Leseprobe: Der Karatehamster ... legt los!
Leseprobe zu Tina Zang: Der Karatehamster ... legt los!
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IN HOHEM BOGEN<br />
KOMMT EIN HAMSTER GEFLOGEN<br />
„Immer nur fressen, schlafen, putzen – das ist doch<br />
kein Hamsterleben“, sagte ich und spuckte einen<br />
Apfelkern quer durch den Käfig.<br />
Laschi stimmte mir zu. Er stupste Schmatzi mit<br />
der Schnauze an. „Schraubelocker hat vollkommen<br />
recht. Wir haben zu wenig Abwechslung. Das führt<br />
zu Entwicklungsstörungen.“<br />
Wie Schmatzi zu seinem Spitznamen kam, war<br />
klar: Außer im Schlaf mümmelte er ständig an etwas<br />
Essbarem herum. Laschi nannte ich so, weil er meistens<br />
schlaff und lasch herumhing und jammerte, wie<br />
schlecht es ihm gehe. Dabei sah er kerngesund aus<br />
und schnarchte so kraftvoll, dass es in der ganzen<br />
Zoohandlung widerhallte.<br />
Wieso Laschi und Schmatzi mir den Namen<br />
„Schraubelocker“ gegeben hatten, war mir allerdings<br />
ein Rätsel. Wahrscheinlich war ihnen einfach nichts<br />
Besseres eingefallen.<br />
Mein Blick schweifte von Ecke zu Ecke, die Käfigstäbe<br />
rauf und wieder runter. Das einzige Trainingsgerät<br />
hier drinnen war das Laufrad – quietschgelb,<br />
passend zu dem Geräusch, das es machte, wenn ich<br />
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mich darin austobte. Schmatzi und Laschi hatten das<br />
Laufrad noch nie von innen gesehen. Schmatzi war<br />
zu behäbig. Laschi hatte Angst, sich zu verrenken.<br />
Ping! Geistesblitz. Sagte ich gerade: „Laufrad von<br />
innen?“ He, warum nicht von außen?! Das wäre doch<br />
mal eine Abwechslung. Eine echte Herausforderung.<br />
„Schraubelocker glotzt so verdreht. Denkst du, was<br />
ich denke?“, fragte Laschi.<br />
„Wasch?“, nuschelte Schmatzi.<br />
„Ich glaube, er plant wieder irgendeinen Unfug. Jemand<br />
sollte schon mal den Krankenwagen bestellen.“<br />
„Was heißt hier Krankenwagen?“, entrüstete ich<br />
mich. „Bestellt lieber ein Fernsehteam.“<br />
Schon erklomm ich das Käfiggitter und schwang<br />
mich elegant von oben auf das Laufrad.<br />
Weniger elegant sah es aus, als sich das gelbe<br />
Quietschding ohne Vorwarnung unter mir wegdrehte<br />
und mich kopfüber in den Fressnapf schleuderte. So<br />
eine verdammte Köttelkacke!<br />
Würdevoll stieg ich aus dem Napf und tat so, als<br />
hätte ich immer schon mal meine Flugtauglichkeit<br />
testen wollen.<br />
Schmatzi lachte derart heftig, dass mir die Körner,<br />
die er eben noch in seine Backentaschen gestopft<br />
hatte, nur so um die Ohren flogen.<br />
Laschi hatte immerhin etwas Mitleid und zupfte mir<br />
ein paar Apfelschalen vom Rücken. „Wir könnten ja ein<br />
Ratespiel machen“, schlug er als Beschäftigung vor,<br />
aber für solche Kinkerlitzchen war ich nicht zu haben.<br />
Es war bestimmt nur eine Frage der Schnelligkeit,<br />
dann würde es schon klappen mit dem Laufrad.<br />
Beim nächsten Versuch würde ich <strong>los</strong>trippeln,<br />
sobald ich auf das Rad gehüpft war. Dadurch<br />
würde ich oben bleiben, während sich das Rad<br />
unter mir wegdrehte. Ganz einfach. Man muss<br />
eben auch Köpfchen haben, nicht nur Muskeln.<br />
Erneut kletterte ich das Gitter hoch, peilte das Rad<br />
an, stieß mich ab und ruderte schon in der Luft mit<br />
den Pfoten. Die Landung war perfekt. Aber die Richtung<br />
war dummerweise falsch. Das Rad drehte sich<br />
nicht unter mir weg nach hinten, sondern mitsamt<br />
mir drauf nach vorne.<br />
Schmatzi kickte geistesgegenwärtig den Futternapf<br />
