<br />

lang bei sich wohnen. Sie schenken ihm ein weißes Hemd,<br />

Jacke und Hose, ein paar Schuhe und wünschen ihm Glück auf<br />

seinem Weg. Er geht nun auch tagsüber, fühlt sich sicher in der<br />

Zivilkleidung und achtet peinlich auf ihren gepfl egten Zustand.<br />

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Aus dem Soldbuch des Grenadiers Kurt <strong>Ganske</strong>:<br />

Sonderurlaub wegen Bombenschaden<br />

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Das Hemd wäscht er im Bach, die Schuhe reinigt und putzt er mit<br />

Moos, bis sie glänzen. Nichts darf an einen Flüchtling erinnern,<br />

er will aussehen wie jemand, der eben nur ein paar Straßen weiter<br />

geht, und nicht wie einer, der aus der Hölle kommt und schon<br />

viele hundert Kilometer wandert. Und so erreicht Kurt <strong>Ganske</strong><br />

Hohenhaus. Dort hat sich einiges verändert.<br />

Gerda <strong>Ganske</strong> hatte dem Amerikaner selbst die Tür geöffnet.<br />

Vor ihr stand ein Vier-Sterne-General, neben ihm als Übersetzer<br />

ein deutscher Arzt mit amerikanischem Stahlhelm. Der General<br />

kam gleich zur Sache: »Wissen Sie, warum wir hier sind?« Sie<br />

ahnte es. Der Mann wollte ihr Haus. »Wir brauchen ein Headquarter«,<br />

sagte der General. »Aber keine Sorge, wir helfen Ihnen.<br />

Mein Bataillon steht Ihnen zur Verfügung, Sie werden keine Arbeit<br />

haben.« »Es dauerte einen Nachmittag«, erinnert sich Gerda<br />

<strong>Ganske</strong>, »sie haben unser halbes Haus leer geräumt. Im Krieg<br />

macht man so einiges durch. Das konnte mich nicht erschüttern.<br />

Wir behielten ja die andere Hälfte des Hauses für uns. Mittendrin<br />

hing eine Leine mit dem Schild ›Off limits‹. Die Amerikaner haben<br />

es immer respektiert.«<br />

Das Gutshaus wird mit fünfzig Eisenbetten möbliert und<br />

zum Hauptquartier von George S. Patton, dem General, der<br />

zu den schillerndsten Figuren unter den Haudegen des Zweiten<br />

Weltkriegs gehört. Geboren 1885 im kalifornischen San<br />

Gabriel, schafft er es bei den Olympischen Spielen 1912 in<br />

Stockholm auf den fünften Platz im modernen Fünfkampf. Er<br />

trägt gern großkalibrige Pistolen mit Griffen aus Elfenbein und<br />

erschießt als junger Offi zier bei einem Einsatz an der mexikanischen<br />

Grenze nach Wildwest-Manier den Chef der Leibgarde<br />

des Aufständischen Pancho Villa, »General« Julio Cardenas,<br />

mit seinem Colt. Im Ersten Weltkrieg kämpft er unter General<br />

Pershing und bildet die ersten fünfhundert amerikanischen<br />

Panzerfahrer aus. Im Zweiten Weltkrieg wird der resolute Panzergeneral,<br />

dessen schnelle Verbände den Widerstand der Deut-<br />

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General<br />

George S. Patton<br />

schen niederwalzen, zur Legende. In den USA wird er als Kriegsheld<br />

verehrt. Hollywood wird sein Leben, mit George C. Scott in<br />

der Hauptrolle ideal besetzt, verfi lmen. »Führe mich, folge mir,<br />

oder geh mir aus dem Weg«, ist seine Devise. Markige Sprüche<br />

begleiten seinen Weg. »Kann sein, dass Gott unseren Feinden<br />

gnädig ist. Ich bin es nicht.« Er lässt aber auch, was im Generalstab<br />

Irritationen auslöst, Sympathie für den Gegner erkennen.<br />

Die Waffen-SS nennt er »eine verdammt gut aussehende Bande<br />

von sehr disziplinierten Hurensöhnen«.<br />

In Hohenhaus bleibt er keine drei Wochen. Ungeduldig wartet<br />

er auf den Befehl zum Vormarsch. Am 1. April überqueren die<br />

ersten Einheiten die Werra. Pattons Panzer rollen auf der Reichsstraße<br />

Kassel–Eisenach ostwärts. Dwight D. Eisenhower, Oberbe-<br />

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fehlshaber der amerikanischen Streitkräfte, trifft in Thüringen<br />

ein, besichtigt im Kalibergwerk von Merkers in der Rhön von den<br />

Nazis eingelagerte Kunstschätze und Goldvorräte sowie das befreite<br />

Außenlager Ohrdruf des Konzentrationslagers Buchenwald.<br />

Am 12. April besetzt die US-Armee Erfurt und Weimar. Patton<br />

bezieht ein neues Hauptquartier, die Villa des gefl ohenen thüringischen<br />

Gauleiters in Weimar. Am 15. April inspiziert er das<br />

befreite Konzentrationslager Buchenwald. Der Anblick der gequälten<br />

und fast verhungerten Insassen geht ihm so nahe, dass er<br />

der Militärpolizei befi ehlt, die Bürger von Weimar einzusammeln<br />

und durch das Lager zu führen.<br />

Patton bleibt in Deutschland. Auch nach der Kapitulation ist<br />

für ihn der Krieg noch nicht zu Ende. Als er im September 1945<br />

die NSDAP als »ganz normale Partei« bezeichnet und sich öffentlich<br />

dafür einsetzt, gemeinsam mit den Deutschen gegen die<br />

Sowjet-Armee zu kämpfen, entzieht ihm Dwight D. Eisenhower,<br />

inzwischen Präsident der Vereinigten Staaten, das Kommando<br />

über die dritte US-Armee. Patton bleibt als Kommandeur der<br />

15. Armee im besetzten Deutschland. Im Winter 1946 wird er bei<br />

einem Autounfall schwer verletzt. Er stirbt am 21. Dezember in<br />

Heidelberg. In Luxemburg, wo er als Befreier verehrt wird, fi ndet<br />

er seine letzte Ruhe.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> ist auf seinem langen Heimweg vom Bayerischen<br />

Wald durch die Oberpfalz gewandert, hat das Fichtelgebirge, den<br />

Frankenwald und den Thüringer Wald durchquert. Als er Hohenhaus<br />

erreicht, verbirgt er sich hinter Bäumen und Büschen. Eine<br />

Schiffsglocke ist zu hören, für die amerikanischen Soldaten das<br />

Signal zum Essenfassen an der Gulaschkanone. Er schleicht sich<br />

durch die Büsche und sieht sich plötzlich der Frau seines Fahrers<br />

gegenüber. Ein großer Schreck auf beiden Seiten. »Kein Wort!<br />

Sonst erschieße ich Sie!«, droht der Heimkehrer. Kurt <strong>Ganske</strong> ist<br />

immer noch im Krieg. Er hat einen Revolver, und er ist in Panik.<br />

Frau Kienöl ist nämlich alles andere als verschwiegen. »Was soll<br />

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ich denn nun tun?«, fragt sie. »Machen Sie erst mal Bratkartoffeln,<br />

und holen Sie mir eine Flasche Rotwein. Ich bin im Gewächshaus.«<br />

Frau Kienöl geht zu Gerda <strong>Ganske</strong>, schließt die Tür hinter sich,<br />

macht ein feierliches Gesicht und sagt: »Ihr Mann ist da!« Sie<br />

warten, bis es Nacht ist und die Kinder schlafen. Dann schleusen<br />

sie ihn im Dunkeln in die zivile Hälfte des amerikanischen<br />

Hauptquartiers. Gerda <strong>Ganske</strong> versteckt ihren Mann in ihrem<br />

Zimmer. Am nächsten Tag sieht er, verborgen hinter einer Gardine,<br />

die Kinder im Garten spielen. Nach ein paar Tagen kommt<br />

das Geheimnis ans Licht. Anna <strong>Ganske</strong> bemerkt den erhöhten<br />

Verbrauch an Lebensmitteln, blickt ihre Schwiegertochter an und<br />

sagt ihr auf den Kopf zu: »Kurt ist da!«<br />

Ein befreundeter Tierarzt wird in diplomatischer Mission<br />

vorgeschickt. Er hat einen guten Kontakt zum amerikanischen<br />

Kommandeur. Was wäre, fragt er den Offi zier, wenn der Besitzer<br />

von Hohenhaus eine Tages zurückkäme? Er müsse sofort gemeldet<br />

und zum Hauptquartier nach Hersfeld überführt werden,<br />

antwortet der Amerikaner, damit seine Papiere dort untersucht<br />

werden könnten. So geschieht es. Nach zwei Tagen meldet der<br />

Tierarzt das Eintreffen Kurt <strong>Ganske</strong>s. Sofort fährt ein amerikanisches<br />

Kommando vor. Kurt <strong>Ganske</strong> steigt in den Wagen, sitzt in<br />

der Mitte zwischen zwei Bewachern. Der Wagen fährt davon. Für<br />

Gerda <strong>Ganske</strong> ein schrecklicher Moment. »Für mich brach eine<br />

Welt zusammen. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Doch nach<br />

zwei Stunden ging zu meiner Freude die Tür auf, und K.G. war<br />

wieder da.« Seine Papiere sind geprüft, die Leibesvisitation ergab<br />

keine SS-Tätowierungen unter den Armen. Der Mann ist sauber.<br />

Für Kurt <strong>Ganske</strong> ist der Krieg zu Ende.<br />

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»Merian«, Heft 1 vom 1. Juli 1948<br />

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NEUSTART<br />

Amerikaner in Hohenhaus – Tod eines Kindes – Flüchtlinge<br />

willkommen – Entnazifi zierung – Die erste Lizenz – Daheim<br />

in vier Zonen – Die Währungsreform – Merian – Gründerjahre<br />

in Hannover – Film und Frau – Der Jahreszeiten Verlag<br />

Im Juli 1945 kommt es zum letzten großen Vormarsch der Roten<br />

Armee. Die Amerikaner ziehen sich aus Thüringen zurück, das<br />

nach einer Vereinbarung der Alliierten fortan zur sowjetisch besetzten<br />

Zone gehören soll. Der Rückzug verläuft mit generalstabsmäßiger<br />

Präzision. Zwischen den abrückenden amerikanischen<br />

und den vorrückenden Sowjettruppen ist eine bis zu fünf Kilometer<br />

breite Pufferzone vereinbart. Die Armeen bekommen sich<br />

nicht zu Gesicht. Die Kunstschätze und das Gold aus den Kaligruben<br />

von Merkers haben die Amerikaner schon vorher in Sicherheit<br />

gebracht, außerdem ließen sie ein paar Experten der Zeiss-Werke<br />

und der Universität Jena mitgehen. Direkt bei Hohenhaus verläuft<br />

die Sektorengrenze. Die nahe Wartburg ist nun sehr weit weg, in<br />

einer anderen Welt.<br />

Nachdem Patton Hohenhaus verlassen hatte, übernahm ein<br />

Captain das Kommando. »Da war kein Zug mehr in den Leuten«,<br />

erzählt Gerda <strong>Ganske</strong>. »Ständig hörten wir das Klack-Klack vom<br />

Hufeisen-Werfen. Die waren wie eine Bande. Wir fühlten uns<br />

nicht mehr sicher. Schließlich sind wir mit Sack und Pack umgezogen.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong>s inzwischen schon recht stattliche Kupferstich-Sammlung<br />

von Matthäus Merian wird bei günstigem Wetter<br />

auf Schubkarren ins nahe gelegene Forsthaus am Dorfteich geschafft.<br />

Für Michael <strong>Ganske</strong>, damals ein Junge von sieben, acht Jahren,<br />

war die amerikanische Besatzung nie ein Problem. »Ich habe als<br />

Kind noch die Bombergeschwader erlebt, die über uns hinge-<br />

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fl ogen sind. Nun waren die Amerikaner unsere Nachbarn. Ich<br />

fand das sehr unterhaltsam. Ich war ein Kind, und sie waren selbst<br />

große Kinder. Einmal schenkten sie mir eine Banane. Meine Mutter<br />

staunte. Und ich wusste nicht, was das ist.«<br />

Doch die großen Kinder fürchten sich im dunklen Wald. Die<br />

Amerikaner sind unruhig, fühlen sich in Feindesland, jede Verbrüderung<br />

mit dem besiegten Feind ist ihnen untersagt. Sie haben<br />

Angst vor »Werwölfen«, fanatisierten und bewaffneten Pimpfen<br />

der Hitlerjugend, die sich im Wald versteckt haben könnten.<br />

Die GIs schwärmen aus, suchen nach geheimen Waffenlagern,<br />

lassen sogar den Teich hinter dem Gutshaus ab, weil sie Waffen<br />

darin vermuten. Tausende von Karpfen vergammeln in der Sonne.<br />

Kein Fisch darf von den Deutschen angerührt werden. Es stinkt<br />

zum Himmel.<br />

Der Hochzeitsfi lm von Kurt und Gerda <strong>Ganske</strong> wird als verdächtiges<br />

Propaganda-Material beschlagnahmt und sorgfältig in<br />

kleine Teile zerschnitten. Alle Waffen müssen abgegeben werden.<br />

Die Amerikaner sammeln die Gewehre ein, werfen sie auf<br />

einen Haufen und fahren mit dem Panzer drüber. »Meine Mutter<br />

hat die Jagdwaffen nicht hergeben wollen. Es waren besonders<br />

schöne Gewehre; mein Vater hat sie sich anfertigen lassen.<br />

Er hing vor allem an einer Doppelbüchse mit zwei Kugelläufen<br />

und einem Schrotlauf«, erzählt Thomas <strong>Ganske</strong>. Sie versteckte<br />

das Gewehr hinter einem Schrank. Die Waffe wird nicht gefunden<br />

und wandert später als Familienerbstück durch die Generationen.<br />

Die Baronin Schutzbar hat weniger Glück. Auch sie hat<br />

ein Jagdgewehr versteckt, die Waffe ihres vermissten Sohnes. Das<br />

Gewehr wird entdeckt. Die alte Dame muss in den Turm. Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> bemüht sich um ihre Freilassung. Nach ein paar Tagen<br />

hat er Erfolg.<br />

Im Wald lauern Gefahren. Michael <strong>Ganske</strong> erzählt: »Einmal<br />

nahm mein Vater mich mit in den Wald, bei Vollmond und<br />

Schnee. Plötzlich ruft hinter uns eine Stimme: ›Hände hoch!‹<br />

100<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 100 <strong>01.11.2005</strong> 15:00:56 <strong>Uhr</strong>


Mein Vater packt mich, wir rutschen den Hang runter. Vor uns lagen<br />

abgeerntete Kartoffelfelder, nirgendwo eine Deckung. Mein<br />

Vater schob sich schützend vor mich. Da trat der Förster aus dem<br />

Wald: ›Ach, Sie sind’s, Herr <strong>Ganske</strong>.‹«<br />

Kinderspiele. Richard und Stefan Vogt, die Söhne von Kurt<br />

<strong>Ganske</strong>s Schwester Käthe, machen sich verdächtig, weil sie mit<br />

einem Glasröhrendetektor gespielt haben, was streng verboten<br />

ist – man konnte damit funken. Die Amerikaner nehmen ihnen<br />

das Gerät weg. Aber mit der Zeit schwindet das Misstrauen. Die<br />

Amerikaner entdecken die Freuden der Jagd. Bald hallt der Wald<br />

wider von den Schüssen ihrer Karabiner. »Da fi elen neunundneunzig<br />

Schuss, und es lag nichts«, erzählt Michael <strong>Ganske</strong>. »Sie<br />

hatten kurze Waffen und trafen nicht. Die Sauen hatten das bald<br />

raus und sprangen vor ihren Augen vom Wald in die Felder.«<br />

Sauen sind intelligent und leider auch sehr gefräßig. Besonders<br />

lieben sie gedrillten Mais auf frisch geeggtem Boden. Systematisch<br />

arbeiten sie sich durch die Furchen, legen die Spitze<br />

ihrer Unterlippe in die Spur und fressen im gemütlichen Geradeauslauf<br />

Korn um Korn die eben ausgebrachte Saat ganz ungestört,<br />

denn es gibt keine Jäger, die ihnen gefährlich werden könnten.<br />

Selbst wo ihnen der Mais über den Kopf wächst und hoch in der<br />

Milchreife steht, wissen sie sich zu helfen. »Sie brauchen sich nur<br />

im Maisfeld zu drehen und hinzulegen, dann knickt der Mais um,<br />

und sie sind an den Kolben.«<br />

Auch das Rotwild wird zur Plage, frisst Weizen, Hafer, Erbsen.<br />

Die Landbevölkerung leidet unter den Wildschäden. Endlich<br />

entscheidet die Kommandantur: Richard <strong>Ganske</strong>, der 70-Jährige,<br />

bekommt als erfahrener und allseits geachteter Jäger eine Sondererlaubnis.<br />

Er darf ein Gewehr zur Jagd verwenden, allerdings<br />

ist es ein ziemlich alter Schießprügel ohne Zielfernrohr, ein Gewehr,<br />

das nicht trifft.<br />

Inzwischen ist Hohenhaus ein Sammelbecken für Flüchtlinge<br />

geworden, die vor der Roten Armee aus der sowjetisch besetzten<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 101 <strong>01.11.2005</strong> 15:00:56 <strong>Uhr</strong><br />

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Mareile und Kurt <strong>Ganske</strong><br />

Zone gefl ohen sind. Einer von ihnen, der alte Sacher, erweist sich<br />

als Meister des Waffenbaus. Er gibt dem Jagdgewehr eine neue<br />

Visierung, baut ein Zielfernrohr auf. »Eine Meisterkunst, die nur<br />

ganz wenige beherrschen«, sagt Michael <strong>Ganske</strong>. Von nun an<br />

hat sein Großvater viel zu tun. »Was die Jagd betrifft, war er eine<br />

Autorität«, erzählt Michael <strong>Ganske</strong>. »An ihm mussten alle vorbei,<br />

auch die Amerikaner. Er wies ihnen ihr Revier zu und sagte, was<br />

sie schießen durften. Einmal hatte ein Offi zier einen zu jungen<br />

Bock geschossen und aufgehängt. Da hat mein Großvater ihn laut<br />

getadelt.« Der Offi zier hat dies nie vergessen. Als er Jahre später<br />

102<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 102 <strong>01.11.2005</strong> 15:00:57 <strong>Uhr</strong>


einmal nach Hohenhaus kam, sagte er zu Kurt <strong>Ganske</strong>: »Ihr Vater<br />

hat mich gebrannt.«<br />

Beim Großvater haben die Kinder das Jagen gelernt. »Die Patronen<br />

wurden gezählt, und hinterher mussten wir abrechnen«,<br />

berichtet Michael. »Wenn eine fehlte, war das Gewehr für vier<br />

Wochen weg. Mein Großvater achtete sehr auf jagdlichen Stil. Nie<br />

hätte er ein Stück Wild mit dem Auto geholt, immer mit Pferd<br />

und Wagen. Der letzte Bissen gehörte dazu, ein Bruch – ein Eichen-,<br />

Buchen- oder Fichtenzweig durchs Geäse (zwischen die<br />

Zähne) und auf die Schusswunde gelegt. Dann hielt man beim<br />

Tier eine halbe Stunde Totenwacht.«<br />

Am Ende des Krieges ist Michael sieben Jahre alt. Er wächst in<br />

Hohenhaus auf, eine Kindheit auf dem Lande. »Ich wurde mit<br />

dem Dorf groß. Die Struktur hatte Substanz. Vor jedem Haus gab<br />

es einen Misthaufen. Im Winter traf man sich in den Spinnstuben,<br />

im Sommer gab es die Kirmes. Es gab den Bürgermeister, den<br />

Schmied, den Förster, den Lehrer und den Rohrstock, das waren<br />

Autoritäten. Das Dorf war eine Gemeinschaft. Noch heute duzen<br />

mich alle, wenn ich durch den Ort gehe.«<br />

Die Familie <strong>Ganske</strong> hat sich in der neuen Umgebung eingerichtet.<br />

Es mangelt an vielem. Der kleine Martin macht ihnen<br />

Sorgen. Vor ein paar Tagen spielte er noch munter mit Manfred,<br />

einem kleinen Freund. Der Junge zog das Bein nach. Jetzt erfahren<br />

sie, warum: Kinderlähmung! In Zeiten des Mangels und fehlender<br />

Impfstoffe ist Poliomyelitis eine Krankheit, die sich schnell<br />

ausbreiten kann. Die Eltern sind zunächst erleichtert, dass Martin<br />

keine Symptome zeigt, aber ein paar Tage später klagt er, dass er<br />

nicht mehr stehen könne. Er hat Durchfall und Fieber. Die Eltern<br />

sind in Panik. Kurt <strong>Ganske</strong> fährt zu Ärzten, Apothekern, Bauern<br />

und versucht, irgendwo Penicillin aufzutreiben, aber ohne Erfolg.<br />

Der Kleine fühlt sich elend, möchte für sein Leben gern Schokolade<br />

essen. Der Vater will nach Hannover, er hofft auf seine<br />

guten Verbindungen. Allerdings ist die Fahrt von Herleshausen<br />

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nach Hannover eine Auslandsreise, denn Hannover liegt in der<br />

britischen Zone, und wer die Grenze passieren will, muss gute<br />

Gründe haben und die richtigen Papiere. Ist ein krankes Kind<br />

Grund genug für eine Grenzüberschreitung? Offenbar gelingt<br />

es Kurt <strong>Ganske</strong>, nach Hannover zu fahren und Schokolade aufzutreiben,<br />

aber kein Penicillin. Er kehrt zurück. Der Zustand des<br />

Kindes ist ernst, eine Meningitis ist dazugekommen. Martin ist<br />

nicht zu retten. Er stirbt sechs Tage nach Ausbruch der Krankheit<br />

im Alter von fünf Jahren. Die Epidemie ebbt ab, und Manfred,<br />

der kleine Freund, erholt sich wieder. Martin bleibt der einzige<br />

Todesfall in Hessen. Ein halbes Jahr später wird die Impfung mit<br />

Salk eingeführt.<br />

In Herleshausen haben sich viele Flüchtlinge versammelt. Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> hat Arbeit für sie: Er stellt Bautrupps zusammen und fi ndet<br />

Maurer, die helfen, die zerstörten Filialen wieder aufzubauen –<br />

neunzig Prozent der Filialen des Lesezirkels sind zerstört. »Mein<br />

Vater hat vier Geschäftsführer, die keine Bleibe mehr hatten, mit<br />

ihren Familien bei uns aufgenommen«, erzählt Michael <strong>Ganske</strong>.<br />

»Er hat unter den Flüchtlingen Tischler und Gärtner ausgewählt<br />

und ihnen Arbeit gegeben. Es waren gute Handwerker dabei. Einer<br />

von ihnen, Herr Sacher, hat sogar eine Kaffeemühle selbst<br />

gebaut. Und meine Mutter konnte wunderbar improvisieren, sie<br />

sorgte für alle, hat immer was gezaubert. Wir saßen oft am großen<br />

Tisch. ›Mamutsch, du hast wieder aus Katzendreck Pastete<br />

gemacht‹, war ein gefl ügeltes Wort. Die Katze war meist ein Wildschwein.<br />

Meine Eltern haben fünfundsiebzig Leute aufgenommen.<br />

Alle bekamen ein Stück Gartenland, Ställe, zwei Hühner<br />

und eine Ente. Sie hatten Arbeit, sie brauchten nicht zu betteln.<br />

Hohenhaus war das Zentrum einer Wiederaufbauatmosphäre.«<br />

Dazu gehörten auch der Lärm der Kreissäge und die Lastwagen<br />

mit Baumstämmen aus dem Wald. Sie brachten die nächste Lieferung<br />

für die ewig nach Holz suchenden Papierfabriken.<br />

Im Frühjahr 1946 beginnt der Prozess der »Entnazifi zierung«.<br />

104<br />

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Mareile, Michael und Kurt <strong>Ganske</strong><br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 105 <strong>01.11.2005</strong> 15:00:59 <strong>Uhr</strong>


Die Deutschen müssen einen Fragebogen ausfüllen, Auskunft geben<br />

über ihre Mitwirkung im nationalsozialistischen Machtgefüge.<br />

Der Fragebogen ist ein bürokratisch aufbereitetes Formular, zur<br />

Klärung der individuellen Verstrickung in das verbrecherische<br />

System durchaus geeignet. Kurt <strong>Ganske</strong> schreibt in den Meldebogen<br />

ein sechzehnfaches Nein. Keine Mitgliedschaft in einer<br />

der aufgelisteten Organisationen der NSDAP, keine Ämter, kein<br />

Rang, keine Parteiauszeichnungen, keine Parteiorden, kein Ehrensold<br />

oder sonstige Parteivergünstigungen, keine Unabkömmlichkeitsstellung<br />

im Krieg. In einer Anlage zum Fragebogen zählt<br />

er die Mitgliedschaften in NS-Organisationen auf, denen er sich<br />

als Unternehmer offenbar nicht entziehen konnte. Er gehörte zur<br />

D.A.F., der Deutschen Arbeitsfront, und zur Reichspressekammer,<br />

»zwangsweise korporativ durch den Fachverband der Lesezirkelbesitzer«.<br />

Durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels<br />

war er der Reichsschrifttumskammer angeschlossen, als Gutsbesitzer<br />

gehörte er zum Reichsnährstand. Er war Mitglied der Deutschen<br />

Jägerschaft und der NS-Volkswohlfahrt. Hinter allen Mitgliedschaften<br />

der Vermerk: »Kein Rang, kein Amt«. Die einzige<br />

Mitgliedschaft, zu der er sich ausführlich äußert, ist der Beitritt<br />

zum Luftsportverband »im Zusammenhang mit einem eventuellen<br />

Ankauf eines Flugzeuges für Geschäftszwecke« im Jahre 1932.<br />

Der hessische Minister für politische Befreiung bescheinigt als öffentlicher<br />

Kläger, dass der Kaufmann und Forstwirt Kurt <strong>Ganske</strong><br />

vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus<br />

nicht betroffen und daher entlastet sei.<br />

Inzwischen hat Harriet Wegener in Hamburg mit immer neuen<br />

Eingaben an die Militärregierung um eine Lizenz zum Wiederaufbau<br />

des Verlages gekämpft. Unmittelbar nach der Kapitulation<br />

hatten die Siegermächte in allen Sektoren das Lizenzrecht<br />

eingeführt. Die Presse war keineswegs frei, sondern hatte nach<br />

den Vorgaben der Alliierten klare Aufgaben: Umerziehung und<br />

Entnazifi zierung. Wer eine Zeitschriften- oder Verlagslizenz be-<br />

106<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 106 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:01 <strong>Uhr</strong>


Die Geschäftsführung vom »Lesezirkel Daheim« in der Mars-La-<br />

Tour-Straße in Hannover mit Kurt (zweite Reihe, Zweiter von rechts)<br />

und Richard <strong>Ganske</strong> (erste Reihe, Dritter von rechts) 1936<br />

antragte, musste bei der zuständigen Militärregierung Konzepte<br />

einreichen, präzise Angaben über die politische Vergangenheit<br />

der künftigen Mitarbeiter machen können und sich einer peinlichen<br />

Befragung stellen. Bis zur Gründung der Bundesrepublik<br />

am 23. Mai 1949 durfte keine Zeitschrift ohne Genehmigung<br />

erscheinen. Nach der offi ziellen Entlastung des Verlagsinhabers<br />

bekommt die Hoffmann und Campe Verlag GmbH die begehrte<br />

Lizenz. Sie trägt die Nummer C8.5B. Schon 1946 erscheint bei<br />

Hoffmann und Campe ein Herbstprogramm mit immerhin dreizehn<br />

Titeln, gedruckt auf Papier, für das einige Bäume des Forstes<br />

von Gut Hohenhaus fallen mussten.<br />

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Gerda <strong>Ganske</strong> ist schwanger und bringt am 30. Juni 1947<br />

Thomas zur Welt. Michael, inzwischen acht Jahre alt, geht auf<br />

die Dorfschule – ein Schulraum, zwei Bänke –, und Mareile, das<br />

Mädchen, das Kurt <strong>Ganske</strong> besonders in sein Herz geschlossen<br />

hat, ist fünf Jahre alt. Der Vater hat viele Pläne und ist ständig<br />

unterwegs. Inzwischen besitzt er eine Interzonen-Reisegenehmigung,<br />

viersprachig ausgestellt von der Alliierten Kontrollbehörde<br />

Berlin, die es ihm erlaubt, die Grenzen aller vier Besatzungszonen<br />

zu passieren.<br />

Der Lesezirkel Daheim kommt wieder auf Touren. Weil es nicht<br />

genügend Zeitschriften gibt, gehen Büchermappen an die Kunden.<br />

Auch in dieser Zeit existentieller Not und täglicher Entbehrungen,<br />

selbst im Hungerwinter, in Trümmern, zugigen<br />

Behelfsunterkünften und Nissenhütten gab es das Bedürfnis zu<br />

lesen. Was die Firmengründer dieser Zeit vor Augen hatten, erforderte<br />

Phantasie und Improvisationstalent, vor allem aber einen<br />

Grundvorrat an Zuversicht und Stehvermögen, der heute kaum<br />

mehr vorstellbar ist. Es fehlt an Material und an geeigneten Räumen.<br />

Es gibt keine Öfen, kein Brennholz und keine Kohle, keine<br />

Tische und keine Schreibmaschinen, keinen Klebstoff, keine<br />

Bindfäden. Vor allem gibt es kein Papier. Papier ist ein gesuchter<br />

Rohstoff in den Tagen des Wiederaufbaus. Es wurde praktisch für<br />

alles verwandt: zum Feuermachen, zum Einwickeln, zum Abdichten<br />

von Ritzen und Fenstern. Neues, unbedrucktes Papier frisch von<br />

der Rolle ist Mangelware. Verleger und Chefredakteure belagern<br />

die Papierfabriken und fahren schließlich selbst in die Wälder,<br />

um irgendwie Holz zu beschaffen. Natürlich haben Verleger, die<br />

einen Wald besitzen, in diesen Tagen einen unbestreitbaren Wettbewerbsvorteil.<br />

Und an Optimismus fehlt es Kurt <strong>Ganske</strong> nicht.<br />

1947 sieht er in Mitteldeutschland gute Chancen für einen Neustart.<br />

Er gründet Filialen in Berlin, Leipzig, Chemnitz und Dresden,<br />

in Görlitz, Magdeburg und Zwickau. In Süddeutschland<br />

kommt Regensburg hinzu.<br />

108<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong><br />

um 19<strong>40</strong><br />

1948 ist ein Jahr des Neuanfangs und der großen Hoffnungen,<br />

aber auch ein Jahr dramatischer Spannungen. Im Juni wird<br />

im Zuge der Währungsreform in den alliierten Besatzungszonen<br />

Deutschlands und in den Westsektoren Berlins die D-Mark eingeführt.<br />

Daraufhin sperren sowjetische Truppen in der Nacht zum<br />

24. Juni alle Zufahrtswege nach West-Berlin. Die Blockade der<br />

Stadt soll die Westmächte zwingen, auf die geplante Gründung<br />

eines deutschen Weststaates zu verzichten. Doch die Alliierten<br />

lassen sich nicht beeindrucken, sondern versorgen die eingeschlossene<br />

Stadt über eine Luftbrücke. Mit annähernd 280 000<br />

Flügen bringen ihre »Rosinenbomber« rund 2,3 Millionen Tonnen<br />

lebenswichtiger Güter nach Berlin. Verantwortlich für diese<br />

aufwendigste Hilfsaktion in der Geschichte der Menschheit ist der<br />

Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone Lucius D.<br />

Clay. Die Blockade scheitert und wird im Mai 1949 aufgehoben.<br />

Es bleibt die Teilung Deutschlands und Berlins, der Osten schottet<br />

sich ab. Die Konturen der künftigen Bundesrepublik zeichnen<br />

sich ab. Im August treffen sich die Väter des Grundgesetzes auf<br />

der Insel Herrenchiemsee, um die Grundzüge einer Verfassung<br />

zu beraten. In Paris verabschiedet die Vollversammlung der Vereinten<br />

Nationen die Erklärung der Menschenrechte, in Palästina<br />

wird der Staat Israel gegründet.<br />

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Das Klima des Neuanfangs erfasst die Literatur. Die neuartigen<br />

Taschenbücher machen Lesen erschwinglich. Manche Neuerscheinung<br />

des Jahres 1948 wird zum Klassiker: Hans Falladas<br />

»Jeder stirbt für sich allein« oder Norman Mailers »Die Nackten<br />

und die Toten«. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno publizieren<br />

ihre »Dialektik der Aufklärung«. Im Kino entführt der<br />

Heimatfi lm das Publikum in eine idyllische, unzerstörte Welt.<br />

Der Wildbach rauscht, grün ist die Heide, und Gert Fröbe steht<br />

als Otto Normalverbraucher in schlabberigen Klamotten ausgemergelt,<br />

aber pfi ffi g seinen Mann. 1948 kommen auch de Sicas<br />

»Fahrraddiebe« und der klassische Western »Red River« mit John<br />

Wayne und Montgomery Clift ins Kino. Charmant: Christian Dior<br />

erfi ndet den »New Look« mit zeitgemäßer Wespentaille und<br />

schwingenden Säumen. Die Fesseln sind frei, aber noch ist es<br />

kein Höhenfl ug.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> entscheidet sich für Expansion und gründet für<br />

seinen Lesezirkel Filialen in Hamburg, München und Würzburg.<br />

Vergeblich versucht er das zarte Pfl änzchen seiner ostdeutschen<br />

Unternehmungen zu retten. Immerhin haben in der sowjetisch<br />

besetzten Zone schon über dreißigtausend Leser die Mappen<br />

abonniert. Die Umwandlung der ostdeutschen Filialen in eine<br />

selbständige Kommanditgesellschaft rettet sie nicht. Das Unternehmen<br />

wird Volkseigentum und unter die Verwaltung der Post<br />

gestellt.<br />

Mehr Glück hat er mit der Währungsreform. Vor allem aber<br />

kennt er als Kaufmann den Wert des Kleingeldes, er hat gewissermaßen<br />

ein absolutes Gehör für klingende Münze. Für viele<br />

ist die Währungsreform ein Schock. Der Schwarzmarkt bricht<br />

zusammen. Jede ersparte Reichsmark wird von einem zum anderen<br />

Tag abgewertet. Kapitalvermögen schnurren zusammen, aber<br />

Schulden auch. Für beide gilt der Kurs zehn zu eins, Löhne und<br />

Mieten werden eins zu eins berechnet. Wer aber Reichsmark in<br />

bar umtauschen will, bekommt für 100 RM nur 6,50 DM. Jeder<br />

110<br />

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Bürger bekommt in zwei Schritten erst <strong>40</strong> und dann noch einmal<br />

20 Deutsche Mark in bar ausbezahlt. Und weil Ludwig Erhard,<br />

Direktor der Bizonen-Verwaltung und Konstrukteur des Reformwerks,<br />

auch das Ende der Bewirtschaftung (Rationierung) fast<br />

aller Güter verfügt, liegt plötzlich in den Schaufenstern die Ware,<br />

die man bis dahin nur mit einigem Geschick und großem Spürsinn<br />

auf dem Schwarzmarkt fi nden konnte. Jetzt gibt es auch den<br />

VW-Käfer. Er kostet 4500 Mark, auf dem Schwarzmarkt waren dafür<br />

drei Paar Nylons zu haben. Die Kaufl eute hatten in Erwartung<br />

des Tages X ihre Ware zurückgehalten.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> behält einen kühlen Kopf. Überzeugt, dass die<br />

alten Münzen nach dem Stichtag noch eine Zeit lang gültig bleiben<br />

werden, weist er seine Mitarbeiter an, in den Wochen vor der<br />

Währungsreform beim Barinkasso nur Münzen zu akzeptieren.<br />

Barinkasso ist Tradition in seinem Gewerbe. Die Zulieferer des<br />

Lesezirkels pfl egen zu ihren Kunden einen fast familiären Kontakt.<br />

Michael <strong>Ganske</strong>, der als junger Mann in den fünfziger Jahren<br />

wie sein Vater im Außendienst hilft, erzählt: »Viele von uns hatten<br />

ein Schlüsselbund und Zugang zu den Wohnungen ihrer Kunden,<br />

weil viele von ihnen tagsüber zur Arbeit gingen. Sie wechselten<br />

die Mappen ihrer Kunden aus, nahmen das Trinkgeld vom Teller.<br />

Wenn zu viel Geld auf dem Teller lag, nahmen sie ihren Teil und<br />

gaben den Rest heraus. Es war eine Vertrauensstellung. Die guten<br />

Touren gingen in die Arbeiterviertel, auch wegen des Trinkgelds.<br />

Die Reichen gaben am wenigsten.« Kurt <strong>Ganske</strong>s Strategie geht<br />

auf. Das Kleingeld geht nicht verloren, im Gegenteil. Der unansehnliche<br />

graue Reichspfennig bekommt nach der Währungsreform<br />

eine komfortable Gnadenfrist und wird schließlich mit dem<br />

neuen Pfennig eins zu eins getauscht.<br />

Das Kleingeld fl ießt, der Lesezirkel läuft, der Verlag ist auf<br />

einem guten Weg, aber Kurt <strong>Ganske</strong> ist von kreativer Unruhe<br />

erfasst und sucht neue Herausforderungen. Er beschließt, eine<br />

Zeitschrift zu gründen, Merian, eine monothematische Monats-<br />

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zeitschrift, die sich mit jeder Ausgabe einer anderen Stadt oder<br />

Kulturlandschaft widmet, als Inventur der vom Krieg versehrten<br />

europäischen Städte und Landschaften in Text und Bild. Das<br />

Projekt und sein Name erinnern bewusst an die »Topographien«<br />

des Matthäus Merian (1593–1650). Mitten im Dreißigjährigen<br />

Krieg, in einer Zeit verheerender Verwüstung, ist das Lebenswerk<br />

des Kupferstechers und Verlegers entstanden. Geboren in Basel<br />

(damals noch eine deutsche Stadt), lässt er sich als junger Mann<br />

in Frankfurt nieder. Mehrfach bannt er das Bild der Stadt detailgenau<br />

und mit fi ligranem Stich auf Platten. Die bahnbrechende<br />

Sehweise der Renaissance bekommt bei ihm eine neue Dimension,<br />

den Blick von oben: Seine »Vogelschaubilder«, imaginierte<br />

Luftbilder aus Vogelperspektive, sind das Resultat präziser Beobachtungen<br />

vor Ort und seines souveränen Umgangs mit der<br />

Perspektive.<br />

Der Kupferstecher heiratet die Tochter des Frankfurter Verlegers<br />

Theodor de Bry und übernimmt nach dessen Tod den Verlag.<br />

In seinem »Theatrum Europaeum« dokumentiert er den Dreißigjährigen<br />

Krieg, auch den Einzug Gustav Adolfs in Frankfurt. Sein<br />

Hauptwerk aber sind die Topographien, wirklichkeitsgetreue<br />

Wiedergaben deutscher und europäischer Städte und Landschaften,<br />

eine Darstellung der bekannten Welt in nie dagewesener<br />

Detailtreue und Vielfalt. Nach dem Tod seiner Frau heiratet der<br />

Vater von acht Kindern zum zweiten Mal. Am 2. April 1647 wird<br />

seine Tochter Maria Sibylla geboren, die später als Insektenforscherin<br />

in Nürnberg, Amsterdam und Surinam eine faszinierende<br />

Welt erschließt und als Künstlerin, die ihre Beobachtungen<br />

minutiös aufzeichnet, berühmt werden wird. Sie ist drei Jahre<br />

alt, als ihr Vater stirbt. Seine Söhne Matthäus (1621–1687) und<br />

Caspar (1627–1686) werden erfolgreiche Künstler. Matthäus der<br />

Jüngere, Maler und Radierer, als junger Mann auch Gehilfe bei<br />

Anthonis van Dyck, übernimmt das Erbe und setzt das »Theatrum<br />

Europaeum« fort.<br />

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Dreihundert Jahre nach dem Westfälischen Frieden liegt die<br />

Welt wieder in Trümmern. »K.G. war ständig auf der Suche nach alten<br />

Fotos«, erinnerte sich Jochen Karsten, der in seiner annähernd<br />

fünfzigjährigen Laufbahn im Verlag auch als Redakteur bei Merian<br />

arbeitete. »Er wollte den Leuten zeigen, was alles kaputtgegangen<br />

war, legte Bilder vom heilen und zerstörten Königsberg nebeneinander.<br />

Besonders schlimm hatte es Würzburg getroffen. Die<br />

Stadt war total zerbombt. Aber das Haus Zum Storchen war schon<br />

wieder neu erbaut. Das alles wollte er dokumentieren.«<br />

Würzburg wird das Thema des ersten Merian, der von nun<br />

an im Hoffmann und Campe Verlag in Hamburg erscheint. Es<br />

folgen Titel über Lübeck, Köln und Augsburg, dann Mannheim<br />

und Stuttgart. (Heute sind die schmalen Hefte, die damals nur in<br />

kleiner Aufl age erschienen, gesuchte Antiquitäten.) Die Chefredaktion<br />

übernimmt Dr. Heinrich Leippe. Als monothematische<br />

Kultur- und Reisezeitschrift erscheint Merian allein auf weiter Flur,<br />

was dem Blatt über Jahrzehnte ein gediegenes Wachstum sichert.<br />

Mag sein, dass die Pläne Kurt <strong>Ganske</strong>s und ihre zügige Realisierung<br />

den Generationswechsel an der Spitze des Hauses Hoffmann<br />

und Campe befördert haben. Teilhaber Martinus Christensen<br />

steigt aus. Der alte Herr hat eine unruhige Zeit hinter sich. Er<br />

hat sie mit Bravour überstanden. Zeitschriftenverleger möchte er<br />

nicht mehr werden. Kurt <strong>Ganske</strong> kauft Christensen weitere vierzig<br />

