flip-Joker_2021-05
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28 KULTUR JOKER Interview
Abend zum Beispiel ging es um
zwei plus zwei.
Kultur Joker: Bringen Sie den
Kids auch Musik bei?
Holland: Bei uns zuhause läuft
immer Musik aus verschiedensten
Quellen. iPads und
Smartphones liegen überall
herum und spielen irgendeine
Kindermusik ab. Bei uns findet
definitiv musikalische Erziehung
statt.
Kultur Joker: Sie sind nicht nur
ein erfolgreicher Musiker, sondern
auch Wissenschaftler. Sie
haben über Viren geforscht.
Holland: 2017 habe ich einen
Doktortitel in Molekularbiologie
an der University of Southern
California bekommen.
Mein Schwerpunktthema war
die HIV-Forschung. Ich habe
mich schon immer für Viren interessiert.
Aber ich konnte natürlich
nicht ahnen, dass sich eines
Tages die ganze Welt für Viren
interessieren würde. HIV macht
mittlerweile keine Schlagzeilen
mehr, aber Aids ist nach wie
vor eine sehr reale und schwere
Krankheit.
Kultur Joker: Werden wir Aids
bald besiegt haben?
Holland: Es dürfte schwer sein,
HIV mit der Wurzel auszureißen,
weil es einige komplizierte Besonderheiten
aufweist. Ich hoffe
eher, dass wir das Coronavirus
auslöschen können – beziehungsweise
bald besser mit ihm
umgehen können. .
Kultur Joker: Lesen Sie viel
über das Coronavirus?
Holland: Na klar, ich möchte
auf dem Laufenden bleiben.
Ich würde mich zwar nicht als
Covid-19-Experten bezeichnen,
aber ich begreife schon, was Viren
auszeichnet.
Kultur Joker: Wann wird es
wieder möglich sein, gefahrlos
große Konzerte zu veranstalten?
Holland: Das lässt sich zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
vorhersagen, weil es hinsichtlich
Covid-19 noch zu viele
unbekannte Aspekte gibt. Man
kann zum Beispiel nicht jeden
Einzelnen testen, weshalb man
nie wissen wird, wo das Virus
überall umgeht, wie stark es die
Bevölkerung bereits durchdrungen
hat und wie schnell es sich
verbreitet. Das alles kann man
eigentlich nur schätzen aufgrund
von Testungen. Ich vermute, dass
zwischen Sommer und Jahresende
2021 Konzerte möglich sein
werden. Das hängt aber auch von
den Impfungen ab.
Kultur Joker: Der deutsche Ticketverkäufer
CTS Eventim will
die Corona-Impfung an der Konzertkasse
prüfen. Wie denken Sie
über eine Impfpflicht für Konzertbesucher?
Holland: Das wäre ein möglicher
Weg. Mit einer Impfung
fühlt man sich natürlich viel sicherer.
Gesichtsmasken wären
auch eine gute Idee. Und natürlich
Konzerte an der frischen
Luft.
Kultur Joker: Sind Sie bereits
geimpft worden?
Holland: Ich warte immer noch
geduldig auf einen Termin. Einige
Länder sind beim Impfen
schneller als andere. Großbritannien
gehört zu den schnelleren,
die USA sind eher langsam. Aber
der Impfstoff des Herstellers
Johnson & Johnson ist bei uns
jetzt auch zugelassen worden.
Können wir bitte auch noch ein
wenig über Musik reden?
Kultur Joker: Natürlich. Der
Song “The Opioid Diaries” handelt
von der Drogenkrise in den
USA. Überschattet die Coronakrise
das Drogenproblem?
Holland: In den Medien auf jeden
Fall, denn da dreht sich alles
um Corona. Auf dieser Platte
wollten wir aber verschiedene
gesellschaftliche und politische
Themen in Angriff nehmen,
über die geredet werden muss.
Sie war fertig, als die Pandemie
begann. Es macht für mich auch
keinen Sinn, eine ganze Platte
über Corona zu schreiben. Die
Opioidkrise in den USA interessiert
mich persönlich, weil
sie anders ist als bisherige Drogenkrisen.
Klassische Süchtige
hat es schon immer gegeben,
aber die Leute, die sich Opioid-
Schmerzmedikamente verschreiben
lassen, suchen nicht nach
einem Hochgefühl à la Heroin.
Sie werden eher unbeabsichtigt
zu Süchtigen, weil diese Substanzen
in kürzester Zeit extrem
abhängig machen. Und dann
wollen sie immer mehr davon
haben. Irgendwann bekommen
sie aber keine ärztlichen Rezepte
mehr, weshalb sie sich auf der
Straße Heroin besorgen. In den
USA werden Football-Spieler zu
Junkies! Das ist eine einzigartige
Situation.
Kultur Joker: Wer ist dafür verantwortlich?
Holland: Unter anderem die
Pharmaindustrie. Hauptsächlich
trifft es jüngere Menschen. Seit
einigen Jahren nimmt der Missbrauch
von Fentanyl in den USA
zu. Seine extrem hohe Wirksamkeit
führt zu extrem hohen Todesraten.
