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Gesundheit ist weniger ein<br />

Zustand als eine Haltung,<br />

und sie gedeiht mit der<br />

Freude am Leben.<br />

Thomas von Aquin (1225-74)<br />

Spiegel<br />

campus<br />

Die Zeitschrift der Campus Naturalis Akademien und der Campus Hochschule i.G.<br />

Ausgabe 01/2012 · ISSN 1869-0092<br />

Resilienz<br />

Stark trotz widriger Umstände<br />

Resilienz und Familientherapie<br />

Resilienzforschung<br />

Gestern und heute<br />

Resilienzförderung<br />

Kreative Therapien<br />

Spezial:<br />

Pädagogik für das<br />

21. Jahrhundert<br />

Cybermobbing<br />

Prävention und akute Hilfe<br />

bei Mobbing im Internet<br />

EU, Föderalismus und Pädagogik<br />

Bildungsentwicklung in<br />

Deutschland und Europa<br />

Erlebnispädagogik<br />

Lernen von der Natur<br />

Last Minute:<br />

16.02.12<br />

Pädagogik<br />

Symposium<br />

Hamburg<br />

Seite 30


2<br />

Inhalt<br />

Resilienzforschung - gestern und heute<br />

Stark trotz widriger Umstände:<br />

Resilienz und Familientherapie<br />

Betriebliches Gesundheitsmanagement<br />

Seite 4<br />

Seite 12<br />

Seite 15<br />

Cybermobbing: Prävention und akute Hilfe<br />

bei Mobbing im Internet<br />

Heilkräfte der Natur – Fenchel<br />

Seite 19<br />

Seite 28<br />

Resilienzförderung durch kreative Therapien<br />

Resilienz - Das Immunsystem der Seele<br />

Unsere Kinder brauchen Natur –<br />

die Natur braucht unsere Kinder<br />

EU, Föderalismus und Pädagogik<br />

In Berlin entsteht größtes<br />

campus Naturalis Zentrum<br />

Seite 8<br />

Seite 14<br />

Seite 18<br />

Seite 23<br />

Seite 24<br />

campus Spiegel · Redaktion Berlin · Telefon: 030 / 24 63 98 95 · www.campusnaturalis.de · Berlin · Frankfurt am Main · Hamburg · München


Guten Tag, liebe Leserin, lieber Leser!<br />

Warum reagieren Menschen unterschiedlich auf gleiche oder ähnliche<br />

Situationen? In der Therapie stellt sich besonders oft die Frage nach<br />

verbindlichen Therapiekonzepten: zu Beginn – so die landläufige Idee –<br />

muss eine klare Diagnose gestellt werden, auf deren Basis dann ein Therapieplan<br />

erstellt werden kann. Das Ergebnis müsste dann doch eigentlich<br />

auf der Basis von Erfahrungen vorhersehbar sein. Die – gerade für<br />

Lernende oft zunächst herausfordernde - Antwort ist: Ist es nicht. Diagnosen<br />

– und psychopathologische Diagnosen im Besonderen – ziehen keine<br />

mathematische Behandlungsformel nach sich. Sie helfen in der Regel ein<br />

Leiden zu verstehen, Bezüge herzstellen, lassen auf Erfahrungen zurückgreifen,<br />

aber sie ersetzen nicht die stets prozessbegleitende und auf den<br />

individuellen Fall angepasste und bis zu einem gewissen Maß manchmal<br />

sogar ergebnisoffene Therapie. Krankheit ist nicht das Gegenteil von Gesundheit.<br />

Die Gesundheit des einen mag sich von der des anderen unterscheiden<br />

– misst sie sich doch an individuellen Voraussetzungen. Ein<br />

80jähriger Mensch kann kerngesund sein, er wird sich aber nicht fühlen<br />

können wie ein gesunder Jugendlicher. Die Resilienzforschung stellt sich<br />

der Fragestellung, warum Menschen so unterschiedlich auf Situationen<br />

reagieren. Nahm man zeitweise an, dies sei zwar individuell aber unveränderbar<br />

angeboren, weiß man heute, dass Resilienz gefördert werden<br />

kann. Diese Erkenntnis birgt Chancen für ein erweitertes Verständnis von<br />

Gesundheit und Prävention, dem wir uns in dieser Ausgabe des campus<br />

Spiegel intensiv widmen.<br />

Unser zweiter Schwerpunkt begleitet das erste campus Symposium Pädagogik<br />

und befasst sich mit den Herausforderungen an die Pädagogik<br />

des 21. Jahrhunderts. Jede Zeit hat ihre ganz eigenen Dynamiken. In den<br />

letzten Jahren haben sich einige Themen in unserer Gesellschaft als besonders<br />

fordernd erwiesen. Ihnen gilt es bereits im Rahmen vorschulischer<br />

Betreuung und schulischer Laufbahn Aufmerksamkeit zu zollen, da<br />

der kompetente Umgang mit ihnen zur Grundlage erfolgreichen Lernens<br />

und Lebens geworden ist. Wir greifen diese Themen daher jährlich in<br />

unserer neuen Symposienreihe auf, zu der wir internationale Redner aus<br />

Forschung und Praxis einladen.<br />

In diesem Jahr widmen wir uns besonders den Themen Integration/Inklusion,<br />

Kreativität und Gewaltprävention mit Schwerpunkt neue Medien. Wir<br />

laden Sie ein unsere Symposienreihe, die am 16.02.2012 in Hamburg Premiere<br />

feiert, zu besuchen. Restplätze können Sie an der campus Naturalis<br />

Akademie in Hamburg reservieren.<br />

Ich wünsche Ihnen eine bereichernde und inspirierende Lektüre,<br />

herzlichst Ihre<br />

Alexandra Müller-Benz<br />

Geschäftsführerin campus Naturalis Akademien<br />

campus Spiegel · Redaktion Berlin · Telefon: 030 / 24 63 98 95 · www.campusnaturalis.de · Berlin · Frankfurt am Main · Hamburg · München<br />

Alexandra Müller-Benz<br />

Geschäftsführerin der<br />

campus Naturalis Akademien<br />

Tage der offenen Tür<br />

Berlin<br />

So. 04.03.2012<br />

So. 23.09.2012<br />

Frankfurt<br />

So. 04.03.2012<br />

So. 30.09.2012<br />

Hamburg<br />

So. 18.03.2012<br />

So. 23.09.2012<br />

München<br />

So. 04.03.2012<br />

So. 07.10.2012<br />

jeweils:<br />

14:00 – 19:00 Uhr<br />

3


4<br />

Resilienz<br />

Resilienzforschung gestern und heute Doreen Wagner<br />

Summary: In diesem Artikel sollen die wesentlichen Entwicklungslinien<br />

der Resilienzforschung in einem kurzen Abriss vorgestellt<br />

werden, dabei wir der Schwerpunkt auf den deutschen Forschungsraum<br />

gelegt. Um dem Konzept der Resilienz selbst näher<br />

zu kommen, wird anschließend ein in der deutschen Forschungslandschaft<br />

aktuell gut etabliertes Modell der theoretischen Einbettung<br />

des Konstrukts skizziert und die wesentlichen empirisch<br />

belegten Resilienzfaktoren benannt. In einem letzen Abschnitt<br />

wird es darum gehen, kurz die neuen Herausforderungen für die<br />

Resilienzforschung vorzustellen.<br />

Wesentliche Entwicklungslinien der Resilienzforschung<br />

Thema der Resilienzforschung ist die umfassende Ergründung der<br />

psychischen Widerstandsfähigkeit (Resilienz), auf die ein Mensch<br />

zurückgreift, um Situationen positiv zu bewältigen, die als entwicklungsgefährdend<br />

eingeschätzt werden. Eine eigenständige<br />

Resilienzforschung entwickelte sich in den 70er Jahren des letzten<br />

Jahrhunderts zunächst in Großbritannien und Nordamerika, zu<br />

nennen sind hier v.a. Rutter 1979 mit der „Isle of Wight Studie“<br />

und die Kauei Studie von Werner und Smith (1982/2001) (vgl Artikel<br />

Resilienz und Familientherapie). Ende der 80er Jahre etabliert<br />

sich die Erforschung der Resilienz auch in Deutschland als fester<br />

Bestandteil der Forschungslandschaft (vgl. Fröhlich-Gildhoff &<br />

Rönnau-Böse 2009, S.10ff).<br />

Das Salutogenese Modell<br />

Den Anstoß zur Entwicklung einer eigenständigen Resilienzforschung<br />

in Deutschland gab vor allem das Salutogenese-Modell<br />

von Aaron Antonovsky. Dieser beförderte einen Paradigmenwechsel<br />

in der Gesundheitspsychologie – weg von der Pathogenese<br />

(Krankheitsperspektive) hin zu einer Salutogenese (Gesundheitsperspektive)<br />

(vgl. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2009, S.13).<br />

Aufgrund der Bedeutung des Konzepts für die moderne Resilienzforschung<br />

und der Ähnlichkeit der Konzepte, sollen die wesentlichen<br />

Annahmen der Salutogenese an dieser Stelle kurz skizziert<br />

werden. Der israrelische Medizinsoziologe Antonovsky untersuchte<br />

Anfang der 70er Jahre den Gesundheitszustand von Holocaust<br />

Überlebenden und stellte dabei fest, dass ein Drittel der Personen<br />

trotz der extremen Belastungen bei guter körperlicher und psychischer<br />

Gesundheit waren. Er identifizierte bei diesen Personen<br />

übergreifende generalisierte Widerstandsressourcen (GRR). Diese<br />

Widerstandsressourcen prägen eine bestimmte, objektivierte<br />

Sicht auf die Welt, die er als sense of coherence (SOC) bezeichnete.<br />

Das Gefühl der Kohärenz umfasst drei wesentliche Aspekte<br />

und trägt entscheidend dazu bei, dass eine Person schwierige<br />

Lebensphasen meistert: Erstens das Vertrauen in die grundsätzliche<br />

Verstehbarkeit der auftretenden Ereignisse, zweitens das<br />

Vertrauen darin, diese bewältigen zu können und drittens das<br />

Vertrauen darin, dass ein tieferer Sinn dahinter steh und sich die<br />

Anstrengung lohnt (vgl. Kaluza 2003, S.352). Er hebt auf Grundlage<br />

dieser Ergebnisse die Dichotomie zwischen den Zuständen<br />

„krank“ und „gesund“ auf und postuliert stattdessen ein Kontinuum,<br />

dessen Endpunkte Krankheit und Gesundheit sind (Health<br />

- Ease - Disease – Continuum) (vgl. Dlugosch 1994, S.101ff). Das<br />

Konzept der Salutogenese ist dem der Resilienzforschung sehr<br />

ähnlich, jedoch werden unterschiedliche Akzente gesetzt: In der<br />

Salutogenese geht es darum, Schutzfaktoren zur Erhaltung der<br />

Gesundheit zu identifizieren, in der Resilienzforschung geht es<br />

im Wesentlichen um den Prozess der positiven Anpassung und<br />

Bewältigung schwieriger Situationen – unter Rückgriff auf Schutz-<br />

bzw. Resilienzfaktoren (vgl. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse<br />

2009, S.13f).<br />

Resilienz als Kompetenz<br />

In der Gesundheitspsychologie wurde lange davon ausgegangen,<br />

dass Resilienz eine stabile Persönlichkeitseigenschaft ist. Es wurden<br />

zunächst Typenmodelle entwickelt, mit dem Ziel, einen konkreten<br />

Typus resilienter Personen zu finden. In den 70er Jahren<br />

des letzten Jahrhunderts ergaben Untersuchungen ein Resilienzkonzept,<br />

welches dynamisch und veränderbar ist. Resilienz ist<br />

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demnach keine angeborene Fähigkeit sondern eine Kompetenz,<br />

die sich in der Interaktion von Person und Umwelt entwickelt (vgl.<br />

Kormann 2007, S.38). Der Mensch wird als aktiver Gestalter seines<br />

eigenen Lebens und seiner Umwelt verstanden. Dies schließt ein,<br />

dass ein Mangel an resilienten Verhaltensweisen nicht allein ein<br />

persönliches Defizit ist, sondern mehrdimensionale Ursachen in<br />

Person und Umwelt hat. In der aktuellen Forschung ist nicht mehr<br />

von DER Resilienz die Rede, sondern von bereichsspezifischen<br />

Resilienzen, wie z.B. emotionale Resilienz (vgl. Fröhlich-Gildhoff<br />

& Rönnau-Böse 2009, S.11).<br />

Resilienzforschung im deutschsprachigen Raum<br />

Als erste deutsche Resilienzstudie, die es sich zur Aufgabe gemacht<br />

hat, die psychische Widerstandskraft unter dem Einfluss<br />

erheblicher Entwicklungsrisiken zu untersuchen, kann die „Bielefelder<br />

Invulnerabilitätsstudie“ von Lösel et al. (1990/2008) gelten.<br />

Diese ist wegbereitend für die deutsche Forschungsbewegung<br />

und soll daher im Folgenden exemplarisch vorgestellt werden. Es<br />

wurden insgesamt 146 Kinder und Jugendliche untersucht, die in<br />

Heimen aufgewachsen sind und einer Vielzahl von Entwicklungsrisiken<br />

ausgesetzt waren, z.B. Gewalt und Suchtproblematiken<br />

im Elternhaus, Armut (vgl. Kormann 2007, S.46). Diese wurden<br />

anhand von Fallkonferenzen, Erzieherberichten, Selbsteinschätzungen<br />

und einem Risikoindex untersucht und in zwei Gruppen<br />

unterteilt. Es kristallisierte sich somit eine Gruppe von 66 Jugendlichen<br />

im Alter von 14 bis 17 Jahren heraus, die sich trotz aller<br />

Widrigkeiten positiv entwickelten. Die Kontrollgruppe stellten 80<br />

Jugendliche, die unter den gleichen Bedingungen erhebliche Verhaltensprobleme<br />

zeigten. Die Untersuchung umspannte dabei folgende<br />

Themen: die biografische Belastungen, Problemverhalten,<br />

sowie personale (internale) und soziale Ressourcen, die mittels<br />

Interviews und Fragebögen erfasst wurden (vgl. Fröhlich-Gildhoff<br />

& Rönnau-Böse 2009, S.16f). Neben den objektiven Bedingungen<br />

wurde auch die subjektiv erlebte Belastungssituation erhoben.<br />

Die wichtigsten protektiven Faktoren, die in dieser Studie herausgestellt<br />

wurden, sind unter anderem: ein weniger impulsives<br />

Temperament der resilienten Jugendlichen, Verfügung über eine<br />

realistische Zukunftsperspektive, aktives Bewältigungsverhalten<br />

und Vertrauen in die eigenen Stärken. Zudem haben sie alle<br />

mindestens eine feste Bezugsperson – diese soziale Ressource<br />

scheint unerlässlich für die Entstehung von Resilienz (vgl. Kormann<br />

2007, S.46f). Die Ergebnisse der Studie decken sich zudem<br />

mit internationalen Forschungsergebnissen, z.B. aus der Kauai-<br />

Studie von Werner und Smith, die als Pionierstudie der Resilien-<br />

Rahmenmodell von Resilienz<br />

Stressor<br />

Umweltbedingungen<br />

Risikofaktoren<br />

Familie, Peers,<br />

Soziales Umfeld,<br />

gesellsch. Kontext<br />

Schutzfaktoren<br />

Transaktionale<br />

Prozesse zwischen<br />

Person und Umwelt<br />

Motivation/<br />

Glaube<br />

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zforschung gelten kann. Es scheint sich in der Forschung zu bestätigen,<br />

dass es einen über alle kulturellen Differenzen hinweg<br />

wirksamen Pool an Schutzfaktoren gibt (vgl. Fröhlich-Gildhoff &<br />

Rönnau-Böse 2009, S.15ff).<br />

Resilienzmodelle<br />

Sprechen wir in der Resilienzforschung über die Bedingungen der<br />

positiven Bewältigung von Risikolagen, so bewegen wir uns theoretisch<br />

im Bereich von Risiko- und Schutzfaktoren bzw. deren Zusammenspiel<br />

in spezifischen Situationen. Im Folgenden soll daher<br />

das Risiko- und Schutzfaktorenmodell skizziert werden, da dieses<br />

aktuell in der Forschung gut etabliert ist. Unter Risikofaktoren<br />

werden Phänomene verstanden, die eine potentiell entwicklungsgefährdende<br />

Wirkung entfalten können, beispielsweise Armut,<br />

schlechte Wohnverhältnisse, Komplikationen bei der Geburt etc.<br />

Dabei ist jedoch zu beachten, dass ein Risikofaktor nicht zwangsläufig<br />

eine hemmende Wirkung auf die gesunde Entwicklung hat.<br />

Vor allem die Häufung von Belastungen kann eine solche Wirkung<br />

entfalten, insbesondere in Phasen erhöhter Verletzlichkeit (Vulnerabilität),<br />

allen voran die Phasen des Übergangs im Lebensverlauf,<br />

wie der Schuleintritt, Übergang in den Beruf oder während<br />

der Bearbeitung typischer unumgänglicher Entwicklungsaufgaben<br />

(z.B. Pubertät). Der Mensch verfügt über eine Reihe förderlicher<br />

Ressourcen, wie z.B. ein stabiles Netzwerk, Vertrauen in die<br />

eigenen Fähigkeiten, deren Ausformung und Stärke individuell<br />

variiert. Diese können im Fall des Auftretens einer Risikolage als<br />

Schutzfaktoren fungieren, sie schwächen die Wirkung der negativen<br />

Ereignisse ab und befördern eine positive Entwicklung. Um<br />

tatsächlich von einem Schutzfaktor sprechen zu können, muss<br />

außerdem gewährleistet sein, dass dieser bereits zeitlich vor dem<br />

risikoerhöhenden Ereignis vorhanden ist (vgl. Fröhlich-Gildhoff &<br />

Rönnau-Böse 2009, S.20ff).<br />

Im Zuge der Resilienzforschung sind zahlreiche Modelle entstanden,<br />

die im wesentlichen drei Forschungsansätzen zugeordnet<br />

werden können: dem variablenbezogener Ansatz (Zusammenspiel<br />

von Risiko- und Schutzfaktoren), dem personenbezogener Ansatz<br />

(unterschiedliche Entwicklungsverläufe im Hinblick auf Schutz-<br />

und Risikofaktoren) und dem entwicklungspfadbezogenen Ansatz<br />

(resiliente Entwicklungsverläufe unter verstärkter Einbeziehung<br />

des zeitlichen Verlaufs, vgl. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse,<br />

S.36). Kumpfer (1999) integrierte den personen- und den entwicklungspfadzentrierten<br />

Ansatz in ein Rahmenmodell der Resilienz,<br />

dieses wurde auch von Wustmann 2004 wieder aufgegriffen:<br />

Personale Ressourcen<br />

Resilienzfaktoren<br />

Kognitive<br />

Fähigkeiten<br />

soziale<br />

Kompetenzen<br />

Emotionale<br />

Stabilität<br />

Körperliche<br />

Gesundheits-<br />

Ressourcen<br />

Resilienzprozess und<br />

Anpassungsmechanismen<br />

Positives<br />

Enwicklungsergebnis<br />

Anpassung/<br />

Fehlanpassung<br />

Negatives<br />

Enwicklungsergebnis<br />

Quelle: Abbildung in: Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, S.38<br />

5


6<br />

Es lassen sich im obigen Modell die Einflussbereiche akuter<br />

Stressor, Umweltbedingungen, personale Merkmale sowie das<br />

Entwicklungsergebnis unterscheiden. Hinzu treten die beiden<br />

Transaktionsprozesse „Zusammenspiel von Person und Umwelt“<br />

und „Zusammenspiel von Person und Entwicklungsergebnis“. Die<br />

Stressoren treffen auf eine bestimmte Umwelt, welche eine spezifische<br />

Zusammensetzung von Risiko- und Schutzfaktoren beinhaltet.<br />

Die Person ist nun veranlasst, sich mit diesen neuen<br />

Stressoren in irgendeiner Weise auseinanderzusetzen. An dieser<br />

Stelle, während des Zusammenwirkens von Person und Umwelt,<br />

erlangen die Resilienzfaktoren Bedeutung. In Folge dieser Auseinandersetzung<br />

ergibt sich eine spezifische Anpassung an die<br />

veränderten Bedingungen, dabei kommt es entweder zur Bewältigung<br />

und somit zu einem positiven Entwicklungsergebnis oder<br />

zur Nichtbewältigung und somit zu einem negativen Resultat (vgl.<br />

Fröhlich-Gildhoff, Rönnau-Böse 2009, S.36f). Es ist davon auszugehen,<br />

dass sich die Schutz- und Risikofaktoren gegenseitig<br />

beeinflussen und in Wechselwirkung miteinander stehen.<br />

Damit einhergehend und durch Ergebnisse aus Entwicklungspsychologie<br />

und Entwicklungspathologie gestützt, ist der Einfluss<br />

der Umwelt, der Lebenssituation entscheidend – denn erst unter<br />

Berücksichtigung der konkreten Situation ist absehbar, was als<br />

Risiko- und was als Schutzfaktor gelten kann (vgl. Fröhlich-Gildhoff<br />

& Rönnau-Böse 2009, S.30ff). Die enge Fokussierung auf die<br />

Identifikation von Schutz- und Risikofaktoren in der menschlichen<br />

Entwicklung musste der Frage nach den dahinter liegenden Wirkmechanismen<br />

weichen, es geht heute darum, die Komplexität der<br />

wechselseitigen Beeinflussung der einzelnen Faktoren zu ergründen<br />

und der Differenzialität und Einzigartigkeit von Entwicklungsverläufen<br />

auf die Spur zu kommen. Nur so können auch exakter<br />

die Bedingungen benannt werden, die eine positive Entwicklung<br />

begünstigen (vgl. Kormann 2007, S.39). Erst durch diese differenzierte<br />

Betrachtung lässt sich eine Bilanz ziehen, und ein Entwicklungsverlauf<br />

prognostizieren – jedoch steht die Forschung hier<br />

vor einer Herausforderung: kein aktuell verfügbares Messinstrument<br />

vermag dies zu leisten, keines kann alle Faktoren erfassen<br />

(vgl. Petermann & Schmidt 2006, S.124).<br />

Resilienzfaktoren<br />

Nach einer umfangreichen Literaturrecherche fasst Wustmann<br />

2004 in ihrem Werk „Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern<br />

in Tageseinrichtungen fördern“ die wichtigsten und empirisch am<br />

besten nachgewiesenen Resilienzfaktoren zusammen. Die sechs<br />

bedeutendsten Resilienz- bzw. Schutzfaktoren werden im Folgenden<br />

kurz umrissen.<br />

Der Faktor Selbstwahrnehmung hat eine hohe protektive Wirkung,<br />

er ist zugleich einer der am besten abgesicherten Faktoren. Die<br />

Selbstwahrnehmung umfasst das Selbstkonzept, die Selbstwahrnehmung<br />

im engeren Sinn sowie die Selbstreflexivität. Das Selbstkonzept<br />

ist aus entwicklungspsychologischer Sicht im Wesentlichen<br />

die innere handlungsleitende Instanz einer Person, diese ist<br />

dynamisch und veränderlich, sie speist sich aus Erfahrungen mit<br />

der Außenwelt und bestimmt, wie wir der Außenwelt entgegen<br />

treten. In den Bereich der Selbstwahrnehmung fällt die Selbstbeobachtung<br />

und die Sensibilisierung für die eigenen (emotionalen,<br />

gedanklichen, körperlichen) Zustände. Bei der Selbstreflexivität<br />

geht es schließlich darum, auch die Befindlichkeiten anderer adäquat<br />

wahrnehmen zu können, sich zu diesen in Beziehung zu<br />

setzen und auch deren Wahrnehmung zu berücksichtigen.<br />

Neben der Selbstwahrnehmung konnte auch für die Selbstregulation<br />

in vielen Studien die protektive Wirksamkeit nachgewiesen<br />

werden. Sie umfasst die Steuerungsprozesse des Menschen, die<br />

eigenen inneren Zustände betreffend. Dies meint, dass Menschen<br />

in der Lage sind, Emotionen und Spannungszustände herzustellen,<br />

aufrechtzuerhalten, kontrollieren und die damit verbundenen<br />

Verhaltensweisen regulieren zu können. Eng mit den ersten<br />

beiden Faktoren in Verbindung steht die Selbstwirksamkeit als<br />

ein weiterer bedeutender Faktor der Resilienz. Der Mensch entwickelt,<br />

geprägt von den Erfahrungen die er macht, bestimmte<br />

Erwartungen, die Effekte seiner Handlungen betreffend. Je nachdem,<br />

ob er sich viel zutraut oder wenig, geht er an eine Situation<br />

heran. Die Selbstwirksamkeitserwartungen bestimmen demnach<br />

das Handeln vor. Oftmals kommt es so auch zu einer Bestätigung<br />

der Erwartungen („selbsterfüllende Prophezeiung“). Merkmal re-<br />

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silienter Personen ist demzufolge eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung:<br />