Prozent seiner Anteile ab; 1950 erwirbt er die letzten zehn Prozent<br />

und ist Alleininhaber des Hoffmann und Campe Verlages.<br />

Er gibt dem Haus eine Führungsstruktur, die sich bis heute bewährt<br />

hat: Es wird von zwei Verlagsleitern geführt, von denen der<br />

eine für das Programm und der andere fürs Geschäft zuständig<br />

ist. Das erste Team, Johannes Rohrsen und Rudolf Soelter, setzt<br />

den Schwerpunkt auf übersetzte Belletristik – aus dem Englischen,<br />

dem Französischen und dem Finnischen. Harriet Wegener, die<br />

den Verlag sicher um alle Klippen gesteuert hat, bleibt dem Haus<br />

und der Familie noch viele Jahre verbunden.<br />

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»Ich habe sie geliebt«, gesteht Thomas <strong>Ganske</strong>, der sich an die<br />

gemeinsamen Weihnachtsfeiern mit ihr erinnert, die zuletzt im<br />

Altersheim stattfanden. Immer gab es Toast und Gänseleber. »Sie<br />

hatte am 8. November Geburtstag, aber ich weiß nicht, in welchem<br />

Jahr: Für mich war sie immer fünfundsiebzig.« Eins fi el ihm<br />

schon als Kind auf: »Sie paffte eine Zigarette nach der anderen<br />

und hatte immer Asche auf der Brust.« Sie trug gern kleine Hüte,<br />

einen Silberring um den Arm und ein Seidentuch um den Hals.<br />

Und sie war stets gepudert, »eine perfekte Dame bis zuletzt und<br />

vollkommen emanzipiert«.<br />

Merkwürdigerweise ist die Kinderstube dreier großer Hamburger<br />

Zeitschriften Hannover, die total zerbombte Stadt, die Trümmerwüste,<br />

aus der standhaft und unwirklich wie ein Zeigefi nger<br />

Fritz Högers Anzeiger-Hochhaus emporragt, der Stahlbeton-Skelettbau<br />

im dunklen Maßanzug doppelt gebrannter Ziegel mit der<br />

kupfernen Kuppel des Planetariums auf dem Dach. Immer noch<br />

ein Griff nach den Sternen. Am 1. August 1948 erscheint die in<br />

diesem Haus produzierte erste Ausgabe einer Wochenzeitschrift<br />

mit dem Titel Stern und dem Foto einer blonden 21-jährigen,<br />

sinnlich wirkenden Frau, die mit geschlossenen Augen im Stroh<br />

liegt und den Kuss ihres Liebhabers zu erwarten scheint: Hildegard<br />

Knef. Das Blättchen erschien bei der Hannoverschen Verlagsgesellschaft,<br />

die nach acht Wochen Konkurs anmeldete. Der<br />

Journalist Henri Nannen (1913–1996), der als Gründer der Zeitschrift<br />

fünfzig Prozent Anteile besaß, fand neue Mitgesellschafter:<br />

einen Elektrogroßhändler in Duisburg und die Essener Nationalbank,<br />

weshalb der Stern vorübergehend in Duisburg erschien, bevor<br />

Nannen 1949 mit dem Hamburger Zeit-Verlag einen neuen<br />

Partner fand.<br />

Auch Der Spiegel startet in Hannover – als Erfi ndung dreier unternehmungslustiger<br />

britischer Offi ziere, die für die Pressekontrolle<br />

zuständig sind. Sie gründen ein deutschsprachiges News<br />

Magazine nach britischem Vorbild und gewinnen den 22-jähri-<br />

1<strong>14</strong><br />

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gen, eben aus dem Krieg zurückgekehrten Journalisten Rudolf<br />

Augstein als Mitarbeiter. Am 16. November 1946 erscheint die<br />

erste Ausgabe unter dem Titel Diese Woche mit einer Startaufl age<br />

von 15 000 Exemplaren. Das Blatt verärgert schnell sämtliche vier<br />

Besatzungsmächte, die Offi ziere gehen in De ckung und ziehen<br />

sich aus der presserechtlichen Verantwortung zurück. Augstein<br />

darf das Projekt fortsetzen, aber nur unter einer Bedingung: »Ein<br />

neuer Titel bis morgen früh!«, berichtet er später. »Mir fi el nichts<br />

ein. Ich fragte meinen Vater, was besser klinge, ›Der Spiegel‹ oder<br />

›Das Echo‹. – Er sagte ›Der Spiegel‹.« Damit war es entschieden.<br />

Der erste Spiegel erscheint am 4. Januar 1947 in Hannover; erst<br />

1952 werden Redaktion und Verlagssitz nach Hamburg verlegt.<br />

Dort ist auch der Heinrich Bauer Verlag zu Hause, ein 1875<br />

gegründetes Familienunternehmen, das mit der Funk-Wacht eine<br />

Programmzeitschrift für die Abende am Volksempfänger herausgab<br />

und auch in den ersten Kriegsjahren noch ganz gut zurechtkam,<br />

bis das Druck- und Verlagshaus von Bomben schwer getroffen<br />

wurde. 1946 startet der Verlag mit fünfzehn Mitarbeitern<br />

und dem aus Schlesien stammenden Bilanzbuchhalter Siegfried<br />

Moenig als Geschäftsführer. Der Mann wird noch von sich reden<br />

machen. Vorerst publiziert Bauer Bestseller wie Lohnsteuertabellen<br />

oder das Steuer- und Zollblatt. Der Riese schläft noch.<br />

Anders der Hamburger Verleger Hinrich Springer. Er hat schon<br />

1928 seinen damals 16-jährigen Sohn Axel ins Geschäft geholt.<br />

Nun gehen Vater und Sohn gleich mit zwei Zeitschriftentiteln<br />

an den Start: der Programmzeitschrift Hörzu und den Norddeutschen<br />

Heften, zunächst herausgegeben von Axel Eggebrecht und<br />

Peter von Zahn im Auftrag des Nordwestdeutschen Rundfunks.<br />

Ab Januar 1948 laufen die Hefte bei Springer unter dem Namen<br />

Kristall. Beide Gründungen sind vom Start weg erfolgreich.<br />

Jetzt oder nie! Kurt <strong>Ganske</strong> betritt Neuland. Er übernimmt<br />

den 1948 in Hannover gegründeten Zeitschriften-Verlag Stimme<br />

der Frau, der 1949 nach Hamburg übersiedelt und von nun an<br />

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Jahreszeiten Verlag heißt. Hier erscheint eine neue Zeitschrift, von<br />

der er sich viel verspricht: Film und Frau. Aus heutiger Perspektive<br />

ein kühner Schritt. Die Titelseite ziert ab 1950 ein Wappen aus<br />

Gold, das an das Etikett von Dom Perignon erinnert; nur handelt<br />

es sich nicht um Champagner, sondern um das Logo der Grande<br />

Dame unter den Frauenzeitschriften: Film und Frau ist eine Diva,<br />

elegant und kühl, schwarz-weiß im kontrastreichen Kupfertiefdruck<br />

erst bei Broschek in der Hamburger Innenstadt, später bei<br />

Richard Gruner in Itzehoe. Es lässt sich nur erahnen, mit welchen<br />

Finessen die Techniker in Itzehoe das Gold der Titelseite<br />

zum Glänzen bringen. Die Leimschicht unter dem Glanz ist ein<br />

Thema, das der Drucker Richard Gruner und Kurt <strong>Ganske</strong> wie<br />

Connaisseure der schwarzen Kunst diskutieren.<br />

Film und Frau wird das einzige Magazin der Nachkriegszeit, das<br />

puren Glamour ausstrahlt. »Wir zeigen den Frauen, wie Nachthemden<br />

aussehen, die sie sich noch nicht leisten können«, sagt<br />

Chefredakteur Curt Waldenburger, genannt Thomas, der gemeinsam<br />

mit seiner Frau Helga, genannt Puttchen, das Blatt als<br />

Traumwelt inszeniert. Curt Waldenburger ist nicht nur ein Poet,<br />

sondern auch Schöngeist und Kunstsammler mit einer Vorliebe<br />

für Heckel, Hofer und Nolde. Immer wieder schmuggelt er ein<br />

besonders schönes Gemälde in den Hintergrund der Modefotos.<br />

Puttchen taucht zunächst als Helga Pankoke im Impressum auf.<br />

Sie ist zuständig für die Mode, das Layout, entscheidet über das<br />

Erscheinungsbild der Zeitschrift. Den Titel der Erstausgabe ziert<br />

Ufa-Star Irene von Meyendorff. Das Heft kostet 60 Pfennig und<br />

ist 24 Seiten dick. Es erscheint alle vierzehn Tage.<br />

Thomas und Puttchen residieren an der Warburgstraße Nummer<br />

22 in Hamburg-Rotherbaum. Wer zu ihnen will, muss im<br />

Flur über die wartenden Patienten einer Kassenarztpraxis steigen.<br />

Eine Treppe mit Plüschgeländer führt hinauf in den ersten<br />

Stock, wo hinter den Räumen eines halbstaatlichen Jagdverbandes<br />

eine unscheinbare Tür ins Allerheiligste führt. Neben der<br />

116<br />

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Neubeginn im Chaos: das zerbombte Hannover<br />

Tür ist ein roh gezimmerter Briefkasten befestigt, an dem ein<br />

Zettel hängt: »Film und Frau, Sprechzeiten für die Redaktion nur<br />

dienstags und freitags 13 bis 15 <strong>Uhr</strong>.« Niemand richtet sich danach.<br />

Fotografen und Vertreter der Bildagenturen, Schnürsenkelverkäufer,<br />

Eierhändler, Messerschleifer und Autoren fi nden<br />

Einlass. Ein qualmender Kanonenofen, daneben einige Klafter<br />

Holz, zwei Schreibtische und eine große Glastür zum Bal -<br />

kon – das ist die Redaktion von Film und Frau. Das Fotoatelier<br />

soll etwas größer gewesen sein. Aber Glamour ist keine Frage von<br />

Quadratmetern. Das Blatt geht auf Distanz zu anderen Frauen-<br />

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zeitschriften, zur realen Welt der Ruinen und Trümmerfrauen.<br />

Es zeigt Damen von Welt im Ausfallschritt, die junge Dame wird<br />

noch von der Mutter und nach der Mutter eingekleidet; noch<br />

sind die Teenager nicht an der Macht. Filmstars posieren als Fotomodelle,<br />

in Szene gesetzt als begehrenswerte Skulpturen in teuren<br />

Pelzen und Kleidern, die eher die elegante Linie als weibliche<br />

Formen betonen. Die Stars kommen gern zum Fototermin – und<br />

gehen mit dem Film-und-Frau-Modellkleid als Honorar.<br />

Ein Zeitzeuge erzählt – Franz Christian Gundlach, bekannter<br />

als F. C. Gundlach, Jahrgang 1926, ist Sammler, Stifter, Professor<br />

an der Hochschule der Künste in Berlin und Gründungsdirektor<br />

einer 2003 geschaffenen Hamburger Institution: Er leitet das<br />

»Internationale Haus der Photographie« in den Deichtorhallen.<br />

Vorsichtig blättert er in den gediegenen Sammelbänden von Film<br />

und Frau, die er in seinem Archiv in der Parkallee in Hamburg<br />

Rotherbaum verwahrt, Inkunabeln der Zeitschriftengeschichte<br />

von Format (Groß-Quart 26,4 ✕ 36,3 Zentimeter!). Was als Massenware<br />

aus der Traumfabrik für 60 Pfennig zu haben war, ist zum<br />

Wertgegenstand geworden, Alltagskultur in Sepiaton und unverwüstlichem<br />

Goldglanz für Schatzsucher. Das Film-und-Frau-Prinzip<br />

ist denkbar einfach: Die Titelseite ist immer für eine schöne Frau<br />

reserviert, der Rücktitel immer für einen schönen Mann. Fotos<br />

der Filmgesellschaften kosten nichts. Der Etat für ein ganzes<br />

Heft belief sich auf 5000 Mark, es wurde also mit sehr sparsamen<br />

Mitteln gearbeitet. »Das setzte enorme Kreativität frei. In der Beschränkung<br />

kann sich Qualität entfalten«, weiß F. C. Gundlach<br />

aus Erfahrung.<br />

Aus Krieg und französischer Gefangenschaft stolpert er 1947 in<br />

seinen Beruf, wird Fotograf und dann Modefotograf und prägt<br />

wie kein anderer die frühen Jahre von Film und Frau. Er ist oft<br />

in Paris, bringt die begehrten Homestorys mit, fotografi ert Jean<br />

Marais, Jean Cocteau und Max Ophüls, Simone Signoret und Yves<br />

Montand. Der Reporter arbeitet sich in neues Terrain vor: Mode-<br />

118<br />

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fotografi e. Ruth Leuwerik (»Ein Herz spielt falsch«) steht drei<br />

Tage für Modeaufnahmen zur Verfügung. »Sie hatte keine<br />

Ahnung von Modeaufnahmen, ich auch nicht. Ich wusste nicht,<br />

welches Licht sie brauchte. Erst haben wir im Treppenhaus improvisiert,<br />

dann schritt sie im Ozelot durch den verschneiten Hirschpark<br />

in Blankenese.« Und Curt Waldenburger schreibt dazu:<br />

Mit müder Abschiedsgeste legte der<br />

letzte Schnee Dämmerung über Himmel<br />

und Park. Das Lied der Amsel,<br />

am Morgen schon wach, verstummte wieder.<br />

Nie im Jahr ist es so still;<br />

man hört seinen eigenen Hauch.<br />

Ach, auch der Winter war schön,<br />

denkt das Mädchen – ferne Feste verhallen,<br />

Abende am Kamin, die Oper, eine Schlittenpartie …<br />

Doch die Allee entlang weht schon<br />

ein Duft von Frühling und Wünschen und Weite …<br />

Posen und Poesie für 60 Pfennig. Sprachgewandt tänzelt Waldenburger<br />

ins Ungefähre: Heft 4 im fünften Jahrgang zeigt als Titelmädchen<br />

eine 18-jährige Pariserin. »Wer das Mädchen auf dem Titel<br />

ist? Wir wissen es nicht, doch kommen Sie nach Paris, vielleicht<br />

schauen Sie sich nach ihr um?« Vielleicht weiß er es nicht besser,<br />

kann in der Eile der Produktion den Namen nicht recherchieren.<br />

Das Mädchen lächelt süß, der Name tut nichts zur Sache. Wer<br />

kennt 1953 Brigitte Bardot?<br />

Das Blatt macht Aufl age. Zweimal im Jahr kommt ein Mode-Sonderheft<br />

heraus. »Da hatte ich manchmal vierzig Seiten als Strecke«,<br />

berichtet Gundlach. Er fotografi erte nachts in Schaufenstern, in<br />

Theatern, auf Kreuzfahrtschiffen, die kurz anlegten, und vor allem<br />

in Berlin. »Bis die Mauer kam, war es die Stadt der Mode und<br />

des Films. Immer suchte ich Hintergründe. Auf der Avus oder im<br />

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Flughafen, Trümmer waren verboten. Meine Ateliers waren das<br />

Schiller-Theater, leere Bühnen, Foyers. Ich fotografi erte die Nächte<br />

durch, denn tagsüber kam ich nicht an die Klamotten. Eine<br />

einzige Lampe macht die Modulation.« An Mannequins fehlt es<br />

nie, manchmal sind es auch Vorkriegsmodelle. Ufa-Stars posieren<br />

neben Hollywood-Schönheiten: Henny Porten und Barbara Rütting,<br />

Johanna von Koczian und Marianne Koch, Horst Buchholz<br />

und Romy Schneider – das Traumpaar aus Helmut Käutners Film<br />

»Monpti« – oder Marion Michael – »Liane – das Mädchen aus dem<br />

Urwald«. Kaum ein Gesicht, das Gundlach nicht im Sucher hatte.<br />

1952 erscheint die erste Nackte: Hedy Lamarr im Swimming-Pool.<br />

Böse Briefe im folgenden Heft.<br />

Das Blatt setzt neue Trends, Couture kommt auf, Modeschöpfer<br />

wie Heinz Oestergaard bestimmen die Linie, die ersten Models<br />

fl iegen ein. Gundlach ist glücklich. »Models sind einfach besser.<br />

Schauspielerinnen spielen immer eine Rolle. Romy Schneider war<br />

am extremsten oder Caterina Valente, die Tänzerin. Sie war ständig<br />

in Bewegung, und ich musste sie immer nur bremsen. Eine<br />

Ausnahme war Lil Dagover, eine Grande Dame, ihre Posen waren<br />

perfekt. Models spielen nicht, die Pose ist ihre eigene Körpersprache.<br />

Sie spüren: Entscheidend ist das Still.«<br />

Models kommen nicht mit der S-Bahn, sie fl iegen ein wie das<br />

schottische Fotomodell Fiona Campbell-Walter, eine vollkommene<br />

Schönheit. »Ich fotografi erte sie in einem traumhaften Pelz<br />

von Berger. Sie gestand mir, dass sie zu einem kleinen Abendessen<br />

eingeladen sei und nichts anzuziehen habe. Ich ließ sie etwas<br />

Passendes aussuchen, den Pelz durfte sie auch – leihweise natürlich<br />

– mitnehmen. Später erfuhr ich dann, dass das Abendessen<br />

bei den Bismarcks stattgefunden hat. Dort hat sie auch ihren späteren<br />

Mann kennen gelernt, Heinrich Baron von Thyssen-Bornemisza<br />

Kaszon.«<br />

Film und Frau wird die Instanz für Luxus, Eleganz und Wohnkultur<br />

in einer Zeit, die davon nur träumen kann. Und diese<br />

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Unbekannte Schöne: Brigitte Bardot, 1953<br />

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Träume sind es, die ihren Erfolg erklären. Film und Frau macht<br />

Aufl age, wird für Kurt <strong>Ganske</strong> zum Laufsteg ins Wirtschaftswunder.<br />

Einen ersten Coup hatte er seinerzeit bei einem Abendessen<br />

gelandet. Das Treffen auf dem Rittergut Polle an der Weser hatte<br />

fast familiären Charakter. Man tafelte bei der verschwägerten<br />

Familie Haselhorst, eingeladen hatte Gerda <strong>Ganske</strong>s Schwester.<br />

Hinrich Wilhelm Kopf war gekommen, der sozialdemokratische<br />

Ministerpräsident von Niedersachsen, ein populärer Landesvater<br />

der Nachkriegsjahre, wegen seiner guten Beziehungen zum Adel<br />

auch »der rote Welfe« genannt. Er hatte seine Staatssekretärin<br />

Theanolte Bähnisch mitgebracht, eine ebenso engagierte wie intelligente<br />

Politikerin, der (zeitweise) Niedersachsens Polizei unterstellt<br />

war. Das hinderte sie aber nicht, mit einigen engagierten<br />

Mitstreiterinnen unter kläglichen Bedingungen in einer Baracke<br />

eine emanzipatorische Zeitschrift herauszubringen: Die Stimme<br />

der Frau. Das engagierte, schmale Monatsblatt kann durchaus als<br />

Urmutter oder zumindest Ahnfrau von Emma gelten, wuchs der<br />

Staatssekretärin aber über den Kopf. Sie klagte Kurt <strong>Ganske</strong> ihr<br />

Leid, und der half ihr gern aus der Patsche: »Warum wollen Sie<br />

sich noch länger damit herumärgern? Geben Sie das Blatt doch<br />

an einen richtigen Verlag. Ich nehme es gern.« Zum Dessert war<br />

der Deal perfekt.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> hatte Die Stimme der Frau gekauft und war nun also<br />

Besitzer von zwei Frauenzeitschriften, die ab 1949 gemeinsam im<br />

Hamburger Jahreszeiten Verlag erscheinen. »Der Name ›Jahreszeiten‹<br />

war eine Idee von Annchen«, erzählt Thomas <strong>Ganske</strong>. Seine<br />

Großmutter fand, das passe doch ganz gut. So kam der Verlag zu<br />

seinem Namen, der später haus- und branchenintern das Kürzel<br />

»Jalag« erhielt. Aus Hoffmann und Campe wurde »HoCa«, beides<br />

Telexabkürzungen, die sich eingebürgert haben.<br />

Namen bleiben, Namen schwinden, Namen verwandeln sich<br />

mit der Zeit, durch Schönheitsoperationen, Konzeptänderungen,<br />

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Launen des Marktes. Kurt <strong>Ganske</strong>s Frauenzeitschriften gehen mit<br />

der Zeit. Aus Film und Frau wird 1966 die Moderne Frau, nun mit<br />

farbigen Titelblättern. Das goldene Wappen verschwindet. Später<br />

wird daraus Petra. Aus Die Stimme der Frau wird ziemlich bald<br />

Für Sie.<br />

Das Rennen beginnt, die Weichen für den Wettbewerb sind<br />

gestellt, die Lizenzen erteilt. Von Kriegsende bis September 1949<br />

wurden in Deutschland zwanzig Frauenzeitschriften genehmigt.<br />

Die meisten von ihnen erscheinen nur alle vierzehn Tage – nicht<br />

aus verlegerischer Strategie, sondern aus Papierknappheit. Es war<br />

einfach nicht genug da, um wöchentlich zu drucken. 1950 sind<br />

es bereits achtunddreißig Titel, die um weibliche Leser buhlen.<br />

Marktführerin unter den vierzehntäglichen Frauenzeitschriften<br />

wird bis weit in die sechziger Jahre hinein Constanze, die ebenfalls<br />

1948 an den Start geht. Sie erscheint im Hamburger Constanze<br />

Verlag. Lizenzträger: Axel Springer, der sich mit dem Hamburger<br />

Verleger John Jahr die Geschäftsführung teilt. Beide sind zu fünfzig<br />

Prozent am Constanze Verlag beteiligt. Das Geschäft läuft hervorragend.<br />

Die Druckaufl agen im April 1950: Constanze 416 947,<br />

Film und Frau 157 620, Die Stimme der Frau 100 3<strong>54</strong> Exemplare.<br />

»Sozialpolitische Themen kamen nicht an«, bekennt Hans<br />

Huffzky, der damalige Chefredakteur der Constanze, 1969 rückblickend<br />

in einem Interview für die Zeitschrift Konkret: »Das heißt:<br />

Nach 1948 war die Möglichkeit noch da, die unterbelichtete Spezies<br />

Frau aus ihrer Isolierung und narzisstischen Begrenztheit<br />

herauszuholen. Aber die wurde dann gleich wieder zugeschüttet<br />

mit Lidschatten und dänischen Gänsen.«<br />

»Alle vor 1948 gegründeten Frauenzeitschriften in Deutschland<br />

begannen mit einem hohen moralischen und politischen<br />

Anspruch«, schreibt die Kommunikationswissenschaftlerin Sylvia<br />

Lott-Almstadt in ihrer Untersuchung »Brigitte 1886–1986 – Die<br />

ersten hundert Jahre«. »Die ersten Frauenblätter nach dem Krieg<br />

bezeichneten die Gleichberechtigung und vor allem die Mitverant-<br />

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wortung der Frauen am politischen Geschehen als ihr wichtigstes<br />

Ziel. Kern vieler Beiträge war die vereinfachte Erkenntnis: Seht,<br />

was dabei herauskommt, wenn Männer allein Politik machen.«<br />

Die emanzipatorischen Tendenzen legen sich schnell, den kritischen<br />

Tönen fehlt die Resonanz. Die Stimme der Frau äußert sich<br />

zu Fragen der Kindererziehung und der Gesundheitspfl ege. Die<br />

Zeit ist reif für Schnittmuster, Strickanleitungen und Kochrezepte.<br />

Es geht aufwärts. Nun kann es kommen, das Wirtschaftswunder.<br />

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DIE FÜNFZIGER JAHRE<br />

Hamburg Harvestehude – Siegfried Lenz – Schöne<br />

Aussicht – Kindheitserinnerungen – Halte Schritt –<br />

Der Rheinische Merkur – Johann Joseph von Görres –<br />

Eine Reise nach Spanien – Marx und der Heilige Geist<br />

Die Alster ist ein schmales Flüsschen von bescheidener Länge,<br />

doch unmittelbar vor der Hamburger Innenstadt staut sie sich<br />

zu einem See, der mit Wiesen und Parks am Rande zu einer Erholungslandschaft<br />

ausufert, deren verschwenderisch ausschwingende<br />

Grünfl ächen in teurer Großstadtlage zu den elegantesten<br />

Auswüchsen hanseatischer Spendierlaune zählen. Die Alster teilt<br />

die Stadt in zwei Hälften, wobei die bessere Hälfte im Westen, die<br />

weniger reputierliche im Osten zu fi nden ist. Wer dort wohnt,<br />

lebt aus westlicher Sicht in »Übersee«, was die Bewohner des<br />

Stadtteils Uhlenhorst als ungerecht empfi nden, denn sie haben<br />

ebenso wie der Herrschaften am Westufer sehr schöne Villen mit<br />

Seeblick.<br />

Vor dem Ersten Weltkrieg wohnte jeder zweite der über siebenhundert<br />

Hamburger Millionäre in den Stadtteilen Harvestehude<br />

und Rotherbaum, also von der Quelle aus gesehen rechts der<br />

Alster. Am Harvestehuder Weg, der unter alten Bäumen am Alsterufer<br />

entlangführt, reihen sich herrliche Gründerzeitvillen in<br />

gebührender Distanz zur Straße. Mit dem sicheren Gespür für<br />

Eroberungen in repräsentativer Lage setzten sich die Nationalsozialisten<br />

in dem noblen Viertel fest. Merkwürdigerweise blieb das<br />

Revier auch in den schrecklichsten Bombennächten weitgehend<br />

verschont. Nach der Kapitulation nahmen Engländer von den<br />

Villen Besitz. Zum Ende der Besatzungszeit wurden sie geräumt;<br />

einige wurden an ihre ehemaligen Besitzer oder deren Erben zurückgegeben,<br />

andere verkauft.<br />

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Harvestehuder Weg 41<br />

Weil das Verlagsgebäude an der Alster ausgebombt war, wurde<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> von der Stadt eine Villa zugewiesen. Sie liegt auf<br />

einem Parkgelände am Harvestehuder Weg, und er hätte auf der<br />

Suche nach einem geeigneten Sitz für seinen Verlag kaum ein<br />

schöneres Grundstück fi nden können. Die Villa am Harvestehuder<br />

Weg trägt die Nummer 41; nach und nach kauft er die Villen<br />

mit den Nummern <strong>40</strong>, 43 und 45 sowie ein Haus im hinteren<br />

Teil des Geländes, das an den Alsterkamp stößt. Das weiße Haus<br />

Nr. <strong>40</strong> nennt er wegen der venezianisch anmutenden Spielart der<br />

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Harvestehuder Weg 43<br />

Architektur »meinen Dogenpalast«. Ein nobler Arbeitsplatz für<br />

die Redaktion von Film und Frau, die bis dahin in der Warburgstraße<br />

ansässig war; später zieht die Merian-Redaktion dort ein.<br />

Das Haus Nummer 41, vorübergehend Sitz des Reichs- und Propagandaamtes,<br />

wird Verlagshaus und Privatwohnsitz zugleich –<br />

ein Schmuckstück hanseatischer Villenarchitektur, entworfen<br />

von Martin Haller, dem wohl bedeutendsten Privatarchitekten<br />

des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Hamburg. Haus Nummer<br />

43 gibt sich dagegen geradezu dezent, Klassizismus in Weiß;<br />

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Nummer 45 ist ein Rotklinkerbau mit klaren Linien, lupenreines<br />

Bauhaus, erbaut von dem Industrie-Architekten Emil Fahrenkamp<br />

(1885–1966), lange Jahre Sitz des Hoffmann und Campe<br />

Verlages.<br />

In Haus Nr. 41 richtet sich der Verleger das Balkonzimmer im<br />

ersten Stock als Arbeitsplatz ein. Vor dem Haus schimmert bald<br />

in würdiger Patina die einzige authentische Hamburger Erinnerung<br />

an Heinrich Heine, die das Wüten des Dritten Reiches<br />

überdauert hat: eine Plakette mit dem Kopf des Dichters – eine<br />

Rückkehr. Das von Caesar Heinemann geschaffene Profi l des<br />

Dichters wurde 1898 am damaligen Verlagshaus Hoffmann und<br />

Campe enthüllt. 1939 war das Denkmal abmontiert und versteckt<br />

worden. Nach dem Krieg erhielt es vorübergehend Asyl im Eingang<br />

des Embden’schen Hauses an der Esplanade, einst Wohnsitz<br />

von Heines Schwester. Jetzt sorgt Kurt <strong>Ganske</strong> dafür, dass die<br />

Medaille einen Ehrenplatz am Sitz des Verlages bekommt, in<br />

dem nun wieder die Bücher Heinrich Heines erscheinen dürfen.<br />

Rudolf Soelter, erster Verlagsleiter fürs Programm, gewinnt<br />

einen Autor, dessen Anregungen und Empfehlungen zur Schwangerschaftsgymnastik<br />

bald hunderttausende von Müttern befolgen:<br />

Grantly Dick-Read mit seinem Buch »Mutterwerden ohne<br />

Schmerz«. Dinah Nelken schreibt »Ich an Dich« und Percy Ernst<br />

Schramm »Hamburg, Deutschland und die Welt«. Paul Herrmann<br />

veröffentlicht eins der ersten erfolgreichen Sachbücher<br />

nach dem Krieg: »Sieben vorbei und acht verweht. Das Abenteuer<br />

der frühen Entdeckungen«.<br />

Im Frühjahr 1951 erscheint bei Hoffmann und Campe der<br />

Roman eines jungen Autors, der später in der Frankfurter Allgemeinen<br />

Zeitung von seinen ersten Schritten erzählt: »Wie ich begann«,<br />

nennt Siegfried Lenz seine leicht ironisch getönte Refl exion. »Mit<br />

dreiundzwanzig hielt ich es für nötig, mein erstes Buch zu beginnen,<br />

und zwar im Vertrauen darauf, daß die Erfahrungen, die<br />

ich im Krieg und Nachkrieg gemacht hatte, exemplarisch und<br />

128<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 128 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:15 <strong>Uhr</strong>


deshalb mitteilenswert waren.« Er gewährt einen vorsichtigen<br />

Blick ins Künstlerdasein 1949: »Meine Frau und ich arbeiten im<br />

Feuilleton einer englischen Besatzungszeitung; wir hatten ein<br />

warmes Zimmer mit Kochgelegenheit; wir besaßen aus dem Nachlaß<br />

der Kriegsmarine eine Schreibmaschine, die alle tippenden<br />

Stabsobergefreiten erduldet hatte und somit dem härtesten Anschlag<br />

gewachsen war.« Die Arbeit in der Redak tion beginnt am<br />

Nachmittag, also ist der Vormittag frei.<br />

Das Buch, das er schreibt, heißt »Es waren Habichte in der<br />

Luft«. Die Figur Stenkas, des Volksschullehrers auf der Flucht vor<br />

seinen Verfolgern, muss Kurt <strong>Ganske</strong> berührt haben, denn dieses<br />

Erstlingswerk eines jungen Kriegsteilnehmers erzählt eine Geschichte,<br />

die seine eigene hätte sein können. »Sosehr der Fliehende<br />

auch danach verlangte«, schreibt Siegfried Lenz rückblickend,<br />

»die Welt bot weder Schutz noch Verstecke. Alles, was die Erfahrung<br />

der Flucht lehrt und hervorruft: Angst, List, Tarnung und<br />

durch Not geschärfte Instinkte, das Deuten der Zeichen ebenso<br />

wie siebenfache Vorsicht – alles, was Flucht mit sich bringt, hatte<br />

ich, mitunter widerwillig, an mir selbst erlebt, und davon wollte<br />

ich erzählen.« Er beschränkt sich nicht darauf, seine Erlebnisse<br />

wiederzugeben. »Ich merkte früh, daß Erfahrungen nicht ausreichen,<br />

wenn sie nicht durch Erfi ndungen beglaubigt werden.« Zu<br />

den Erfi ndungen setzt er, ein erstaunlich frühreifer Komponist,<br />

bedeutungsschwere Signale und düstere Leitmotive. »Bach, See,<br />

Schilf, Kiefernwald: Was der Verfolgte auch streift und passiert,<br />

alles hält ein symbolisches Echo auf seine Angst bereit.« Der Roman<br />

erscheint in Fortsetzungen in der Welt, und das Echo bleibt<br />

nicht aus. »Der einheimische Verlag Hoffmann und Campe meldete<br />

sich zuerst, bot mir einen Vertrag an, den ich sehr schnell<br />

unterschrieb.« Die Startaufl age beträgt dreitausend Exemplare,<br />

der Preis 9,80 Mark. Zum Erscheinen des Buches kommt der Vertriebschef<br />

persönlich in die Künstlerklause. »Natürlich nahm ich<br />

das erste Exemplar stehend in Empfang, mich störten weder das<br />

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miese Papier noch der amateurhafte Schutzumschlag.« Selbstverständlich<br />

störte es ihn, sonst würde er nicht noch nach Jahrzehnten<br />

darüber reden. Interessanter aber ist, was der Schriftsteller,<br />

der das erste Honorar für eine Afrikareise auf einem Bananendampfer<br />

verwendet hatte, über die erste Begegnung mit seinem<br />

Verleger berichtet.<br />

»Nach meiner Rückkehr lud mich mein Verleger, sozusagen<br />

alte Schule, in den Verlag ein, und umständlich, in weit schwingenden<br />

Gesprächskreisen, steuerte er bei dünnem Tee auf das<br />

Geständnis zu, das er direkt nicht zu äußern wagte: Es sei, wenn<br />

man alles bedenke, wenn man vergleiche, auch die Schwierigkeiten<br />

in Betracht ziehe, wenn man das Wagnis nicht zu gering<br />

veranschlage, die Namenlosigkeit berücksichtige, also das Anfängertum,<br />

und wenn man den Buchmarkt, die soziologische<br />

Umschichtung, nicht zu vergessen Gutenberg persönlich, wobei<br />

Hamburg als Stadt des Kaufmanns gewiss eine Rolle spiele, wenn<br />

er also alles unter dem Strich zusammenziehe, dann müsse er<br />

mir gestehen, dass er zufrieden sei. Dreizehnhundert Exemplare<br />

waren verkauft. Vorsichtig legte er einen Umschlag auf den Tisch:<br />

die Kritiken. ›Nur damit Sie erfahren, wie man Sie zur Kenntnis<br />

genommen hat.‹«<br />

Das Verhältnis zwischen Autor und Verleger vertieft sich mit<br />

den Jahren. Doch wie hat Siegfried Lenz seinen Verleger erlebt?<br />

Ein Hausbesuch im Sommersitz Tetenhusen gibt darüber Auskunft.<br />

Ein norddeutsches Abseits, fern aller Ferienbrandung.<br />

Kurvenfahrt durch sommerblasse Felder, leichte Schwingung bewaldeter<br />

Kuppen unter dominierendem Blau, Schäfchenwolken,<br />

vom Seewind getrieben. Ein unscheinbares Haus im Schatten hoher<br />

Bäume. Ein weißer Plastikstuhl, herausgestellt als Signal für<br />

den fremden Gast: Hier ist es. Eine Frau öffnet die Tür, zierlich,<br />

zerbrechlich, der Händedruck damenhaft zart, aber warm. Ein<br />

aufmerksamer, kluger Blick. Sie führt mich zu ihrem Mann.<br />

Seit siebenundfünfzig Jahren sind sie verheiratet – Siegfried<br />

130<br />

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Redakteur und Jungautor:<br />

Siegfried Lenz in<br />

den fünfziger Jahren<br />

Lenz, 79 Jahre alt, der Schriftsteller aus den Masuren, und die<br />

Hamburgerin Lieselotte, genannt Lilo. Sie ist acht Jahre älter,<br />

Jahrgang 1918. Kennen gelernt haben sie sich bei der Welt, der<br />

Tageszeitung, für die beide in frühen Jahren geschrieben haben.<br />

Sie lebten lange auf der dänischen Insel Alsen und bezogen dann<br />

Anfang der sechziger Jahre ein Haus im Hamburger Stadtteil<br />

Othmarschen. Aber hier draußen, in ihrem Refugium in Schleswig-Holstein,<br />

sind sie am liebsten. Ein Garten, ein Wäldchen mit<br />

einem Teich, in dem Spiegelkarpfen leben, die auf ihren Zuruf<br />

kommen, sich füttern und berühren lassen, ein Vertrauensverhältnis.<br />

»Ich bin das älteste Möbelstück im Verlag Hoffmann und<br />

Campe«, sagt der Autor mit einem Lächeln. Über Kurt <strong>Ganske</strong><br />

äußert er sich gern.<br />

»Ich fand ihn großartig. Er hatte eine bedachtsame, tiefe Stimme.<br />

Er strahlte Gelassenheit und Ruhe aus. Ich schätzte seine<br />

Stille, seine Verschwiegenheit, die zögerliche Rede. Er war mir<br />

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gegenüber ganz offen, hat von seinen Plänen erzählt, von seinen<br />

Hoffnungen. Wie er das tat, hat mich sehr berührt. Ich empfand<br />

das Verhältnis als fast väterlich. Welche Motive dahinter standen,<br />

welche erfahrenen Gründe, vermag ich nicht zu sagen. Es war<br />

eine Art von Zuneigung. So habe ich es immer wieder gespürt.<br />

Und dass der alte Herr es sich nicht nehmen ließ, nach Düsseldorf<br />

zu reisen, als ich dort den Kunstpreis von Nordrhein-Westfalen verliehen<br />

bekam, hat mich mehr als gefreut. Er gab mir ein Gefühl<br />

der Zugehörigkeit.«<br />

Der Verleger bleibt, bei aller Sympathie, auf Distanz. »Er las<br />

alle Bücher, da bin ich sicher. Ich erinnere mich, wie der Verlagsleiter<br />

Dr. Stark mich einmal mit den Worten verabschiedete: ›Ich<br />

möchte nicht versäumen, einen schönen Gruß vom ersten Stock<br />

auszurichten‹, und dann einige sehr freundliche Worte K.G.s<br />

über das ›Feuerschiff‹ wiedergab.« »Der erste Stock« war eine der<br />

Umschreibungen für den Verleger. Heute, da der Sohn im selben<br />

Büro regiert, wird von »der Villa« gesprochen.<br />

Offenbar hat die scheue Zurückhaltung des Verlegers den<br />

Autoren nie gestört. Im Gegenteil. »Er drängelte nie. Er hat nie<br />

gefragt, welches Thema ein Buch haben würde. Nie kam diese<br />

Frage: ›Und wann können wir damit rechnen? – Wenn ein Buch<br />

fertig war, sprachen wir darüber. Er hatte Fragen; ob er etwas so<br />

oder so auslegen könne. Ich sagte ihm, das Votum des Schreibers<br />

sei nicht als das letzte Wort anzusehen, sondern das entstünde<br />

immer wieder neu und vielleicht auch anders gewichtet beim<br />

Leser.«<br />

Einmal, in dem 1991 für Merian verfassten Essay »Kabinett der<br />

Konterbande«, beschreibt er einen Verleger als Mann mit »üppigen<br />

Rotsponwangen, fl eischiger Austernnase und legendärem geschäftlichen<br />

Talent. Er hatte einen skeptischen Mund und einen<br />

prallen, schwarzen Anzug, sah sonderbar halslos aus und hatte<br />

schwarze schlaue Augen.« Es war ein Porträt des Verlegers Julius<br />

Campe. Kann es sein, dass darin auch etwas von Kurt <strong>Ganske</strong> mit-<br />

132<br />

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schwingt? Ein klares Nein. »Das habe ich vom Bild abgenommen.«<br />

