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ST:A:R_16

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Nr. 15/2007<br />

Buch I - Weltkulturerbe <strong>ST</strong>/A/R 3<br />

Nach dem Ausscheiden von <strong>ST</strong>/A/R-Mitbegründer Thomas Redl als Herausgeber stellen wir ihm<br />

!<br />

als unsere Anerkennung seiner tatkräftigen Mitwirkung auch in Zukunft die Seite 3 zu seiner frei-<br />

¡en Meinungs- und Gestaltungsäußerung zur Verfügung – lebenslänglich. Heidulf Gerngross<br />

Bildende Kunst, Wien und Apfelstrudel<br />

„Vincents verschenktes Ohr ist am Ziel.“<br />

Wiener Walzer, Stephansdom, Fiaker und Gründerstil - unser geliebtes historisches Wien.<br />

In Wien blüht der Tourismus und mit ihm die Klischees - die K & K Tradition, die Sissi Tradition, die Schönbrunn<br />

Tradition, die Mozart Tradition, die Johann Strauß Tradition, die Wien um die Jahrhundertwende<br />

Tradition ... - die Stadt ist eine vermarktbare Gesamtmuseums-Erlebniswelt.<br />

Diese Bilderwelten sind mediale Erfindungen, die erfunden wurden und laufend erfunden werden. Es stellt<br />

sich die Frage: Was ist mit der Gegenwart, was mit dem Jetzt? Wohin ist uns das Jetzt verloren gegangen?<br />

Und was ist in den letzten 40 Jahren passiert? Schläft Wien den Dornröschenschlaf, aus dem es endlich wach<br />

geküsst werden sollte?<br />

Betrachtet man das Feld der Architektur, so hat die Stadt die letzten 50 Jahre verschlafen. Es wurde größter<br />

Wert darauf gelegt, die historische Substanz hochglänzend zu polieren, doch es wurden kaum zeitgenössische<br />

Architekturprojekte an neuralgischen Punkten der Stadt gebaut. Wenn etwas realisiert wurde, wurde<br />

es mitunter so zusammengestutzt, dass nur mehr ein kraftloser Stumpf als Relikt übrig geblieben ist. Es ist<br />

bemerkenswert, dass „Weltarchitekten“ wie Coop Himmelb(l)au in den letzten 20 Jahren ihres Schaffens nur<br />

marginale Bauten in Wien realisierten, obwohl sie sonst international zentrale und städtebaulich wesentliche<br />

Projekte schufen. (1)<br />

Paul Celan<br />

Um in dem verstaubten und konservativen Humus dieser Stadt zu überleben und Luft zum Atmen zu bekommen,<br />

muss man als Kreativer, als Künstler, als Architekt eine radikale und fast autistische Position einnehmen.<br />

Nur so kann man hier überleben.<br />

Wolf Guenter Thiel beschreibt dieses Phänomen in seinem Essay „Ornamentlosigkeit als Zeichen geistiger<br />

Kraft“ und erläutert die beherrschenden Matrixsysteme der Stadt und die von Künstlern und Kreativen hierzu<br />

eingenommene Haltung anhand der aktuellen abstrakten Gegenpositionen in der Bildenden Kunst.<br />

In den Wiener Museen sitzen unsere Direktoren und verkaufen das traditionelle Bild der Stadt. Sie sind selbst<br />

ein Teil des Inventars und sie residieren und nehmen gönnerhaft mittlerweile die Position von „Museumsfürsten“<br />

ein. Sie sehen ihre Aufgabe in der des gnädigen Feudalherren mit angeschlossenem Hofstaat. Abgebildet<br />

auf den Covers von Lifestylemagazinen haben sie noch nicht wahrgenommen, dass sie selbst nicht der Anlass<br />

des Ganzen sein sollten, sondern die Kultur und die Künste. Bei Ausstellungen in diesen Häusern wird die<br />

Elite der Gesellschaft zu Vor-Vorführungen (Pre-Openings) geladen. Diese Audienzen werden den Führungsschichten<br />

aus Wirtschaft und Kultur und den dazugehörigen erfolgreichen Künstlern gewährt. Man ist unter<br />

sich und genießt die angenehme Klassenteilung. Dies alles ist das Gegenteil von Demokratisierung und hat<br />

nichts mit der offenen Gesellschaft zu tun, für die die Kunst immer wieder eingetreten ist.<br />

Es bedarf aber dieser Kunst, die nicht mit einem Auge opportunistisch sympathisierend auf die Potentaten<br />

der Kunstszene schielt, sondern - mit Theodor Adorno gesprochen - es schafft den Menschen ein befreiendes<br />

Primärerlebnis zu ermöglichen und die restaurative Reaktion in ihrer gesellschaftlichen Enge zu überwinden.<br />

(1) derzeit ist eine umfassende Schau von Coop Himmelb(l)au im MAK zu sehen.<br />

Thomas Redl, Dezember 2007<br />

Die Skulptur „Türkish Delight“ von Olav Metzel, temporär installtiert im öffentlichen Raum des Karlsplatz durch die Kunsthalle Wien (geplant war von Oktober bis April),<br />

war ein punktgenaues Statement zur aktuellen gesellschaftlichen Problematik. Das Werk ist zweimal beschädigt worden und wurde daher aus dem öffentlichen Raum<br />

entfernt. Derzeit befi ndet sich dort der leere Sockel und eine Umzäunung mit Plakaten, die den aktuellen Verlauf dokumentieren. Die Skulptur hätte eine öffentliche<br />

Auseinandersetzung herbeiführen können, leider sind bestimmte Teile unserer Gesellschaft nicht dazu bereit.

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