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Der Hunger des Staates nach Feinden. Die ... - Rote Hilfe e.V.

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45 Tage im 7. Stock von Stuttgart-Stammheim<br />

sprühung der Rückseiten von Autobahnschildern sind schon ziemlich ungewöhnlich,<br />

aber schließlich konnte das Gericht nicht zugeben, dass man den ganzen Aufwand mit Antiterrorkommando<br />

bei der Festnahme, U-Haft in der Antiterrorfestung Stuttgart-Stammheim<br />

und Verhandlung gegen uns im anschlagsicheren und mutmaßlich verfassungswidrigen<br />

direkt neben der Haftanstalt in Stammheim gelegenen Sondergerichtsgebäude in<br />

Wirklichkeit wegen nichts betrieben hatte und dass das Ganze Resultat einer extremen<br />

Überreaktion war, die dem nicht erst von Bush erfundenen Schema »Für uns oder gegen<br />

uns« folgte.<br />

Ich habe mich im Prozess nicht zu den Anklagen gegen uns geäußert, sondern das unseren<br />

Anwälten überlassen. Das Ganze war für mich so grotesk, dass ich dem Vorbild eines<br />

der Angeklagten der so genannten Viererbande in China, Zhang Chunqiao, in seinem eigenen<br />

rein politisch motivierten Prozess folgte und lediglich sagte: »Ich widerspreche!«<br />

An meiner kritischen Haltung gegenüber den Haftbedingungen, denen die RAF-Gefangenen<br />

ausgesetzt waren, hat sich nichts geändert. Protest gegen eine derartige Behandlung<br />

von Menschen, ganz gleich, wer sie auch sein mögen, war, ist und bleibt gerechtfertigt.<br />

Hattet ihr im Vorfeld der Aktion eine solche Überreaktion seitens <strong>des</strong> <strong>Staates</strong> als Möglichkeit<br />

in Betracht gezogen?<br />

Ehrlich gesagt nein. Wie schon gesagt, war meine größte Sorge <strong>nach</strong> unserer Festnahme<br />

auf der Autobahn und während der Wartezeit im Vorzimmer <strong>des</strong> Untersuchungsrichters,<br />

rechtzeitig zur Vorführung dieses Kinofilms wieder heimzukommen. Ich wusste längst,<br />

dass der Staat in allem, was auch nur entfernt mit der RAF zu tun hatte, alles andere als<br />

zimperlich war, aber mit dieser Reaktion hatte ich ganz sicher nicht gerechnet. Einige meiner<br />

Mitgefangenen, die damals ein weniger distanziertes Verhältnis zur RAF hatten als ich,<br />

waren weniger überrascht, und es erübrigt sich wohl zu sagen, dass ich ihnen in diesem<br />

Punkt Recht geben muss.<br />

Inwiefern war auch euer soziales und politisches Umfeld von Repressionsmaßnahmen<br />

betroffen? Welche Auswirkungen hatte das auf die Stimmung und auf die Möglichkeiten<br />

politischer Arbeit?<br />

Das soziale und politische Umfeld unserer »Gruppe« von zehn Gefangenen war sehr unterschiedlich.<br />

Ein Teil der Gruppe, grob die Hälfte, war sehr stark an dem orientiert, was<br />

man heute ziemlich unpräzise »Antiimperialismus« nennt und fühlte sich den Gefangenen<br />

der RAF auch politisch-inhaltlich stark verbunden, um es mal so auszudrücken. <strong>Die</strong><br />

anderen, darunter auch ich, hatten recht unterschiedliche Ansichten, alle links oder progressiv<br />

natürlich, aber diese hatten zumin<strong>des</strong>t in meinem Fall nichts mit der RAF zu tun.<br />

<strong>Die</strong>ses antiimperialistische Umfeld war stark von Repression betroffen, und einer der<br />

tragischsten dieser Fälle war der eines jungen Mannes – sein Name war Johannes Thimme,<br />

ich kannte ihn als »Jonas« –, den ich nie zu Gesicht bekommen, aber dennoch während<br />

meiner Haft in Stammheim kennen gelernt habe und der wegen Verteilens eines<br />

Flugblatts zum <strong>Hunger</strong>streiks von 1981 ebenso wie wir verhaftet worden war und später<br />

zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Das war damals kein Einzelfall. Als wir <strong>nach</strong><br />

Stammheim kamen, saß er schon eine Weile, wie lang genau, weiß ich nicht mehr. Aber<br />

ich weiß, dass er jeden einzelnen Tag seiner Haftstrafe abgesessen und keine Bewährung<br />

gekriegt hat.<br />

Entgegen einiger Mythen, die über den Hochsicherheitstrakt in Stammheim verbreitet<br />

werden, ist dieser technisch gesehen ziemlich armselig und ähnelt wie der ganze Knast<br />

selbst mehr oder weniger einem Lagerhaus aus den fünfziger oder sechziger Jahren, und<br />

von perfekter Kontrolle kann nicht wirklich die Rede sein. So hatten wir vier Männer drei<br />

Mitgefangene im 7. Stock, nämlich zwei Anwälte der RAF, die wegen angeblichen Waffenschmuggels<br />

verurteilt waren, und besagten Jonas, mit denen wir abends <strong>nach</strong> Löschung<br />

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