Sie sind überzeugt, mittels der ihnen zur Verfügung<br />

stehenden Ressourcen die Situation bewältigen zu können. Eine<br />

hohe soziale Kompetenz lässt sich ebenfalls als wirksamer Resilienzfaktor<br />

identifizieren. Wesentliches Merkmal sozialer Kompetenz<br />

sind Empathie und emotionale Kompetenz, dies umfasst zum<br />

einen das angemessene Erfassen und Ausdrücken der eigenen<br />

Gefühle, sowie zum anderen die adäquate Einfühlung in andere<br />

Personen (vgl. Fröhlich-Gildhoff, Rönnau-Böse 2009, S.42ff).<br />

Es ist die „[…] Verfügbarkeit und angemessene Anwendung von<br />

Verhaltensweisen (motorischen, kognitiven, und emotionalen) zur<br />

Auseinandersetzung mit konkreten Lebenssituationen, die für<br />

das Individuum und oder seine Umwelt relevant sind“ (Fröhlich-<br />

Gildhoff, Rönnau-Böse 2009, S.49. Zitiert nach: Sommer (1977):<br />

Gemeindepsychologie. Therapie und Prävention in der sozialen<br />

Umwelt, S.75). Zu diesen vier Faktoren treten fünftens ein guter<br />

Umgang mit Stressphänomenen und sechstens eine gut ausgeprägte<br />

Problemlösekompetenz. Stress umfasst Ereignisse, die die<br />

Anpassungsfähigkeit einer Person oder eines Systems herausfordern.<br />

Nach Faltermaier (2005) können drei Stressfaktoren unterschieden<br />

werden, Entwicklungsaufgaben (z.B. Übergang Schule<br />

- Beruf), kritische Lebensereignisse (z.B. Scheidung) und alltägliche<br />

Belastung (z.B. Arbeit und Familie). Ob und wie stressig<br />

eine Situation empfunden wird, ist höchst subjektiv und wird von<br />

jeder Person anders bewertet – stets vor dem Hintergrund der eigenen<br />

Ressourcen und den gemachten Erfahrungen. Merkmal resilienter<br />

Personen ist demzufolge das Erkennen und Einschätzen<br />

einer Stresssituation in Hinblick auf deren Bewältigbarkeit. Desweiteren<br />

verfügen sie über Bewältigungsmechanismen und wissen,<br />

wo sie Hilfe bekommen können. Die Problemlösekompetenz<br />

wird immer dann benötigt, wenn schwierige, neue Sachverhalte<br />

auftauchen, die bewältigt werden müssen. Hierbei durchdringt<br />

der kompetente Mensch den Sachverhalt genau, greift auf sein<br />

vorhandenes Wissen zurück und entwickelt erfolgreiche Handlungsstrategien.<br />

Im Zuge der positiven Problemlösung entstehen<br />

so allgemeine kognitive, bereichsübergreifende Kompetenzen<br />

(vgl. Fröhlich-Gildhoff, Rönnau-Böse 2009, S.52f).<br />

Neue Herausforderungen für die Resilienzforschung und<br />

abschließende Bemerkungen<br />

Das Konzept der Resilienz wurde vor allem in der Pädagogik und<br />

der sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, vornehmlich im<br />

Bereich der Prävention adaptiert und nutzbar gemacht. Es geht<br />

bei den Präventionsmaßnahmen im Bereich der Resilienzförderung<br />

um zwei wesentliche Ziele: Zum einen die Verminderung von<br />

Risikoeinflüssen und zum anderen die Stärkung der Schutzfaktoren<br />

(vgl. Kormann 2007, S. 51). Mit ihrer Schwerpunktsetzung auf<br />

individuelle Entwicklungsverläufe konnte die aktuelle Resilienzforschung<br />

den Fokus darauf lenken, dass viele Wege zum Ziel der<br />

Bewältigung schwieriger Lebenssituationen führen (Multifinalität).<br />

Verschiedene Mechanismen können also situationsspezifisch<br />

Linderung verschaffen – dies eröffnet neue und breite Wege für<br />

die Prävention und Intervention (vgl. Ungar 2011, S.169f).<br />

Neben den richtungsweisenden Errungenschaften der Resilienzforschung<br />

gibt es auch offene Herausforderungen, die sich im<br />

wissenschaftlichen Diskurs herausgestellt haben und derer sich<br />

die Erforschung und theoretische Weiterentwicklung des Konzepts<br />

stellen muss. Zwei wesentliche Punkte seien hier abschließend<br />

in aller Kürze aufgeführt. Erstens herrscht noch immer Unklarheit<br />

über die genaue Definition von Resilienz vor allem in<br />

Abgrenzung zu ähnlichen Konzepten, z.B. ressourcenorientierte<br />

Ansätze der sozialen Arbeit (vgl. Wieland 2011, S.183f). Offen<br />

ist zudem die Erforschung des konkreten Zusammenwirkens der<br />

Risiko- und Schutzfaktoren, dies ist eine Aufgabe, der sich die<br />

neuere Forschung bereits annimmt, es wird versucht, umfangreiche<br />

Konzepte zu entwickeln und für die empirische Überprüfung<br />

aufzuarbeiten. Zum zweiten handelt es sich bei der Resilienz um<br />

ein psychosoziales Phänomen, das zwangsläufig eine Bewertung<br />

nach sich zieht, diese kann jedoch äußerst unterschiedlich ausfallen:<br />

Was aus subjektiver Sicht Linderung verschafft und die<br />

Interessen des Handelnden wahrt, kann den Interessen anderer<br />

zuwiderlaufen, dies birgt Konfliktpotential. Wie soll ein solches<br />

Verhalten angemessen beurteilt werden, sichert es doch zum einen<br />

die Überzeugung der Kontrollierbarkeit des eigenen Lebens,<br />

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was ihm einen enormen ethischen Wert einbringt, wenn es gleichzeitig<br />

sozial unverträglich ist, von der Norm abweicht und anderen<br />

schadet (vgl. Wieland 2011, S.195)? Dahinter verbirgt sich<br />

auch die Frage, nach den gesetzten Normen selbst, denn mit den<br />

getroffenen Normalitätsannahmen werden regelmäßig beispielsweise<br />

geschlechtsspezifische oder kulturspezifische Annahmen<br />

verbunden, die wiederum einen Schweif normativer Setzungen<br />

mitbringen, darüber, was angemessen ist und was nicht, ohne<br />

selbst hinterfragt zu werden (vgl. Freyberg 2011, S.223). ■<br />

Literatur<br />

Dlugosch, Gabriele E. (1994): Modelle in der Gesundheitspsychologie.7.1 Das Modell<br />

der Salutogenese von Antonovsky. In: Schwenkmezger, Peter/ Schmidt, Lothar R.<br />

(Hrsg.): Lehrbuch der Gesundheitspsychologie. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag: F<br />

S.101 – 103.<br />

Freyberg, Thomas von (2011): Resilienz – mehr als ein problematisches Modewort? In:<br />

Zander, Margherita (Hrsg.): Handbuch Resilienzförderung. Wiesbaden: VS Verlag für<br />

Sozialwissenschaften, S.219 – 239.<br />

Fröhlich-Gildhoff, Klaus/ Rönnau-Böse, Maike (2009): Resilienz. München: Ernst Reinhardt<br />

Verlag.<br />

Kaluza, Gert (2003): Stress. In: Jerusalem, Matthias/ Weber, Hannelore<br />

(Hrsg.):Psychologische Gesundheitsförderung. Diagnostik und Prävention. Göttingen:<br />

Hogrefe Verlag für Psychologie, S.339 – 362.<br />

Kormann, Georg (2007): Resilienz – Was Kinder stärkt und in ihrer Entwicklung<br />

unterstützt. In: Plieninger M. u. Schumacher E. (Hrsg.): Auf den Anfang kommt es an<br />

– Bildung und Erziehung im Kindergarten und im Übergang zur Grundschule. Gmünder<br />

Hochschulreihe Nr. 27, S. 37 – 56.<br />

Petermann, Franz/ Schmidt, Martin H. (2006): Ressourcen – ein Grundbegriff der<br />

Entwicklungspsychologie und Entwicklungspathologie? In: Kindheit und Entwicklung 15<br />

(2). Göttingen: Hogrefe Verlag, S.118 – 127.<br />

Ungar, Michael(2011): Theorie in die Tat umsetzen. Fünf Prinzipien der Intervention. In:<br />

Zander, Margherita (Hrsg.): Handbuch Resilienzförderung. Wiesbaden: VS Verlag für<br />

Sozialwissenschaften, S.157 – 178.<br />

Wieland, Norbert (2011): Resilienz und Resilienzförderung – eine begriffliche Systematisierung.<br />

In: Zander, Margherita (Hrsg.): Handbuch Resilienzförderung. Wiesbaden: VS<br />

Verlag für Sozialwissenschaften, S.180 – 207.<br />

7


8<br />

Resilienz<br />

Resilienzförderung durch kreative Therapien Sabine Karczewski<br />

„Ich habe getanzt, wenn ich traurig war über den Tod eines anderen<br />

Menschen, der mir etwas bedeutete, oder wenn ich meine fast<br />

unerträgliche Freude beim Triumph eines anderen über den Tod<br />

zum Ausdruck gebracht habe. Ganz gleich, was geschah, ich habe<br />

es nie versäumt, zum Tanz zurückzukehren, um meinen Lebenswillen<br />

zu stärken. Das ist die wichtigste Lektion, die ich Menschen<br />

übermitteln kann: Tanzt und erneuert eure Lebenskraft.“<br />

(Halprin, S. 36, 2000)<br />

Resilienz ist keine angeborene Fähigkeit. Faktoren, welche die Widerstandskraft<br />

begünstigen, können gefördert werden und eine<br />

Ressource bilden. Der Körper ist die am einfachsten greifbare<br />

Ressource, um die Persönlichkeit zu stabilisieren. Pädagogische<br />

und therapeutische Verfahren, die das bewusste Erleben von<br />

Körperwahrnehmungen und Sinnesempfindungen in das Setting<br />

mit einbeziehen und die emotionale Verankerungsmöglichkeit im<br />

Körper durch kreativ-künstlerische Methoden nutzen, begünstigen<br />

die Integration von Körper, Gedanken und Gefühlen. Eine<br />

integrierte Persönlichkeit kann in Krisenzeiten flexibler reagieren,<br />

verfügt über unterschiedliche Strategien, Kompetenzen und mehr<br />

seelische Widerstandskraft. Im Folgenden werden zunächst allgemein<br />

die künstlerischen Therapieansätze vorgestellt. Einige bedeutsame<br />

Aspekte des Resilienzkonzeptes werden danach näher<br />

betrachtet: Kreativität, Lösungswege, Lebenskraft, Prävention,<br />

Nachreifung und „die Heilkraft der Freude“.<br />

Künstlerische Therapien heute<br />

Zu den künstlerischen Therapien zählen heute die Musiktherapie,<br />

Kunsttherapie (Malerei, Skulptur, Plastik), die Tanz- und<br />

Ausdruckstherapie, die Bewegungstherapien (z.B. konzentrative<br />

Bewegungstherapie, Heil-Eurythmie, integrative Bewegungstherapie),<br />

die Theater- und Dramatherapie, die Gestaltthera-<br />

pie, Sandspieltherapien und Puppenspieltherapien, Atem- und<br />

Leibtherapien (zum Beispiel Eutonie, Heilsingen, Sprechtherapie<br />

nach Schlaffhorst/Andersen und Ilse Middendorf), Poesie und<br />

Worttherapien (zum Beispiel Schreibtherapie).<br />

Grundsätzlich sind die Ziele individuell abzuklären, aber im Allgemeinen<br />

streben die kreativ-künstlerischen Therapien folgende<br />

Ziele an:<br />

• Linderung einer Krankheit und Ingangsetzung eines Heil-<br />

prozesses<br />

• Stärkung der Resilienz, der Ressourcen und Selbstheilungs-<br />

kräfte<br />

• Förderung der Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />

• Erkennen, überwinden, vermindern oder akzeptieren von<br />

emotionalen, sozialen, kognitiven oder psychomotorischen<br />

Problemen<br />

• Erweiterung des Verhaltensrepertoires im Sinne der Nachrei-<br />

fung des Ichs;<br />

• Bearbeitung von emotionalen Erlebnisinhalten, innerpsychi-<br />

schen Konflikten und strukturellen Defiziten<br />

• Erwerb neuer Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung und<br />

der Handlungskompetenz; Stärkung der Eigenverantwortung<br />

• Befähigung zur Umsetzung individueller Bedürfnisse im Ein-<br />

klang mit sozialer Kompetenz verwirklichen zu können<br />

Kreativ-künstlerische Therapeuten gehen nicht nach einem fixen<br />

Schema vor, sondern stellen sich im Sinne der Klientenzentrierung<br />

individuell auf die Problematik und die Persönlichkeit des<br />

Klienten ein. Der Therapeut sollte daher ein hohes Maß an fachlich<br />

gestützter Flexibilität besitzen. Der Therapeut nutzt neben<br />

der Sprache, insbesondere das künstlerische „Medium“, um mit<br />

dem Klienten zu kommunizieren. Dieses Medium kann die Musik,<br />

der Tanz, das Malen oder das dramatische Rollenspiel sein. In der<br />

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kreativen Therapie wird das Medium eingesetzt, um Gefühle, Gedanken<br />

und Handlungsweisen auszudrücken und zu bearbeiten.<br />

Diese akzeptierende, beobachtende und wertfrei teilnehmende<br />

Grundhaltung kommt dem buddhistischen Ansatz und dem der<br />

positiven Psychotherapie sehr nahe. Diese Ansätze fordern, so<br />

Christiane Müller: „... das Ganze aus einer anderen Perspektive<br />

anzuschauen. Eine Haltung von Güte und Wohlwollen zu entwickeln.<br />

Fragen zu stellen, wie Ressourcen und Stärken entdeckt<br />

und eingesetzt werden können. Hierzu kann das Malen, wie jedes<br />

andere künstlerische Schaffen genutzt werden, und es hat etwas<br />

Tröstliches.“ (Müller, S.259, 2007)<br />

Abgestimmt auf das Störungsbild des Klienten und die Zielsetzung<br />

können die eingesetzten Methoden einen strukturierenden,<br />

lindernden, konfrontierenden und verarbeitenden Charakter haben.<br />

Improvisation und Gestaltung mit Hilfe des entsprechenden<br />

Mediums nehmen einen großen Raum in der Therapie ein.<br />

Übungsstrukturen geben hierbei dem Klienten Halt und Sicherheit<br />

und ermöglichen das gezielte Arbeiten an einzelnen Themen<br />

(z.B. Loslassen, Abgrenzung, Umgang mit Aggression, Durchleben<br />

eines Trauerprozesses). Der therapeutische Prozess und die<br />

therapeutische Beziehung innerhalb der künstlerischen Therapien<br />

seien in der Psychotherapieforschung inzwischen hinreichend beschrieben,<br />

so schreibt Petersen im Ärzteblatt im Jahr 2000. Eine<br />

Aufgabe der Zukunft sei es jedoch, die passenden spezifischen<br />

Kriterien für die Wissenschaftlichkeit der künstlerischen Therapie<br />

weiter zu entwickeln.<br />

Kreativität und die Erarbeitung von Lösungswegen<br />

Kreativität und Resilienz sind eng miteinander verbunden. Kreativität<br />

– als wesentlicher Teil unseres Menschseins – ist so grundlegend<br />

wie Laufen, Gehen, Sprechen, Fühlen und Denken. In jedem<br />

Menschen schlummert dieser Keim, der beim Kind durch eine reiche<br />

Vorstellungswelt erlebt wird. Der Übergang in die Phase, in<br />

der dem Kind eine objektivere Wahrnehmung möglich wird, „...<br />

ist mehr als nur Sache eines natürlichen oder angeborenen Reifungsprozesses;<br />

zusätzlich ist ein Mindestmaß an entwicklungsfördernden<br />

Voraussetzungen von Seiten der Umwelt erforderlich.<br />

Dies gehört zum Thema der Entwicklung des Menschen von der<br />

Abhängigkeit zur Unabhängigkeit.“(Winnicott, S. 170, 2010) Die<br />

Beschäftigung mit Teddybär und Kissenzipfel als Übergangsobjekt,<br />

sei der erste Schritt zur Entwicklung dessen, was man das<br />

Kreative nenne. So entstünden kulturelle, schöpferische, erfinderische<br />

Fähigkeiten des Menschen letztlich in einem engen Zusammenhang<br />

„mit jenem kleinen fetischartigem Gegenstand in der<br />

Kindheit“. (Winnicott, vgl. S.196, 2010) Es ist diese Kreativität,<br />

die später in extremen Belastungssituationen unabdingbar ist.<br />

Krisensituationen erfordern kreative Ideen und Lösungen. Die<br />

Fähigkeit, entspannt zu bleiben und neu zu vertrauen, ist dann<br />

ebenso gefragt, wie das Loslassen von fixierten Gedankenmustern<br />

und möglichen Opferhaltungen. Auch die Verarbeitung von<br />

unangenehmen Emotionen, die Wahrnehmung von Möglichkeiten,<br />

sowie die Entwicklung neuen Mutes und neuer Sinnausrichtung<br />

können mithilfe kreativer Grundfertigkeiten besser gelingen.<br />

Die kreativen Therapien können mit ihren Methoden den von einer<br />

Krise Betroffenen unterstützen, diese und andere Resilienz-<br />

Kompetenzen zu fördern. Die schöpferischen Anlagen des belasteten<br />

Klienten bekommen Raum und Zeit, Material, strukturelle<br />

und empathische Begleitung, um als Kräfte (wieder) spürbar zu<br />

werden, die lebenswerte ressourcenorientierte Wege sichtbar<br />

werden lassen. Musikalische, tänzerische oder bildnerisches Explorieren<br />

und Gestalten und imaginative Tätigkeit sind Ausdruck<br />

dieser kreativ-schöpferischen Quelle. Der gestalterische Prozess<br />

erleichtert den Zugang zu heilsamen inneren Bildern. Stabilisierende<br />

Übungsstrukturen und Imaginationen und stabilisierendes<br />

kreatives Gestalten mit Elementen der Achtsamkeitsarbeit werden<br />

als wertvolle Unterstützung zur Affekt- und Dissoziationskontrolle.<br />

Die Arbeit mit dem kreativen Medium Tanz, Musik, Gesang,<br />

Poesie oder bildnerische Gestaltung führt durch die Erfahrungen<br />

von Leid und erarbeitet durch die transformierende, heilsame<br />

Kraft von Symbolen adäquate innere Haltungen und überlebensnotwendige<br />

Strategien der Bewältigung. Der verletzte Anteil der<br />

Persönlichkeit darf sich über die Sprache der Kunst artikulieren<br />

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und kann neue oder alt bewährte Handlungsmöglichkeiten künstlerisch<br />

erproben. (Timmermann, 1994) Nicht zuletzt steht die<br />

Sinnfindung und möglicherweise eine geistige Neuausrichtung<br />

ebenso als herausfordernde Aufgabe an. Dazu Winnicott (S.84,<br />

2010): „Wir beobachten, dass Menschen entweder kreativ leben<br />

und das Leben für lebenswert halten, oder dass sie es nicht kreativ<br />

leben können und seinen Wert anzweifeln.“<br />

Künstlerischer Ausdruck als Bestärkung der Lebenskraft<br />

In der Resilienzförderung haben die Therapeuten die Aufgabe,<br />

Klienten aller Altersgruppen sicher durch eine ihnen unbekannte,<br />

möglicherweise beängstigende Landschaft zu geleiten oder sie<br />

auf eine Begegnung mit einer solchen vorzubereiten; auf dass sie<br />

die nötigen Kompetenzen und Widerstandskräfte zum Meistern<br />

kommender Herausforderungen oder möglicher Krisen erwirbt.<br />

Dazu ein Beispiel aus der Tanztherapie: Die amerikanische Tänzerin<br />

und Autorin Anna Halprin hat durch ihre eigene schmerzlich<br />

durchlebte Krebserkrankung leib-haftig erfahren, dass eine<br />

bewusste Beziehung zum Immunsystem seine Stärke positiv beeinflusst.<br />

Halprin hat die Wirkungsweise des Tanzes in der Tiefe<br />

erforscht und ihre tanztherapeutische Lehrmethoden dahingehend<br />

erweitert. Sie zitiert den Anthropologen Kurt Sachs: „Tanz<br />

ist die Mutter der Künste“ (Halprin S.33/34; 2000). Im Tanz seien<br />

alle anderen Künste enthalten. Alle Menschen seien Künstler und<br />

brauchten keine jahrelange Spezialausbildung, um Tanzkünstler<br />

zu werden. Anna Halprin‘s künstlerische Methoden schließen neben<br />

dem Tanz, die bildnerische Gestaltung, die Elemente, Visualisierungen,<br />

das Gebet, die Poesie und das Gespräch mit ein. Diese<br />

intermediale Arbeit ist Teil ihres Konzeptes, das sie den Life Art<br />

Prozess nennt. Der Film „Breath made visible“ (2010) macht dokumentarisch<br />

sichtbar, mit welchem Engagement und innerer Überzeugung<br />

sie den Tanz und die Künste als natürliche Kraft- und<br />

Lebensquelle für möglichst viele Menschen schon geöffnet hat.<br />

Sie schreibt in ihrem Buch „Tanz, Ausdruck und Heilung“: „Worte<br />

bezeichnen, was wir bereits wissen; ausdrucksvolle Bewegungen<br />

offenbaren das Unbekannte. Empfindungen, Gefühle, Emotionen<br />

und Bilder, die lange in unserem Körper verborgen waren, treten<br />

durch Bewegung zutage. Dabei können wir auch alte Muster, Gewohnheiten<br />

und destruktive Überzeugungssysteme verändern.“<br />

(Halprin, S.34, 2000)<br />

9


10<br />

Tanz als Präventivangebot und therapeutische Nachreifung<br />

Rudolf von Laban (1879-1958) erforschte die physiologischen und<br />

psychologischen Gesetze menschlicher Bewegung und legte das<br />

Fundament zu wissenschaftlicher Bewegungsbeobachtung und<br />

-analyse; zusammen mit der von ihm begründeten kinetographischen<br />

Tanz- und Bewegungsschrift (Labannotation), Arbeitsgrundlage<br />

für zahlreiche Tanzpädagogen, Tanztherapeuten und<br />

Fachleute weltweit. Laban beschrieb die Grundlagen und Wirkungsweise<br />

einer freien Tanztechnik in seinem Buch „Der Moderne<br />

Ausdruckstanz“ 2001. Die elementaren Antriebsaktionen<br />

befänden sich auch in jeder Form von seelischem oder intellektuellem<br />

Ausdruck und die Projektion eines Impulses könne Aufschluss<br />

über einen inneren Zustand geben. (Laban vgl. S. 69,<br />

2001) Er schreibt:„Manche Menschen haben vielleicht einige der<br />

hier beschriebenen Bewegungsantriebe nie selbst körperlich oder<br />

geistig erfahren. Für sie wird es von Vorteil sein, ihr Verständnis<br />

und Erfassen von Bewegungen auf ein größeres Gebiet auszudehnen,<br />

um auf diese Weise auch menschliches Handeln besser<br />

begreifen und nachempfinden zu können, das von solchen<br />

Bewegungsimpulsen ausgelöst wird.“ (S.69) Laban erläutert, als<br />

Schwerpunkt der tänzerischen Ausdrucksschulung gehe es darum,<br />

das Kind zu lehren zu leben, sich zu bewegen und in den<br />

verschiedenen Medien auszudrücken, die sein Leben bestimmen.<br />

Als wichtigstes Medium beschreibt er den eigenen Bewegungs-<br />

fluss. Sei das Kind im „Fluss“, dann befinde es sich in völliger<br />

Harmonie mit allen Bewegungsfaktoren und könne „sich geistig,<br />

seelisch und körperlich mühelos im Leben zurechtfinden.“<br />

(Laban S.36, 2001) Bezogen auf die Förderung von Resilienz hat<br />

Laban hiermit eine konkret umsetzbare methodische Grundlage<br />

geschaffen, deren Einsatz präventiv pädagogisch eingesetzt bereits<br />

im Kindesalter sinnvoll erscheint. Auch für Heranwachsende<br />

und Erwachsene kann das Integrieren eines umfangreichen Ausdrucksrepertoires<br />