Es gibt ein, zugegeben, etwas austernnasiges Bild von Heinrich<br />

Heines Verleger, aber eindrucksvoll ist es schon, wie der Schriftsteller<br />

Siegfried Lenz ihm Leben einhaucht.<br />

Und der ewige Streit um Geld, wie Julius Campe und Heinrich<br />

Heine ihn ausfochten, gab es den nie? Ein Blick von ehrlichem<br />

Erstaunen. Dann holt er aus: »Wir sind nie reich gewesen. Ich<br />

denke in Dankbarkeit an ihn. Wie er am Anfang sagte: ›Für den<br />

Fall, dass es mal schwierig werden sollte, ein Wort genügt …‹ Er<br />

hätte geholfen, da bin ich ganz sicher. Nun hat es sich ja gefügt,<br />

dass sich das eine oder andere Buch ganz gut verkauft hat. Wir haben<br />

die Hilfe nie gebraucht.« – Eine Pause, die er nutzt, um sich<br />

mit seiner Pfeife zu beschäftigen. »Ich habe Sparsamkeit nicht<br />

gespürt. Er war von erwiesener und bewiesener Großherzigkeit.<br />

Einmal hat er mir ein Nolde-Bild aus England mitgebracht, das<br />

er ersteigert hatte.<br />

Wir haben zusammen viel Rotwein getrunken. Er hat dafür gesorgt,<br />

dass es immer sehr guter Rotwein war. Er wollte mich zur<br />

Jagd mitnehmen. Ich habe es immer abgelehnt. Auch auf den<br />

Ansitz wollte ich nicht.« Aber damit will er nichts gegen Jäger sagen,<br />

nichts gegen die Jagd. »Wir haben zusammen in Hohenhaus<br />

gefi scht, ich habe einen Karpfen von zehn Pfund gefangen und<br />

einen Hecht.« – »Ein Hechtlein«, korrigiert Lilo.<br />

Fast jeder Angler ist ein Geschichtenerzähler. Unter deutschen<br />

Schriftstellern sind leider nur wenige Angler zu fi nden. Für den<br />

Hoffmann und Campe Verlag ist Siegfried Lenz ein dicker Fisch,<br />

ein Glücksfall. »So zärtlich war Suleyken«, heißt die humorvolle<br />

Sammlung masurischer Geschichten, die er 1955 veröffentlicht,<br />

ein Riesenerfolg und ein Longseller, der später als Taschenbuch<br />

bei Fischer über eine Million Mal verkauft werden wird. »Warum<br />

es so ein Erfolg wurde, ist nie analysiert worden«, sinniert ein alter<br />

Freund des Dichters. »Ich glaube, es lag auch an dem Titel: Die<br />

Käufer haben Suleyken für ein Mädchen gehalten.«<br />

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Ehe Siegfried Lenz zur Lokomotive wird, die den ganzen Verlag<br />

zieht, landet das Haus eine ganze Reihe von Erfolgen. Hatten<br />

die ersten Verlagsleiter vor allem auf Traditionspfl ege und Klassiker-Editionen<br />

gesetzt, beweist Albrecht Bürkle, Programmchef<br />

seit 1955, einen guten Blick für vielversprechende zeitgenössische<br />

Autoren. Er betreut nicht nur Siegfried Lenz, sondern auch den<br />

Maler und gelegentlichen Saxophonspieler Hans Scholz (1911 –<br />

1988) mit seinem Erstlingswerk »Am grünen Strand der Spree«,<br />

einer heiteren Sammlung Berliner Geschichten, die genau den<br />

Ton treffen, der die erschöpften Nachkriegsdeutschen berührt.<br />

Max Tau (1897 –1976), erster Friedenspreisträger des Deutschen<br />

Buchhandels, ruft zur Versöhnung der entzweiten Völker<br />

Europas auf, und Rudolf Hagelstange (1912 – 1984), der schon<br />

im Krieg Sonette schrieb, lässt nun den Prinzen Paris über seine<br />

Begegnungen mit Aphrodite und der schönen Helena plaudern.<br />

Sein »Spielball der Götter« gewinnt 1956 den vom Hoffmann<br />

und Campe Verlag ausgeschriebenen Julius-Campe-Preis, und<br />

der Verlag gewinnt einen Autor und Betreuer für das »Cabinet<br />

der Lyrik«, das viele Jahre den Namen des Hauses mit erlesenen<br />

Publikationen schmücken wird. Eine besondere Stellung nimmt<br />

Alice Ekert-Rotholz (1900 – 1995) ein, die schon in Carl von<br />

Ossietzkys Weltbühne Gedichte schrieb und ihre Leserinnen und<br />

Leser mit »Reis aus Silberschalen« oder »Wo Tränen verboten<br />

sind« an fernöstliche Schauplätze entführt.<br />

Im Hamburger Stadtteil Lemsahl, wo das Alstertal naturbelassen<br />

und von stiller Schönheit ein romantisches Schauspiel inszeniert,<br />

residiert Christa von Hantelmann in einem selbst entworfenen<br />

Haus in bevorzugter Hanglage über einer Gartenlandschaft<br />

von betörender Pracht. Die Grande Dame unter den ehemaligen<br />

Blattmachern des Hauses erzählt von den frühen Jahren.<br />

Zu Kurt <strong>Ganske</strong> hatte sie ein besonderes Verhältnis, denn sie<br />

war die Frau Albrecht Bürkles, der 1947 zu Hoffmann und Campe<br />

kam und – nachdem er die Zeitschrift Merian angeschoben hatte –<br />

134<br />

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Heine-Verleger Julius Campe um 1810<br />

Verlagsleiter bei Hoffmann und Campe wurde. Es gab wohl, außer<br />

Harriet Wegener, niemanden im Verlag, zu dem Kurt <strong>Ganske</strong> ein<br />

so freundschaftliches Vertrauensverhältnis pfl egte. Die Familien<br />

trafen sich privat.<br />

»Damals wohnten die <strong>Ganske</strong>s noch im Haus Harvestehuder<br />

Weg 41, unterm Dach juchhe, und wir lebten mit unseren zwei<br />

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kleinen Kindern nicht weit davon in der Oberstraße«, erinnert<br />

sich Christa von Hantelmann. »Wenn wir mit dem Kinderwagen<br />

spazieren gingen, rief Frau <strong>Ganske</strong> uns vom Balkon zu, wir sollten<br />

doch hereinkommen auf einen Kaffee. Die <strong>Ganske</strong>s schenkten<br />

uns unseren ersten Käfer, ein Cabrio, das sie nicht mehr brauchten.<br />

Wir saßen oft im Gespräch zusammen. Bei den Männern ging<br />

es immer um den Verlag, um Autoren.«<br />

Die Autoren schätzten, mochten, liebten Albrecht Bürkle, den<br />

Schwaben aus Stuttgart, den umfassend gebildeten, promovierten<br />

Philologen, den klugen und begeisterungsfähigen Anwalt<br />

guter Texte. 1916 geboren, war er elf Jahre jünger als der Verleger.<br />

Wegen seiner Sehschwäche war er vom Militärdienst befreit<br />

worden. Die Arbeit bei Merian faszinierte ihn. 1950 heiratete er<br />

die zwölf Jahre jüngere Christa Boese. Sie bekamen zwei Kinder.<br />

Die Mutter, von Haus aus Innenarchitektin, blieb im Beruf, als<br />

Redakteurin der Architekturhefte von Film und Frau. Durch ihren<br />

Mann lernte sie das Handwerk des Layouts. Er nahm sie am<br />

Wochenende mit in die Merian-Redaktion und ging mit ihr die<br />

Seiten durch.<br />

Aber viele Wochenenden waren es nicht. Oft musste sie auf<br />

ihren Mann verzichten, denn Kurt <strong>Ganske</strong> liebte es, sein Führungspersonal<br />

an Wochenenden um sich zu versammeln. Die<br />

Konferenzen dauerten bis in die Nacht hinein und füllten auch<br />

den Sonntag aus. »Mein Mann litt unter seiner Langsamkeit, der<br />

unglaublichen Langsamkeit im Sprechen und auch in den Entscheidungen.«<br />

Sie erinnert sich an viele Gespräche mit Autoren, die Erschütterung<br />

Max Taus, als 1956 der Aufstand in Ungarn niedergeschlagen<br />

wurde, an die Begegnungen mit dem jungen Siegfried Lenz,<br />

mit Rudolf Hagelstange und Alice Ekert-Rotholz in Hamburg<br />

und in Hohenhaus. Den Verleger erlebte sie als ausgesprochen<br />

charmant. »Er hatte oft so ein Zwinkern im Blick und wollte unbedingt<br />

von mir wissen, ob es für eine Frau von Vorteil sei, wenn<br />

136<br />

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Gerhard Nebel und Albrecht Bürkle<br />

sie gut aussehe. Ich versuchte der Antwort auszuweichen, aber<br />

er gab keine Ruhe, fragte so lange, bis ich endlich sagte: Ja, ein<br />

Vorteil sei es schon.«<br />

Sie pfl egten freundschaftlichen Kontakt zu den Autoren. Auch<br />

das Ehepaar Heuß gehörte zu den Freunden. Der erste deutsche<br />

Bundespräsident war ein Liberaler mit einem geistigen Horizont.<br />

»Sie hatten nicht nur als Schwaben eine gemeinsame Heimat.«<br />

Der Dialog zwischen Verleger und Verlagsleiter ist intensiv.<br />

»Mein Vater las die Autoren seines Verlages«, erzählt sein Sohn<br />

Thomas. Trotzdem geht der Verleger auf Distanz zu seinem<br />

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Unternehmen, allerdings nur räumlich; er will dort nicht mehr<br />

wohnen. 1951 zieht er mit seiner Familie nach »Übersee«, auf die<br />

Uhlenhorst, ans linke Alsterufer, Schöne Aussicht Nummer 17.<br />

Der Architekt Gottfried Schramm, Seniorpartner des renommierten<br />

Büros Schramm und Elingius, baut für Kurt <strong>Ganske</strong> ein Privathaus,<br />

das in der Nachbarschaft selbstbewusster Prunkbauten eher<br />

vornehme Zurückhaltung beweist. Meister Schramm zeigt sich in<br />

jeder Bauphase als äußerst genau. »Er hat uns Pünktlichkeit beigebracht«,<br />

erzählt Gerda <strong>Ganske</strong>. »Einmal waren wir um acht <strong>Uhr</strong><br />

zu einer Baubesprechung an der Schönen Aussicht verabredet,<br />

kamen aber zehn Minuten zu spät. Da war er schon weg. Er war im<br />

guten Sinne pingelig und genau. Alles, was er macht, ist durabel,<br />

zeitlos, beständig – wie er selbst.«<br />

Der neue Familiensitz ist auch für Arbeitstreffen geeignet. »Es<br />

war ein Haus, wo er sich verstecken konnte, denn es lag nicht<br />

vorn am Gehweg, sondern zurückgezogen«, erklärt Verlegersohn<br />

Thomas. »Und es war typisch für ihn, dass er zehn Jahre weiter<br />

gedacht hatte: Wie kann ich es dann nutzen? Ein Haus ist ja kein<br />

Anzug, den man enger oder weiter machen kann.«<br />

Es ist eine Spezialität des Hauses (auch in der jüngeren Generation),<br />

dass Arbeitstreffen mit dem Verleger gelegentlich etwas<br />

Ausuferndes haben. Der Literat Gerhard Nebel erinnert sich, wie<br />

er zum ersten Mal mit dem Verlagsleiter Albrecht Bürkle den Verleger<br />

in der Schönen Aussicht besuchte. »Im unteren Trakt trotz<br />

des frühen Morgens mein schönster Burgunder-Rausch, das den<br />

Alltag vergessende Feuer im Verein mit einer samtenen Milde,<br />

das Geschenk einer weltüberlegenen Freiheit, die Entrückung<br />

auf einen Königsthron. Unser Gelage zog sich dann in die obere<br />

Wohnung.«<br />

Die Getränke bringt in der Regel Herr Rothe, der Fahrer, den<br />

Thomas <strong>Ganske</strong> als »knochentrockenen Typ« beschreibt, der<br />

auch keine Miene verzieht, wenn sich ein Gast einmal danebenbenimmt.<br />

Einmal war der Steuerberater Kurt <strong>Ganske</strong>s mit seiner<br />

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Frau zu Gast. Herr Rothe naht diskret und fragt: »Kann ich noch<br />

irgendetwas für Sie tun?« – »Ja! Bringen Sie mir ein Glas Wasser,<br />

eine tote Fliege und einen Zahnstocher«, rief die Frau aufgekratzt.<br />

Herr Rothe geht, ohne eine Miene zu verziehen, hinaus<br />

und kommt nach einer Weile wieder herein, mit einem Glas Wasser,<br />

einer toten Fliege und einem Zahnstocher. »Das war natürlich<br />

eine gerechte Strafe für dieses arrogante Verhalten«, fi ndet Thomas<br />

<strong>Ganske</strong>. »Aber wir fragten uns noch lange: Wo hat Rothe nur<br />

so schnell die tote Fliege hergekriegt?«<br />

Für die Kinder vom Land ist es nicht einfach, in Hamburg<br />

Fuß zu fassen. Thomas <strong>Ganske</strong> denkt ungern an die Hamburger<br />

Schulzeit zurück. Nach einem Jahr schicken die Eltern den Elfjährigen,<br />

wie schon die größeren Geschwister, auf ein Internat.<br />

Er kam nach Schloss Bieberstein in der Rhön, ein Barockschloss,<br />

in dem das ganzheitliche Menschenbild des Reformpädagogen<br />

Hermann Lietz als Alternative zum Massenbetrieb öffentlicher<br />

Schulen gepfl egt wird. Eine Schule fürs Leben, ganz im Sinne des<br />

Vaters. »Im Internat lernte ich mich durchzusetzen; am Anfang<br />

musste ich für die Älteren die Betten machen, später machten die<br />

Kleinen das Bett für mich. Man musste sich durchbeißen. Für die<br />

Kleinen galt: Das Ende vom Tisch war auch immer das Ende vom<br />

Fisch.« Offenbar entwickelt der Pennäler ziemlich früh ein Qualitätsbewusstsein<br />

für feine Weine. »Einmal tranken wir Burgunder.<br />

Ich hatte eine Flasche Moulin-à-Vent organisiert. Wir wurden<br />

verpetzt, und im Jahresbericht an die Eltern stand dann: Thomas<br />

<strong>Ganske</strong> und seine Freunde veranstalten opulente Feiern.«<br />

Sicher hat das väterliche Vorbild daran seinen Anteil. Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> war ein Genussmensch. »Wenn Vater sagte: Du darfst<br />

mit – ins Vier Jahreszeiten oder auf den Süllberg nach Blankenese<br />

–, waren das besondere Momente«, erzählt der Sohn. Das<br />

Zimmer <strong>40</strong>0/<strong>40</strong>1 im Hotel Vier Jahreszeiten ist das Quartier, das<br />

er und seine Frau seit 1938 immer wieder gern besuchen. Auch<br />

als er in Hamburg schon seinen Wohnsitz hat, geht er hier ein<br />

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und aus. Hier geht er zum Friseur, liest seine Zeitung, und wenn<br />

die Stammgäste von Zimmer <strong>40</strong>0/<strong>40</strong>1 das Restaurant des Hotels<br />

betreten, raunen die Kellner: »Jetzt kommt die Spätschicht!«; der<br />

Pianist intoniert »Violetta«, und das Serviceteam richtet sich auf<br />

eine lange Nacht ein, mit einem Gast, der am Ende einer Tour<br />

d’horizon durch die besten Lagen der Weinkarte im Morgengrauen<br />

gern eine frisch angemachte Lady Curzon bestellt.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> ist ein strenger Vater. Der kleine Thomas bekommt<br />

ein Taschengeld von 70 Pfennig die Woche und muss sehen, wie<br />

er damit zurechtkommt. Später wird es nach und nach auf 1,50<br />

Mark erhöht. Der Vater liebt es, seinen Kindern und manchmal<br />

auch seinen Gästen Geschichten über den Umgang mit Geld zu<br />

erzählen, für die es keinen besseren Zeugen geben konnte als<br />

die Figur des überaus sparsamen Hamburger Kaufmanns Notebohm,<br />

der sich für sein Kind ein schönes Weihnachtsgeschenk<br />

ausgedacht hat: »Komm, Jung, wir gehen auf die Alster, ich piss<br />

dir ’ne Glitsche.« Besonders gefi el dem Verleger die Geschichte<br />

von Notebohms bravem Oberbuchhalter, der nach zehn Jahren<br />

keine Gehaltserhöhung bekommt, sondern einen warmen Händedruck,<br />

nach fünfundzwanzig Jahren ein Foto vom Chef, und als<br />

er, nach vierzig Jahren Treue, zum Abschied eine Prämie erwartet,<br />

erhebt sich Notebohm, gibt ihm die Hand und sagt: »Ich dachte<br />

mir, jetzt ist es an der Zeit, Ihnen das ›Du‹ anzubieten.«<br />

In den Ferien sind die Kinder in Hohenhaus. Der Großvater<br />

hat immer Zeit für sie. Er sieht über manchen Streich hinweg,<br />

bezahlt »ohne ein ärgerliches Wort« die sechzehn Fensterscheiben,<br />

die ein Scharfschütze unter seinen Enkeln mit dem Katapult<br />

zerschossen hatte. Aber sein Enkel Richard Vogt, Sohn seiner<br />

Tochter Käthe und später Vikar von Beruf, erinnert sich auch an<br />

ein furchtbares Donnerwetter, als er bei einem Pächter ein paar<br />

Kirschen stibitzt hatte.<br />

»Er hat mir die Jagd beigebracht«, erzählt Thomas <strong>Ganske</strong>.<br />

Sie gehen oft in den Wald – der Großvater im Lodenmantel, die<br />

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Drei Generationen an einem Tisch:<br />

Kurt, Michael und Richard <strong>Ganske</strong> um 1955<br />

Schrotfl inte über der Schulter; der Junge aufmerksam und neugierig,<br />

es gibt viel zu lernen. Der alte Herr genießt das Landleben,<br />

baut Tabak an, trocknet die Blätter, wickelt fachgerecht und nach<br />

allen Regeln der Kunst Zigarren. Zweimal im Jahr verschenkt er<br />

eine dieser Zigarren an einen Menschen, dem er etwas ganz Besonderes<br />

geben möchte. Im achtzigsten Lebensjahr erkrankt er<br />

an Krebs. Richard <strong>Ganske</strong> stirbt am 20. Februar 1956. Der Vikar<br />

Richard Vogt hält die Trauerpredigt: »Sein Leben ist von frühester<br />

Jugend an bis zur letzten Stunde ein gerader Weg gewesen, ein<br />

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einziger geradliniger Weg, bestimmt durch ein unbestechliches<br />

Verantwortungsgefühl und sein unbeirrbares Gerechtigkeitsempfi<br />

nden, mit dem einen Ziel, für alle, die mit ihm zu tun hatten,<br />

besonders für seine Mitarbeiter, seine Kinder und später für seine<br />

Enkelkinder, ein Vorbild zu sein.«<br />

Im Gutshaus in Hohenhaus hat ein Ölgemälde des Malers Emil<br />

Scheibe einen Ehrenplatz. Es zeigt den alten Herrn im Lehnsessel,<br />

mit Anzug und Weste, <strong>Uhr</strong>kette und weißem Schnauzbart.<br />

Die Haltung ist für ein Gemälde ungewöhnlich; Richard <strong>Ganske</strong><br />

sitzt nicht behäbig zurückgelehnt, sondern vornüber geneigt, der<br />

Blick und der ganze Mann ist dem Betrachter zugewandt, das Bild<br />

eines guten Zuhörers.<br />

Die fünfziger Jahre sind gute Jahre für das Unternehmen des<br />

Verlegers Kurt <strong>Ganske</strong>. Der Lesezirkel eröffnet weitere Filialen,<br />

gewinnt neue Kunden. Hoffmann und Campe baut sein Programm<br />

aus, Merian, Film und Frau und Die Stimme der Frau, seit<br />

1957 umbenannt in Für Sie, verkaufen sich gut. Der Verleger sucht<br />

nach neuen Herausforderungen. Er fi ndet sie am Rhein.<br />

Ein Zeitzeuge dieser Jahre lebt in Bergisch Gladbach. Ein<br />

weißes Haus in grüner Hügellandschaft. Drinnen Bücherwände,<br />

teure Folianten, Gemälde des Barock. Der Hausherr bittet<br />

den Gast zum Tee auf die Terrasse. Otto B. Roegele, Jahrgang<br />

1920, ein wacher Geist in einem fragil wirkenden Körper. Der<br />

alte Herr gibt bereitwillig Auskunft, die Erinnerung zeigt keine<br />

Lücken. Otto B. Roegele ist ein Gelehrter. Dr. med., Dr. phil.,<br />

Dr. phil. etlitt. h.c., ein vielseitiger Geist: Neurologe, Internist,<br />

Historiker, Schriftkundler, von 1963 bis 1985 Professor an der<br />

Ludwig-Maximilian-Universität München und Vorstand des Instituts<br />

für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft)<br />

sowie Abteilungsleiter an der Hochschule für Fernsehen und<br />

Film in München. Er war Chefredakteur und Mitherausgeber der<br />

Wochenzeitschrift Rheinischer Merkur. Und er war Reisegefährte<br />

Kurt <strong>Ganske</strong>s, sein Fahrer, sein Cicerone, sein Vertrauter.<br />

<strong>14</strong>2<br />

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Porträt des Firmengründers: Richard <strong>Ganske</strong> (1876 -1956);<br />

Ölgemälde von Emil Scheibe<br />

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Weil ihn eine halbe Stelle als Stationsarzt nur unzureichend ernährt,<br />

jobbt er nach Kriegsende nebenher als freier Redakteur,<br />

schreibt hier und da, unter anderem auch in der Erstausgabe des<br />

Rheinischen Merkur. Er studiert Zeitungswissenschaften, vollendet<br />

seine zweite Dissertation. »1948 habe ich geheiratet, zur Währungsreform,<br />

mit einem Kopfgeld von fünfzig Mark ausgestattet.<br />

Davon habe ich mir gleich eine Reiseschreibmaschine gekauft, Typ<br />

›Olympia‹, ein treues Tier.« Von Franz-Albert Kramer, dem Gründer<br />

des Rheinischen Merkur, zum Chefredakteur ernannt, wird er Gesellschafter<br />

mit zehn Prozent Beteiligung. 1950 stirbt Kramer, und das<br />

Unternehmen steht auf schwachen Füßen. Das rheinische Konglomerat,<br />

zu dem auch der Rhenania Buchverlag mit Zeitschriften wie<br />

Rund um den Pelz und Fachzeitschriften für Küche und Restaurantmanager<br />

gehören sowie Der Rheinische Hausfreund, eine wöchentlich<br />

erscheinende Postille von bescheidenem Auftritt und Anspruch,<br />

verfügt über mehr Zuversicht als Kapital. Man sucht einen Geldgeber,<br />

hat auch einiges zu bieten: Die Druckmaschinen in Koblenz,<br />

berühmt für ihren satten, tiefschwarzen Ton, sind nicht ausgelastet.<br />

Der Rheinische Merkur, das Glanzlicht dieser Gruppe, eine konservative<br />

Wochenzeitung mit hohem Anspruch und erzkatholischer<br />

Leserschaft, ist das Lieblingsblatt von Bundeskanzler Adenauer,<br />

was aber die fi nanzielle Lage nicht verbessert. »Die Rettungsbedürftigkeit<br />

war unübersehbar«, stellt Roegele nüchtern fest.<br />

Der Retter naht – ein Verleger aus Hamburg. Kurt <strong>Ganske</strong> ist<br />

eigentlich nur an den Druckmaschinen interessiert, zieht dann<br />

aber bei näherem Hinsehen eine Beteiligung am ganzen Unternehmen<br />

vor. Die will aber auch Adenauers Staatssekretär Hans<br />

Globke, um den Rheinischen Merkur in eine regierungstreue Tageszeitung<br />

umzuwandeln. Am 10. Dezember 1955 fällt die Entscheidung:<br />

<strong>Ganske</strong> statt Globke. Nun ist der Buch- und Zeitschriftenverleger<br />

Gesellschafter einer katholischen Wochenzeitung mit<br />

gutem Namen und großer Tradition. Den Rheinischen Merkur gab<br />

es nämlich schon einmal.<br />

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Der eigentliche Gründer war Johann Joseph von Görres (1778 –<br />

1848), Hochschullehrer für Philosophie, Ästhetik und Altdeutsche<br />

Literatur, aber auch Kosmologie, Psychologie und Hygiene<br />

in Heidelberg, eine herausragende Figur im Geistesleben seiner<br />

Zeit. Er pfl egte Verbindungen zu Goethe und Schiller und war<br />

ein leidenschaftlicher Streiter gegen jede Fremdherrschaft. Napoleon<br />

sprach vom Rheinischen Merkur, als er die Presse eine fünfte<br />

Großmacht nannte. Als die französische Herrschaft von der<br />

preußischen abgelöst wurde, gründete Görres in Koblenz 18<strong>14</strong><br />

den Rheinischen Merkur, laut Roegele »das erste Beispiel der Gesinnungspresse<br />

in Deutschland«. Die Gesinnung war vom Freiheitsgedanken<br />

befl ügelt. Bis 1816 erschienen 3<strong>14</strong> Ausgaben. Zu<br />

den Mitarbeitern zählten der Freiherr vom Stein, Ernst Moritz<br />

Arndt, Karl Leberecht Immermann und Clemens von Brentano.<br />

Das Blatt wurde zum Sprachrohr der deutschen Verfassungsbewegung,<br />

bis es König Friedrich I. von Württemberg gelang, seinen<br />

fernen Adelskollegen Alexander I., den Zaren von Russland,<br />

zu bewegen, in Berlin gegen die Unverschämten des Rheinischen<br />

Merkur und den Bruch der landständischen Verfassung zu protestieren.<br />

Eine preußische Kabinettsorder verbot das freche Blättchen.<br />

Görres fl oh ins Elsass und kehrte, ergriffen vom Anblick<br />

des Straßburger Münsters, in den Schoß der katholischen Kirche<br />

zurück. 1848 starb dieser »Mann aus Männern«, wie Roegele ihn<br />

nennt, »in dem das Herz eines Revolutionärs, das historische Bewusstsein<br />

eines Konservativen, der Scharfblick des Naturforschers,<br />

die Phantasie des Dichters und die politische Leidenschaft des<br />

geborenen Publizisten zusammenwohnten«.<br />

Für Roegele ist es eine Ironie der Geschichte, dass im Frühjahr<br />

1946 ein Monsieur Jean-Michel Bing Fromont als Vertreter der<br />

französischen Besatzungsmacht an der Rotationsmaschine der<br />

Koblenzer Görres-Druckerei steht, um das Erscheinen der ersten<br />

Ausgabe des Rheinischen Merkur zu kontrollieren, des Blattes, mit<br />

dem Görres 18<strong>14</strong> zur Niederwerfung der napoleonischen Herr-<br />

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schaft in Europa so wirksam beigetragen hatte. Monsieur war übrigens<br />

ein Deutscher. Als katholischer Jude zur Emigration gezwungen,<br />

kehrte er als Franzose an den Rhein zurück und wurde<br />

später Presseattaché der französischen Botschaft in Bonn.<br />

Mag sein, dass Kurt <strong>Ganske</strong> die Geschichte des Rheinischen Merkur<br />

an den Kampf des Julius Campe und seiner Autoren gegen<br />

die allmächtige Zensur erinnerte; eine Parallele zur Historie des<br />

Hoffmann und Campe Verlages ist unübersehbar. Vielleicht reizte<br />

es ihn auch, Herausgeber einer Wochenschrift zu sein, die sich<br />

in die politische Debatte um Westintegration und Wiederbewaffnung<br />

einmischt. Der Streit um die Frage, ob Deutschland zehn<br />

Jahre nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wieder Soldaten<br />

brauche, wühlt Emotionen auf und spaltet das Land. Adenauer<br />

drängt auf die Unterzeichnung der Verträge zur Bildung<br />

der EVG, der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, zu der<br />

die Deutschen über vierhunderttausend Mann beisteuern sollten.<br />

Die letzten Kriegsgefangenen waren immer noch in Russland.<br />

Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher ruft, bereits vom<br />

Tode gezeichnet: »Wer diese Verträge unterzeichnet, verdient es<br />

nicht, ein Deutscher zu sein!« Doch Adenauer setzt die Wiederbewaffnung<br />

gegen alle Widerstände durch. Die Nato wirft ihren<br />

Schatten voraus. Wenige Tage später schließen sich die Staaten<br />

des Ostblocks zum Warschauer Pakt zusammen. Der Eiserne Vorhang<br />

teilt Deutschland und Europa in zwei Lager, unverrückbar,<br />

für vierunddreißig lange Jahre.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> interessiert sich lebhaft für Politik. Die politische<br />

Entwicklung in Europa ist das Thema vieler Gespräche in<br />

Hamburg und Hohenhaus. »Wir sind viele Stunden durch den<br />

Wald gegangen«, erzählt Roegele. »Er hatte den Blick des Jägers,<br />

ich den des Spaziergängers. Er lud mich ein, nachts mit auf<br />

den Hochsitz zu kommen. Ich wollte nicht, aber meine Kinder<br />

sind mitgegangen. Wir hatten immer die Wartburg im Blick. Er<br />

ging neben mir, mehr schweigend als redend. Er war nicht sehr<br />

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edselig. Aber er hat oft überraschende Fragen gestellt. Am<br />

Abend, im großen Zimmer, saßen wir oft zusammen am Tisch.<br />

Ohne seine Frau wäre weder der Haushalt noch das Familienleben<br />

in vernünftige Bahnen gekommen. Sie zog sich irgendwann<br />

zurück. Es wurde spät. Wir zwei sind dann übrig geblieben. Ihn<br />

trieb die Frage um: Was wird aus dieser Gegend, wenn die Russen<br />

kommen? Und was, wenn die Teilung bleibt? Er trug an der Last,<br />

sein Geld, seine Liebe, seinen Eifer in einen Ort investiert zu haben,<br />

der von ungewisser Zukunft überschattet war. Diese Gedanken<br />

haben ihn sehr geplagt. In diesen Stunden erlebte ich ihn als<br />

nachdenklichen Stammtischmenschen. Um zwölf haben wir dann<br />

nicht mehr viel Vernünftiges geredet. Um zwei sind wir ins Bett.«<br />

Zwischen Kurt <strong>Ganske</strong> und dem fünfzehn Jahre jüngeren Roegele<br />

entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis. »Ich habe ihn gemocht«,<br />

erzählt der Professor. »Freundschaft war es nicht. Aber<br />

er hat mir Vertrauen geschenkt, mich zu Rate gezogen wie ein Familienmitglied.<br />

Es gab Geheimnisse, über die nie geredet wurde.<br />

Geduzt haben wir uns nicht, ich bin auch ein schlechter Duzer.«<br />

Sie reisen gemeinsam nach Spanien. Roegele besucht einen<br />

Kongress, <strong>Ganske</strong> den Escorial, immer wieder. »Er war viel gereist,<br />

auch mit seinem Fahrer. Spanien fehlte ihm noch in seiner Sammlung«,<br />

erzählt Roegele. »Wir fuhren mit meinem Dienstwagen,<br />

einem kleinen Mercedes. Er hat sich vorher vergewissert, dass er<br />

sich meinen Fahrkünsten anvertrauen konnte.« Sie fuhren über<br />

Freiburg, Nîmes, Barcelona. In einem Wäldchen bei Calatayud<br />

rasteten sie und sahen den Frauen und Kindern zu, die Walderdbeeren<br />

sammelten. »Wir fuhren weiter, ganz erfüllt von diesem<br />

schönen Bild, als K.G. plötzlich feststellte, dass er seinen Rock<br />

vergessen hatte! Er hatte ihn in dem Wäldchen an einen Baum<br />

gehängt. In dem Rock waren seine Brieftasche, sein Pass, das Carnet<br />

de Voyage. Und das werde ich nie vergessen: Als wir uns dem<br />

Wäldchen näherten, kamen uns die Kinder entgegengerannt und<br />

hielten den Rock hoch! Es fehlte nichts.«<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong> faszinieren historische Themen. Roegele vermutet,<br />

dass Philipp II. seinen Reisegefährten mehr interessierte als<br />

Karl V. Er hatte viele Fragen, zu Medizin, Politik und Geschichte.<br />

»Er wollte nicht unterhalten, nicht belehrt werden, aber er wollte<br />

ganz viel wissen.« Der Escorial beschäftigt ihn sehr, die Kargheit<br />

der königlichen Gemächer, der Kontrast zur überbordenden<br />

Pracht der Kirche, die Visionen des Malers Hieronymus Bosch<br />

und die Bibliothek mit ihrer wertvollen Handschriftensammlung.<br />

Roegele hatte viel zu erzählen, er hörte zu. Sie reisten weiter, besuchten<br />

in der Kirche Santillana del Mar zwischen Santander und<br />

Bilbao eine lateinische Morgenmesse. »Da ist sichtlich was in ihm<br />

vorgegangen«, erinnert sich Roegele. »Wir haben über die Urliturgie<br />

gesprochen. Er hat immer gefragt: Was machen die jetzt?<br />

Warum machen die das? Wo kommt das her? Was steckt dahinter?<br />

Was bedeutet dieses Symbol? Welche Gründe hat das, welchen<br />

Ursprung? Da bin ich an meine Grenzen gekommen. Die Liturgie<br />

beschäftigte ihn sehr und die Frage, was wird noch wirklich von<br />

den Gläubigen erfasst, und was wird nur abgewickelt? Er hatte<br />

großen Respekt für die historische Leistung der Kirchen.«<br />

Erinnerungen an den Verleger und Geschäftsmann. »Er war<br />

nicht misstrauisch, aber vorsichtig. Er hat es in Verhandlungen<br />

und Gesprächen hingenommen, keine Zusagen zu bekommen.<br />

Aber Zusagen, die nicht eingehalten wurden, konnte er nicht<br />

ertragen. Kurt <strong>Ganske</strong> war ein großzügiger Verleger. Aber man<br />

musste ein Gespür haben, was er verträgt und was nicht.« Zur<br />

Redaktion des Rheinischen Merkur hält der Verleger Distanz, allerdings<br />

hat er wohl auf einer Kursänderung bestanden. »Mein<br />

Vater hat die streng katholische Ausrichtung korrigiert, mit der<br />

Ökumene als Ziel«, weiß Verlegersohn Thomas <strong>Ganske</strong>.<br />

Einmal sandte Kurt <strong>Ganske</strong> einen jungen Mann nach Koblenz,<br />

seinen Assistenten. Es war eine bemerkenswerte Reise, an die sich<br />

der Assistent gut erinnert. Heute residiert Erich Marx in Berlin-<br />

Charlottenburg, Carnerstraße 6. Der Doktor, wie sie ihn hier alle<br />

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nennen, erhebt sich von seinem Schreibtisch – schlank, federnd,<br />

weiße Haare und weiße Augenbrauen im gebräunten Gesicht mit<br />

ungewöhnlich blauen Augen. Ein vertrautes Gesicht. Das Bild,<br />

das Andy Warhol von Erich Marx gemacht hat, ist berühmt, die<br />

Kunstsammlung mit Werken von Cy Twombly, Robert Rauschenberg<br />

und Roy Lichtenstein, Anselm Kiefer und Joseph Beuys ist es<br />

auch. Marx verwandelte den Hamburger Bahnhof in Berlin zum<br />

repräsentativen Schauplatz seiner Schätze, lehnt es aber ab, auf<br />

seinen Kunstverstand angesprochen zu werden. »Verstand ist das<br />

Letzte, was einem hilft. Intuition! Das ist es, was man braucht!«<br />

Dr. Erich Marx, Jahrgang 1921, Sohn eines Lagerarbeiters und<br />

studierter Jurist, war Flieger im Krieg und sammelte als junger<br />

Justitiar bei Burda seine ersten zivilen Berufserfahrungen. Der<br />

Verleger Franz Burda (1903–1986) war in seiner Heimat Offenburg<br />

relativ spät gestartet, aber die Bunte Illustrierte – 1948 unter<br />

dem Titel Das Ufer gegründet – entwickelte sich gut. Seine Frau<br />

Aenne war mit ihrem Schnittmusterheft Burda Moden überaus<br />

erfolgreich. Als Justitiar saß Erich Marx im Zentrum, im Allerheiligsten<br />

der Burda-Welt, manchmal auch im Auge eines Hurrikans.<br />

Nach fast zwei Jahren kam es zum Bruch. Franz Burda, der<br />

Patriarch, hatte eine Schweinerei in seiner Bunten entdeckt, eine<br />

Reportage über ein Pärchen, das den Nil hinaufgepaddelt war.<br />

»Ein Foto, ich sehe es noch vor mir: Es war nicht größer als eine<br />

Briefmarke und zeigte eine Frau auf einem Boot. Sie hätte nackt<br />

sein können, man sah es aber nicht deutlich, nur ein dunkles<br />

Dreieck. Burda redete sich in Rage; so eine Schweinerei wolle er<br />

nicht mitmachen und den Chefredakteur entlassen. Ich argumentierte,<br />

versuchte, meinen Kollegen zu retten. Das machte ihn nur<br />

noch wütender: ›Sie gehen gleich mit!‹ Ich stand auf der Straße.«<br />

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet dieser Verlag einmal den<br />

Playboy herausgeben würde?<br />

Es war Konrad Becker, Verlagsleiter von Film und Frau, der dem<br />

Juristen anbot, als sein Stellvertreter oder als Assistent des Ver-<br />

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legers nach Hamburg zu kommen, wobei er darauf hinwies, dass<br />

der Verleger sicher die schwierigere unter den beiden Alternativen<br />

war. »Ich überlegte relativ kurz und entschied mich für den<br />

Verleger. Die Arbeit war interessant, und ich lernte viel. Eines Tages<br />

gab Kurt <strong>Ganske</strong> mir den Auftrag, nach Koblenz zu fahren. Er<br />

wollte eine kleine Rundfunkzeitschrift herausbringen, die gratis<br />

in die Mappen des Lesezirkels gelegt werden sollte, und ich sollte<br />

einen Druckvertrag aushandeln. Ich kämpfte hart, es ging um<br />

Zehntelpfennige; bis mein Gegenüber sagte: ›Warum legen Sie<br />

sich eigentlich so ins Zeug? Ihr Verleger ist doch hier beteiligt!‹<br />

Zu meinem Staunen schälte sich heraus: Nicht nur die Druckerei,<br />

auch der Rheinischen Merkur gehörte zu fünfundneunzig Prozent<br />

Kurt <strong>Ganske</strong>. Nur hat er mir nichts davon gesagt.«<br />

Offenbar hatte der Assistent hart genug verhandelt. Erich Marx<br />

wird <strong>Ganske</strong>s Mann am Rhein, Leiter der Druckerei in Koblenz,<br />

des Rheinischen Merkur und des Rhenania Buchverlags. »Er ließ<br />

mir völlig freie Hand. Einmal im Vierteljahr musste ich nach<br />

Hamburg und Bericht erstatten.« Die Aufl age des Rheinischen<br />

Merkur stand bei 63 000. Das war mehr, als Die Zeit in Hamburg<br />

aufweisen konnte. »Aber dann ging Bucerius mit der Zeit gegen<br />

Adenauer vor. Die Aufl age stieg; sie überholte den Rheinischen<br />

Merkur und lag weit vor ihm. <strong>Ganske</strong> wollte, dass ich die Aufl age<br />

des Rheinischen Merkur ebenfalls steigere, aber sie hatte als katholische<br />

Wochenzeitschrift für Leser mit hoher Intelligenz und<br />

Bildung ihre Käuferschicht schon erfasst. Ich hatte alles versucht,<br />

auch die Trippelkolonne losgeschickt, um neue Abonnenten zu<br />

werben. Es war nichts zu machen. Mehr war nicht zu holen.«<br />

Marx gibt nicht auf, diskutiert in Hohenhaus mit Kurt <strong>Ganske</strong><br />

und Roegele. »Ich hatte eine gute Idee: Von drei Sonntagszeitungen<br />

in Deutschland waren zwei protestantisch: das Sonntagsblatt<br />

von Bischof Hanns Lilje und Christ und Welt in Stuttgart. Beide<br />

waren notleidend. Deshalb schlug ich vor: Warum legen wir die<br />

drei nicht zusammen? Die Meinungsverschiedenheiten in ethisch-<br />

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christlichen Fragen könnten im Blatt ausgetragen werden, das<br />

würde Spannungen aufbauen, die die Zeitung interessant machen.<br />

Wäre es nicht sinnvoll, wenn eine ökumenische Wochenschrift<br />

die Annäherung der Kirchen betreibe, als Geste der Versöhnung<br />

nach dem Erlebnis des Krieges?«<br />

Das ungleiche Trio diskutierte mehrere Abende lang am Kamin.<br />

»Der Form nach war es immer eine zivile Auseinandersetzung.<br />

Aber ich sah bald, dass es keine Einigung geben würde.<br />

Schließlich beendete Roegele die Diskussion mit einem Leitartikel<br />

zu Pfi ngsten, in dem er sinngemäß schrieb: ›Wir haben nicht<br />

die Möglichkeit, die Dinge zu ändern, das kann nur Gott.‹ – Meine<br />

pragmatische Sicht konnte ich nie gegen Roegele durchsetzen.<br />

Sein ausgeprägter Katholizismus war mir fremd. Alles, was ich erreichte,<br />

um das Blatt lebendiger zu machen, war ein kardinalsroter<br />

Balken auf der Titelseite.« Der Balken stützte ein schwankendes<br />

Gebäude. Die Zahlen waren schlecht. Der Rheinische Merkur<br />

schrieb sechsstellige Verluste im oberen Bereich. »Ich sah keine<br />

Zukunft mehr. Außerdem war mein Gehalt von der Aufl age abhängig.<br />

Ende 1959 habe ich gekündigt.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> muss erkennen: Auf dem Engagement am Rhein<br />

ruht kein Segen. Auch der legendäre tiefschwarze Druck der Koblenzer<br />

Maschinen fasziniert den Verleger nicht mehr. Seine Hamburger<br />

Blätter stellen um auf Farbe. Er zieht sich vom Rheinischen<br />

Merkur zurück. Allein der Rhenania Verlag bleibt in seinem Besitz.<br />

»Er sagte uns lange vorher, es sei nicht sein Ziel, der katholischen<br />

Kirche eine Zeitung zu fi nanzieren«, erinnert Roegele. »Ich höre<br />

ihn sagen: ›Meine Leute in Hamburg verstehen gar nicht, warum<br />

ich mir dieses Hobby so viel Geld kosten lasse.‹«<br />

Sein Stehvermögen ist aller Ehren wert, wird aber nicht belohnt.<br />

Er bekommt Konkurrenz. Die Deutsche Bischofskonferenz bildet<br />

1965 eine »Sonderkommission Katholische Wochenzeitung« und<br />

bringt nach drei Jahren ein neues, anspruchsvolles und gut gemachtes<br />

Kirchenblatt auf den Markt: Publik. Die erste Nummer<br />

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erscheint am 27. September 1968 zum Katholikentag in Essen,<br />

im teuren »Nordischen Format« (57 �<strong>40</strong> cm), 32 Seiten stark<br />

mit hochwertiger Tiefdruckbeilage und hochkarätiger Redaktion.<br />

Das Blatt macht Eindruck, hat allerdings einen Schönheitsfehler:<br />

die Zahlen. Der Zuschussbedarf schaukelt sich in vier Jahren von<br />

6 auf 9 Millionen Mark hoch. Publik wird eingestellt. Es sollte<br />

nicht der einzige Trauerfall dieser Art bleiben; die Liste der Publikationen,<br />

die trotz ihrer allseits gelobten journalistischen Qualität<br />

zugrunde gehen, ist lang und keineswegs geschlossen.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> hat seine Verbindung zum Rheinischen Merkur<br />

längst gelöst. Das Blatt gerät in die Hände west- und süddeutscher<br />

Bischöfe unter Federführung des Kölner Erzbischofs Joseph Kardinal<br />

Höffner. Die frommen Hirten führen die Wochenzeitung<br />

mit Gottes Segen weiter und vereinigen sie in den siebziger Jahren<br />

mit der vom Holtzbrinck Verlag herausgegebenen evangelischen<br />

Wochenzeitung Christ und Welt. Marx sollte also zumindest<br />

teilweise Recht behalten. Hanns Liljes Sonntagsblatt segnete erst<br />

im Jahre 2000 das Zeitliche und lebt als Crismon weiter, ein Monatsmagazin,<br />

das zu hundert Prozent dem Süddeutschen Verlag<br />

gehört und sechs deutschen Zeitungen beigelegt wird.<br />

Der weitere Lebensweg des Erich Marx nimmt einen erstaunlichen<br />

Verlauf. Er führt über die Hannoversche Allgemeine, ein für<br />

Außenseiter schwer zu führendes Familienunternehmen. Marx<br />

beschäftigt sich nebenher mit Immobilienprojekten. »Ich habe<br />

meine Begabung erst spät entdeckt«, lächelt er. »Ich bin Unternehmer.<br />

Kaufmann war ich nie. Ein Kaufmann rechnet. Ein<br />

Unternehmer greift die Themen auf, die auf der Straße liegen.«<br />

Er gründet eine Gesellschaft und blickt heute stolz auf ein Unternehmen<br />

mit fünftausend Mitarbeitern, das zweitausend Wohnungen<br />

in Berlin und siebenunddreißig Reha-Kliniken mit siebentausend<br />

Betten in Deutschland besitzt, die mit einer Investitionssumme<br />

von einer Milliarde Euro errichtet wurden. »Jetzt arbeite<br />

ich an einer neuen Linie. Ich baue in Polen. In Deutschland ist<br />

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Vom Assistenten des Verlegers zum Unternehmer:<br />

