ST:A:R_16
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
26 <strong>ST</strong>/A/R<br />
Buch IV - Kunst<br />
Nr. <strong>16</strong>/2007<br />
ROUTE DE LA MORT<br />
Interview mit Wittigo Keller, Kurator der Ausstellung Exitus-Tod alltäglich<br />
Thomas Redl: Wie ist die Ausstellung „Exitus - Tod alltäglich“<br />
konzipiert?<br />
Wittigo Keller: Generell muss man sich Gedanken machen,<br />
wie es zu dem Thema und dem Ansatz der Ausstellung gekommen<br />
ist. Das war die erste Stufe der Problematik: Wie zeigen<br />
wir ein solches Thema und wo zeigen wir es. Wir wissen,<br />
dass heuer 2007 die Bestattung Wien 100-jähriges Bestehen<br />
feiert. Das war der erste Ansatzpunkt. Wir wissen, dass heuer<br />
in den Geschäften, wo immer man hinblickt, der Totenkopf<br />
von Pullovern, Hauben, Schals, Gürtelschnallen, Turnschuhen,<br />
Taschen etc. auf uns einwirkt, dass es Kinderserien diesbezüglich<br />
von Dior bis Lagerfeld gibt. Und wir wissen, dass<br />
das Künstlerhaus innovative Thematiken neu aufbereitet sehr<br />
schätzt. Das waren drei Elemente, die zusammen kamen und<br />
es entstand ein Kooperationsprojekt zwischen Künstlerhaus<br />
und Bestattung und so wurde die Möglichkeit geschaffen<br />
dieses Thema hier im Haus an die Öffentlichkeit zu bringen.<br />
Vom Konzept her haben sich verschiedene Ansatzpunkte<br />
ergeben: Zum einen ist das Haus von der Architektur Grundriss<br />
mäßig symmetrisch angelegt und genau diese Symmetrie<br />
wurde bewusst als Gestaltungsebene eingesetzt. Wir haben<br />
die drei Elemente des Ritualdesigns - Symmetrie, Frontalität<br />
und Erhabenheit - ganz bewusst durchgezogen. Symmetrie<br />
wie wir sie von Kultbauten wie Friedhöfen, Kirchen, Schlössern<br />
und dergleichen kennen: die Räume teilweise diagonal<br />
gestaltet und wir haben von jeder Öffnung, von jeder Raumfüllung<br />
in den anderen Raum, die Möglichkeit ein ganz<br />
prägnantes Objekt erkennen zu können. Wir haben vor allem<br />
den großen Raum in einer exakten Diagonale gesetzt, wo wir<br />
dann im Zentrum ähnlich einem Altar unser Trauerzentrum<br />
errichtet haben, wo es möglich ist über Akustik die Themen<br />
von Trauer in Form von Melodien, in Form von Trauertexten<br />
und Gedichten auf sich einwirken zu lassen. Wir haben versucht,<br />
diese Frontalität des Zuganges zu schaffen, damit ein<br />
Dialog zwischen dem Ausstellungsexponat und dem Besucher<br />
entstehen kann.<br />
Vom inhaltlich Thematischen her, war es notwendig verschiedene<br />
Ebenen und Themenbereiche zusammen zu bringen,<br />
zu komponieren. Und so haben wir das Bestattungsservice<br />
- jene Institution, die vielleicht am Intensivsten tagtäglich sich<br />
mit diesem Thema auseinandersetzt -, die Kulturgeschichte,<br />
die Kunst, die historische genauso wie die zeitgenössische,<br />
und die Alltagskultur zusammengebracht und Raum übergreifend<br />
präsentiert. Wir sind vollkommen von einer Raumthematik,<br />
Raumbeschriftungen weggegangen und haben das<br />
so genannte Raumprinzip des Insularen eingesetzt, wo wir<br />
über die Farbe Rosa gewisse Flächen setzen, die sich durch<br />
die ganze Ausstellung ziehen, nicht nur am Boden begehbar,<br />
sondern auch erhaben in den einzelnen Vitrinen, die die<br />
Vielfältigkeit der verschiedenen Themen in einem Raum wie<br />
eine Perlenkette aneinander reiht und uns eine Chronologie<br />
einer zeitlichen Abfolge, einer Reise, einer Route de la morte<br />
ermöglicht.<br />
T.R.: Auffällig an der Ausstellung ist, dass es eine Parallelität<br />
zwischen sehr zeitgenössischen Arbeiten und alltagsrituellen<br />
Bildern und Gegenständen bezogen auf den Tod gibt. Das ist<br />
eine neue Zusammenstellung.<br />
W.K.: Es ist zumindest eine relativ ungewohnte Möglichkeit<br />
des Betrachtens wie es normalerweise in einer Ausstellung<br />
noch nie gemacht worden ist, weil es eine gewisse Schwierigkeit<br />
im Sinne des Präsentativen bedeutet. Man muss dem Betrachter<br />
die Möglichkeit eines Zuganges geben, er muss eine<br />
Art Leiter, einen Anhaltspunkt finden und das ist über das<br />
