flip-Joker_2021-05
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14 KULTUR JOKER VISION 2025
Herrmann in der Kirche
Neue sakrale Arbeiten des Freiburger Künstlers HH
Wo treffen Menschen auf
Kunst? Zunächst natürlich in Museen
und Ausstellungshäusern, in
Galerien, die besonders Interessierten
dann in privaten Sammlungen,
auf dem Kunstmarkt, bei
Messen und Auktionen. Öffentlich
präsent sind seit jeher der
urbane Raum, die Agora, große
Plätze, Garten- und Parkanlagen,
Gebäudefassaden. Zumindest
halböffentlich bleiben, je nach
Zugänglichkeit, Kunstwerke in
Verwaltungsgebäuden, Palästen
und Residenzen. Und schließlich
kommen die sakralen Orte hinzu:
Nekropolen seit der Antike, Friedhöfe
heute – und eben Tempel und
Heiligtümer, also in der Moderne:
Kirchen. Hier spielt sich ein Gutteil
der Hochkunst ab. Von der
Sixtinischen Kapelle Michelangelos
über Baldung Griens Altar
im Freiburger Münster reicht das
bis in die Gegenwart zu Gerhard
Richters Kirchenfenstern.
Und da kommt Harald Herrmann
ins Spiel. Der gebürtige
Schwarzwälder (Wolfach, 1954)
verschreibt sich schon längst vorrangig,
auch bei Kunst-am-Bau-
Projekten, den theologischen
Themen. Zuletzt, bei der Evangelischen
Christuskirche in der
Wiehre, die 2015/16 umfassend
restauriert wurde: Sehr kalt und
hell, wenig wärmelnd empfängt
der historistische Bau von 1891
die Besucher seitdem. Man mag
das kritisieren, manche tun es
auch, aber Herrmanns Arbeit,
eine kühle hellblaue Hinterfangung
des Altarraums unterstreicht
das Ensemble nurmehr. Hier zeigt
sich folglich sein Credo: die gegebene
Architektur zu verstehen,
aufzugreifen und zu „bespielen“,
wie er selbst sagt, – nicht brutalistisch
Kontrapunkte zu setzen.
Derzeit bietet der Künstler, beinahe
synchron, in drei Kirchen
und zwei kirchennahen Instituten
eine ganze Ausstellungsserie. Der
Start fand vorösterlich statt und ist
inzwischen abgebaut: in der Günterstäler
Liebfrauenkirche gab es
die Acrylbilder-Serie „Passio“,
erneut zentral hinter dem Altar.
Im Kreuzgang von St. Martin am
Rathausplatz hängen drei Bilder,
nicht aus der Distanz schaubar,
sondern im Vorbeischlendern,
wie es der Architektur entspricht,
zum Thema „Effata“: angespielt
ist auf Jesu Taufe eines Taubstummen,
berichtet im Markusevangelium.
‚Öffne Deine Sinne‘ lautet
der Appell hier.
Ebenfalls liturgisch definiert ist
die Intervention „Maria voll der
Gnade“ in der ökumenischen Kirche
im Rieselfeld und „Maria von
Magdala“. Beide Mariengestalten
inspirieren. Diejenige der sog.
Jungfräulichen Geburt erscheint
in fünf großformatigen Arbeiten
als Unterleib. Die Kontrahentin
Maria Magdalena, die Zeugin
der Auferstehung, schon früh als
„Apostelgleiche“ verehrt, gehörte
für Herrmann zwingend zum
Konzept dazu – und hätte ja auch
so gut in dies Gotteshaus gehört.
Doch die Gemeinde lehnte diesen
komplementären Part (ärgerlicherweise)
ab. Umso wichtiger,
dass wir eine der Arbeiten des
zweiteiligen Zyklus hier abbilden
können: Brust und Vulva, teils
klar, teils umspielt, bestimmen
das Bild; rechts die kräftige blutrote
Pinselspur als Zeichen von
Erotik, Kraft und Verletzlichkeit,
links die Dreiviertel-Silhouette
einer Löwin, größte Räuberin und
Beschützerin der jungen Mädchen
zugleich, wie schon die Göttin
Artemis in der griechischen Antike.
Parallel begleitende Ausstellungen
im Karl-Rahner-Haus und
in der Katholischen Akademie
liefern gleichsam die Erläuterung
im breiteren Schaffenskontext
Herrmanns. Wobei nicht im
Atelierlager gestöbert wurde, um
Verwaltungsgebäude zu bestücken.