und das Herstellen des heute als „Flow“ (Bertolaso,<br />

vgl. S. 84 ff, 2009) bezeichneten Zustandes eine Quelle<br />

der Regeneration und Ich-stärkenden Zentrierung sein. Für therapeutische<br />

Zwecke wurden tiefenpsychologische Theorien von<br />

Anna Freud (1965), Winnicott (1965), Erickson (1950), Spitz (1959)<br />

und Mahler (1980) mit den Erkenntnissen von Stern (1965) und<br />

mit den wissenschaftlichen Beobachtungen von Judith Kestenberg<br />

(1910-1999) zusammengebracht. Irmgard Bartenieff, Warren<br />

Lamb und in neuerer Zeit Susan Loman, Antja Kennedy, Susanne<br />

Bender und Marianne Eberhard-Kächele vertieften, erweiterten<br />

und konkretisierten die bewegungsanalytischen Erkenntnisse für<br />

die Anwendung im tanztherapeutischen sowie im präventiven Bereich<br />

(siehe Koch/Bender, 2007). Grundlegende Annahme dieser<br />

tanztherapeutischen Methoden ist, dass die Entwicklung trotz<br />

widriger oder ungünstiger Umstände jederzeit für Nachreifungs-<br />

impulse offen ist. Die Tanztherapeutinnen haben phasenspezifische<br />

Interventionen zur Stabilisierung und Anregung (Sicherheit<br />

und Erregung) entwickelt, die ganz im Sinne der Resilienzförderung<br />

eingesetzt werden und wirken. „Nachreifungsprozesse in der<br />

von Vertrauen geprägten therapeutischen Beziehung sind insofern<br />

von eminenter Bedeutung, als sie dazu verhelfen, Urängste<br />

und die daraus resultierende Hilflosigkeit abzubauen.“(Klein, S.<br />

203, 1998 ff.) Petra Klein beschreibt, sie habe in ihrer Berufspraxis<br />

vielfach erlebt, dass adäquate stabilisierende therapeutische<br />

Arbeit, die Klienten in die Lage versetzt, „sich selber hilfreich an<br />

die Hand zu nehmen.“ So könne der erwachsene Anteil dem oft<br />

ohnmächtigen kindlichen Persönlichkeitsanteil zu Hilfe kommen.<br />

Möglicher Beitrag der künstlerischen Therapien zur Resilienzförderung<br />

bei traumatisierten Klienten<br />

Autor und Klinikleiter Dr. med. Wolfgang Wöller empfahl in seinem<br />

Vortrag 2007 in der Psychosomatischen Rheinklinik Bad Honnef:<br />

„Ressourcenorientierte Behandlungskonzeption bei komplexen<br />

Traumafolgestörungen“ interessante Ziele und Behandlungsansätze<br />

zur Aktivierung des Ressourcenpotentials und der Selbstheilungskräfte.<br />

In der folgenden Tabelle sind diese auf der linken<br />

Seite zu finden. In der rechten Spalte der Tabelle finden sich<br />

beispielhaft skizziert Vorschläge aus der kreativtherapeutischen<br />

Berufspraxis zur Verdeutlichung der Umsetzungsmöglichkeiten:<br />

Heilkraft der Freude?<br />

Wie der letzte Punkt der Tabelle andeutet,<br />

bstätigen zahlreiche erfahrene<br />

Therapeuten die Erfahrung, wie<br />

aufbauend, heilsam und stärkend die<br />

Erfahrung der lebensbejahenden Freude<br />

auf belastete Klienten wirkt. Der<br />

Neuropsychiater und Psychoanalytiker<br />

Boris Cyrulnik entdeckte die neuronale<br />

Nähe zwischen Glück und Unglück; die<br />

wahrscheinlich mit dem uralten Überlebensinstinkt<br />

zu tun habe. Sobald<br />

ein Unglück eingetreten sei, träume<br />

man vom Glück. Dieses Gegensatzpaar<br />

sei gekoppelt an die entgegengesetzten<br />

Impulse von Hinwendungs-<br />

und Fluchtreaktionen. (vgl.S.69) “Erst<br />

das Gegensatzpaar ermöglicht das<br />

Überleben.“(Cyrulnik, S.69, 2007)<br />

Schlussfolgernd sollte eine therapeutische<br />

Begleitung einen Gegenpol zu<br />

der sonstigen emotionalen Erfahrung<br />

beinhalten. Künstler müssten in der<br />

Lage sein, Freude zu vermitteln, betont<br />

Yolanda Bertolaso in ihrem Buch<br />

über „Resilienz in Pädagogik und<br />

künstlerischer Tanztherapie“(vgl. s.186): Hierbei spreche sie nicht<br />

von oberflächlichem Spaß; „Vielmehr kommt die Freude beim Erleben<br />

wahrer Kunst aus tieferen Quellen als aus der Freude an der<br />

Illusion.“ (Bertolaso, S.186, 2009) Auch die Ende der 60er Jahre<br />

von Peseschkian initiierte Fachrichtung der „Positiven Psychotherapie“<br />

widmet sich forschend den „Glücksfaktoren“. Frank schlägt<br />

ihren Patienten eine „Reise ins Land des Wohlbefindens“ vor<br />

(Frank, S.128 ff 2010). Wie die kreativen Therapien widmen sich<br />

auch andere psychotherapeutischen Fachrichtungen vermehrt<br />

den Kompetenzen, die Stress lösend sind, das Leben bejahen und<br />

lebenswert machen. Der Musiktherapeut Timmermann sieht als<br />

wesentlichen gesellschaftlich auszugleichenden Pol den Zerfall<br />

der alten ethischen und sozialen Ordnungen, die sich ökologisch<br />

sowie in den wachsenden Krankheitsbildern Krebs, Süchten und<br />

Essstörungen spiegelten: „Wer hörend und spielend zurückfindet<br />

zu einem elementaren Gefühl für das eigene Maß und eigene<br />

innere Ordnung, setzt der Entfremdung die Selbsterfahrung entgegen<br />

und schafft damit Voraussetzungen für konstruktives soziales<br />

und ökologisches Denken.“ (Timmermann, S.234, 1994) Die<br />

Tanztherapeutin Petra Klein (vgl. 204, 1998) sieht gar den Sinn<br />

des Lebens darin, das Leid zu überwinden, Freude und Leichtigkeit<br />

zu entdecken und mit anderen zu teilen; also das Leben zu<br />

zelebrieren, nicht nur zu ertragen.<br />

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Ressourcenorientiertes<br />

Behandlungskonzept<br />

Verstärkung der Ziele<br />

des Klienten<br />

Ziele des Klienten<br />

aktivieren<br />

Verstärkung von<br />

Kompetenzen<br />

Selbstwertschätzung<br />

des Klienten<br />

Eigene Fähigkeiten<br />

wertschätzen<br />

Bisherige Bewältigungsstrategien<br />

erfragen,<br />

Problemlöseorientierung<br />

stärken<br />

Positives „inneres<br />

Fotoalbum“<br />

Einen sicheren Ort<br />

imaginieren<br />

„Innere Helfer“ /<br />

Ratgeber imaginieren<br />

Kleine Veränderungen<br />

wahrnehmen<br />

Kreativtherapeutische Umsetzung<br />

zur Resilienzförderung<br />

Tänzerische/Musikalische/Künstlerische Impulse/Ideen des Klienten aufnehmen, Spiegeln, Wertschätzen,<br />

Hervorheben, Achten<br />

Klientenzentrierung, Ideen folgen, kreativen Prozess „Der Weg“ begleiten, Varia-tionen anbieten, Integration des<br />

anderen Pols (z.B. langsam/schnell, hell/dunkel)<br />

Strukturierte Improvisationen zu stärkenden Erfahrungen, (Emotionales Erleben einbeziehen), Festlegen einer<br />

künstlerischen Sequenz, Wiederholen; Es entsteht dein Tanz, Lied, Bild. Evtl. Präsentation, stärkende musikalische<br />

oder tänzerische Rituale erfinden. Erweiterung des Ausdrucks-Repertoires. Vermittlung von Selbsthilfemethoden.<br />

Verbale und kognitive Aufarbeitung kreativer Prozesse ermöglichen; Bewusstwerdung anregen<br />

Wertschätzen ohne Wertung und Erwartungen, Einbeziehung von unbewussten „Schatten-Handlungen“, Klienten<br />

spiegeln als positive Reflektion, Pausen zur Selbstwahrnehmung, Differenzierung der Wahrnehmung eigener<br />

Bedürfnisse, Klient „schenkt“ sich selbst Zeit, meditative (auch künstlerische) Ruhe-Übungen<br />

Einfache, gut zu bewältigende künstlerische Angebote machen (z.B. Arbeit mit<br />

Haltungen, einfach zu spielenden Instrumenten); Exploration, Künstlerisches<br />

Erforschen von eigenen Möglichkeiten, Wiederholung/ Intensivierung/ Gestaltung von individuellen Qualitäten<br />

Konfliktsituation in Bew./Musik nachempfinden und Möglichkeiten des Umgangs spielerisch ausprobieren/<br />

wieder- oder neu entdecken und durch Wiederholung üben<br />

Positive Biographiearbeit; Faktor: Zeit; Lieblings-Bewegungen/Musik/Bilder meines Lebens; Betonung aufbauender<br />

Zeiten/Momente, Symbolisch gestalten; auch Intermedial; Bewegungsgesten zu positiven Erinnerungen für den<br />

Alltag entwickeln<br />

Faktor: Raum; konkret und visualisieren; Empfinden/Wahrnehmung differenzieren üben, Eigene Grenzen wahrnehmen<br />

und ausdrücken/verteidigen; Bewegungen und Musik des Wohlbefindens, Ort imaginieren und malen;<br />

intermedial umsetzen und damit integrieren<br />

Medien wie Instrumente/Kuscheltiere oder Arbeit mit Rollentausch = Sinnlich erfahrbare Helfer und innere<br />

Ratgeber; kleine Tänze entwickeln zur Festigung des (Selbst-)Vertrauens<br />

Stimmungsbarometer einführen; immer zu Beginn und am Ende in Form einer<br />

symbolischen Bewegung/Ton/Farbsymbol zum aktuellen Befinden<br />

Visionen entwerfen Phantasiereisen in die gewünschte Zukunft, anschließend diese künstlerisch<br />

Umsetzen und Einzelelement möglichst realitätsnah erfahrbar machen;<br />

Bewegungsmetapher /Bild oder Musik entwerfen, die auch die Emotion des<br />

Erreichten symbolisch mit einschließt<br />

„Glücksbiographie“<br />

entwerfen lassen<br />

Therapie darf /sollte<br />

Spaß machen<br />

Während des künstlerischen Tuns, den Fokus halten auf das, was sich „Glück“ bringend oder einfach „gut“ und<br />

„stimmig“ anfühlt oder anfühlte.<br />

Spielerische Übungen einbringen, Humor darf sein, Selbstironie anregen, Schweres ablegen/Leichtigkeit<br />

ausprobieren, erinnern; Wünschen des Klienten folgen; Interaktives Anbieten; Unterstützung und Beistand erfahren.<br />

Lockerndes, Erfrischendes, Befreiendes Tun<br />

Fazit<br />

Insgesamt wird deutlich, wie vielschichtig und umfangreich die Möglichkeiten sind, mit kreativen Mitteln Resilienz nachhaltig zu<br />

fördern. Ich als Tanztherapeutin freue mich zu sehen, dass die Forschungsdisziplinen immer stärken ineinander greifen und sich zunehmend<br />

gegenseitig in ihren Grundhaltungen durch überlappende Erkenntnisse verstärken. Ich bin optimistisch, dass die kreativen<br />

Therapien zukünftig weiterhin wertvolle Beiträge einbringen werden. An dieser Stelle finde ich das Bild der Brücke als Symbol für<br />

Resilienz, die den geprüften Menschen hält und die Fachdisziplinen verbindet, sehr positiv und hoffnungsvoll zukunftsweisend. ■<br />

Literatur:<br />

Bertolaso, Yolanda: “Resilienz in Pädagogik und Künstlerischer Tanztherapie“; Pabst<br />

Science Publisher 2009<br />

Cyrulnik, Boris: „Mit Leib und Seele – Wie wir Krisen bewältigen“; Hoffmann und<br />

Campe 2007<br />

Diegelmann, Christa/Isermann, Margarete(Hrsg.): Ressourcenorientierte Psychotherapie:<br />

Psyche und Körper ermutigen; Kohlhammer 2010<br />

Frank, Renate: „Wohlbefinden fördern- Positive Therapie in der Praxis“, Klett Cotta<br />

2010<br />

Halprin, Anna: „Tanz, Ausdruck und Heilung“; Synthesis 2000<br />

Klein, Petra: „ Tanztherapie- Ein Weg zum Ganzheitlichen Sein“, Dieter Balsies Verlag<br />

1998<br />

Koch, Sabine; Bender, Susanne (Hrsg.): „ Movement Analysis- Bewegungsanalyse“;<br />

Logos Verlag Berlin 2007<br />

campus Spiegel · Redaktion Berlin · Telefon: 030 / 24 63 98 95 · www.campusnaturalis.de · Berlin · Frankfurt am Main · Hamburg · München<br />

© Sabine Karczewski, campus Naturalis, 2011<br />

Müller, Christiane: „Trauma und Therapie- Nährboden künstlerischen Schaffens“ in<br />

Trautmann-Voigt, Sabine/ Voigt, Bernd (Hrsg.): „Körper und Kunst in der Psychotraumatologie<br />

– Methodenintegrative Therapie“, Schattauer 2007<br />

Laban, Rudolf von: „Der moderne Ausdruckstanz“, Florian Noetzel GmbH 2001<br />

Petersen, Peter: Künstlerische Therapien: Wege zur psychosozialen Gesundheit Dtsch<br />

Arztebl 2000; 97(14): A-903 / B-779 / C-707 THEMEN DER ZEIT: Aufsätze http://www.<br />

aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=22439<br />

Siegel, Elaine.V.: „Tanztherapie…ein psychoanalytisches Konzept“ Stuttgart 1986<br />

Timmermann, Tonius: „Die Musik des Menschen“; Piper Verlag 1994<br />

Winnicott, D.W.: “Vom Spiel zur Kreativität“, 12. Auflage 2010<br />

Wöller, Wolfgang: „Trauma und Persönlichkeitsstörungen- Psychodynamisch integrative<br />

Therapie“, Schattauer 2006<br />

11


12<br />

Resilienz<br />

Stark trotz widriger Umstände: Resilienz und Familientherapie<br />

Von der Familientherapie zur Vielfalt<br />

systemischer Settings<br />

Die Wurzeln der systemischen Beratung und Therapie sind bereits<br />

in der frühen Geschichte der Psychotherapie zu finden.<br />

Während in den ersten Jahrzehnten des beginnenden 20. Jahrhunderts<br />

– geprägt durch die Psychoanalyse Sigmund Freuds –<br />

der Blick auf Einzelpersonen und deren Kindheit ausgerichtet<br />

war, rückte in den 50er Jahren verstärkt auch die Familie in den<br />

Mittelpunkt des Interesses. 1<br />

Annäherung aus verschiedenen Richtungen<br />

Auch eine wissenschaftliche Neugier an den innovativ anmutenden<br />

Ansätzen der nun als „Familientherapie" bezeichneten<br />

Therapiesitzungen war wachgerufen. So bildeten sich weitgehend<br />

unabhängig voneinander auf verschiedenen Erdteilen forschende<br />

multidisziplinäre Teams.<br />

Anfangs waren es insbesondere die Forschungsarbeiten zur<br />

Schizophrenie, die die Entwicklung familientherapeutischer<br />

Ideen vorantrieb. Zu den Forscherteams zählte z.B. die im kalifornischen<br />

Palo Alto tätige Gruppe des Mental Research Instituts<br />

(MRI) mit ihren prominent gewordenen Mitgliedern Virginia<br />

Satir, Paul Watzlawick, Gregory Bateson und Jay Haley;<br />

genauso die Mailänder Gruppe um Mara Selvini Palazzoli, Luigi<br />

Boscolo, Gianfranco Cecchin oder auch Salvador Minuchin mit<br />

seinem Team. Die von dem amerikanischen Psychiater Milton H.<br />

Erickson entwickelte Form einer indirekten oder „neuen“ Hypnose<br />

hat ebenso eine große Verbreitung gefunden und seine<br />

Arbeit nahm und nimmt bis heute auf die Entwicklung der systemische<br />

Beratung und Therapie maßgeblichen Einfluss.<br />

Als weitere wegweisende Größe hinsichtlich der Weiterentwicklung<br />

familientherapeutischer respektive systemischer Konzepte<br />

gilt die „Solution Focused Therapy“, eine lösungsorientierte<br />

oder lösungsfokussierte Kurztherapie, die von Steve de Shazer<br />

und Insoo Kim Berg ab 1982 in den USA entwickelt worden<br />

war. In Deutschland machte sich die "Heidelberger Schule" um<br />

den Arzt und Philosophen Helm Stierlin einen Namen. Gunther<br />

Schmidt, ein Mitglied der Heidelberger Gruppe, gilt heute als<br />

Pionier der systemisch- lösungsorientierten Beratungsansätze.<br />

Er hatte den Begriff „hypnosystemisch“ 1980 erstmals vorgeschlagen,<br />

um ein Modell zu charakterisieren, das versucht,<br />

systemisches Ansätze für Psychotherapie und Beratung mit<br />

Luitgard Janz<br />

den Modellen der aus seiner Sicht kompetenzaktivierenden<br />

Erickson‘schen Hypno- und Psychotherapie zu einem Integrationskonzept<br />

auszubauen. 2<br />

Theorie und Praxis<br />

systemischen Arbeitens<br />

Die genannten und eine weitere Anzahl von Personen und<br />

Teams entwickelten in jahrzehntelanger Forschung ihre auf die<br />

Arbeit mit Familien und Systemen spezialisierten theoretischen<br />

Modelle, (Frage-)Techniken, Interventionen und methodischen<br />

Tools; diese Entwicklung schreitet weiter fort und prägt bis<br />

heute den innovativen Charakter systemischer Arbeit in den<br />

unterschiedlichsten Feldern.<br />

Die praktische therapeutische Arbeit war und ist immer auch<br />

beeinflusst von aktuellen natur- und geisteswissenschaftlichen<br />

Strömungen verschiedenster Disziplinen. 3 Dazu zählt in etwa<br />

die allgemeine Systemtheorie, basierend auf dem Biologen und<br />

Systemtheoretiker Ludwig von Bertalanffy, die Katastrophentheorie<br />

als ein Zweig der Mathematik, der plötzliche Veränderungen<br />

beschreibt, die sich aus kleinen Impulsen ergeben,<br />

die Chaostheorie, die Kybernetik 1. und 2. Ordnung – letzteres<br />

die Wortschöpfung des Physikers Heinz von Foersters. Die<br />

in den 80er Jahren entstandene Formulierung des radikalen<br />

Konstruktivismus basiert auf der biologischen Epistemologie<br />

der Selbstreferenz lebender Systeme – der Autopoiese – der<br />

beiden chilenischen Biologen, Philosophen und Neurowissenschaftlern<br />

Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela,<br />

nach der Menschen als lebende, autopoietische, operational<br />

geschlossene Systeme ihre Wirklichkeit durch ihren individuellen<br />

Wahrnehmungsprozess erst konstruieren. 4 Zuzurechnen<br />

sind ebenso die soziologische Systemtheorie des deutschen<br />

Soziologen und Gesellschaftstheoretikers Niklas Luhmann oder<br />

auch die Komplexitätstheorie, die mehr als einen theoretischen<br />

Rahmen umfasst und als hochgradig interdisziplinär betrachtet<br />

werden darf, auch weil sie nach differenzierten Antworten auf<br />

fundamentale Fragen von lebenden, anpassungsfähigen und<br />

veränderlichen Systemen sucht. Zwangsläufig wurde im Laufe<br />

der beschriebenen Entwicklung die schwerpunktmäßige Orientierung<br />

an der Familie als Behandlungseinheit mehr und mehr<br />

hinterfragt und die Familie wurde demzufolge als eines von<br />

vielen möglichen Systemen betrachtet, in der Menschen sich<br />

sozial organisieren und befinden.<br />

Zentrale Elemente heutiger systemischen Praxis beschreiben<br />

Reimers et. al in ihrem Lehrbuch und Standardwerk „Psychotherapie“<br />

wie folgt:<br />

• Orientierung an Anliegen und Auftrag der Klientel<br />

• Ressourcenorientierung<br />

• Allparteilichkeit/Neutralität, also das Bemühen, möglichst<br />

allen Beteiligten gleichermaßen Verständnis entgegen-<br />

zubringen (auch den Abwesenden)<br />

• Einsatz von manchmal verblüffenden humorvollen<br />

Interventionen. 5<br />

So rückte also in den letztvergangenen Jahrzehnten mehr und<br />

mehr die „systemische Sichtweise“ in den Vordergrund und die<br />

Aufmerksamkeit gilt heute dem Herkunftssystem genauso wie<br />

dem gesamten Lebenskontext, den allgemeinen Lebensbedingungen<br />

u.ä.m. Im unmittelbaren therapeutischen Procedere<br />

mit familialen Systemen verlor damit auch die Frage, ob die<br />

(gesamte) Familie anwesend sein müsse, mehr und mehr an<br />

Relevanz. Als wichtiger für das Verständnis und die Veränderung<br />

eines Problems erschien stattdessen ein Verständnis der<br />

Wechselwirkungen und der ganz persönlichen Lebensstrategien<br />

und -modelle der Klientel 6 und nicht zuletzt, wie diese ihre<br />

„Wirklichkeit“ konstruieren.<br />

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Resilienz und Familienresilienz<br />