zur Seite, aber ich hatte so viel Schwung drauf, dass<br />
ich in hohem Bogen in den Wassernapf platschte. Ich<br />
machte ein paar Schwimmzüge, murmelte etwas von<br />
„sehr erfrischend ... toller Kopfsprung“, aber darauf<br />
fielen selbst diese Trottel nicht rein.<br />
„Schraubelocker ischt schaukomisch“, meinte<br />
Schmatzi.<br />
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„Viel zu abenteuerlustig“, näselte Laschi.<br />
Sollte ich aufgeben? Nein, lieber ließ ich es drauf<br />
ankommen, dass ich mich noch mal blamierte.<br />
„Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“,<br />
sagte ich und schüttelte mir entsch<strong>los</strong>sen das Wasser<br />
aus dem Fell.<br />
„Nein, aber vom Laufrad“, bemerkte Laschi.<br />
„Klugscheißer. Dir wird ja schon schwindelig,<br />
wenn du dich im Schlaf umdrehst.“<br />
Laschi richtete sich drohend auf. „Beleidige mich<br />
nicht. Du weißt doch, dass ich empfindliche Nerven<br />
habe.“<br />
„Oi, werde ich froh sein, wenn ich mal verkauft<br />
bin“, murmelte ich.<br />
„Wer sollte dich schon kaufen, Schraubelocker?“,<br />
stichelte Laschi weiter. „Sieh dich doch an: irrer<br />
Blick und zerzaustes Fell.“<br />
„Streitet euch nicht“, ging Schmatzi dazwischen.<br />
„Davon kriegt man Bauchweh.“<br />
Laschi sank wehleidig in sich zusammen. „Warum<br />
hast du das nicht früher gesagt?“<br />
Ich konzentrierte mich wieder auf meine Laufradnummer.<br />
Diesmal ging ich alles im Geiste genau<br />
durch. Das Problem bestand darin, dass das Laufrad<br />
sich zu früh drehte. Also musste jemand es festhalten.<br />
Ich brauchte Helfer. Aber ich hatte nur Schmatzi und<br />
Laschi.<br />
„Tja, Jungs“, sagte ich betont fröhlich. „Jetzt habe<br />
ich mich genug aufgewärmt. Nun wird es ernst.<br />
Ihr müsst das Rad für mich festhalten.“<br />
Aus großen Knopfaugen starrten sie erst mich an,<br />
dann wechselten sie entsetzte Blicke.<br />
„Und wenn du auf mich drauffällst?“, erkundigte<br />
sich Laschi.<br />
„Wenn ich falle, dann lieber auf Schmatzi, der ist besser<br />
gepolstert. Also, passt auf. Sobald ich sicher oben<br />
drauf bin‚ lasst ihr das Laufrad <strong>los</strong>. Ist ganz einfach.“<br />
Langsam bewegten sich die beiden auf das Rad<br />
zu, krallten ihre Pfoten hinein und tauschten einen<br />
vielsagenden Blick.<br />
Das musste ein geheimes Signal sein. Sollte wohl<br />
heißen: „Wir warten nicht, bis Schraubelocker oben<br />
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ist. Wir lassen <strong>los</strong>, sobald er springt. Mal sehen, wo<br />
er diesmal landet.“<br />
Nun, es ist eben nicht ungefährlich, wenn man<br />
sportliche Höchstleistungen vollbringen will. Ich<br />
warf meinen Helfern einen einschüchternden Blick<br />
zu und machte mich wieder an den Aufstieg. Dabei<br />
ließ ich mir nicht anmerken, wie aufgeregt ich war.<br />
Ob ich es schaffen würde? Das musste ein tolles<br />
Gefühl sein, hoch oben auf dem Laufrad zu sausen,<br />
schnell wie der Wind.<br />
Ich atmete tief durch und sprang. Ich sprang so<br />
hoch, dass es mich glatt aus dem Käfig schleuderte.<br />
Jedenfalls kam es mir so vor, denn unter mir wurde<br />
alles rasend schnell kleiner.<br />
Ich würde wohl nie erfahren, ob Schmatzi und Laschi<br />
zu früh <strong>los</strong>gelassen hätten, denn plötzlich fand<br />
ich mich auf einer Hand wieder.<br />
JETZT IST ABER SCHLUSS,<br />
ICH WILL KEINEN KUSS<br />
Die Hand gehörte zu einem Mädchen mit langen<br />
schwarzen Haaren, schmalen dunklen Augen und<br />