Manche Leute sterben
bereits bei einmaliger Einnahme.
Es ist rau da draußen.
Kultur Joker: Kennen Sie persönlich
viele Opioid-Abhängige?
Holland: Natürlich kenne ich
welche. Darunter sind auch
Freunde von mir.
Kultur Joker: Trauen Sie Joe Biden
zu, die größten Probleme der
USA zu lösen?
Holland: Normalerweise äußere
ich mich nicht zum Thema Politik.
Aber Amerika hat auf diesen
Wechsel lange gewartet. Es ist
Zeit, dass sich etwas ändert. Biden
hat einen ganz anderen Ansatz
als sein Vorgänger. Ich hoffe,
er hat damit Erfolg. Amerika ist
bereit, neue Wege zu gehen.
Kultur Joker: Warum machen
Sie Musik? Als Wissenschaftler
könnten Sie Ihrem Land ja auch
anders dienen.
Holland: Einerseits liebe ich
Musik. Andererseits habe ich
einen Standpunkt zu den verschiedensten
Themen. Als ich
The Offspring: Pete Parada, Todd Morse, Dexter Holland und
Kevin Wasserman (v.l.n.r.)
Foto: Daveed Benito
jünger war, stand ich total auf
Punkbands. Deren Einstellung
hat mich geprägt. Mainstreamund
Popbands hingegen ließen
mich eher kalt. Punkbands
haben keine Angst, Tabus wie
Depression, Geisteskrankheit
oder das Schlechte im Leben
anzusprechen. Die unterschiedlichsten
Erfahrungen, die junge
Menschen machen, haben mich
dazu ermuntert, tröstliche Songs
zu hören und später auch selber
zu schreiben.
Kultur Joker: Was hat Sie zu
dem Song „Breaking These Bones“
inspiriert?
Holland: Das ist ein Song über
Trauer. Trauer ist assoziiert mit
dem Tod oder mit dem Ende einer
Beziehung. In meinem Song
geht es jedoch darum, sich aus
der Welt zurückzuziehen und
Türen und Fenster hinter sich zu
schließen. Depression kann sich
anfühlen wie ein Amboss auf
deiner Brust, der die Kraft hat,
dir die Knochen zu brechen. Ich
wollte einmal das körperliche
Gefühl dieser Krankheit ausdrücken
und keinen Ratgebersong
machen. Das klingt jetzt
vielleicht seltsam, aber ich sehe
sonst keine Songs, die aus dieser
Perspektive geschrieben wurden.
Kultur Joker: Hat Musik für Sie
einen therapeutischen Aspekt?
Holland: Absolut. Wie nennt
man das gleich? Katharsis! Viele
unserer Fans schreiben uns über
die Sozialen Medien, wie sehr
wir ihnen dabei geholfen haben,
dunkle Zeiten zu überwinden.
Des öfteren habe ich den Satz
gehört, „Musik hat mein Leben
gerettet“. Ich weiß nicht, ob ich
das alles so glauben kann, aber
Musik hat definitiv die Macht,
Menschen zu helfen oder vielleicht
sogar zu heilen.
Kultur Joker: Können Sie sich
an einen lebensrettenden Moment
mit Musik erinnern?
Holland: Nun, unsere musikalische
Reise ist eine Entwicklung.
Alter Schwede! Am Anfang
war es die Popmusik, die
meine Mutter gehört hat. Später
die Platten, die mein großer
Bruder mit nach Hause gebracht
hat, von Elton John, Kiss und
anderen Hardrockbands. Als prägendes
Erlebnis erinnere ich aber
Punk: die Sex Pistols, die Ramones
oder gewisse kalifornische
Bands wie The Vandals. Diese
krachige und aggressive Musik
mit ihren Botschaften veränderte
für mich alles. Schlagartig.
Kultur Joker: Möchten Sie Musik
machen, die tiefer geht als
der übliche Punkrock?
Holland: Mit Sicherheit. Sind
wir überhaupt eine Punkband?
Ich denke, im Kern schon. Wir
versuchen, das Genre mit jeder
Platte ein bisschen mehr zu
erweitern. Weshalb wir keine
typische Punkband sind. Mit
„Gone Away Requiem“ ist auf
der neuen Platte sogar ein Pianosong.
Dergleichen würde man
von einer Punkband eigentlich
nicht erwarten. Ich will aber sehr
persönliche Songs machen. Und
das hat wunderbar funktioniert,
indem ich einfach nur zum Piano
gesungen habe.
Kultur Joker: Besteht die Hoffnung,
dass wir diesen und weitere
neue Songs dieses Jahr in
Deutschland live erleben?
Holland: (lacht) Wir können es
kaum erwarten, wieder auf Tour
zu gehen. Je eher, desto besser.
Sobald das Touren wieder sicher
ist, werden wir da sein.
Kultur Joker: Dexter Holland,
vielen Dank für das Gespräch!
The Offspring - Let The
Bad Times Roll (Concord
Records/Universal
Music) - VÖ: 16.04.2021