Frühe Definitionen von Resilienz im psychosozialen und klinischen<br />

Bereich sprechen nach Holtz (2010) von „Widerstandsfähigkeit<br />

und Robustheit“. Seit diesen frühen Veröffentlichungen<br />

hat sich der Schwerpunkt in den entsprechenden Forschungsprogrammen<br />

von der Identifikation spezifischer Eigenschaften – der<br />

sogenannten protektiven Faktoren oder Schutzfaktoren – „hin zur<br />

Analyse grundlegender protektiver Prozesse, welche beschreiben<br />

und erklären sollen, wie Individuen es schaffen, trotz äußerst ungünstiger<br />

biologischer, psychosozialer oder materieller Bedingungen<br />

ihr Leben befriedigend zu gestalten“ 7 verschoben. Die Vorstellung<br />

geht also hin zu den ganz normalen Individuen, denen<br />

es gelingt, Überlebensstrategien – in anderen Veröffentlichungen<br />

auch Anpassungs- oder Coping-Strategien genannt – zu entwickeln<br />

und aus diesen Kämpfen gestärkt hervorzugehen, während<br />

im jeweiligen Prozess protektive und schädigende Lebensumstände<br />

zu ständig neuen Balanceakten, erlittenen Verletzungen und<br />

entwickelten Stärken führen. Nach diesem Verständnis wird Resilienz<br />

als ein Prozess und die Fähigkeit definiert, eine erfolgreiche<br />

Anpassung zu leisten – auch wenn Bedingungen vorhanden sind,<br />

die dies erschweren oder auch bedrohen. 8<br />

Kauai-Studie:<br />

Die wohl bekannteste, längste und meist zitierte Langzeitstudie<br />

zur Resilienz führte die amerikanischen Psychologin Emmy E.<br />

Werner durch. Wie Virginia Satir vielfach als „Mutter der Familientherapie“<br />

bezeichnet, wird Emmy E. Werner mancherorts als<br />

die „Mutter der Resilienz“ angeführt. In ihrer sogenannten Kauai-<br />

Studie wurde ab 1955 die Entwicklung von 698 Kindern einer<br />

sogenannten Risikopopulation beobachtet, die alle auf der Insel<br />

Kauai auf dem Hawaii Archipel geboren worden waren. Emmy E.<br />

Werner und ihr Team konnten belegen, dass ein Drittel der Kinder<br />

trotz widriger Umstände in ihrer Kindheit gut zurechtkam und<br />

keine psychischen Auffälligkeiten zeigten. Und einem weiteren<br />

Drittel ging es bei späteren Nachuntersuchungen im mittleren Lebensalter<br />

sozial und psychisch gut, obgleich sie in vorigen Zeiträumen<br />

deutliche Verhaltensschwierigkeiten gezeigt hatten. Als<br />

Faktoren einer solchen Resilienz werden hier eine aktive, in die<br />

Zukunft orientierte Haltung, gute Berufschancen, eine spirituelle<br />

Orientierung sowie gute Erfahrungen mit einer erwachsenen Vertrauensperson<br />

oder einem liebevollen Ehepartner beschrieben. 9<br />

Inzwischen gibt es eine Vielzahl weiterer Forschungen, deren Befunde<br />

die Untersuchungsergebnisse Emmy E. Werners vielfach<br />

bestätigen und neben personalen – und hier wird es für die Arbeit<br />

mit Familien besonders interessant – soziale Ressourcen zusammengefasst<br />

als resilienzfördernd ausweisen:<br />

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Derartige soziale Ressourcen sind (nach Holtz, 2010): 10<br />

• eine stabile emotionale Beziehung zu mindestens einem<br />

Elternteil oder einer anderen Bezugsperson (z.B. Großeltern,<br />

Freunde, Lehrer), die Vertrauen und Autonomie, aber auch<br />

Kompetenzen und eine realistische Selbsteinschätzungen<br />

fördern<br />

• ein offenes, wertschätzendes, unterstützendes Erziehungs-<br />

klima zu Hause und in den Bildungssituationen<br />

• Zusammenhalt, Stabilität und konstruktive Kommunikation<br />

in der Familie<br />

• Erfahrung von Sinn, Struktur und Bedeutungen in der<br />

eigenen Entwicklung, z.B. Religiosität<br />

Das Konzept der individuellen oder personalen Resilienz wurde<br />

also inzwischen auf die Familie als soziales System übertragen<br />

und Familienforscher wie Pattersen, Shapiro und Walsh 11 beschreiben<br />

sogenannte Schlüsselprozesse einer solchen Familienresilienz:<br />

• Organisationsprozesse (Flexibilität, Verbundenheit,<br />

soziale und materielle Ressourcen)<br />

• Kommunikationsprozesse (gute Kommunikation, offener,<br />

emotionaler Austausch, gemeinsames Problemlösen)<br />

• Geteilte Glaubenssysteme von Familien (Widrigkeiten Sinn<br />

geben, positive Zukunftssicht, Transzendenz und Spiritu-<br />

alität) 12<br />

Fazit:<br />

Betrachtet man die Ergebnisse der Resilienzforschung, so können<br />

diese durchaus eine weitere wertvolle theoretische Grundlage<br />

systemischer Beratung und Therapie darstellen. Unter genauer<br />

Betrachtung bestätigen oder ergänzen sie vielfach die interdisziplinären<br />

Forschungsergebnisse der Familientherapie und deren<br />

Weiterentwicklung. Ein fundiertes Wissen um personale Ressourcen,<br />

die es ermöglichen, dass ein Mensch<br />

– gleich welchen Alters – sich trotz widriger<br />

Umstände gut entwickeln kann, sollte<br />

in die therapeutische Praxis genauso<br />

einfließen wie entsprechende Kenntnisse<br />

über soziale Schutz- und familiale Resilienzfaktoren.<br />

Auch sollte die Kenntnis um<br />

die Wichtigkeit wenigstens einer stabilen<br />

emotionalen Beziehung in der therapeutischen<br />

Beziehungsgestaltung von Belang<br />

sein und ein Klima der Offenheit, Wertschätzung<br />

und Unterstützung im Rahmen<br />

des therapeutischen Kontaktes bietet<br />

sich geradezu an, eine exemplarische resilienzfördernde<br />

Wirkung entfalten. Die<br />

Vermittlung der Bedeutung konstruktiver<br />

Kommunikationsmodelle beinhaltet u.a.<br />

die Möglichkeit, in einem therapeutischen<br />

und gleichzeitig protektiven Prozess Resilienz<br />

zu stärken oder zur Entwicklung einer<br />

solchen beizutragen. Ein wichtiger Beitrag<br />

kann genauso sein, Klientinnen und<br />

Klienten dabei zu unterstützen, dass sie<br />

selbst sehr leidvollen Erfahrungen irgendwann<br />

einen Sinn geben können und sie<br />

nicht zuletzt in einer möglichst positiven,<br />

proaktiven Sicht auf ihr Leben und ihre Zukunft<br />

zu bestärken. ■<br />

Literatur:<br />

1 vgl. Fellner, R. L. (2000) Systemische Therapie in: psychotherapiepraxis.at<br />

2 Schmidt, G. (2008): Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung.<br />

Heidelberg: Carl-Auer, S. 7<br />

3 vgl. Fellner, R.L. (2000) ebd.<br />

4 vgl. Graf, H. (2011): Konstruktivistische Wende. logoconsult.at/fachartikel<br />

5 vgl. Reimer, C., Eckert, J., Hautziger M., Wilke E. (2007): Psychotherapie. Ein Lehrbuch<br />

für Ärzte und Psychologen, 3. Auflage Heidelberg: Springer, S. 290<br />

6 vgl. Fellner, R.L. (2000) ebd.<br />

7 zit. n. Holtz in: Short, D. u. Weinspach, C. (2010): Hoffnung und Resilienz.<br />

2. Auflage Heidelberg: Carl Auer, S.29 f<br />

8 ebd. S. 30<br />

9 Retzlaff, R. (2010) Familien-Stärken. Behinderung, Resilienz und systemische Therapie<br />

Stuttgart: Klett-Cotta, S. 94<br />

10 zit. n. Holtz ebd. S.31 f<br />

11 vgl. Retzlaff, R. (2010) S. 98<br />

12 Walsh zit. aus Retzlaff, R. (2010) S. 98<br />

13


14<br />

Resilienz - Das Immunsystem der Seele<br />

Resilienz leitet sich vom lateinischen Wort resilire (zurückspringen,<br />

abprallen) ab. Gemeint ist die „Fähigkeit von Menschen,<br />

Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und<br />

sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für<br />

Entwicklung zu nutzen.“ (Welter-Enderlin, 2006, S.12).<br />

Resilienz kann mit der Zeit und unter verschiedenen Umständen<br />

variieren. Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmale (z.B.<br />

Temperament, soziale Fähigkeiten, Selbstwertgefühl etc.) und<br />

personale Ressourcen (Selbstwirksamkeitserleben, körperliche<br />

und seelische Widerstandkräfte, Reflektionsfähigkeit u.v.m.)<br />

korrelieren in einer wechselseitigen Dynamik mit potentiellen<br />

Stressoren bezüglich der Entwicklung von Resilienz. Auf Grund<br />

der Tatsache, dass Resilienz das Ergebnis eines Prozesses ist,<br />

sind Stressoren und Ressourcen nicht immer klar von einander<br />

abzugrenzen. Die Funktion der beiden Faktoren kann sich innerhalb<br />

eines Entwicklungsverlaufes auch ändern: Was heute<br />

als schützender Faktor fungiert, kann sich zu einem anderen<br />

Zeitpunkt als Risikofaktor erweisen.<br />

Wir reagieren also resilient „in Bezug“ auf Etwas, das auf irgendeine<br />

Weise ein Problem für uns darstellt. Dieses Interaktionsschema<br />

beinhaltet jeweils einen Protagonisten (Resilienz),<br />

der durch den Antagonisten (Stressor) bedroht, beeinträchtigt<br />

oder beschädigt wird. Als Resilienz erscheint in diesem Schema<br />

sowohl das Vermögen des Protagonisten, diesen Beeinträchtigungen<br />

stand zu halten als auch die Fähigkeit, bestimmte<br />

Aktivitäten in Gang setzen, um die eigene Resilienz zu stärken<br />

oder den Antagonisten zu schwächen. Hilfe (Ressourcen), welche<br />

der Protagonist für diesen Zweck in Anspruch nimmt oder<br />

angeboten bekommt, kann entweder die Stärkung der Resilienz<br />

des Protagonisten zum Ziel haben oder die Schwächung des<br />

Antagonisten.<br />

Pascale Schmidt<br />

Mit dem Resilienzkonzept liegt der Fokus nicht länger ausschließlich<br />

auf Anpassungs- und Bewältigungsproblemen – im<br />

Mittelpunkt stehen die Bewältigung von Risikosituationen und<br />

die Fähigkeiten, Ressourcen und Stärken des Menschen, ohne<br />

dabei Probleme zu ignorieren oder zu unterschätzen. Von Interesse<br />

ist, wie individuell mit Stressbewältigung umgegangen<br />

wird und Bewältigungskapazitäten aufgebaut bzw. gefördert<br />

werden können. Dabei geht es nicht um reine Lösungsorientierung<br />

- manchmal gibt es keine Lösung, i.e. die Fähigkeit, mit<br />

unbeantworteten Fragen zu leben ist gefragt.<br />

In der Präventionsarbeit spielt neben der Erforschung der Salutogenese<br />

die Entwicklung von Resilienz eine große Rolle. Dabei<br />

sind aktuell drei sich ergänzende Forschungsansätze relevant<br />

(Masten/Reed 2002):<br />

Im variablenbezogenen Ansatz steht das Zusammenspiel von<br />

Risiko- und Schutzfaktoren mit der Frage, wie die daraus abgeleiteten<br />

Erkenntnisse die Entwicklung von Kindern beeinflussen.<br />

Im personenzentrierten Ansatz werden diese Faktoren auf<br />

individueller Ebene bezüglich unterschiedlicher Entwicklungen<br />

erforscht, während sich der entwicklungspfadspezifische Ansatz<br />

die zeitliche Perspektive stärker einbezieht.<br />

Aus der Sicht von Beratung und Therapie steht die Integration<br />

des Resilienzbegriffes für einen Paradigmenwechsel von der<br />

Defizitorientierung zur Zirkularität von Ressourcen und Stressoren.<br />

■<br />

Empfehlenswerte Literatur:<br />

R. Welter-Enderlin/B. Hillenbrand (Hrsg.): Resilienz - Gedeihen<br />

trotz widriger Umstände, Heidelberg 2006.<br />

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Gesundheit und Beruf<br />

Betriebliches Gesundheitsmanagement<br />

Betriebe erkennen den Nutzen von aktiver Förderung<br />

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) – ein Schlagwort,<br />

das in unserer Gesellschaft immer häufiger fällt, dessen Bedeutung<br />

zuzunehmen scheint und das immer mehr Firmen nutzen.<br />

Einerseits, um den Erfolg des Unternehmens durch eine „gesunde<br />

Mannschaft“ zu steigern, andererseits, um damit auf sich als<br />

Unternehmen aufmerksam zu machen und gute Arbeitskräfte und<br />

Kunden zu gewinnen. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff<br />

und auf welchem Stand befindet sich die Forschung? Inwiefern<br />

hat BGM in die Betriebe wirklich Einzug gehalten und warum?<br />

Wienemann (2002) definiert „Betriebliches Gesundheitsmanagement“<br />

als die „bewusste Steuerung und Integration aller betrieblichen<br />

Prozesse mit dem Ziel der Erhaltung und Förderung der<br />

Gesundheit und des Wohlbefindens der Beschäftigten.“ BGM umfasst<br />

somit alle Maßnahmen und Angebote, die Unternehmen anbieten,<br />

um die Gesundheit der Arbeitnehmer zu unterstützen: von<br />

der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung über die Rückenschule<br />

bis zur Kindertagesstätte für alleinerziehende Mütter.<br />

Gesundheit als Unternehmensziel?<br />

Für Unternehmer stellt die Gesundheit der Beschäftigten auf den<br />

ersten Blick jedoch kein primäres Unternehmensziel dar. Warum<br />

sollen Unternehmen Angebote zur Gesundheitsförderung<br />

anbieten? Um diese Frage umfassend klären zu können müssen<br />

Grundlagen definiert und Zusammenhänge erläutert werden: Was<br />

ist Gesundheit? In welchem Zusammenhang stehen Arbeit, Gesundheit<br />

und wirtschaftlicher Erfolg? Was genau versteht man<br />

unter BGM? Wozu und wem dient es? Unter Gesundheit, um dieser<br />

Frage zuerst die Aufmerksamkeit zu schenken, versteht die<br />

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Babette Strubbe<br />

Medizin nicht mehr die bloße Abwesenheit von Krankheit. Diese<br />

sehr einfache und unzureichende Definition wurde mittlerweile<br />

durch vielschichtige und ganzheitliche Konzepte ersetzt. So ist<br />

Gesundheit laut DGFP (2004) kein statischer Zustand, sondern<br />

beschreibt einen ausgewogenen Zustand körperlichen und seelischen<br />

Wohlbefindens. Zum Wesen der Gesundheit gehören nach<br />

Frischenschlager (1996) neben körperlichem und psychischem<br />

Wohlbefinden auch Leistungsfähigkeit und Erfüllung von Rollenerwartungen,<br />

Selbstverwirklichung und Sinnfindung. Badura et<br />

al. (1999) betrachten Gesundheit als Fähigkeit zur Problemlösung,<br />

Handlung und Gefühlsregulierung.<br />

Was heißt eigentlich „gesund“?<br />

Gesund ist also ein Mensch, der sich aktiv und zielorientiert in<br />

seinem Umfeld bewegen kann und sich kontinuierlich weiterentwickelt.<br />

Nach Bullinger und Braun (2006) ist Gesundheit abhängig<br />

von den Verhältnissen, unter denen Menschen leben und arbeiten,<br />

von den alltäglichen Verhaltensweisen, dem persönlichen<br />

Lebensstil und vom subjektiven Erleben und Verarbeiten der individuellen<br />

Lebensverhältnisse. Gesundheit kann somit durch ein<br />

positives körperliches, psychisches und soziales Befinden sowie<br />

ein unterstützendes Netzwerk sozialer Beziehungen hergestellt<br />

oder erhalten werden.<br />

Rachbauer und Welpe (2004) weisen darauf hin, dass nach betriebswirtschaftlichem<br />

Verständnis Gesundheit einen Teil des Humankapitals<br />

darstellt. Aus dieser Perspektive betrachtet, sind die<br />

Gesundheit und das Schicksal des Einzelnen für das Unternehmen<br />

zunächst irrelevant. Die Gesundheit der Arbeitnehmerschaft<br />

15


16<br />

jedoch ist bedeutsam für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.<br />

Steht für die Arbeitsmedizin und die Arbeits-, Betriebs-<br />

und Organisationspsychologie die Frage nach dem Zusammenhang<br />

zwischen den Arbeitsbedingungen und der Gesundheit des<br />

Arbeitnehmers im Vordergrund. So fokussieren die Betriebswissenschaft<br />

und Unternehmen die Frage, welcher Zusammenhang<br />

zwischen Gesundheit und betrieblichem Erfolg besteht.<br />

Wiederherstellung der Balance der Anforderungen<br />

Der Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und Gesundheitszustand<br />

der Beschäftigten, liegt für viele Arbeitnehmer<br />

durch eigene Erfahrungen und Beobachtungen auf der Hand. Die<br />

Forschungsergebnisse unterstreichen die subjektiven Beobachtungen:<br />

Die meisten Menschen verbringen einen großen Teil ihres<br />

Lebens an ihrem Arbeitsplatz. Die dort herrschenden Arbeitsbedingungen<br />

spielen deshalb für die Gesundheit des Einzelnen wie<br />

der Belegschaft eines Unternehmens im Ganzen eine große Rolle.<br />

Die Krankenstände in den Unternehmen und die Belastung des<br />

„Gesundheitssystems“ durch immer mehr Patienten zeigen deutlich,<br />

dass Menschen am Arbeitsplatz krank werden. Dabei werden<br />

vor allem zwei Ursachenfelder identifiziert: physische Unterforderung<br />

durch zu wenig Bewegung und psychische Überforderung<br />

durch inneren Druck, der durch Höhe der Anforderungen, Tempo<br />

und fehlenden Ausgleich begründet ist (Kron, 2011). Auch ein<br />

OECD-Bericht unterstreicht diese Beobachtungen mit folgenden<br />

Zahlen:<br />

• 56 % der Beschäftigten arbeiten unter sehr stressigen<br />

Bedingungen,<br />

• 47 % erleben Arbeitsbedingungen, die zu körperlichem<br />

Verschleiß führen,<br />

• 42 % können sich nicht vorstellen, ihre Berufstätigkeit bis<br />

zum 60. Lebensjahr durchzuhalten (www.der-arbeitsmarkt.ch).<br />

Die regelmäßig erhobenen Zahlen zu den Folgekosten unzureichender<br />

Arbeitssicherheit und Gesundheit weisen darauf hin,<br />

dass der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens von der Ge-<br />

sundheit der Arbeitnehmer beeinflusst wird. Die Bundesanstalt<br />

für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schätzt die jährlichen Kosten<br />

durch gesundheitsbedingte Produktionsausfälle auf über 38<br />

Milliarden Euro (www.baua.de/statistik). Einen ähnlichen Betrag<br />

kann man für die Kosten der Entgeltfortzahlung veranschlagen.<br />

Nimmt man die Statistik des Jahres 2005 zur Grundlage,<br />

so schätzten deutsche Unternehmen, dass durch krankheits- und<br />

unfallbedingte Fehlzeiten nach Ausfalltagen Kosten in Höhe von<br />

40 Milliarden Euro entstehen (vgl. Pohl-Eckerstorfer, 2005). Badura<br />

et al. (2005) ermittelten für das Jahr 2002 die Summe von<br />

insgesamt 223,6 Milliarden Euro für den Erhalt und die Wiederherstellung<br />

der Gesundheit in Deutschland.<br />

Weitere Vertiefung der integralen Sichtweise<br />

Zu bemerken ist, dass bisherige betriebswirtschaftliche Untersuchungen<br />

im Wesentlichen auf Schadenserhebungen und Daten<br />

über krankheitsbedingte Fehlzeiten beruhen. Wirtschaftliche Bewertungen<br />

des Einflusses von Gesundheit, bzw. Krankheit der<br />

Arbeitnehmer in Bezug auf die Unterstützung unternehmerischer<br />

Ziele, wie z. B. Produktivität, Qualität, Kreativität und Nachhaltigkeit<br />

von Produktion bzw. Dienstleistung, liegen bisher kaum vor.<br />

„Obwohl wir also annehmen können, dass durch betriebliche Prävention<br />

und Gesundheitsförderung rund ein Drittel aller Arbeitsunfähigkeitszeiten<br />

und damit der direkten und indirekten Kosten<br />

vermeidbar sind, sagt dies noch nichts über den möglichen wirtschaftlichen<br />

Nutzen aus“ (Thiehoff, 2004). Die bisher nur einseitig<br />

erhobene Datenlage mag eine Ursache dafür sein, dass gesundheitsbezogenen<br />

Themen, die über Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz<br />

hinausgingen, in Unternehmen lange Zeit eine untergeordnete<br />

Rolle gespielt haben. Viele Unternehmensleitungen<br />

haben jedoch erkannt oder (auch durch gesetzliche Vorgaben)<br />

erkennen müssen, dass eine hinreichende Qualität des Arbeitsplatzes,<br />

eine notwendig Voraussetzung ist, damit Mitarbeiter ihre<br />

Leistungspotenziale im Sinne des Unternehmenszwecks einsetzen<br />

wollen und können. Daher finden sich mittlerweile in der<br />

betrieblichen Praxis – zumindest in großen Unternehmen - zuneh-<br />

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mend Ansätze einer aktiven, vom salutogenetischen Paradigma<br />