Erich Marx, porträtiert von Andy Warhol<br />

alles zugestopft. Die Verwaltung ist fettleibig. Polen ist hungrig,<br />

braucht Supermärkte und Einkaufszentren.« Der Mann ist dreiundachtzig.<br />

»Ich mochte ihn eigentlich sehr«, sagt er über seinen Hamburger<br />

Arbeitgeber. »Ich sehe ihn vor mir am Schreibtisch oder im<br />

›Winterhuder Fährhaus‹, wo er voller Vergnügen die Speisekarte<br />

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studierte. Er ruhte in sich selbst. Ich habe gern für ihn gearbeitet<br />

und habe viel von ihm gelernt. Er verstand es, die Menschen an<br />

der langen Leine zu führen. In der Diskussion war er nie beleidigend,<br />

aber oft treffend. Er konnte beißend sein. Es gab kaum<br />

laute Töne. Manchmal war es schwierig, manchmal zähfl üssig.<br />

Aber ich habe vor ihm großen Respekt. Ich verdanke ihm viel.<br />

Für mich war es eine gute Zeit. Es ist gut im Leben, wenn man<br />

nicht nur Menschen neben, sondern auch vor sich hat, die über<br />

Substanz verfügen.«<br />

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BLÄTTER IM AUFWIND<br />

Die Familie Merian – Untertanen – Der Boom der<br />

Frauenzeitschriften – Frieder Burda – Adolf Theobald –<br />

Kein Markt für Wissenschaft – Der Feinschmecker<br />

Das Einstellungsgespräch fand im Alsterpavillon statt. »Er nahm<br />

sich Zeit, fragte nach meiner Familie, wollte wissen, was für ein<br />

Mensch ich bin«, sagte Jochen Karsten, Herausgeber des Feinschmecker,<br />

Jahrgang 1925. »Ich fühlte mich zu K.G. hingezogen«,<br />

gestand der Journalist, der fünfzig Jahre für das Unternehmen<br />

arbeitete. Bis zuletzt verbrachte der 79-Jährige täglich einige<br />

Stunden in der Redaktion – ein Gentleman der alten Schule: dezent,<br />

gebildet, kultiviert. Am 25. Februar 2005 ist er in Hamburg<br />

gestorben. Seine journalistischen Lehrjahre verbringt er bei der<br />

Kulturzeitschrift Westermanns Monatshefte in Braunschweig. Im<br />

Winter 19<strong>54</strong> stellt Kurt <strong>Ganske</strong> ihn als Redakteur für Merian ein,<br />

offenbar auf Empfehlung von Heinz Scheibenpfl ug (1910–1988),<br />

dem Chefredakteur der Für Sie. Der Österreicher hat einen Namen<br />

als Essayist, Erzähler und Autor von Büchern wie »Berge um<br />

uns« oder »Das Hausbuch der Frau«. K.G. vertraut seinem Urteil.<br />

»Er war der Mann, der die Fäden in der Hand hielt«, erinnerte<br />

sich Karsten.<br />

Die Merian-Redaktion ist klein, die Beiträge werden von freien<br />

Autoren, Schriftstellern, Essayisten, Kunsthistorikern und<br />

Journalisten geliefert. Das Honorar ist – eine Tradition des Hau -<br />

ses – bescheiden. Die Redaktion kommt mit zwei Zimmern aus.<br />

Als Jochen Karsten bei Merian anheuert, ist er der dritte Mann<br />

nach Chefredakteur Albrecht Bürkle und seinem Stellvertreter<br />

Will Keller, die sich ein Zimmer teilen. Im zweiten Zimmer sitzen<br />

die Redakteurin Elisabeth Bär und der Neue. Das muss vorerst<br />

genügen. Doch fest angestellte Merian-Redakteure haben einen<br />

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Traumjob im deutschen Journalismus: Sie sind Blattmacher und<br />

Autoren zugleich, konzipieren ihr eigenes Heft, für das sie von<br />

der ersten bis zur letzten Seite verantwortlich sind, auch wenn der<br />

Chefredakteur natürlich das letzte Wort hat. Sie suchen Themen<br />

und Autoren, redigieren die Manuskripte, erfi nden Titelzeilen,<br />

produzieren das Heft im Alleingang. Sie sind auf sich gestellt, reisen<br />

ins Zielgebiet, erkunden die Region, die Stadt oder das Land<br />

ihres Heftes. Waren es in den vierziger und frühen fünfziger Jahren<br />

vor allem Themen wie Worpswede (Oktober 1948), Breslau<br />

(Januar 1950), Hohenlohe (Mai 1950) oder Helgoland (Januar<br />

1951), bringt das Jahr 19<strong>54</strong> die erste Grenzüberschreitung: Paris<br />

und Salzburg. Es folgen die Provence und Venedig (1955), Wien,<br />

Kopenhagen, Basel und Florenz (1956) und das Tal der Loire,<br />

Rom, London und Südtirol (1957). Erst 1963, im 16. Jahrgang,<br />

erscheint das erste außereuropäische Thema: Marokko. Inzwischen<br />

ist der Redaktionsetat für sämtliche Reisen, Text- und Fotohonorare<br />

auf 22 000 Mark angestiegen. Umgerechnet 19 Pfennig<br />

pro Heft.<br />

Wie begegnet ein Merian-Redakteur seinem Verleger? Morgens<br />

um sieben. Karsten: »Einmal sah ich K.G., als ich sehr früh<br />

mit dem Fahrrad zur Arbeit kam. ›Kommen Sie immer mit dem<br />

Fahrrad?‹, wollte er wissen. ›Jeden Tag‹, sagte ich wahrheitsgemäß.<br />

›Merian-Redakteur und Fahrrad? Das passt doch nicht!‹, brummte<br />

er. Er meinte es vollkommen ernst. Nach ein paar Wochen bekam<br />

ich ein Angebot. Ich konnte ein Auto kaufen, über ein Anzeigen-<br />

Gegengeschäft mit fünfunddreißig Prozent Nachlass. Es war ein<br />

Auto Union 1000 S. Ich habe den Kaufpreis vom Gehalt abgestottert.«<br />

Der »Wagen für bewusste Fahrer« kostet, so ist es in den<br />

Anzeigen zu lesen, mit Weißwandreifen und elektrischer Zeituhr<br />

6950 Mark. Merkwürdig ist es schon. Der für seine Sparsamkeit<br />

berühmte Verleger kann sich durchaus großzügig zeigen. In guten<br />

Jahren bekommen die Mitarbeiter, auch die Merian-Redakteure,<br />

ohne Ankündigung schon mal 5000 Mark zu Weihnachten.<br />

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Doch redaktionelle Mitbestimmung, wie sie Ende der sechziger<br />

Jahre diskutiert und beim Stern mit einem Redaktionsstatut zumindest<br />

zeitweise umgesetzt wird, ist ihm suspekt.<br />

Die Reise ins Merian der sechziger Jahre führt nach Vorchdorf<br />

in Oberösterreich. Ein historischer Vierkanthof mit einer Riesenscheune<br />

voller Bücher, vierhundert laufende Meter über zwei<br />

Stockwerke verteilt, die Privatbibliothek des Kunsthistorikers Wieland<br />

Schmied, zuletzt Präsident der Akademie der Künste in München.<br />

Seine Frau Erika, Jahrgang 1935, hat diesen Büchertempel<br />

für ihn entworfen und bauen lassen. Nun sitzt sie vor dem Kamin<br />

im hochlehnigen Titanensitz aus Holz, ein Geschenk und Entwurf<br />

von Thomas Bernhard, der die Rolle des Hausgeistes spielt. Der<br />

Schriftsteller ging hier ein und aus, war einer ihrer engsten Freunde.<br />

Seit seinem Tod fotografi ert Erika Schmied die Schauplätze<br />

seiner Romane, aber auch die neuseeländische Welt des Friedensreich<br />

Hundertwasser. Sie produziert Bildbände ihrer Schwarzweißfotos,<br />

zeigt ihre Arbeiten in viel beachteten Ausstellungen, genießt<br />

kreativ und produktiv ihr zweites Arbeitsleben. Das erste dauerte<br />

zweiunddreißig Jahre und stand in Diensten Kurt <strong>Ganske</strong>s. Sie fotografi<br />

erte für Film und Frau und Moderne Frau, war Grafi kerin, Artdirector<br />

und Redakteurin für Kunstthemen bei Merian. Sie prägte<br />

jahrzehntelang das Erscheinungsbild der Zeitschrift.<br />

1961 kommt Erika Schmied, damals noch Erika Schmid-Kowarzcik,<br />

zu Merian. Sie hat sich für dieses Vorstellungsgespräch<br />

aufgedonnert, die blonden Haare schwarz gefärbt und trägt<br />

einen Staubmantel, Pumps und Handschuhe. Nachdem sie sich<br />

in selbstbewusster Pose hingesetzt hat, sagt sie: »Sie haben doch<br />

nichts dagegen, wenn ich rauche?« Vor ihr sitzen einige Herren,<br />

die sie später als Spitze des Unternehmens kennen lernen wird.<br />

»Man sitzt ja in solchen Gesprächen immer Männern gegenüber.<br />

Ich war sechsundzwanzig und wollte sechshundert Mark. Sie<br />

machten Komplimente, die keine waren: Ich sähe aus wie achtzehn.<br />

Das Gehalt wollten sie kürzen. Das wollen sie immer. Ich<br />

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Hamburg, Juli 1948 Chiemgau, September 1953<br />

gab nicht nach und sagte: ›Ich halte das für angemessen.‹ Sie<br />

haben mich in Gütersloh abgeworben, wo ich für die Ariola arbeitete,<br />

dann sollten sie auch zahlen, was ich wollte. Außerdem hatte<br />

ich eine prima Mappe vorzuweisen.«<br />

Der Verleger ist bei diesen Verhandlungen nicht dabei. Aber<br />

sie hat schon vorher einiges über ihn gehört. »Es hieß, der Alte sei<br />

mit Vorsicht zu genießen. Mit den Jahren lernte ich ihn kennen,<br />

vor allem in Hohenhaus, wohin die Redaktion zum jährlichen<br />

Strategiegespräch eingeladen wurde. Er konnte tatsächlich sehr<br />

unangenehm sein. Manchmal war er unausstehlich. Aber ich fand<br />

ihn sympathisch.«<br />

In den Schilderungen Erika Schmieds entsteht ein Bild des Verlages<br />

als absolute Monarchie. »Er wurde im Verlag wie der liebe<br />

Gott behandelt. Ich fand es komisch, wie die Männer in seinem<br />

Umkreis sich verhielten, wie Untertanen. Er hatte lauter Jasager<br />

um sich versammelt, alle hatten Angst vor ihm. Ich fand das unerträglich,<br />

ich verstand das nicht, hatte so etwas nie erlebt. Die<br />

158<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 158 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:33 <strong>Uhr</strong>


Paris, Mai 19<strong>54</strong> Marokko, September 1963<br />

Männer waren devot, redeten ihm nach dem Mund, spreizten sich,<br />

setzten sich in Szene. Manchmal platzte ich heraus: ›Mein Gott, so<br />

ein Mist! Das ist ja nicht auszuhalten!‹ Das gefi el ihm. Ich hatte<br />

das Gefühl, ich hatte bei K.G. wegen meiner direkten Art immer<br />

einen Stein im Brett. Aber dann sagte irgendjemand, der einzige<br />

Mann im Haus sei Frau Schmied. Ich fand das überhaupt nicht<br />

witzig, denn ich hatte auch eine weibliche Seite und fand, dass die<br />

wahrgenommen werden sollte.«<br />

In den sechziger Jahren residiert die Redaktion noch im Haus<br />

Nummer 45, zugleich Sitz des Hoffmann und Campe Verlages.<br />

1963 entwickelt Erika Schmied für Merian eine neue Gestaltung,<br />

den Werkdruck auf rauem Papier für literarisch anspruchsvolle<br />

Texte in der Heftmitte, das Brevier, und eine Heftstruktur, die<br />

im Prinzip bis heute funktioniert. Die Aufl age macht einen Luftsprung<br />

– um <strong>40</strong> 000 auf 200 000 Exemplare. Gedruckt wird in Bremen,<br />

dann im Rollenoffset in Würzburg und schließlich in Nürnberg.<br />

Die Maschine, erinnert Erika Schmied, war 120 Meter lang.<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 159 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:36 <strong>Uhr</strong><br />

159


New York, September 1970 Ceylon, August 1971<br />

Die Merian-Redaktion war eine Art Familienbetrieb. »Ich konnte<br />

meine Kinder mitbringen. 1968, als ich mit meiner ersten<br />

Tochter schwanger war, habe ich in der Klinik das Heft ›Nancy‹<br />

gelayoutet. Zu Hause habe ich weitergearbeitet, die Redakteure<br />

Hans-Markus Thomsen und Rainer Klofat kamen mit den Texten<br />

und Bildern. Ich habe Franziska gebadet, dann sind wir jugoslawisch<br />

essen gegangen. Später habe ich Franziska im Kinderwagen<br />

auf den Balkon gestellt. Für Barbara hatte ich ein Laufställchen in<br />

der Grafi k. Die Chefredakteure haben ihre Hunde mitgebracht.<br />

Zeitweise waren ein Dackel, ein Bobtail und ein Mops in der Redaktion.<br />

Manche brachten auch ihren Vogel mit. Jeden Monat<br />

arbeitete ich mit einem anderen Redakteur zusammen. Das Hausgemachte<br />

war auch der Reiz des Blattes. Aus den Reaktionen der<br />

Leser spürten wir: Es war ein geliebtes Objekt, es hat den Leuten<br />

auf verständliche Weise Kulturthemen nahe gebracht. So ein Objekt<br />

steht und fällt mit dem Selbstbewusstsein der Leute, die es<br />

machen. Ich glaube, das Betuliche, das uns anhaftete, war eigent-<br />

160<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 160 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:<strong>40</strong> <strong>Uhr</strong>


Deutschland, Januar 1972 New Orleans, Februar 1979<br />

lich eine Stärke von Merian. Alle, die bei Merian gearbeitet haben,<br />

haben es mit Herzblut gemacht. Kurt <strong>Ganske</strong> hat das gespürt.«<br />

Kein Chefredakteur stand so lange an der Spitze des Blattes wie<br />

Will Keller (1915–2001). Von 1960 bis 1979 führte der promovierte<br />

Kunsthistoriker die Zeitschrift, und er ließ es sich nicht nehmen,<br />

auch danach noch als Herausgeber jedes Jahr mindestens<br />

ein Heft zu produzieren. »K.G. war oft im Clinch mit Dr. Keller«,<br />

erzählt Erika Schmied. »Der Verleger war dagegen, dass einzelne<br />

Autoren gegenüber anderen herausgestellt wurden. Er polemisierte<br />

gegen den Personenkult. Aber er ist Keller nie in den Arm<br />

gefallen.« Dafür gab es offenbar auch keine Gründe. Das Verzeichnis<br />

der Autoren enthält Namen wie Thomas Mann, Siegfried<br />

Lenz, Henry Miller und Norman Mailer, Michel Tournier und<br />

Jean Cocteau, Gabriele Wohmann und Martin Walser, Horst Krüger,<br />

Wolfgang Koeppen und Günter Kunert, Halldor Laxness und<br />

Milovan Djilas. Stefan Andres schickte sein letztes Manuskript an<br />

Merian. Als Will Keller vom Agenten John Updikes keinen Termin<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 161 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:44 <strong>Uhr</strong><br />

161


ekommt, fährt er zum Landhaus des Schriftstellers, klingelt unangemeldet<br />

und wartet im Garten, bis Updike vom Einkaufen zurück<br />

ist. Offenbar haben sich die Herren glänzend verstanden.<br />

In den sechziger Jahren gewinnt die Fotografi e an Bedeutung.<br />

Zu den Fotografen zählen Herbert List, Thomas Höpker, Michael<br />

Friedel, Bruno Barbey und Dennis Stock. Merian ist als anspruchsvolle<br />

monothematische Kultur- und Reisezeitschrift jahrzehntelang<br />

ohne Konkurrenz. Erst in den späten Siebzigern und Anfang<br />

der achtziger Jahre bringen die Verlage Reisezeitschriften auf den<br />

Markt, erscheinen das ADAC-Reisemagazin und Geo Special als monothematische<br />

Titel, wächst die Vielfalt der Pocket-Reiseführer. Aber<br />

das hat Kurt <strong>Ganske</strong> nicht mehr erlebt.<br />

Er wusste natürlich, was er an Will Keller hatte, auch wenn er<br />

es seltsam fand, dass der eines Tages mit einem Cäsarenschnitt<br />

herumlief. Dabei war Keller weder Cicero noch Caligula, sondern<br />

ein zutiefst konservativer, hochgebildeter und sicher auch sperriger<br />

Blattmacher. »Er hatte eine besondere Technik des passiven<br />

Widerstands, er nahm Anweisungen entgegen und pfl egte<br />

sie unerledigt liegen zu lassen«, erinnert sich Erika Schmied. Als<br />

Keller 1979 die Chefredaktion an Ferdinand Ranft abgibt und in<br />

die Position des Herausgebers wechselt, hat Merian seinen Zenit<br />

erreicht – 280 000 Aufl age, davon 180 000 Abonnenten.<br />

Jochen Karsten verließ die Redaktion 1966. Zwölf Jahre arbeitete<br />

er bei Merian als Redakteur und dann als stellvertretender<br />

Chefredakteur. Weil er als zweiter Mann keine Perspektive sieht,<br />

kündigt er, aber Kurt <strong>Ganske</strong> lässt ihn nicht ziehen. »In diesem<br />

Haus können Sie alles werden. Kommen Sie erst mal zu mir.« Jochen<br />

Karsten wird Assistent des Verlegers, eine interessante Erfahrung.<br />

Schnell lernt er den Umgang mit den Eigenheiten seines<br />

Chefs. Der Arbeitsstil des über Sechzigjährigen ist aufwändig und<br />

intensiv, gründlich und ungesund. Kurt <strong>Ganske</strong> leidet unter Bewegungsmangel,<br />

neigt zur Korpulenz, raucht eine Zigarette nach<br />

der anderen; »Lord« aus der fl achen Pappschachtel, mit Filter.<br />

162<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 162 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:47 <strong>Uhr</strong>


Vielleicht hat ihn ein Gedicht des Kabarettisten Werner Finck beeinfl<br />

usst. Es stand in einer »Lord«-Anzeige, eine halbe Seite hoch,<br />

eine der absurd schönen Hochleistungen früher Werbetexte unter<br />

dem Slogan »Rauchen mit Verstand«:<br />

Menschen, die Entspannung brauchen<br />

rauchen<br />

manchmal Pfeife, manchmal Zigarren,<br />

meistens Zigaretten,<br />

und sie betten<br />

so ihr Sein in Harmonie.<br />

Und es scheint auch klar erwiesen:<br />

Diesen<br />

Rauchern geht es um den Spaß,<br />

ungeachtet, ob die Schwaden<br />

ihnen schaden<br />

qualmen sie im Übermaß.<br />

Doch es raucht der echte Kenner,<br />

wenn er<br />

klug ist, immer nur fi ltriert.<br />

Denn dann kann er<br />

seinem schönen<br />

Laster frönen<br />

ohne dass er viel riskiert.<br />

»K.G. saß hinter den Rauchschwaden an seinem Schreibtisch«, erzählte<br />

Karsten, »und arbeitete sich systematisch durch die Stapel,<br />

die er auf mehreren Tischen verteilt hatte.« Nie suchte er die<br />

Abteilungen des Verlages auf. Doch der Unsichtbare war allgegenwärtig.<br />

»Er las alles, er kontrollierte alles, und er merkte alles.<br />

Das setzte sich in unserem Bewusstsein fest. Alle wussten: Er ist<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 163 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:48 <strong>Uhr</strong><br />

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Heft 1, 1948 September 1969<br />

genau. Er passt auf. Er hatte eine unheimliche Begabung,<br />

Schwachstellen zu entdecken. Ich habe allerdings nie erlebt, dass<br />

er sich in den Details eines Vorgangs verlor. Ihn interessierten die<br />

Ergebnisse.«<br />

Einmal kommt er beim Lesezirkel einem Betrug auf die<br />

Spur; nach einiger Zeit hat er den Verdächtigen eingekreist, es<br />

fehlt nur der letzte, eindeutige Beweis. Er bestellt den Mann<br />

zu sich und sagt ihm auf den Kopf zu: »Sie haben mich betrogen.«<br />

– »Ja, Herr <strong>Ganske</strong>.« – »Und wo ist das Geld?« – »Verjuxt,<br />

Herr <strong>Ganske</strong>.« Eine Antwort, über die Kurt <strong>Ganske</strong> erst später<br />

lachen konnte. Jedenfalls hat ihn die Geschichte so amüsiert, dass<br />

er sie noch nach Jahren seinen Kindern erzählt.<br />

Der Zeitschriftenmarkt boomt. Die sechziger Jahre sind die<br />

Jahre der Frauenzeitschriften. Was in den fünfziger Jahren noch<br />

eine eher damenhafte Schönheitskonkurrenz war, wächst sich<br />

nun zu einem Kampf der Gigantinnen aus. Verlage werden zu<br />

Großverlagen. Es geht um Marktanteile und viel Geld. Der Ham-<br />

164<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 164 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:48 <strong>Uhr</strong>


Februar 1976 März 1979<br />

burger Constanze Verlag, in dem nicht nur die Constanze, sondern<br />

auch die Constanze-Sonderhefte, Brigitte und Schöner Wohnen<br />

erscheinen, gehört seit 1960 dem ehemaligen Sportjournalisten<br />

und Hamburger Verleger John Jahr sen. (1900–1991), der seit<br />

1950 auch fünfzigprozentiger Teilhaber der Spiegel Verlag Rudolf<br />

Augstein GmbH ist. Kaum zu glauben: Im Hause Spiegel gab<br />

es in jenen Jahren noch ein zweites, eine Art nylonbestrumpftes<br />

Spielbein: die Star-Revue. 1948 unter dem Titel Film in Oberhausen<br />

gegründet, kam das Blatt 1955 zum Spiegel Verlag, wo man<br />

vergeblich versuchte, eine konkurrenzfähige Zeitschrift mit einer<br />

Themenmischung aus Filmstars und Fernsehprogrammen auf<br />

den Markt zu bringen. Als sich John Jahr 1960 aus dem Spiegel<br />

Verlag zurückzieht, nimmt er die Star-Revue mit in den Constanze<br />

Verlag. Im Mai 1961 geht sie in Brigitte auf, ohne dort wesentliche<br />

Spuren zu hinterlassen.<br />

<strong>Ganske</strong>s Film und Frau bleibt ungeschlagen, doch verliert das<br />

Blatt seit der Umstellung auf Farbe 1956 spürbar an Glanz und<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 165 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:<strong>54</strong> <strong>Uhr</strong><br />

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auch an Aufl age. Die Diva hat ihren Höhepunkt überschritten. Ab<br />

Heft 20/66 erscheint sie unter neuem Namen. Aus Film und Frau<br />

wird die Moderne Frau, für den Klassiker ein riskanter Richtungswechsel.<br />

Modern ist vieles, vor allem das Wort »modern«. Und als<br />

die Zeitschrift in großer Aufmachung über Ingrid Thulin berichtet,<br />

die in Ingmar Bergmans Film »Das Schweigen« eine für damalige<br />

Verhältnisse noch sehr anstößige Selbstbefriedigungs-Szene<br />

gespielt hatte, geht ein schweres Gewitter über der Redaktion nieder.<br />

So modern ist K.G. nun auch wieder nicht.<br />

Unaufhaltsam unterspült der Textilfreiheitsgedanke die Bastionen<br />

bürgerlicher Moral, wackeln Hüften beim Twist, schwingen<br />

Säume im Höhenrausch. Die Badeanstalt von Mettingen<br />

im Teutoburger Wald macht 1962 Schlagzeilen durch ihr Bikini-Verbot,<br />

die ZDF-Ansagerin Edelgard Stössel verschwindet<br />

vom Schirm, weil sie sich auf einer Pyjama-Party im Shorty fotografi<br />

eren ließ, und als Barbara McBride – heute Barbara Sie -<br />

beck – hochschwanger mit geöffneter Hose auf dem Titel von<br />

Twen erscheint, setzt es eine Anzeige beim Deutschen Presserat.<br />

Dabei trug sie einen züchtigen schwarzen Pullover. Es war kein<br />

Stückchen Haut zu sehen.<br />

Deutschlands Frauenzeitschriften setzen keine Trends, sondern<br />

folgen ihnen in gebührendem Sicherheitsabstand. John<br />

Jahrs Constanze ist ganz vorn, aber sie trägt schwer an ihrem Erfolg:<br />

Sie wird zu dick. Anzeigenkunden müssen auf Wartelisten<br />

gesetzt werden, und die Hefte sind so umfangreich, dass sie in<br />

zwei Tranchen an die Lesezirkel geliefert werden. Im September<br />

1961 stellt der Verlag die Zeitschrift von vierzehntäglichem auf<br />

wöchentliches Erscheinen um. Ein kapitaler Fehler (der trotzdem<br />

in verschiedenen Verlagshäusern immer wieder gern wiederholt<br />

wird). Weder die Leserinnen noch die Inserenten fi nden sich mit<br />

dem neuen Rhythmus zurecht. Constanze kommt in die Wechseljahre.<br />

Vor allem wechseln die Chefredakteure und die Konzepte.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong>s Für Sie profi tiert von den Problemen der<br />

166<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 166 <strong>01.11.2005</strong> 15:01:58 <strong>Uhr</strong>


Konkurrentin. Seit 1959 geht es mit der Frauenzeitschrift aus<br />

dem Jahreszeiten Verlag steil bergauf. Vom vierten Quartal 1961<br />

an bleibt die Für Sie acht Jahre lang Marktführerin und verkauft<br />

weit über eine Million Exemplare – ein Traumergebnis. Und ein<br />

Bombenauftrag für eine Druckerei. Ein Zeitzeuge erinnert sich<br />

gern.<br />

Baden-Baden im Herbst 2004. Eine schlossartige Villa in elegant<br />

schwingender Parklandschaft an der Oos. Der Hausherr<br />

ist von Kunst umgeben. Frieder Burda, 1936 als zweiter von drei<br />

Söhnen des Offenburger Verlegerehepaares Franz und Aenne Burda<br />

geboren, hatte eine schwere Kindheit. »Ich war der Mittlere,<br />

wurde überall herumgeschubst, hatte einen Sprachfehler, war<br />

Legastheniker, bin in der Schule sitzen geblieben. Aber ich hatte<br />

auch gute Gene: eine praktische Intelligenz.« Der Unternehmer<br />

kann es sich leisten, in seinen Selbstäußerungen bescheiden zu<br />

sein. Er hantiert mit Milliardenbeträgen, ist im Konzern zuständig<br />

für Beteiligungen. In der Branche gilt er als Finanzgenie mit<br />

bemerkenswerter Intuition in jeder Beziehung. Die Süddeutsche<br />

Zeitung bescheinigte dem Kunstsammler »ein beinahe unheimliches<br />

Gespür für Qualität«.<br />

Als er 1962 ohne Schulabschluss nach einem vom Vater verordneten<br />

Amerika-Aufenthalt zurückkehrt, soll er im Familienbetrieb<br />

eine Aufgabe übernehmen. Sein Vater traut ihm nicht viel<br />

zu, überlässt ihm die Verantwortung für eine kleine Druckerei in<br />

Darmstadt mit hundert Mitarbeitern, die vor allem Verpackungen<br />

druckt. »Eine Klitsche«, sagt Burda. »Es gab kaum einen Markt,<br />

die Preise waren schlecht, die Unternehmen druckten ihre Verpackungen<br />

lieber selbst. Ich habe dann angefangen mit Zeitschriften.<br />

Damals gab es viele Gespräche mit K.G., auch in Hohenhaus.<br />

Es ging um die Frage, ob man nicht die Freundin und die Für Sie<br />

zusammenlegen sollte.« Daraus wurde nichts. Stattdessen erhält<br />

Burda jr. den Auftrag, auf seinen Maschinen in Darmstadt die Für<br />

Sie zu drucken.<br />

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Heft 1, 1948 Heft 1, 1957<br />

»Wir waren schlecht gerüstet. Wir hatten nicht genug Leute.<br />

Ich bin nach Griechenland gereist, habe von dort Fremdarbeiter<br />

geholt. So ein Auftrag bedeutet mehr, als Papier zu bedrucken,<br />

falzen, kleben, binden. Eine Riesenaufgabe. Und ich war alles:<br />

Bilanzbuchhalter, Verkäufer, Headhunter; es gab nichts, was ich<br />

nicht gemacht habe. K.G. stand immer hinter mir. Er sah: Da ist<br />

ein junger Mann, der etwas tut, was eigentlich über seine Kräfte<br />

geht, der vieles lernen muss. Manchmal war es fast das Ende. Wir<br />

hatten Reklamationen, die uns in den Abgrund geführt hätten,<br />

Druckreklamationen, Anzeigenreklamationen. Damals wurde<br />

noch jede Anzeige an der Maschine abgenommen. Und wehe, es<br />

stimmten die Passer nicht oder die Farbe. Das konnte sehr teuer<br />

werden. K.G. hat immer zu mir gehalten, hat mir geholfen, hat<br />

auch mal eine Reklamation bezahlt, obwohl laut Vertrag wir hätten<br />

zahlen müssen. Ich hatte für den Auftrag neue Maschinen gekauft,<br />

hatte Kredite aufgenommen. Ohne die Für Sie wäre die Druckerei<br />

eine Klitsche geblieben.« Nach vier Jahren leitet Frieder Burda ein<br />

168<br />

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Heft 23, 1971 Heft 2, 1979<br />

Erfolgsunternehmen, mit moderns ten Maschinen und über achthundert<br />

Mitarbeitern. Trotzdem geht der lukrative Auftrag 1968<br />

verloren, als Folge eines Tauschgeschäfts. Schuld ist Petra.<br />

Der Boom der Frauenblätter ließ John Jahr nicht ruhen. Mit<br />

einer Startaufl age von 600 000 Exemplaren erscheint 1964 in seinem<br />

Constanze Verlag Petra – Die Frauenzeitschrift ohnegleichen, ein<br />

neuer Typ Monatsmagazin, der mit nie da gewesenem Aufwand<br />

an strategischen Voruntersuchungen, intensiver Marktforschung<br />

und teurer Werbung in den Markt gedrückt wird. Erfunden hatte<br />

das Blatt John Jahrs alter Freund Hans Huffzky (1913–1978),<br />

der als Argument für Petra zwei unwiderlegbare Zahlen ins Feld<br />

führte: »Acht Millionen Frauen lesen Frauenzeitschriften, vierzehn<br />

Millionen nicht.« Die wollte er haben. Huffzky war eine der<br />

profi liertesten und schillerndsten Persönlichkeiten unter den<br />

Blattmachern der Nachkriegszeit. Sein Handwerk lernte er Ende<br />

der zwanziger Jahre als Anzeigenmann bei der kommunistischen<br />

Arbeiter-Illustrierten, 1938 wurde er Chefredakteur der von John<br />

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Jahr gegründeten Jungen Dame, nach dem Krieg entwickelte er<br />

Brigitte, lenkte als Chefredakteur die von John Jahr gegründete<br />

Constanze und stieg nun auf zum »Direktor der Redaktion« bei<br />

Petra, in der auch das Constanze Mode-Sonderheft aufgegangen war.<br />

Die Titelseite zeigte kein Gesicht, kein Model und keine Klamotte,<br />

sondern moderne Typographie auf weißem Grund und eine<br />

Rosenblüte. Einen Roman gab es auch im Heft – auf rosa Papier.<br />

Doch der erwartete Erfolg bleibt aus. Die Rose welkt dahin, die<br />

erste Begeisterung schwindet ebenso wie die Anzeigen.<br />

Man verhandelt in Hamburg und Hohenhaus. Kurt <strong>Ganske</strong>,<br />

John Jahr und Richard Gruner einigen sich auf einen Deal: 1969<br />

wechselt Petra zum Jahreszeiten Verlag, dafür geht der lukrative<br />

Druckauftrag für die Für Sie an Gruner nach Itzehoe – für Frieder<br />

Burda ein herber Verlust. Für die Petra bedeutet der Wechsel zum<br />

Jahreszeiten Verlag auch ein Wechsel im Konzept. Verantwortlich<br />

dafür ist Michael <strong>Ganske</strong>.<br />

Seit 1964 hat Kurt <strong>Ganske</strong> seinem ältesten Sohn im Unternehmen<br />

Verantwortung übergeben. Er setzt den inzwischen 25-Jährigen<br />

als Verlagsleiter ein und übergibt ihm den Direktionsbereich<br />

»Redaktionen«. Michael <strong>Ganske</strong> macht sich mit Verve an die Arbeit.<br />

Sein freundliches, offenes Naturell kommt ihm zugute, der<br />

Umgang mit den Chefredakteuren ist freundschaftlich kollegial,<br />

ihm liegt die redaktionelle Arbeit, das Entwickeln und Umsetzen<br />

von Themen und Konzepten. Er ist aber, nach eigener Einschätzung,<br />

kein Zahlenmensch. Sein Vater lässt ihn machen, auch die<br />

Fehler, aus denen er lernen kann. »In meiner Laufbahn habe ich<br />

einen Riesenbockmist gemacht«, resümiert Michael <strong>Ganske</strong>, »das<br />

war die Zusammenlegung von Petra und Film und Frau. Das Flair<br />

von Film und Frau war weg. Unwiederbringlich.« Dafür bekommt<br />

Petra ein neues Profi l: anspruchsvolle Unterhaltung für jüngere<br />

Leserinnen. Das Konzept greift, Petra setzt sich im Feld der monatlich<br />

erscheinenden Frauenzeitschriften durch und ist 2004 die<br />

meistgelesene monatliche Frauenzeitschrift in Deutschland.<br />

170<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 170 <strong>01.11.2005</strong> 15:02:08 <strong>Uhr</strong>


Februar 1967 Januar 1979<br />

»1969 ist das Jahr der großen Marktbereinigung«, registriert die<br />

Kommunikationswissenschaftlerin Silvia Lott-Almstadt. Rund zwei<br />

Dutzend Frauenzeitschriften verkaufen laut IVW – der »Informationsgemeinschaft<br />

zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern«,<br />

die in Deutschland die Aufl agen der Printmedien registriert<br />

– 11,5 Millionen Exemplare. Noch liegt die Für Sie um<br />

80 000 Exemplare vor der Brigitte. Aber dann löst John Jahr den<br />

Constanze Verlag auf, der im Großverlag Gruner+Jahr aufgeht,<br />

und legt Constanze mit Brigitte zusammen. Nun belegt Brigitte in<br />

Deutschland den ersten Platz, den sie bis heute verteidigt.<br />

Auch der Jahreszeiten Verlag hat in den sechziger Jahren zugelegt.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> ist ein vorsichtiger Entwickler. Wo er seiner<br />

Sache nicht sicher ist, benutzt er das beste aller Marktforschungsinstrumente:<br />

den Markt selbst. »Seine Redaktionen haben Zeitschriften<br />

zusammengebastelt und mit Bordmitteln in den Markt<br />

gebracht«, berichtet Erika Schmied. Das war nicht unbedingt die<br />

billigste aller Methoden, aber immer noch besser als ein Werbe-<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 171 <strong>01.11.2005</strong> 15:03:28 <strong>Uhr</strong><br />

171


1957, Sonderheft<br />

»Film und Frau«<br />

feldzug, der am Markt vorbeizielt, oder der kräftezehrende Frust<br />

jahrelang angeschobener, stolz präsentierter und im Spießrutenlauf<br />

der Bedenkenträger zerredeter Geheimprojekte.<br />

Doch der Markt ist launisch, Erfolg eine Schimäre, und eine<br />

Marktlücke kann auch ein Abgrund sein. Der Verleger Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> ist kein Dynamiker, sondern ein umsichtiger Planer.<br />

Sinnleeres Entertainment ist seine Sache nicht. Seine Frauenzeitschriften<br />

folgen einer Leitlinie: Sie müssen sinnvoll sein,<br />

Lebenshilfe und Orientierung geben, Antworten auf alltägliche<br />

Fragen geben können. Seine Erfahrungen mit dem Lesezirkel<br />

sind Kapital, das sich verzinst, Erkenntnisse aus der Praxis, die<br />

zuverlässiger sind als akademische Marketingstudien. Er spürt<br />

nicht die Bedürfnisse seiner Leserinnen, er kennt sie. 1967 gründet<br />

er die Zeitschrift Zuhause (heute Zuhause Wohnen), im Jahr<br />

darauf startet Architektur und kultiviertes Wohnen, hervorgegangen<br />

aus Film und Frau, wo schon seit 1957 ein Sonderheft über<br />

172<br />

2. Halbjahr 1968<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 172 <strong>01.11.2005</strong> 15:03:42 <strong>Uhr</strong>


1. Halbjahr 1971 September 1978<br />

Architektur und Wohnkultur erschienen war. Nun steht es auf eigenen<br />

Füßen. Das Heft erscheint zweimal im Jahr und wird 1971<br />

in Architektur & Wohnen umbenannt. Der »Klassiker unter den<br />

hochwertigen Wohn- und Lifestyle-Zeitschriften in Deutschland«,<br />

so die Verlagswerbung, bahnt sich – eine typische <strong>Ganske</strong>-Strategie<br />

