stahl + eisen 05-06/2020 (Leseprobe)

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WISSENSCHAFT TECHNIK Metallurgie Stillsetzen und Anblasen von Hochöfen Viele Faktoren nehmen Einfluss – einige sind werksspezifisch AUTOREN: Dr. Hans Bodo Lüngen, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied, Stahlinstitut VDEh, Dr. Michael Peters, Direktor, thyssenkrupp Steel Europe AG DARUM GEHT’S: Die Vorgehensweisen beim Stillsetzen und Anblasen von Hochöfen werden von vielen Faktoren beeinflusst und sind von Werk zu Werk unterschiedlich. Die Autoren ergänzen mit ihrem Beitrag den Artikel von Christian Köhl in Ausgabe 4/20, der auf europäischer und globaler Ebene die Stillsetzungen von Hochöfen dokumentiert hatte. Aus ökonomischen wie auch Effizienzgründen sind Hochöfen auf den Dauerbetrieb ausgelegt. Ein praktisches Beispiel aus Deutschland ist der Hochofen Schwelgern 2 von thyssenkrupp Steel Europe, der im Juni 2014 erstmals nach dem Neubau 1993 heruntergefahren wurde. Die wichtigste Maßnahme nach dem Ende der 21 Jahre dauernden ersten Ofenreise war der Austausch des Feuerfestmaterials. Bei den Hochöfen, die global im laufenden Jahr stillgesetzt wurden, dürften indes eher konjunkturelle Fragen eine Rolle gespielt haben. Technisch spielen die Gründe üblicherweise jedoch keine Rolle. Stillsetzen: Hochöfen werden aufwendig tiefgeblasen Zum Stillsetzen eines Hochofens werden Extrakoks, Hochofenschlacke und Kalkstein sowie eisenarmer Möller chargiert. Besondere Bedeutung beim Tiefblasen bekommt die Begrenzung der Gichtgastemperatur auf maximal 500° C und die Überwachung der chemischen Zusammensetzung des Gichtgases in den vier Gasabzugsrohren. Zur Begrenzung der Gichtgastemperatur wird an der Ofengicht über Düsen Wasser eingeblasen. Vor dem Beginn des Tiefblasens wird die Kohleneinblasung gestoppt sowie Roheisen und Schlacke Einblick in den Hochofen Schwelgern 2 von thyssenkrupp Steel Europe, wo Fachleute 2014 die Feuerfestausmauerung ausgetauscht haben. Während des laufenden Betriebs der Anlagen beträgt die Temperatur an dieser Stelle an die 2 000 Grad Celsius. Quelle: thyssenkrupp Steel Europe 54 Mai/Juni 2020 stahlundeisen.de
egelmäßig abgestochen. An der Gicht werden keine Möllerstoffe mehr nachchargiert, sodass der Ofen durch Absenken der Möllersäule tiefgeblasen wird. Während des Tiefblasens nimmt der CO 2 -Gehalt des Gichtgases ab, der H2- Gehalt nimmt dagegen wegen des Eindüsens von Wasser und Dampf zur Kühlung zu. Etwa 18 Stunden nach Beginn der Maßnahmen zur Stillsetzung des Hochofens hat die Ofenteufe (Lage der Möllersäule) die Blasformenebene erreicht. Nach dem letzten Roheisenabstich wird die Windzufuhr abgesperrt und das Hochofengas über die Hüte geblasen. Bei dem gesamten Stillsetzvorgang ist darauf zu achten, dass sich kein explosives Gas-Luft-Gemisch bilden kann. Bei der vollständigen Entleerung des Ofens wird die „Ofensau“ über einen Sauabstich unterhalb der üblichen Stichlöcher abgestochen. Dabei ist immer ungewiss, ob es gelingt, die gesamte Ofensau abzustechen, oder ob bereits verfestigte Ofensau im Ofen zurückbleibt. Ist der Hochofen für eine Neuzustellung stillgesetzt worden, muss zurückgebliebene verfestigte Ofensau gesprengt und im festen Zustand aus dem Ofen entfernt werden. Anblasvorgänge Beim Anblasvorgang ist zu unterscheiden, ob ein neuer oder neu zugestellter Hochofen, ein geplant stillgesetzter oder ein durch eine Störung ungeplant stillgesetzter Hochofen in Betrieb zu nehmen ist. Beim Anblasen eines neuen oder neu zugestellten Hochofens