Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
K ULTUR<br />
Aufregung als Respekt gegenüber dem Publikum<br />
Slam-Poetin und Schauspielerin für Groß und Klein: Roswitha Matt im RS-Porträt<br />
Sie hat in so manchem Kostüm<br />
schon begeistert – und schafft<br />
es auch mit ihrer Slam-Poesie<br />
ganz ohne Hilfsmittel: Roswitha<br />
Matt. Mit der RUNDSCHAU<br />
plauderte die wandelbare Imsterin<br />
über ihr Leben, die Liebe zur<br />
Sprache wie auch über Reisen<br />
und Heimkommen.<br />
Von Manuel Matt<br />
Bis heute steht es noch, das Hotel<br />
Eggerbräu in der Imster Schustergasse,<br />
und es würde auch dieser Tage in Gastfreundschaft<br />
offen stehen, wären die<br />
Zeiten von gewöhnlicherer Natur. 1930<br />
wechselte es den Besitzer, wurde dann<br />
verpachtet und wird nun seit 1950 als<br />
Familienbetrieb geführt.<br />
WERT DES WERTFREIEN BE-<br />
OBACHTENS. Der Mann, der das<br />
Haus einst, noch etliche Jahre vor ihrer<br />
Geburt gekauft hatte, sei ihr Großvater<br />
gewesen, erzählt Roswitha Matt, geboren<br />
1957. Die Kinder des Arzler Handelsfachmann<br />
hätten damals allesamt<br />
mit angepackt – und dann waren es<br />
schließlich ihre Eltern und zwei Tanten,<br />
die das Werk des Großvaters weiterführten.<br />
„Der Vater war meistens in<br />
der Küche – und die Mutter, die war<br />
eigentlich immer überall“, erinnert sich<br />
Matt mit leisem Schmunzeln. Wohl<br />
weniger amüsant: Die von viel Arbeit<br />
geprägten Ferien auf Kinderseite. Dafür<br />
sei die Erziehung – auch aufgrund des<br />
stets von der Gastwirtschaft bestimmten,<br />
hektischen Alltags der Eltern –<br />
eher liberalerer Natur als damals üblich<br />
gewesen. „Überhaupt bin ich sehr<br />
frei aufgewachsen“, erzählt die heute<br />
63-Jährige. Einen weiteren Vorteil hatte<br />
das Aufwachsen als Kind von Wirtsleuten<br />
überdies: Die Möglichkeit für stille<br />
Studien über menschliches Verhalten.<br />
„Das wertfreie Beobachten habe ich<br />
geliebt“, sagt Matt – und Gelegenheiten<br />
dürfte es genug gegeben haben, war das<br />
Eggerbräu doch Treffpunkt schlechthin,<br />
zudem eine der ersten Discos in<br />
heimischen Gefilden und nicht zuletzt<br />
lange Zeit so ziemlich das einzige<br />
Nachtlokal zwischen Sankt Anton und<br />
Innsbruck. „Du siehst, wie sich Menschen<br />
kennenlernen, du siehst und<br />
hörst, wie sie sich streiten, wie es wieder<br />
auseinandergeht. Das beeinflusst natürlich.<br />
Weil man das Erlebte irgendwie als<br />
Maßstab nimmt – und wer nichts erlebt<br />
hat, hat auch keinen Maßstab.“<br />
Roswitha Matt: Geschätztes Ensemblemitglied beim Imster Theaterforum Humiste, gefeierte Kindertheater-Darstellerin und seit<br />
vergangenem Jahr amtierende Tiroler Meisterin im Poetry Slam<br />
RS-Fotos: Archiv<br />
EIN GEWISSES FLÜCHTEN.<br />
Ein Kind, eigentlich wie geschaffen<br />
dafür, selbst einmal Wirtin zu werden.<br />
So haben wohl zumindest die Eltern<br />
von Roswitha Matt gedacht, als sie<br />
ihre 14-jährige Tochter die Hotelfachschule<br />
Villa Blanka in Innsbruck absolvieren<br />
ließen. Dass das nicht ganz<br />
aus freiwilligen Stücken passiert sein<br />
dürfte, legt die nächste Station nach<br />
dem Abschluss nahe: Au-Pair, zuerst<br />
in Frankreich, dann in England. „Ich<br />
bin so schon ein bisschen geflüchtet“,<br />
verrät Matt – mit der unschuldigen<br />
Begründung, dass das Beherrschen<br />
von Fremdsprachen sich ganz gut in<br />
einem Hotelbetrieb machen würde.<br />
„Da bin ich dann aber so richtig auf<br />
den Geschmack des Reisens gekommen“,<br />
lacht die Frau, die aber nie Touristin<br />
sein wollte: „Weil ich an Land<br />
und Leuten interessiert bin und nicht<br />
daran, bedient zu werden.“ Wertfreies<br />
Beobachten also, ganz wie zuhause.<br />
SESSHAFTWERDEN. Als Reiseleiterin<br />
lernte Matt anschließend die<br />
Welt kennen – und war stets fasziniert<br />
von der Sprache und ihrem verbindenden<br />
Charakter. „Sie ist Bindemittel.<br />
Für zwischenmenschliche Augenhöhe<br />
braucht es dieselbe Sprache“,<br />
