flip-Joker_2021-05
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Kunst KULTUR JOKER 7
Ungeahnte Wahrnehmungserlebnisse
„Mit allen Sinnen. Französischer Impressionismus“ –
Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart
Eine Ausstellung mit rund
sechzig Gemälden französischer
Impressionisten in der Staatsgalerie
Stuttgart legt den Besuchenden
nahe, deren sinnliche
Wirkung zu erspüren. Unter den
Exponaten befinden sich Werke
von Berthe Morisot und Mary
Cassatt, zudem Klassiker von
Manet, Renoir, Degas, Monet,
Signac, Pissarro, Sisley, Caillebotte,
Jean-Louis Forain und
Paul Gauguin. All diese Künstler
haben seit den 1860er Jahren
die Malerei erneuert und dem
Betrachter ungeahnte Wahrnehmungserlebnisse
eröffnet,
indem Landschaften und alltägliche
Szenen atmosphärisch und
als lebendige Gegenwart erfasst
werden. Nicht etwa zeitenthoben
wurde gemalt, sondern meist direkt
vor dem Motiv und bevorzugt
im Freien. Eine Schlüsselrolle
kommt dabei dem Einsatz
von Farbe zu, die ihre Geltung
durch Opposition oder Nachbarschaft
zu anderen Farben erhält
und der gewohnten Zuordnung
widersprechen darf. Bewusst
werden auf der Bildfläche Licht
und Luft, Raum, Form und
Kontur in Striche und Tupfer
übersetzt und ins Skizzenhafte
aufgelöst, was den momentanen
visuellen Eindruck verstärkt;
zudem bleibt der Pinselduktus
sichtbar, die vibrierende Spur
des Handwerks. Damit wird dem
Auge des Betrachters Spielraum
gelassen, das Angedeutete zu
vollenden.
Angesichts dieser Gemälde
lässt sich der Geruch luftiger
Gärten imaginieren und Manets
Flieder riechen; das Gefühl einer
feucht-nassen Atmos-phäre stellt
sich beim Anblick von Pissaros
„Rouen, Platz der Republik bei
Regen“ ein und Alfred Sisleys
„Winter in Luveciennes“ lässt
einen nicht kalt. Erwärmend
wirkt hingegen die kräftige Sonne
über Paul Gauguins „Bretonischen
Heuerinnen“. Der Geschmack
und das Geräusch von
Meerwasser entströmt Eugène
Boudins „Strand von Trouville“.
Aus Claude Monets „Felder im
Frühling“ vermag sich eine flirrende
Stille zu übertragen und
Mary Cassatts Gemälde „Die
Lesende“ entströmt eine gespannte
Ruhe. Die Sinne sind
schließlich nicht von der physischen
Berührung abhängig, im
Pierre-Auguste Renoir „Das Gewächshaus“ um 1876, Leihgabe aus Privatbesitz
Foto: Staatsgalerie Stuttgart
Auge sitzen Tastempfindungen,
die ohne Hautkontakt affizieren
und die Gegenstandswelt synästhetisch
erfassen können. Das
ursprüngliche Ausstellungskonzept
hatte vorgesehen, dem
Publikum zusätzlich Reize zu
bieten, konkrete Anlässe zum
Riechen, Hören, Schmecken
und Fühlen, was die derzeit angeratene
C-Distanz jedoch vereitelt.
Doch Wirkung kann auch
die Lektüre des kleinen Buches
erzeugen, das die Schau begleitet,
es geht den vielen Aspekten
unserer multisensorischen
Welterfahrung und ästhetischen
Kompetenz nach. Ein immerwährendes
und unverwüstliches
Thema.
Mit allen Sinnen. Französischer
Impressionismus. Staatsgalerie
Stuttgart. Di-So 10-17,
Do 10-20 Uhr. Derzeit müssen
Zeitfenster gebucht werden:
www.staatsgalerie.de. Bis 4. Juli
2021 Cornelia Frenkel
27. März — 15. August 2021
AUFBRUCH ZUR AVANTGARDE
Impressionismus
in Russland
Karin Kneffel, Ohne Titel (Detail), 1996. Öl auf Leinwand, 710 × 240 cm. KfW Stiftung, Frankfurt am Main © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Alexej von Jawlensky, Andrei und Katja, 1905. Sammlung Iveta und Tamaz Manasherov, Moskau