Download: CSpiegel_1_2012.pdf - Kompetenznetz Mittelstand
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12<br />
Resilienz<br />
Stark trotz widriger Umstände: Resilienz und Familientherapie<br />
Von der Familientherapie zur Vielfalt<br />
systemischer Settings<br />
Die Wurzeln der systemischen Beratung und Therapie sind bereits<br />
in der frühen Geschichte der Psychotherapie zu finden.<br />
Während in den ersten Jahrzehnten des beginnenden 20. Jahrhunderts<br />
– geprägt durch die Psychoanalyse Sigmund Freuds –<br />
der Blick auf Einzelpersonen und deren Kindheit ausgerichtet<br />
war, rückte in den 50er Jahren verstärkt auch die Familie in den<br />
Mittelpunkt des Interesses. 1<br />
Annäherung aus verschiedenen Richtungen<br />
Auch eine wissenschaftliche Neugier an den innovativ anmutenden<br />
Ansätzen der nun als „Familientherapie" bezeichneten<br />
Therapiesitzungen war wachgerufen. So bildeten sich weitgehend<br />
unabhängig voneinander auf verschiedenen Erdteilen forschende<br />
multidisziplinäre Teams.<br />
Anfangs waren es insbesondere die Forschungsarbeiten zur<br />
Schizophrenie, die die Entwicklung familientherapeutischer<br />
Ideen vorantrieb. Zu den Forscherteams zählte z.B. die im kalifornischen<br />
Palo Alto tätige Gruppe des Mental Research Instituts<br />
(MRI) mit ihren prominent gewordenen Mitgliedern Virginia<br />
Satir, Paul Watzlawick, Gregory Bateson und Jay Haley;<br />
genauso die Mailänder Gruppe um Mara Selvini Palazzoli, Luigi<br />
Boscolo, Gianfranco Cecchin oder auch Salvador Minuchin mit<br />
seinem Team. Die von dem amerikanischen Psychiater Milton H.<br />
Erickson entwickelte Form einer indirekten oder „neuen“ Hypnose<br />
hat ebenso eine große Verbreitung gefunden und seine<br />
Arbeit nahm und nimmt bis heute auf die Entwicklung der systemische<br />
Beratung und Therapie maßgeblichen Einfluss.<br />
Als weitere wegweisende Größe hinsichtlich der Weiterentwicklung<br />
familientherapeutischer respektive systemischer Konzepte<br />
gilt die „Solution Focused Therapy“, eine lösungsorientierte<br />
oder lösungsfokussierte Kurztherapie, die von Steve de Shazer<br />
und Insoo Kim Berg ab 1982 in den USA entwickelt worden<br />
war. In Deutschland machte sich die "Heidelberger Schule" um<br />
den Arzt und Philosophen Helm Stierlin einen Namen. Gunther<br />
Schmidt, ein Mitglied der Heidelberger Gruppe, gilt heute als<br />
Pionier der systemisch- lösungsorientierten Beratungsansätze.<br />
Er hatte den Begriff „hypnosystemisch“ 1980 erstmals vorgeschlagen,<br />
um ein Modell zu charakterisieren, das versucht,<br />
systemisches Ansätze für Psychotherapie und Beratung mit<br />
Luitgard Janz<br />
den Modellen der aus seiner Sicht kompetenzaktivierenden<br />
Erickson‘schen Hypno- und Psychotherapie zu einem Integrationskonzept<br />
auszubauen. 2<br />
Theorie und Praxis<br />
systemischen Arbeitens<br />
Die genannten und eine weitere Anzahl von Personen und<br />
Teams entwickelten in jahrzehntelanger Forschung ihre auf die<br />
Arbeit mit Familien und Systemen spezialisierten theoretischen<br />
Modelle, (Frage-)Techniken, Interventionen und methodischen<br />
Tools; diese Entwicklung schreitet weiter fort und prägt bis<br />
heute den innovativen Charakter systemischer Arbeit in den<br />
unterschiedlichsten Feldern.<br />
Die praktische therapeutische Arbeit war und ist immer auch<br />
beeinflusst von aktuellen natur- und geisteswissenschaftlichen<br />
Strömungen verschiedenster Disziplinen. 3 Dazu zählt in etwa<br />
die allgemeine Systemtheorie, basierend auf dem Biologen und<br />
Systemtheoretiker Ludwig von Bertalanffy, die Katastrophentheorie<br />
als ein Zweig der Mathematik, der plötzliche Veränderungen<br />
beschreibt, die sich aus kleinen Impulsen ergeben,<br />
die Chaostheorie, die Kybernetik 1. und 2. Ordnung – letzteres<br />
die Wortschöpfung des Physikers Heinz von Foersters. Die<br />
in den 80er Jahren entstandene Formulierung des radikalen<br />
Konstruktivismus basiert auf der biologischen Epistemologie<br />
der Selbstreferenz lebender Systeme – der Autopoiese – der<br />
beiden chilenischen Biologen, Philosophen und Neurowissenschaftlern<br />
Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela,<br />
nach der Menschen als lebende, autopoietische, operational<br />
geschlossene Systeme ihre Wirklichkeit durch ihren individuellen<br />
Wahrnehmungsprozess erst konstruieren. 4 Zuzurechnen<br />
sind ebenso die soziologische Systemtheorie des deutschen<br />
Soziologen und Gesellschaftstheoretikers Niklas Luhmann oder<br />
auch die Komplexitätstheorie, die mehr als einen theoretischen<br />
Rahmen umfasst und als hochgradig interdisziplinär betrachtet<br />
werden darf, auch weil sie nach differenzierten Antworten auf<br />
fundamentale Fragen von lebenden, anpassungsfähigen und<br />
veränderlichen Systemen sucht. Zwangsläufig wurde im Laufe<br />
der beschriebenen Entwicklung die schwerpunktmäßige Orientierung<br />
an der Familie als Behandlungseinheit mehr und mehr<br />
hinterfragt und die Familie wurde demzufolge als eines von<br />
vielen möglichen Systemen betrachtet, in der Menschen sich<br />
sozial organisieren und befinden.<br />
Zentrale Elemente heutiger systemischen Praxis beschreiben<br />
Reimers et. al in ihrem Lehrbuch und Standardwerk „Psychotherapie“<br />
wie folgt:<br />
• Orientierung an Anliegen und Auftrag der Klientel<br />
• Ressourcenorientierung<br />
• Allparteilichkeit/Neutralität, also das Bemühen, möglichst<br />
allen Beteiligten gleichermaßen Verständnis entgegen-<br />
zubringen (auch den Abwesenden)<br />
• Einsatz von manchmal verblüffenden humorvollen<br />
Interventionen. 5<br />
So rückte also in den letztvergangenen Jahrzehnten mehr und<br />
mehr die „systemische Sichtweise“ in den Vordergrund und die<br />
Aufmerksamkeit gilt heute dem Herkunftssystem genauso wie<br />
dem gesamten Lebenskontext, den allgemeinen Lebensbedingungen<br />
u.ä.m. Im unmittelbaren therapeutischen Procedere<br />
mit familialen Systemen verlor damit auch die Frage, ob die<br />
(gesamte) Familie anwesend sein müsse, mehr und mehr an<br />
Relevanz. Als wichtiger für das Verständnis und die Veränderung<br />
eines Problems erschien stattdessen ein Verständnis der<br />
Wechselwirkungen und der ganz persönlichen Lebensstrategien<br />
und -modelle der Klientel 6 und nicht zuletzt, wie diese ihre<br />
„Wirklichkeit“ konstruieren.<br />
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