– in langsamen Schritten seinen Weg. Ab 1977 erscheint der<br />

Titel dreimal, ab 1978 viermal im Jahr. Seit 1985 erscheint das<br />

Magazin alle zwei Monate.<br />

Die Entwicklung dieser Zeitschrift liegt in Händen von Christa<br />

von Hantelmann. Kurt <strong>Ganske</strong> hatte ihr die Aufgabe mit den Worten<br />

anvertraut: »Suchen Sie sich aus, wo Sie arbeiten wollen.« Es<br />

war ein Moment tiefer Erschütterung. Alle Zeitzeugen berichten<br />

einmütig, dass Kurt <strong>Ganske</strong> wohl nichts so sehr getroffen habe wie<br />

der frühe Tod seines Freundes und Vertrauten Albrecht Bürkle,<br />

der am 15. April 1963 47-jährig seinem vierten Herzinfarkt erlag<br />

und seine junge Frau mit zwei kleinen Kindern zurückließ.<br />

»Ich erinnere Kurt <strong>Ganske</strong> als väterlichen, sozial denkenden<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 173 <strong>01.11.2005</strong> 15:03:51 <strong>Uhr</strong><br />

173


Unternehmer«, berichtet Christa von Hantelmann. Sie trägt den<br />

Namen ihres zweiten Mannes, mit dem sie zwei Kinder hat. »Alle<br />

vier Kinder haben Abitur, drei haben studiert, zwei promoviert«,<br />

sagt sie nicht ohne Stolz. Sie hat aber auch Architektur und kultiviertes<br />

Wohnen großgezogen, ein Wohnjournal von bekennender<br />

Noblesse, das es in dieser Art nicht gab. Ihr persönlicher Stil prägt<br />

auch die zweite Entwicklung, die sie 1988 in den Markt bringen<br />

wird: Country, ein exklusiver Titel, den Ralph Lauren einmal »die<br />

eleganteste Zeitschrift in Deutschland« nannte.<br />

Die Presselandschaft der sechziger Jahre bringt viele Talente<br />

hervor. Einige kann Kurt <strong>Ganske</strong> in seinem Haus versammeln.<br />

Eine Chance aber hat er nicht ergriffen.<br />

Hausbesuch in München-Schwabing. »Kurt <strong>Ganske</strong> war der<br />

einzige Großverleger, für den ich nicht gearbeitet habe«, erzählt<br />

Adolf Theobald, Branchenname Theo, »aber ich schätzte ihn sehr.<br />

Er hat sein Unternehmen mit großem Geschick geführt und sich<br />

immer sehr anständig verhalten. Ein Gentleman.« Der 74-jährige<br />

Blattmacher ist gut gelaunt; gerade hat er zum ersten Mal seinen<br />

Schachcomputer besiegt. Die Spielzüge seines Lebens sind immer<br />

unkonventionell und überraschend gewesen. Der Journalist und<br />

Zeitschriftenerfi nder vom Jahrgang 1930 wollte eigentlich Pianist<br />

werden. »Die aktive Beschäftigung mit Musik ist ein intellektuelles<br />

Training, das ich nur empfehlen kann; es schult die geistigen<br />

Fähigkeiten wie kein anderes Fach, und das Sensorium. Wenn<br />

man lernt, einen Ton auf einem Klavier in zwanzig Stärken zu<br />

spielen, bekommt man ein Verhältnis zum Sublimen, man wird<br />

offener für Nuancen. Ich bin überzeugt, dass mein Sensorium für<br />

Zeitschriften weniger entwickelt gewesen wäre, wenn ich nicht<br />

durch diese Schule gegangen wäre.«<br />

Aus dem Studium des Klaviers wird wegen einer Muskelschwäche<br />

dann doch Betriebswirtschaft. Der Student jobbt als Bote beim<br />

Rheinischen Merkur, bringt als freier Mitarbeiter Manuskripte von<br />

der Redaktion in Köln zur Druckerei nach Koblenz. »Meine<br />

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Laufbahn entspricht dem Traum einer Karriere: vom Boten zum<br />

Aufsichtsrat. Was mir allerdings fehlt, ist das Verhältnis zum Geld.<br />

Es hat mich nie richtig interessiert. Ich habe ein Gespür für den<br />

Markt.« Dieses Gespür und ein gesundes Maß an Selbstvertrauen<br />

bringen ihn für eine Stunde mit Kurt <strong>Ganske</strong> zusammen, und es<br />

ist nicht die Stunde des Verlegers. Dabei hätten sie sich eigentlich<br />

gut verstehen müssen.<br />

1961 gründet Theo die inzwischen legendäre Zeitgeistzeitschrift<br />

Twen, mit der Hilfe des Artdirectors Willy Fleckhaus und<br />

des Kölner Verlegers Alfred Neven DuMont. »Neven sagte: ›Gebt<br />

mir eure Anzeigenaufträge, egal wie viel es ist, wir übernehmen<br />

Druck und Vertrieb.‹ Das war gentlemanlike. Und wenn’s mal<br />

nicht so geklappt hat mit den Anzeigen, sagte er: ›Macht weiter.<br />

Wir drucken es.‹« Als er selbst kein Twen mehr ist, verkauft Theo<br />

das Magazin an Kindler und Schiermeier und hat dadurch genug<br />

Geld zusammen für seine nächste Entwicklung, die er wieder auf<br />

eigene Faust und mit Bordmitteln auf den Markt bringt. »1965<br />

suchte ich einen Teilhaber für meine neu gegründete Zeitschrift<br />

Capital. Ich war mir meiner Sache sicher. Ich hatte eine gute Position.<br />

Die Aufl age betrug 25 000, der Copypreis zehn Mark.« Das<br />

monatlich erscheinende Wirtschaftsmagazin macht nicht gerade<br />

Furore, aber in Fachkreisen erweckt es Aufmerksamkeit.<br />

Zehn Mark sind zu viel. Theo muss den Preis auf fünf, dann<br />

auf drei Mark zurücknehmen, die Aufl age geht allmählich hoch.<br />

»Aber mir war immer klar, dass man so etwas nicht aus der Küche<br />

raus auf den Markt bringen kann. Es geht nicht ohne Kapital. Ich<br />

hatte mich in Unkosten gestürzt und einen Wirtschaftsprüfer engagiert,<br />

der ein Gutachten erstellt hatte. Ich fühlte mich gut gerüstet.<br />

Ich konnte wählen, mit wem ich die Sache machen wollte.<br />

Ich war schon beim Handelsblatt, bei der Süddeutschen Zeitung und<br />

bei Springer gewesen. Nun traf ich also Kurt <strong>Ganske</strong>. Aber ich<br />

weiß nicht, ob er wirklich Interesse hatte. Ich glaube, die treibende<br />

Kraft war sein Geschäftsführer Rainer Ulrich, der ihm riet, sich<br />

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September 1970 August 1972<br />

das Ganze mal anzusehen. Wir verabredeten uns in Köln, in der<br />

Halle des Excelsior Hotel Ernst. Er ließ mich anderthalb Stunden<br />

warten. Dann kam er und entschuldigte sich. Ich hatte den Eindruck,<br />

es ging ihm nicht gut. Seine Hände zitterten. Wir haben<br />

dann nur über Zahlen gesprochen. Er blickte immer wieder in<br />

die Unterlagen, stellte Fragen, aber ich spürte: Er war an dem<br />

Thema nicht journalistisch interessiert.«<br />

Man geht auseinander. Theo zieht weiter. »Schließlich landete<br />

ich bei John Jahr. Ich holte meine Zahlen heraus, aber Jahr lachte<br />

nur: ›Die lassen Sie man in der Tasche. Die stimmen sowieso nicht.‹<br />

Er wollte mich und nicht die Zahlen. Das gab den Ausschlag. Bei<br />

John Jahr ging die Aufl age dann ziemlich schnell nach oben. Capital<br />

machte 30 Millionen Mark Gewinn, die Rendite betrug zwanzig<br />

Prozent, eine Cash Cow des Unternehmens Gruner+ Jahr.«<br />

Theobald leitet das Blatt zehn Jahre, geht in den Vorstand des Unternehmens,<br />

wechselt in die Schweiz, gründet mit Horst Stern die<br />

Zeitschrift Natur, wird dann, wieder bei Gruner+ Jahr, Chefredak-<br />

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März 1974 Mai 1979<br />

teur von Geo, wechselt als Geschäftsführer zum Spiegel und führt bei<br />

der Zeit die Geschäfte. Kurt <strong>Ganske</strong> hat im vertraulichen Gespräch<br />

den Fehler eingestanden, die Chance, diesen Mann zu engagieren,<br />

nicht ergriffen zu haben.<br />

Er baut sein Unternehmen aus. Lange schon plant er, ein Gesundheitsmagazin<br />

herauszubringen. Seine Erfahrung ist: Von allen<br />

Themen, die Leserinnen bewegen, sind es vor allem Fragen<br />

zur Gesundheit, die immer wieder gestellt werden. Daran hat sich<br />

seit den zwanziger Jahren nichts geändert, eine verläss liche Konstante.<br />

1970 bringt er die Monatszeitschrift Vital im Jahreszeiten<br />

Verlag heraus, die heute, im Zeitalter der Fitnesswelle und galoppierender<br />

Wellness, weit über eine Viertelmillion Hefte verkauft,<br />

zu den erfolgreichsten Monatstiteln unter den Frauenzeitschriften<br />

zählt und unter den monatlichen Gesundheitsmagazinen die<br />

Marktführerschaft hält.<br />

Trotz aller Vorsicht bleibt Kurt <strong>Ganske</strong> von Misserfolgen jedoch<br />

nicht verschont. 1971 startet er ein Wissenschaftsmagazin.<br />

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Geplant war es als monothematisches Monatsheft, das zunächst<br />

Akut heißen sollte. Nach den Vorstellungen des Wissenschaftspublizisten<br />

Hoimar von Ditfurth sollte jedes Heft jeweils ein Wissenschaftsthema<br />

anschaulich behandeln und in allen Facetten<br />

ausleuchten. Aber Rüdiger Hildebrandt, als Verlagsleiter bei<br />

Hoffmann und Campe fürs Kaufmännische zuständig, veränderte<br />

das Konzept und machte aus dem Blatt eine Art Spiegel für Wissenschaftsthemen.<br />

Der Markt äußerte ein klares Nein. Schon bald<br />

nach seinem Entstehen musste das Blatt wieder eingestellt werden.<br />

Mit einer anspruchsvollen Wissenschaftszeitschrift in Deutschland<br />

kommt Kurt <strong>Ganske</strong> offenbar drei Jahrzehnte zu früh.<br />

Er ist 70 Jahre alt, als er Jochen Karsten den Auftrag gibt, eine<br />

neue Zeitschrift zu entwickeln. Einen Titel gibt es schon: Der Feinschmecker.<br />

Er hat ihn vom Arne Verlag des Kochbuchautors Arne<br />

Krüger erworben. Jochen Karsten macht sich an die Arbeit und<br />

legt drei Wochen später das Konzept für eine Gourmet-Zeitschrift<br />

vor. Unterhaltend und kritisch soll sie sein, mit einer genießerischen<br />

Balance aus kulinarischen Reisethemen, Hotel- und Restauranttests,<br />

Porträts von Meisterköchen und ihren geheimen Rezepten.<br />

Er dachte an Reportagen über Weingüter und Weinregionen,<br />

plante Vergleichstests der besten Weine als Blindverkostungen<br />

ohne Ansehen von Herkunft und Preis. Produkte rund um das<br />

Thema sollten vorgestellt werden, Ideen für Küche und Lebensart.<br />

Michael <strong>Ganske</strong> war auf seiner Seite.<br />

Doch im Verlag bauen sich Widerstände auf. Eine ganze Riege<br />

von hochkarätigen Verlagsmanagern macht Front gegen das Projekt<br />

und erklärt, warum man dieses Risiko nicht eingehen dürfe,<br />

warum es nicht funktionieren könne und was außerdem noch<br />

dagegen spreche. Als hätten sie sich verschworen. Der Verleger<br />

sitzt dabei und schweigt. Die Manager reden sich heiß, begraben<br />

das Projekt unter Einwänden, treten es in destruktiver Emphase<br />

in die Tonne. Karsten ist deprimiert. War alles umsonst? Endlich<br />

kommt vom Verleger das erlösende: »Mir gefällt’s.« Im Hinaus-<br />

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Januar 1975 April 1978<br />

gehen raunt er: »Das Konzept ist gut. Jetzt müssen Sie nur noch<br />

einen Chefredakteur suchen.« Karsten strahlt: »Der steht vor<br />

Ihnen.« Der Verleger blickt ihn kurz an. »Dann machen Sie’s.«<br />

So entsteht Der Feinschmecker. Die Erstausgabe erscheint mit dem<br />

Untertitel »Tafelfreuden international« in einer Startaufl age von<br />

100 000 Exemplaren. Es folgen die haustypischen Trippelschritte,<br />

eine lange Testphase mit vier Ausgaben im Jahr, 1986 wird die Frequenz<br />

auf sechs erhöht, ab 1989 erscheint das Blatt monatlich.<br />

Jochen Karsten leitet das Blatt vierzehn Jahre, gewinnt Wolfram<br />

Siebeck und Horst-Dieter Ebert als Kolumnisten. Letzterer<br />

tritt 1989 seine Nachfolge als Chefredakteur an. Über die ideale<br />

Zielgruppe hatte sich Karsten nie viele Gedanken gemacht. Er<br />

hatte einen Menschen vor Augen, der gern isst und trinkt, einen<br />

erfahrenen, kritischen wie begeisterungsfähigen Genießer mit<br />

gutem Einkommen, der gern liest und der gern reist, der Erfahrungen<br />

hat mit der Haute Cuisine, aber auch bodenständige<br />

Küche mag. Ein profunder Weinkenner sollte er sein, der die edelsten<br />

Gewächse des Bordelais ebenso zu schätzen weiß wie einen<br />

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sauber gemachten Riesling zum Abholpreis, eine Persönlichkeit,<br />

die offen ist für neue Erlebnisse, die gar nicht genug erfahren<br />

kann über die Vielfalt guter Whiskys oder feiner Obstbrände,<br />

jemand, der gern mal eine gute Zigarre raucht. Jochen Karsten<br />

hatte seinen idealen Leser ständig vor Augen: Kurt <strong>Ganske</strong>. Schön<br />

wäre es allerdings gewesen, wenn diese real exis tierende Idealfi<br />

gur eines Feinschmecker-Lesers auch selbst hätte kochen können.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> wusste zwar, wie man in schweren Zeiten Kaninchen<br />

fängt und im Kochgeschirr am offenen Feuer zubereitet, aber mit<br />

diesen Fähigkeiten war er nicht mehr auf der Höhe der Zeit.<br />

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DICHTER UND VERLEGER<br />

Albrecht Knaus – Die »Deutschstunde« –<br />

Hoffmann und Campes große Zeit – Die »Love Story« –<br />

Willy Brandt und Willy Fleckhaus – Höhenfl üge<br />

im Grünen – Ringgauer Impressionen<br />

Eine Altbauwohnung in der Au, dem beschaulichen Stadtteil in<br />

München. Knarzendes Parkett, Bücher in Regalen, auf Tischen,<br />

in Stapeln – Bildbände, Erstausgaben, Taschenbücher, ein geistiger<br />

Raum. Das meiste Wissen aber scheint in der Person des<br />

alten Herrn versammelt, der mit einem phänomenalem Gedächtnis<br />

für Dialoge und Details, Personen und Situationen aus seinem<br />

reichen Leben erzählt. Albrecht Knaus, Jahrgang 1913, studierter<br />

Germanist, Historiker, Kunsthistoriker und Zeitungswissenschaftler,<br />

promovierte über ein Thema der bayerischen Sozialdemokratie<br />

bei Alexander von Müller. Wegen jüdischer Vorfahren blieb<br />

ihm im nationalsozialistischen System eine wissenschaftliche Laufbahn<br />

verwehrt. Sein Urgroßvater war Hermann Mendelssohn, Verleger<br />

in Leipzig. Und dessen Großvater Joseph Mendelssohn war,<br />

wie Albrecht Knaus später herausfand, Autor beim Hoffmann und<br />

Campe Verlag. Im Jahre 1839 erschien dort seine Textsammlung<br />

»Blüten«.<br />

Schon als Schüler war Albrecht Knaus ein begeisterter Leser.<br />

Zum Abitur bekam er von seiner Mutter hundert Reichsmark geschenkt.<br />

Er bezahlte davon eine Reise nach Weimar, wo 1932 der<br />

hundertste Todestag Goethes gefeiert wurde. Was für ein Erlebnis!<br />

Reichskanzler Brüning war gekommen und Elisabeth Förster-<br />

Nietzsche, die Schwester Friedrich Nietzsches, damals schon hoch<br />

in den Achtzigern – für Albrecht Knaus eine Begegnung, die er<br />

nie vergessen wird. In Weimar lernte er Thomas Mann kennen,<br />

den er schon als Pennäler verehrte. Der Schriftsteller nahm ihn<br />

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mit ins Zentrum der versammelten Prominenz und stellte ihn<br />

auch der alten Dame vor. Zurück in München lud ihn Thomas<br />

Mann zu einem Spaziergang an der Isar ein. »Er sprach über<br />

die drohende Katastrophe, in die Deutschland durch den Nationalsozialismus<br />

schliddern würde, schlug immer wieder erregt<br />

mit seinem Bambusstock auf den Boden. Im Grunde wiederholte<br />

er, was er schon 1917 in der Frankfurter Zeitung geschrieben hatte:<br />

Die Niederlage würde den Nationalsozialismus zu furchtbarer<br />

Macht erharten lassen – der ›Wiederherstellungskrieg‹ wäre nur<br />

eine Frage der Zeit.«<br />

Abrecht Knaus kommt als Volontär bei Paul Hugendubel, Verlag<br />

und Sortiment, in München unter und bewirbt sich 1939 bei<br />

dem Verleger Reinhard Piper, der den jungen Mann anscheinend<br />

gut gebrauchen kann. Doch das Glück währt nur kurz. Knaus<br />

muss an die Front. Im Frühjahr 1945 geht er wieder zu Piper, wird<br />

Lektor und Hersteller, dann Verlagsleiter. Nach zehn Jahren folgt<br />

er einem Angebot von Scherz und Goverts und geht später zu<br />

Ullstein/Propyläen.<br />

Das Angebot aus Hamburg kommt 1965. »K.G. suchte einen<br />

neuen Verlagsleiter. Das Treffen war für einen Samstagnachmittag,<br />

drei <strong>Uhr</strong>, vereinbart und sollte eine Stunde dauern. Es wurden<br />

vier Stunden daraus. Vier Stunden! Das wurde so schnell keinem<br />

anderen Sterblichen zuteil. Albrecht Knaus wird als Programmchef<br />

eingestellt und macht sich an die Arbeit. »K.G. saß im Haus<br />

nebenan. Ich habe ihn nie bei uns gesehen. Das Interesse, einfach<br />

mal vorbeizukommen und zu sehen, was machen die denn so?<br />

Das gab es nicht bei ihm. Nie! Er lebte in selbst gewählter Distanz,<br />

zurückgezogen in seiner Raubritterburg, wie das Haus gelegentlich<br />

genannt wurde. Sein Zimmer war sein Arkanum. Ich habe<br />

ihn nie am Schreibtisch erlebt. Wenn er mit uns sprach, dann<br />

immer in einem Besprechungszimmer. Wir hatten allerdings privat<br />

etwas Kontakt. Ich erinnere noch, wie er und seine Frau bei<br />

uns in Othmarschen zum Essen waren. Er war unruhig, stand auf<br />

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und führte ein paar Telefonate nebenan. Es war 1969, der Tag, an<br />

dem die Große Koalition geschmiedet wurde. Anscheinend hatte<br />

er mit dem Rheinischen Merkur gesprochen, um zu erfahren, wie<br />

die Zeitung, die ihm damals noch gehörte, sich dazu stellte.«<br />

In fi nanziellen Fragen herrschten klare Verhältnisse: »Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> war wohlhabend und deshalb sparsam. Nur Leute, die<br />

kein Geld haben, schmeißen es zum Fenster raus! Sein Motto<br />

war: ›Nicht aufgeben!‹ So hat er gegen alle Widerstände Merian<br />

durchgesetzt. Und so hat er im Prinzip immer gehandelt.« Für<br />

Männer wie Albrecht Knaus ist das Prinzip der langen Leine der<br />

ideale Führungsstil. »Ich hatte viele Freiheiten und konnte einiges<br />

machen, wo andere schrien: Um Gottes willen, das haben wir<br />

noch nie gemacht! K.G. musste ich nie fragen, aber Rüdiger Hildebrandt.«<br />

Mit dem selbstbewussten Verlagsleiter fürs Kaufmännische<br />

verbindet ihn eine produktive und manchmal auch streitbare<br />

Zusammenarbeit. »Wenn zwei gemeinschaftlich arbeiten, gibt<br />

es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie raufen sich zusammen,<br />

oder einer bringt den anderen um.« Das Team rauft mit Erfolg.<br />

Intuitiv greift Knaus nach Stoffen, die riskant erscheinen. Zum<br />

Beispiel Yigael Yadins »Masada«. Obwohl der Autor C. W. Ceram<br />

sich bei Heinrich Maria Ledig-Rowohlt leidenschaftlich für das<br />

Werk eingesetzt hatte, lehnte dieser es ab.<br />

»Als Ceram mir von dem Stoff erzählte, habe ich die Ohren<br />

aufgestellt. Es war eine Geschichte aus dem ersten Jahrhundert<br />

nach Christus, die Tragödie der Juden in der Burg des Herodes,<br />

die sich lieber als freie Menschen vom Felsen stürzten, als sich von<br />

den Römern unterjochen zu lassen. Warum sollte sie nicht in dem<br />

Verlag herauskommen, der auch Merian herausbrachte? Das Buch<br />

erschien wenige Monate vor dem Sechs-Tage-Krieg und bekam<br />

dadurch natürlich eine besondere Aktualität. Es lief wie die Feuerwehr.<br />

Zu meiner großen Überraschung rief mich sogar Ledig-<br />

Rowohlt an. ›Gratuliere! Respekt!‹ Das Einzige, was schmerzlich<br />

war: Im Dezember hatten wir keine Vorräte mehr. Hildebrandt<br />

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hatte nicht nachgedruckt. Wir saßen da ohne ein Exemplar und<br />

hätten im Weihnachtsgeschäft Tausende verkaufen können. Damals<br />

war Papier immer wieder einmal knapp. Man musste lange<br />

vorher bestellen, und es war eine Affäre von Wochen, bis die<br />

Nachaufl age kam. Für mich hatte ›Masada‹ noch eine besondere<br />

Bedeutung. Mit diesem Buch bezeugte ich mein Interesse am Judentum<br />

und seiner Geschichte, eine Verbindung, die sich später<br />

oft in Zusammenarbeit mit dem Verleger Sir Arthur George Weidenfeld<br />

niederschlug. Von ihm habe ich dann auch Golda Meirs<br />

Autobiografi e ›Mein Leben‹ bekommen.«<br />

»Man muss alt werden, dann erlebt man was«, sinniert Knaus.<br />

Die Reihe der Campe-Klassiker, 1956 zum hundertsten Todestag<br />

Heinrich Heines gestartet und eine Liebhaberei des Verlegers, bot<br />

bereits die Werke von Goethe, Schiller, Shakespeare, Hebbel, Lessing,<br />

Mörike und Novalis. Knaus brachte die Werke Tiecks heraus<br />

und Ibsen in neuer Übersetzung, eine schöne Reihe gewissenhaft<br />

ausgewählter Textausgaben zur Einführung in die Literatur. Dazu<br />

zählte für Knaus auch das Werk eines bis heute noch gefl issentlich<br />

unterschätzten Dichters: 1971 erschien eine einbändige Ausgabe<br />

mit den Dramen Richard Wagners. Die letzte Ausgabe seiner<br />

dramatischen Werke lag annähernd fünfzig Jahre zurück. Knaus<br />

konnte Joachim Kaiser für eine Einführung gewinnen. Es folgte<br />

die auf sechzehn Bände angelegte historisch-kritische Gesamtausgabe<br />

der Werke Heinrich Heines in Konkurrenz zur Weimarer Heine-Ausgabe<br />

– ein Jahrhundertvorhaben, herausgegeben von dem<br />

Düsseldorfer Germanisten Manfred Windfuhr und einem Kreis<br />

namhafter Wissenschaftler, fl ankiert durch eine Serie von Heine-<br />

Studien und vom Heine-Jahrbuch. So wurde der angestammte<br />

Verlag des Dichters zu einem Forum moderner Heine-Forschung,<br />

für Albrecht Knaus aber auch begleitet von einer irritierenden<br />

Erfahrung. »Es war die Zeit, als ausgerechnet in Düsseldorf darum<br />

gekämpft wurde, ob die Stadt ihrer Universität den Namen ›Heinrich-Heine-Universität‹<br />

geben sollte. Die Widerstände dagegen<br />

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waren permanent. Ich sage es nicht gern, aber wir Deutschen sind<br />

ein Spießer-Volk. Mit Juden ist es noch immer so eine Sache.«<br />

1968 erlebt der Hoffmann und Campe Verlag einen Höhepunkt<br />

seiner 158-jährigen Historie. Mit seinem Roman »Deutschstunde«<br />

gelingt Siegfried Lenz der Durchbruch. Die Geschichte<br />

vom Polizistensohn Siggi Jepsen, der in der Jugendhaftanstalt<br />

einen Aufsatz über »die Freuden der Pfl icht« schreiben soll und<br />

ein leeres Heft abgibt, führt zurück ins Jahr 1943 und zeigt in der<br />

Rückblende den Konfl ikt zweier Jugendfreunde – des Dorfpolizisten<br />

Jens Ole Jepsen, Vater des Inhaftierten, und des Malers Max<br />

Ludwig Nansen, unschwer erkennbar ein literarisches Porträt<br />

Emil Noldes, der wegen seiner »entarteten Kunst« Malverbot erhielt.<br />

Die »Deutschstunde« erzählt, wie es sich Jepsen zur Pfl icht<br />

macht, dieses Malverbot zu überwachen; eine packend und eindringlich<br />

gestaltete Auseinandersetzung mit unserer anscheinend<br />

ererbten, unerschütterlichen Autoritätshörigkeit. Die »Deutschstunde«<br />

zählt zu den Meisterwerken deutscher Nachkriegsliteratur<br />

und wird in sechsundzwanzig Sprachen übersetzt.<br />

Siegfried Lenz wird der wichtigste Autor des Verlages, in dem<br />

alle seine sechzehn Romane, über hundert Erzählungen, zahlreiche<br />

Hörspiele und Essays sowie vier Theaterstücke erschienen.<br />

Unter den Bestsellern der Ära Kurt <strong>Ganske</strong> fi nden sich von Siegfried<br />

Lenz: »So zärtlich war Suleyken« (1955), das allein als Taschenbuch<br />

einen Millionenerfolg erzielte, »Das Feuerschiff (1960),<br />

»Die Deutschstunde« (1968) und »Heimatmuseum« (1978).<br />

Zwei Bücher hebt Knaus besonders hervor; eine Erzählung hat<br />

als bibliophile Kostbarkeit inzwischen schon historischen Wert:<br />

»Einstein überquert die Elbe bei Hamburg« mit den eigens dafür<br />

geschaffenen Lithographien Oskar Kokoschkas. Eine Sonderstellung<br />

hat für Knaus auch die Sammlung literaturtheoretischer<br />

Abhandlungen »Beziehungen – Ansichten und Bekenntnisse zur<br />

Literatur« (1970). »Kein anderer deutscher Schriftsteller seiner<br />

Zeit hat sich so intensiv mit Dichtung beschäftigt.«<br />

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Siegfried Lenz wird mit vielen Auszeichnungen und Preisen<br />

geehrt, darunter der Gerhart-Hauptmann-Preis, der nach Jean<br />

Paul benannte Bayerische Staatspreis für Literatur, Lübecks Thomas-Mann-Preis,<br />

der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels<br />

und der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Zur Heinrich-<br />

Heine-Professur der Universität Düsseldorf kommen die Ehrendoktorwürde<br />

der Universität Erlangen-Nürnberg und der philosphischen<br />

Fakultät der Universität Hamburg sowie zahlreicher<br />

Hochschulen im Ausland. Lenz ist Ehrenbürger von Hamburg<br />

und Schleswig-Holstein.<br />

Neugierige Fragen zur Arbeitsweise beantwortet Siegfried Lenz<br />

mit nachsichtiger Geduld. Im Sommer 2004 hat der 78-Jährige<br />

wieder ein großes Projekt in Angriff genommen. Über den Stoff<br />

sagt er nichts, für sein beharrliches Erfi nden immer neuer Geschichten<br />

hat er eine einfache Erklärung: »Ich habe Huckfl eisch.<br />

So sagt man es in den Masuren.« Schreiben ist anstrengend, eine<br />

alltägliche Pfl icht, die er sich auferlegt, aber nichts, worunter er<br />

leidet. »Ich habe viele Dinge gern geschrieben. Und ich habe immer<br />

geschrieben, ohne mir ein Pensum vorzunehmen. Als Heinrich<br />

Böll sehr krank war, habe ich ihn in der Ackertalklinik besucht.<br />

Wir haben über das Handwerk geredet, und er war von einer rührenden<br />

Treuherzigkeit. ›Wie viel schreibst du am Tag?‹, wollte er<br />

wissen, und dann sagte er: ›Eine Seite am Tag, stell dir mal vor, du<br />

schaffst jeden Tag eine Seite, was du dann im Jahr schreiben könntest.<br />

Eine Seite am Tag. Das wär mein ideales Pensum.‹«<br />

Siegfried Lenz hat sein persönliches Pensum nie errechnet;<br />

jedenfalls spricht er nicht darüber. Schreibt es sich anders, wenn<br />

man älter wird? »Das Schreiben wird schwerer. Das Alter übt einen<br />

unerwünschten Einfl uss auf die Arbeit aus, verzögert, verschleppt.<br />

Die Phantasie lässt nicht nach, aber die Kombinatorik.« Hilft die<br />

Altersweisheit? Ein spöttischer Blick aus blauen Augen. »Ist das eine<br />

ernsthafte Frage? Ich hoffe, meine Irrtumsfähigkeit erhalten zu haben<br />

und die Bereitschaft, mich zu korrigieren.«<br />

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Er schreibt immer noch, wie vor siebenundfünfzig Jahren, alles<br />

mit der Hand. Seine Frau Lilo tippt es ab, korrigiert hier und da.<br />

Sie reden darüber. »Sie schreibt alles zu meiner schließlichen Zufriedenheit«,<br />

sagt er mit einem Lächeln. Er spricht über die Figuren,<br />

die sich nicht selbständig machen dürfen, über das Tagwerk<br />

des Ausdenkens. »Ich versetze mich in meine Figuren. Man muss,<br />

was man sagen will, erfi nden, auch den Pfeil, der das Ganze ins<br />

Ziel trägt. Das Bild entsteht ganz langsam aus gesammelten Sinneseindrücken.<br />

Der Maler vor der Staffelei, das Innere einer Jugendstrafanstalt<br />

oder eine Schiffsverwertung, das muss ich gründlich<br />

recherchieren. Ich brauche Realität, um sie zu bebildern.«<br />

Millionen hat er so in die Realität seiner Figuren entführt.<br />

Hoffmann und Campe, das Haus, in dem sein Werk erscheint,<br />

wächst zu einem der führenden Verlagshäuser in Deutschland.<br />

Albrecht Knaus baute das Programm aus. Die 1965 begonnene<br />

Reihe launiger Porträts regionaler Eigenarten »Deutschland, deine<br />

…« war mit Sachsen und Preußen ganz moderat gestartet. Mit<br />

»Deutschland, deine Schwaben« von Thaddäus Troll gelang dem<br />

Verlag ein geradezu ungestümer Verkaufsschlager, der sich als<br />

Dauerbrenner erweisen sollte. Doch die Heiterkeit der Provinz<br />

ist nur eine von vielen Facetten im Programm.<br />

»Die Verlegerei ist ein Geschäft mit eigenen Gesetzen: Nase ist<br />

wichtig, Einfälle, Initiative und nicht zuletzt Mut zum Risiko, aber<br />

auch gute Beziehungen zu Autoren und Agenten«, fasst Knaus<br />

zusammen. Erfolg lässt sich nicht planen, und die berühmte Werbung<br />

nützt gar nichts.« Knaus zitiert gern seinen unvergessenen<br />

Lehrmeister Reinhard Piper: »Werbung lohnt nur für Bücher, die<br />

von selber geh’n.«<br />

Warum nun manche Bücher gehen und andere nicht, bleibt<br />

ein Rätsel. Manchmal kommen Bestseller anscheinend aus<br />

dem Nichts. Erich Segal, Altphilologe an der Harvard University,<br />

schreibt eine romantisch-sentimentale Liebesgeschichte. Sie<br />

hat sich auf dem Campus zugetragen. Der Tod einer Studentin<br />

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ging ihm so nahe, dass er ihre Geschichte aufschreiben musste.<br />

Der Band war kaum 130 Druckseiten lang. Sein Verlag brachte<br />

ihn nur heraus, weil der Autor mit wissenschaftlichen Publikationen<br />

in der Kreide stand. Vielleicht ließ sich ja das Minus auf<br />

diese Weise etwas ausgleichen. Großes Zutrauen hatte er nicht.<br />

McGraw Hill druckte das Buch, zahlte aber keinen Vorschuss und<br />

machte keine Werbung. In den deutschsprachigen Ländern biss<br />

niemand an. Der Zürcher Literaturagent Paul Fritz hatte kein<br />

Glück mit dem Stoff bei deutschsprachigen Verlegern, denn<br />

Ende der sechziger Jahre wehte ein stürmischer Zeitgeist. »Es war<br />

eine schwierige Zeit fürs Erzählen«, erinnert sich Knaus, »nur das<br />

Diskursive zählte. Der Roman war tot. Wie Gott bei Nietzsche.«<br />

Es gab allerdings im Hoffmann und Campe Verlag eine kleine,<br />

durchaus beliebte Reihe, in die das Werk hätte hineinpassen können.<br />

Siegfried Lenz’ »Lehmanns Erzählungen« und »Das Feuerschiff«<br />

waren schon dort erschienen. »Ich war unschlüssig, wollte<br />

sichergehen und hatte die ›Love Story‹ unserer erfahrenen Alt-<br />

Lektorin Harriet Wegener übers Wochenende zu lesen gegeben.<br />

Am Montag fand ich zehn Zeilen, an ihre Sekretärin diktiert. Bei<br />

vernünftigem Honorar könne man es machen. Auch Hildebrandt<br />

war nicht dagegen, und so kam es zum Vertrag zu mäßigen Bedingungen.<br />

Inzwischen war Erstaunliches passiert. Erich Segal stand<br />

plötzlich auf Platz vier der New-York-Times-Liste, ohne Anzeige,<br />

ohne Rezension, und dann wochenlang auf Platz eins! Die ›Love<br />

Story‹ ging um die Welt. Allein im Jahr seines Erscheinens wurde<br />

das literarisch eher angezweifelte Produkt weltweit über zwanzig<br />

Millionen Mal verkauft.« Ein Ausreißer auch für Hoffmann und<br />

Campe – von einer Reihe konnte da keine Rede mehr sein. Der<br />

Erfolg der »Love Story« blieb in den deutschen Verlagshäusern<br />

nicht ohne Wirkung. »Der totgesagte Roman war wieder erstanden,<br />

und alle seine Verächter in den Verlagen warfen das Steuer<br />

rum«, sagt Zeitzeuge Knaus mit nachsichtigem Lächeln. Erst als<br />

das Rührstück mit Ali McGraw und Ryan O’Neal in der Haupt-<br />

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olle verfi lmt wurde und auch hier in die Kinos kam, ebbte die<br />

Woge langsam ab.<br />

Die zwölf Jahre währende Ära Knaus wird zum goldenen Zeitalter<br />

des Hoffmann und Campe Verlags. Kurt <strong>Ganske</strong> ist zufrieden;<br />

er hat einen Mann wie ihn nicht nur geholt, weil er nach Meinung<br />

seines Autors Horst Krüger den Ruf eines »Verdopplers«<br />

der verkauften Aufl age genießt, sondern weil er auch für eine<br />

ausgeglichene Balance zwischen literarischem und Sachbuch-Programm<br />

steht. Der Verlagsleiter öffnet das Programm, beschränkt<br />

sich nicht auf literarische Feinkost, sondern mischt das anspruchsvolle<br />

Angebot mit zu Herzen gehender Unterhaltung und fundierter<br />

Information. Er engagiert 1967 Michel Tournier direkt<br />

am Messestand, holt die Erzählerin Utta Danella ins Boot, die<br />

bei Hoffmann und Campe bald Millionenaufl agen erzielt, und<br />

aus New York Kurt Vonnegut mit seinem »Schlachthof 5«, einer<br />

Geschichte des Infernos vom 13. Februar 1945 in Dresden, das<br />

der Erzähler als GI miterlebt hatte. Zu einer Sensation wird Lew<br />

Kopelews aus der UdSSR herausgeschmuggelter und übersetzter<br />

Bericht über sein Leben in der Sowjetunion und in der Roten Armee,<br />

»Aufbewahren für alle Zeit«, eingeleitet von Heinrich Böll.<br />

Später wird eine Trilogie daraus.<br />

Eine besondere Gabe des Verlagsmenschen Knaus war seine<br />

Überredungskunst. Eher zufällig, durch den Tipp eines Freundes,<br />

wurde Knaus auf Hoimar von Ditfurth aufmerksam. Der studierte<br />

Mediziner, Psychologe und Naturwissenschaftler vom Jahrgang<br />

1921 war außerordentlicher Professor an der Universität Heidelberg,<br />

zeitweise auch Leiter des »Psycholabors« beim Pharmakonzern<br />

C. F. Boehringer in Mannheim und Herausgeber einer Zeitschrift<br />

n+m (Naturwissenschaft und Medizin). Bücher schrieb<br />

er nicht, aber er hatte schon einen Namen als freier Publizist für<br />

Rundfunk und Fernsehen.<br />

»Auf einer Geschäftsreise sah ich ihn zufällig im Fernsehen,<br />

und gerade weil ich von Naturwissenschaft nichts verstehe, war<br />

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ich von ihm fasziniert. Solange er sprach, habe ich alles verstanden.<br />

Ich hätte es aus dem Stegreif allerdings nicht wiedergeben<br />

können. Ich beschaffte mir einige seiner Manuskripte und heftete<br />

mich an seine Fersen. Ich ließ nicht locker, versuchte in mehreren<br />

Gesprächen, ihn zum Bücherschreiben zu verführen. Ich<br />

hatte kein Glück. Unmittelbar vor einer Reise nach Italien sagte<br />

er am Telefon: ›Sie können am Sonntag gern vorbeikommen, am<br />

Montag sind wir weg. Aber machen Sie sich keinerlei Hoffnungen.‹<br />

Wir saßen auf seiner Terrasse. Ich erinnere mich des Tages,<br />

als wäre es gestern gewesen. Die Sonne schien, seine Frau tischte<br />

eine herrliche Erdbeertorte auf. Am Abend verabschiedete ich<br />

mich mit den Verträgen für drei Bücher in der Tasche.«<br />

So erscheint 1970 bei Hoffmann und Campe »Kinder des Weltalls<br />

– Der Roman unserer Existenz«, ein Titel, der – Taschenbuchausgaben<br />

mitgerechnet – Hoimar von Ditfurth bald zum Aufl agen-<br />

Millionär werden lässt. Es folgen »Im Anfang war der Wasserstoff<br />

– Über die Evolution der Materie« (1972), »Zusammenhänge<br />

– Gedanken zu einem naturwissenschaftlichen Weltbild« (1974)<br />

und »Der Geist fi el nicht vom Himmel – Die Evolution unseres<br />

Bewußtseins« (1976).<br />

Hoffmann und Campe wird zu einer angesehenen Adresse für<br />

Sachbücher deutscher und internationaler Autoren. Von Ferdinand<br />

Lundberg erscheint »Die Reichen und die Superreichen«<br />

und von Dee Brown »Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses«,<br />

die Geschichte vom Untergang der Indianer Nordamerikas;<br />

von Gordon Thomas »Familien-Konferenz«. Ein bedeutender Autor<br />

des Verlages wurde Willy Brandt. Es begann eher prosaisch mit<br />

dem »Grundlagen-Vertrag« als Paperback, vermittelt durch den<br />

Regierungssprecher Conrad Ahlers. »Dass Brandt 1971 den Friedensnobelpreis<br />

erhielt, war für den Verlag natürlich ein Glücksfall«,<br />

räumt Knaus ein. Der Verlag hatte eine Sammlung einzelner<br />

Texte in Vorbereitung: »Der Wille zum Frieden – Perspektiven der<br />

Politik« mit einer Einleitung Golo Manns. »Nun konnten wir etwas<br />

190<br />

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Buchmesse Frankfurt 1972: Thomas <strong>Ganske</strong>, Erwin Glickes und<br />

Albrecht Knaus<br />

Besonderes bieten: die beiden Reden, die Brandt in Oslo bei der<br />

Verleihung des Nobelpreises halten würde. Es war uns gelungen,<br />

die Texte schon einige Wochen vorher zum Abdruck zu bekommen.<br />

So etwas war natürlich absolut unüblich, und wir waren zu<br />

strengster Geheimhaltung verpfl ichtet.« Zwei Tage nach der Verleihung<br />

des Nobelpreises lag der Band im Buchhandel.<br />

Persönlich lernte Knaus Willy Brandt erst nach der Vorstellung<br />

des Buches kennen. Der Autor ging strahlend auf ihn zu: »Sie<br />

sind ein Zauberer.« Die Zusammenarbeit erwies sich als fruchtbar.<br />

Nach »Über den Tag hinaus« (1974) und dem ersten Band seiner<br />

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»Aufzeichnungen und Einsichten – Die Jahre 1960 –1975« folgte<br />