geprägten, betrieblichen Gesundheitsförderung, die im Rahmen<br />

eines BGM geplant, durchgeführt und evaluiert wird.<br />

Beteiligung ist Gesundheitsförderung<br />

Nach der Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

(BGF) in der EUROPÄISCHEN UNION (1997) umfasst betriebliche<br />

Gesundheitsförderung alle gemeinsamen Maßnahmen<br />

von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung<br />

von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Dies<br />

kann durch eine Verknüpfung folgender Ansätze erreicht werden:<br />

• Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeits-<br />

bedingungen<br />

• Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung<br />

• Stärkung persönlicher Kompetenzen.<br />

Ziel der BGF ist somit die Herstellung und Aufrechterhaltung eines<br />

Gleichgewichts zwischen den an eine Person gestellten Anforderungen<br />

und ihren Leistungsvoraussetzungen. Das BGM hingegen<br />

umfasst die Planung, die Koordination und die Kontrolle von Maßnahmen<br />

der betrieblichen Gesundheitsförderung. Die Anforderungen<br />

an ein BGM lassen sich grundsätzlich in drei Problemfeldern<br />

strukturieren: die Planung und Steuerung, die Nachhaltigkeit und<br />

die Erfolgsbewertung. Die Planung und Steuerung bezieht sich<br />

auf die Frage der sinnvollen Maßnahmenkombinationen, die Erreichung<br />

der relevanten Zielgruppe. An dieser Stelle geht es um<br />

die Anfangsmotivation der Arbeitnehmer und die Auswahl der<br />

Kursinhalte und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung.<br />

Die Nachhaltigkeit des BGM zeigt sich daran, ob einmal begonnene<br />

Aktivitäten auch langfristig aufrechterhalten werden können.<br />

Ein häufiges Problem von Maßnahmen der BGF ist die kurzfristige<br />

Ausrichtung. Die langfristige Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen<br />

ist in vielen Fällen gering, da viele Vorsätze und Strategien<br />

darauf ausgerichtet sind, Leiden kurzfristig entgegen zu<br />

treten. Das Thema Nachhaltigkeit ist allerdings nicht nur auf der<br />

Seite des Arbeitnehmers interessant. Auch Betriebe stehen vor<br />

der Aufgabe, Gesundheitsförderung nicht kurzfristig zur Verbesserung<br />

des Images, sondern langfristig und dauerhaft zur Personalpflege<br />

einzusetzen<br />

Die Erfolgsbewertung von gesundheitsförderlichen Aktivitäten<br />

erfolgt nicht nur anhand standardisierter Verfahren der Arbeits-,<br />

Betriebs- und Organisationspsychologie im Rahmen des Qualitätsmanagements.<br />

Aussagekräftiger ist die Beobachtung der<br />

Kennzahlen in der Realität: wie groß ist der Einfluss der Maßnahmen<br />

des BGM auf die Krankheits- und Abwesenheitsrate der<br />

Mitarbeiter, wie wirken sich die Interventionen auf die Kosten<br />

für Lohnfortzahlungen und ähnliche Posten aus. Um diesen drei<br />

Punkten gerecht zu werden und ein BGM erfolgreich implementieren<br />

zu können, ist es hilfreich, sich klarzumachen, welche Vorteile<br />

sich durch ein erfolgreiches BGM für den Betrieb und die<br />

Beschäftigte ergeben, um alle Beteiligten von der Wichtigkeit der<br />

Einführung des BGM zu überzeugen. Kron (2011) nennt folgende<br />

Vorteile für Arbeitnehmer und Betriebe:<br />

• Sicherung der Leistungsfähigkeit aller Mitarbeiter<br />

• Erhaltung / Zunahme der eigenen Leistungsfähigkeit<br />

• Erhöhung der Motivation durch Stärkung der Identifikation mit<br />

dem Unternehmen<br />

• Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und Verbesserung des<br />

Betriebsklimas<br />

• Verbesserung des Gesundheitszustandes<br />

• Reduzierung der Arztbesuche und Senkung gesundheitlicher<br />

Risiken<br />

• Kostensenkung durch weniger Krankheits- und Produktions-<br />

ausfalle<br />

• Verbesserung der gesundheitlichen Bedingungen im<br />

Unternehmen<br />

• Steigerung der Produktivität und Qualität<br />

• Verringerung von Belastungen<br />

• Imageaufwertung des Unternehmens<br />

• Verbesserung der Lebensqualität<br />

• Mitverantwortung der Mitarbeiter<br />

• Mitgestaltung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsablaufs<br />

• Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

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Nachhaltige Konzepte fehlen noch<br />

Abschließend und im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung<br />

lässt sich sagen, dass der gesellschaftliche Wandel, verknüpft<br />

mit höheren Anforderungen an Mobilität, Flexibilität und Belastbarkeit<br />

bis ins hohe Alter verdeutlicht, dass die Gesundheit und<br />

Motivation der Beschäftigten Grundvoraussetzungen für den<br />

Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sind.<br />

Dementsprechend folgen immer mehr Unternehmen den Empfehlungen<br />

und bauen ein ganzheitliches Betriebsmanagement<br />

aufbauen. Dennoch ist festzuhalten, dass die heutige Praxis des<br />

betrieblichen Gesundheitsmanagements zumeist aus einzelnen<br />

ad-hoc-Maßnahmen besteht, deren Wirkung häufig versandet<br />

(Bödecker, 2005).<br />

Auch wenn BGM in vielen<br />

Großunternehmen<br />

schon institutionalisiert<br />

ist, haben bisher<br />

nur wenige mittlere<br />

und kleine Unternehmen<br />

ein wirksames<br />

und nachhaltiges BGM<br />

implementieren können.<br />

In jedem Fall stellt<br />

BGM eine spannende<br />

Herausforderung dar.<br />

Eine Herausforderung<br />

für die Forschung: objektive,<br />

valide und reliable<br />

Kriterien zu entwickeln,<br />

anhand derer<br />

der Erfolg des BGM<br />

sinnvoll und praxisnah<br />

erhoben werden kann.<br />

Eine Herausforderung<br />

für die Praxis: BGM<br />

erfolgreich und nachhaltig<br />

zu implementieren,<br />

damit sowohl<br />

die Unternehmen als<br />

auch die Arbeitskräfte<br />

vom Nutzen des BGM partizipieren können. Eine Herausforderung<br />

für die Lehre: Betriebswirte, Arbeitsmediziner, Trainer und Coaches<br />

ganzheitlich auszubilden, damit das BGM auf soliden Beinen<br />

steht und kompetent durchgeführt werden kann. ■<br />

Literatur:<br />

Badura, B.; Ritter, W.; Scherf, M.: Leitfaden für das betrieblich Gesundheitsmanagement.<br />

Hans-Böckler-Stiftung. Berlin: Edition Sigma 1999<br />

Badura, B.; Schellschmidt, H.; Vetter, C.: Fehlzeiten-Report 2005 – Zahlen. Daten,<br />

Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft. Berlin: Springer (2005)<br />

Bödecker, W.: Evidenzbasierung wird die Zukunft von Gesundheitsförderung<br />

bestimmen. In: BKK News Gesundheitsförderung Aktuell. 06 (2005). Essen: Eigenverlag<br />

2005. http://www.bkk.de/bkk/show.php3?id=492&nodeid=492<br />

Bullinger, H.-J.; Braun, M.: Prävention mit Zukunft. Sicherheitsingenieur. 37 (2006), 4,<br />

12-18<br />

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Deklaration zur betrieblichen Gesundheitsforderung in der Europaischen Union.<br />

Luxemburg (1997)<br />

(DGFP) Deutsche Gesellschaft für Personalführung: Unternehmenserfolg durch<br />

Gesundheitsmanagement. Grundlagen – Handlungshilfen – Praxisbeispiele. Bielefeld:<br />

Bertelsmann (2004)<br />

Frischenschlager, O.: Vom Krankheits- zum Gesundheitsbegriff. In: Hutterer-Kirsch,<br />

Pfersmann, V., Farag, I. S. (Hrsg.): Psychotherapie, Lebensqualität und Prophylaxe.<br />

Beiträge zur Gesundheitsvorsorge in Gesellschaftspolitik, Arbeitswelt und beim Individuum.<br />

Wien 1996, 3-16<br />

Kron, Olaf : Betriebliches Gesundheitsmanagement. Unveröffentlichte Seminarunterlagen,<br />

2011<br />

Pohl-Eckerstorfer, I.: Gene und Gesundheit am Arbeitsplatz. 2005. Zugänglich unter:<br />

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Rachbauer, S., Welpe, I.: Human Capital Management statt Human Resource Management.<br />

Notwendigkeit und Vorteile einer neuen Philosophie. In: Dürndorfer, M.,<br />

Friederichs, P. (Hrsg.): Human Capital Leadership – Strategien und Instrumente zur<br />

Weiterentwicklung der wichtigsten Ressource von Unternehmen, Hamburg 2004, S.<br />

139-161<br />

Thiehoff, R.: Wirtschaftlichkeit des betrieblichen Gesundheitsmanagements. In: Meifert,<br />

M.; Kesting, M. (Hrsg.): Gesundheitsmanagement im Unternehmen. Berlin:<br />

Springer 2004a, 57-77<br />

Wienemann, Elisabeth: Betriebliches Gesundheitsmanagement. In: „Gesunder<br />

Arbeiten in Niedersachsen“. 1. Kongress für betrieblichen Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz. Hannover 2002.<br />

17


18<br />

Pädagogik<br />

Unsere Kinder brauchen Natur –<br />

die Natur braucht unsere Kinder<br />

Wie Erlebnispädagogik und Ökologie die Zukunft nachhaltig verändern können<br />

Natur fördert gesunde Entwicklung<br />

Die Orientierung an der Natur und das Leben nach den Naturgesetzen<br />

sind für viele Naturvölker selbstverständlich – für unseren<br />

Alltag in vielen Bereichen eher unvorstellbar. Die Anforderungen,<br />

die unser Leben an uns stellt, machen es uns fast unmöglich,<br />

unseren Tagesablauf oder die Lebensplanung an den Vorgaben<br />

der Natur auszurichten. Diese Ausrichtung an der Natur scheint jedoch<br />

aus mindestens zwei Gründen für uns Menschen von großer<br />

Bedeutung zu sein: Zum einen hat man festgestellt, dass Menschen,<br />

denen der Bezug zur Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten<br />

fehlt, sich als weniger eingebunden in ein großes Ganzes empfinden.<br />

Insbesondere Kinder leiden unter dieser Entfremdung. Es<br />

gibt immer mehr Stimmen und Belege, die darauf hinweisen, dass<br />

die mangelnde Verbundenheit der Kinder mit der Natur in ursächlichem<br />

Zusammenhang mit psychischen Störungen im Kindesalter<br />

steht.<br />

Emotionale Kompetenzentwicklung<br />

Ein Kind, das sich als wenig in die Natur eingebunden erlebt,<br />

versteht große Zusammenhänge zwar kognitiv, kann sie aber nur<br />

unzureichend emotional erleben und begreifen. Nach neuen Untersuchungen<br />

scheinen diese Kinder anfälliger für Depressionen,<br />

Lern- und Verhaltensstörungen wie auch Abhängigkeitssyndrome<br />

zu sein. Richard Louv spricht vom Phänomen der “Ökophobie“ in<br />

den Fällen, in denen Kinder keine Möglichkeit haben, ein gesundes<br />

Verhältnis zur Natur zu entwickeln. Sie machen keine eigenen<br />

positiven sinnlichen Erfahrungen mit und in der Natur, sondern<br />

erfahren ausschließlich über die Medien von Phänomenen wie<br />

dem Waldsterben und dem Ozonloch.<br />

Der zweite Aspekt, der für eine Ausrichtung an der Natur spricht,<br />

ist der aktive und nachhaltige Umweltschutz und die damit verbundene<br />

Erhaltung unseres Planeten: eine der bedeutenden Aufgaben<br />

unserer Gesellschaft. Menschen, die sich nicht als verbunden<br />

mit der Natur erleben und sich mit ihr nicht in Beziehung<br />

setzen können, können Umweltschutz vom Verstand her organisieren<br />

und betreiben – leben können sie ihn nicht. Das Phänomen<br />

der Entfremdung von der Natur kann also sowohl von der<br />

ökologischen, als auch von der pädagogischen Seite betrachtet<br />

werden, da es sich sowohl im Bereich der Ökologie, als auch<br />

in der Pädagogik auszuwirken scheint. Es ist daher folgerichtig,<br />

beide Themen miteinander zu verbinden, um der Erscheinung wirkungsvoll<br />

zu begegnen.<br />

Umwelt erlernen<br />

Es treffen an dieser Stelle zwei Fachrichtungen aufeinander, die<br />

auf den ersten Blick nicht in direktem Zusammenhang miteinander<br />

stehen. Die Ökologie als ursprünglich naturwissenschaftliche<br />

Fachrichtung, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen<br />

Mensch und Umwelt befasst, wird gekoppelt mit einem Teilgebiet<br />

der Pädagogik, der ursprünglich der Reformpädagogik zuzuordnen<br />

ist. Das im letzten Jahrhundert von Kurt Hahn entwickelte pädagogische<br />

Konzept der Erlebnispädagogik richtet den Fokus auf<br />

das Handeln. Der Lernende erweitert sein Wissen durch die aktive<br />

Auseinandersetzung mit der Umwelt. Durch den realen Umgang<br />

mit dem Unerwarteten, mit dem Unbequemen, mit Überraschendem,<br />

mit dem Leben, erfährt der Mensch sich und seine Grenzen.<br />

So werden Zusammenhänge nicht nur verstanden, sondern im<br />

wahrsten Sinne des Wortes begriffen und erlebt.<br />

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Verknüpft man die Erlebnispädagogik mit dem Thema Ökologie,<br />

so entsteht das Gebiet der Natur-, Wald- und Erlebnispädagogik.<br />

Es rücken sowohl die Selbsterfahrung in der Natur als auch biologische<br />

Themen in den Mittelpunkt. Der Spaß einer Wildwasserfahrt<br />

in einem reißenden Fluss wird verbunden mit einer Biologiestunde,<br />

die Flora und Fauna des Flussbettes zum Inhalt hat.<br />

Ziel der Natur-, Wald- und Erlebnispädagogik ist es, Menschen<br />

den Kontakt zur Natur zu ermöglichen. Die Natur als Gegenüber,<br />

als Lehrmeister, Ratgeber, Trost und Schatz zu erleben. Dabei<br />

gehören nicht nur Kinder, die in ihrer direkten Umgebung keine<br />

Möglichkeit haben, Natur zu erleben, zur Zielgruppe. Die bestehenden<br />

Angebote richten sich an Jeden, der Lust darauf hat, sich<br />

auf die Natur einzulassen.<br />

In unterschiedlichen Schulen, Projekten und Freizeitangeboten<br />

soll die Neugier und die Begeisterung für die Natur (wieder) geweckt<br />

werden. Im Fokus stehen dabei, die Schulung der Wahrnehmung,<br />

die Förderung der Achtsamkeit gegenüber der Natur<br />

und die Steigerung der inneren Balance.<br />

Die Sehnsucht nach dem Ursprung<br />

Mit dieser Zielsetzung unterscheidet sich die Natur-, Wald und<br />

Erlebnispädagogik elementar von kommerziell orientierten Freizeitangeboten,<br />

die dem reinen Vergnügen der Teilnehmer dienen<br />

und häufig eine weitere Zerstörung der letzten Urlandschaften<br />

nach sich ziehen. Die Natur-, Wald- und Erlebnispädagogik hat –<br />

auch wenn das Thema nicht immer unmittelbar im Zentrum der<br />

Projekte steht - den aktiven Umweltschutz als zentrale Aufgabe.<br />

Unsere Gesellschaft ist geprägt von einem Überangebot an Informationen,<br />

Anforderungen und Möglichkeiten. Die Angebote<br />

der Natur-, Wald- und Erlebnispädagogik werden der wachsenden<br />

Sehnsucht nach Einfachheit, Klarheit und Sicherheit gerecht.<br />

Denn es ist die Natur, die uns diese Aspekte lehren und geben<br />

kann: eine Einfachheit, die es uns ermöglicht, Bedeutsames von<br />

Überflüssigem zu unterscheiden; eine Klarheit, die es uns ermöglicht,<br />

unser Leben anhand von eindeutigen Naturgesetzen zu<br />

strukturieren und eine Sicherheit, die es uns ermöglicht, unser<br />

Leben in das große Ganze einzuordnen und einen tieferen Sinn<br />

zu erkennen.<br />

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Natur-, Wald- und Erlebnispädagogen arbeiten sehr unterschiedlich.<br />

In so genannten Natur- und Wildnisschulen werden Erwachsene<br />

zu Wildnistrainern ausgebildet und Mitarbeiter von Firmen<br />

geschult und weitergebildet. Kinder können in Camps Erfahrungen<br />

und Erlebnisse in der Natur sammeln. Häufig treffen sehr<br />

unterschiedliche Menschen aufeinander und bestehen gemeinsame<br />

Abenteuer: sie sammeln Beeren, Pilze, Kräuter, machen und<br />

hüten Feuer, bauen Staudämme oder üben sich in Speerwurf, Bogenschießen<br />

oder in Meditation. Die Natur wird als Rahmen und<br />

Halt erlebt, sie gibt klare und unveränderliche Regeln vor und<br />

bietet im Gegenzug unendliche Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

Im Bereich Land-Art werden Seminare und Wochenenden angeboten,<br />

bei denen die Kunst in der Natur und aus Naturmaterialien<br />

im Vordergrund steht. Die Teilnehmer dieser Projekte lernen<br />

Materialien, die die Natur bereithält, kreativ zu nutzen und in<br />

spontane Kunstwerke umzusetzen. Es entstehen vorübergehende<br />

Kunstwerke, die eine Konfrontation mit der Vergänglichkeit<br />

herausfordern und die Demut im Umgang mit der Natur lehren.<br />

Den eigenen Rhythmus zu finden und den Einfluss der Gezeiten<br />

und der Gestirne zu erfahren, den Wald und seine Schätze<br />

als Apotheke zu nutzen und so das Thema Naturheilkunde zu<br />

erleben oder beim Klettern den Respekt vor dem Berg und vor<br />

eigenen Stärken und Grenzen zu erkennen: all diese Themen können<br />

in der Natur-, Wald- und Erlebnispädagogik aufgegriffen und<br />

lebendig und kreativ vermittelt werden.<br />

Wenn die Natur-Wald-Und Erlebnispädagogik ihr Ziel erreicht und<br />

Menschen und Natur einander näher bringt, vielleicht sind Umweltschutz<br />

und der Erhalt der Erde auf einmal erreichbare Ziele,<br />

die mit viel Achtsamkeit und Bewusstsein gelingen können. ■<br />

Literatur<br />

Dreyer E. und Dreyer W. (2009): Der Kosmos-Waldführer: Ökologie, Gefährdung,<br />

Schutz. Franckh-Kosmos Verlag<br />

Louv, R. (2010): Last Child in the Woods - Saving our Children from Nature-Deficite-<br />

Disorder. Atlantic Books<br />

Roeper, M.: Kinder raus. Zurück zur Natur: artgerechtes Leben für den kleinen Homo<br />

sapiens. Südwest Verlag<br />

19


20<br />

Pädagogik<br />

Cybermobbing: Prävention und akute Hilfe<br />

bei Mobbing im Internet<br />

Dr. Torsten Porsch & Dr. Stephanie Pieschl<br />

Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Psychologie<br />

Was ist Cybermobbing?<br />

Im diesem Artikel wird das Phänomen Cybermobbing definiert<br />

und dessen Folgen für Opfer beispielhaft beschrieben. Es wird<br />

darauf eingegangen, was alles präventiv getan werden kann um<br />

Mobbing im Internet zu vermeiden. Dabei werden aber auch Verhaltensregeln<br />

aufgezeigt für den Fall das Cybermobbing bereits<br />

stattfindet. Dieser Artikel beschäftigt sich mit Cybermobbing bei<br />

Kindern und Jugendlichen auch wenn Cybermobbing durchaus<br />

auch im Erwachsenenalter vorkommen kann.<br />

Mit dem Einzug moderner Informations- und Kommunikationstechnologien,<br />

insbesondere der weit verbreiteten Nutzung von<br />

Handy und Internet, findet Mobbing als absichtliches und wiederholtes<br />

diffamieren oder schikanieren von Schwächeren auch in<br />

der digitalen Welt statt. Der wissenschaftliche Diskurs zur begrifflichen<br />

Eingrenzung dieses Phänomens ist noch nicht vollständig<br />

abgeschlossen. Wir verstehen unter Cybermobbing alle Formen<br />

von Schikane, Verunglimpfung, Betrug, Verrat und Ausgrenzung<br />

mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien, bei<br />

denen sich das Opfer hilflos oder ausgeliefert und (emotional)<br />

belastet fühlt (Pieschl & Porsch, im Druck).<br />

In diesem Kontext sind unter Schikane alle Formen von direkter<br />

Beleidigung oder Bedrohung zu verstehen, beispielsweise per<br />

SMS oder E-Mail. Unter Verunglimpfung versteht man die Verbreitung<br />

von Gerüchten, die dem Ansehen eines Cyber-Opfers schaden<br />

können, beispielsweise über soziale Netzwerke. Mit Betrug wird<br />

bezeichnet, dass sich ein Cyber-Täter als sein Cyber-Opfer ausgibt<br />

und sich so verhält, dass es dem Cyber-Opfer schadet, beispiels-<br />

weise im Chat. Verrat heißt, dass ein Cyber-Täter Geheimnisse<br />

des Cyber-Opfers gegen dessen Willen verbreitet, darunter fallen<br />

auch die Verbreitung von (peinlichen) Fotos und Videos. Unter<br />

Ausgrenzung versteht man den systematischen Ausschluss des<br />

Cyber-Opfers aus Online-Gruppen oder –Aktivitäten, beispielsweise<br />

aus Online-Spielen. Cybermobbing kann also vielfältige<br />

Formen annehmen, die auch zusammen auftreten können. Aus<br />

Sicht des Opfers sind solche Vorfälle dann als Cybermobbing zu<br />

verstehen, wenn sie das Opfer belasten. Anhand dieser Auflistung<br />

wird deutlich, dass Cybermobbing nicht zwangsläufig vom Opfer<br />

bemerkt werden muss, sondern hinter dem Rücken der Betroffenen<br />

stattfinden kann.<br />

Auch wenn es viele Gemeinsamkeiten von konventionellen Mobbing<br />

(z.B. in der Schule) und Cybermobbing gibt und häufig die<br />

gleichen Personen involviert sind, ist Cybermobbing eine eigenständige<br />

Form von Mobbing. Dies hat wiederum erhebliche Folgen<br />

für Prävention und Intervention. Die Unterschiede ergeben<br />

sich größtenteils aus der Nutzung moderner Informations- und<br />

Kommunikationstechnologien bei Cybermobbing (Dooley, Pyzalski<br />

& Cross, 2009; Fawzi, 2009; Pieschl & Porsch, im Druck). Während<br />

konventionelles Mobbing überwiegend in der Schule oder<br />

auf dem Schulweg stattfindet, kann Cybermobbing überall dort<br />

allgegenwärtig sein, wo Kinder und Jugendliche Handys nutzen<br />

oder auf das Internet zugreifen. Fast alle Jugendlichen nutzen<br />

heutzutage Handy, Computer und im Durchschnitt über 2 Stunden<br />

täglich das Internet (Medienpädagogischer Forschungsverbund<br />

Südwest, 2011). Somit gibt es kaum mehr einen Schonraum vor<br />

Cybermobbing. Während konventionelles Mobbing jeweils nur von<br />

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einigen wenigen Personen beobachtet wird, kann Cybermobbing<br />

