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Der Hunger des Staates nach Feinden. Die ... - Rote Hilfe e.V.

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Ausforschen, Einschüchtern, Beugen<br />

Zum Magdeburger »129a-Verfahren« 2002 – 2006<br />

von Andrea<br />

Marco und Carsten gingen 2005 für mehrere Monate<br />

in Haft. Erzwingungs- oder, treffender, Beugehaft nennt<br />

sich das juristische Instrument, mit dem die Weigerung<br />

bestraft wird, mit staatlichen Behörden zu kooperieren.<br />

Sie sollten in einem Revisionsverfahren<br />

gegen einen<br />

Freund aussagen, mit<br />

dem sie knapp zwei Jahre<br />

selbst auf der Anklagebank<br />

gesessen hatten:<br />

Im Dezember 2003<br />

verurteilte das Oberlan<strong>des</strong>gericht<br />

(OLG) Naumburg<br />

zwei Magdeburger<br />

Linke, Daniel und Marco,<br />

zu Freiheitsstrafen von<br />

zwei bzw. zweieinhalb Jahren.<br />

Ein dritter Angeklagter,<br />

Carsten, war vom Verdacht<br />

freigesprochen worden,<br />

Brandanschläge auf<br />

Fahrzeuge einer Daimler-<br />

Chrysler-Niederlassung,<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>kriminalamtes,<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>grenzschutzes<br />

und der Telekom begangen<br />

zu haben.<br />

Bereits dieses Verfahren<br />

zeigte wesentliche Elemente<br />

einer Gesinnungsjustiz, die gegen politische Überzeugungen<br />

und Strukturen genutzt wird: <strong>Die</strong> Bun<strong>des</strong>anwaltschaft<br />

(BAW) war mit dem Versuch gescheitert, eine<br />

Verurteilung <strong>nach</strong> Paragraph 129a <strong>des</strong> Strafgesetzbuches<br />

zu erwirken. Nichts<strong>des</strong>totrotz diente der Vorwurf »Bildung<br />

einer terroristischen Vereinigung« als ausreichender<br />

Haftgrund für jeweils fast ein Jahr Untersuchungshaft<br />

und als Ermächtigungsgrundlage für weitreichende<br />

Überwachungen. Observationen und Telefon- und Videoüberwachungen<br />

richteten sich gegen viele Menschen<br />

der linken Magdeburger Szene. Zum Tathergang der vorgeworfenen<br />

Brandanschläge hatte die BAW nichts Erhellen<strong>des</strong><br />

beizutragen: Ein einzelner Fingerabdruck und politische<br />

Gespräche über Fragen der »Militanz« mussten<br />

als Indizien herhalten. Entlastungszeug/innen wurden als<br />

unglaubwürdig hingestellt, Beweisanträge abgelehnt. Um<br />

Ausforschen, Einschüchtern, Beugen<br />

das Ganze abzurunden, konstruierte die BAW aus dem<br />

»Autonomen Zusammenschlusz Magdeburg« die Ursprungsorganisation,<br />

aus der heraus sich ein »terroristischer<br />

Kern« gebildet habe, und legitimierte damit die ausuferndenÜberwachungsmaßnahmen<br />

gegen linke<br />

Strukturen.<br />

Damit zielte sie auf eine<br />

aktive linke Szene, in deren<br />

Rahmen der »Autonome<br />

Zusammenschlusz Magdeburg«<br />

Infoveranstaltungen,<br />

Demonstrationen und Konzerte<br />

organisierte.<br />

Aufgrund von Formfehlern<br />

musste das Verfahren<br />

gegen Daniel neu aufgerollt<br />

werden. Marco und<br />

Carsten wurden, wie insgesamt<br />

14 Freund/innen und<br />

Verwandte <strong>des</strong> Angeklagten,<br />

mit Beugehaft bedroht,<br />

sollten sie die Aussage verweigern.<br />

Insgesamt zehn<br />

Zeug/innen gaben eine Erklärung<br />

zur Aussageverweigerung<br />

ab: »Eine Zusammenarbeit<br />

mit der durch<br />

diesen Senat vertretenen<br />

Klassenjustiz verbietet sich … für uns. … Freunde und<br />

GenossInnen verrät mensch nicht.«<br />

In den Revisionsverhandlungen wurden die bereits<br />

gefällten Urteile im Strafmaß bestätigt.<br />

In einer <strong>nach</strong>träglichen Überprüfung hat der Bun<strong>des</strong>gerichtshof<br />

(BGH) die Prozessführung für die Verschleppung<br />

<strong>des</strong> Verfahrens kritisiert. An mehreren Prozesstagen<br />

war nur wenige Minuten lang verhandelt worden, bis das<br />

Gericht die Vertagung bekannt gab. Das OLG wollte mit<br />

dieser Verzögerung die damals gegen Marco und Carsten<br />

verhängte Beugehaft wegen Aussageverweigerung in die<br />

Länge ziehen. Man wollte ihnen offensichtlich auf diesem<br />

Wege zu den zweieinhalb Jahren Knast für Marco und<br />

dem Freispruch für Carsten noch ein paar Monate zusätzliche<br />

Haftzeiten aufdrücken.<br />

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