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Musik<br />
MAKE-UP: CAROLINE TORBAHN/NINA KLEIN ARTISTS<br />
Vom ersten Auftritt ohne Bühnenerfahrung<br />
und Mode als Kunst<br />
„Nie wieder geh’ ich in Zelle wegen Patte<br />
(Slangausdruck für Geld; Anm.), nie wieder<br />
wegen Raub und Erpressung vor dem<br />
Richter stehen, nie wieder. Nie wieder<br />
geh’ ich mit Achter (Handschellen; Anm.)<br />
und Fußfesseln runter in Bunker und<br />
wart’ auf mein Urteil.“<br />
Nimo hat sein früheres Leben und<br />
seine Fehler in seinen Raps verarbeitet:<br />
Er wird in eine Karlsruher Familie mit<br />
iranischen Wurzeln hineingeboren,<br />
wächst in der Nähe von Stuttgart auf.<br />
Der junge Nima Yaghobi, wie Nimo mit<br />
bürgerlichem Namen heißt, baut viel<br />
Mist. Seinen 16. und 17. Geburtstag verbringt<br />
er im Jugendgefängnis, unter anderem<br />
wegen räuberischer Erpressung.<br />
Aber er hat eine Idee und jede Menge<br />
Reime im Kopf. Als er wieder draußen ist,<br />
geht es los: Er nimmt Raps auf, postet sie<br />
in den sozialen Medien. Die Frankfurter<br />
Rapper und Labelchefs Celo & Abdi werden<br />
nach einigen mit einfachsten Mitteln<br />
gedrehten Handyvideos auf ihn aufmerksam,<br />
nehmen den bühnenunerfahrenen<br />
Jungrapper sofort mit auf Tour. 2016 erscheint<br />
sein Mixtape „Habeebeee“. Darauf<br />
rappt er gleich zu Beginn: „Soll nicht<br />
bedeuten, dass ich denk, ich wär was<br />
Besseres wie du. Bin nur ein Hoodie, der<br />
mit Glück und Handyvideos einen Deal<br />
bekam.“ Nimo rappt auch über seine<br />
Eltern und seine „Prioritäten im Leben“.<br />
Zum ersten Mal verrät er etwas über<br />
seinen Wandel und die Wurzeln der Veränderung:<br />
„Man denkt erst nach, wenn<br />
man alleine ist.“<br />
2017 folgt das Debüt-Album „K¡K¡“.<br />
Dort gibt er sich als gereifter und selbstbewusster<br />
Künstler. Wieder hat das<br />
Album einen programmatischen ersten<br />
Song: „Michelangelo“. Darin gesteht er<br />
zuerst bescheiden und sachlich korrekt:<br />
„Ich habe Rap nicht erfunden, hab’ Trap<br />
nicht erfunden, hab’ Hip-Hop nicht erfunden.“<br />
Um dann beiläufig hinterherzuschieben:<br />
„Ich bin Deutschraps Michelangelo.“<br />
Den Größenwahn der Zeile<br />
fängt er selbst wieder auf: „Auf einmal<br />
sagen sie, ‚der Typ ist abgehoben‘, weil<br />
ich mich selber als Künstler bezeichne,<br />
wir sind die Renaissance, ekho, die neue<br />
Generation.“ Ein Künstler zu sein, das<br />
kann durchaus mehr umschließen als<br />
das Rappen. Nimo ist die Musik nicht<br />
mehr genug. Er schlüpft mittels Mode<br />
immer wieder in andere Rollen. Oder<br />
„Es fühlt sich gut an,<br />
den Menschen eine<br />
positive Message<br />
mitzugeben.“<br />
wie er wahrscheinlich sagen würde:<br />
andere Teile seiner Persönlichkeit.<br />
Du hast deinen Horizont über den<br />
Hip-Hop hinaus erweitert. Mode<br />
scheint dir sehr wichtig zu sein.<br />
Ja, das ist eine Ambition neben der<br />
Musik. Im Großen und Ganzen würde<br />
ich sagen, ich bin ein Künstler. Ein<br />
Künstler ist nicht nur jemand, der Musik<br />
macht, der schreibt oder zeichnet.<br />
Künstler ist man durch und durch.<br />
Und Mode ist eine der ältesten Künste,<br />
die der Mensch hat.<br />
Was fasziniert dich so daran?<br />
Mit Klamotten kannst du eine Menge<br />
über dich aussagen. Wie du drauf bist,<br />
wie du dich heute fühlst, wie dein<br />
Mood ist. Es gibt Tage, da liebe ich es,<br />
elegant herumzulaufen. Und Tage,<br />
da schau ich gern wie ein Hoodboy<br />
aus. Ich zieh mich privat sogar noch<br />
verrückter und modebewusster an als<br />
