Der Hunger des Staates nach Feinden. Die ... - Rote Hilfe e.V.
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Beugehaft –<br />
und der solidarische Kampf dagegen<br />
von der OG Kiel<br />
Was ist eigentlich Beugehaft?<br />
JedeR Angeklagte hat das Recht, die Aussage zu verweigern,<br />
um sich nicht selbst zu belasten (§55 StPO). Was<br />
tut mensch aber, wenn mensch als ZeugIn zur Staatsanwaltschaft<br />
oder zum Gericht vorgeladen wird und kein<br />
Recht auf Aussageverweigerung hat?<br />
Hier muss mit der Androhung einer Geldstrafe (Ordnungsgeld)<br />
oder – in Extremfällen – auch mit Beugehaft<br />
(§70 StPO) gerechnet werden. Beugehaft ist eine bis zu<br />
sechs Monaten dauernde Haft, die die Nichtkooperation<br />
mit den Repressionsorganen bestraft. Sie dient allein dazu,<br />
die direkt Betroffenen zu zermürben und die Szene<br />
einzuschüchtern, damit sie sich entsolidarisiert. Eine weitere<br />
Schikane ist, dass der/die Eingeknastete auch noch, je<br />
<strong>nach</strong> Bun<strong>des</strong>land, Tagessätze von bis zu 60 Euro für die<br />
Unterbringung zahlen muss.<br />
Verhängt werden kann dieses Zwangsmittel nur von<br />
einem/r RichterIn und auch nur einmal pro Verfahren.<br />
Nach der Höchstdauer von sechs Monaten kann im selben<br />
Prozess also dieselbe Person nicht nochmals im Rahmen<br />
der Beugehaft in den Knast gesteckt werden. Beugehaft<br />
taucht nicht im Führungszeugnis auf, da es keine<br />
Strafe im juristischen Sinne ist.<br />
Geschichte der Beugehaft<br />
Besonders bei so genannten Organisationsdelikten<br />
(also den Vorwürfen einer »kriminellen« bzw. »terroristischen<br />
Vereinigung« <strong>nach</strong> §§ 129/129a/129b) wird seit<br />
Jahrzehnten immer wieder »Erzwingungshaft« gegen<br />
ZeugInnen eingesetzt. Nicht erst in dem Verfahren gegen<br />
die Zeitschrift radikal in den 1990er Jahren, sondern<br />
schon Ende der 1980er kam es erstmals zu einer größeren<br />
Beugehaftwelle.<br />
Es wurde damals im Rahmen der Verfahren gegen die<br />
RZ/<strong>Rote</strong> Zora acht ZeugInnen Beugehaft angedroht. Weil<br />
sie weiterhin schwiegen, saßen zwei Bochumerinnen<br />
mehrere Wochen im Knast.<br />
Ein paar Monate zuvor war unter dem Motto »Arthur<br />
hält’s Maul« (wenig später dann »Anna und Arthur halten’s<br />
Maul«) eine breite Kampagne zur Aussageverweigerung<br />
angelaufen. <strong>Die</strong>se geriet folglich ganz besonders ins<br />
Fadenkreuz der Behörden.<br />
Beugehaft – und der solidarische Kampf dagegen<br />
So erklärte die Bun<strong>des</strong>anwaltschaft (BAW) die Beugehaft<br />
zur wichtigen Waffe im staatlichen Kampf gegen organisierte<br />
Aussageverweigerung, die ebenfalls mit einem<br />
129a-Verfahren verfolgt wurde:<br />
»Von den etwa 200 Anschlägen der RZ/<strong>Rote</strong> Zora<br />
konnte nur ein verschwindend geringer Teil bekannten<br />
Tätern zugeordnet werden. Ein wesentlicher Grund dafür<br />
ist das Verhalten von Sympathisanten, die in der Erfüllung<br />
ihrer strafprozessualen Pflichten eine zu verneinende<br />
Kooperation mit dem Staatsschutz sehen. Deshalb<br />
muss die kollektive Aktion über das Mittel der Beugehaft<br />
gebrochen werden« (aus einem Beugehaftantrag der BAW<br />
vom Herbst 1987).<br />
Damit ist klar: <strong>Die</strong> Androhung und Verhängung dieses<br />
ultimativen »Ordnungsmittels« ist ein Angriff auf unsere<br />
Solidarität und die gesamten politischen Zusammenhänge.<br />
Folgen der Beugehaft und wie man ihnen entgegen<br />
tritt<br />
»Vielleicht bin ich dann meinen Job und meine Arbeit<br />
los; dieser Knastaufenthalt kostet mich auch noch etliche<br />
tausend Euro. Und der ganze Scheiß nur, weil ich mich geweigert<br />
habe, als Zeugin beim Verhör eine Aussage über<br />
Leute aus meinem Umfeld zu machen. Trotzdem die richtige<br />
Entscheidung, den Mund gehalten zu haben! Denn<br />
eines ist klar: irgendwas Belasten<strong>des</strong> basteln sie schließlich<br />
aus jeder Aussage…«<br />
Also was tun, wenn es heißt, dass der/die GenossIn in<br />
den Knast geht? Platt gesagt muss das Leben der inhaftierten<br />
Person trotzdem ohne sie weiterlaufen. <strong>Der</strong> Staat zielt<br />
mit der Beugehaft darauf, die Person zu einer Aussage zu<br />
erpressen. Wenn jemand in den Knast geht, verliert er/sie<br />
den Kontakt zum sozialen Umfeld, die Miete für die Wohnung<br />
kann nicht mehr gezahlt werden, der Job ist weg,<br />
evtl. das Konto gesperrt und auch die kleinen Annehmlichkeiten<br />
– die Schokolade, die man so gerne gegessen<br />
hat usw. – sind weit weg. Alles das mag uns, die »draußen«<br />
sind, nicht so bewusst sein, aber es ist dem Staat bewusst,<br />
und er weiß, dass wir Angst haben.<br />
Es liegt an uns, unseren GenossInnen den Aufenthalt<br />
im Knast so angstfrei wie möglich zu gestalten. Wir müssen<br />
uns, schon bevor es losgeht, darum kümmern, dass<br />
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