MLL Ausgabe 6 April 2021
Interaktives Magazin. Hier schreiben Leser*innen Geschichte - Story of My Life
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Liebellenschule oder die Liebe zur Natur<br />
ich auch die Zaunpfähle heran.<br />
Sie waren schon samt Draht<br />
in der Wiese eingewachsen,<br />
nachdem die Kraft des Wassers<br />
sie aus dem Boden gerissen und<br />
sie der Länge nach auf unser<br />
Grundstück gelegt hatte. Den<br />
verwirrten Stacheldraht löste ich<br />
nur an der Stelle, wo inzwischen<br />
ein neuer befestigt wurde. Mit<br />
der Kneifzange musste ich die<br />
Drähte einzeln durchpitschen,<br />
so stabil erwies er sich. Nach<br />
einiger Anstrengung konnte ich<br />
dann zwei Knäuel mit aller Kraft<br />
wie auf einen Scheiterhaufen<br />
werfen. Der Draht riss dabei<br />
noch ein Loch in meine Hose und<br />
in die Handschuhe und schien<br />
mit letzter störrischer Kraft<br />
sich diesem Akt zu verwehren.<br />
Die Flammen würden die<br />
alten Eichenstippen von der<br />
alten Geschichte zu befreien<br />
vermögen. Mir kam das Bild, dass<br />
ich alte Wunden aufreiße, als ich<br />
den doppelt verdrillten Draht<br />
aus der Grasnarbe zerre. Nun,<br />
Stacheldraht in der Landschaft<br />
bleibt über viele Jahrzehnte<br />
hinweg ein fataler Fallstrick<br />
mit verhängnisvollen starren<br />
Stacheln. Es würde Ewigkeiten<br />
dauern, bis der Rost das Eisen<br />
eines Tages zerbröseln ließ. Zu<br />
guter Letzt finden meine Blicke<br />
auf dem Weg über das Gelände<br />
noch das uralte Gartentörchen.<br />
Es war damals aus den<br />
Jägerzaunlatten gezimmert<br />
worden. Längst hatte es auch als<br />
Solches ausgedient und nachdem<br />
es noch als Seitenwand meines<br />
Komposthaufens fungiert hatte,<br />
war es nun morsch. Jetzt sollte<br />
es das Tor in mein neues Lebens<br />
sein. Ich lege es obendrauf.<br />
Leser*innen Geschichte<br />
schreiben uns Bei<br />
Leser*innen Geschichte<br />
The<br />
Story<br />
OF MY<br />
LIFE<br />
Mach mit,<br />
sei dabei!<br />
Auf dem Weg ins Nachtlager<br />
räumte ich noch die seitlichen<br />
Scheite aus der Dunkelheit ins<br />
Licht des Feuers und nachdem<br />
ich mich einen Moment<br />
gewärmt hatte, sah ich, dass der<br />
Nachthimmel sich inzwischen<br />
bedeckt und den zunehmenden<br />
Mond hinter dem Birnbaum<br />
gebettet hatte. Mit meiner<br />
Wärmflasche nahm ich eben<br />
diesen Tag als erschöpftes und<br />
doch tieferfreutes Gefühl mit in<br />
meinen Schlafsack. Ich schlief<br />
unter der Schräge aus Brettern<br />
über dem ehemaligen Schafstall<br />
direkt ein, mit einem würzigen<br />
Duft von Rauch auf der Haut.<br />
So habe ich also die Tag- und<br />
Nachtgleiche gefeiert und<br />
sogleich den Weltgeschichtentag.<br />
Heute früh wache ich dann<br />
in meinem trautseligen<br />
BachRauschen auf. Es begleitet<br />
mich die Restdämmerung wie<br />
in einem zarten Schleier bis<br />
zur Feuerstelle. Hauchfeiner<br />
Nieselregen segnet den Moment<br />
und befeuchtet mein Haupt.<br />
Ob die Flammen ihren Teller<br />
aufgegessen haben. Was sie<br />
wohl für ein Bild hinterließen.<br />
Ob noch Glut da war? Ganz still<br />
liegt dort dieser Moment. Ich<br />
berühre die Asche, sie ist warm<br />
und luftig weich. Sie zeigt sich in<br />
verschiedenen Grautönen mit<br />
weißen und schwarzen Einheiten.<br />
Oh, was sehe ich da. Es ist als<br />
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