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GSa154-Mai-21 Gleiche Bildungschancen

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Thema: <strong>Gleiche</strong> <strong>Bildungschancen</strong><br />

Aliyeh Yegane Arani<br />

„Schule war schwer, ich hab da nur<br />

gelernt, du gehörst hier nicht her“ 1<br />

Diskriminierungsschutz an Grundschulen gestalten<br />

Kinder machen in der Schule sehr unterschiedliche Erfahrungen. Einige der Erfahrungen<br />

können für sie prägend für die gesamte weitere Bildungslaufbahn,<br />

teilweise sogar für das gesamte Leben, sein. Hierzu gehören auch Diskriminierungserfahrungen.<br />

Wenn Kinder erleben, dass<br />

sie wegen einer zentralen<br />

Dimension ihrer Persönlichkeit,<br />

wie zum Beispiel ihrer ethnischkulturellen<br />

Herkunft, ihrer Religion,<br />

wegen einer Behinderung oder der<br />

sozialen Herkunft in der Schule ausgegrenzt,<br />

stigmatisiert oder herabgewürdigt,<br />

wenn sie anders oder schlech ter<br />

behandelt und benachteiligt werden<br />

und die Lehrkräfte ein solches Verhalten<br />

zulassen, dann ist Schule für sie kein<br />

sicherer Ort. Darüber hinaus erfahren<br />

sie – an der eigenen Person – Schule als<br />

eine Institution, in der Ungleichwertigkeitsideologien<br />

legitimiert und reproduziert<br />

werden.<br />

Ein an Schulen bislang<br />

vernachlässigtes Grundund<br />

Menschenrecht<br />

Antidiskriminierungsstellen weisen seit<br />

Jahren auf die besonders hohen Diskriminierungsrisiken<br />

im Bildungsbereich<br />

hin und belegen, dass Diskriminierungserfahrungen<br />

an Schulen keine<br />

Einzelphänomene sind. Bei einer<br />

Repräsentativbefragung der Antidiskriminierungsstelle<br />

des Bundes (ADS)<br />

gaben 23,7 % aller Befragten an, in den<br />

letzten zwei Jahren Diskriminierungen<br />

im Bildungsbereich erlebt zu haben. In<br />

einer aktuellen repräsentativen Umfrage<br />

in Berlin gab sogar rund jede*r vierte<br />

von Diskriminierung betroffene Person<br />

(29 %) an, diese im Bildungsbereich<br />

erlebt zu haben. Aufgrund des sehr<br />

großen Machtgefälles und der starken<br />

Beschwerdehemmnisse ist zudem im<br />

Schulkontext von noch höheren Zahlen<br />

auszugehen. Damit ist der Bildungsbereich<br />

nach Arbeit der Bereich, in dem<br />

am häufigsten Diskriminierung erlebt<br />

wird. In einer internationalen Studie<br />

der OECD-Länder gaben 12–15 % der<br />

Schüler*innen an, dass Lehrer*innen<br />

eine negative Einstellung gegenüber<br />

bestimmten Personengruppen haben.<br />

In diesem Vergleich schneidet Deutschland<br />

schlechter ab als u. a. Spanien, Italien,<br />

Irland, Australien, Portugal und<br />

Chile. Der Unterschied in der Wahrnehmung<br />

von Diskriminierung in der<br />

Schule ist im Vergleich zwischen Schüler*innen<br />

aus Einwandererfamilien und<br />

ihren Mitschüler*innen ohne familiäre<br />

Zuwanderungsgeschichte im internationalen<br />

Vergleich in Deutschland neben<br />

Island und Italien am höchsten (OECD<br />

2020). Es zeigt sich, dass Kinder sich in<br />

der Schule in Deutschland mehr als in<br />

anderen Ländern mit dem Thema der<br />

Diskriminierung auseinandersetzen<br />

müssen.<br />

Das Recht auf diskriminierungsfreie<br />

schulische Bildung<br />

Diskriminierungsverbote bilden zentrale<br />

menschen- und verfassungsrechtliche<br />

Stützpfeiler der rechtsstaatlichen<br />

Ordnung, zu deren Gewährleistung<br />

der Staat auch in Schulen verpflichtet<br />

ist. Die Gleichheit aller Menschen vor<br />

dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung<br />

gehören zum nicht verhandelbaren<br />

Kernbestand der freiheitlichdemokratischen<br />

Grundordnung. Vor<br />

diesem Hintergrund ist es ein Missverständnis,<br />

Schule aus einem Selbstverständnis<br />

schulischer Neutralität heraus<br />

als einen wertneutralen Ort zu begreifen.<br />

Entsprechend heißt es in einem<br />

Beschluss der Kultusministerkonferenz<br />

(KMK): „Die Verwirklichung gleichberechtigter<br />

Teilhabe hängt in hohem<br />

Maße davon ab, inwieweit es dem Bildungssystem,<br />

aber auch der einzelnen<br />

Berichte aus der Beratungsarbeit der Anlauf- und Fachstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS)<br />

Ein schwarzer Grundschüler wird von seinen Mitschüler*innen<br />

immer wieder beschimpft: „Du Affe! Du siehst aus wie Sch**!“, etc.<br />

Die Eltern fordern die Schule auf, dies zu unterbinden bzw. das<br />

Thema Rassismus auch pädagogisch anzugehen. Es geschieht<br />

nichts. Als der Junge sich schließlich körperlich wehrt bzw. seine<br />

„Angreifer“ auch rassistisch beschimpft, wird er mit Erziehungsund<br />

Ordnungsmaßnahmen bestraft.<br />

Ein Mädchen, das die zweite Klasse besucht, wird, als sie eines<br />

Tages mit einem Kopftuch zur Schule kommt, unter Druck gesetzt,<br />

sie solle es sofort ablegen, sonst dürfe sie nicht mehr am<br />

Unterricht teilnehmen. Die Lehrerin setzt sie nach hinten an einen<br />

Einzeltisch, sagt ihr, dass sie sie in Zukunft im Unterricht nicht<br />

mehr aufrufen werde, solange sie das Kopftuch aufbehält. Einige<br />

Mitschülerinnen fühlen sich durch das Verhalten der Lehrerin bestärkt<br />

und fangen an, das Mädchen zu ärgern und versuchen ihr<br />

das Kopftuch vom Kopf zu ziehen.<br />

Die Schulleiterin einer Grundschule sagte bei der Einschulung so<br />

laut, dass es alle Umstehenden hören konnten: „Die arabischen<br />

Jungs machen immer Lärm, wenn sie dort dann mit ihren Kopftuch-Müttern<br />

sitzen, weil diese sie ja nicht ermahnen und sie zu<br />

Hause wie kleine Prinzen erziehen.“<br />

12<br />

GS aktuell 154 • <strong>Mai</strong> 20<strong>21</strong>

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