Sechsämtermagazin Dezember 2019
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Ägypten präsentiert sich selbst als einen<br />
modernen, säkularen Staat, der die<br />
Freiheit der Religionsausübung schützt,<br />
aber wir hören von Behauptungen, dass<br />
der Staatssicherheitsdienst stark an der<br />
Religionswahl einer Person beteiligt ist.<br />
Am heikelsten von allem ist es, wenn ein<br />
Muslim zum Christentum konvertieren<br />
möchte.<br />
Wir haben unseren Aufpasser der Regierung<br />
für den Nachmittag abgeschüttelt,<br />
und auch wenn wir nicht ohne ihn offen in<br />
den Strassen filmen dürfen, so sind wir<br />
nun in der Lage, eine der einzigen<br />
Gruppen, denen es erlaubt ist, im Bereich<br />
der Menschenrechte hier in Ägypten zu<br />
agieren, zu sehen.<br />
Gasser Abdel-Razak schrieb den Human<br />
Rights Watch-Bericht:<br />
„Wenn ich ein Muslim bin und konvertiere<br />
zum Christentum, was passiert mit mir?“<br />
„Du bekommst keinen Personalausweis.<br />
Diese Tatsache wird vom Staat nicht<br />
anerkannt“.<br />
„Wenn Du nicht sagen kannst, wer Du<br />
bist, welche Religion in Deinem Personalausweis<br />
eingetragen ist, was bedeutet<br />
das wirklich für mich“?<br />
„Wenn Du keinen Personalausweis bekommen<br />
kannst, was in den vergangenen<br />
3-4 Jahren der Fall war, kannst Du<br />
nichts machen. Du kannst keine<br />
Ausbildung machen, Du kannst keinen<br />
Führerschein machen. Du kannst keinen<br />
Reisepass bekommen. Ich meine damit,<br />
Dein Personalausweis gibt Auskunft über<br />
jeden Aspekt Deines täglichen Lebens in<br />
Ägypten“.<br />
Eine christliche Gruppe behauptet, allein<br />
in diesem Jahr wurden 22 Ägypter,<br />
nachdem sie wegen des Versuchs, vom<br />
Islam zum Christentum zu konvertieren,<br />
Monate im Gefängnis verbracht haben,<br />
freigelassen, ohne dass eine Anklage<br />
gegen sie vorlag. Die Regierung bezeichnet<br />
diese Behauptungen als schlichtweg<br />
falsch. Konvertiten vom Islam behaupten,<br />
dass sie den Tod riskieren.<br />
Nach vielen gescheiterten Versuchen<br />
treffen wir endlich einen Konvertiten, der<br />
zu einem Gespräch bereit ist. Wir wollen<br />
sie Christine nennen. Christine erzählte<br />
mir, dass sie vor sieben Jahren aus<br />
persönlicher Überzeugung vom Islam<br />
zum Christentum konvertierte. Sie war<br />
mit einer ihrer zwei Töchter hierher<br />
gekommen.<br />
„Was könnte nun mit Ihnen geschehen,<br />
da Sie eine Christin sind? In welcher<br />
Gefahr befinden Sie sich?“<br />
Sie erzählte mir, dass ihr vor der Geheimpolizei<br />
graut. Ihr ist gesagt worden,<br />
dass sie befürchten kann, vom Sicherheitsdienst<br />
festgenommen werden zu<br />
können, und was sie tun würden, ist, eine<br />
erfundene Anklage wegen Prostitution<br />
gegen sie zu erheben und sie für viele<br />
Jahre ins Gefängnis zu stecken. Sie<br />
kennt Christen, die behaupten, dass<br />
ihnen Folter und Vergewaltigung<br />
angedroht worden sind. Ihr Freund, der<br />
ein Christ war, wurde regelmäßig vom<br />
N a t i o n a l e n S i c h e r h e i t s - u n d<br />
Geheimdienst, eine sehr mächtige<br />
Organisation hier in Ägypten, festgenommen.<br />
Sie wurde gewarnt, aufzuhören,<br />
eine Christin zu sein und zum Islam<br />
zurück-zukehren, denn sie sagten zu ihr:<br />
“Wir können dir deine Zähne einen nach<br />
dem anderen ziehen und wir können dir<br />
deine Fingernägel herausziehen. Und<br />
deine drei Töchter werden keine<br />