1982 der Blick auf seine frühen Jahre: »Links und frei – Mein Weg<br />

1930 –1950«.<br />

Die Liste der Hoffmann-und-Campe-Autoren umfasst ein weites<br />

Spektrum. Der Lyriker Walter Helmut Fritz, erster Preisträger<br />

des 1966 von Kurt <strong>Ganske</strong> gestifteten »Heine-Talers«, veröffentlicht<br />

seither alle seine Gedichtbände und die Prosa bei Hoffmann<br />

und Campe. Herman Wouks Weltkriegs-Trilogie »War and<br />

Remembrance« setzte 1972 mit »Der Feuersturm« ein. Im gleichen<br />

Jahr erschien »Der wachsame Träumer« von John Le Carré,<br />

der damit überraschenderweise die Welt der Spione verließ.<br />

Schon 1974 kehrte er mit der Smiley-Trilogie »Dame, König, As,<br />

Spion« aber wieder dorthin zurück. 1975 kam Manfred Bielers<br />

Prag-Panorama »Der Mädchenkrieg« dazu und 1978 Arno Surminskis<br />

»Jokehnen«. Ben Witter, der ironisch-kluge Hamburger<br />

Spaziergänger, wurde für viele Jahre Stammautor und Freund des<br />

Verlags. Eine glückliche Zeit. Albrecht Knaus spricht von einer<br />

Erzähler-Renaissance, die offenbar bis heute anhält.<br />

Ein besonderes Faible des Verlegers Kurt <strong>Ganske</strong> sind schöne<br />

Bildbände. Der vielleicht schönste war »Hamburg, Merkurs eigene<br />

Stadt«. Das Bildmaterial umfasste hunderte von Aufnahmen<br />

renommierter Fotografen wie Thomas Höpker und Max Scheler.<br />

»Ich hatte mit Bildbänden keine Erfahrung«, gesteht Albrecht<br />

Knaus, »aber angesichts dieser überwältigenden Fülle, schwarzweiß<br />

und farbig, war mir klar, dass ich jemanden fi nden musste,<br />

der diese Vielfalt der Farben und Akzente in eine Symphonie<br />

verwandeln konnte. Für mich stand fest: Das konnte nur Willy<br />

Fleckhaus sein!« Die Herren trafen sich standesgemäß im großen<br />

Saal des Hamburger Rathauses, der sonst eher für festliche<br />

Anlässe geöffnet und nun von einem Riesentisch eingenommen<br />

wurde. Der Meister hatte die Bilder vor sich ausgebreitet. »Es<br />

war faszinierend, ihm zuzusehen. Er brauchte nur eine Stunde,<br />

um die Motive auszuwählen, die er in dem Buch haben wollte.«<br />

192<br />

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Zufrieden war er nicht. Aus der Sicht des Artdirectors fehlten<br />

immer noch einige wichtige Stadtansichten und Details. Knaus<br />

konnte Sven Simon, den Sohn des Verlegers Axel Springer, gewinnen,<br />

die fehlenden Motive zu fotografi eren. Er war ein begnadeter<br />

Fotograf und hatte unter seinem Pseudonym eine erfolgreiche<br />

Agentur gegründet.<br />

Unglücklicherweise fi el das Projekt in die Zeit der anbrechenden<br />

Rezession. Es stand auf der Kippe, ob es überhaupt noch realisiert<br />

werden konnte, aber schließlich kam es doch zustande, nicht<br />

zuletzt durch das Engagement des Herausgebers Henning Jess,<br />

der für die Öffentlichkeitsarbeit des Hamburger Senats verantwortlich<br />

war. Der Verlag riskierte allerdings nur eine Aufl age von<br />

4 000 Exemplaren, die sofort vergriffen war. »Einem Nachdruck<br />

stand die Angst vor der Inventur entgegen«, ein chronisches Leiden<br />

in den Verlagen, das kaufmännische Verlagsleiter vor allem<br />

zum Jahresende befällt. Zum 31. 12. sollen die Lager möglichst<br />

leer sein, weshalb die Risikofreude schon im Weihnachtsgeschäft<br />

spürbar nachlässt. »Merkurs eigene Stadt« ist heute eine gesuchte<br />

Rarität. »Wer das Buch hat, trennt sich nicht davon. Und wer darin<br />

blättert, ist erstaunt, wie zeitlos die Bildauswahl heute noch ist.«<br />

Immerhin – eine Perle aus dem versunkenen Schatz leuchtete<br />

noch eine Weile: Siegfried Lenz’ »Die Leute von Hamburg« lebte<br />

eine Zeit lang als eigene Veröffentlichung weiter.<br />

Unter Knaus wird Hoffmann und Campe Gesellschafter des<br />

Deutschen Taschenbuch Verlags. Die Ära Knaus geht zu Ende, als<br />

ein dritter Verlagsleiter geholt wird. »Wenn drei Herren das Direktorium<br />

bilden, entsteht ein Problem. Es sind nicht mehr zwei,<br />

die sich zusammenraufen, sondern nun können zwei gegen einen<br />

stehen. Ich war plötzlich ›der Alte‹«, sagt Knaus. 1978 gewann ihn<br />

die Verlagsgruppe Bertelsmann für ein reizvolles Projekt. »Ich<br />

konnte unter dem Schirm des Konzerns meinen eigenen Verlag<br />

gründen und hatte in ihm völlige Freiheit.« So kam es zum<br />

Albrecht Knaus Verlag, heute – nach sechsundzwanzig Jahren –<br />

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eins von dreiundzwanzig Unternehmen unter dem Dach von<br />

Random House.<br />

Der Verlagsgründer steht auch heute noch mit seinem Verlag<br />

in freundschaftlicher Verbindung. Er lebt zwischen seinen Bücherbergen,<br />

liest immer noch viel, das Börsenblatt des Deutschen<br />

Buchhandels sowieso, Neuerscheinungen, die ihn interessieren.<br />

»Aber manche Bücher lege ich schnell wieder weg. Meist sind<br />

es solche, von denen K.G. gesagt hätte: ›Da bin ich mit dem Motorrad<br />

durchgefahren‹ oder ›Das habe ich mit gütiger Nachsicht<br />

gelesen‹.« Seine Vorliebe gilt der großen Literatur, »immer wieder<br />

Thomas Mann und Autoren meiner Lebenszeit wie Stefan<br />

Andres oder Werner Bergengruen, die heute so gut wie nichts<br />

mehr gelten, vor allem aber Geschichte und Zeitgeschichte mit<br />

Eberhard Jäckel und Joachim Fest, Sebastian Haffner, Gitta Sereny<br />

oder Saul Friedlaender. Wenn ich auf meine Arbeit in fünfzig<br />

Jahren zurückblicke, wage ich mit dem jüdischen Sprichwort zu<br />

sagen: Ich will mich nicht berühmen, aber ich muss mich auch<br />

nicht beknirschen.«<br />

Sein Nachfolger Eberhard Böckel nimmt literarische Werke<br />

aus den Ländern Osteuropas und der DDR ins Programm und<br />

fördert junge deutsche Erzähler. Mit der Übernahme des Schweizer<br />

Reich Verlages kommen 1978 die Schriftsteller des »Prager<br />

Frühlings« ins Programm der neuen literarischen Reihe »Edition<br />

Reich«: Autoren wie Pavel Kohout, Jirˇí Gruša, Ivan Klíma, Ludvík<br />

Vaculík, Alexander Kliment und Eda Kriseová. Aus den USA kommen<br />

Leslie Epstein und Tim O’Brien (Gewinner des National<br />

Book Award 1979), aus Schweden Ingmar Bergman, aus Polen<br />

Andrzej Kusniewicz und aus Neuseeland Maurice Shadbolt.<br />

Neben Böckel baut Hans-Helmut Röhring (19<strong>40</strong>–2004), den<br />

Knaus von Piper geholt hatte, nicht nur den Zweig des Sachbuchs<br />

weiter aus. Die Fachgebiete umfassen Politologie, Soziologie und<br />

Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Geschichte. Zu den<br />

Autoren gehören Karl Popper und Kurt Sontheimer, aber Röh-<br />

194<br />

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ing baute auch Autoren auf wie Peter Sloterdijk oder Christian<br />

Graf von Krockow, heute große Namen. Später kommen Autoren<br />

wie Uwe George, Werner Nachtigall und Wolfgang Wickler hinzu<br />

sowie Gerhard Konzelmanns »Islamische Herausforderung«. Mit<br />

»Flucht und Vertreibung – Deutschland zwischen 1944 und 1947«<br />

arbeiten Frank Grube und Gerhard Richter ein bis dahin tabuisiertes<br />

Thema der jüngsten Geschichte auf. Lea Fleischmanns Erfahrungsbericht<br />

»Dies ist nicht mein Land« wird 1980 Bestseller<br />

und Longseller zugleich.<br />

Ab 1976 startet Hoffmann und Campe mit dem »Großen Buch<br />

der Windjammer« von Frank Grube und Gerhard Richter ein anspruchsvolles<br />

Programm aufwändiger Bildtextbände im Großformat.<br />

Trotz anfänglicher Skepsis ist das <strong>14</strong>8 Mark teure Werk ein<br />

Verkaufsschlager, der in drei Aufl agen über 13 000-mal verkauft<br />

wird. Zehn weitere Großbände folgen. Zu den Themen gehören<br />

Segeln, Berge, Eisenbahn, Wild und Jagd, Zirkus, Serengeti, Elefanten<br />

und Ski. Ab 1979 erscheint das von Dieter Nohlen und<br />

Franz Nuscheler edierte »Handbuch der Dritten Welt«, das sich<br />

in mehreren Ausgaben bis in die achtziger Jahre hinein verkauft.<br />

Der größte Massenerfolg aber ist »Mein Garten im Hause«, später<br />

als »Mein Garten zuhause« im Handel, ein Gartenbuch in aufwändiger<br />

Ausstattung, das in Kooperation mit einem Industriepartner<br />

zum Niedrigpreis in einer Massenaufl age von insgesamt <strong>40</strong>0 000<br />

Exemplaren über das Sortiment verkauft wird. Auch Gerd Käfers<br />

noch zu Knaus’ Zeiten inszeniertes Werk »Prima Partys, frohe Feste«<br />

hatte einen Sponsor und wurde mittels einer Vernissage in<br />

der Münchner Stuckvilla präsentiert.<br />

Doch gesponserte Bücher bleiben die Ausnahme. Der Verlag<br />

setzt weiter auf Literatur. Viele Hoffmann-und-Campe-Autoren<br />

lernen ihren Verleger nie persönlich kennen, aber zu einigen von<br />

ihnen pfl egen er und seine Frau einen sehr persönlichen Kontakt:<br />

Sie sind Gastgeber. Die Autoren kommen nach Hohenhaus zum<br />

Waldspaziergang, zum Kamingespräch an langen Abenden, das<br />

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is in die Morgenstunden dauern kann. Manche bleiben tage-,<br />

manche monatelang. »Autoren wurden ins Turmzimmer gesperrt.<br />

Wenn sie einen Termin überschritten hatten, kamen sie nicht wieder<br />

raus, ehe der Text fertig war. Allerdings wurden sie komfortabel<br />

bewirtet«, berichtet der Zeitzeuge und Vertraute des Verlegers<br />

Otto B. Roegele.<br />

Alice Ekert-Rotholz (»Reis aus Silberschalen«) ist ein häufi ger<br />

Gast, Rudolf Hagelstange (»Spielball der Götter«) fühlt sich in<br />

Hohenhaus wie zu Hause, verbringt dort sehr viel mehr Zeit als<br />

der Verleger, den er, wenn er aus Hamburg anreist, mit offenen<br />

Armen empfängt: »Guten Tag, lieber Herr <strong>Ganske</strong>! Ich begrüße<br />

Sie auf Ihren Ländereien!«<br />

»Jeder Autor wurde bei uns erst mal mit einem Glas Sekt empfangen«,<br />

erinnert Gerda <strong>Ganske</strong>. Die Hausmarke: Burgeff grün,<br />

ein Riesling-Sekt in Flaschengärung. Für die Freunde des Riesling<br />

lässt der Hausherr Carl von Schuberts Grünhäuser Abtsberg,<br />

Spätlese trocken, entkorken, später vertiefen sich die Gespräche<br />

in den besseren Lagen von Burgund und Bordelais.<br />

Im zweiten Stock des »Schlosses« von Hohenhaus gibt es acht<br />

Gästezimmer, und Gäste sind immer da; anspruchsvolle Autoren<br />

wie Hans Habe, der im weit schwingenden schwarzen Paletot mit<br />

rotem Futter erscheint und sich an Kaviar und Hummer nicht<br />

satt essen kann. Der Hamburger Verleger Axel Springer kommt<br />

zum gemeinsamen Waldspaziergang oder sein eloquenter Kollege<br />

Gerd Bucerius, der seine Gastgeber mit messerscharfen Bügelfalten<br />

in der Kamelhaarhose beeindruckt. Zu Gast sind Autoren<br />

wie Siegfried Lenz, für den es nichts Schöneres gibt, als einem<br />

selbst gefangenen Karpfen in die Augen zu sehen. »Wir liefen<br />

mit der Rute in der Hand zu einem Talgrund«, berichtet Thomas<br />

<strong>Ganske</strong>, damals vielleicht 20 Jahre alt, über seine ersten gemeinsamen<br />

Erfahrungen mit Siegfried Lenz, »und versuchten uns an<br />

verschiedenen Fischgewässern. Und dann geschah es: Den alten<br />

heimlichen Karpfen, der mir nie an die Angel gehen wollte, den<br />

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hat Siegfried Lenz rausgefi scht – wie selbstverständlich. Später<br />

hat er zugegeben, dass dieses Meisterstück in diesem Gewässer,<br />

dessen Geheimnisse nur ich zu kennen glaubte, kein Wunder<br />

war: ›Ich lernte fi schen und schwimmen, bevor ich lesen lernte.‹<br />

Das war bei mir nun mal andersherum.«<br />

Zum 65. Geburtstag Kurt <strong>Ganske</strong>s am <strong>14</strong>. Januar 1970 gratulieren<br />

Autoren und Freunde des Verlages. Briefe, Texte und<br />

Bilder werden ihm in einer Kassette überreicht. Unter den Autoren:<br />

Rose Ausländer, Carl Brinitzer (»Das <strong>Ganske</strong> ist mehr als die<br />

Summe von allen Teilen«), Paul Böckmann, Joachim Burkhardt,<br />

Heinz von Cramer, Milo Dor, Alice Ekert-Rotholz (»Freund, Verleger<br />

und Berater und von’s Janze doch der Vater«), Per Olov<br />

Enquist, Walter Helmut Fritz, Rudolf Hagelstange, Marie-Luise<br />

Herrmann, Gustav Hillard-Steinbörner, Kay Hoff, Bert Honolka,<br />

Henning Jess, Eva Kausche-Kongsbak, Rudolf Krämer- Badoni,<br />

Siegfried Lenz, Erich Lüth, Gerhard Nebel, Dinah Nelken, Heinz<br />

Piontek, Curt Riess, Gaby von Schönthan, Jean-Jacques Servan-<br />

Schreiber, Friedrich Schnack, Paul-Henri Spaak, Brigitte von Tessin,<br />

Max Tau, Michel Tournier, Thaddäus Troll, Benno von Wiese,<br />

Dieter Wildt, Peter von Zahn und Stefan Zickler.<br />

Rose Ausländer dankt Kurt <strong>Ganske</strong> für den von ihm gestifteten<br />

»Goldenen Heine-Taler«; Rudolf Hagelstange öffnet in einer ländlich-sinnlichen<br />

Ausschweifung »die Akte des Falles ›Amtmann‹.<br />

Wer ihn gekannt, ein Vorbild an Pfl ichtbewußtsein, dienstlichem<br />

Ernst, Vorbild dazu seiner Art, seines Standes […] die Früchte, an<br />

denen man ihn verkannte, sind aufgegangen in Höhe und Breite,<br />

Prozente, in die Potenz. Amtmanns Natur, die verschwenderisch<br />

großgeartete, ist lebendig, ist kraft- und saftvoll Präsenz in seinen<br />

Nachfahren.« Großes wächst still. Die Laudatio erweist sich als<br />

Porträt eines realen Zuchtbullen auf den Weiden von Hohenhaus.<br />

Das Manuskript endet: »Darum rühme ich den freien, wendigen,<br />

springlebendigen Steinbock« – das Sternzeichen Kurt <strong>Ganske</strong>s<br />

(und Rudolf Hagelstanges).<br />

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Siegfried Lenz steuert zum launigen Gemeinschaftswerk ein<br />

schönes, sehr persönliches Gedicht bei:<br />

Manchem genügt die Milch der Täler.<br />

Ein anderer umgibt sich mit den milden<br />

Chören des Rotweins. Die Jagd ist gut,<br />

wenn sie mit Fabeln endet; auch ein<br />

Waldgang, der einem den Tastsinn belebt.<br />

Das hab ich erfahren.<br />

Zufrieden bietet einer den Apfelbäumen sein<br />

Du an. Dieser zieht, erlegten Rebhühnern gleich,<br />

Erfahrungen auf eine Schnur. Wir hängen auch<br />

ab von den Möglichkeiten der anderen. Was<br />

einem zustößt, das stößt allen zu.<br />

Ich hab es erfahren.<br />

Aufmerksam soll der Tag uns fi nden und<br />

im ergiebigen Zweifel. Einer fragt: muss ich es<br />

tun?, und er tut’s. Ein anderer verteilt passende<br />

Büstenhalter an seine Kühe. Was wir versuchen,<br />

ist mitunter schon das einzig Erreichte.<br />

Das hab ich erfahren.<br />

Warum nicht Sandelholz, nicht Salpeter und<br />

Pfeffer? Leichter würde der Horizont und unermesslich.<br />

Aber der eine weckt das Papier und ermöglicht<br />

geschriebene Träume. Ihm dank ich persönlich.<br />

Auch die Gelegenheit macht schließlich Worte.<br />

Ich hab es erfahren.<br />

Der Facettenreichtum der Handschriften ist groß. Der Kritiker<br />

Erich Lüth vermutet: »Besitzer des Hoffmann und Campe Verlages<br />

zu sein ist wie die Zugehörigkeit zu einem hohen geistigen Ordenskapitel,<br />

die immer wieder vor den Ahnherren und großen Autoren<br />

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des Hauses gerechtfertigt werden muß.« Autor Horst Mönnich zitiert<br />

den Hoffmann-und-Campe-Autor Heinrich Heine:<br />

Ich aß und trank, mit gutem Ap’tit,<br />

und dachte in meinem Gemüthe:<br />

»Der Campe ist wirklich ein großer Mann,<br />

ist aller Verleger Blüthe.<br />

Ein andrer Verleger hätte mich<br />

vielleicht verhungern lassen,<br />

der aber giebt mir zu trinken sogar;<br />

werde ihn niemals verlassen.« […]<br />

Auch Gerhard Nebel zeigt sich dankbar: »Ihre immer wieder bewiesene<br />

Großzügigkeit gegen mich gehört in das Gefüge meines<br />

Daseins, das ich ohne Sie nicht so hätte führen können, wie ich es<br />

gelebt habe. Sie sind insofern eine rara avis unter Ihren Kollegen,<br />

als das Buch für Sie nicht nur eine Ware ist, als Sie bei ihm ebenso<br />

auf die gedankliche und literarische Qualität wie auf die verkaufte<br />

Quantität schauen.« Doch wie ein Leitmotiv durchzieht die Lobpreisungen<br />

der gratulierenden Autoren das vage Bild einer höheren<br />

Macht. Brigitte von Tessin spekuliert: »Der stets von einer<br />

Wolke verhüllte Herr <strong>Ganske</strong> ist Allah. – Und Dr. Knaus ist sein<br />

Prophet.« Benno von Wiese fühlt sich an seinen kindlichen Umgang<br />

mit dem lieben Gott erinnert, den man zugleich lieben und<br />

fürchten sollte. »Ich würde mich freuen, wenn auch ein weiterer<br />

kindlicher Wunsch einmal erfüllt würde, nämlich Sie, verehrter<br />

Herr <strong>Ganske</strong>, nicht nur aus der Ferne zu ehren und verehren,<br />

sondern auch in der lebendigen Anschauung zu erfahren, wie<br />

das Zentrum eigentlich aussieht, um das ein so gewaltiger Verlag<br />

wie der Ihre kreist.«<br />

Auch Thaddäus Troll fühlt sich an den Allmächtigen erinnert:<br />

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»Da Sie mir bisher unbekannt geblieben sind, schreibe ich diesen<br />

Brief fast ins Anonyme, aber eigentlich doch nicht, denn Ihr<br />

Name ist mir ja als Synonym für Hoffmann und Campe ein Begriff,<br />

ja ich habe sogar geglaubt, die Wirkung Ihrer Stimme verspürt zu<br />

haben, ähnlich der des HErrn im ›Jedermann‹ vor dem Salzburger<br />

Dom (der ja auch unsichtbar bleibt), also: Wenn ich gelegentlich<br />

Besuch in Hamburg machte, war ich zuweilen Ohrenzeuge von<br />

An-Rufen, die bei den Angerufenen so etwas wie Respekt, Hochachtung,<br />

um nicht zu sagen Ehrfurcht auslösten. Ein Hauch von<br />

Majestät wehte dann durch den Raum, um im Salzburger Look<br />

zu bleiben: als ob der HErr mit dem Darsteller des HErrn spreche.<br />

Das kann nur Herr <strong>Ganske</strong> sein, dachte ich. Nun hat Herr<br />

Knaus den Mythos zerstört: Sie telefonierten selten bis nie; thronten<br />

nicht über dem Verlag als autoritärer Pantokrator, sondern<br />

durchwalteten ihn eher, kaum spürbar, im pantheistischen Sinn.<br />

Als Autor, der von der Hoffmann und Campeschen Toleranz profi<br />

tiert (ich gebrauche diesen Ausdruck nachweislich im rein ideellen<br />

Sinn), grüße und beglückwünsche ich Sie herzlich.<br />

Ihr Thaddäus Troll, … den jetzt die Frage plagt: welcher Anrufer<br />

löst in Ihrem Verlag wenn nicht Furcht und Mitleid, so doch<br />

Respekt und Wertschätzung aus? Der Steuerberater? Siegfried<br />

Lenz? Der Bankdirektor? Rudolf Hagelstange?«<br />

Der unermüdliche und vielseitige Publizist Curt Riess dankt<br />

seinem Verleger für sein Stehvermögen, »den Glauben an den<br />

Autor, der – dafür gibt es Beispiele genug – bis zur Sturheit gehen<br />

kann. Seltsam genug: Mit dieser Sturheit sind schon viele Autoren<br />

durchgesetzt worden.« Das Wichtigste sei aber auch, »daß<br />

der Verlag seinen Autoren eine Heimat geben kann. Ich kann<br />

ein Lied davon singen, wie schwer es ist, ein heimatloser Autor<br />

zu sein. Meinen deutschen Verlag verlor ich, als Hitler die Macht<br />

übernahm, und meinen französischen, meinen belgischen, meinen<br />

holländischen, als Hitler in diese Länder einmarschierte.<br />

Meinen amerikanischen, als ich beschloß, wieder nach Europa<br />

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zurückzukehren.« Bei Hoffmann und Campe war die Odyssee<br />

zu Ende.<br />

Fünf Jahre später, im Frühjahr 1980, erscheint im 33. Jahrgang<br />

ein Merian-Sonderheft über das Werraland. Eigentlich sollte es<br />

dem Verleger zum 75. Geburtstag überreicht werden, doch den<br />

hat er nicht mehr erlebt. Als Verlagsleiter widmet sich Thomas<br />

<strong>Ganske</strong> diesem Projekt mit besonderem Engagement; er hat es<br />

nicht nur konzipiert und als Blattmacher von der ersten Themenkonferenz<br />

bis zur letzten Blaupause produziert, sondern er<br />

ist auch als ortskundiger Cicerone mit dem Autor Horst Krüger<br />

durch die Region gefahren, hat dem Reiseschriftsteller deren<br />

verborgene Reize gezeigt, die Eigenart der Fachwerkhäuser, den<br />

naturreinen Charme der Provinz und die brutale Perversion<br />

der Grenzbefestigungen und ihrer verschämten Hüter. Thomas<br />

<strong>Ganske</strong>, ein begeisterter Fotograf, steuerte nicht nur das Titelbild,<br />

sondern auch atmosphärische Landschafts- und Menschenbilder<br />

bei, darunter ein Porträt des Autors Krüger am Schlagbaum.<br />

Unter dem Titel »Seltsame Annäherung – Die Ringgauer Wurstprobe«<br />

veröffentlicht Siegfried Lenz darin einen Beitrag, in dem<br />

er beschreibt, wie er in das geheime Wesen der Mittelgebirgslandschaft<br />

des Werralandes eingeweiht wurde. »Was ich bis dahin<br />

als gelegentlicher Gast meines Verlegers Kurt <strong>Ganske</strong> in und um<br />

Hohenhaus zu sehen bekam, war, landschaftlich, vor allem dies:<br />

fein bewaldete Höhenrücken – Nadel-, aber auch Buchen- und<br />

Mischwald –, schmale Täler, in denen genügsame Dörfer lagen –<br />

alte Fachwerkhäuser, aufgelassene Ziegeleien –, rote oder rotbraune<br />

Erde, die ihre Ergiebigkeit auf den ersten Blick preisgab.<br />

Aufgeräumt kam mir das Land vor, ein bißchen schläfrig und sich<br />

selbst überlassen, Burgen zeugten von gewaltsamen Ansprüchen<br />

und den Tumulten der Geschichte; versteckte Friedhöfe belegten<br />

manchen Tod in der Fremde; in windstillen Winkeln erhielt sich<br />

ländliches Idyll. Die Nähe kulturgeschichtlicher Zeugen konnte<br />

das Aufkommen einer gewissen Melancholie nicht verhindern.«<br />

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An einem Ostertag lädt der Landrat Eitel Höhne ihn und den<br />

Verleger zu einer Ringgauer Wurstprobe ein, »das geheime Wesen<br />

dieser Landschaft – so erklärte der Landrat schlicht – erschließe<br />

sich, wenn überhaupt, dann nur bei einer Wurstprobe. Die Wurst<br />

als Erkenntnisvehikel.« Der Text schildert ein Ringelgebirge, verwurstete<br />

Vielfalt auf Holzbrettern und den Verleger, dem er in<br />

diesem literarischen Kabinettstück eine überwiegend stumme<br />

Rolle zuweist, und doch entsteht in wenigen Strichen das Bild<br />

eines Menschen, der gern isst und der andere daran teilhaben<br />

lässt: »Bevor K.G. das Messer nahm, machten wir die Geschmacksnerven<br />

empfänglich, wir kippten einen Klaren, der nach Wacholder<br />

duftete, stellten Bier und Brot bereit. Listig lächelnd führt<br />

K.G. den ersten Schnitt, sorgfältig spießte er die Scheiben auf<br />

und reicht sie über den Tisch.« K.G. säbelte, die Herren tranken<br />

Glas auf Glas.<br />

Mehr Würste werden aufgetragen, »eine wohlige Schwere hielt<br />

uns auf den Stühlen, es summte in den Köpfen, und plötzlich holte<br />

der Landrat seine Brieftasche hervor und entnahm ihr einen<br />

Geldschein, frisch gedruckt. Die Währung war mir unbekannt, sie<br />

wurde weder in Frankfurt noch in Zürich notiert, nur das sympathische<br />

Gesicht auf dem Geldschein war mir vertraut: Es war<br />

das Gesicht des Landrats. Der Einfachheit halber nannte er die<br />

Währung Höhner; und ein Höhner sollte gut sein für fünf Mark.<br />

Ich begann hellhörig, hellsichtig zu werden. Bereitete sich hier<br />

eine Lossagung vor? Verlangte der Ringgau nach Autonomie?<br />

Nachdem K.G. uns einen Doppelten eingeschenkt hatte, äußerte<br />

ich meinen Verdacht, und K.G. bestätigte, daß im Werraland etwas<br />

Außerordentliches vor sich gehe, das ganz Europa in Staunen<br />

versetzen werde. Die Währungsprobleme, immerhin, habe man<br />

bereits gelöst. Höhner, das höre sich doch gut an, freundlicher<br />

jedenfalls als Drachme oder Escudo.<br />

Eine Hartwurst, die gut und gern als Polizeistock hätte Verwendung<br />

fi nden können, brachte mich in die Gegenwart zurück.<br />

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Schon stießen der Landrat und K.G. mit mir an. Ich blickte durchs<br />

Fenster; inselhaft schwammen blaue Bergrücken im Abendnebel<br />

auf, ferne Lichter leuchteten dem Osterspaziergänger und, vermutlich,<br />

dem tüchtigen Hausschlachter, der kenntnisreich sein<br />

Kalb verarbeitete. Das kleine Feuer genießend, das der Pfeffer<br />

auf der Zunge entfachte, fi elen mir auf einmal die erstaunlich<br />

zahlreichen reparaturbedürftigen Häuser dieses Landes ein, ich<br />

dachte an bröckelnden Zerfall und lautlose Aufl ösung, ich dachte<br />

an aufgelassene Ziegeleien, an totes Fabrikgemäuer: auch dies,<br />

sagte ich mir, eine Folge geschichtlicher Heimsuchung. Dies<br />

Land wurde zu oft begehrt und versehrt, es hat sich zu oft erholen<br />

müssen, und wo man es verschonte wie jetzt, da wurde es<br />

folgenreich verschont, und das heißt: verurteilt zu einer Existenz<br />

im Windschatten. Vergangen die Zeit, in der Wollgarn- und Haarspinnereien,<br />

Baumwoll- und Leinewebereien, aber auch Gerbereien<br />

und Leimsiedereien und eine nennenswerte Tabakindustrie<br />

die Hauptprodukte des Landes lieferten. Ein Land in der Mitte<br />

und dennoch – ein entlegenes Land.«<br />

Nachfrage beim Dichter ungefähr dreißig Jahre danach. Diese<br />

Verbindung von Nestwärme, geringeltem Mittelgebirge und<br />

schluckweiser Bekömmlichkeit, diese geradezu fettglänzende<br />

Rahmenhandlung für ein skizzenhaftes Porträt eines in sich ruhenden<br />

Genussmenschen, ist diese Ironie nicht auch eine Form<br />

der Distanz? Der Dichter lächelt sanft: »Ironie kann auch eine<br />

Form der Liebe sein – sagt Thomas Mann.«<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong> 1977 in Hohenhaus<br />

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EINSAME WEGE<br />

Das Refugium in den Bergen – Stille Tage<br />

in Hohenhaus – Söhne im Verlag – Generationswechsel –<br />

Eine Totenrede – Besuch bei Gerda <strong>Ganske</strong><br />

Ein Haus am Ortsrand von Reichraming, eine halbe Autostunde<br />

südlich von Steyr. In der Stube hängen Jagdtrophäen, eine Brotzeit<br />

steht auf dem Tisch. Hermann Kittinger nimmt nicht von<br />

dem geschnittenen Brot, das für den Gast bereitliegt, sondern<br />

macht sich mit scharfem Messer über einen alten Kanten her. Er<br />

liebt das, sagt seine Frau. Er habe das auch auf der Hütte so gemacht,<br />

wenn Kurt <strong>Ganske</strong> kam.<br />

Hermann Kittinger, Jahrgang 1930, Berufsjäger im Ruhestand,<br />

erinnert sich an den Jagdgefährten aus Hamburg, als wäre er erst<br />

gestern hier gewesen. »Es gibt nicht viele Menschen wie ihn«, sagt<br />

er nachdenklich. Sie waren zu zweit allein mit der Natur, wochenlang,<br />

auf der Hütte und auf der Pirsch. »Auf dem Ansitz ist man auf<br />

Tuchfühlung, da wird man sich vertraut. Für mich war er wie ein<br />

zweiter Vater. Es gibt noch heute keinen Tag, an dem ich nicht an<br />

ihn denke. Es gab wohl eine Seelenähnlichkeit. Wir waren beide<br />

gern allein. Er war fünfundzwanzig Jahre älter als ich, aber ich<br />

habe den Altersunterschied zwischen uns nie gespürt. Es war ein<br />

kameradschaftliches Verhältnis, doch geduzt haben wir uns nie. Er<br />

hat mir als Jäger vollkommen freie Hand gelassen. Ich habe das<br />

nie ausgenutzt. Was er mir zugestanden hatte, habe ich nie abgeschossen.<br />

Er war ein ganz feiner Mensch. Die Zeit mit ihm war die<br />

schönste Zeit in meinem Leben.«<br />

Hermann Kittinger hat Tischler gelernt, war Waldarbeiter,<br />

doch sein Berufswunsch war es, Jäger zu werden. Mit 18 Jahren<br />

legt er die Prüfung ab. Das Leben als Berufsjäger füllt ihn aus.<br />

Den Urlaub lässt er meist verfallen. »Der Wald ist mein Leben.«<br />

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Nach siebenundvierzig Dienstjahren geht er in Pension, da sind<br />

die Kinder längst erwachsen. Weil sein Sohn Wolfgang schwer an<br />

Asthma litt, hatte Kurt <strong>Ganske</strong> ihm einen zweimonatigen Aufenthalt<br />

auf Sylt bezahlt. »Er wurde nicht geheilt, aber es hat sehr<br />

geholfen, seither kann Wolfgang mit dem Asthma leben.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong>s Jagdrevier lag im Höhenzug der Haller Mauern,<br />

an der Grenze zwischen Oberösterreich und der Steiermark; es<br />

umfasste 3500 Hektar Wald, Bergwiesen und schroffen Stein,<br />

hoch ragt das Sengsengebirge. Die Jagd war abgelegen, steil,<br />

schwer zugänglich, das ideale Refugium für einen Menschen, der<br />

Stille braucht, um sich zu erholen. Keine Straße führte dorthin,<br />

das Revier war nur mit der einspurigen Waldbahn zu erreichen;<br />

die Strecke führte durch ein enges Tal und einen 350 Meter langen<br />

Tunnel. Wer mit dem Auto dorthin wollte, musste es auf die<br />

Bahn verladen. Es gab allerdings schmale Forststraßen im Revier,<br />

um das Holz zur Waldstation zu bringen. Früher wurde mit Wasser<br />

getriftet, die Bäche in den Klausen gestaut. Das Holz wurde<br />

dahinter gelegt, dann wurde das Wehr geöffnet, das Wasser schoss<br />

hervor und trug die Stämme ins Tal.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> pachtet die Jagd für neun Jahre, ein Berufsjäger<br />

wird vom Bund gestellt, so ist es Vorschrift. Die Kosten und die<br />

Soziallasten hat der Pächter zu tragen, außerdem muss er für die<br />

Winterfütterung sorgen – kein Pappenstiel in einem Revier dieser<br />

Größe. Im Dienstbuch des Jägers ist es nachzulesen: 35 Tonnen<br />

Heu müssen herangeschafft werden, 30 Tonnen Rüben, 12 bis 15<br />

Tonnen Hafer, Mais und Gerste. Manchmal sind Gleise und Wege<br />

so zugeschneit, dass der Bundesheer-Hubschrauber das Futter<br />

bringen muss, teuer für den Pächter. Die Natur ist kaum domestiziert,<br />

zeigt, vor allem in der dunklen Jahreszeit, ihre raue Seite.<br />

Die Winter sind hart, das Revier ist steil, Lawinengefahr droht.<br />

Es gibt viele Tiere im Revier: Hirsch, Gams und Rehwild. Der<br />

Steinadler ist hier zu Hause, Mäuse- und Wespenbussard schweben<br />

über den Hängen, Auerhahn und Birkhahn leben noch<br />

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ungestört. Die Zivilisation ist weit weg. Im ganzen Areal gibt es<br />

kein einziges Haus, nur ein paar einfache Hütten im Wald. Auf<br />

der Stöffel-Alm neben der alten Almhütte errichtete sich Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> ein hölzernes kleines Jagdhaus mit Bad und WC. »Die<br />

Mansardenzimmer waren meine Diensträume«, erzählt der Jäger.<br />

Wenn der Gast aus Hamburg kam, putzte Frau Kittinger die<br />

Hütte. Meist blieb er zwei oder drei Wochen. »Gefrühstückt haben<br />

wir im Dunkeln. Licht habe ich nicht gelten lassen«, sagt Hermann<br />

Kittinger. »Ich habe für uns gekocht oder eine Brotzeit gemacht.<br />

Er mochte Kaiserschmarrn, aß gern Leber.« Sie hatten ja<br />

das »Geräusch« der geschossenen Tiere auf der Hütte, die edlen<br />

Teile: Leber, Niere und Herz. Manchmal haben sie ein Kitz geschossen,<br />

zerwirkt und gekocht. Die Federn (Rippen) und Schlegel<br />

(Keule) aßen sie später. Kurt <strong>Ganske</strong> fand: »Wildbret muss ein<br />

Hautgout haben.« Sie sammelten Pilze, vor allem Eierschwammerl<br />

(Pfi fferlinge) oder Hirschzunge (Habichtspilz), fi schten Forellen<br />

und tranken Dürnsteiner Urgesteinsriesling. »Wir haben abends<br />

zusammengesessen. Ich habe von den Menschen hier erzählt, vom<br />

Leben der Waldarbeiter, er wollte alles wissen. Wir haben über<br />

alles Mögliche geredet. Wenn es um die Jagd ging und das Verhalten<br />

im Wald, hat er sich auch kritische Worte angehört; er hatte<br />

keine Schwierigkeiten, Kritik anzunehmen, wenn sie ihm plausibel<br />

erschien. Er konnte sehr fröhlich sein, humorvoll. Wenn wir über<br />

etwas verschiedener Ansicht waren, rief er: ›Wetten wir?‹ – Aber<br />

ich wette nur, wenn ich’s weiß. Ich glaube, er fühlte sich frei. Hier<br />

oben hat er nicht an die Pfl ichten im Verlag gedacht. Aber manchmal<br />

spürte ich doch, dass er in Gedanken beim Geschäft war.«<br />

Meist kam er zur Hirschbrunft, Mitte September bis Anfang<br />

Oktober. Danach fuhr er zur Buchmesse. »Die letzten zwei Tage<br />

vor der Abreise war er dann nicht mehr so gut gelaunt. Er kam oft<br />

mit dem Nachtzug. Ich habe ihn vom Bahnhof abgeholt; manchmal<br />

kam er auch mit dem Auto, dann fuhr sein Fahrer, und die<br />

Gattin kam mit. Manchmal hatte er auch Gäste eingeladen, oder<br />

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er brachte seine Söhne mit. Wir fuhren dann zur Waldstation.<br />

Dort wurde das Auto verladen. «<br />

Für Ehrengäste wurden besondere Tiere ausgesucht. »Einen<br />

Hirsch nannten wir Minister-Hirsch, der war für Lauritz Lauritzen,<br />

den damaligen Minister für Wohnungsbau in Deutschland, reserviert.<br />

Es gab auch einen Götz-Hirsch, von dem wir alle Abwürfe<br />

gesammelt haben, jedes Jahr. Der war für Götz, Michaels ältesten<br />

Sohn, bestimmt.«<br />

Die Pirsch in den Steilhängen der Kalkalpen ist kein Spaziergang.<br />

»Wir sind jeden Tag vier bis fünf Stunden gepirscht«, berichtet<br />

der Jäger. »Er hat hier oben immer ein paar Kilo abgenommen;<br />

ihm ging es vor allem um die Erholung für den Körper, die Gesundheit.<br />

Er war sehr hart zu sich, ging lange Wege, hat es immer<br />

aufs Äußerste ankommen lassen. Einmal, am Almstein, einem<br />

dreißig Meter hohen Fels, sagte er allerdings: ›Da kletter ich nicht<br />

rauf.‹ Er war immerhin schon über sechzig Jahre alt und ziemlich<br />

schwer. ›Sie schaffen das!‹, habe ich zu ihm gesagt. Und dann fi ng<br />

er an, da hinaufzuklettern. Ich habe ihm geholfen und ihn manchmal<br />

hochgehievt. Er war natürlich stolz, als er oben war.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> liebt die Beschwernisse des Aufstiegs. In früheren<br />

Jahren, als er die Jagd bei Reichraming noch nicht gepachtet hatte,<br />

wanderte er gern mit einem Bergführer ins Hochgebirge. Er weiß<br />

mit dem Eispickel umzugehen und besteigt alle Dreitausender, auf<br />

die schon sein Vater als junger Mann geklettert war. Nun bahnt Jäger<br />

Kittinger dem Jagdherrn die Wege. »Im Revier haben wir sechzig<br />

Kilometer Steige gehabt. Ich habe sie astfrei gehalten, bevor er<br />

kam. Ich hatte viele Steige zu putzen und die Ränder auszumähen<br />

mit der Sense. – Kurt <strong>Ganske</strong> jagte mit sehr viel Fingerspitzengefühl«,<br />

sagt Hermann Kittinger. Er benutzte einen Mannlicher-Schönauer,<br />

Kaliber 7�64, ein Klassiker unter den Jagdwaffen. Er war<br />

ein guter Schütze. Einmal schoss er einen alten Hirsch, kurz bevor<br />

das Schusslicht vorbei war, auf 300 Meter. Der Hirsch hatte eine<br />

unregelmäßige Krone, »ein Artverderber«, wie Kittinger es nennt.<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong> geht nie allein zur Jagd und nie mit dem Förster.<br />

