Nr. 7 / 2011 - September - Ev. Grunewald-Gemeinde
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Worte Es scheint kein Problem<br />
zu sein, miteinander zu reden.<br />
Gottfried Benn schrieb einmal:<br />
»Kommt, reden wir zusammen, wer<br />
redet, ist nicht tot.«<br />
Kann man miteinander reden? Kann<br />
man so miteinander reden, dass man<br />
einander auch versteht, und was heißt<br />
das eigentlich: »Verstehen«?<br />
»Gewöhnlich glaubt der Mensch,<br />
wenn er nur Worte hört, es müsse sich<br />
dabei doch auch was denken lassen.«<br />
(vgl. Goethe-HA Bd. 3, S. 83)<br />
Und wie oft haben wir erlebt, dass<br />
genau dies eine Täuschung ist, dass<br />
oft Worte gesagt werden, bei denen<br />
sich nun überhaupt nichts denken<br />
lässt oder auch solche, bei denen es<br />
darauf ankommt, dass etwas ganz<br />
anderes dabei gedacht wird als das,<br />
nach dem es sich anhört; Worte, die<br />
freundlich daher kommen, die aber<br />
innerlich voller Gift sind, Worte, die<br />
Lügen sind in ihrem Anspruch und<br />
leer in ihrer Bedeutung. So geht das<br />
– privat, öffentlich, gesellschaftlich<br />
– es ist ein Spiel mit Träumen, Hoffnungen,<br />
Wünschen, mit Vorurteilen<br />
und Ängsten, mit ererbten Zweifeln,<br />
mit Zynismen, mit Spitzen und Spitzfindigkeiten,<br />
Scherz und Ironie und<br />
manchmal tieferer Bedeutung...<br />
Noch einmal Faust, nein, es ist Mephisto,<br />
auf jeden Fall aber Goethe:<br />
»Mit Worten lässt sich trefflich<br />
streiten,<br />
Mit Worten ein System bereiten,<br />
An Worte lässt sich trefflich<br />
glauben,<br />
Von einem Wort lässt sich kein<br />
Jota rauben.« (vgl. Goethe-HA Bd. 3,<br />
S. 65)<br />
Soviel zu den Worten, die wir<br />
hören, zu denen, die wir sagen, zu<br />
denen, die uns den Schlaf rauben und<br />
zu denen, die uns trösten. Alles nur<br />
Schall, alles nur Rauch?<br />
Beten Beten – für die einen ist es<br />
eine Narrheit, für die anderen<br />
eine Selbstverständlichkeit...<br />
Manche würden es nie in der Öffentlichkeit<br />
tun, andere nur. Manche<br />
Titel<br />
Mit Gott reden<br />
Von Hartwig Grubel<br />
können keine vorgeprägten Texte<br />
ertragen, andere keine freien.<br />
Aber eigentlich ist all das nicht<br />
wichtig. Beten, sagen wir, ist ein Reden<br />
mit Gott. Ein sehr einseitiges Reden.<br />
Der Mensch ist es, der redet, aber<br />
er hört nichts. Der Betende setzt sich<br />
der Einsamkeit aus, der Einsamkeit in<br />
der er mit den Worten allein ist.<br />
Er sagt, was er gelernt oder nur<br />
gehört hat, er wird immer hilfloser,<br />
denn er spürt, dass die Worte ihn<br />
nicht mehr schützen, er kann sich<br />
nicht verstecken hinter seinen Sätzen,<br />
er kann nichts beschönigen. Und<br />
selbst, wenn er es wollte – er weiß.<br />
Das ist das erste Erlebnis, das durch<br />
die Ernsthaftigkeit des Betens ausgelöst<br />
wird – die Erkenntnis, dass nichts<br />
mehr gilt und jeder in den neuen<br />
Kleidern des Kaisers dasteht.<br />
Vielleicht ist das ja der Grund, den<br />
Jesus hatte, als er die Jünger ermahnte,<br />
sie sollten nicht in der Öffentlichkeit<br />
beten, sondern in ihrem Zimmer<br />
und das auch noch abschließen. Jede<br />
Öffentlichkeit, und sei es auch die<br />
eines einzigen Menschen, verleitet<br />
uns zur Pose, und die zerstört das<br />
Gebet.<br />
Mit Gott sprechen Mit Gott zu<br />
sprechen ist eine Lebensfunktion,<br />
das Gebet eine Selbstverständlichkeit.<br />
Niemand wird für die Situationen,<br />
in die ein Mensch kommen kann,<br />
eine probate Antwort bereit halten.<br />
Im Hiobbuch, im Alten Testament,<br />
wird uns ein Mensch gezeigt, der<br />
auf den Höhen des Lebens wandelte<br />
und in die Tiefe gerissen wurde, der<br />
alles, was ihm etwas bedeutete, verlor<br />
und in seinem Elend zwar nicht ohne<br />
Freunde war, aber doch auch verlacht<br />
und gedemütigt wurde.<br />
Und wenn er betete, dann sagte<br />
er alles, was ihm gegen Gott einfiel.<br />
Er flehte nicht, er klagte an, er hatte<br />
keine Ehrfurcht mehr. Er war noch<br />
fromm, aber mehr aus Resignation.<br />
Die Antwort Gottes zeigt ihm den<br />
weltenweiten Raum, der zwischen<br />
Gott und Mensch liegt. Es ist nur ein<br />
Buch ...<br />
Das Buch nimmt, wie wir wissen,<br />
ein gutes Ende. Das Leben hat, wie<br />
wir ebenfalls wissen, keineswegs<br />
immer ein gutes Ende. Oft genug<br />
überhaupt nicht.<br />
Trotzdem: die Antwort Gottes auf<br />
unser Gebet ist für jeden anders. Aber<br />
immer findet sie im Leben statt, sie<br />
findet sich als Ermutigung, als Heiterkeit,<br />
als Gelassenheit...<br />
Sie findet sich in Vielem, von dem<br />
der Schreiber dieser Zeilen nicht<br />
einmal weiß, dass es möglich und<br />
wirklich ist. Und Vieles ist unserem<br />
Verständnis, auch dem frommen, unzugänglich.<br />
Doch, »wer redet«, wer<br />
mit Gott redet, »ist nicht tot«.<br />
Wer mit Gott zu reden versucht,<br />
wird erst einmal in die Sprachlosigkeit<br />
geführt, und wenn er die<br />
Worte wiederfindet, sind es andere<br />
als zuvor, es sind Worte, die einen<br />
Schrecken mit sich tragen und auch<br />
den Trost, es sind die Worte jenseits<br />
der Lügen. Die Antwort Gottes auf<br />
unser Gebet findet sich vor allem in<br />
dem Trost, den ein Mensch in seinem<br />
Leben erfährt; die Antwort ist die<br />
Kraft Gottes, die in den Schwachen<br />
mächtig wird (2. Kor. 12,9).<br />
Dr. Hartwig Grubel ist Pfarrer im<br />
Ruhestand und ehrenamtlich in Alt-<br />
Schmargendorf tätig<br />
<strong>September</strong> <strong>2011</strong> 9