einer kleinen Nase. „Ist der aber zierlich!“, rief sie.<br />
Zierlich? Ich war noch nie so beleidigt worden.<br />
„Nenn mich drahtig, nenn mich durchtrainiert – aber<br />
nenn mich nie wieder zierlich! Du könntest es bereuen.“<br />
Da Menschen uns nicht verstehen, bekam sie von<br />
meiner Entrüstung nichts mit.<br />
Neben ihr stand ein Junge mit rotblonden Stoppelhaaren,<br />
der seine dreckigen Pfoten nach mir<br />
ausstreckte. „Mensch, Kira, lass ihn mich doch auch<br />
mal halten.“<br />
Und dabei hatte ich eben erst gebadet, wenn auch<br />
unfreiwillig. Ich schob mich rückwärts.<br />
„Sieh mal, wie lieb er sich an mich kuschelt“,<br />
meinte Kira begeistert und gab mir ein Küsschen<br />
auf die Nase.<br />
Hörte ich da ein Kichern aus dem Käfig? Wie peinlich.<br />
Stahlharte Kerle wie ich lassen sich nicht abknutschen.<br />
Beherzt sprang ich auf die Dreckspfote des Jungen.<br />
„Was meinst du, Heiko, wollen wir den nehmen?“,<br />
fragte Kira.<br />
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<strong>Der</strong> Junge hielt mich ganz nah an seine blassen<br />
Wimpern. Waren das Dreckspritzer in seinem Gesicht<br />
oder Sommersprossen?<br />
„Ich weiß nicht“, sagte er, „der ist so mager.“<br />
Mager! Hörten die Beleidigungen denn gar nicht<br />
mehr auf?<br />
Kira nahm mich wieder auf ihre sanfte, saubere<br />
Mädchenhand. „Hast du gesehen, wie lustig er auf<br />
dem Laufrad herumgehopst ist?“<br />
Ich hielt mir die Pfoten über die Ohren, damit ich<br />
nicht mit anhören musste, wie Schmatzi und Laschi<br />
einen Lachkrampf bekamen.<br />
Als ich die Lauscher wieder aufstellte, fragte Herr<br />
Schmeckts, der Besitzer der Zoohandlung, gerade:<br />
„Brauchst du einen Käfig?“<br />
Er hieß nicht wirklich Herr Schmeckts. Schmatzi<br />
hatte ihm diesen Namen gegeben, weil er sich immer<br />
runterbeugte, wenn er die Näpfe in den Käfigen<br />
nachfüllte, und fragte: „Na, schmeckt’s?“ Das hat<br />
Schmatzi mächtig beeindruckt.<br />
„Einen Käfig hab ich schon“, sagte Kira. „Ich hatte<br />
mal ein Zwergkaninchen.“<br />
„Kaninchenkäfige sind geräumig. Da hast du<br />
Platz für viel Zubehör.“ Herr Schmeckts war sehr<br />
geschäftstüchtig. Im Nu hatte er alles aufgebaut,<br />
wovon Zoohandlungsbesitzer glauben, dass Hamster<br />
es toll finden – Plastik-Schlafhaus, Fressnapf, überdachte<br />
Hamstertoilette, Schlafwatte, eine langweilige<br />
Körnermischung und natürlich das unvermeidliche<br />
quietschgelbe Laufrad.<br />
Kira sah sich alles genau an und meinte dann:<br />
„Ich will den Käfig schon ein bisschen interessanter<br />
einrichten.“<br />
Während Heiko mich halten durfte, holte sie aus<br />
dem Regal alles, was Hamster wirklich toll finden:<br />
ein Schlafhaus, das wie ein Western-Saloon aussah,<br />
mit richtigen Schwingtüren; eine Wippe, Rutsch- und<br />
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Klettergeräte; Heu, Superfit-Körner und ein grellrotes<br />
Leistungssportlaufrad.<br />
„Das ist aber ein Laufrad für Meerschweinchen“,<br />
sagte Herr Schmeckts.<br />
„Rot ist meine Lieblingsfarbe“, beharrte Kira.<br />
Herr Schmeckts zuckte die Schultern und packte<br />
alles in eine Tüte.<br />
„Sind Hamster eigentlich Einzelgänger?“, fragte<br />
Kira.<br />
Na und ob! Je einzelner, desto besser.<br />
„Das ist ganz verschieden“, sagte Herr Schmeckts<br />
und deutete auf mich. „Dieser hier zum Beispiel hat<br />
mit den beiden anderen in seinem Käfig ruck, zuck<br />
Freundschaft gesch<strong>los</strong>sen. Die drei sind unzertrennlich.<br />
Vielleicht solltest du sie besser alle kaufen.“<br />