formuliert sie. Irgendwann jedoch<br />
habe die Entfremdung gedroht, kenne<br />
ein Leben aus dem Koffer zwar überall<br />
Freunde, nirgends aber ein Zuhause.<br />
„Zumindest war’s bei mir so“, sagt<br />
Matt, die mit 24 dann wieder in Imst<br />
sesshaft wurde, eine Familie gründete<br />
und den elterlichen Betrieb übernahm.<br />
Letzteres aber nur für kurze<br />
Zeit, ging die Aufgabe wenig später in<br />
gegenseitigem Einvernehmen auf den<br />
Bruder über.<br />
ROLLENTAUSCH. In erster Linie<br />
sei sie ja alleinerziehende Mutter von<br />
drei Kindern gewesen, erzählt Matt.<br />
Als der Nachwuchs größer wurde, orientierte<br />
sie sich beruflich neu – als Erwachsenenbildnerin.<br />
Einen Zugang für<br />
sich sah Matt aber ebenso für sich im<br />
Meringerhof in der Imster Oberstadt,<br />
wo als Theaterforum Humiste, unter<br />
der Ägide von Herbert Riha im Freien<br />
der Kunst der Dramatik gehuldigt wurde.<br />
„Wegen einem Bandscheibenvorfall<br />
wirkte ich zunächst als Statistin,<br />
später in kleineren Rollen, wie jener<br />
der Heiligen Geistin in ,Krach im Hause<br />
Gott‘“, erzählt die dreifache Mutter<br />
mit einem Enkelkind. Was folgte, waren<br />
viele weitere, freilich größere Rollen<br />
und Engagement im Vorstand des<br />
Theaterforums und der Einzug in die<br />
Bühne Imst Mitte. „Das war ja damals<br />
innen fast ein Rohbau und hat viel an<br />
Arbeit in Eigenregie gebraucht“, sagt<br />
Matt, die auch das Mitwirken hinter<br />
den Kulissen schätzt: „Das ist immer<br />
lehrreich und ähnlich intensiv wie das<br />
Mitspielen. Man erlebt das Wachsen<br />
eines Stücks aus einer anderen Perspektive<br />
– und letztlich ist eine erfolgreiche<br />
Aufführung immer die Leistung aller<br />
Mitwirkenden.“<br />
PERPLEXE MEISTERIN. In der<br />
Bühne Imst Mitte spielten aber auch<br />
andere. 2015 als Gast beispielsweise<br />
der aus Nassereith stammende Markus<br />
Köhle, der dann auch ein Jahr später<br />
zu einem Poetry-Slam-Workshop in<br />
der Secondhand-Buchhandlung „Wiederlesen“<br />
einlud, besucht von Roswitha<br />
Matt: „Ich hatte damals eigentlich<br />
keine Ahnung von Poetry Slam, war<br />
aber neugierig.“ 2017 zelebrierte sie<br />
die moderne Form der poetischen<br />
Darbringung erstmals selbst im „Wiederlesen“<br />
– der Beginn einer Laufbahn,<br />
die zuletzt 2019 im Erringen<br />
des Tiroler Meistertitels gipfelte. „Da<br />
war ich schon ziemlich perplex, vor<br />
einem Publikum von 250 Menschen“,<br />
lacht die Slam-Meisterin, die seitdem<br />
überallhin eingeladen wird, aber nicht<br />
jede Einladung annimmt. „Ich tu’s irrsinnig<br />
gerne, es ist aber eine Zeitfrage“,<br />
gesteht Matt, die bis heute gebunden<br />
ist – der 93-jährigen Mutter wegen, die<br />
zum Verreisen ermutigt, „dann aber<br />
doch Angst um mich hat“.<br />
FÜR DIE KLEINEN. Zurück zum<br />
klassischen Bühnenspiel: Dessen Wetterlagen<br />
sind ja naturgemäß mal heiterer,<br />
mal tragischer. „Mir liegt da generell<br />
eher der Humor, den ich selbst<br />
in ernsteren Rollen miteinzufließen<br />
lasse versuche. Weil mir Humor auch<br />
im Alltag wichtig ist. Er bringt Leichtigkeit<br />
ins Leben“, erzählt die Schauspielerin,<br />
die selbst das kritischste Publikum<br />
der Welt nicht scheut, nämlich<br />
Kinder. Seit Jahren sind die von ihr<br />
und Anneliese Krabacher gezeigten,<br />
kindgerechten Stücke eine echte Institution<br />
in der Stadt, Teil der Sommerfußgängerzone<br />
und ein Fixpunkt im<br />
Advent. „Es geht darum, einen Draht<br />
zu den Kindern zu finden, ihnen etwas<br />
mitzugeben ohne pädagogischen<br />
Zeigefinger. Am allerwichtigsten ist<br />
aber, dass die Kinder von selbst zu den<br />
Aufführungen kommen wollen – und<br />
die Begleiter sollen auch etwas davon<br />
haben“, sagt Matt, die auch nach vielen<br />
Jahren des Auftretens noch immer<br />
hinter dem Vorhang die Aufregung in<br />
der Magengrube spürt. Das sei auch<br />
gut so, lacht sie: „Aufregung ist Respekt<br />
vor dem Publikum!“<br />
RUNDSCHAU Seite 38 4./5. November 2020