wird zunächst der Ofen durch Einblasen von Heißwind getrocknet. Daran anschließend gibt es zwei unterschiedliche Verfahren zum weiteren Vorgehen. In einem Fall wird der Hochofen mit Holz im Gestell und schichtenweise mit viel Koks, Zuschlägen und Hochofenschlacke zur Kompensation der Koksasche bis in den unteren Schacht gefüllt. Darüber werden dann Koks und geringe Mengen an Eisenerzmöller (Sinter und Stückerze mit Zuschlägen und Hochofenschlacke) gegeben. Im anderen Fall wird auf den Einsatz von Holz verzichtet und der Ofen direkt mit Koks befüllt. Nach der Befüllung des Ofens werden alle Blasformen geöffnet und mit dem Einblasen von Heißwind das Holz bzw. der Koks gezündet. Durch die Reaktionen vor den Blasformen bildet sich heißes Reduktionsgas. Nach etwa einem Tag erfolgt der erste Abstich, wobei das Roheisen durch hohe Silizium- und geringe Kohlenstoffgehalte noch nicht den Anforderungen für den Einsatz im Stahlwerk genügt. Die Einsatzstoffe werden nach dem Anblasen von der Zusammensetzung stetig angepasst, indem der Kokssatz zurückgenommen, der Anteil des Eisenerzmöllers erhöht und später über die Windformen Kohle zugesetzt wird. Ein weitgehender Normalbetrieb des Ofens wird nach circa sechs Tagen erreicht. Komplexes Vorgehen nach geplantem Stillstand Die Vorgehensweise bei der Inbetriebnahme eines geplant stillgesetzten Hochofens hängt sehr von den Randbedingungen ab, zum Beispiel, ob der Ofen für einen kurzen oder langen Zeitraum stillgesetzt, wie tief die Möllersäule heruntergefahren oder ob der Hochofen vollständig entleert wurde, gegebenenfalls mit einem Abstich der „Ofensau“ (im Gestell vorliegendes Roheisen). Bei einem geplanten Stillstand werden alle Vorkehrungen für die Wiederinbetriebnahme getroffen. Wird der Ofen nicht vollständig entleert, dann wird er beim Stillsetzten mit einem entsprechenden Dämpfmöller mit hohen Anteilen an Koks und Hochofenschlacke versehen. Bei einem längeren Stillstand wird der Ofen kalt. Bei der Wiederinbetriebnahme ist es üblich, nur die Blasformen oberhalb der Stichlöcher mit Wind zu beaufschlagen und vor dem Anblasen bis zu 24 Stunden durch das Stichloch und die geöffneten Blasformen mit Sauerstoff zu brennen, bis ein Kanal zwischen Stichloch und Blasformen hergestellt ist. Eine andere Methode besteht im Einsatz von Erdgaslanzen, die durch die Stichlöcher in den Ofen eingebracht werden und die dazu dienen, durch Einblasen von Erdgas die notwendige Wärme zum Anblasen zu liefern. In dem hier betrachteten Beispiel wird der Ofen mit 15 Prozent der maximalen Windmenge bei einer Windtemperatur von 800° C angeblasen. Nach acht Stunden wird die Windmenge auf 25 Prozent und nach 11 Stunden auf 35 Prozent erhöht. Der Gichtgasdruck beträgt 1,5 bar. Nach mehrmaligem Öffnen des Stichloches können nach elf Stunden erste geringe Mengen flüssiges Roheisen und flüssige Schlacke abgestochen werden, wobei das Verhältnis Schlacke zu Roheisen bei 4:1 liegt. 20 Stunden nach dem Anblasen wird die Windzufuhr abgesperrt, um weitere Blasformen zu öffnen. Zu diesem Zeitpunkt sind 70 Prozent der vorhandenen Blasformen geöffnet. Am dritten Tag nach dem Anblasen wird die Windmenge auf 70 Prozent und die Windtemperatur auf 850° C erhöht. Der Gichtgasdruck erreicht 2,1 bar. Am fünften Tag sind alle Blasformen geöffnet und der Ofen wird mit voller Windmenge betrieben. Sieben Tage nach dem Anblasen wird Kohlenstaub über die Windformen eingeblasen und der Kokssatz reduziert. stahlundeisen.de Mai/Juni 2020 55
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