GSa154-Mai-21 Gleiche Bildungschancen
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Thema: <strong>Gleiche</strong> <strong>Bildungschancen</strong><br />
alles, das trifft auf die von der Pandemie<br />
Betroffenen nicht zu.<br />
Es scheint vor allem schwierig, die Erfahrungen<br />
der Kinder und Jugendlichen<br />
zu generalisieren. Neben Situationen des<br />
Kontaktverlustes zur Schule und vielen<br />
Varianten unzureichender Angebote<br />
gab und gibt es auch hervorragende Beispiele<br />
des Lernens und Lehrens auf Distanz.<br />
Ersten Erkenntnissen zufolge hängt<br />
dies vor allem von den einzelnen Schulen<br />
sowie den handelnden Personen vor<br />
Ort ab, weniger stark von Vorgaben der<br />
Bundesländer.<br />
In manchen Fällen haben Schüler:innen<br />
zwar anders, jedoch nicht weniger<br />
gelernt. Natürlich spielen dabei vielfältige<br />
Faktoren, vordergründig die<br />
des häuslichen Umfeldes, eine wichtige<br />
Rolle. Das Lernen im eigenen Tempo<br />
hat manche Kinder entlastet, da sie<br />
in kürzerer Zeit den Schulstoff bewältigen<br />
und dann eigene Interessen verfolgen<br />
oder schulische Impulse vertiefen<br />
konnten. Zu dieser Gruppe sind statistische<br />
Erhebungen ebenfalls wünschenswert,<br />
um verschiedene Seiten der Entwicklungen<br />
zu untersuchen und dann<br />
zu verdeutlichen.<br />
Es wird mit Recht darauf hingewiesen,<br />
dass bereits vor der Pandemie benachteiligte<br />
Kinder besonders schwer von ihren<br />
Folgen betroffen sind. Doch fehlen auch<br />
hier noch genaue Daten, welche Faktoren<br />
tatsächlich entscheidend sind. Wir<br />
müssen uns ganz grundsätzlich mit den<br />
Lebensumständen aller Kinder und Jugendlichen<br />
beschäftigen. Sie haben ein<br />
Recht auf eine qualitativ hochwertige<br />
Bildung und die Entfaltung ihrer ureigenen<br />
Persönlichkeiten. Die Verwirklichung<br />
dieser Rechte darf nicht in so hohem<br />
Maße wie bisher von den Lebensumständen<br />
der Eltern abhängig sein. So<br />
wichtig das Elternhaus ist, so zentral ist<br />
daneben der Kontakt zur sogenannten<br />
„Peer-Group“. Dieser Kontakt muss im<br />
Kontext Schule und Freizeit auch in Zeiten<br />
der Pandemie ermöglicht werden.<br />
Übergänge neu denken<br />
Die sich abzeichnenden Probleme bei<br />
Schulabschlüssen und nachfolgenden<br />
Studiengängen oder Berufsausbildungen<br />
erfordern eine kritische Prüfung unserer<br />
bisherigen Verfahren zur Anerkennung<br />
von Leistungen sowie zur Forderung<br />
nach bestimmten Qualifikationen. Sollte<br />
Thekla Mayerhofer<br />
Lehrerin seit 2011 mit dem<br />
Schwerpunkt Schuleingangsphase,<br />
Mitglied im Grundschulverband seit<br />
fast zehn Jahren<br />
Michael Töpler<br />
Redakteur der Grundschule aktuell<br />
seit Heft 151, M. A. der Philosophie,<br />
Geschichte und Literaturwissenschaft<br />
es wirklich der Fall sein, dass Jugendliche<br />
das Schulsystem nach einigen Jahren<br />
Pandemie mit deutlich weniger Kenntnissen<br />
verlassen würden, dann müssen<br />
wir über neue oder erweiterte Formen<br />
des Wissenserwerbes sowie der Kompetenzermittlung<br />
nachdenken. Dabei<br />
ist zunächst eine Offenheit des Denkens<br />
gefragt: Wenn in unserem konkreten Fall<br />
die Schulbildung nicht als Kriterium für<br />
den weiteren Bildungsweg funktioniert,<br />
dann könnten individuelle Zulassungsverfahren<br />
zu Ausbildungsplätzen oder<br />
Studienfächern eingeführt werden, welche<br />
mit Qualifikationsangeboten für die<br />
spezifischen Anforderungen verbunden<br />
werden. Das wäre eine Erweiterung<br />
des berufsfeldbezogenen Lernens, welches<br />
es im Berufsschulbereich schon in<br />