Jetzt übertrieb er es aber mit seiner Geschäftstüchtigkeit.<br />
„Dafür reicht mein Geld nicht“, sagte Kira.<br />
Ich atmete auf.<br />
Herr Schmeckts lächelte. „Weißt du was, wenn<br />
du noch einen nimmst, schenke ich dir den Dritten<br />
dazu.“<br />
Ich schnappte nach Luft, aber es wunderte mich<br />
im Grunde nicht, dass er Schmatzi und Laschi <strong>los</strong>werden<br />
wollte. Schmatzi fraß jeden Tag Futter vom<br />
zehnfachen Wert seines Verkaufspreises, und Laschi<br />
stellte sich hin und wieder tot, weil er hoffte, dass<br />
Herr Schmeckts dann den Tierarzt holte.<br />
Kira willigte ein und hielt ihm eine braune Schuhschachtel<br />
hin.<br />
„Bevor ich dir die Hamster gebe, brauche ich noch<br />
die Zustimmung eines Erwachsenen“, sagte Herr<br />
Schmeckts. „An Kinder unter 16 darf ich keine Tiere<br />
verkaufen.“<br />
„Mein Opa steht hinten bei den Aquarien“, erklärte<br />
Heiko.<br />
Herr Schmeckts verschwand in den Tiefen des<br />
Ladens, die ich nie erblickt hatte. Ich hegte noch<br />
eine leise Hoffnung, dass Heikos Opa den Kauf von<br />
drei Hamstern verbieten würde. Vergebens. Herr<br />
Schmeckts kam freudestrahlend zurück, verfrachtete<br />
uns in die Schachtel und kassierte.<br />
Ich fühlte mich verraten und verkauft.<br />
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PFOTEN WEG!<br />
SONST LIEGST DU IM DRECK<br />
Schon nach zwei Minuten herrschte dicke Luft in der<br />
Schachtel. Ein widerliches Gasgemisch entwich dem<br />
Hintern meines „unzertrennlichen Freunds“ Laschi.<br />
„Sorry, das ist die Aufregung“, entschuldigte sich<br />
Laschi. „Gleich kriege ich einen Kreischanfall.“<br />
Ich presste meine Nase an die Luftlöcher. Hoffentlich<br />
machte keiner ein Streichholz an, sonst würde<br />
uns die ganze Schachtel um die Ohren fliegen.<br />
Endlich hob sich der Deckel, frische Luft und<br />
Tageslicht drangen in unser stinkendes Pappgefängnis.<br />
Ich schaute raus, um zu sehen, wo wir waren.<br />
Irgendwo im Freien. Über uns raschelte der Wind<br />
durch hohe Bäume.<br />
Laschi riss die Augen auf. „Will sie uns etwa aussetzen?“<br />
„Schau dir diese saftigen grünen Blätter an“,<br />
schmachtete Schmatzi. „Davon würde ich gerne eins<br />
probieren.“<br />
„Du bist ein entsetzlicher Allesfresser“, bemerkte<br />
Laschi.<br />
Kira hatte sich auf eine Bank gesetzt, die Schachtel<br />
auf dem Schoß, und streichelte uns. „Ich wollte nur<br />
mal nachsehen, ob es euch gut geht, Jungs.“<br />
Mir ging es prächtig. Endlich der Geruch von Freiheit<br />
in der Nase. Ich linste über den Schachtelrand. Vor<br />
uns war ein riesiger Teich, in dem Enten paddelten.<br />
Kira schien meine Neugierde zu bemerken, denn<br />
sie erklärte: „Schöner Park, nicht wahr? Auf dem<br />
Schulweg gehe ich hier immer durch. Siehst du die<br />
Brücke dort drüben?“ Mein Blick folgte ihrem Zeigefinger<br />
nach links, wo eine Brücke mit Holzgeländer<br />
über das Wasser führte. „Dort“, fuhr sie fort, „füttere<br />
ich immer die Enten mit den Resten von meinem<br />
Pausenbrot. Heikos Mutter packt mir immer viel zu<br />
viel ein, weil sie findet, dass ich zu dünn bin.“<br />
„Spinnst du jetzt, mit den Hamstern zu reden, als<br />
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ob sie dich verstehen?“ Heiko packte einen Schokoriegel<br />
aus.<br />
„Du hast mit deinen Fröschen auch geredet“, gab<br />
Kira zurück.<br />
Er sah sich unruhig um. „Blöd, dass Opa keine<br />
Zeit hatte, uns nach Hause zu bringen. Jetzt mach<br />
den Deckel wieder drauf und lass uns sehen, dass<br />