thematische Konzept des Strukturellen, dieses insulären Prinzips<br />
gemacht worden. Das ist genau dass Spannende: denn<br />
die Alltäglichkeit des Todes, die wir dauernd erleben - in der<br />
heutigen Zeit ist das Motiv und die Gefahr des Todes größer<br />
denn je: zu falschen Zeit am falschen Ort zur falschen Stelle,<br />
und schon hat es uns erwischt - ist unwahrscheinlich und<br />
befremdlich geworden und gleichzeitig permanent präsent.<br />
Dies thematisiert z. B. die junge polnische Künstlerin Anna<br />
Konik in ihrer Installation: Es befindet sich ein drehender<br />
Disko-Schädel „Disco Relaxation“ in einem Achteckraum mit<br />
tausenden leicht in der Fläche sich ändernden facettierten<br />
Spiegeln, die ihre Reflexionen an die Wand werfen in zwei<br />
verschiedenen Richtungen gegeneinander. Die Dimension<br />
des konkreten Todes, wie er aufblitzt in einer spaßigen Unterhaltungskultur,<br />
um gleich wieder weg zu sein, weil wir<br />
ihn nach hinten drängen wie in einem Screen, beginnt dort<br />
zu wirken und gleichzeitig erfolgt damit die Auflösung der<br />
konkreten Welt. Das ist eine spannende Geschichte, die wir<br />
immer wieder in einzelnen Elementen zeigen, indem wir<br />
vielleicht auch ganz leicht provokante Ebenen und Bereiche<br />
zusammenstellen, damit dieser Reibungseffekt passiert.<br />
Lucinda Devlin mit ihren gewaltigen Fotografien der Todeskammern<br />
und Hinrichtungszellen wurden mit der Anatomie,<br />
dem Inneren des Körpers und der psycho- und medizintherapeutischen<br />
Auseinandersetzung kombiniert, genauso wie mit<br />
Särgen, die im Bereich der Kunst und weniger im Sinne der<br />
Funktion operieren, um gleich daneben den Leichenschmaus<br />
zu präsentieren, eines der gewaltigsten Momente im Sinne<br />
der psychischen Kompensation nach einem Begräbnis, um<br />
diesen Erstschockszustand zu überwinden, um mit dieser<br />
Übersteigerung des Theatralischen wieder einen kleinen Zugang<br />
zur profanen Welt geben zu können.<br />
T.R.: Wien und der Tod hat ja eine bestimmte Verwandtschaft.<br />
Der Zentralfriedhof, dieses leicht Morbide ist auch<br />
eine Tradition in dieser Stadt.<br />
W.K.: Ich bin ganz glücklich, dass diese Tradition „Wien und<br />
der Tod“ heißt und nicht „der Wiener und der Tod“, wobei<br />
„Der Tod muss a Wiener sein“ ist, glaube ich, mittlerweile<br />
schon urheberrechtlich geschützt. Wenn wir die ganzen<br />
Nicht-Wiener Künstler durch die Epochen hindurch, egal ob<br />
Maler, Schriftsteller, Bildhauer oder Musiker, betrachten,<br />
fällt auf, wer länger in dieser Stadt gearbeitet hat, bei dem<br />
tritt automatisch die Thematik des Todes sehr massiv in der<br />
Arbeit auf, da muss die Stadt dieses Flair oder diesen Ansatzpunkt<br />
haben. Mir selbst ist dies passiert, ich komme aus dem<br />
Westen von Österreich an der Schweizer Grenze, bin zum<br />
Studieren nach Wien gekommen und war nach einem dreiviertel<br />
Jahr kannte ich jeden Friedhof und beschäftigte mich<br />
mit der Thematik. Das ist eine spannende Geschichte und<br />
nicht umsonst hat sich hier in Wien eine der grandiosesten<br />
Funeralkulturen entwickelt, die z.B. 1867 begonnen hat, als<br />
die erste private Bestattungsanstalt gegründet wurde, die die<br />
Idee, die Vision hatte, den Bürger und seinen Letztabgang bis<br />
zur Perfektion zu inszenieren. Der schöne Name war: ORTA<br />
PRIE<strong>ST</strong>L POMP FUNEBRE. Man kann sich fragen: Warum<br />
das hochnäsige Französische in Wien?<br />
Das ist ganz einfach, weil sch die bessere Gesellschaft vom<br />
Proletariat unterscheiden wollte und genauso wie der Adel<br />
in der Freizeit Französisch sprach. Daher kommt der gemütliche<br />
Terminus „Pompfüneberer“, jene Symbolfigur des<br />
Uniformierten mit der klassischen Zweispitz-Kopfbedeckung<br />
als Prototyp der „schenen Leich“ schlechthin. Diese schene<br />
Leich war für einen gehobenen Mittelstand einerseits vom<br />
ideologischen Level andererseits von der Intensität des Geldtascherls<br />
eine Möglichkeit, sich in der Ewigkeit zu manifestieren.<br />
Diese schöne Leich als letztes Event und ein besonderes<br />