verschiedenen Formen gibt. Am Ende<br />
ständen wahrscheinlich kein abstrakter<br />
Notendurchschnitt, sondern ein realistisches<br />
Abbild einer potenziellen, berufsfeldbezogenen<br />
Eignung, die einen Einstieg<br />
in den Beruf ermöglicht.<br />
Dabei sollen wichtige Aspekte einer<br />
umfassenderen Bildung nicht wegfallen,<br />
vielmehr hätten Angebote wie Bewegung<br />
und politische Bildung ihren Platz,<br />
allerdings ohne das alte Benotungssystem.<br />
Bewegung und Freude daran sind<br />
wichtig für den Menschen, nicht für das<br />
erlernte Fach (außer vielleicht bei sehr<br />
körperlich orientierten Berufen). In<br />
einem neuen Bewertungsrahmen könnte<br />
die aktuelle Problematik der Benotung<br />
überwunden werden, bei der vielfach<br />
versucht wird, vollständig ungleiche Voraussetzungen<br />
der erbrachten Leistungen<br />
bei Schüler:innen am Ende gleich<br />
zu bewerten.<br />
Natürlich muss kritisch geprüft werden,<br />
wie die Zugangsvoraussetzungen<br />
zu weiteren Bildungswegen handhabbar<br />
bleiben. Wenn ich statt einer allgemeinen<br />
Hochschulreife an jeder Universität<br />
eigene Testverfahren etablieren<br />
würde, wäre ein geordneter und zügiger<br />
Einstieg in ein Studium vermutlich sehr<br />
schwierig. Es ist aber vorstellbar, valide<br />
Verfahren zu etablieren, die bundesweit<br />
Anerkennung finden könnten. All diese<br />
Überlegungen sollen Folgendes aufzeigen:<br />
Eine Krise ist insofern eine Chance,<br />
als dass alles Gewohnte auf den Prüfstand<br />
gestellt wird. Statt Schwarzmalerei<br />
zu betreiben, plädieren wir für die Gestaltung<br />
von Veränderung!<br />
Das Lernen gestalten<br />
Das Lernen auf Distanz hat Fragen aufgeworfen<br />
und sowohl technische als<br />
auch pädagogische Probleme deutlich<br />
gemacht. Andererseits entstehen neue<br />
Ideen: Wenn die Leistungskurse in der<br />
Oberstufe aus der Ferne besucht werden<br />
können, dann könnten die Schüler:innen<br />
grundsätzlich ein viel breiteres<br />
Angebot bekommen, da nicht überall<br />
Fachlehrkräfte unmittelbar vor Ort<br />
sein müssten. Das Angebot könnte entsprechend<br />
in einer kleinen Schule auf<br />
dem Land so groß wie in einer Millionenstadt<br />
sein. Dafür müssten natürlich<br />
Gesetze und Verordnungen angepasst<br />
werden, damit flexiblere Bildungsgänge<br />
an verschiedenen Institutionen möglich<br />
sind. Es wäre auch denkbar, deutlich<br />
mehr Förderangebote zu unterbreiten<br />
und ganz neue Kooperationen aufzubauen.<br />
In einem solchen Klima der Veränderung<br />
könnte eine junge Generation<br />
mit einem hohen Innovationspotenzial<br />
heranwachsen – das hat sich der „Wirtschaftsstandort<br />
Deutschland“ doch<br />
immer gewünscht.<br />
Wir müssen immer die Beziehungen<br />
der Lehrenden und Lernenden, ihre Gemeinschaft<br />
und die Freude am gemeinsamen<br />
Gestalten der Gegenwart in den<br />
Blick nehmen. Dabei brauchen wir dringend<br />
die Beteiligung der Schüler:innen,<br />
Auszubildenden und Studierenden! Es<br />
besteht die Gefahr, dass wir ihnen sehr<br />
vieles zuschreiben, ohne sie vorher gehört<br />
und verstanden zu haben. Dabei<br />
sind alle Gruppen mit einzubeziehen<br />
und der gesamte Prozess muss inklusiv<br />
gestaltet werden. Alle dürfen mitreden,<br />
die Erwachsenen ermöglichen den Kindern<br />
und Jugendlichen echte Teilhabe.<br />
Dabei wird es Reibungspunkte geben, es<br />
geht um Macht und um Geld. Aber vor<br />
allem geht es darum, in der Krise auch<br />
die Chancen zu sehen und diese zu ergreifen.<br />
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GS aktuell 154 • <strong>Mai</strong> 20<strong>21</strong>