öffentlich an ein unüberschaubar großes Publikum verbreitet werden.<br />

Was einmal im Internet steht, kann nicht mehr kontrolliert<br />

werden – weder von Cyber-Opfern noch von Cyber-Tätern. Auch<br />

für den Cyber-Täter ergeben sich Besonderheiten des Cybermobbings.<br />

Im Cyberspace kann ein Cyber-Täter häufig anonym bleiben<br />

und bekommt die Reaktionen des Cyber-Opfers – beispielsweise<br />

Mimik, Gestik oder Körpersprache – kaum mit. Somit kann seine<br />

Hemmschwelle und seine Fähigkeit zur empathischen Einfühlung<br />

gesenkt sein. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass<br />

Kinder und Jugendliche einerseits und Erwachsene andererseits<br />

unterschiedliche Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

nutzen. Dadurch gibt es im Internet fast keine Kontroll- und<br />

Aufsichtsmechanismen gegen Cybermobbing. Im Gegensatz dazu<br />

können Lehrer auf dem Schulhof teilweise bei konventionellem<br />

Mobbing eingreifen.<br />

Dass Cybermobbing unter Kinder und Jugendlichen weit verbreitet<br />

ist und mitunter erhebliche Folgen haben kann, zeigen nationale<br />

und internationale Studien. In einer repräsentativen Umfrage<br />

durch Forsa (Techniker Krankenkasse, 2011) haben wir 1000 Schüler<br />

aus Nordrhein-Westfalen im Alter von 14 bis 20 Jahren telefonisch<br />

zum Thema Cybermobbing befragen lassen. Einerseits<br />

zeigte sich, dass die befragten Schüler/innen häufig selbst von<br />

Cybermobbing betroffen sind. 36% waren bereits selbst mindestens<br />

einmal Cyber-Opfer, besonders häufig von Schikane (22%)<br />

und Verunglimpfung (15%). Dem gegenüber gaben 8% der Befragten<br />

zu, schon einmal Cyber-Täter gewesen zu sein und 21%<br />

könnten sich vorstellen, Cyber-Täter zu werden. Dies deckt sich<br />

mit anderen deutschen und internationalen Studien, aufgrund derer<br />

man schließen kann, dass zwischen 20-30% der Schüler/innen<br />

von Cybermobbing betroffen sind (Tokunaga, 2010). Die Folgen<br />

von Cybermobbing und dabei insbesondere die Belastungen der<br />

Opfer hängen im Wesentlichen von der Schwere der Vorfälle, aber<br />

auch deren Dauer ab (Pieschl & Porsch, im Druck).<br />

Für solche schweren Folgen gibt es auch empirische Belege.<br />

Gut 20 Prozent der Opfer von Cybermobbing fühlt sich ernsthaft<br />

durch Cybermobbing belastet (Finkelhor, Mitchell, & Wolak,<br />

2000). Beispielsweise berichteten in der Forsa Umfrage (Techniker<br />

Krankenkasse, 2011) einige Opfer von ernstzunehmenden<br />

psychosomatischen Folgen: Sie konnten schlecht schlafen (17%)<br />

und litten unter Kopf- (10%) und Bauchschmerzen (8%). Viele<br />

sind auch emotional betroffen. Von den Cyber-Opfern waren 70<br />

% wütend, 38 % verletzt, 24 % verzweifelt, 22 % hilflos und<br />

18 % hatten Angst. Vergleicht man Opfer von Cybermobbing mit<br />

anderen Schüler/innen die nicht Opfer geworden sind, so zeigen<br />

sich außerdem eine Reihe von negativen psychischen Folgen: Opfer<br />

von Cybermobbing besitzen weniger Selbstbewusstsein (Tokunaga,<br />

2010), zeigen mehr depressive Symptome, mehr soziale<br />

Ängste, mehr suizidale Gedanken, weisen generell mehr affektive<br />

Störungen auf und sie konsumieren häufiger Drogen (Gradinger/<br />

Strohmeier/Spiel 2009; Hinduja & Patchin, 2010; Klomek/Sourander/Gould<br />

2010; Tokunaga, 2010; Ybarra, 2004; Ybarra & Mitchell,<br />

2004). Cybermobbing hat in der Regel auch Folgen für die Täter,<br />

die Gefahr laufen durch das Betreiben von Cybermobbing selbst<br />

eher Opfer zu werden (Schultze-Krumbholz & Scheithauer, 2009)<br />

und mitunter juristisch belangt zu werden.<br />

Was kann gegen Cybermobbing getan werden?<br />

Es wirksamer Schutz gegen Gefahren im Internet muss beginnen,<br />

bevor Kinder und Jugendliche diesen Gefahren begegnen. Dies<br />

gilt ganz besonders für das Cybermobbing, das erhebliche Folgen<br />

haben kann (Fawzi, 2009). Dabei sind insbesondere Eltern aber<br />

auch das schulische Umfeld gefragt und alle weiteren Berufsgruppen,<br />

die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben (Sozialarbeiter,<br />

Betreuer in Vereinen, etc.).<br />

Die Ausbildung einer kritischen Medienkompetenz scheint ein wesentlicher<br />

Schlüssel zur Vermeidung von Cybermobbing und zur<br />

Eingrenzung dessen Folgen zu sein. Medienkompetenz kann nur<br />

dadurch erworben werden, dass Kinder und Jugendliche frühzeitig<br />

mit Handy und Internet umgehen lernen. Dabei kommt es vor<br />

allem darauf an, wie diese Medien genutzt werden! Es gilt nicht<br />

nur Handy – Apps und Chats technisch bedienen zu können, son-<br />

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dern kritisch die eigene Nutzung der Medien zu reflektieren. Dazu<br />

gehören beispielsweise die umsichtige Preisgabe von persönlichen<br />

Informationen, das Geheimhalten von Passwörtern, sowie<br />

der angemessene und altersgerechte Umgang mit Kommunikationspartnern<br />

im Internet. Eine stützende Begleitung des kritischen<br />

Umgangs mit Medien können auch Eltern oder Lehrer leisten, die<br />

selbst weniger technisches Wissen zur Bedienung und den Inhalten<br />

der Medien haben. Gerade wenn Kinder und Jugendliche in<br />

diesem Bereich als „Experten“ verstanden werden, akzeptieren<br />

sie von Erwachsenen einen kritischen Umgang aufgezeigt zu bekommen.<br />

Dazu gehört auch die Information über die Gefahren des<br />

Cybermobbings und mögliche Verhaltensweisen, wenn Mobbing<br />

im Internet bei anderen beobachtet oder selbst erlebt wird. Es<br />

ist für die Kinder und Jugendlichen notwendig, dass ihnen schon<br />

früh in der Mediensozialisation Strategien an die Hand gegeben<br />

werden, um Cybermobbing im Netz angemessen zu begegnen.<br />

Eine systematische und bereits evaluierte Präventionsmaßnahme,<br />

die einen Schwerpunkt auf die Vermittlung solch kritischer<br />

Medienkompetenz legt, ist das Trainingsprogramm „Surf-Fair“<br />

(Pieschl & Porsch, im Druck). Unterschiedliche Übungen betonen<br />

verschiedene Herausforderungen und Probleme, die in einem Impulsfilm<br />

angesprochen, aber nicht aufgelöst werden. Somit ermöglichen<br />

die Übungen eine Betrachtung von Cybermobbing aus<br />

Perspektiven mehrerer involvierter Personen. Beispielsweise gibt<br />

es Übungen, die auf das Verhalten der Opfer, Täter und Zuschauer<br />

von Cyber-Mobbing fokussieren. Dabei stehen in einem konstruktivistischen<br />

Grundkonzept die Ideen der Kinder und Jugendlichen<br />

selbst im Vordergrund. Es gibt in den meisten Fällen keine universell<br />

„richtige“ Lösung für Cybermobbing. Für unterschiedliche<br />

Situationen können unterschiedliche Lösungen angemessen sein.<br />

Darüber hinaus ermöglicht die sich schnell veränderte Medienlandschaft<br />

immer neue vor allem technische Lösungen. Die Kinder<br />

und Jugendlichen finden im Training mögliche Lösungen und üben<br />

dabei vor allem Medienkritik, also die Mediennutzung kritisch<br />

und ethisch reflektieren.<br />

21


22<br />

Diese offene Herangehensweise ermöglicht ein angstfreies Lernen<br />

und bietet ausreichend Flexibilität um Gelerntes auf sich<br />

ständig ändernde Bedingungen im Internet anzupassen. Eine restriktive<br />

Medienerziehung und ein (vermeintlicher) Schutz von Kindern<br />

und Jugendliche durch unspezifische Nutzungsverbote und<br />

-einschränkungen sind dagegen kontraproduktive Vorgehensweisen,<br />

die dazu führen, dass viele Cyber-Opfer von Cybermobbing<br />

aus Angst vor einem Internet bzw. Handyverbot ihre negativen<br />

Erfahrungen vor Erwachsenen verheimlichen (Staude‐Müller, Bliesener<br />

& Nowak, 2009). Dies wiederum kann Cyber-Opfer weiter<br />

isolieren und die Folgen von Cybermobbing verstärken, sowie das<br />

Wahrnehmen von Cybermobbing, und somit auch die Unterstützung<br />

der Opfer unmöglich machen.<br />

Probleme ernst nehmen:<br />

Wenn es trotz Prävention doch einmal zu Cybermobbing kommt,<br />

brauchen die Cyber-Opfer Unterstützung durch Personen in ihrem<br />

Umfeld, denen sie vertrauen. Kinder und Jugendliche müssen mit<br />

ihren Problemen ernst genommen werden und mit Erwachsenen<br />

über diese reden können, ohne dass sie selbst dabei Konsequenzen<br />

zu fürchten haben. Nur in dieser Atmosphäre des Vertrauens<br />

wird Hilfe wiederholt in Anspruch genommen und auch wirksam<br />

sein. In akuten Fällen von Cybermobbing gibt keine einfache oder<br />

ideale Lösung! Daher sollten die nachfolgend vorgeschlagenen<br />

Maßnahmen der jeweiligen Situation angepasst und deren Wirkungen<br />

auf die Schulklasse und auf die Situation des Cyber-Opfers<br />

einbezogen werden. Das Vorgehen sollte nicht nur mit den<br />

Betroffenen selbst, sondern auch – je nach Bedarf – mit Eltern,<br />

Lehrern, Schulleitung und gegebenenfalls professionellen Hilfsangeboten<br />

wie Schulpsychologischen Beratungsstellen abgestimmt<br />

werden. Bei leichteren Fällen von Cybermobbing sollte man unbedingt<br />

selbst aktiv werden. Wenn das Cybermobbing jedoch nicht<br />

aufhört, sollten auch Anwälte und Strafverfolgungsbehörden einbezogen<br />

werden. Es kann sich zum Beispiel um ernst zu nehmende<br />

Gewaltandrohungen, Nötigungen oder gar Erpressungen<br />

handeln, wie auch um Situationen, bei denen die Beseitigung<br />

von Spuren des Cybermobbings (z. B. Fotos) Probleme bereitet.<br />

Ein gutes Vorgehen ist folgende Vier-Stufen-Strategie (Porsch,<br />

Pieschl & Hohage 2011):<br />

Beruhigen – Sichern – Melden - Hilfe holen<br />

Als erstes gilt es sich und die Cybermobbing Situation zu beruhigen.<br />

In der Situation innehalten und nachdenken. Jedoch nie<br />

auf Schikane oder andere Attacken im Netz mit ähnlichem Verhalten<br />

antworten, da aggressives Verhalten in der Regel die Situation<br />

verschlimmert. Cybermobbing sollte immer dokumentiert<br />

werden. E-Mails oder SMS<br />

sollten nicht gelöscht,<br />

Screenshots von Beiträgen<br />

/ Bildern auf den Internetseiten<br />

angefertigt werden.<br />

Die gesicherten Informationen<br />

können eventuell<br />

genutzt werden um mit Tätern<br />

und ggf. deren Eltern<br />

sachbezogen zu sprechen<br />

oder auch als konkrete Beweise<br />

herangezogen werden.<br />

Dem Betreiber des<br />

Internetangebotes sollten<br />

Cybermobbing Inhalte, sowie<br />

gegebenenfalls der/die<br />

Täter (Profil, Nickname),<br />

zur Löschung gemeldet<br />

werden. Cyber-Opfer sollten<br />

darüber hinaus Freunden,<br />

Eltern oder anderen<br />

Vertrauenspersonen über<br />

ihre Erfahrungen berichten<br />

und sich bei ihnen Hilfe<br />

holen. Einerseits können<br />

Gleichaltrige emotionale<br />

Unterstützungen leisten<br />

und haben vielleicht Tipps<br />

für technische Lösungen wie beispielsweise Cybermobbing beim<br />

Anbieter gemeldet werden kann. Andererseits sollten in jedem<br />

Fall Erwachsene hinzugezogen werden, da diese besser beurteilen<br />

können, in welchen Situationen weitere professionelle Hilfe nötig<br />

ist. Professionelle Hilfe gibt es an ganz unterschiedlichen Stellen,<br />

beispielsweise bei Schulpsychologischen Beratungsstellen, Erziehungsberatungsstellen,<br />

Jugendämtern und Polizeidienststellen<br />

mit kompetenten Ansprechpartnern. Falls Betroffene im Elternhaus<br />

und in der Schule keine Ansprechpartner finden, können sie<br />

sich auch anonym und kostenfrei von Handy und Festnetz an eine<br />

bundesweite „Nummer gegen Kummer“ (0800 111 0333) wenden<br />

oder sich von Gleichaltrigen im Internet beraten lassen (www.<br />

juuuport.de). ■<br />

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Pieschl, S./Porsch, T. (im Druck): Schluss mit Cybermobbing! Das Trainings- und Präventionsprogramm<br />

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Tokunaga, R. S. (2010): Following you home from school: A critical review and synthesis<br />

of research on cyberbullying victimization. In: Computers in Human Behavior 26,<br />

S. 277–287.<br />

Ybarra, M. L. (2004): Linkages between depressive symptomatology and internet<br />

harassment among young regular internet users. Cyberpsychology & Behavior 7, H. 2,<br />

S. 247– 257.<br />

Ybarra, M./Mitchell, K. (2004): Online aggressor/ targets, aggressors, and target: A<br />

comparison of associated youth characteristics. In: The Journal of Child Psychology<br />

and Psychiatry 45, H. 7, S. 1308–1316.<br />

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Pädagogik<br />

EU, Föderalismus und Pädagogik<br />

Bildungsentwicklung in Deutschland und Europa<br />

Das Deutsche Bildungssystem im Vergleich<br />

Am 13. September 2011 hat die OECD Ihren jährlichen Bericht „Bildung<br />

auf einen Blick“ vorgestellt und veröffentlicht. In dieser Studie<br />

wurde erneut bestätigt, dass das Bildungssystem in Deutschland<br />

im internationalen Vergleich nach wie vor hinterher hinkt.<br />

Besonders schlecht ist es um die schulische Bildung bestellt. Hier<br />

sind die Investitionen des Staates, gemessen am Bruttoinlandsprodukt<br />

sogar gesunken. So kommt Deutschland im internationalen<br />

Vergleich der 36 OECD Staaten nur auf Platz 30. Während im<br />

OECD Mittel je Schüler 7200 US $ im Jahr bereitgestellt werden,<br />

investiert Deutschland umgerechnet nur 5900 US $ je Schüler.<br />

Somit bewegen wir uns in diesem Bereich mit der Tschechischen<br />

Republik sowie der Slowakei auf den letzten Plätzen. Bereits Im<br />

Dezember 2001 haben wir mit der ersten PISA Studie erfahren,<br />

dass wir uns nicht ausruhen können, sondern im internationalen<br />

Vergleich nur Mittelmaß sind. Doch warum ist das zehn Jahre<br />

später immer noch so? Warum sinken die Investitionen, obwohl<br />

Deutschland weiß, wie es um das deutsche Bildungssystem steht?<br />

Die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen sind in<br />

Deutschland nach wie vor stark vom sozialen Status der Eltern<br />

abhängig. In keinem anderen Vergleichsland ist das in diesem<br />

Maße der Fall. Das Bildungssystem scheint nicht in der Lage,<br />

soziale Ungleichheit zu kompensieren. „Obwohl überwiegend in<br />

Deutschland geboren und aufgewachsen, sind Kinder und Jugendliche<br />

mit Migrationshintergrund im Schnitt im Bildungssystem<br />

wesentlich weniger konkurrenzfähig als Kinder ohne Migrationshintergrund.<br />

Die starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der<br />

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Sandra Tigges<br />

sozialen Herkunft trifft diese Kinder in besonderem Maße.“<br />

Doch das sind nur zwei der erschreckenden Nachrichten. Laut<br />

OECD Bericht ist der Anteil an Hochqualifizierten kaum gewachsen.<br />

Vor 50 Jahren erwarb in Deutschland knapp jeder fünfte<br />

junge Erwachsene einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss beziehungsweise<br />

einen Meisterbrief. Heute ist es nur noch jeder<br />

vierte. Vor einem halben Jahrhundert lag Deutschland damit im<br />

Mittelfeld. Heute belegen wir damit einen der untersten Plätze.<br />

Dieses ist mit dem Demographischen Wandel sowie einhergehend<br />

mit dem Fachkräftemangel ein großes Problem. Das Bundeskabinett<br />

hat bereits reagiert und seit dem 07.12.2011 den Entwurf<br />

eines Gesetzes „zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie<br />

der Europäischen Union“ beschlossen. Doch wieso schafft es<br />

Deutschland nicht das Bildungssystem so in den Griff zu bekommen,<br />

dass wir mehr Hochqualifizierte aus- und weiterbilden?<br />

Weiterhin hat die OECD in ihrer Studie rausgefunden, dass zwischen<br />

einer positiven Einstellung zur Gesellschaft und Ausbildung<br />

sowie zur allgemeinen Zufriedenheit ein Zusammenhang<br />

besteht. Nur die Hälfte aller Menschen ohne Sekundarausbildung<br />

in Deutschland gab an zufrieden zu sein. Mit Sekundarabschluss<br />

sind es bereits 61 %. Unter den Hochqualifizierten steigt der Anteil<br />

bereits auf 77 %. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen<br />

dem Bildungssystem in Deutschland und der Zufriedenheit<br />

der Bevölkerung. Auch wenn der Trend in allen OECD-Ländern dahin<br />

geht, dass höher gebildete Menschen mit ihrem Leben glücklicher<br />

und zufriedener sind, so ist die Gesellschaft in Deutschland<br />

besonders stark gespalten.<br />

23


24<br />

Bildung prägt gesellschaftliches Verhalten<br />

Anteil 25- bis 64-Jähriger (in %), nach Abschluß<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Dänemark<br />

Deutschland<br />

OECD<br />

Österreich<br />

Schweiz<br />

Tschechien<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Dänemark<br />

Deutschland<br />

Hinzu kommt in diesem Zusammenhang der Punkt Arbeitslosigkeit.<br />

In der Personengruppe mit tertiärem Abschluss ist die Arbeitslosigkeit<br />

in Deutschland so niedrig wie in keiner anderen<br />

Bevölkerungsgruppe. Somit sind 86 % der Absolventen tertiärer<br />

Bildungsgänge beschäftigt und nur 3,4 % erwerbslos. In der Bevölkerungsgruppe<br />

ohne Abschluss im Sekundarbereich II sind 55<br />

% beschäftigt und 16,7 % erwerbslos. Das zeigt deutlich, dass<br />

die Zukunftsaussichten im Bereich der tertiär ausgebildeten wesentlich<br />

höher sind als in anderen Bevölkerungsgruppen. Ähnlich<br />

massive Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen gibt<br />

es unter den OECD-Ländern nur noch in der Tschechischen Republik,<br />

in der Slowakei und in Slowenien.<br />

Doch wie können wir dieser Entwicklung entgegen wirken? Wie<br />

schaffen wir es die Kluft zwischen den Bevölkerungsgruppen zu<br />

minimieren? Wie können wir die Deutsche Gesellschaft in diesem<br />

Zusammenhang glücklicher und zufriedener machen? Wie können<br />

wir erreichen, dass jedem deutschem Mitbürger die beste Bildung<br />

zur Verfügung steht?<br />

Um in diesen Bereichen wirklich voran zukommen muss laut<br />

Andreas Schleicher, Special Advisor on Education Policy to the<br />

OECD's Secretary-General and Head of the Indicators and Analysis<br />

Division (Directorate for Education), in den Schulen ein Arbeitsumfeld<br />

geschaffen werden, dass die „besten Köpfe motiviert in<br />

den Lehrerberuf reinzugehen.“ Lehrer müssen mehr unterstützt<br />

werden, indem sie lernen mehr zu individualisieren und „mit der<br />

Verschiedenheit der Schüler konstruktiver umzugehen.“ Hierzu<br />

zählt für Andreas Schleicher eine Arbeitsorganisation, die mehr<br />

Raum für Kreativität der Lehrer und Schüler schafft. Freiräume<br />

um ein anderes Umfeld zu schaffen, indem gelernt werden kann.<br />

Bildungsziele müssen klar definiert und formuliert sein.<br />

Ein weiteres Thema, Chancengleichheit ist ebenso wichtig für<br />

Schleicher: „Selbst wenn sich dort in Deutschland viel verbessert<br />

hat in den letzten zehn Jahren, gerade bei den Leistungen der<br />

Schüler mit Migrationshintergrund, bleibt da sehr viel zu tun und<br />

ich glaube auch da wird Deutschland langfristig um eine Umorganisation<br />

des Schulwesens nicht herumkommen.“ Darüber hinaus<br />

sind gemeinsame deutsche Bildungsstandards seines Erachtens<br />

ein sehr wichtiges Thema, das jetzt mit Leben gefüllt werden<br />

muss.<br />

OECD<br />

Österreich<br />

Schweiz<br />

Tschechien<br />

Dänemark<br />

Deutschland<br />

OECD<br />

Österreich<br />

Wahlbeteiligung Zufriedenheit Ehrenamtliche Tätigkeit<br />

Schweiz<br />

Tschechien<br />

Wie viel Zentralisierung braucht das Deutsche<br />

Bildungssystem?<br />

Sechzehn Bundesländer, sechzehn verschiedene Bildungssysteme,<br />

tausende verschiedene Lehrpläne - das ist die Realität des<br />

deutschen Bildungssystems heute. Hinzu kommen unzählige unterschiedliche<br />

Schulformen und Hochschulgesetze. In dem einen<br />

Land werden Studiengebühren erhoben, im anderen nicht. Jedes<br />

Bundesland legt seine Schulformen und Lehrerausbildungen selber<br />

fest. Wie soll man da noch durchsteigen, wenn ein Lehrer aus<br />

Hamburg nicht in München unterrichten darf, weil sein Studium<br />

anderen Studieninhalten unterlag? Wenn für einen Schüler der<br />

Umzug von Berlin nach Baden-Württemberg zur Bildungs- Katastrophe<br />

wird? Willkommen, im deutschen Bildungs- Föderalismus.<br />

Dr. Ludwig Spaenle, Bayrischer Staatsminister für Unterricht und<br />

Kultur fordert, dass Mobilität und Bildung nicht miteinander kollidieren<br />

darf. Familien dürfen nicht darunter leiden, wenn sie umziehen.<br />

„Kinder müssen ihren Weg erfolgreich fortsetzen können.<br />

Deshalb brauchen wir die Vergleichbarkeit von Abschlussprüfungen,<br />

insbesondere beim Abitur.“<br />

Es darf nicht sein, dass ein Abitur in München mehr Wert ist als<br />

ein Abitur in Hamburg oder Bremen. An Hochschulen gilt in vielen<br />

Fächern noch der Numerus Clausus über den die begehrten Studienplätze<br />

vergeben werden. „Wir wissen (…), es besteht bis zu<br />

zwei Schuljahren Unterschied an Wissen für die gleiche Schulnote<br />

in verschiedenen Bundesländern.“ So Prof. Dr. Ludger Wößmann,<br />

Bereichsleiter Humankapital und Innovation am ifo Institut für<br />

Wirtschaftsforschung. „Hochschulen sind gezwungen Abiturnoten<br />

aus verschiedenen Bundesländern als vergleichbar anzusehen.“<br />

Herr Wößmann ist einer der Befürworter eines deutschen<br />

Kernabiturs. Der vbw Präsident Prof. Randolf Rodenstock geht<br />

noch einen Schritt weiter und fordert über ein vergleichbares Abitur<br />

zwischen den Bundesländern hinaus, „deutsches Abitur als<br />

Marke“, das deutlich über dem Niveau liegt. Kernabitur, Abitur als<br />

Marke, reicht das aus? Wir müssen erst innerhalb Deutschlands<br />

eine Einheit bilden, jedem Bundesbürger gute Bildung ermöglichen,<br />

Chancengleichheit gewähren. Alle Bundesländer müssen<br />

sich an einen Tisch setzen und eine gemeinsame Bildungspolitik<br />

und Bildungsstandards erarbeiten. Bayern und Niedersachsen<br />

sind diesbezüglich bereits im Gespräch. Im Anschluss daran, können<br />

wir auf Europäischer Ebene mit ins Boot steigen und aus dem<br />

Vergleichskeller der OECD Studie emporsteigen.<br />

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50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Ausbildung unterhalb<br />