Jäger Kittinger ist immer an seiner Seite, er kennt das Revier,<br />

in dem er jeden Tag unterwegs ist, wie kein anderer, macht<br />

seinen Gefährten auf vieles aufmerksam, lenkt seinen Blick auf<br />

Spuren, kleine Zeichen, weiht ihn ein in die Geheimnisse des<br />

Reviers und der Jagd. In Jägersprache natürlich. »Ich habe ihm<br />

gesagt, wann er ein Stück ansprechen oder schießen sollte.« Der<br />

Schuss will überlegt sein. Beim Zielen sieht man den eigenen<br />

Herzschlag im Zielfernrohr, das Fadenkreuz hüpft mit. Man muss<br />

also erst den eigenen Herzschlag kontrollieren, den Moment<br />

abpassen, wo das eigene Herz ruhig ist, eine winzige Zeitspan -<br />

ne – der Schuss selbst dauert nur eine hundertstel Sekunde.<br />

»Schon vor dem Schuss muss man im Blick haben, was nach dem<br />

Schuss kommt. Das Stück muss geliefert werden. Das bedeutet,<br />

wir müssen mit einem Tier, das 120 bis 130 Kilogramm schwer ist,<br />

zurück in die Zivilisation. Gams und Reh kann ich tragen, einen<br />

Hirsch kann ich ein Stück schleifen, aber manchmal muss man<br />

sich auch Hilfe von Waldarbeitern holen. Kurt <strong>Ganske</strong> hatte auch<br />

ein Auto, einen VW-Käfer 1302 mit einem Gitter, auf dem man<br />

einen Hirsch transportieren konnte.«<br />

»Er war ein vorsichtiger Schütze, wollte ganz sicher sein. Einmal<br />

hatte er einen Bock im Visier, im letzten Büchsenlicht. Ich merkte,<br />

wie er zögerte, und sagte: ›Schießen Sie doch!‹ Er schoss und traf.<br />

Hinterher gab er mir einen Schlag auf die Schulter. ›Sie sind ein<br />

Teufel!‹ Das war wie ein Ritterschlag für mich.«<br />

Zur Brunftzeit ist es spannend. »Man hat mehr Anblick. Das<br />

Wild ist in Bewegung, die Hirsche röhren, ziehen viele Kilometer<br />

weit und suchen ihre Bräute.« Oft pirschen sie vor dem Morgengrauen.<br />

Zwischen zwei und drei <strong>Uhr</strong> früh balzt der Auerhahn.<br />

Nur wer sich sehr vorsichtig nähert, kann ihn dabei beobachten,<br />

denn der Vogel sieht und hört sehr gut. Der Auerhahn, heißt es,<br />

hat auf jeder Feder ein Auge. Doch wenn er singt, vergisst er alles<br />

um sich her. Sein Lied hat immer drei Strophen, erst glöckelt,<br />

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dann trillert er, und nach dem Hauptschlag folgt ein nicht sehr<br />

melodisches Schleifen, dann sieht und hört er nichts. Das ist der<br />

Moment zum ›Anspringen‹; der Jäger macht zwei, drei Schritte<br />

aus der Deckung. Der liebestolle Vogel hört nicht mal den Schuss,<br />

wenn er danebengeht. Also hat der Jäger eine zweite Chance,<br />

beim nächsten Lied.<br />

Heute gibt es keinen Abschussplan mehr. Kurt <strong>Ganske</strong>s Refugium<br />

ist öffentlicher Bezirk mit eigener Marketingabteilung. Das<br />

Revier wird nicht mehr verpachtet, sondern ist Teil des »Nationalpark<br />

Kalkalpen« geworden. Zurück zur Natur? Die Idee des Nationalparks<br />

überzeugt den Jäger nicht. Er glaubt nicht an hehre Ziele.<br />

»Der Nationalpark ist ein Tummelplatz für alle. In den Köpfen<br />

ist nur Geschäftemacherei. Die guten Pächter wurden vertrieben.<br />

Mit dem Wald wird Schindluder getrieben. Die Waldbahn gibt es<br />

nicht mehr. Heute führen Straßen ins Revier, die Hütten verfallen.<br />

Wenn es dämmert, kommen Wilderer mit dem Auto, blenden<br />

die Tiere mit den Scheinwerfern und schießen mit Schalldämpfer<br />

und Nachtsichtgeräten.« Ein lukratives Geschäft. In dreißig Jahren<br />

hat sich viel verändert – Hermann Kittinger hat darauf keinen<br />

Einfl uss mehr. Aber der Staat hat ihn 2005 für seinen Einsatz<br />

mit dem Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik<br />

Österreich ausgezeichnet.<br />

Nur selten hat Kurt <strong>Ganske</strong> in anderen Revieren gejagt, zum<br />

Beispiel als Gast von Franz Burda, dem Großverleger aus Offenburg.<br />

Die Privatjagden des Senators galten als gesellschaftlicher<br />

Höhepunkt der Saison. Burda hatte ein Faible für Event-Kultur<br />

in großem Rahmen, und dazu zählte die Niederwildjagd mit viel<br />

Prominenz. »Am Ende lagen tausend Fasane und hunderte Hasen<br />

und Feldhühner«, berichtet sein Sohn Frieder, selbst kein<br />

leidenschaftlicher Jäger. Kurt <strong>Ganske</strong> wird eingeladen, trifft alte<br />

Bekannte aus seiner Berliner Zeit – Max Schmeling und Anny<br />

Ondra. Auch dabei: Karl Günther von Hase, ZDF-Intendant, Diplomat<br />

und Staatssekretär a. D.<br />

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Kurt <strong>Ganske</strong> 1977<br />

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In Hohenhaus geht es ruhiger zu. Kurt <strong>Ganske</strong> ist gern für<br />

sich, wandert zur Mooshütte, von dort ist über den Höhenzügen<br />

die Wartburg zu sehen. Er klettert gern abends auf den Hochsitz,<br />

bleibt bis zum Einbruch der Nacht. Oder er geht morgens um<br />

vier zur Jagd. Er liebt die frühen Stunden. Dann liegt der Tau auf<br />

den Gräsern, kommt das Wild aus dem Wald. Er blickt den Bussarden<br />

nach, die nach Thüringen fl iegen. Die Grenze zur DDR<br />

ist die Grenze seines Reviers – die Straße von Herleshausen nach<br />

Lauchröden ist unterbrochen, die Brücke über die Werra endet<br />

in Sperranlagen. Die Fenster der Häuser an der Lindenallee auf<br />

der anderen Seite sind zugemauert, und auf dem Wachturm der<br />

Volkspolizei kann er die Ferngläser erkennen. Todesstreifen, Minengürtel,<br />

Stacheldraht. Kurt <strong>Ganske</strong> versäumt es nie, seinen<br />

Besuchern die Grenze zu zeigen. Die klaffende Wunde im Wald.<br />

Er empfi ndet sie als chronischen Schmerz. Manchmal explodiert<br />

eine Mine; ein Reh stirbt, ein Hirsch, eine Sau. Deutsche Realität<br />

– pervers, aber perfekt.<br />

Die Wende hat Kurt <strong>Ganske</strong> nicht mehr erlebt, als die Bürger<br />

von Lauchröden den Wachturm mit Gejohle zum Einsturz brachten.<br />

Die Handwerker von Herleshausen und Lauchröden haben<br />

nur zwei Tage gebraucht, um eine Brücke über den Fluss zu bauen.<br />

Die Grenze fi el, aber die Stille blieb. Das Zonenrandgebiet wird<br />

Randzonengebiet, bleibt im Abseits, mittendrin.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> liebt seinen Wald. Nach über vierzig Jahren kennt<br />

er jeden Baum. 1936, als er Hohenhaus erwarb, hatte er keine<br />

Ahnung, was er eigentlich gekauft hatte. Der Vorbesitzer hatte alle<br />

Unterlagen und alle Dokumente verbrannt. Ein junger Forstassessor<br />

half dem ratlosen Käufer, den Bestand zu registrieren und den<br />

Wald aufzubauen. Als Oberforstrat bleibt er bis zu seiner Pensionierung;<br />

ein Glücksfall für den Wald und für Kurt <strong>Ganske</strong>. Waldes<br />

Lust ist Waldes Last. Wer einen großen Wald erwirbt, besitzt<br />

ein großes Vermögen, aber wenn er sonst kein Einkommen hat,<br />

sollte er sich auf ein bescheidenes Leben einrichten. Kurt <strong>Ganske</strong><br />

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ist nicht auf Erträge angewiesen, sieht seinen Wald als langsam<br />

wachsendes Vermögen mit niedrigen Zinsen, als stille Reserve für<br />

nachwachsende Generationen. Thomas <strong>Ganske</strong>, der das Werk im<br />

Sinne seines Vaters fortsetzt, strebt naturnahen Waldbau an. Der<br />

Bestand an Fichten wird reduziert. Fichten brauchen Kalkböden<br />

und sind hier fehl am Platze. Sie wachsen schnell und gerade, ein<br />

»Industrieprodukt«, maschinentauglich in Ernte und Verarbeitung,<br />

ideales Bauholz, fl ach wurzelnde Massenware, kein Wald<br />

für Naturliebhaber.<br />

Die Böden von Hohenhaus sind ein gutes Milieu für Bäume, die<br />

erst im Alter von <strong>14</strong>0 bis 180 Jahren ihre größte Vitalität entwikkeln<br />

– Baumriesen mit mächtigen Kronen, wie Buche, Eiche und<br />

Ahorn, Eibe oder Elsbeere, ein Tiefwurzler, der zu den rosaceae,<br />

den Rosenholzgewächsen, zählt, ein Spezialist unter den Bäumen,<br />

den Kurt <strong>Ganske</strong> gern seinen Gästen zeigt, ein Baum aus hartem<br />

Holz von großer Dichte, das nicht kohlt, wenn es heiß wird. Deshalb<br />

hat man es traditionell dort verwandt, wo Holz um Achsen rotiert,<br />

zum Beispiel bei Spinnrädern. Spinnräder sind selten geworden,<br />

aber das Holz der Elsbeere gibt auch schöne Zirbelstuben.<br />

Er fühlt sich heimisch in Hohenhaus, auch wenn ihn die Pfl ichten<br />

in Hamburg festhalten. Seine Frau schafft für ihn im hessischen<br />

Abseits ein Zuhause, das eine Zufl ucht ist. Sie hält Kontakt<br />

zu den Nachbarn, pfl egt Freundschaften, ist sozial engagiert.<br />

Aber sie stößt auch an Grenzen, die ihr freundliches Naturell<br />

nicht überwindet. Die Menschen in Hessisch Sibirien, wie der kalte<br />

Nordosten des Landes gelegentlich genannt wird, sind gern<br />

verschlossen und grantig, nicht nur dem Gutsherrn gegenüber,<br />

sondern auch untereinander. Zwischen den Dörfern schwelt tief<br />

wurzelnder Zwist. Einmal, im tiefen Winter, sieht der Betriebsleiter<br />

des Gutes Feuerschein im Nachbardorf. Er hat gerade mit einigen<br />

Leuten im Wald zu tun und reagiert spontan – spannt an, fährt<br />

mit Güllefässern voll Wasser durch den Schnee, um den Leuten<br />

zu Hilfe zu kommen. Sie hatten Hilfe auch bitter nötig, denn der<br />

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einzige Hydrant des Dorfes war wegen Bauarbeiten unter Schutt<br />

begraben. Aber die Leute wollen keine Hilfe aus Holzhausen.<br />

»Das ist mein Feuer!«, ruft der örtliche Feuerwehrhauptmann zornig<br />

und schickt den Gutsinspektor mit seinem Wasser fort. So versickert<br />

es, ohne einen Brand zu löschen, im winterlichen Wald.<br />

Der Boden ist schwer und hängig. Kurt <strong>Ganske</strong> hat vieles versucht,<br />

um aus dem Gut eine fl orierende Landwirtschaft zu machen.<br />

Er studiert und probiert neue Methoden zur Futterherstellung, ist<br />

fasziniert von neuer Technik, arbeitet intensiv an der Automatisierung<br />

seines Kuhstalls. Manchmal staunt er über die wunderlichen<br />

Mechanismen landwirtschaftlicher Subven tion. Obstbau wird unterstützt.<br />

Aber die Stilllegung von Obstbau auch. Das Gleiche beim<br />

Milchvieh. Er will eine Apfelplantage errichten, was nicht funktioniert,<br />

und auch der Versuch, auf dem Sandberg Kartoffeln zu<br />

pfl anzen, scheitert, das Gefälle ist zu stark, die Maschinen rutschen<br />

ab. Der Landwirt Kurt <strong>Ganske</strong> hat sicher mehr ausprobiert als der<br />

Verleger. Vieles bleibt beim Versuch.<br />

Für die Kinder sind die Jahre in Hohenhaus eine glückliche<br />

Zeit. Tochter Mareile verwandelt den Hühnerstall in einen Ponyhof.<br />

Der kleine Thomas stinkt nach Schaf, weil es für ihn nichts<br />

Schöneres gibt, als im Stall zu spielen. Michael, das Naturkind, ist<br />

längst erwachsen und arbeitet im Verlag. Kurt <strong>Ganske</strong> plant den<br />

Generationswechsel mit der für ihn charakteristischen Umsicht<br />

und nach dem Prinzip der langen Leine. Die Söhne sollen in die<br />

Verantwortung hineinwachsen, erst Michael, dann Thomas. Tochter<br />

Mareile studiert in Hannover Architektur und Landschaftspfl<br />

ege. Am Verlag hat sie kein Interesse. Sie macht ihr Diplom.<br />

Michael <strong>Ganske</strong> heiratet zuerst. Seine große Liebe ist sicher<br />

keine Wahl im Sinne seiner Eltern – er verliebt sich in Lies, die<br />

schöne Tochter eines Gärtnergehilfen, eine Romanze, die von<br />

einer Märchenhochzeit gekrönt wird. Kurt <strong>Ganske</strong> arrangiert sie<br />

in Rom. Man wohnt im Hassler an der Spanischen Treppe, die<br />

Freunde der Familie reisen an, unter ihnen Otto B. Roegele mit<br />

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seiner Frau, der sich noch gut an den sympathischen protestantischen<br />

Pastor erinnert, und auch Hänschen Sperber, der Lehrer<br />

der Zwergschule von Holzhausen, darf nicht fehlen. Sein Rohrstock<br />

war schon lange im Ruhestand.<br />

Mareile heiratet in Hohenhaus. Ihr Mann betrieb mit seinem Vater,<br />

der Tierarzt war, einen Reiterhof bei Gifhorn. Sie haben zwei<br />

Kinder. Sohn Mark blieb nach der Scheidung zunächst beim Vater,<br />

Tochter Anabell verbrachte viel Zeit in Hohenhaus und Hamburg<br />

bei ihrer Großmutter. Ihren Großvater nannte sie »Daddy«. »Sie hatten<br />

ein gutes, liebevolles Verhältnis«, erinnert sich Gerda <strong>Ganske</strong><br />

und erzählt, wie sie gemeinsam an der Alster auf den »Daddy« warteten,<br />

die kleine Anabell und sie. Und weil er nicht kam, sind sie mit<br />

dem Alsterdampfer gefahren, so lange, bis sie ihn am Ufer entdeckten.<br />

Anabell lebt heute als Fotografi n in Hamburg, Mark arbeitet<br />

ebenfalls in der Hansestadt als Büchsenmacher.<br />

Ein Spaziergang in Hohenhaus. Wiesenschaumkraut blüht.<br />

Wildkirschen und Kirschen leuchten weiß in sattem Grün. Michael<br />

<strong>Ganske</strong> liebt es, draußen zu sein, auch Gespräche führt er am liebsten<br />

im Freien. Zweimal im Jahr kommt er nach Hohenhaus, um<br />

die Mutter zu besuchen. Der Vater ist in seinen Erinnerungen als<br />

Autorität gegenwärtig: »Ich habe immer K.G. zu meinem Vater<br />

gesagt, nie etwas anderes. Ich habe ihn bewundert. K.G. hatte die<br />

Organisation im Blick. Er hatte die Überlegenheit, Situationen zu<br />

erfassen, durchschaute die Zahlenverhältnisse. Er hatte die Vision,<br />

die Power und den Überblick, einen großen Konzern aufzubauen.<br />

Und er war der Ansicht: ›Meine Söhne müssen führen können.‹<br />

Danach handelte er, und das bekamen wir zu spüren, ich mehr<br />

als Thomas.«<br />

Michael <strong>Ganske</strong> hat ein friedfertiges Naturell, die raue Wirklichkeit<br />

des Wettbewerbs war ihm fremd. »Ich hielt nichts von<br />

dem verbohrten Konkurrenzgedanken, nichts davon, dass sich<br />

Verlage bekämpfen, nichts von dem krampfhaften Wettbewerb,<br />

wer die beste Zeitschrift macht. Ich war gern Entwickler, holte<br />

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Refugium Hohenhaus<br />

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Leute, die fähige Entwickler waren, wie Willy Fleckhaus, Angelica<br />

Blechschmidt und Peter Gimm. Managertypen mit Eis in den<br />

Adern konnte ich nicht leiden. Ich konnte am besten mit Frauen.<br />

Da gab es nicht diese Machtspiele.«<br />

Der Vater lässt ihn machen, auch seine Fehler. Aber hinter<br />

verschlossenen Türen geht es hart zur Sache. »Wir haben alles<br />

falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte«, räumt Peter<br />

Gimm, damals stellvertretender Chefredakteur der Für Sie, heute<br />

ein. »Es war die Zeit des großen Umbruchs Anfang der siebziger<br />

Jahre. Wir wollten nicht nur Fummel zeigen, sondern setzten engagierte<br />

Reportagen vorn ins Heft, zeigten Frühstückstische mit<br />

angeknabbertem Butterbrot, verlegten Mode und Kosmetik in<br />

den hinteren Heftteil. Wir wollten alles anders und alles besser<br />

machen als bisher.« So tickte man in allen Redaktionen der wilden<br />

Siebziger – Journalisten als Bewegungsmelder: Frauenbewegung,<br />

Umweltbewegung, Anti-Kernkraft-Bewegung, Friedensbewegung.<br />

Die etablierte Frauenzeitschrift Für Sie erweist sich aber<br />

als denkbar schlechtes Spielfeld für kreative Unruhestifter. Kurt<br />

<strong>Ganske</strong> hat die Folgen dieser Umsturzversuche bald in Zahlen vor<br />

Augen. Öffentlich greift er nicht ein. Er hält Peter Gimm, dem<br />

Revoluzzer mit den langen Locken, in Hohenhaus sogar die Tür<br />

auf, allerdings mit der süffi santen Bemerkung: »Ladies fi rst.«<br />

Michael steht unter Erfolgsdruck. »Es war nie mein Traum, in<br />

einem Büro zu sitzen, verschanzt hinter einem Sekretariat mit Blumen,<br />

und Zahlen zu schnitzen. Aber die Arbeit in der Redaktion<br />

machte mir Spaß.« Redaktionen arbeiten bis spät in die Nacht.<br />

Der junge Verlagsdirektor auch. »Es war spätabends, zehn <strong>Uhr</strong>.<br />

Der Kopf war leer. Ich ging einen Stock tiefer, da saß der Chefredakteur.<br />

Der zog eine Schublade auf: ›Hier, das hilft.‹ Es war<br />

Whisky. Ich trank drei Glas. Die Maschine sprang an. Ich hatte<br />

Ideen, die Blockade war weg. Aber mir war nicht klar, welche Gefahren<br />

damit verbunden waren.« Michael <strong>Ganske</strong> und der Whisky<br />

werden Freunde. Aus der Freundschaft wird Abhängigkeit, Tablet-<br />

218<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 218 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:48 <strong>Uhr</strong>


ten kommen dazu. Die Krankheit seines Sohnes bleibt dem Vater<br />

nicht verborgen. Es kommt zum Konfl ikt. Michael schmeißt hin,<br />

bricht alle Brücken hinter sich ab. Er wandert mit seiner Familie<br />

nach Kanada aus.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> sieht nur eine Möglichkeit, das Problem zu lösen:<br />

Nun ist Thomas an der Reihe. Das Verhältnis des Jüngsten zu seinem<br />

Vater ist durch die altersbedingte Revolte des Sohnes zeitweise<br />

gespannt. »Es gab zwischen uns ein beunruhigendes Erlebnis,<br />

das ich nicht vergessen werde. Mein Vater und ich stritten uns.<br />

Worum, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass er sagte,<br />

er denke anders darüber. Ich war aufmüpfi g, warf ihm vor: ›Du<br />

denkst sowieso zu viel!‹ Da griff er nach dem großen Porzellanteller<br />

auf dem Steintisch, hob ihn hoch und warf ihn gegen die<br />

Wand. Es hatte sich viel angestaut und so entladen. Wir haben<br />

dann eine Viertelstunde weiterdiskutiert, ganz entspannt. Unser<br />

Verhältnis war von diesem Moment an geklärt, für alle Zeit. Vorher<br />

hatte ich ihn auf eine abstrakte Art gefürchtet. Seitdem war es<br />

zwischen uns wunderbar.«<br />

Thomas <strong>Ganske</strong> hat wie sein Bruder den größten Teil seiner<br />

Schulzeit bis zum Abitur im Internat verbracht und in München<br />

Kunstgeschichte und Publizistik studiert. 1974 heiratet er die<br />

Fabrikantentochter Veronika Westhoff, genannt Viktoria, aus<br />

Schloss Holte-Stuckenbrock bei Paderborn. Acht Jahre jünger als<br />

sein Bruder, wird der Verlegersohn von seinem Vater Schritt für<br />

Schritt in die Verantwortung geführt. Anderthalb Jahre ist er Assistent<br />

seines Vaters, dann wird er in den Verlag entlassen, lernt<br />

das Handwerk des Verlagskaufmanns als Assistent von Rüdiger<br />

Hildebrandt, übernimmt dann als Verlagsleiter von Merian seine<br />

erste Verantwortung. »Mein Vater hatte mich und Albrecht Knaus<br />

zu acht Prozent am Unternehmen beteiligt. Ich war noch in München,<br />

als das geschah. Knaus bildete mich aus, nahm mich mit. Er<br />

hat mir alles gezeigt, ich durfte dabei sein, wenn er mit Autoren<br />

verhandelte. Er war vollkommen offen und hat sich große Mühe<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 219 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:48 <strong>Uhr</strong><br />

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gegeben, mich einzuarbeiten. Ich habe viel dabei gelernt und bin<br />

ihm sehr dankbar.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> spürt wohl, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt.<br />

Er ist schwer zuckerkrank, Kraft und Energie lassen nach, auch<br />

die Kraft, Geduld zu üben. Thomas <strong>Ganske</strong> geht durch eine harte<br />

Schule. Einmal ruft Jochen Karsten spontan: »Herr <strong>Ganske</strong>, Söhne<br />

sind auch Menschen!« – was Kurt <strong>Ganske</strong> mit einem Lachen<br />

quittiert haben soll.<br />

1978 wird Thomas <strong>Ganske</strong> Verleger des Hoffmann und Campe<br />

Verlages, eine Feuertaufe. »Ich war kaum in der Gesamtverantwortung<br />

für den Verlag, da kam die Krise: Knaus verließ das Haus,<br />

um einen eigenen Verlag zu gründen. Röhring und Hildebrandt<br />

kamen zu mir, setzten sich an den Tisch und sagten, sie hätten<br />

unabhängig voneinander festgestellt, dass sie den gleichen Beschluss<br />

gefasst hätten: Sie wollten das Haus verlassen. Hildebrandt<br />

wollte zu Saur, Röhring zu Gruner + Jahr, um Stern-Bücher zu<br />

machen. Und zwei Tage später hatte ich Vertreterkonferenz! Ich<br />

musste eine Presseerklärung herausgeben. Die Vertreter probten<br />

den Aufstand. Sie sagten, sie würden nur weitermachen, wenn<br />

sie eine Garantieprovision bekämen. Bis nachts um drei haben<br />

wir diskutiert. Eine Garantieprovision wäre das Ende des Verlages<br />

gewesen. Das Ganze war ein wahnsinniger Rückschlag. Meinen<br />

Vater habe ich in diesen Tagen nicht gesehen. Er war in seinem<br />

Haus in der Schönen Aussicht und hat sich nicht eingemischt,<br />

kein Wort, kein Anruf. Aber er kam zu meiner Frau. ›Thomas hat<br />

jetzt eine schwere Zeit‹, sagte er zu ihr, ›da muss er durch.‹ Als ich<br />

spätabends nach Hause kam, sagte meine Frau: ›K.G. steht voll<br />

hinter dir.‹ Das hat mir sehr geholfen.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> hat sein Haus bestellt, den Sohn in alle Geheimnisse<br />

der Unternehmensführung eingeweiht. Mit seinem Ältesten<br />

söhnt er sich aus. Michael <strong>Ganske</strong> hat seine Krankheit überwunden,<br />

rührt bis heute keinen Alkohol mehr an. Er hat in Kanada<br />

Wurzeln geschlagen. Seine beiden Söhne sind dort aufgewachsen,<br />

220<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 220 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:48 <strong>Uhr</strong>


ei der Mutter, denn die Ehe ist gescheitert. Er lebt mit seiner<br />

zweiten Frau auf seiner kleinen Farm in British Columbia. »Mein<br />

Vater sagte mal: Wenn ich jung wäre, würde ich auswandern. Insofern<br />

fühle ich mich, als hätte ich seinen Traum erfüllt. Ich wollte<br />

immer angeln und jagen, bin lieber draußen in der Natur als in<br />

beheizten oder klimatisierten Räumen. In Kanada habe ich eine<br />

zweite Heimat gefunden und einen zweiten Wohnsitz, ein kleines<br />

Haus, vollkommen abgelegen, in der Provinz Yukon. Ich liebe<br />

die Einsamkeit wie mein Vater, die grandiose Power der Natur.<br />

In der Provinz Yukon leben rund 30 000 Menschen, sie ist größer<br />

als Deutschland. Mein Haus ist abgelegen, ich kann es nur im<br />

Sommer mit dem Boot erreichen. Whitehouse, der nächste größere<br />

Ort, ist vierhundert Kilometer entfernt. Hier muss man alles<br />

selber machen; jeden Nagel muss man mitbringen, jedes Fenster.<br />

Man lebt in und mit der Natur, ist ihr ausgeliefert. Wenn wir etwas<br />

zu essen brauchen, geht Ling, meine Frau, aus dem Haus und<br />

sagt, ich hole uns mal eben einen Hecht. Dann fängt sie ihn und<br />

kommt nach ein paar Minuten wieder, oder sie schießt Haselhühner<br />

fürs Mittagessen. Was sollen wir auch mit einem Elch? Wir<br />

haben keine Tiefkühltruhe für fünfhundert Kilo Fleisch.« Seine<br />

Passion sind die Indianer an der Westküste. »Für dich brennt bei<br />

uns immer ein Feuer«, sagten sie zu ihm. Er setzt sich für ihre<br />

Rechte ein. »Ich bin sicher, meinem Vater hätte das gefallen.«<br />

Sein Vater hat die neue Heimat seines Sohnes nie besucht.<br />

Im März 1979 erkrankt Kurt <strong>Ganske</strong> schwer, bricht zusammen.<br />

»Der Arzt sagte, er müsse sofort ins Krankenhaus«, erzählt Gerda<br />

<strong>Ganske</strong> mit belegter Stimme. »Es war eine Varizenblutung. Acht<br />

Tage hat er noch gelebt. Am 20. März ist er in meinen Armen gestorben.<br />

Ich konnte ihn nicht im Krankenhaus liegen lassen. Ich<br />

habe ihn mit nach Hause genommen, und ich bin Prof. Lubomir<br />

Djurdzevic heute noch dankbar für seine rührende Hilfe. Mein<br />

Mann lag hier noch vier Tage in seinem Arbeitszimmer aufgebahrt.<br />

Ich konnte mich nicht von ihm trennen.«<br />

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222<br />

Die Todesanzeige der Familie zitiert aus dem 90. Psalm:<br />

Unser Leben währet siebenzig Jahre<br />

und wenn’s hochkommt, so sind’s achtzig Jahre,<br />

und wenn’s köstlich gewesen ist,<br />

so ist’s Mühe und Arbeit gewesen;<br />

denn es führet schnell dahin, als fl ögen wir davon.<br />

»Er wird fortwirken in seinen Gedanken und Plänen«, steht in<br />

der Anzeige der Hamburger Verlage und des Lesezirkels Daheim.<br />

»Pläne haben Kurt <strong>Ganske</strong> immer bewegt. Sie waren das große<br />

Vergnügen seines Daseins«, schreibt Jochen Karsten in einem<br />

Nachruf in der Welt.<br />

Siegfried Lenz hält die Totenrede in der Kapelle in Hohenhaus.<br />

»Wir stellten einander viele Fragen, er war ein großer Fragesteller,<br />

weiß Gott –, wir fanden uns oft in der gemeinsamen Freude<br />

am Widerspruch. Früh gab er zu erkennen, was ihn trug und beherrschte:<br />

es waren ein Verlangen nach Klarheit und ein Bedürfnis<br />

nach souveränem Lebensstil. Gleiches durch Gleiches, Außerordentliches<br />

durch Außerordentliches: das hätte sein geheimer<br />

Wahlspruch sein können. – Souveränität – dies war eines seiner<br />

Lieblingsworte in unseren Gesprächen, Souveränität, wie er sie<br />

verstand, legte manchen Verzicht nahe. Er war bereit dazu. Souveränität<br />

zeigte er bei seinen Gründungen, mit Souveränität quittierte<br />

er manche Enttäuschung. Der Grund dieser Souveränität war<br />

bei ihm ein ruhiges Zutrauen zu sich selbst, und dieses Zutrauen<br />

wiederum befähigte ihn zu seiner enormen Lebensleis tung. Um<br />

dieses Werk zu schaffen, bedurfte es allerdings noch anderer Gaben:<br />

Mut war nötig und Einfallsglück und Ausdauer. Und wieder<br />

Souveränität, die sich für ihn nicht darin erschöpfte, einer Lage<br />

gewachsen zu sein, sondern sie zu beherrschen, zu meistern. Was<br />

der Gründer Kurt <strong>Ganske</strong> für sich forderte und in Anspruch nahm,<br />

das traf auch auf den Privatmann zu. Souverän bestimmte er die<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 222 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:48 <strong>Uhr</strong>


Form seines Lebens, eines erfüllten Lebens voller Genugtuungen.<br />

Nicht über den Sinn des Lebens zu diskutieren, sondern ihm<br />

Ausdruck zu geben durch eine bemerkenswerte Handlung, sich<br />

nicht über Formlosigkeit aufzuhalten, sondern sie zu überwinden<br />

durch gesetzte eigene Form; nicht äußere Ansprüche zaghaft hinnehmen,<br />

sondern sie durch eigenen Anspruch parieren: Für K.G.<br />

waren dies Bedingungen souveräner Lebenshaltung. Souverän<br />

sein, das hieß für ihn: sich eine eigene Verfassung zu geben. Jede<br />

Entscheidung kann eine Herausforderung sein, er hat viele Herausforderungen<br />

angenommen und auf seine Weise beantwortet.<br />

Sein Leben ist nicht Skizze geblieben; er hat seinen Lebensentwurf<br />

erstaunlich ausgeführt. Ehren wir diesen Mann, indem wir<br />

uns bemühen, seinem Werk Dauer zu sichern.«<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> wird auf dem Friedhof von Hohenhaus begraben.<br />

Am Waldrand über Hohenhaus ziehen die Jäger auf und blasen<br />

das große Halali.<br />

Drei Jahre nach dem Tod von Kurt <strong>Ganske</strong> verwirklicht der<br />

Sohn einen Traum seines Vaters – ein Projekt, das der immer vor<br />

Augen hatte, aber nicht mehr realisieren konnte: In der früheren<br />

Remise des Rittergutes eröffnet Thomas <strong>Ganske</strong> das Landhotel<br />

Hohenhaus, ein exklusives Refugium mit Kaminplätzen in der<br />

Lobby, Gourmet-Restaurant und Hallenbad. Komfortabel eingerichtete<br />

Zimmer blicken ins Grüne, das Haus wird Mitglied der<br />

Hotelvereinigung »Relais & Chateaux«.<br />

Das Erbe des Kurt <strong>Ganske</strong> hat tiefe Wurzeln geschlagen; manche<br />

Zweige sind abgestorben, andere sind hinzugekommen. Es ist<br />

nicht alles glatt gelaufen, aber das Unternehmen ist stetig gewachsen.<br />

Ein Tiefwurzler offenbar. In drei Jahren wird der Verleger<br />

Thomas <strong>Ganske</strong> 60 Jahre alt. Sebastian, sein Sohn, lernt Verlagskaufmann<br />

beim Heinrich Bauer Verlag. Der Genera tionswechsel<br />

steht noch nicht unmittelbar bevor, aber die Gedanken kreisen<br />

das Thema ein. »Er wird es nicht in die Hand gelegt bekommen.<br />

Er muss es sich nehmen«, sagt der Vater.<br />

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Besuch bei Gerda <strong>Ganske</strong>. Es ist still geworden im Schloss; die<br />

Geschäftsführer des Lesezirkel Daheim treffen sich woanders, Verleger<br />

und Geschäftsfreunde kommen nicht mehr zu Waldspaziergängen.<br />

Aber zu einigen Autoren hält die Witwe des Verlegers<br />

Kontakt. »Besonders befreundet bin ich mit Irina Korschunow.<br />

Sie bekommt immer das gleiche Zimmer; ich nenne es das ›Malenka-Zimmer‹.«<br />

Gerda <strong>Ganske</strong> ist 91 Jahre alt und in Gedanken bei ihrem Mann.<br />

»Er ist hier. Ich lebe mit ihm. Er war nie weg.« Das Gehen fällt ihr<br />

nicht mehr so leicht, aber ihre Stimme ist jung und warm, sie hat<br />

einen wachen Geist und ein gutes Erinnerungsvermögen. Die Erinnerungen<br />

gehören ihm. »Wenn ich ihn vor mir sehe, sehe ich<br />

ihn als jungen Mann«, sagt sie mit einem Lächeln. »Er war ein ganz<br />

zärtlicher, umgänglicher Mensch. Er konnte sehr fein sein und<br />

weich. Wir konnten gut zusammen tanzen, am liebsten englischen<br />

Walzer. Er hatte Spaß daran, das Gesellschaftliche zu imitieren:<br />

›Ich bitte um Ihre Hand, Madame.‹ Ich hatte das Gefühl, das kam<br />

aus seiner Zeit in Berlin. Ich war immer wieder verblüfft, wenn so<br />

etwas kam, denn das Gesellschaftliche interessierte ihn überhaupt<br />

nicht.« Sie lebt in seiner Welt; sein Zimmer, sein Schreibtisch, seine<br />

Bücherschränke, die Jagdtrophäen an den Wänden, sie hat nichts<br />

verändert. Sie spricht mit ihm, fragt sich bei vielem, was sie aus der<br />

Politik erfährt oder auch bei ganz alltäglichen Situationen, was<br />

K.G. wohl dazu sagen würde. Er bleibt ihr keine Antwort schuldig.<br />

An der Wand hängt eine Fotografi e, die ihr Sohn Thomas ihr geschenkt<br />

hat. Sie zeigt eine Landschaft, den Blick zum Friedhof von<br />

Hohenhaus. Dort liegt Kurt <strong>Ganske</strong> begraben. Sie blickt jeden Tag<br />

dorthin. Er hat einen Grabstein aus Schiefer, den Stein, den er so<br />

sehr mochte. »Der Schriftzug seines Namens stammt von seinem<br />

ersten Liebesbrief. Meinen Schriftzug habe ich gleich mitmachen<br />

lassen. Er liegt oben bei mir im Schrank.« Sie hat ihn bestellt, als<br />

sie ihren Mann zu Grabe trugen.<br />

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ZEITTAFEL<br />

1905 Kurt <strong>Ganske</strong> wird am <strong>14</strong>. Januar 1905 in Kiel geboren.<br />

1907 Sein Vater Richard <strong>Ganske</strong> gründet in Kiel die Lesezirkel-Firma<br />

Lesezirkel Daheim Richard <strong>Ganske</strong>.<br />

1913 Gründung der ersten Filiale des Lesezirkel Daheim<br />

in Hannover.<br />

1924 Kurt <strong>Ganske</strong> tritt in die Firma des Vaters ein. Der Lesezirkel<br />

Daheim errichtet Filialen in Dresden und Chemnitz.<br />

1925 Der Lesezirkel Daheim errichtet Filialen in Stettin, Frankfurt,<br />

Nürnberg und Düsseldorf.<br />

1926 Die Zentrale des Lesezirkels zieht nach Hannover.<br />

Der Lesezirkel Daheim errichtet Filialen in Gelsenkirchen,<br />

Kassel, Mannheim und Osnabrück.<br />

1928 Der Lesezirkel Daheim errichtet Filialen in Augsburg,<br />

Breslau, Danzig, Karlsruhe, Magdeburg und Stuttgart.<br />

1929 Der Lesezirkel Daheim errichtet eine Filiale in Berlin.<br />

1930 Der 25-jährige Kurt <strong>Ganske</strong> dirigiert den größten deutschen<br />

(und damit den weltgrößten) Lesezirkel.<br />

1931 Im März besteigt Kurt <strong>Ganske</strong> mit dem Bergführer Fritz<br />

Schatzmann im Laufe von sechs Tagen den Piz Buin<br />

(3312 m) und die Dreiländerspitze (Gemsspitze), das<br />

Fluchthorn (3<strong>40</strong>3 m), den Piz Tasna (3183 m) und den<br />

Piz Davo Lais (3031 m) und wandert über das Larainfernerjoch<br />

nach Galtür.<br />

1932 Zehntägige Wanderung im April. Kurt <strong>Ganske</strong> wandert<br />

von Gargellen nach Obergurgel; er besteigt den Festkogel<br />

(3041 m), den Anna Kogl (3344 m) und den nördlichen<br />

Hochwalde (3420 m), den Schalfkogel (3510 m)<br />

und Similaun (3607 m), die Mittlere, Vordere und Hintere<br />

Guslarspitze (3128 m, 3119 m und 3<strong>14</strong>8 m), die<br />

Wildspitze (3774 m), Hoch Vernagtspitze (3531 m),<br />

Weißseespitze (3534 m) und Kesselwandspitze (34<strong>14</strong> m)<br />

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1933 Der Lesezirkel Daheim errichtet Filialen in Görlitz und<br />

Waldenburg.<br />

1934 Sechs Tage Bergwanderung im April: Britanniahütte<br />

(3030 m), Klein Allalinhorn (3077 m), Strahlhorn<br />

(4191 m), Alphubel (4207 m), Fluchthorn (3802 m),<br />

Allalinhorn (<strong>40</strong>27 m). Eingliederung der Grünen Mappe<br />

in Hamburg mit Filialen in Bremen und Lübeck in den<br />

Lesezirkel Daheim.<br />

1936 Kurt <strong>Ganske</strong> erwirbt Gut Hohenhaus in Nordhessen.<br />

1937 Der Lesezirkel Daheim baut Zweigniederlassungen in<br />

Dessau, Halberstadt, Halle, Leipzig, Plauen und<br />

Zwickau auf.<br />

1938 Der Lesezirkel Daheim hat 36 Filialen in Deutschland,<br />

1300 Mitarbeiter und über 180 000 Abonnenten.<br />

Für das Anzeigengeschäft wird der Werbemerkur<br />

gegründet.<br />

27. August: Kurt <strong>Ganske</strong> heiratet Gerda Tolle in<br />

Hohenhaus.<br />

1939 Geburt von Michael <strong>Ganske</strong>.<br />

19<strong>40</strong> Geburt von Martin <strong>Ganske</strong>.<br />

1941 Kurt <strong>Ganske</strong> erwirbt von dem dänischen Schleifmittelfabrikanten<br />

Martinus Christensen 50 Prozent des<br />

Hoffmann und Campe Verlages. Später erhöht sich die<br />

Beteiligung auf 90 Prozent. Nach dem Krieg geht der<br />

Verlag ganz in seinen Besitz über.<br />

1942 Geburt von Mareile <strong>Ganske</strong>. Harriet Wegener nimmt<br />

ihre Tätigkeit als Lektorin des Hoffmann und Campe<br />

Verlages auf. Sie hat maßgeblichen Anteil an der<br />

Führung des Verlages bis zu seinem Verbot 1944 und<br />

am Wiederaufbau des Unternehmens nach dem Ende<br />

des Zweiten Weltkriegs. Noch in den siebziger Jahren<br />

war Harriet Wegener als Lektorin für Hoffmann und<br />

Campe tätig.<br />

226<br />

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Innerhalb der Reihe »Geistiges Europa« veröffentlicht<br />

der spätere Bundespräsident Theodor Heuss »Justus von<br />

Liebig. Vom Genius der Forschung«.<br />

1944 Als letzter Band der Reihe »Geistiges Europa« erscheint<br />

Albrecht Erich Brinckmanns »Michelangelo. Vom Ruhme<br />

seines Genius in fünf Jahrhunderten«.<br />

Am 26. August erhält Hoffmann und Campe die Schließungsverfügung<br />

vom Präsidenten der Reichsschrifttumskammer.<br />

Dank ihrer Hartnäckigkeit erwirken<br />

Martinus Christensen und Harriet Wegener mehrfach<br />

eine Verlängerung der Abwicklungsfrist, so dass dem<br />

Verlag Räume, Telefone, Schreibmaschinen und der<br />

ganze Bürobestand bis 1945 erhalten bleiben.<br />

1945 Hohenhaus wird vorübergehend amerikanisches Hauptquartier.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> fl ieht aus der Gefangenschaft und<br />

wandert nach Hohenhaus. Tod des Kindes Martin.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> und Martinus Christensen erhalten von<br />

den Besatzungsbehörden die Erlaubnis zur Publikation<br />

von Büchern und Musikalien.<br />

1946 Hoffmann und Campe geht mit 13 Titeln in den Verkauf.<br />

34 weitere werden angekündigt. Der Schwerpunkt<br />

des Programms liegt auf übersetzter Belletristik (aus<br />

dem Englischen, dem Französischen und Finnischen).<br />

In der »Drei Türme Edition« werden Noten und musikalische<br />

Fachliteratur veröffentlicht. Der Lesezirkel wird<br />

mit dem Verleih von Büchern wieder aufgebaut. Der<br />

Leserkreis Daheim eröffnet Filialen in Augsburg, Bremen,<br />

Düsseldorf, Frankfurt, Gelsenkirchen, Hamburg,<br />

Hannover, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Lübeck, Mannheim,<br />