im Internet.<br />
Warum unterscheidest du da?<br />
Heute zeigen die Leute ständig im Internet,<br />
was sie haben. Für mich ist das<br />
eher privat. Es standen schon oft Leute<br />
vor meinem Kleiderschrank und haben<br />
gesagt: Wow, du hast das und das Kleidungsstück,<br />
das denkt man gar nicht.<br />
Dann sag ich: Ja, ist auch besser so. Ich<br />
trag’s für mich, nicht für die anderen.<br />
Vom schonungslosen Blick in den<br />
Spiegel und der Kraft guter Werte<br />
„Ihr wollt den alten Nimo? Hier ist der<br />
neue Nimo“, heißt es auf „Bereit“. 2019<br />
ist das Jahr, in dem Nimo mit mehreren<br />
Nummer-eins-Hits durchstartet, zuerst<br />
auf „Capimo“, mit dem Kollegen Capo,<br />
dann als Solokünstler auf „Nimoriginal“.<br />
Und er spricht offen über Ups and<br />
Downs. Über falsche Freunde und Drogen,<br />
darüber, wie es ist, an einen Punkt<br />
zu kommen, wo man sich für sich selbst<br />
schämt. In den Spiegel zu schauen und<br />
zu denken: Das bin nicht ich.<br />
Auf „Kein Schlaf“ zeigt er sich von<br />
einer emotionalen, verletzlichen Seite.<br />
Anstatt harter Raps dominiert eher<br />
Gesang. Auf der Single tritt die Rapperin<br />
Hava als Gast auf. Eigentlich hat der<br />
Song sogar zwei Perspektiven: eine<br />
männliche und eine weibliche. In Interviews<br />
spricht er sich gegen Rassismus<br />
und Homophobie aus, verteidigt auch<br />
mal viel attackierte Rap-Kolleginnen wie<br />
Shirin David öffentlich. „Gute Werte“, wie<br />
Nimo es nennt. „Kein Schlaf“ wird seine<br />
erste Nummer eins als Solokünstler.<br />
Kein Schwachsinn mehr. Dafür Arbeit,<br />
Familie und Fokus. Als Grund für seine<br />
Wandlung nennt Nimo auch die – vorerst<br />
anonyme – neue Frau an seiner Seite.<br />
„Erst durch sie habe ich gelernt, mit<br />
Kritik umzugehen“, sagt er. Seit 2019<br />
sind die beiden liiert, sogar von Hochzeit<br />
ist schon die <strong>Red</strong>e.<br />
Er hat die Kurve bekommen. Und er<br />
will, dass das anderen auch gelingt, will<br />
sie bestärken, wie ihn sein älterer Freund<br />
bestärkt hat, als er mit dem Rappen begonnen<br />
hat. Er hat eine Spendenaktion<br />
für Obdachlose angestoßen und redet<br />
darüber, der Gesellschaft etwas zurückgeben<br />
zu wollen. „Für die Generation<br />
jetzt und für die Generation, die nach<br />
uns kommt.“ Nimo ist ein Rapper, und<br />
das wird er auch immer bleiben. Aber er<br />
ist definitiv schon mehr als das.<br />
Was kommt als Nächstes von dir,<br />
wo geht die Reise hin?<br />
Ich hab gelernt, nicht mehr groß über<br />
Pläne zu reden. Das letzte Jahr hat gezeigt,<br />
wie schwierig Pläne sind. Sagen<br />
kann ich: Wenn wir was machen, dann<br />
wird es etwas ganz Neues sein. Etwas,<br />
was wir noch nicht gemacht haben.<br />
Welcher ist der echte Nimo – der im<br />
Anzug oder der in der Jogginghose?<br />
Es gibt keinen echten Nimo und keinen<br />
unechten. Es gibt nur einen einzigen<br />
Nimo, mit verschiedenen Stimmungen.<br />
Aber es ist total egal, ob im Anzug oder<br />
in Jeans – Nimo ist Nimo.<br />
CLASH <strong>DE</strong>R <strong>DE</strong>UTSCHRAP-STARS<br />
Ein Studio, zwei Künstler, eine Aufgabe: Bei der<br />
„<strong>Red</strong> Bull Soundclash Studio Edition: The Takeover“<br />
performen Nimo und Jamule je einen<br />
eigenen Song, den der andere ab der Hälfte fortsetzen<br />
muss. Das alles im <strong>Red</strong> Bull Music Studio<br />
Berlin inklusive Live-Band und mit anschließendem<br />
Fan-Voting. Am 29. April auf dem Kanal<br />
<strong>Red</strong> Bull Rap Einhundert auf youtube.com<br />
THE RED BULLETIN 55