Quelle: OECD.org


Europäische Bildungsabkommen<br />

In der Kopenhagener Erklärung, die im November 2002 durch die<br />

Bildungsministerinnen und Bildungsminister von 31 europäischen<br />

Ländern sowie durch Sozialpartner und die Europäische Kommission<br />

gebilligt wurde, geht es um die europäische Zusammenarbeit<br />

bei der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Hier wurden folgende<br />

Themenfelder definiert:<br />

• Stärkung der europäischen Dimension der beruflichen Bildung,<br />

• Verbesserung der Transparenz in Bezug auf nationale Systeme<br />

einerseits und berufsqualifizierende Abschlüsse andererseits,<br />

• Erarbeitung gemeinsamer Instrumente zur Qualitätssicherung<br />

in der Berufsbildung,<br />

• Entwicklung von Grundsätzen zur Validierung von informell<br />

und non-formal erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen<br />

sowie<br />

• eine verstärkte internationale Zusammenarbeit in einzelnen<br />

Wirtschaftssektoren.<br />

Haben die Bildungsminister, die diese Erklärung unterzeichnet<br />

haben vorher mit allen Bildungssenatoren gesprochen um sich ein<br />

Bild von der deutschen Bildungslandschaft zu machen. Haben Sie<br />

vorher analysiert, wie sie diese Ziele in einem Land erreichen können,<br />

indem jedes Bundesland eine eigene Politik verfolgt? Wie<br />

sollen diese Zeile erreicht werden?Es wird sich innerhalb der Europäischen<br />

Union regelmäßig getroffen, um auf europäischer Ebene<br />

an einem gemeinsamen Wirtschaftswachstum zu arbeiten. In der<br />

sogenannten Lissabon Strategie, die im März 2000 verabschiedet<br />

wurde geht es darum die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten<br />

und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum<br />

der Welt zu entwickeln. Dafür spielt Bildung natürlich eine essentielle<br />

Rolle, denn ohne Bildung gibt es auch keine Hochqualifizierten.<br />

Dieses Ziel sollte bis 2010 erreicht sein.<br />

Die sogenannte Lissabon-Strategie, die bis 2010 angelegt war, hat<br />

einen Nachfolger gefunden: Die „Strategie Europa 2020“. Diese<br />

steht für „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“.<br />

Im Bereich Bildung geht es darum, dass der Anteil der 18- bis 24<br />

Jährigen ohne Abschluss im Sekundarbereich II, die sich nicht<br />

in weiteren Aus- und Weiterbildungen befindet unter 10 % gesenkt<br />

werden soll. Um mindestens 40 % erhöht werden, soll der<br />

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Anteil der 30- bis 34- Jährigen mit tertiärem oder vergleichbaren<br />

Abschluss. Darüber hinaus wurde als Ziel in dieser Strategie<br />

festgelegt, dass der Anteil der Schulabbrecher auf unter 10 %<br />

abgesenkt werden soll. Mindestens 40 % der jüngeren Generation<br />

sollen einen Hochschulabschluss haben. 75 % der Bevölkerung<br />

im Alter von 20 bis 64 Jahren sollen in Arbeit stehen. Dieses soll<br />

z.B. durch vermehrte Einbeziehung der Frauen und älteren Arbeitnehmer<br />

sowie die bessere Eingliederung von Migranten geschehen.<br />

Doch beißt sich die Katze hier nicht in den Schwanz? Denn<br />

ohne eine einheitliche Bildungspolitik mit Reformen, die das<br />

Schulsystem deutschlandweit angleicht, die Lehrerausbildungen<br />

verbessert und Chancengleichheit herstellt, egal aus welcher sozialen<br />

Schicht oder Herkunftsland man kommt, können diese europäischen<br />

Ziele in Deutschland vorerst nicht erreicht werden. ■<br />

Literaturverzeichnis:<br />

Aktionsrat Bildung 2011: TV-Beitrag zur Bildungsentwicklung auf Schulebene: Einführung<br />

Kernabitur, Sicherung nationaler Standard http://www.vbw-bayern.de/agv/vbw-<br />

Bildung-Bildung_ganzheitlich_gestalten-Publikationen-Jahresgutachten_des_Aktionsrats_Bildung_Bildungsreform_200020102020--14852,ArticleID__18104.htm<br />

Zugriff am 16.12.2011<br />

Bundesregierung 2011. http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2011/12/2011-<br />

12-07-blaue-karte-kommt.html Zugriff am 22.12.2011<br />

EU Bildungspolitik. http://www.eu-bildungspolitik.de/berufliche_bildung_24.html Zugriff<br />

am 22.12.2012<br />

Europa 2020. http://www.eu-bildungspolitik.de/strategie_europa_2020_215.html Zugriff<br />

am 22.12.2012<br />

Lissabon Strategie http://www.eu2007.de/de/Policy_Areas/European_Council/Lissabon.<br />

html<br />

Zugriff am 22.12.2012<br />

OECD, Bildung auf einen Blick 2011: OECD-Indikatoren<br />

o.V. 6. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. http://<br />

www.bundesregierung.de/Content/DE/Publikation/IB/Anlagen/ausl_C3_A4nderbericht-<br />

6-teil-II,property=publicationFile.pdf Zugriff am 22.12.2012<br />

Schleicher, Andreas (Special Advisor on Education Policy to the OECD's Secretary-General<br />

and Head of the Indicators and Analysis Division, zuständig für die internationale<br />

Bildungsstudie beim OECD): NDR Info Podcast, Interview vom 12.11.2011. http://www.<br />

ndr.de/info/podcast2984.html Zugriff am 22.12.2011<br />

Stanat, Artelt, Baumert, Klieme, Neubrand, Prenzel, Schiefele, Schneider, Schümer,<br />

Tillmann, Weiß: PISA 2000: Die Studie im Überblick, Grundlagen, Methoden und Ergebnisse.<br />

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Berlin 2002. http://www.mpib-berlin.<br />

mpg.de/Pisa/PISA_im_Ueberblick.pdf Zugriff am 22.12.2011<br />

Weishaupt, Prof. Dr. Horst (DIPF Bildungsforschung und Bildungsinformation): NDR<br />

Interview vom 13.11.2011.<br />

http://www.dipf.de/de/audiodateien/aktuelles/ndr-interview-weishaupt-oecd-bericht-13.9.2011/view<br />

Zugriff am 16.12.2011<br />

25


26<br />

Rezensionen<br />

András Wienands<br />

Einführung in die körperorientierte<br />

systemische Therapie<br />

Pascale Schmidt<br />

Welcher Praktiker<br />

kennt es nicht: Das<br />

Gefühl, es muss<br />

doch mehr als Sprache<br />

geben... Wie<br />

gut, dass wir auch<br />

über einen Körper<br />

verfügen. Und wie<br />

schön, dass es jetzt<br />

eine Einführung für<br />

körperorientiertes<br />

Arbeiten im systemischen<br />

Feld gibt!<br />

Der Berliner Diplom-<br />

Psychologe András<br />

Wienands legt nach<br />

seinem Erstling<br />

„Choreographien der<br />

Seele“ ein einführendes<br />

Kompendium<br />

zur Integration des<br />

Körpers ins systemische<br />

Arbeiten vor. Erfahrungen sind Grundlagen des Lernens<br />

– diese durch moderne Neurobiologie bestätigte - Hypothese<br />

greift Wienands auf und nutzt sie zur systemischen Arbeit mit<br />

dem Körper. Physiologische Prozesse wie Atmung, Bewegung<br />

und Energie können nach Wienands in Verbindung mit Emotionen<br />

zu einem neuen Weg der systemischen Praxis führen.<br />

Wie, das zeigt dieser stringente, theoretisch gut verständliche<br />

Einführungsband auf praktisch bereichernde Weise.<br />

In den ersten beiden Abschnitten des Bandes erfolgt eine kurze<br />

und mit vielen Beispielen illustrierte Einführung in die zentralen<br />

systemischen und körpertherapeutischen Methoden. Fundiert<br />

und eingängig werden die unterschiedlichen Ansätze und<br />

Interventionen in einem kompakten Überblick beschrieben. In<br />

der Folge werden die vorgestellten Interventionen anhand eines<br />

längeren Fallbeispiels ausführlicher dargestellt.<br />

Eindrucksvoll ist die Verknüpfung der systemischen Grundhaltung<br />

mit den energetischen Prinzipien der Körpertherapie.<br />

Energie in Form von Bewegung, Stimme und Ausdruck zu nutzen,<br />

um das therapeutische Geschehen auch in seinen emotionalen<br />

Qualitäten lebendiger zu gestalten, kann so als große<br />

Bereicherung genutzt werden. Mit dem Körper lassen sich auf<br />

einer motorischen Ebene Möglichkeiten nutzen, die auf der psychischen<br />

oder/und seelischen nicht bzw. noch nicht zugänglich<br />

sind. Der Körper wird zum Wegbereiter von Lösungsmustern,<br />

d.h. lösender Reaktionsweisen – er bahnt sich gewissermaßen<br />

(neuronal) alternative Lösungen. Gerade weil es sich dabei<br />

nicht um kognitive Lösungen handelt, sondern um Lösungsbewegungen,<br />

d.h. emotional-motorische Lösungen, die als neue<br />

Erfahrungen ein nachhaltiges Lernen ermöglichen, bietet dieser<br />

Ansatz lebendige Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

So archaisch-einfach es in seiner Handhabung anmuten mag,<br />

so erlebnisintensiv und beeindruckend sind die Ergebnisse –<br />

und dieses Buch lässt den Leser auf plastische Weise an dieser<br />

Expedition in das Körperunbewusste teilhaben. ■<br />

András Wienands, Einführung in die körperorientierte systemische Therapie<br />

Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2010,<br />

127 Seiten, ISBN-13: 978-3896706041, 12,95 Euro ‐<br />

Ludger M. Hermanns (Hg.)<br />

Spaltungen in der Geschichte<br />

der Psychoanalyse<br />

Christin Schneider<br />

Der vorliegende Text, herausgegeben von Ludger M. Hermanns<br />

und neu aufgelegt 2011, dokumentiert zusammenfassend die<br />

Beiträge der 5. Tagung der internationalen Vereinigung für Geschichte<br />

der Psychoanalyse 1994 in Berlin.<br />

Der Tagungsband mit dem Titel Spaltungen in der Geschichte<br />

der Psychoanalyse - so auch der Tagungstitel - enthält die Beiträge<br />

von teilnehmenden FachreferentInnen zum Thema Spaltung<br />

in der Psychoanalyse, vereint verschiedene Blickwinkel<br />

auf das Thema.<br />

Von den Spaltungen der großen Vertreter wie zum Beispiel C.G.<br />

Jung von seinem Lehrer Sigmund Freud, über regionale und internationale<br />

Unterschiede werden auch strukturelle Spaltungen<br />

in der Geschichte der Psychoanalyse besprochen.<br />

Die Lektüre eignet sich hervorragend für Leser, die sich in die<br />

Geschichte der Psychoanalyse einarbeiten oder vertiefen sowie<br />

an aktuellen Themen und Geschehen im Bereich der Psychoanalyse<br />

Interessierte. Spaltungen in der Geschichte der Psychoanalyse<br />

waren und sind auch noch - fast 20 Jahre nach der<br />

Tagung in Berlin - ein aktuelles sowie anregendes Thema das<br />

zur Reflektion und Integration der verschiedenen Strömungen<br />

beitragen kann!<br />

Mit Beiträgen von Mauricio Abadi, Hermann Beland, Werner<br />

Bohleber, Thierry Bokanowski, Janine Chasseguet-Smirgel, Pier<br />

Claudio Devescovi, Friedrich-Wilhelm Eickhoff, Mario Erdheim,<br />

Lilli Gast, Bèla Grunberger, André Haynal, Klaus Heinrich, Ludger<br />

M. Herrmanns, Robert D. Hinshelwood, Regine Lockot, Peter<br />

Looewenberg, Alain de Mijolla, Sophie de Mijolla-Mellor,<br />

Malcolm Pines, Jacques Schotte, Nelli L. Thompson und Gerhard<br />

Wittenberger. ■<br />

Ludger M. Hermanns (Hg.):<br />

Spaltungen in der Geschichte der Psychoanalyse,<br />

Psychosozial-Verlag(Gießen), 2011, 298 Seiten, ISBN 978-3-8379-2138-0, D: 29,90 ‐<br />

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Rezensionen<br />

Monika Wieber<br />

Domino und die Angst<br />

Die Sozialpädagogin und<br />

systemische Familientherapeutin<br />

legt mit den beiden<br />

Titeln „Warum bist<br />

du so wütend Löwe“ und<br />

„Domino und die Angst“<br />

praktische Arbeitshilfen<br />

für mit Kindern arbeitende<br />

Therapeuten vor, das<br />

sich als therapeutisches<br />

Bilderbuch versteht. In<br />

großen von der Autorin gestalteten<br />

Aquarellen wird<br />

die Geschichte von dem<br />

Hund Domino erzählt, der<br />

andere Tiere zu ihren Gefühlen<br />

wie Wut oder Angst<br />

befragt. Die Tiere berichten<br />

in einfach formulierten<br />

und leicht verständlichen<br />

Texten, wie sie sich in unterschiedlichen Situationen verhalten.<br />

So können die jungen Betrachter sich klar machen, dass unterschiedliche<br />

Tiere sehr unterschiedlich mit dem doch eigentlich<br />

gleichen Gefühl umgehen – während sich das eine Tier versteckt,<br />

wenn es Angst hat, reagiert das andere Tier aggressiv<br />

oder sogar vermeintlich gelassen, weil es sich seiner Stärke<br />

bewusst ist.<br />

Das Buch kann so als Arbeitshilfe in therapeutischen Settings<br />

dienen und bietet Kindern die Möglichkeit sich so wie es für sie<br />

stimmig ist mit Gefühlen auseinanderzusetzen. Im Anhang der<br />

Bücher stellt die Autorin Anregungen für die praktische Arbeit<br />

vor.<br />

Die Bücher wenden sich an Praktiker und können so die theoretische<br />

Auseinandersetzung ergänzen. Es eignet sich neben<br />

therapeutischen Settings auch für die pädagogische Arbeit mit<br />

Kindern von ca. 4 bis 7 Jahren. ■<br />

Monika Wieber<br />

Domino und die Angst<br />

Iskopress, 47 Seiten, ISBN-13: 978-3894033491, 19.50 ‐<br />

Warum bist du so wütend Löwe?<br />

Iskopress, 47 Seiten, ISBN-13: 978-3894033439, 19.50 Euro‐<br />

Harald Walach<br />

Weg mit den Pillen<br />

campus Spiegel · Redaktion Berlin · Telefon: 030 / 24 63 98 95 · www.campusnaturalis.de · Berlin · Frankfurt am Main · Hamburg · München<br />

Selbstheilung oder warum wir für unsere Gesundheit<br />

Verantwortung übernehmen müssen - Eine Streitschrift<br />

gegen die pharmazeutische Industrie -<br />

Harald Walach, einer<br />

der führenden Köpfe<br />

in der Komplementärmedizin,<br />

hilft Patienten,<br />

Verantwortung<br />

für ihren Körper zu<br />

übernehmen. In seinem<br />

aktuellen Buch,<br />

„Weg mit den Pillen“<br />

zeigt er Alternativwege<br />

auf, die den Patienten<br />

aus der Rolle<br />

des passiven Empfängers<br />

medizinischer<br />

Interventionen befreien.<br />

Er kritisiert das<br />

Gesundheitssystem,<br />

in dem Krankheit oft<br />

als technische Panne<br />

und Heilung als mechanische<br />

Reparatur<br />

verstanden wird. Dies<br />

rührt daher, dass die<br />

Entwicklung neuer<br />

Medikamente mit der<br />

Heilung von Krankheiten<br />

gleichgesetzt wird. Darüber hinaus trägt die Pharmabranche<br />

das Ihrige dazu bei, diese Vorstellungswelt zu bestärken.<br />

Experten warnen jedoch vor Kostenexplosionen. Höchste Zeit<br />

also, sich von bequemen Denkmustern zu verabschieden.<br />

Ein aufrüttelndes Buch und ein engagiertes Plädoyer für die<br />

Kraft der Selbstheilung sowie eine entschiedene Kampfansage<br />

an die Dominanz der pharmazeutischen Industrie.<br />

Harald Walach ist klinischer Psychologe, Philosoph und Wissenschaftshistoriker.<br />

Er lehrte einige Jahre als Dozent an der<br />

Universität Freiburg, wo er eine Forschungsgruppe für Komplementärmedizin-<br />

und Naturheilkundeforschung maßgeblich mit<br />

aufbaute.<br />

2010 wurde er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/<br />

Oder zum Professor für Forschungsmethodik komplementärer<br />

Medizin und Heilkunde ernannt.<br />

Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die<br />

Wirkung von Spiritualität und Achtsamkeitsmeditationen auf<br />

die Gesundheit sowie die Entstehung des Placebo-Effekts.<br />

Neben zahlreichen Fachpublikationen ist „Weg mit den Pillen!“<br />

sein erstes populärwissenschaftliches Buch. ■<br />

Harald Walach<br />

Weg mit den Pillen<br />

Selbstheilung oder warum wir für unsere Gesundheit<br />

Verantwortung übernehmen müssen – Eine Streitschrift<br />

Irisiana Verlag, 224 Seiten, ISBN: 978-3-424-15080-3, ‐ 17,99 Euro [D]<br />

27


28<br />

Heilkräfte der Natur – Unsere Heilpflanzen<br />

Fenchel<br />

Fenchel (Foeniculum vulgare)<br />

ist eine seit Jahrhunderten bekannte und<br />

weit verbreitete Arznei-, Gewürz- und<br />

Gemüsepflanze. Neben Kamille und Pfefferminze<br />

gehört Fenchel zu den meistgebrauchten<br />

Magenheilpflanzen. Ursprünglich<br />

aus dem Mittelmeerraum stammend,<br />

benötigt er zum Wachsen warme und<br />

sonnige Standorte sowie nährstoffreichen<br />

und lehmigen Boden. Fenchel ist eine<br />

zweijährige, krautige Pflanze die zu der<br />

Familie der Doldenblütler gehört und eine<br />

Wuchshöhe von bis zu zwei Metern erreichen<br />

kann. Die Pflanzenstängel, die sich<br />

in den oberen Teilen stark verzweigen,<br />

haben eine bläulich-grüne Farbe die einen<br />

typischen würzigen Geruch abgeben.<br />

Oben an den Pflanzenstängeln treiben<br />

kleine Blattbüschel und Blütenstängel,<br />

an denen in großen Dolden die Blüten<br />

sitzen. Die Blütezeit der gelblichen Doldenblüte<br />

liegt zwischen Juli und Oktober.<br />

Die Samen, die aus den Blüten wachsen,<br />

reifen im September. Sie samenähnlichen<br />

Früchte sowie die Wurzel können als Gewürz<br />

verwendet und in der Heilkunde eingesetzt<br />

werden. Des Weiteren kann die<br />

fleischige Knolle als bekömmliches Gemüse<br />

gegessen werden.<br />

Anwendungsgebiete<br />

In seiner Eigenschaft als Heilpflanze wird<br />

Fenchel vor allem aufgrund seiner krampflösenden,<br />

blähungstreibenden sowie magenstärkenden<br />

Wirkung geschätzt. Daher<br />

findet er seinen Hauptanwendungsbereich<br />

bei Magen-Darm-Beschwerden.<br />

Des Weiteren wird ihm eine antiseptische<br />

sowie schleimlösende Wirkung zugesprochen<br />

und er kann deswegen auch zur<br />

Behandlung der oberen Atemwege eingesetzt<br />

werden. Fenchel fördert außerdem<br />

die Milchbildung bei stillenden Müttern.<br />

Die wichtigsten Hauptinhaltsstoffe der<br />

Fenchelfrüchte sind die ätherischen Öle,<br />

die zu etwa 70-80% aus Anethol und zu<br />

15% aus Fenchon bestehen.<br />

Zubereitung<br />

Fenchel wird besonders gerne als Teezubereitung,<br />

oft auch in Kombination mit<br />

Kümmel, Anis oder Koriander bei Magenbeschwerden<br />

eingesetzt. Für die Zubereitung<br />

eines Fenchel-Tees werden 1-2<br />

Teelöffel der frisch angestoßenen Fenchelfrüchte<br />

mit einer Tasse kochendem<br />

Wasser übergossen und 10 Minuten ziehen<br />

gelassen.<br />

Alice Piel<br />

Nebenwirkungen<br />

In seltenen Fällen kann es zu allergischen<br />

Reaktionen auf Fenchel kommen, die zu<br />

Beschwerden in den Atemwegen und auf<br />

der Haut führen können. Reines Fenchelöl<br />

sollte in der Schwangerschaft sowie bei<br />

Säuglingen und Kleinkindern nicht angewendet<br />

werden. Bei Säuglingen und<br />

Kleinkindern kann reines Fenchelöl Erregungszustände<br />

und akute Atemnot hervorrufen.<br />

Grundsätzlich gilt:<br />

Unsere Pflanzenmonographien ersetzen<br />

keine heilkundliche Behandlung. Befragen<br />

Sie daher vor der Anwendung stets<br />

Ihren Arzt, Apotheker oder Helpraktiker. ■<br />

Literatur:<br />

Rippe, O./Madejsky, M.: Die Kräuterkunde des Paracelsus.<br />

Therapie mit Heilpflanzen nach abendländischer<br />

Tradition. AT Verlag, Baden und München 2006.<br />

http://www.natur-lexikon.com/Texte/MZ/002/00199-<br />

Fenchel/MZ00199-Fenchel.html (13.12.2011)<br />

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Einrichtungsportrait<br />

campus Naturalis eröffnet größtes Zentrum in Berlin<br />

„Lange haben wir gesucht – nun ist es endlich soweit.“ sagt freudestrahlend<br />