Jungfrauen bleiben, wenn du nicht zum<br />
Islam zurückkehrst“. Während sie<br />
sprach, traten Tränen in Christines<br />
Augen.<br />
„Sie sind auf der Straße angepöbelt<br />
worden, sie sind angespuckt worden, an<br />
ihnen sind Zigaretten ausgedrückt<br />
worden“. Ihre junge Tochter, die elf Jahre<br />
alt ist, wurde vom Lehrer geschlagen und<br />
er sagte, dass sie einen Schleier zu<br />
tragen hat; und sie wurde zur Moschee<br />
gebracht, um zu beten, obwohl sie nichts<br />
über den islamischen Glauben weiß. Sie<br />
sagt, dass sie nur ein schreckliches und<br />
krankes Leben lebt, und alles, was sie<br />
sich wünscht, ist, in Freiheit zu leben.<br />
Ägyptens Regierung sagt, dass alle<br />
Bürger die Freiheit haben, ihre Religion<br />
auszuüben und zu wechseln. Sie sagt,<br />
dass Verhaftungen in der Regel mit<br />
Fällen von Fälschungen amtlicher<br />
Dokumente ver-bunden waren. Sie sagt,<br />
Kopten sind ernannt worden, öffentliche<br />
Spitzenpositionen zu beklei-den, und<br />
religiösen Institutionen ist es erlaubt, ihre<br />
eigenen Zeitschriften zu veröffentlichen.<br />
Sie sagt, Ägyptens Ver-fassung und<br />
Gesetze verbieten jegliche Diskriminierung<br />
in jeder Hinsicht ein-schließlich<br />
der Religion.<br />
Für die Zabaleen ist der religiöse<br />
Widerstand ebenso Teil ihres Lebens wie<br />
das Müll-Recycling. Ich ging mit Pater<br />
Peter zu einem anderen geistlichen<br />
Hauskreis. Das Haus befindet sich mitten<br />
im Elendsviertel. Der Gestank des<br />
Zufluchtsortes steigt ins Treppenhaus<br />
auf. Im Inneren finden wir eine große<br />
Versammlung. Raafat Fathy erzählte mir,<br />
dies sei seine Großfamilie, alle sind<br />
Christen. Dies ist eine recht gute Familie<br />
mit Lehrern, Regierungs- und Kirchenangestellten,<br />
und sie sind nicht direkt im<br />
Zabaleen-Betrieb beschäftigt. Sie sortieren<br />
keinen Müll. Raafat sagte, er sei ein<br />
wohlhabender Ladenbesitzer, der aus<br />
freiem Willen in das Ghetto kam. Als er<br />
hierher zog, war der Müll ein echtes<br />
Problem. Er sagte uns, dass er wegen<br />
des Geruchs und des Gestanks des Mülls<br />
kaum überleben konnte. „Aber dann<br />
dachte ich, dass ich mit anderen Christen<br />
zusammen bin, und es ist wegen des<br />
Glaubens und des Christentums, dass<br />
ich hier bin, und auch wenn meine Kinder<br />
an Erkrankungen wegen des Mülls<br />
leiden, ich wünsche, dass sie hier mit<br />
anderen Christen leben“.<br />
„War es so schlimm außerhalb? Mussten<br />
Sie in das Müllgebiet ziehen. in das<br />
Zabaleen-Gebiet“?<br />
Er sagt, das Wichtigste ist, dass seine<br />
Kinder in einer christlichen Umgebung<br />
aufwachsen: “Ja natürlich, es ist viel<br />
besser, an einem Ort mit Müll zu sein, wo<br />
aber Jesus ist, als an einem Ort, wo alle<br />
Muslime sind, und auch wenn es<br />
vielleicht sauber ist, in einem<br />
muslimischen Gebiet läuft meine Familie<br />
Gefahr, bedroht und beschimpft zu<br />
werden“.<br />
Die heutige Versammlung findet aus<br />
Anlass eines alten koptischen Rituals<br />
statt. Es handelt sich um die Haussegnung<br />
des Sohnes Raafats, ein sieben<br />
Tage alter Junge namens Mina.<br />
Diese sind einige der vielen Kopten, die<br />
nicht im Recycling arbeiten, aber die vom<br />
Druck erzählen, dem gar wohlhabende<br />
Christen ausgesetzt sind, und die unter<br />
Missachtung von Schmutz und Krankheit<br />
das Zabaleen-Ghetto als einen Zufluchtsort<br />
vor Diskriminierung betrachten.