Denkmal auf dem Zentralfriedhof in der Nähe der Ehrengräber<br />
waren Highlights, für die es sich gelohnt hat zu leben.<br />
T.R.: Ich weiß nicht, ob es ein Novum ist oder ob es so etwas<br />
Wittigo: Sitzsarg, Hommage an René Magritte, 2001,<br />
Installation © Wittigo<br />
in anderen Städten auch gibt, in Wien gibt es das Bestattungsmuseum,<br />
wo die Tradition des Bestattens musealisiert wurde.<br />
W.K.: In diesem Zusammenhang hat in Wien natürlich ein<br />
Museum gefehlt. Interessant ist, dass es das weltweit erste<br />
über Totenkult und Bestattungswesen überhaupt war, 1967<br />
an die Öffentlichkeit gegangen. Der Initialpunkt des Ganzen<br />
war die Situation, dass diese frühen Bestattungsanstalten konzessionsfreie<br />
Gewerbe waren, d.h. jeder Wiener ohne Ausbildung,<br />
ohne Befähigungsnachweis konnte damals Bestatter<br />
werden und ganz im Sinne der vielleicht etwas lakonischen<br />
Aussage „Sterben tut jeder. Für Kunden ist gesorgt“ wundert<br />
es uns nicht, dass innerhalb von nur fünf Jahren 87 Privatbestattungen<br />
in Wien tätig waren, mit der unangenehmen<br />
Nebenerscheinung eines aggressivsten Konkurrenzkampfes.<br />
Da dies sehr unseriös ausgeartet ist, hat der damals waltende<br />
Bürgermeister Karl Lueger 1907 entschieden, dass dem<br />
ein Ende gesetzt werden muss und der Gemeinde Wien die<br />
alleinige Zuerkennung der Genehmigung für Begräbnisse<br />
gegeben wurde. Die Problematik damals war, dass diese 87<br />
bestehenden Bestattungsunternehmen zurück übernommen<br />
werden mussten, sie wurden käuflich zurück erworben und<br />
es dauerte Jahrzehnte, bis die letzte 1951 in die Gemeinde<br />
übergegangen ist. Ab dann war die Bestattung ein allein tätiges,<br />
Monopol orientiertes Unternehmen mit einer Frequenz<br />
von etwa 22.000 Begräbnissen pro Jahr. Das hat sich wieder<br />
im Jahr 2002 durch neue Regelungen abrupt geändert, wo<br />
liberalisiert wurde und wodurch wir heute wieder die privaten<br />
Bestattungen haben.<br />
In diesem Spannungsfeld entstand das Bestattungsmuseum,<br />
weil ganz am Anfang durch die Übernahme der Privaten auch<br />
das Inventar mitgenommen wurde und den Mitarbeitern<br />
der Bestattung einfach eine Sammlung vor Augen geführt<br />
werden sollte, um einen kleinen Einblick in die Geschichte<br />
zu geben. Klarerweise ist das Interesse der Öffentlichkeit<br />
erwacht, darum wurde dieser Teil des Bestattungsunternehmens<br />
1967 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.<br />
20 Jahre später habe ich das Museum in einer vollkommen<br />
neuen Art konzipiert und präsentiert. Wir führen auch dort<br />
keine chronologische Zeitgeschichte vor Augen, sondern in<br />
Form von Überblicksthemen schaffen wir rituelle Ecken und<br />
Installationen, damit wird nicht nur die Thematik des Todes<br />
und Totenkultes im Sinne einer intellektuellen Sichtweise<br />
der Betrachtung vermittelt, sondern kann sehr stark über<br />
das mentale Element von Seiten des Betrachters aufgenommen<br />
werden. Es entsteht auch hier der Dialog zwischen<br />
dem Artefact und dem Publikum. Das Spannende in diesem<br />
Museum ist, dass es derzeit nur mit Führung besichtigbar<br />
ist und in diesem Führungskonzept habe ich auch eine ganz<br />
neue Dimension des sogenannten Edutainments entwickelt,<br />
d.h. eine Mischung zwischen Education, Informationsträger,<br />
Ausbildung – wir sind mit sehr vielen Fachinstitutionen und<br />
Universitäten in laufender Verbindung - und des Entertainments,<br />
um den Tod leicht satirisch angehaucht dem Publikum<br />
näher zu bringen.<br />
„Pompfüneberer“<br />
und die „schöne Leich“, barocke Üppigkeit bis in den Tod<br />
und von Sparsamkeit geprägte Kuriositäten wie der<br />
„Klappsarg“ Kaiser Josephs II., der wieder verwendet werden<br />
konnte: Das Bestattungsmuseum der Bestattung Wien gibt<br />
mit rund 1.000 Ausstellungsstücken einen umfassenden<br />
Einblick in Bestattungswesen, Begräbnisrituale und das<br />
besondere Verhältnis der Wiener zum Tod.<br />
1040 Wien, Goldeggasse 19 · Tel. (01) 501 95-0 ·Tel. Anmeldung erforderlich<br />
www.bestattungwien.at