Herrmann betont, dass er
Harald Herrmann: „Maria von Magdala“ 2021
konkret für die Raumsituatio-nen
produziert hat, insgesamt eineinhalb
Jahre lang. Die alttestamentarische
Hiob-Figur, auch Maria
Magdalena und Judas begegnen
uns da, allesamt Exempel des
Generalthemas. „Legenden der
Übertreibung – Heilige“ heißt
das Projekt. Mit den christlichen
Legenden verhält es sich kaum
anders als mit den Mythen der
alten Griechen: je nach Bedarfslage
und punktueller (meist politischer)
Intention der Autoren
wurden sie variiert und geradezu
beliebig ausgeschmückt. Das hat
der Künstler wahrgenommen; insofern
steckt in dem von ihm gewählten
Begriff „Übertreibung“
Foto: Roland Krieg
auch eine kritische Haltung, die
er an die Kirche zurückwendet.
Tradierte Narrative gilt es stets
neu zu überprüfen. Gerade heute.
Harald Herrmann signiert nicht
als Monogrammist. Doch er
könnte es sich leisten, sein Name
hat sich als Signet längst in die
Kunstlandschaft eingedrückt.
Infos: St. Martin, Kreuzgang.
Karl-Rahner-Haus, bis 20. Juli
2021.
Katholische Akademie, bis 30.
Juli 2021.
St. Maria Magdalena, ab 15.
Mai 2021.
Martin Flashar
70 Jahre Kunst am Bau – Bundesbauministerium legt Zeugnis ab
Der politische Prozess begann
im Juni 1928, als ein
Ministererlass der Weimarer
Regierung bei staatlichen Bauten
das Engagement forderte,
um Bildenden Künstlern aus
finanziellem Engpass zu verhelfen
und ihnen Aufträge zu
verschaffen. Der etwas sperrige
Titel hat sich bis heute
gehalten, wobei „am“ ebenso
„neben“, „bei“ und „im“ meint.
Die Kunstpolitik der NS-Zeit
desavouierte das Programm, so
dass erst ein zögerlicher Neuanfang
in Zeiten des Wiederaufbaus
kam. Doch schon 1950
beschlossen beide deutsche
Staaten, ein Jahr nach ihrer
Gründung, mit der Auflage entsprechender
Kunstförderung.
Das gab Anlass für das verantwortliche
Bundesbauministerium,
eine Ausstellung zum
Jubiläums-Thema sowie einen
begleitenden, opulenten Katalog
auf den Weg zu bringen.
Darin sind die großen Etappen
der Kunst am Bau bestens
dargestellt. Stets geht es um die
Balance zwischen ästhetischem
Dialog mit der geplanten Architektur,
möglichem Rekurs auf
Inhalte und Zweckbestimmung
der betreffenden Gebäude sowie
die Einbettung in den urbanistischen
Kontext. Inzwischen
gilt unstrittig: „Kunst am Bau
ist ein wesentliches Element
der demokratischen Kultur (…)
Sie bezieht zu den Themen unserer
Zeit Stellung und ist eine
besonders nachhaltige Möglichkeit,
die Umwelt zu humanisieren
und im Sinne heutiger
Baukultur aufzuwerten“ (Katalog).
Hotspot der Politik war nach
der Wiedervereinigung natürlich
Berlin. Das Kanzleramt
birgt seitdem mannigfaltige
Kunst. Vor dem Axel Schultes-
Bau posiert, tagtäglich in den
Nachrichten, die große Cortenstahl-Plastik
von Eduardo
Chillida: „Berlin“, als Symbol
der Annäherung zweier vormals
getrennter Einheiten. Im
Innern, am Treppenaufgang
steht Lüpertz‘ „Philosophin“,
vorahnend als Sinnfigur weiblicher
Führungskraft im Staat,
mit klassischem Nachdenklichkeitsgestus
der an das Kinn
geführten Linken. In dem Katalogbuch
sind weitere Etappen
des Programms dokumentiert
und historisch aufgearbeitet.
Die wesentliche Zäsur gibt eine
Richtlinie des Bundes aus dem
Jahr 2005 (2012 aktualisiert),
wonach, je nach Höhe der Bauwerkskosten,
zwischen 0,5 und
1,5 Prozent aus dem Bautitel
für Kunst eingesetzt werden
sollen. Dies gilt zugleich als
Memento an Länder und Kommunen.
Die Vorgabe des Bundes ist
ein deutliches Signal auch an
die Stadt Freiburg, die in den
letzten Jahrzehnten nur sehr
zögerlich – meist mit Verweis
auf knappe Finanzen – Kunstam-Bau-Maßnahmen
umsetzte.
Die Ausstellung wandert.
Infos: Ute Chibidziura –
Constanze von Marlin, 70 Jahre
Kunst am Bau, Katalog, 316
Seiten, Deutscher Kunstverlag
2020, 45 Euro.
Martin Flashar
Markus Lüpertz: „Die Philosophin“,
Bronze 1998/2001,
Bundeskanzleramt Berlin
Foto: privat