wir heimkommen“, drängelte er und stopfte sich den<br />
ganzen Riegel auf einmal in die Backen.<br />
„Schaut euch das an“, sagte ich zu Laschi und<br />
Schmatzi. „Jetzt ist sein Mund so dreckig wie seine<br />
Finger. Hoffentlich bekommt er nicht plötzlich Lust,<br />
mich abzuküssen. Ich will mir nicht diese ungesunde<br />
Schokolade aus dem Fell putzen müssen.“<br />
„Ich würde mich freiwillig opfern“, bot Schmatzi<br />
an. Er hatte schon die ganze Zeit so sehnsüchtig zu<br />
dem Schokoriegel hinübergeschielt.<br />
Ich schüttelte mich. „Ich lass mich doch von dir<br />
nicht putzen. Igitt.“<br />
„Keine Sorge“, sagte Kira zu Heiko. „Die Hamster<br />
hauen schon nicht ab.“<br />
„Darum geht es doch gar nicht. Hier im Park treiben<br />
sich immer ziemlich finstere Gestalten herum.“<br />
„Ja? Ist mir noch nie aufgefallen. Oder meinst<br />
du die alte Dame dort hinten, die ihren Hund Gassi<br />
führt? Die sieht wirklich total gefährlich aus. Bestimmt<br />
verkauft sie Drogen und der Dackel ist ein<br />
getarnter Kampfhund.“<br />
Heiko zerknüllte das Schokopapier und wackelte<br />
unruhig von einem Fuß auf den anderen.<br />
In dem Moment kamen zwei Jungs über die Brücke<br />
geschlendert. Unter den Arm geklemmt trugen sie<br />
gebogene Bretter mit Rollen an den vier Ecken. Einer<br />
der beiden war lang und schlaksig. Seine Jeans waren<br />
noch länger und schlaksiger als er selbst, schlotterten<br />
um seine Beine und bildeten ein Knäuel um seine<br />
Schuhe. Auf dem Kopf trug er eine blaue Kappe.<br />
„Tag, Ma-Marcel“, stammelte Heiko.<br />
„Hey, sieh mal an, Boris“, sagte der schlaksige<br />
Marcel zu seinem Freund, der kräftig und braungebrannt<br />
war. Seine schwarzen Haare hatte er zu<br />
einem dünnen Zopf gebunden. Sein T-Shirt hatte<br />
abgeschnittene Ärmel, und seine Oberarme sahen<br />
aus, als würde er sie jeden Morgen mit der Luftpumpe<br />
aufblasen. Solche Muskeln hätte ich auch gern.<br />
Typen wie diese beiden hatte ich in Herrn Schmeckts<br />
Laden nie zu sehen gekriegt. Dorthin kamen immer<br />
nur Mütter mit Kindern oder freundliche alte Leute.<br />
„Ist das nicht unser Freund Heiko?“ Boris klopfte<br />
ihm unsanft auf den Rücken. „Du hast uns ja gar<br />
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nicht gesagt, dass du eine Freundin hast, Milchgesicht.“<br />
Er spuckte einen Kaugummi vor Heikos Füße.<br />
„Einfach so, ohne unsere Erlaubnis. Darfst du das<br />
überhaupt?“<br />
„K-K-Kira ist nicht meine Freundin, sondern meine<br />
Schwester.“<br />
Marcel machte einen Schritt auf Kira zu und baute<br />
sich vor ihr auf. „Komisch, sie sieht dir gar nicht<br />
ähnlich, deine kleine Schwester.“<br />
Kira stellte den offenen Schuhkarton neben sich<br />
auf die Bank und stand auf. „Erstens sind wir keine<br />
richtigen Geschwister, sondern Zwangsgeschwister.<br />
Und zweitens bin ich ein Jahr älter als Heiko.“<br />
Marcel spuckte aus. „Zwangsgeschwister. Was ist<br />
das denn?“<br />
„Mein Vater ist mit Heikos Mutter verheiratet.“<br />
„Also, bei uns nennt man das Stiefgeschwister“,<br />
sagte Marcel. „Aber das kannst du ja nicht wissen,<br />
weil du Chinesin bist.“ Er stellte das Brett auf den<br />
Boden, <strong>legt</strong>e die Finger an die Augenwinkel und zog<br />
die Haut zur Seite, bis seine Augen nur noch kleine<br />
Schlitze waren. „Schlitzauge kann nicht lichtig<br />
Deutsch splechen.“<br />
„Natürlich kann ich richtig Deutsch“, sagte Kira<br />
unbeeindruckt. „Aber du kannst nicht richtig gucken.<br />
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