Der Hunger des Staates nach Feinden. Die ... - Rote Hilfe e.V.
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»Staaten sind rachsüchtig«<br />
ein Interview mit Peter O. Chotjewitz<br />
Peter O. Chotjewitz, geboren 1934, studierte <strong>nach</strong> einer Malerlehre Jura, Publizistik, Philosophie und Geschichte. Seit<br />
1965 arbeitet er als freier Schriftsteller, zeitweise war er auch als Anwalt in politischen Verfahren tätig.<br />
Du hast ja nicht nur persönlich und politisch mit den Zielen der Stadtguerilla sympathisiert,<br />
sondern warst in den 1970er Jahren auch Wahlverteidiger von Andreas Baader<br />
»Staaten sind rachsüchtig«<br />
Ja und nein. Groenewold und Croissant haben <strong>nach</strong> ihrem Ausschluß aus dem Verfahren<br />
angefragt, ob ich das machen könnte. Ich habe aus finanziellen und juristischen Gründen<br />
abgelehnt. Mit Andreas einigte ich mich darauf, daß ich ihn als sein Verteidiger gelegentlich<br />
besuchen würde. Nach den Unterlagen der Justiz habe ich ihn ab Juni 1975 an die 18<br />
Mal im Knast in Stuttgart-Stammheim besucht. Das letzte Mal kurz bevor im August 1977<br />
Verteidigerbesuche untersagt wurden. Es ist ja unbekannt, daß Besuche schon vor der<br />
Schleyerentführung und der Kontaktsperre nicht mehr möglich waren.<br />
Da<strong>nach</strong> hatte ich dann noch ein Mandat der Mutter. Ich sollte im To<strong>des</strong>ermittlungsverfahren<br />
und in Nachlaßsachen tätig werden. Bei<strong>des</strong> konnte ich nur unzureichend tun. Weder<br />
erhielt ich je den Nachlaß noch fand ein ordentliches To<strong>des</strong>ermittlungsverfahren statt.<br />
Man hatte Angst, es könnte sich herausstellen, daß Andreas nicht Selbstmord begangen<br />
hatte. Ich habe nie erfahren, worin der Nachlaß bestand und wo er abgeblieben ist.<br />
In dem Zusammenhang wichtig: Man weiß, daß Gudrun den beiden Anstaltsgeistlichen<br />
wenige Stunden vor ihrem Tod sagte, in ihrer Zelle befänden sich Briefe. <strong>Die</strong> Geistlichen<br />
sollten dafür sorgen, daß die Briefe den Adressaten zugestellt werden. Einer der Briefe war<br />
an mich adressiert. Das konnte man damals 1977 auch in der Presse lesen. Nur, daß ich<br />
den Brief nie erhalten habe. Jahrzehnte später erhielt ich von einer Justizbehörde die<br />
Nachricht, der Brief sei vernichtet worden. Was drinstand, weiß ich bis heute nicht.<br />
Von der »Lex RAF«, die damals eigens gegen die Stadtguerrilla-Gruppen zusammengeschustert<br />
wurde, ist eigentlich nur noch der §129a im öffentlichen Bewusstsein. War er<br />
im Kontext dieses Gesetzesbündels tatsächlich so zentral und habt ihr das damals<br />
schon so gesehen?<br />
Ich habe den § 129a StGB immer für nebensächlich gehalten.<br />
<strong>Die</strong> Verfolgung der Stadtguerilla (SG) fand in einem rechtsfreien Raum statt. <strong>Die</strong> Strafprozesse<br />
sollten nur den Anschein einer rechtsstaatlichen Verfolgung herstellen. Mir ist<br />
kein Verfahren gegen ein Mitglied eines SG-Kommandos bekannt, in dem der Grad der<br />
Beteiligung <strong>des</strong> Angeklagten und die Tatbestandsmäßigkeit seines Tuns korrekt festgestellt<br />
wurde. Konkret: Wenn es aufgrund einer Schießerei eine Tote gab, so wurde die Tötung<br />
prinzipiell als Mord gewertet und dem sogenannten »Terroristen« in die Schuhe geschoben.<br />
Sofern die Kugel aus einer Polizeiwaffe stammte, ließ man sie verschwinden. Tötete<br />
ein Mitglied eines Kommandounternehmens eine Person, so wurde unterstellt, daß alle<br />
Teilnehmer <strong>des</strong> Unternehmens einen Mordvorsatz gehabt hätten.<br />
Wesentlicher als die Sondergesetze war die Rechtsprechung, der zufolge jeder und jede, die<br />
irgendwie Kontakt zu einem SG-Kommando gehabt zu haben schien, als Mittäter zur<br />
Höchststrafe verurteilt werden konnte. So konnte man lebenslänglich für eine Tat kriegen,<br />
an der man nicht einmal beteiligt war.<br />
Fiktiv waren zum dritten die meisten Ermittlungsprotokolle und Anklageschriften. Das<br />
lag nicht nur daran, daß die Aussagen von Überläufern und Szene-Gerüchte die haupt-<br />
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