Citylife_Ausgabe_3_2020
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50°55N lattitude
Exil mit Ausblick:
Balthasar von Dernbach verbrachte
einige Jahre auf dem imposant liegenden
Schloss Bieberstein.
ZWEI BALTHASARS
An einem Mann führt
vermutlich kaum eine dieser
Geschichten vorbei, bei ihm
laufen alle Fäden zusammen: Der Fuldaer
Zentgraf und Malefizmeister Balthasar
Nuß aus Brückenau koordinierte
Anschuldigungen und sogenannte
Hexenprozesse – und vor allem damit
einhergehende finanzielle Bereicherungen
für sich selbst.
VIER JAHRE HEXENVERFOLGUNG
Während seiner Amtszeit als Zentgraf und Hexenrichter brachte Balthasar Nuß mindestens 250
Menschen auf den Scheiterhaufen, in manchen Quellen ist sogar von 270, teilweise von über 300
Menschen die Rede. Die Gründe für seine Härte im Amt dürften nicht nur religiöser und politischer
Irrglaube gewesen sein: Mindestens eine große Portion persönliche finanzielle Bereicherung lässt sich aus alten
Dokumenten und Urteilen ebenfalls herauslesen. Immerhin trugen die Kosten für die Hexenprozesse, Versorgung der
Beteiligten und sogar für Holz, Reisig und Stroh für die Scheiterhaufen stets die Angehörigen der Opfer. Insgesamt
nahm man in vier Jahren 5.000 Gulden ein – gut die Hälfte, etwa 2.500 Gulden davon, unterschlug der Hexenrichter,
sie flossen direkt in seine eigene Tasche. Zum Vergleich: Das entspricht etwa 42 Jahresgehältern eines damaligen
Bürgermeisters. Nebenher bereicherte sich Nuß außerdem beispielsweise an üppigen Bier- und Weinlieferungen, die
er angeblich zur Versorgung der Gerichtsangestellten, der Folterknechte und des Henkers bestellte, dann aber nicht
etwa im Gericht, sondern in seinem eigenen Keller einlagern ließ.
Aber von vorne: Seine Ämter erreichte
Balthasar Nuß vor allem durch die
Unterstützung und Fürsprache des
Fuldaer Fürstabts Balthasar von
Dernbach. Letzterer befand sich nach
erheblichen Auseinandersetzungen mit
Fuldaer Räten, Bürgermeistern und
Rittern ab 1576 im Exil auf Schloss
Bieberstein. Der Grund dafür: Als
Fürstabt des damals noch – man glaubt
es kaum – lutherisch geprägten Fuldas
hatte er mit fragwürdigen Methoden
Fuldaer Bürger dazu gezwungen, zum
katholischen Glauben überzutreten.
GUTE KONTAKTE
MUSS MAN HABEN
Von Dernbach ernannte Nuß aus dem Exil heraus zunächst
zum Oberförster der zum Amt Bieberstein gehörenden
Wälder und zum Stallmeister des Schlosses, bevor er in den
Jahren 1591 und 1592 durch persönliche Fürsprache dafür
sorgte, dass sein Schützling zum Zentgrafen von Hofbieber
aufstieg. Nach der Wiedereinsetzung von Dernbachs
als Fuldaer Fürstabt im Jahr 1602 profitierte Balthasar
Nuß erneut von seinen guten Kontakten: Eine der ersten
Amtshandlungen Balthasar von Dernbachs war es, Nuß
als Zentgraf und Hexenrichter Fuldas einzusetzen und
ihm die Direktion in „Peinlichen Blut und Zaubersachen“,
also der Hexenverfolgung, zu übertragen. Von Dernbach
muss sich dabei wohl sehr bewusst gewesen sein, warum
er ausgerechnet Nuß in dieses Amt hob. Vor der Kritik
einiger Stadträte, die den angehenden Zentgrafen und
Hexenrichter aufgrund eines zuvor öffentlich begangenen
vorsätzlichen Totschlages nicht im Amt sehen wollten,
rechtfertigte er sich mit den Worten: „…er wolt in zum
Zentgraffen haben und darzu er jenen gebrauchen wölt,
darzu ließ sich nicht ein jeder ehrliche man vermögen…“.
Ein Gedenkstein für die Opfer der Fuldaer
Hexenprozesse steht auf dem dompfarrkirchlichen
Friedhof am Frauenberg [links].
Die dazugehörige Gedenktafel enthält
alle dokumentierten Namen der vorwiegend weiblichen,
aber auch männlichen Opfer [rechts unten].
Am Zentgericht nahe der Christuskirche
standen vermutlich einst die Scheiterhaufen [rechts oben].
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OKTOBER – APRIL 2021
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