Der Hunger des Staates nach Feinden. Die ... - Rote Hilfe e.V.
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Wie schätzt Du jetzt die ganze Geschichte politisch ein?<br />
»Es war mir wichtig, dass ich meine Identität bewahre«<br />
Ich denke, das Ganze war auf jeden Fall ein sehr vielschichtiger Angriff. Es würde dem<br />
nicht gerecht, das Ganze auf einen Punkt zu reduzieren.<br />
Im Kontext einer aggressiver werdenden deutschen Außenpolitik ist dies meines Erachtens<br />
der Versuch, die innenpolitische Repressionsschraube weiter anzudrehen, sich neue<br />
Instrumentarien zu schaffen und letztendlich der Versuch, die eh schon schwache Linke,<br />
die kaum aktiv Stellung bezieht, »abzuwickeln«.<br />
Ein Aspekt ist sicherlich die umfassende Ausschnüffelung eines Teils der linksradikalen<br />
Szene, die ja durch die §§ 129 und 129a umfassend gegeben ist und die ja auch im Vorfeld<br />
<strong>des</strong> 13. Juni 95 massiv genutzt wurde. Am 13. selbst sind die Bullen dann in die verschiedensten<br />
linken und linksradikalen Projekte, Zentren und Privatwohnungen gestürmt und<br />
haben jede Menge Sachen beschlagnahmt. Aus den beschlagnahmten Dingen (die ja weit<br />
mehr als die sog. »verfahrensrelevanten Gegenstände« sind), aus den zahlreichen abgehörten<br />
Telefongesprächen und aus den Observationen haben die Bullen zahlreiche »frische«<br />
Infos über die linksradikale Szene bezogen, die mit Sicherheit detailliert ausgewertet und<br />
analysiert werden. Dann denke ich mittlerweile, daß diese Einschüchterung, dieser von<br />
Kanther so formulierte »präventive Schlag gegen die linke Szene« bestimmt auch eine Rolle<br />
gespielt hat. Wobei dieses Kalkül meines Erachtens nicht aufgegangen ist. Im Gegenteil,<br />
junge Menschen haben sich an diesem Angriff politisiert, ältere machen wieder etwas in<br />
den Solistrukturen und verschiedene politische Strömungen sitzen wieder an einem<br />
Tisch. Das zeigte ja auch die Demo vom 16. Dezember 95 in Hamburg, wo 5.000 Leute aus<br />
den verschiedensten Spektren für einen linksradikalen Widerstand auf die Straße gegangen<br />
sind.<br />
Desweiteren denke ich, es ging um die Kriminalisierung <strong>des</strong> klan<strong>des</strong>tinen, linksradikalen<br />
Widerstands.<br />
Durch das Zusammenfassen der verschiedenen Ermittlungsansätze gegen die AIZ, das<br />
K.O.M.I.T.E.E., die RAF und gegen die radikal hat die BAW allen unterschiedlichen Ansätzen<br />
zum Trotz eine »Einheitsfront« konstruiert. <strong>Die</strong> radikal soll das »Dach« der verschiedenen<br />
militanten und bewaffnet kämpfenden Gruppen sein.<br />
Unter anderem wird dadurch mal wieder der linksradikale Widerstand gegen das herrschende<br />
System als die Bedrohung dargestellt, die er derzeit leider nicht ist. Von dem rassistischen<br />
und nationalistischen Ausbau <strong>des</strong> BRD-Systems wird abgelenkt. Gleichzeitig<br />
können sich die Faschos relativ unbehelligt strukturieren und organisieren.<br />
Ein weiterer Punkt ist meines Erachtens die radikal selbst. Sie steht für eine kontinuierliche,<br />
militante, linksradikale Praxis. Militanz als unabdingbarer Bestandteil <strong>des</strong> linksradikalen<br />
Widerstands ist immer wieder in der radikal benannt und thematisiert worden. Seit<br />
dem Schritt in die Illegalität hat sich die radikal erfolgreich der staatlichen Kontrolle entzogen,<br />
hat verschiedene Angriffe überstanden und ist auch <strong>nach</strong> dem jetzigen Angriff weiter<br />
hergestellt worden.<br />
Als letztes ist da noch die Kriminalisierung der linksradikalen und linken Presse. Im Knast<br />
habe ich den Punkt mit der Pressefreiheit zu sehr bei meinen Überlegungen in den Vordergrund<br />
gestellt. Mittlerweile sehe ich diesen Angriff auf die Pressefreiheit nicht mehr als<br />
den Hauptgrund. Ich denke, daß die bürgerliche Presse nicht in die Situation kommen<br />
wird, mit einem Vereinigungsparagraphen kriminalisiert zu werden, dazu ist sie zu systemkonform.<br />
Bis auf einige Ausnahmen setzt die Schere im Kopf die Maßstäbe.<br />
Aber ich denke, daß es schon ein Mittel ist, sich, genauso wie bei der Organisierung, für<br />
die linksradikale Presse bestimmte Instrumentarien zu schaffen, um damit zukünftig arbeiten<br />
zu können. Das absolute Novum an diesem Verfahren ist ja, daß die BAW sagt, daß<br />
eine Zeitungsredaktion eine kriminelle Vereinigung sein soll. Wenn sie mit diesem Konstrukt<br />
durchkommen, kann damit letztendlich jede linke und linksradikale Zeitung relativ<br />
problemlos kriminalisiert werden.[…]<br />
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