Der Hunger des Staates nach Feinden. Die ... - Rote Hilfe e.V.
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wurde diese repressive Durchsuchungsaktion mit der<br />
Einleitung von insgesamt 33 Ermittlungsverfahren. Und<br />
tatsächlich fanden die staatlichen Ermittlungsbehörden<br />
in zwei Wohnungen im Ruhrgebiet originalverpackte Wecker<br />
der mittlerweile zu unehrenhaftem Ruhm gelangten<br />
Marke Emes Sonochron. Zwei Frauen wurden daraufhin<br />
festgenommen: Ulla Penselin in Hamburg und Ingrid<br />
Strobl in Köln. Gegen vier weitere, nicht auffindbare Personen<br />
wurde Haftbefehl erlassen.<br />
In die Begründungen der Durchsuchungsbeschlüsse<br />
wurde erstmals der Begriff der<br />
»anschlagsrelevanten Themen« integriert.<br />
<strong>Die</strong> massive Fahndungsaktion<br />
zielte also nicht »nur« darauf,<br />
eine als »terroristisch«<br />
definierte Struktur aufzudecken<br />
und sie dann zu zerschlagen,<br />
sondern darüber<br />
hinaus auf das Unmöglichmachen<br />
eines politisch-inhaltlichenDiskussionszusammenhanges,<br />
in<br />
<strong>des</strong>sen Zentrum der effektive<br />
Widerstand gegen Gentechnologie,<br />
gegen Frauenhandel,<br />
gegen Sextourismus und gegen<br />
das Migrationsregime stand.<br />
Das heißt, dass sich alle Personen <strong>des</strong><br />
Terrorismus verdächtig gemacht hatten, die<br />
sich in irgendeiner Weise kritisch mit Themen auseinandersetzten,<br />
zu denen Anschläge durchgeführt wurden<br />
oder aus der Sicht der Repressionsorgane zu erwarten waren.<br />
<strong>Die</strong> Parallelen zum aktuellen mg-Verfahren sind offensichtlich:<br />
Während es hier die Beschäftigung mit der<br />
Gentrifizierung war, die zur kurzzeitigen Festnahme eines<br />
in universitären Kreisen lokalisierbaren Menschen geführt<br />
hatte, war es Mitte der 1980er Jahre vor allem das<br />
Thema »Frauenausbeutung und -unterdrückung«, mit<br />
dem die Beschäftigung auf einer bestimmten Ebene nicht<br />
erlaubt war: Eben genau dann nicht, wenn die Kritik an<br />
den bestehenden Verhältnissen darin münden sollte, Widerstand<br />
– in welcher Form auch immer – zu leisten.<br />
Und Ingrid Strobl, die von Februar bis Dezember<br />
1987 umfassend, aber »ergebnislos« observiert und telefonüberwacht<br />
worden war, war nicht nur eine, die beispielsweise<br />
darüber schrieb, wie es ist, als Frau in den bewaffneten<br />
Widerstand zu gehen; nein, für die Ermittlungsbehörden<br />
hatte sie darüber hinaus durch den ihr<br />
<strong>nach</strong>gewiesenen, auf den 11. September 1986 datierten<br />
Kauf <strong>des</strong> Emes-Sonochron-Weckers »arbeitsteilig« an jenem<br />
RZ-Anschlag auf das Lufthansagebäude in Köln (siehe<br />
oben) »mitgewirkt«, bei dem ebendieser nummerierte<br />
Wecker benutzt worden sei. Sie habe ihn nämlich laut<br />
<strong>Der</strong> Fall Ingrid Strobl<br />
Einlassung beim Haftprüfungstermin am 1. September<br />
1988 an einen Bekannten weitergegeben. Damit war für<br />
den zuständigen 5. Strafsenat <strong>des</strong> Oberlan<strong>des</strong>gerichtes<br />
Düsseldorf klar: Damit, dass bei den RZ der »Kauf von<br />
Bauteilen für Anschlagsvorrichtungen« aufgrund <strong>des</strong> von<br />
ihnen »propagierten Abschottungsprinzips« immer nur<br />
durch Mitglieder erfolge, sei bewiesen, dass Ingrid Strobl<br />
zum einen eine Teilschuld am Anschlag treffe, sie also<br />
»Beihilfe zur Sprengstoffexplosion« geleistet habe, und sie<br />
zum anderen »Unterstützerin der terroristischen<br />
Vereinigung ›Revolutionäre Zellen/<strong>Rote</strong><br />
Zora‹« sei. Dafür sollte sie fünf Jahre<br />
in den Knast, obwohl neben dieser<br />
zweifelhaften Behauptung der<br />
Generalbun<strong>des</strong>anwaltschaft<br />
(GBA), der von Ingrid Strobl<br />
gekaufte, mit der Nummer<br />
6457 versehene Wecker sei<br />
derjenige gewesen, der<br />
beim Kölner Anschlag benutzt<br />
worden sei, keine<br />
weiteren objektiven Beweismittel<br />
gegen sie vorgetragen<br />
wurden.<br />
Eine große, von mehreren<br />
Massendemonstrationen flankierte<br />
Solidarisierung unterschiedlicher Gruppen<br />
mit den Betroffenen aus diesen Verfahren<br />
und vor allem mit der österreichischen Doktorin der Philologie,<br />
die während ihrer Untersuchungshaft immer wieder<br />
beteuerte, sich von den staatlichen Ermittlungsbehörden<br />
»keinen Maulkorb umhängen zu lassen«, führte<br />
schließlich nicht nur dazu, dass über die engen Grenzen<br />
einer linksradikalen Medienpräsenz hinaus eine vertiefte<br />
Diskussion zu den als anschlagsrelevant bezeichneten<br />
Themen stattfand, sondern letzen En<strong>des</strong> auch dazu, dass<br />
der 3. Strafsenat <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gerichtshofes mit einstimmigem<br />
Beschluss vom 08.05.1990 im Strafausspruch das Urteil<br />
gegen Ingrid Strobl aufheben musste.<br />
Nach zwei Jahren und viereinhalb Monaten Untersuchungshaft<br />
wurde Ingrid Strobl am 10.05.1990 aus der<br />
Haftanstalt in Essen entlassen. Ulla Penselin, der keinerlei<br />
persönliche und inhaltliche Kontakte zu Ingrid Strobl<br />
<strong>nach</strong>gewiesen werden konnten, musste »bereits« <strong>nach</strong><br />
achtmonatiger Untersuchungshaft entlassen werden, da<br />
selbst das OLG Düsseldorf davon ausgegangen war, dass<br />
die von der GBA vorgetragenen Verdachtsmomente für<br />
die Eröffnung eines Verfahrens nicht ausreichten.<br />
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