Nürnberg, Osnabrück und Stuttgart.<br />

1947 Geburt von Thomas <strong>Ganske</strong>.<br />

Friedrich Everling veröffentlicht unter dem Pseudonym<br />

Schlehdorn den Roman »Der Flüchtling du Chêne«.<br />

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Der Leserkreis Daheim eröffnet Filialen in Berlin, Leipzig,<br />

Chemnitz, Dresden, Görlitz, Magdeburg, Regensburg<br />

und Zwickau.<br />

1948 Prof. Alfred Mahlau (1894–1964) entwickelt ein Signet<br />

für den Hoffmann und Campe Verlag, das noch heute<br />

im Einsatz ist.<br />

Im Juli erscheint die erste Ausgabe von Merian.<br />

Bis 19<strong>54</strong> konzentriert sich die monographische Zeitschrift<br />

ausschließlich auf deutsche Themen.<br />

Gründung von Film und Frau (später Moderne Frau,<br />

heute Petra). Gründung der Monatszeitschrift Stimme der<br />

Frau im Verlag Die Stimme der Frau GmbH in Hannover.<br />

Der Leserkreis Daheim eröffnet Filialen in München<br />

und Würzburg. Die ostdeutschen Filialen werden in<br />

eine selbständige Kommanditgesellschaft umgewandelt.<br />

Bis zur Währungsreform können in den Filialen der<br />

britischen, amerikanischen und französischen Zone<br />

9000 Erstmappen an 170 000 Abonnenten geliefert<br />

werden. Nach der Währungsreform sinkt der Kundenstamm<br />

auf 95 000, während in der sowjetisch besetzten<br />

Zone 33 000 Leser die Mappen beziehen.<br />

1949 23. Mai: Gründung der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert die Presse- und<br />

Meinungsfreiheit.<br />

Der Jahreszeiten Verlag zieht nach Hamburg und übernimmt<br />

Stimme der Frau ab Heft 4/49. Im Jahr darauf<br />

Umstellung auf vierzehntägiges Erscheinen. Aufbau von<br />

Zweigniederlassungen des Leserkreis Daheim in Braunschweig,<br />

Dortmund, Duisburg, Essen, Wiesbaden und<br />

Wuppertal.<br />

1950 Martinus Christensen scheidet aus dem Hoffmann und<br />

Campe Verlag aus, Kurt <strong>Ganske</strong> wird Alleininhaber.<br />

Rudolf Soelter wird Verlagsleiter Programm bei Hoff-<br />

228<br />

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mann und Campe, wo Grantly Dick-Reads »Mutterwerden<br />

ohne Schmerz« herauskommt und Dinah Nelkens<br />

»Ich an Dich«.<br />

Der Leserkreis Daheim eröffnet Filialen in Gießen und<br />

Rendsburg.<br />

1951 Bei Hoffmann und Campe erscheint das erste Buch von<br />

Siegfried Lenz: »Es waren Habichte in der Luft«. In der<br />

DDR werden die Filialen in Chemnitz, Dresden, Görlitz,<br />

Leipzig, Magdeburg und Zwickau enteignet und in die<br />

Verwaltung der Post überführt.<br />

1952 Bei Hoffmann und Campe erscheinen Percy Ernst<br />

Schramms »Hamburg, Deutschland und die Welt« und<br />

Paul Herrmanns »Sieben vorbei und acht verweht. Das<br />

Abenteuer der frühen Entdeckungen«.<br />

1953 Der Leserkreis Daheim gründet Filialen in Bremerhaven,<br />

Bochum und Oberhausen.<br />

Im Hoffmann und Campe Verlag erscheint Peter von<br />

Zahns »Fremde Freunde. Bericht aus der neuen Welt« .<br />

19<strong>54</strong> Bei Hoffmann und Campe erscheinen Alice Ekert-Rotholz’<br />

»Reis aus Silberschalen« und Clemens Wilmenrods<br />

»Es liegt mir auf der Zunge«.<br />

Hamburg wird Zentrale des Leserkreis Daheim mit<br />

360 000 Kunden.<br />

1955 Dr. Albrecht Bürkle, seit 1947 als Lektor und Redakteur<br />

im Hoffmann und Campe Verlag tätig, wird Verlagsleiter.<br />

Bei Hoffmann und Campe erscheinen: Siegfried Lenz,<br />

»So zärtlich war Suleyken. Masurische Geschichten«;<br />

Max Tau, »Denn über uns ist der Himmel« und Hans<br />

Scholz, »Am grünen Strand der Spree«.<br />

1956 20. Februar: Tod des Firmengründers Richard <strong>Ganske</strong>.<br />

175 Jahre Hoffmann und Campe Verlag.<br />

Zum 100. Todestag Heinrich Heines startet bei Hoffmann<br />

und Campe die Reihe der »Campe-Klassiker«:<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 229 <strong>01.11.2005</strong> 15:41:55 <strong>Uhr</strong><br />

229


Goethe, Schiller, Shakespeare, Hebbel, Lessing, Mörike,<br />

Novalis, Tieck und Ibsen, die 1971 mit einer Edition der<br />

Musikdramen Richard Wagners endet. Von Alice Ekert-<br />

Rotholz erscheint »Wo Tränen verboten sind. Roman der<br />

Wandlungen« und von Grantly Dick-Read »Der Weg zur<br />

natürlichen Geburt«.<br />

Kurt <strong>Ganske</strong> wird Mehrheits-Gesellschafter des Rheinischen<br />

Merkur in Koblenz. Baubeginn des Redaktionshochhauses<br />

Poßmoorweg 1 und des Redaktions- und<br />

Verlagsgebäudes am Krohnskamp 20–24 in Hamburg<br />

Winterhude.<br />

1957 Bei Hoffmann und Campe erscheinen von Gerhard<br />

Nebel »An den Säulen des Herakles« und »Die Not<br />

der Götter«. Das erste Themen-Sonderheft von Film und<br />

Frau erscheint unter dem Titel Architektur.<br />

Aus Stimme der Frau wird die Für Sie.<br />

1958 Bei Hoffmann und Campe erscheinen Michel de Castillos<br />

»Elegie der Nacht«, ein dokumentarischer Roman.<br />

1959 Rudolf Hagelstange erhält für seinen Roman »Spielball<br />

der Götter« den Julius-Campe-Preis.<br />

1960 Bei Hoffmann und Campe erscheinen M. Y. Ben-Gavriêls<br />

»Der Mann im Stadttor« und Joy Adamsons »Frei<br />

geboren«.<br />

1965 Einrichtung von Verlagsbüros am Heidberg 1 neben<br />

dem Verlagsgebäude am Krohnskamp.<br />

Erweiterung der Gebäude am Poßmoorweg und am<br />

Heidkamp 1– 9.<br />

1966 Am 9. September erscheint die letzte Ausgabe von Film<br />

und Frau. Vierzehn Tage später kommt sie unter dem<br />

Titel Moderne Frau heraus.<br />

1967 Gründung der Zeitschrift Zuhause Wohnen im Jahreszeiten<br />

Verlag.<br />

230<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 230 <strong>01.11.2005</strong> 16:08:24 <strong>Uhr</strong>


1968 Gründung der Zeitschrift Architektur und kultiviertes<br />

Wohnen, hervorgegangen aus Film und Frau. Das Blatt<br />

erscheint ab 1969 in zwei Ausgaben pro Jahr, wird 1971<br />

in Architektur & Wohnen umbenannt und kommt 1977<br />

dreimal und ab 1978 viermal im Jahr heraus. Ab 1985<br />

wird die Erscheinungsweise auf zweimonatlich umgestellt.<br />

Bei Hoffmann und Campe erscheint »Deutschstunde«<br />

von Siegfried Lenz.<br />

1969 Ausbau des Verlagsgebäudes Heidberg 1– 7. Der neue<br />

Verbindungstrakt zum ersten Verlagsgebäude erhält<br />

die künftig für den ganzen Verlag geltende Postadresse<br />

Poßmoorweg 5. Der Jahreszeiten Verlag übernimmt den<br />

monatlichen Frauentitel Petra von Gruner+Jahr. Aus<br />

Petra und Moderne Frau wird später Petra – die moderne<br />

Frau. Der Hoffmann und Campe Verlag erwirbt den<br />

Heinrich Heine Verlag zusammen mit den Rechten am<br />

Gesamtwerk Hanns Henny Jahnns.<br />

1970 Der Jahreszeiten Verlag übernimmt aus dem Ehapa Verlag<br />

die Zeitschrift Vital.<br />

1973 Thomas <strong>Ganske</strong> wird Teilhaber des Jahreszeiten und<br />

Hoffmann und Campe Verlags.<br />

1974 Thomas <strong>Ganske</strong> beginnt als Assistent der Verlagsleitung<br />

bei Hoffmann und Campe.<br />

Bei Hoffmann und Campe erscheint die siebenbändige<br />

Gesamtausgabe Hanns Henny Jahns.<br />

1975 Übernahme von Der Feinschmecker aus dem Arne Verlag.<br />

Die Erstausgabe erscheint mit dem Untertitel »Tafelfreuden<br />

international« in einer Startaufl age von<br />

100000, in der Testphase dann vierteljährlich (ab 1986<br />

alle zwei Monate und seit 1989 monatlich). Zuhause<br />

mach’s selbst erscheint als Sonderheft von Zuhause.<br />

1978 Der Jahreszeiten Verlag übernimmt vom Orbis Verlag<br />

die Zeitschrift Selbermachen.<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 231 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:51 <strong>Uhr</strong><br />

231


Der Hoffmann und Campe Verlag wird Gesellschafter<br />

beim Deutschen Taschenbuch Verlag, München.<br />

Michael <strong>Ganske</strong> wandert nach Kanada aus. Thomas<br />

<strong>Ganske</strong> übernimmt die Leitung des Verlages.<br />

1979 Kurt <strong>Ganske</strong> stirbt am 20. März 1979 in Hohenhaus.<br />

Heute sind die Unternehmen der <strong>Ganske</strong> Verlagsgruppe unter<br />

einer Holding mit Sitz am Harvestehuder Weg 41 zusammengefasst.<br />

Der Vorstand besteht aus Frank-H. Häger, Peter Notz und<br />

Karl Udo Wrede, Vorstandsvorsitzender ist Thomas <strong>Ganske</strong>.<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 232 <strong>01.11.2005</strong> 15:04:51 <strong>Uhr</strong>


REGISTER<br />

Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen<br />

sich auf die Abbildungen.<br />

ADAC-Reisemagazin 162<br />

Adenauer, Konrad <strong>14</strong>4, <strong>14</strong>6, 150<br />

Adorno, Theodor W. 110<br />

Ahlers, Conrad 190<br />

Akut – Das kritische Magazin für<br />

Wissenschaft und Fortschritt<br />

178<br />

Alexander I., Zar von Russland<br />

<strong>14</strong>5<br />

Andres, Stefan 161, 194<br />

Arbeiter-Illustrierte 169<br />

Architektur & Wohnen 7, 173<br />

Architektur und kultiviertes Wohnen<br />

172, 174<br />

Ariola 158<br />

Arndt, Ernst Moritz <strong>14</strong>5<br />

Arne Verlag 178<br />

Augstein, Rudolf 115, 165<br />

Ausländer, Rose 197<br />

B.Z. am Mittag 46, 50<br />

Bähnisch, Theanolte 122<br />

Baker, Josephine 53<br />

Bär, Elisabeth 155<br />

Barbey, Bruno 162<br />

Bardot, Brigitte 119, 121<br />

Barth, Erwin <strong>54</strong><br />

Bauer, Heinz 16<br />

Baum, Hedwig (»Vicki«) 48<br />

Bayerischer Staatspreis für<br />

Literatur 186<br />

Becker, Konrad <strong>14</strong>9<br />

Behr, Hubert 77, 79<br />

Bergengruen, Werner 194<br />

Bergman, Ingmar 166, 194<br />

Berliner Illustrirte Zeitung 25,<br />

47 f., 62<br />

Berliner Tageblatt 58<br />

Bernhard, Thomas 157<br />

Bertelsmann Verlagsgruppe 193<br />

Beuys, Joseph <strong>14</strong>9<br />

Bieler, Manfred 192<br />

Bimini 83<br />

Bing Fromont, Jean-Michel <strong>14</strong>5<br />

Blechschmidt, Angelica 218<br />

Böckel, Eberhard 194<br />

Böckmann, Paul 197<br />

Boese, Christa (→ Hantelmann,<br />

Christa von) 136<br />

Böll, Heinrich 186, 189<br />

Börne, Ludwig 82<br />

Börsenblatt des Deutschen Buchhandels<br />

194<br />

Bötticher, Hans (→ Ringelnatz,<br />

Joachim) 56 f.<br />

Brandt, Willy 190 f.<br />

Brecht, Bertolt 33, 46, 58<br />

Brentano, Clemens von <strong>14</strong>5<br />

Brigitte 22, 123, 165, 170 f.<br />

Brinckmann, Albert Erich von<br />

83, 85<br />

Brinitzer, Albert 83<br />

Brinitzer, D. Carl 197<br />

Brod, Max 46<br />

Brown, Dee 190<br />

Brüning, Heinrich 60, 181<br />

Bucerius, Gerd 150, 196<br />

Buchholz, Horst 120<br />

Bunte Illustrierte <strong>14</strong>9<br />

Burda, Aenne 167<br />

Burda, Franz <strong>14</strong>, 16, <strong>14</strong>9, 167,<br />

210<br />

Burda, Frieder 167 f., 170<br />

Burda Moden <strong>14</strong>9<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 233 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:25 <strong>Uhr</strong><br />

233


Burda Verlag <strong>14</strong>9<br />

Burkhardt, Joachim 197<br />

Bürkle, Albrecht 134, 137 f.,<br />

155, 173<br />

Campbell-Walter, Fiona 120<br />

Campe, Fritz August Gottlob 82<br />

Campe, Julius 82, 84, 132 ff.,<br />

<strong>14</strong>6<br />

Campe, Julius jr. 82<br />

Campe-Klassiker 184<br />

Capital 175 f.<br />

Cardenas, Julio 94<br />

Ceram, C. W. (eigentl. Kurt Wilhelm<br />

Marek) 183<br />

Christensen, Martinus 83 ff., 113<br />

Christ und Welt 150, 152<br />

Clay, Lucius D. 109<br />

Clift, Montgomery 110<br />

Cocteau, Jean 118, 161<br />

Comedian Harmonists 56<br />

Constanze 123, 165 f., 170 f.<br />

Constanze Mode-Sonderheft<br />

165, 170<br />

Constanze Verlag 123, 165,<br />

169, 171<br />

Country 174<br />

Cramer, Heinz von 197<br />

Crismon 152<br />

Dagover, Lil 120<br />

Danella, Utta 189<br />

Das Blatt der Hausfrau 36, 47, 62<br />

Das kleine Magazin 50<br />

Das Magazin 49 f.<br />

Das Ufer <strong>14</strong>9<br />

de Bry, Theodor 112<br />

de Sica, Vittorio 110<br />

Der Bazar 62<br />

Der Feinschmecker 7, 15, 178 f.<br />

234<br />

Der heitere Fridolin 48<br />

Der Rheinische Hausfreund <strong>14</strong>4<br />

Der Spiegel 1<strong>14</strong> f., 165, 177 f.<br />

Deutscher Taschenbuch Verlag<br />

193<br />

Dick-Read, Grantly 128<br />

Die Dame 46 f., 62<br />

Die elegante Welt 50<br />

Die Gartenlaube 19, 24<br />

Die Grüne Mappe 61<br />

»Die junge Welt«; Buchreihe<br />

im Hoffmann und Campe<br />

Verlag 83<br />

Die Koralle 48, 62<br />

Die Sirene 63<br />

Die Stimme der Frau 122 ff., <strong>14</strong>2<br />

Die Welt 129, 131, 222<br />

Die Zeit 150, 177<br />

Dies Blatt gehört der Hausfrau!<br />

22 f.<br />

Diese Woche 115<br />

Dietrich, Marlene 50, 53, 58<br />

Dingelstedt, Franz 82<br />

Dior, Christian 110<br />

Ditfurth, Hoimar von 178, 189 f.<br />

Djilas, Milovan 161<br />

Djurdzevic, Lubomir 221<br />

Dor, Milo 197<br />

Dyck, Anthonis van 112<br />

Ebert, Friedrich 30<br />

Ebert, Horst-Dieter 179<br />

Ebhardt, Bodo 70<br />

Eggebrecht, Axel 115<br />

Eisenhower, Dwight D. 96<br />

Eisner, Kurt 30<br />

Ekert-Rotholz, Alice 134, 136,<br />

196 f.<br />

Ellington, Duke 53<br />

Emma 122<br />

Enquist, Per Olov 197<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 234 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:27 <strong>Uhr</strong>


Epstein, Leslie 194<br />

Erhard, Ludwig 111<br />

»Europa-Bibliothek«;<br />

Buchreihe im Hoffmann und<br />

Campe Verlag 83 f.<br />

Fahrenkamp, Emil 128<br />

Fallada, Hans 110<br />

Fallersleben, Hoffmann von 82<br />

Fest, Joachim 194<br />

Festkogl 66<br />

Film und Frau 7, 116 ff., 120,<br />

122 f., 127, 136, <strong>14</strong>2, <strong>14</strong>9, 157,<br />

165 f., 170, 172<br />

Finck, Werner 163<br />

Fleckhaus, Willy 175, 192, 218<br />

Fleischmann, Lea 195<br />

Förster-Nietzsche, Elisabeth 181<br />

Forst, Willi 58<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

128<br />

Frankfurter Zeitung 182<br />

Frauenblatt 24<br />

Freundin 167<br />

Friedel, Michael 162<br />

Friedell, Egon 61<br />

Friedenspreis des Deutschen<br />

Buchhandels 186<br />

Friedlaender, Saul 194<br />

Friedrich I., König von Württemberg<br />

<strong>14</strong>5<br />

Fritz, Walter Helmut 192, 197<br />

Fröbe, Gert 110<br />

Funk-Wacht 115<br />

Furtwängler, Wilhelm 53, 58<br />

Für Sie 7, 15, 123, <strong>14</strong>2, 155,<br />

166 ff., 170 f., 218<br />

Fuß, Arnold 83<br />

<strong>Ganske</strong>, Anabell 215<br />

<strong>Ganske</strong>, Anna Selma (»Annchen«)<br />

9, 19, 97<br />

<strong>Ganske</strong>, Gerda (→ Tolle, Gerda)<br />

10, 73 ff., 78, 97, 99, 122<br />

<strong>Ganske</strong>, Götz 208<br />

<strong>Ganske</strong>, Karl Hermann Eduard<br />

19<br />

<strong>Ganske</strong>, Käthe (→ Vogt, Käthe)<br />

9, 12, 19, 52, 101<br />

<strong>Ganske</strong>, Luise Johanna 19<br />

<strong>Ganske</strong>, Mareile 81, 102, 105,<br />

108, 2<strong>14</strong>, 215<br />

<strong>Ganske</strong>, Mark 215<br />

<strong>Ganske</strong>, Martin 81, 103 f.<br />

<strong>Ganske</strong>, Michael 77, 99 ff., 105,<br />

108, 111, <strong>14</strong>1, 170, 208, 2<strong>14</strong> f.,<br />

218 ff.<br />

<strong>Ganske</strong>, Richard 9, 36, 52, 107<br />

<strong>Ganske</strong>, Sebastian 16, 223<br />

<strong>Ganske</strong>, Thomas 16, 20, 39, 41,<br />

63, 100, 108, 1<strong>14</strong>, 122, 137,<br />

138 ff., <strong>14</strong>8, 191, 201, 220, 224<br />

<strong>Ganske</strong>, Viktoria (→ Westhoff,<br />

Veronika) 219<br />

Garbo, Greta 48<br />

Géczy, Barnabas von 53, 57<br />

Geo 177<br />

Geo Special 162<br />

George, Uwe 195<br />

Gerhart-Hauptmann-Preis 186<br />

Gimm, Peter 218<br />

F. L. Gleditsch sel. Erben, Verlagsbuchhandlung<br />

81<br />

Glickes, Erwin 191<br />

Globke, Hans <strong>14</strong>4<br />

Goethe-Preis der Stadt Frankfurt<br />

am Main 186<br />

Goethe Johann Wolfgang von<br />

<strong>14</strong>5, 181, 184<br />

Görres, Joseph von <strong>14</strong>5<br />

Görres-Druckerei <strong>14</strong>5<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 235 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:27 <strong>Uhr</strong><br />

235


Graf, Oskar Maria 83<br />

Grube, Frank 195<br />

Grün, Anastasius 82<br />

Gruner, Richard <strong>14</strong>, 116, 170<br />

Gruner + Jahr Verlag 22, 171,<br />

176, 220<br />

Gruša, Jiˇrí 194<br />

Gustav II., Adolf, König von<br />

Schweden 112<br />

Gutenberg Verlag 83<br />

Gutzkow, Karl 82<br />

Habe, Hans 196<br />

Haffner, Sebastian 31, 34, 194<br />

Hagelstange, Rudolf <strong>40</strong>, 134,<br />

136, 196 f., 200<br />

Haller, Martin 127<br />

Handelsblatt 175<br />

Hannoversche Allgemeine 152<br />

Hannoversche Verlagsgesellschaft<br />

1<strong>14</strong><br />

Hantelmann, Christa von<br />

(→ Boese, Christa) 134, 136,<br />

173 f.<br />

Harlan, Veit 58<br />

Hartz, Alfred 51<br />

Hase, Karl Günther von 210<br />

Haselhorst, Walther 122<br />

Hauptmann, Gerhart 33<br />

Hazard, Paul 84<br />

Hebbel, Friedrich 82, 184<br />

Heckel, Erich 116<br />

Heine, Heinrich 17, 61, 80, 82,<br />

128, 133, 184, 199<br />

Heine-Jahrbuch 184<br />

Heine-Taler 192<br />

Heinemann, Caesar 128<br />

»Goldener Heine-Taler« 197<br />

Heinrich-Heine-Professur der<br />

Universität Düsseldorf 186<br />

Heinrich-Heine-Universität 184<br />

236<br />

Heinrich Bauer Verlag <strong>14</strong>, 115,<br />

223<br />

Henkel, Oberstleutnant 91 f.<br />

Herodes 183<br />

Herrmann, Marie-Luise 197<br />

Herrmann, Paul 128<br />

Hertel, Zacharias 81<br />

Hessel, Franz 46<br />

Heuss, Theodor 83<br />

Hildebrandt, Rüdiger 178, 183,<br />

188, 219 f.<br />

Hildenbrandt, Fred 58<br />

Hillard-Steinbörner, Gustav 197<br />

Hindemith, Paul 58<br />

Hitler, Adolf 59, 61, 84, 200<br />

Hofer, Carl 116<br />

Hoff, Kay 197<br />

Hoffmann, Benjamin Gottlob 81<br />

Hoffmann und Campe Verlag 7,<br />

11, <strong>14</strong>, 81 ff., 107, 113, 122,<br />

128, 129, 131, 133 f., <strong>14</strong>2, <strong>14</strong>6,<br />

159, 178, 181, 185, 187 ff.,<br />

192 f., 195, 198, 200 f., 220<br />

Höffner, Joseph Kardinal 152<br />

Höger, Fritz 42, 1<strong>14</strong><br />

Hohenzollern, Friedrich von 30<br />

Höhne, Eitel 202 f.<br />

Honolka, Bert 197<br />

Höpker, Thomas 162, 192<br />

Horkheimer, Max 110<br />

Horn, Camilla 50<br />

Hörzu 115<br />

Huffzky, Hans 123<br />

Hugenberg, Alfred 49<br />

Hugendubel, Paul 182<br />

Hugendubel, Verlag und<br />

Sortiment 182<br />

Hundertwasser, Friedensreich<br />

157<br />

Hyan, Hans 46<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 236 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:28 <strong>Uhr</strong>


Ibsen, Henrik 184<br />

Ihering, Herbert 46<br />

Immermann, Karl Leberecht 82<br />

Jäckel, Eberhard 194<br />

Jacobsohn, Siegfried 46<br />

Jahr, John 123<br />

Jahreszeiten Verlag 7, 13, 115,<br />

122, 167, 170 f., 177<br />

Jess, Henning 197<br />

Jünger, Ernst 41<br />

Käfer, Gerd 195<br />

Kaiser, Joachim 184<br />

Kaiserlich Privilegierte Hambur–<br />

gische Neue Zeitung 81<br />

Karl V., Kaiser <strong>14</strong>8<br />

Karsten, Jochen 9, 15 f., 113,<br />

155 f., 162 f., 178 ff., 220, 222<br />

Kästner, Erich 46<br />

Kausche-Kongsbak, Eva 197<br />

Käutner, Helmut 120<br />

Keller, Will 161 f.<br />

Kerr, Alfred 46, 83<br />

Kesselwandspitze 66<br />

Kiefer, Anselm <strong>14</strong>9<br />

Kienöl, Erich <strong>54</strong>, 66, 96 f.<br />

Kisch, Egon Erwin 33<br />

Kittinger, Hermann 205 ff.<br />

Kittinger, Wolfgang 206<br />

Klabund 83<br />

Klíma, Ivan 194<br />

Kliment, Alexander 194<br />

Klofat, Rainer 160<br />

Klopstock, Friedrich Gottlieb 82<br />

Klötzke, Helmut 88, 90<br />

Knaus, Albrecht 181 ff., 187 ff.,<br />

199 ff., 219 f.<br />

Knaus Verlag 193<br />

Knef, Hildegard 1<strong>14</strong><br />

Koch, Marianne 120<br />

Koczian, Johanna von 120<br />

Koebner, Franz Wolfgang 49 f.<br />

Koeppen, Wolfgang 161<br />

Kohout, Pavel 194<br />

Kokoschka, Oskar 185<br />

Konkret 123<br />

Konzelmann, Gerhard 195<br />

Kopelew, Lew 189<br />

Kopf, Hinrich Wilhelm 122<br />

Körber, Hilde 58<br />

Korschunow, Irina 224<br />

Krämer-Badoni, Rudolf 197<br />

Kriseová, Eda 194<br />

Kristall 115<br />

Krockow, Christian Graf von 195<br />

Krüger, Arne 178<br />

Krüger, Horst 161, 201<br />

Kunert, Günter 161<br />

Kusniewicz, Andrzej 194<br />

Lamarr, Hedy 120<br />

Lande, Max 83<br />

Laube, Heinrich 20<br />

Lauren, Ralph 174<br />

Lauritzen, Lauritz 208<br />

Laxness, Halldor 161<br />

Ledig-Rowohlt, Heinrich Maria<br />

183<br />

Lenz, Siegfried 7, 11, 15, 128 ff.,<br />

131, 133 f., 136, 161, 185 f.,<br />

188, 193, 196 ff., 200 f., 222,<br />

229, 231<br />

Lesezirkel Daheim Richard <strong>Ganske</strong><br />

7, 13, 20 ff., 31, 36, 39, 42, 45,<br />

48, 51, 62 f., 75, 81, 91, 104,<br />

106, 108, 110 f., <strong>14</strong>2, 164, 166,<br />

172, 222, 224<br />

Lessing, Gotthold Ephraim 184<br />

Lettré, Emil <strong>54</strong><br />

Leuwerik, Ruth 119<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 237 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:28 <strong>Uhr</strong><br />

237


Le Carré, John 192<br />

Lichtenstein, Roy <strong>14</strong>9<br />

Liebig, Justus von 83<br />

Lilje, Hanns 150<br />

List, Herbert 162<br />

Loerke, Oskar 83<br />

Lott-Almstadt, Sylvia 123<br />

Lübke, Wilhelmine 79<br />

Ludendorff, Erich 26<br />

Lundberg, Ferdinand 190<br />

Lüth, Erich 197<br />

Madame 50<br />

Magazin für Alle 50<br />

Mailer, Normann 161<br />

Mann, Golo 190<br />

Mann, Heinrich 61<br />

Mann, Thomas 51, 61, 161<br />

Marais, Jean 118<br />

Marx, Erich 16, <strong>14</strong>8 ff., 152 f.<br />

McBride, Barbara (→ Barbara<br />

Siebeck) 166<br />

McGraw, Ali 188<br />

McGraw Hill 188<br />

Meir, Golda 184<br />

Mendelssohn, Hermann 181<br />

Menuhin, Yehudi 53<br />

Merian 111, 113, 127, 132, 136,<br />

<strong>14</strong>2, 155, 156 ff., 183, 201,<br />

219<br />

Merian, Matthäus 99, 112<br />

Meyendorff, Irene von 116<br />

Michael, Marion 120<br />

Miller, Henry 161<br />

Moderne Frau 123<br />

Moenig, Siegfried 115<br />

Monika 22<br />

Montand, Yves 118<br />

Mönnich, Horst 199<br />

Mörike, Eduard von 184, 229<br />

Mosse 44<br />

238<br />

Müller, Alexander von 181<br />

Müller, August 81<br />

n+m (Naturwissenschaft und<br />

Medizin) 189<br />

Nachtigall, Werner 195<br />

Nannen, Henri 1<strong>14</strong><br />

Napoleon Bonaparte 82, <strong>14</strong>5<br />

National-Zeitung 49<br />

Natur 176<br />

Nebel, Gerhard 137, 197, 199<br />

Nelken, Dinah 46, 197<br />

Neveling, Hildegard 8<br />

Neven DuMont, Alfred 175<br />

News Magazine 1<strong>14</strong><br />

New York Times 188<br />

Nielsen, Asta 57<br />

Nietzsche, Friedrich 181, 188<br />

Nohlen, Dieter 195<br />

Nolde, Emil 116, 185<br />

Norddeutsche Hefte 115<br />

Novalis 184, 229<br />

NS-Frauenwarte 63<br />

Nuscheler, Franz 195<br />

O’Brien, Tim 194<br />

Oestergaard, Heinz 120<br />

Ondra, Anny 57, 68, 210<br />

O’Neal, Ryan 188<br />

Ophüls, Max 118<br />

Ossietzky, Carl von 134<br />

Pankoke, Helga (→ Waldenburger,<br />

Helga) 116<br />

Patton Jr., George S. 94 ff., 99<br />

Pershing, John Joseph 94<br />

Petra 7, 123, 169 f.<br />

Philipp II., König von Spanien<br />

<strong>14</strong>8<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 238 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:29 <strong>Uhr</strong>


Pieper, Leonharda (»Muschelkalk«)<br />

57, 59<br />

Piontek, Heinz 197<br />

Piper, Reinhard 182, 187<br />

Piper Verlag 194<br />

Piz Buin 66<br />

Playboy <strong>14</strong>9<br />

Popper, Karl 194<br />

Porten, Henny 58, 120<br />

Publik 151<br />

Querschnitt 48<br />

Random House 194<br />

Ranft, Ferdinand 15, 162<br />

Ranke, Leopold von 83<br />

Ratgeber fürs Hauswesen 22<br />

Rathenau, Walther 34<br />

Rauschenberg, Robert <strong>14</strong>9<br />

Remarque, Erich Maria 33<br />

Rheinischer Merkur 7, <strong>14</strong>2, <strong>14</strong>8,<br />

150 ff.<br />

Rhenania Buchverlag <strong>14</strong>4,<br />

150 f.<br />

Richter, Gerhard 101, 195<br />

Riess, Curt 197, 200 f.<br />

Ringelnatz, Joachim(→ Bötticher,<br />

Hans) 57, 59, 61<br />

Rittergut Polle, Weser 122<br />

Roegele, Otto B. <strong>14</strong>2, <strong>14</strong>4 ff.,<br />

150 f., 196, 2<strong>14</strong><br />

Röhring, Hans-Helmut 194, 220<br />

Rohrsen, Johannes 113<br />

Rowohlt, Ernst 61<br />

Rühmann, Heinz 48<br />

Rund um den Pelz <strong>14</strong>4<br />

Rütting, Barbara 120<br />

Safranski, Kurt 62<br />

K. G. Saur Verlag 220<br />

Schatzmann, Fritz 63, 66, 67<br />

Scheibe, Emil <strong>14</strong>2<br />

Scheibenpfl ug, Heinz 155<br />

Scheidemann, Philipp 30<br />

Scheler, Max 192<br />

Scherl’s Magazin 49<br />

Scherl Verlag 49<br />

Scherz und Goverts Verlag 182<br />

Schiller, Friedrich 184, 229<br />

Schmeling, Max 57, 68,<br />

69, 210 ff.<br />

Schmied, Erika 157 ff.<br />

Schmied, Wieland 157<br />

Schnack, Friedrich 197<br />

Schneider, Bernhardine 46<br />

Schneider, Romy 120<br />

Scholz, Hans 134<br />

Schöner Wohnen 165<br />

Schönthan, Gaby von 197<br />

Schopenhauer, Wilhelm 63<br />

Schramm, Gottfried 138<br />

Schramm, Percy Ernst 128<br />

Schubert, Carl von 196<br />

Schubert, Franz 17<br />

Schumacher, Kurt <strong>14</strong>6<br />

Schutzbar gen. Milchling,<br />

Rudolf Baron von 70<br />

Scott, George C. 95<br />

Segal, Erich 187 f.<br />

Selbermachen 7<br />

Sereny, Gitta 194<br />

Servan-Schreiber, Jean-Jacques<br />

197<br />

Shadbolt, Maurice 194<br />

Siebeck, Barbara 166<br />

Siebeck, Wolfram 179<br />

Signoret, Simone 118<br />

Simon, Sven 193<br />

Sintenis, Renee 57<br />

Siodmak, Curt 49<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 239 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:30 <strong>Uhr</strong><br />

239


Siodmak, Robert 49<br />

Sloterdijk, Peter 195<br />

Soelter, Rudolf 113<br />

Sonntagsblatt 150, 152<br />

Sontheimer, Kurt 194<br />

Souchon, Vizeadmiral 29<br />

Spaak, Paul-Henri 197<br />

Spiegel 177 f.<br />

Springer, Axel <strong>14</strong>, 123,<br />

193, 196<br />

Springer, Hinrich 115<br />

Springer Verlag 175<br />

Star-Revue 165<br />

Stark, Walther 132<br />

Stauffer, Teddy 53<br />

Stein, Freiherr vom <strong>14</strong>5<br />

Stern 1<strong>14</strong>, 157, 220<br />

Stern, Horst 176<br />

Steuer- und Zollblatt 115<br />

Stimme der Frau 115<br />

Stinnes, Hugo 39<br />

Stock, Dennis 162<br />

Stössel, Edelgard 166<br />

Süddeutsche Zeitung 167, 175<br />

Süddeutscher Verlag 152<br />

Surminski, Arno 192<br />

Tau, Max 197<br />

Tempo 46<br />

Tessin, Brigitte von 197<br />

Theobald, Adolf 174, 176<br />

Thomas, Gordon 190<br />

Thomas-Mann-Preis der Stadt<br />

Lübeck 186<br />

Thomsen, Hans-Markus 160<br />

Thulin, Ingrid 166<br />

Thyssen-Bornemisza Kaszon,<br />

Heinrich Baron von 120<br />

Tieck, Ludwig 184<br />

Tolle, Gerda (→ <strong>Ganske</strong>, Gerda)<br />

73, 74<br />

2<strong>40</strong><br />

Tournier, Michel 161, 197<br />

Troll, Thaddäus 197<br />

Tschechowa, Olga 55<br />

Tucholsky, Kurt 61<br />

Twen 166, 175<br />

Twombly, Cy <strong>14</strong>9<br />

Uhu 46<br />

Ullstein, Hans 46<br />

Ullstein, Hermann 48, 62<br />

Ullstein, Rudolf 25, 51<br />

Ullstein/Propyläen 182<br />

Ullstein Verlag 26, 44, 46,<br />

48, 50<br />

Ulrich, Rainer 175<br />

Universität Düsseldorf 186<br />

Universität Erlangen-Nürnberg<br />

186<br />

Universität Hamburg 186<br />

Updike, John 161, 162<br />

Vaculík, Ludvík 194<br />

Valente, Caterina 120<br />

Vehse, Eduard 82<br />

Verlag Paul Hugendubel 182<br />

Verlag Rudolf Augstein GmbH<br />

165<br />

Vital 177, 231<br />

Vogt, Käthe (→ <strong>Ganske</strong>, Käthe)<br />

<strong>14</strong>0<br />

Vogt, Richard <strong>14</strong>0 f.<br />

Vogt, Stefan 101<br />

Vonnegut Jr., Kurt 189<br />

Wagner, Richard 184<br />

Waldenburger, Curt 116, 119<br />

Waldenburger, Helga (→ Pankoke,<br />

Helga) 116<br />

Walser, Martin 161<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 2<strong>40</strong> <strong>01.11.2005</strong> 16:00:30 <strong>Uhr</strong>


Walter, Bruno 53<br />

Warhol, Andy <strong>14</strong>9, 153<br />

Wegener, Harriet 113, 135<br />

Weidenfeld, Sir Arthur George<br />

184<br />

Weill, Kurt 33, 58<br />

Weltbühne 134<br />

Westermanns Monatshefte 155<br />

Westhoff, Veronika (→ <strong>Ganske</strong>,<br />

Viktoria) 219<br />

Wickler, Wolfgang 195<br />

Wienbarg, Ludolf 82<br />

Wiese, Benno von 197<br />

Wildt, Dieter 197<br />

Wilhelm II., Deutscher Kaiser 18<br />

Wohmann, Gabriele 161<br />

Wouk, Hermann 192<br />

Yadins, Yigael 183<br />

Zahn, Peter von 197<br />

Zech, Paul 83<br />

Zickler, Stefan 197<br />

Ziemann, Sonja 48<br />

Zuckmayer, Carl 33, 46<br />

Zuhause 7, 172, 231<br />

Zuhause Wohnen 172, 230<br />

Zweig, Stefan 46<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 241 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:31 <strong>Uhr</strong>


<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 242 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:31 <strong>Uhr</strong>


BILDNACHWEIS<br />

Bildarchiv Deutsches Historisches Museum 57 r.<br />

Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz/Friedrich Seidenstücker 47<br />

Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz/Hamburger Kunsthalle/<br />

Foto: Elke Walford 80<br />

Stadtarchiv Kiel 27<br />

Ullstein Bild 35, 37, 41, 43, 56, 57 l., 59, 95<br />

Ullstein Bild/AKG Pressebild 117<br />

Ullstein Bild/Weychardt 153<br />

Unternehmensarchiv <strong>Ganske</strong> Verlagsgruppe 2, 9, 10, 11, 13, 21, 38,<br />

52, 64, 65, 67, 69, 71, 73, 74, 76, 78, 87, 89, 93, 98, 102, 105, 107,<br />

109, 117, 121, 126, 127, 131, 135, <strong>14</strong>1, <strong>14</strong>3, 158, 159, 160, 161, 164,<br />

165, 168, 169, 171, 172, 173, 176, 177, 179, 191, 204, 211, 216/217<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 243 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:31 <strong>Uhr</strong>


1. Aufl age 2005<br />

Copyright © 2005 by<br />

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg<br />

www.hoca.de<br />

Dokumentation: Barbara Holst<br />

Bildrecherche: Kristina Vogt<br />

Satz im Hoffmann und Campe Verlag<br />

Frontispitz: Kurt <strong>Ganske</strong>,<br />

Ölgemälde von Emil Scheibe<br />

Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck<br />

Printed in Germany<br />

ISBN (10) 3-455-09509-7<br />

ISBN (13) 978-3-455-09509-8<br />

<strong>Ganske</strong>_<strong>Lauf9.indd</strong> 244 <strong>01.11.2005</strong> 16:00:31 <strong>Uhr</strong>

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