Christoph Egle/ Christian Henkes - Dritte Wege - Uni.hd.de

Christoph Egle/ Christian Henkes: Später Sieg der Modernisierer über die Traditionalisten?
Die 90er Jahre waren für die SPD als Partei mit starken pazifistischen Strömungen von
dauerndem innerparteilichem Dissens darüber geprägt, wie auf die Ereignisse im
zerfallenden Jugoslawien reagiert werden sollte. Die Balkankriege wirkten dabei als ein
katalysierender Anstoß für einen innerparteilichen Lernprozess hinsichtlich der Rolle des
Militärs 32 und der gestiegenen außenpolitischen Verantwortung Deutschlands. Während
das Berliner Programm die Bundeswehr noch ausschließlich auf Landes- und
Bündnisverteidigung festlegte, akzeptierte die SPD 1992 mit den Petersberger Beschlüssen
und nach heftigsten innerparteilichen Debatten auf dem Außerordentlichen Parteitag in
Wiesbaden friedenserhaltende UN-Maßnahmen (Peace-Keeping) der Bundeswehr –
allerdings nur unter den Bedingungen des Einverständnissen der Konfliktparteien und
nach einer als notwendig erachteten Grundgesetzänderung (SPD 1992: 413). 33 Diese
Programmlage wurde zwar 1993, 1994 und 1995 bekräftigt 34, aber nach einem
entscheidenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 35 über die Zulässigkeit
der von der damaligen Bundesregierung geschaffenen Fakten (Adria-Einsatz, AWACS-
Flüge, Somalia, NATO-Luftangriffe in Bosnien) vollzog auch die SPD 1997 diese
Erweiterung programmatisch mit und akzeptierte fortan UN-Kampfeinsätze als ein
Element in einer umfassenden, multilateralen Außenpolitik. Besonderes Gewicht wurde
jedoch immer auf die Notwendigkeit eines UN-Sicherheitsratmandats für Einsätze
regionaler Organisationen gelegt, das unabdingbar für die völkerrechtlichen Legitimation
sei (SPD 1997: 27, 32). Die drei wesentlichen Einsätze in der Legislaturperiode
(Kosovokrieg 1999, Mazedonieneinsatz 2001 und Afghanistan 2001/02) waren
diesbezüglich unterschiedlich gut mit der Position der SPD vereinbar:
UN-Mandat? Gedeckt durch Vereinbarkeit mit
32 Abgesehen von den Aussagen über die Rolle des Militärs bei UN-Missionen und der Rolle der NATO
sind die Aussagen zur Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik in den 90er Jahren (z. B. SPD 1997,
1999b) weitestgehend deckungsgleich.
33 Die im dort im sogenannten SPD-Sofortprogramm genannten „friedenserhaltenden Maßnahmen
erweiterter Form“ beinhalten zwar einige weitere Aufgaben für solche Blauhelmtruppen, überschreiten aber
ausdrücklich nicht die Schwelle zu friedenserzwingenden Einsätzen.
34 Auf den Parteitagen 1993 und 1994 wurde ausdrücklich jede Form der „Intervention“ über
friedenserhaltende Maßnahmen hinaus abgelehnt (SPD 1993b: 992; SPD 1994: 203). Auch im Leitantrag zur
Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik in Mannheim 1995 wird dies noch bekräftigt, allerdings schon mit
dem Eingeständnis, dass es Meinungsverschiedenheit gibt, die im Rahmen einer Projektgruppe zu einem
Konsens führen sollen (SPD 1995: 843).
35 In diesem Urteil erklärte das Bundesverfassungsgericht eine deutsche Teilnahme an UN-Kampfeinsätzen
für zulässig, da sich die Bundesrepublik durch Art.24(2) GG Systemen kollektiver Sicherheit untergeordnet
hat und Art. 87a GG internationalen Einsätzen nicht entgegenstehe. Allerdings erfordert ein solcher Einsatz
einen vorherigen Bundestagsbeschluss (Archiv der Gegenwart 1994: 39153).
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