Geschäftsführerin Alexandra Müller-Benz. „Wir mussten<br />

im letzten Jahr schon häufig Gruppen auslagern, weil wir mit<br />

unseren Räumen an die Kapazitätsgrenze gestoßen waren. Es war<br />

daher klar, dass wir uns vergrößern können und wollen.“ Seit<br />

2006 schon sind die campus naturalis Akademien im beschaulichen<br />

Nikolaiviertel direkt an der Spree angesiedelt, nachdem<br />

sie vorher einige Jahre in Potsdam am Heiligen See gearbeitet<br />

hatten. „Der Spree bleiben wir treu.“ so Alexandra Müller-Benz<br />

„Wir haben wenige Kilometer spreeaufwärts vom jetzigen Standort<br />

entfernt den idealen Standort gefunden.“<br />

Eröffnung im Juli 2012<br />

Die neuen Räume des campus Naturalis eröffnen im Juli 2012<br />

ihre Pforten zentral gelegen im Friedrichshain, der neue Standort<br />

ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln perfekt zu erreichen. Auf der<br />

über 1.000 m‐ großen Seminarfläche finden Teilnehmende großartige<br />

Arbeitsbedingungen vor. Die loftig-hohen Räume, die nach<br />

neusten ökologischen Standards gebaut werden, bieten mit ihren<br />

riesigen Fensterflächen ansprechende helle Räume mit spannenden<br />

architektonischen Details.<br />

Bis Ende Juni haben die Berliner campus Mitglieder noch Zeit<br />

sich von den jetzigen ebenfalls sehr schönen Räumen zu verabschieden:<br />

der Weiterbildungsalltag geht dort natürlich wie bisher<br />

weiter. Das insgesamt über 4.500 m‐ große Gebäude wird im mediterranen<br />

Stil genau auf den Bedarf der neuen Bewohner zugeschnitten.<br />

Es entsteht auf einer der letzten urbanen Freiflächen<br />

und schließt damit eine der wenigen Baulücken in Friedrichshain.<br />

Bereits in der Planungsphase wurde zum einen größter Wert auf<br />

den Dialog des neuen Gebäudes mit der Bestandsbebauung sowie<br />

ökologische Aspekte gelegt, so dass auch in der Realisierung<br />

stets der Nachhaltigkeitsgedanke im Vordergrund steht. Noch<br />

wird an dem neuen Gebäude auf Hochtouren gearbeitet, damit im<br />

Juli auch alles für die campus Naturalis Akademien und die anderen<br />

neuen Bewohner bereit steht. In dem neu erbauten Gebäude<br />

wird neben den campus Naturalis Akademien ein zertifiziertes<br />

Biohotel einziehen, in dem Teilnehmende vergünstigt wohnen<br />

und im angegliederten Restaurant essen können.<br />

Die neuen Nachbarn der campus Naturalis Akademien<br />

Das neue Bio-Hotel empfängt seine Gäste vom kreativen Geist<br />

der pulsierenden Weltstadt Berlin inspiriert: modern – kreativ –<br />

global – lebendig. Das Hotel bietet 60 Zimmer, die mit natürlichen<br />

Materialien modern und individuell eingerichtet sind, verschiedene<br />

Kategorien vom gut ausgestatteten Standardzimmer bis hin<br />

zum großzügigen Appartement sowie einen urbanen Wellness-<br />

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und Spabereich hoch oben über den Dächern Berlins. Im angegliederten<br />

Bio-Restauarent genießen Gäste delikate, sinnlich-aufregende<br />

Speisen aus der vegetarischen Bioküche.<br />

Hier begegnen sich Ethik und Ästhetik:<br />

„Wir glauben an die Individualität eines jeden Menschen, gleichzeitig<br />

sind wir fest davon überzeugt, dass der respektvolle und<br />

ressourcenorientierte Umgang miteinander und mit unserer Umwelt<br />

den Schlüssel für eine gute Zukunft bedeutet. Wertschätzung<br />

und Nachhaltigkeit sind die Basis für den Umgang mit unseren<br />

Gästen und im Team. Gleichzeitig wissen wir, dass Offenheit und<br />

neue inspirierende Eindrücke wichtige Elemente unseres Lebens<br />

sind. Eine außergewöhnliche und ästhetische Umgebung bietet<br />

einen gelungenen Rahmen<br />

hierfür. Wir heißen<br />

Sie daher willkommen in<br />

einem Team, das jederzeit<br />

respektvoll und werteorientiert<br />

miteinander und<br />

mit Gästen umgeht - und<br />

in einer Umgebung des<br />

individuellen und organischen<br />

Designs gepaart mit<br />

sinnlichen und ethischen<br />

Genüssen.“ so das Team<br />

des neuen Biohotels.<br />

Als weiteres Bonbon für alle Berlin-Liebhaber: Bis April 2012 bietet<br />

das neue Hotel ein begrenztes Kontingent Zimmer zum Pre-<br />

Opening Spezialpreis an. Buchbar ab 15.02.2012. ■<br />

Weitere Infos finden Sie unter:<br />

www.campusnaturalis.de/partner_biohotel.php<br />

Begleiten Sie uns beim Umzug: Schnappschüsse und Neuigkeiten<br />

zu unseren neuen Räumen finden Sie unter:<br />

http://de-de.facebook.com/campusNaturalis .<br />

Unter allen Fans verlosen wir im Juni 2012 einen Berlinstädtetrip<br />

mit Seminar! Werden Sie unser Fan auf facebook und bleiben Sie<br />

informiert!<br />

campus Naturalis<br />

Akademien für Ganzheitliche Gesundheitsbildung GmbH<br />

Zentrale und Zentrum Berlin:<br />

fon: 030 - 24 63 98 95<br />

fax: 030 - 24 63 98 97<br />

bis 30.06.2012<br />

Spreeufer 5, 10178 Berlin<br />

Ab 01.07.2012<br />

Holteistraße 22, 10245 Berlin<br />

29


30<br />

Kurz notiert<br />

Pädagogik<br />

Symposium<br />

Hamburg 2012<br />

Nur noch wenige Restplätze<br />

1. Pädagogisches<br />

campus<br />

Symposium<br />

Am 16. Februar 2012 findet das erste „pädagogische<br />

campus Symposium“ in Hamburg<br />

statt. Zahlreiche Fachvorträge und<br />

Workshops renommierter Redner aus ganz<br />

Europa bieten dem Fachpublikum aktuelle<br />

Themen wie professionelle Hilfe bei Mobbing,<br />

interkulturelle Arbeit, Stärkung von<br />

Kindern und Jugendlichen vor Übergriffen.<br />

Netzwerken Sie in Vorträgen und Workshops<br />

mit renommierten Vertreter/innen<br />

aus Forschung, Praxis und Politik zu den<br />

Themen „Pädagogik für das 21. Jahrhundert“<br />

und „Interkulturelle Kompetenz in<br />

der Pädagogik“.<br />

Wir laden alle Lehrer/innen, Erzieher/innen,<br />

Sozialpädagog/innen, Vertreter/innen aus<br />

Politik und Verwaltung sowie alle interessierten<br />

Menschen, die sich mit dem Thema<br />

Pädagogik befassen zu informativen Fachvorträgen,<br />

zahlreichen Workshops sowie<br />

zu einer abschließenden Podiumsdiskussion<br />

unter der Leitung von Funkhaus Europa<br />

Moderator Niko Aslanidis herzlich ein.<br />

Termin: Donnerstag, den 16.02.2012<br />

Uhrzeit: 09.00 – 18.00 Uhr<br />

Ort: Stiftung Bürgerhaus Wilhelmsburg,<br />

Mengestraße 20, 21107 Hamburg<br />

Teilnahmegebühr:<br />

35,- Euro / ermäßigt 30,- Euro<br />

Sichern Sie sich Ihren Restplatz unter:<br />

www.campusnaturalis.de/Symposium/<br />

symposium_programm.pdf ■<br />

ICD-10-GM:<br />

Neufassung 2012<br />

Der ICD-10-GM ist die einheitliche Grundlage<br />

für die Verschlüsselung von Diagnosen<br />

im ambulanten wie stationären<br />

Bereich. Der aktuelle ICD-10-GM<br />

findet sich auf der Homepage des Deutschen<br />

Instituts für Medizinische Dokumentation<br />

und Information (DIMDI)<br />

als Online-Version zum <strong>Download</strong>.<br />

Hier finden Sie auch weitere wichtige Informationen und Änderungen:<br />

www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/downloadcenter/icd-10-gm/version2012/ ■<br />

Nachhaltige Wirksamkeit der Psycho-<br />

therapie wissenschaftlich nachgewiesen<br />

Psychotherapie ist nachhaltig wirksam.<br />

Mehr als 60 Prozent der Patienten, die<br />

sich bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten<br />

behandeln lassen, geht es danach<br />

wesentlich besser. Die Wirkung der<br />

psychotherapeutischen Behandlung ist<br />

langfristig messbar: Selbst ein Jahr nach<br />

Abschluss der Behandlung nehmen die<br />

seelische Belastungen, die zu einer Psychotherapie<br />

führten, noch weiter ab. Das<br />

sind die zentralen Ergebnisse einer aktuellen<br />

Langzeitstudie, deren Ergebnisse jetzt<br />

vorliegen. Von 2005 bis 2009 nahmen<br />

knapp 400 Psychotherapeuten sowie 1.708<br />

Patienten an dem von der Techniker Krankenkasse<br />

(TK) finanzierten Modellprojekt<br />

„Qualitätsmonitoring in der Psychotherapie“<br />

teil. Patienten wie Psychotherapeuten<br />

bewerteten die Erfolge der Psychotherapie<br />

während, am Ende und ein Jahr nach<br />

der Behandlung. Danach nehmen durch<br />

Psychotherapie die Symptombelastung<br />

entscheidend ab und die gesundheitsbezogene<br />

Lebensqualität wesentlich zu. Die<br />

zentrale Aussage: Psychotherapie wirkt<br />

nachhaltig. Die erreichten Verbesserungen<br />

bestehen auch ein Jahr nach Beendigung<br />

der Psychotherapie fort oder bauen sich<br />

sogar weiter aus. Die Studie belegt außerdem,<br />

dass ein ausreichendes psychotherapeutisches<br />

Behandlungsangebot wirtschaftlich<br />

ist. Eine Psychotherapie kostete<br />

durchschnittlich 3.200 Euro. Da die Pati-<br />

enten wieder arbeitsfähig wurden oder<br />

ihre Arbeitsproduktivität nicht mehr eingeschränkt<br />

war, wurden gesamtgesellschaftliche<br />

Kosten in Höhe von durchschnittlich<br />

10.425 Euro eingespart. Die Kosten-Nutzen-Relation<br />

von Psychotherapie beziffert<br />

die Techniker Krankenkasse auf 3,26, d.<br />

h. jeder Euro, der in eine Psychotherapie<br />

investiert wird, führt innerhalb eines Jahres<br />

zu einer Einsparung von ca. zwei bis<br />

vier Euro. Das Modellprojekt wurde von<br />

der Techniker Krankenkasse finanziert und<br />

von Wissenschaftlern der Universitäten<br />

Mannheim und Trier ausgewertet. Psychische<br />

Erkrankungen haben in den letzten<br />

Jahrzehnten sehr zugenommen und sind<br />

als Volkskrankheiten immer stärker in den<br />

Blick der Öffentlichkeit gerückt. Sowohl<br />

bevölkerungsrepräsentative epidemiologische<br />

Studien als auch die Routinedaten<br />

der Krankenkassen zeigen, dass nahezu<br />

jeder dritte Bundesbürger innerhalb eines<br />

Jahres von einer psychischen Erkrankung<br />

betroffen ist. Depressionen, Angst- und<br />

Belastungsstörungen haben immer größeren<br />

Anteil an Krankschreibungen und sind<br />

die Hauptursachen für Frühverrentungen<br />

in Deutschland mit einem Anteil von 44<br />

Prozent bei Frauen und 32 Prozent bei<br />

Männern. Die ambulante Psychotherapie<br />

hat sich dabei zu einer tragenden Säule<br />

der Versorgung von Menschen mit psychischen<br />

Störungen entwickelt. ■<br />

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Innovatives Modellprojekt im Frankfurter<br />

Naturkundemuseum Senckenberg<br />

Das im Rahmen eines Museumsbesuches<br />

nicht nur Wissen vermittelt werden kann<br />

und bisher unbekannte Dinge erfahrbar<br />

und erlebbar werden, sondern gleichzeitig<br />

auch die gesellschaftliche und kulturelle<br />

Teilhabe und der interkulturelle Austausch<br />

gefördert werden können, zeigt ein gemeinnütziges<br />

und innovatives Projekt im<br />

Frankfurter Naturkundemuseum Senckenberg.<br />

Mit dem, seit dem 1. Oktober 2010<br />

bestehenden Modellprojekt, „Gemeinsam<br />

Natur erleben – interkultureller Austausch<br />

im SENCKENBERG“ soll Menschen mit unterschiedlichem<br />

kulturellem Hintergrund<br />

der Zugang zu Naturthemen und Museen<br />

erleichtert werden. Das Projekt richtet sich<br />

dabei vordergründig an drei Personenkreise.<br />

1. Frauen, die Integrations-, Alphabeti-<br />

sierungs- und Orientierungskurse<br />

besuchen<br />

2. Kinder mit und ohne Migrationshinter-<br />

grund<br />

3. Grundschullehrerinnen, Pädagogische<br />

Fachkräfte in Kindertagesstätten<br />

und Elternbegleiterinnen.<br />

Tage der offenen Tür im Frühjahr 2012<br />

Die campus Naturalis Akademien öffnen ihre Tore. Informieren Sie sich über startende<br />

Ausbildungen, lernen Sie Teilnehmende und Dozenten kennen und erleben Sie bei den<br />

Workshops Ganzheitliche Gesundheitsbildung zum Anfassen. Lassen Sie sich anstecken<br />

von der kreativen Atmosphäre und freundlichen und offenen Stimmung, die am campus<br />

Naturalis herrscht. Wir laden Sie ein, an unseren Workshops teilzunehmen und sich über<br />

einzelne Studiengänge zu informieren. Vor Ort erhalten Sie Gelegenheit, viele Fachbereiche<br />

kennenzulernen und in Aktionen und kleinen Übungen zu erfahren, dass Bildung<br />

und Lernen viel Spaß machen kann. Bitte informeiren Sie sich über die genauen Abläufe<br />

und das genaue Tagesprogramm unter: www.campusnaturalis.de/campus_news.php ■<br />

Für die jeweiligen Zielgruppen wurden eigene<br />

Seminare und Veranstaltungsreihen<br />

entwickelt, in denen sie sich auf interessante<br />

und ansprechende Weise mit naturwissenschaftlichen<br />

Themen auseinandersetzen<br />

können. Das gemeinsame Erleben<br />

und Erfahren der Natur, der Austausch<br />

über globale Naturereignisse und Probleme<br />

bringt die Teilnehmenden einander<br />

nicht nur näher und lässt nationale und<br />

kulturelle Unterschiede unwichtig werden,<br />

sondern hilft auch beim Abbau sprachlicher<br />

Schwierigkeiten und dem Erwerb<br />

naturwissenschaftlicher Kenntnisse und<br />

einem Verständnis für deren Zusammenhänge.<br />

Das Frankfurter Naturkundemuseum, als<br />

öffentliche Bildungseinrichtung in dem<br />

sich Exponate aus aller Welt befinden,<br />

eignet sich besonders gut für ein derartiges<br />

Vorhaben und bietet viel Raum für<br />

Austausch, Begegnung und die Förderung<br />

der gesellschaftlichen und kulturellen<br />

Teilhabe. Dieses museumspädagogische<br />

Modellprojekt ist bislang einzigartig in<br />

Deutschland und wurde aus diesem Grund<br />

im November 2011 mit dem Integrationspreis<br />

ausgezeichnet. Das Projekt wird vorerst<br />

drei Jahre bestehen und soll sich in<br />

dieser Zeit etablieren und zu einem festen<br />

Bestandteil des museumspädagogischen<br />

Konzeptes des Frankfurter Senckenberg<br />

Museums werden. Um dies gewährleisten<br />

zu können, müssen allerdings noch weitere<br />

Partner gewonnen werden, um eine<br />

dauerhafte Finanzierung und so den Bestand<br />

des Projektes, auch über die Erprobungsphase<br />

hinaus, sicher zu stellen. ■<br />

„Yoldaş“: Neue Kooperation<br />

am campus Hamburg<br />

Die Bürgerstiftung Hamburg mit dem Projekt Yoldaş<br />

ist neuer Kooperationspartner von campus Naturalis.<br />

„Yoldaş“ ist türkisch und bedeutet „Weggefährte“;<br />

als solche begleiten ehrenamtliche Deutsch-Muttersprachler<br />

je ein sechs- bis zehnjähriges Kind mit<br />

türkischem Hintergrund im Alltag. Im Vordergrund<br />

der Treffen, die alle ein bis zwei Wochen über mindestens<br />

ein Jahr stattfinden, steht der Aufbau einer<br />

vertrauensvollen Beziehung. Ziel ist es dabei, die<br />

Kinder in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen,<br />

Bildungsimpulse zu setzen, ihre Deutsch-<br />

Sprachkompetenz zu stärken sowie Mentor und Mentee<br />

einen Blick über den „kulturellen Tellerrand“ zu<br />

ermöglichen ■.<br />

campus Spiegel · Redaktion Berlin · Telefon: 030 / 24 63 98 95 · www.campusnaturalis.de · Berlin · Frankfurt am Main · Hamburg · München<br />

Tage der offenen Tür<br />

Berlin:<br />

So. 04.03.2012, So. 23.09.2012<br />

Frankfurt:<br />

So. 04.03.2012, So. 30.09.2012<br />

Hamburg:<br />

So. 18.03.2012, So. 23.09.2012<br />

München:<br />

So. 04.03.2012, So. 07.10.2012<br />

jeweils 14:00 – 19:00 Uhr<br />

Zentrum Berlin:<br />

Spreeufer 5 - Kurfürstenhöfe · 10178 Berlin<br />

fon: 030 – 24 63 98 95<br />

fax: 030 – 24 63 98 97<br />

berlin@campusnaturalis.de<br />

Zentrum München:<br />

Lindwurmstraße 97 · 80337 München<br />

fon: 089 – 54 32 43 60<br />

fax: 089 – 59 04 37 24<br />

muenchen@campusnaturalis.de<br />

Zentrum Frankfurt am Main:<br />

Waldschmidtstr. 39 · 60316 Frankfurt<br />

fon: 069 – 40 56 42 31<br />

fax: 069 – 40 56 42 32<br />

frankfurt@campusnaturalis.de<br />

Zentrum Hamburg:<br />

Bahrenfelder Chaussee 49, Haus B<br />

22761 Hamburg<br />

fon: 040 – 88 15 98 96<br />

fax: 040 – 88 15 98 97<br />

hamburg@campusnaturalis.de<br />

Impressum:<br />

campus Naturalis<br />

Akademien für Ganzheitliche Gesundheitsbildung GmbH<br />

Spreeufer 5 · 10178 Berlin<br />

fon: 030 - 24 63 98 95 · fax: 030 - 24 63 98 97<br />

www.campusnaturalis.de · info@campusnaturalis.de<br />

Herausgeber: campus Naturalis GmbH<br />

CvD: Alexandra Müller-Benz<br />

Autoren: Nils Altner, Alexandra Müller-Benz, Sylvia Glatzer,<br />

Lisa Horle, Kathrin Nowak, M.A., Alice Piel, Christin<br />

Schneider, Maja Stepniak-Royo, Babette Strubbe, Lena<br />

Thaler, Sandra Tigges<br />

Bilder: campus Naturalis GmbH, Sabine Moeller, Fotolia.com:<br />

Miredi, Elisabeth Rawald, Mickael IRLES, vision<br />

images, Lupico, drubig-photo, Comugnero Silvana, Fotofreundin,<br />

nyul, Woodapple, fotodesign-jegg.de, contrastwerkstatt,<br />

etfoto, pirotehnik, Franco Deriu, Shmel,<br />

klickerminth, Christian Malsch, darko64, Elvira Schäfer<br />

Layout: Lieselotte Wertenbruch<br />

mail@mediaservice-berlin.com<br />

Erscheinungsweise: 2 x jährlich<br />

Bezug: Abo<br />

Druckauflage: 50.000 Stck.<br />

ISSN 1869-0092<br />

31


Fordern Sie unser<br />

Studienprogramm an!<br />

campus<br />

Naturalis<br />

Akademien für Ganzheitliche Gesundheitsbildung<br />

Ausbildungen und Seminare<br />

Anerkannter Weiterbildungsträger<br />

www.campusnaturalis.de<br />

Infotel. Berlin: 030- 24 63 98 95<br />

Infotel. Frankfurt: 069- 40 56 40 93<br />

Anerkannte<br />

Weiterbildungen<br />

mit Zukunft<br />

Heilkunde und Prävention<br />

Heilpraktiker/in<br />

Phytotherapie<br />

Ayurveda Gesundheits- und Ernährungsberater/in<br />

Ayurveda Therapeut/in<br />

Wellness- und Entspannungstherapeut/in<br />

Aromatherapeut/in<br />

Shiatsu und Qi Gong Praktiker/in<br />

Personal Health Coach<br />

Ganzheitliche/r Bewegungstherapeut/in<br />

Yoga-Übungsleiter/in<br />

Gesundheits- und Massagetherapeut/in<br />

Pädagogik, Psychotherapie, Beratung<br />

Heilpraktiker/in Psychotherapie<br />

Psychologische/r Berater/in<br />

Business Health Coach<br />

Mentaltrainer/in und Coach<br />

Natur- Wald- und Erlebnispädagoge/in<br />

Mediator/in<br />

Kreative Verfahren:<br />

Kunsttherapeut/in<br />

Musiktherapeut/in<br />

Tanztherapeut/in<br />

Theater- und Dramatherapie<br />

Systemische Verfahren:<br />

Systemische/r Einzel-, Paar- und<br />

Familientherapeut/in<br />

Systemische/r Kinder- und Jugendtherapeut/in<br />

Systemische/r Gerontotherapeut/in<br />

Systemische/r Körpertherapeut/in<br />

Postgradual:<br />

Integrale/r Traumatherapeut/in<br />

Berater/in für interkulturelle Kompetenz<br />

Burnout Berater/in<br />

Infotel. München: 089 - 54 32 43 60<br />

Infotel. Hamburg: 040 - 88 15 98 96<br />

(bundesweit zum Ortstarif aus dem Festnetz der deutschen Telekom)

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